Urteil des LAG Hamm vom 28.06.2006

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Landesarbeitsgericht Hamm, 13 TaBV 20/06
Datum:
28.06.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 TaBV 20/06
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Münster, 2 BV 21/05
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 7 ABN 76/06 Beschwerde als unzulässig
verworfen 10.01.2007
Schlagworte:
Angestellter; leitend; leitender Angestellter; Begriff; Gesamtprokurist;
Prokurist; kaufmännischer Leiter.
Normen:
§ 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BetrVG, § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG
Rechtskraft:
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Tenor:
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des
Arbeitsgerichts Münster vom 26.01.2006 - 2 BV 21/05 - wird
zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
G r ü n d e:
1
I.
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Im Verfahren geht es darum, ob der Beteiligte zu 3) als leitender Angestellter im Sinne
des Betriebsverfassungsgesetzes einzustufen ist.
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Die Arbeitgeberin betreibt mit ca. 80 Arbeitnehmern den Zoologischen Garten in
M1xxxxx. Es gibt einen zoologisch-technischen und einen kaufmännischen
Geschäftsführer. Daneben existiert – neben dem technischen – ein Leiter
Rechnungswesen und Finanzen, der zu 3) beteiligte Arbeitnehmer R1xxxxx. Beide sind
mit Gesamtprokura ausgestattet und gehören der sogenannten erweiterten
Geschäftsführung an. Nach der Geschäftsordnung der Gesellschaft nehmen sie an den
Sitzungen der Geschäftsführung teil und wirken bei den Entscheidungen mit, die
letztlich von dem jeweiligen Geschäftsführer für den ihm zugeordneten Bereich getroffen
werden.
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Der Beteiligte R1xxxxx, ein Fachkaufmann (Controller IHK), ist seit dem 01.07.2005 zu
einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 3.550,00 € Leiter des
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Rechnungswesens/Finanzen, nachdem er zuvor ab dem 01.03.2003 Assistent der
Geschäftsführung gewesen war. Ihm kommen nach der Stellenbeschreibung vom
01.07.2005 im Einzelnen folgende Aufgaben zu:
o Verantwortlich für die gesamte Finanzbuchhaltung, die Personalabteilung mit
Lohn- und Gehaltsbuchhaltung, Kasse und Empfang.
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o Zuständig für das Finanzmanagement mit Liquiditätsplanung, -steuerung und
eigenständiger Finanzdisposition.
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o Termingerechte Erstellung von Monats-, Jahresabschlüssen, Steuererklärungen,
etc.
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o Verantwortlich für das kaufmännische Berichtswesen mit Kosten- und
Leistungsrechnung, kurzfristigen Erfolgsrechnungen, Wirtschaftsplan und
mittelfristiger Zooplanung und deren Weiterentwicklung.
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o Verantwortlich für die Berichterstattung an das Beteiligungsmanagement der
Stadt M1xxxxx.
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o Revisionsaufgaben (Systemprüfungen, Kassenprüfungen),
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o Controlling/EDV; Zusammenarbeit mit dem Netzwerkadministrator insbesondere
für kaufmännische EDV-Anwendungen.
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o Verantwortlich für die Bearbeitung arbeitsrechtlicher Angelegenheiten.
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o Zuständig für die Vor- und Nachbearbeitung der Geschäftsführerbesprechungen,
Besprechungen mit Betriebsrat, Gewerkschaft, Aufsichtsrat und dessen Gremien.
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o Vorbereitung von Verträgen insbesondere im kaufmännischen Bereich;
Abschluss dieser Verträge im Zusammenwirken mit einem Geschäftsführer.
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o Verantwortlich für das Versicherungswesen insbesondere für den
kaufmännischen Bereich; Abschluss von Versicherungsverträgen im
Zusammenwirken mit einem Geschäftsführer.
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o Durchführung von Personalmaßnahmen zusammen mit einem Geschäftsführer.
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o Mitwirkung bei Jahresabschlussprüfungen, Betriebsprüfungen durch das
Finanzamt oder Sozialversicherungsträgern, Sonderprüfungen.
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Dabei ist er Personal- und Fachvorgesetzter für sieben Festangestellte und 15
Aushilfskräfte im Bereich Kasse/Parkplatz.
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Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, der Beteiligte R1xxxxx habe zwar wichtige
Aufgaben im Bereich des Rechnungswesens und der Finanzen wahrzunehmen; es sei
aber nicht erkennbar, dass er in diesem Rahmen Entscheidungen im Wesentlichen frei
von Weisungen treffe oder sie maßgeblich beeinflusse. Vielmehr sei er Zuarbeiter der
Geschäftsführung, aber kein eigenständiger Entscheidungsträger.
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Der Betriebsrat hat beantragt,
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festzustellen, dass der Arbeitnehmer F1xxx R1xxxxx kein leitender Angestellter
im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes ist.
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Die Arbeitgeberin hat beantragt,
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den Antrag zurückzuweisen.
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Sie hat die Meinung vertreten, aus den Aufgaben des Arbeitnehmers R1xxxxx und des
Umstandes, dass er Gesamtprokura habe, ergebe sich dessen Status als leitender
Angestellter. Er übe nämlich seine Aufgaben frei von Weisungen aus und verhandele
auch mit dem Betriebsrat.
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Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 26.01.2006 dem Antrag des Betriebsrates
statt-gegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die dem Beteiligten
R1xxxxx verliehene Gesamtprokura besitze bei einer Zeichnungsmöglichkeit von
lediglich bis zu 3.000,00 € nicht das erforderliche Gewicht, um ihn als leitenden
Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BetrVG einstufen zu können. Im
Rahmen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG besitze er nicht die erforderlichen
Entscheidungsspielräume, weil ein relativ kleiner Betrieb gegeben sei und die
Gestaltungsmöglichkeiten bei der Bilanzerstellung gering seien. Im Verhältnis zum
Betriebsrat habe sich der jeweils zuständige Geschäftsführer die Entscheidungen
vorbehalten, so dass der erforderliche Interessengegensatz zwischen dem Betriebsrat
und dem Beteiligten R1xxxxx nicht gegeben sei.
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Gegen diesen ihr am 08.02.2006 zugestellten Beschluss hat die Arbeitgeberin am
06.03.2006 Beschwerde eingelegt und diese – nach Verlängerung der
Beschwerdebegründungsfrist bis zum 08.05.2006 – am 04.05.2006 begründet.
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Sie streicht heraus, dass der Beteiligte R1xxxxx leitender Angestellter sei, weil er das
gesamte Rechnungswesen allein verantworte und die Aufstellung des
Jahresabschlusses, der Erfolgsrechnungen und der Wirtschaftspläne wesentlich
beeinflusse. Insoweit nehme er an Aufsichtsratsitzungen und Gesprächen z.B. mit dem
Tarifpartner und dem Betriebsrat teil. Im Übrigen gehöre er gem. § 5 Abs. 4 Nr. 2 BetrVG
einer Leitungsebene an, in der überwiegend leitende Angestellte beschäftigt seien –
neben den beiden Geschäftsführern die Tierärztin Dr. S6xxxxxx und der leitende
Angestellte H2xxx.
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Die Arbeitgeberin beantragt,
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den Beschluss des Arbeitsgerichts Münster vom 26.01.2006 – 2 BV 21/05 –
abzuändern und den Antrag abzuweisen.
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Der Betriebsrat beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Er erklärt, die vom Beteiligten R1xxxxx ausgeführten Aufgaben qualifiziere ihn nicht als
leitenden Angestellten, z.B. im Bereich der Finanzbuchhaltung und der Anlage von
Festgeldern. Im Übrigen arbeite er dem kaufmännischen Geschäftsführer zu. Wenn er
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bei Aufsichtsratssitzungen und Verhandlungen mit ihm, dem Betriebsrat, als
sachkundiger Arbeitnehmer teilnehme, werde er damit ebenfalls nicht zum leitenden
Angestellten.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
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II.
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Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet.
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Zu Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass der Beteiligte R1xxxxx kein leitender
Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 S. 2 BetrVG ist.
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1. Nach dem hier in erster Linie in Betracht kommenden § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 BetrVG
kann ein Arbeitnehmer mit Prokura leitender Angestellter sein, sofern die im Rahmen
der §§ 48 ff. HGB verliehene gesetzliche Vertretungsmacht auch im (Innen-) Verhältnis
zum Arbeitgeber nicht unbedeutend ist.
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Die Frage der Bedeutung lässt sich nach der zutreffenden Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts (AP BetrVG 1972 § 5 Nr. 55; zust. z.B. Fitting, 23. Aufl., § 5 Rdn.
348) nur mit Blick auf die in den Parallelvorschriften des § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 und 3
BetrVG umschriebenen Aufgaben entscheiden, worauf auch das Verbindungswort
"sonstige" in § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG hinweist. Dementsprechend müssen
Prokuristen, wenn sie – wie hier – keine Einstellungs- und Erlassungsbefugnis haben,
auch im Innenverhältnis Aufgaben wahrnehmen, die den im funktionellen
Grundtatbestand des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG umschriebenen Leitungsfunktionen
entsprechen. Andernfalls würde es an dem vom Gesetzgeber für den Personenkreis der
leitenden Angestellten angenommenen Interessengegensatz zu den anderen
Arbeitnehmern fehlen (vgl. zu BT-Drucksache VI/2729, S. 11).
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Demnach muss auch ein (Gesamt-) Prokurist spezifische unternehmerische
Führungsaufgaben wahrnehmen (zuletzt BAG EzA BetrVG § 5 Nr. 64; siehe auch BAG
AP BetrVG 1972 § 5 Nr. 32, 55 und 69). Maßgeblich ist, inwieweit ihm unternehmerische
(Teil-) Aufgaben übertragen worden sind und er diese ausführt. Der Status eines
leitenden Angestellten ist also allein von seiner Funktion her zu bestimmen und entzieht
sich einer Festlegung u.a. durch Leitungsebenen in der Unternehmenshierarchie. Ihm
müssen von der Leitung Aufgabenstellungen übertragen worden sein, die ihn in die
Nähe des Arbeitgebers rücken und ihm Einwirkungsmöglichkeiten eröffnen, die
regelmäßig zumindest für den Bestand und die Entwicklung des Unternehmens oder
eines Betriebes von Bedeutung sind. In dem Zusammenhang ist zu beachten, dass es
sich bei § 5 Abs. 3 BetrVG nach dem Gesetzeszweck um eine Ausnahmebestimmung
handelt und nur solche Angestellte umfasst, die z.B. im technischen oder
kaufmännischen Bereich Führungsaufgaben wahrnehmen. Das bedingt einen rechtlich
und tatsächlich eigenen erheblichen Entscheidungsspielraum. Der Arbeitnehmer muss
also in seinem Arbeitsbereich mit weitgehender Weisungsfreiheit und
Selbstbestimmung handeln können. Es dürfen also nicht auf einer höheren
Hierarchieebene bereits Entscheidungen getroffen werden worden sein, die auf einer
niedrigeren Delegationsstufe nur noch ausgeführt werden. Die danach vorausgesetzte
Schlüsselposition hängt im Einzelfall von der Größe und Struktur sowie Organisation
des betroffenen Unternehmens ab, namentlich ob es zentral oder dezentral geführt wird.
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Dabei ist es erforderlich, dass ein beachtlicher Teil der Gesamtarbeitszeit des
Angestellten von den gehobenen Tätigkeiten beansprucht wird; sie müssen seine Arbeit
prägen, sie also schwerpunktmäßig bestimmen (BAG AP BetrVG 1972 § 5 Nr. 32 und
42; Fitting, a.a.O., § 5 Rdn. 370).
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Bei Anwendung dieser Kriterien kann hier nicht festgestellt werden, dass der Beteiligte
R1xxxxx als leitender Angestellter im Sinne des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BetrVG zu
qualifizieren ist.
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Er ist bei insgesamt 80 Beschäftigten in einem mittleren Unternehmen kleinerer Art tätig,
wenn man die EU-weit maßgebliche "Empfehlung der Kommission vom 06.05.2003
betreffend die Definitionen der Kleinstunternehmen sowie der kleineren und mittleren
Unternehmen" zugrunde legt und dementsprechend von einer Unternehmensgröße
zwischen 50 bis 249 Beschäftigten ausgeht. Für den kaufmännischen Bereich, in dem
der Beteiligte R1xxxxx arbeitet, gibt es einen insoweit zuständigen sogenannten
kaufmännischen Geschäftsführer, der – gemeinsam mit dem zoologisch-technischen
Geschäftsführer – gem. § 35 GmbHG dazu berufen ist, die Gesellschaft gerichtlich und
außergerichtlich umfassend zu vertreten. Nimmt man hinzu, dass in dem danach zentral
geleiteten kaufmännischen Bereich des Beteiligten R1xxxxx "nur" 22 Beschäftigte, also
lediglich 27,5 % der Gesamtbelegschaft, davon 18,75 % als Aushilfen, tätig sind,
sprechen schon die Größe, Struktur und Organisation dieses Bereichs gegen die
Annahme, der Beteiligte R1xxxxx habe in Wahrnehmung seiner Gesamtprokura
ausreichend eigene Entscheidungsbefugnisse, um ihn als leitenden Angestellten
einstufen zu können.
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So ist er nach seiner Stellenbeschreibung vom 01.07.2005 verpflichtet, dem
kaufmännischen Geschäftsführer direkt zu berichten. Im Bereich der Auftragsvergaben
bereitet er diese "lediglich" vor, betreut die Abwicklung und nimmt später die
Rechnungsprüfung vor. Die eigentlichen Entscheidungen z.B. über den Abschluss von
für das Unternehmen bedeutsamen Verträgen steht aber der Geschäftsführung zu. Dies
kommt schon darin zum Ausdruck, dass der Beteiligte R1xxxxx als Gesamtprokurist
lediglich eine Zeichnungsbefugnis bis zu einem Betrag von 3.000,0 € hat.
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Entsprechende bloß vor- und nachbearbeitende Tätigkeiten ohne eigene
Entscheidungsbefugnisse übt er bei Besprechungen z.B. mit dem Betriebsrat, der
Gewerkschaft oder dem Aufsichtsrat aus.
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Auch bei der Erstellung der Bilanz in einem kleinen mittelständischen Unternehmen der
vorhandenen Größe bestehen nur geringe Gestaltungsmöglichkeiten, die keine im
Rahmen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BetrVG erforderlichen wichtigen
Entscheidungsspielräume eröffnen. Entsprechende Erwägungen gelten für den Bereich
des Rechnungswesens einschließlich seiner Befugnis für die Anlegung von
Festgeldern.
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Abgesehen davon ist angesichts der umfangreichen Stellenbeschreibung mit insgesamt
13 Aufgabenbereichen und weiteren allgemeinen Verpflichtungen auch nicht ersichtlich,
durch welche ihn zum leitenden Angestellten machenden Tätigkeiten seine Arbeit
geprägt sein soll.
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Bemerkenswerterweise hat die Arbeitgeberin dem Beteiligten R1xxxxx auch in seiner
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vorherigen Funktion als Assistent des kaufmännischen Geschäftsführers trotz der in
vielen Bereichen unverändert gebliebenen Aufgaben selbst nicht als leitenden
Angestellten angesehen.
Dem Ergebnis steht die Bestimmung des § 5 Abs. 4 Nr. 2 BetrVG schon aus
Rechtsgründen nicht entgegen. Denn sie gibt lediglich bei Zweifeln eine
Entscheidungshilfe, ist also nicht einschlägig, wenn – wie hier – nach der
vorgenommenen Sachverhaltswürdigung eine Einordnung als leitender Angestellter
ausscheidet (BAG EzA BetrVG § 5 Nr. 64).
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Abschließend soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass das Monatsentgelt als
Hilfskriterium gem. § 5 Abs. 4 Nr. 4 BetrVG derzeit bei 7.350,00 € liegt (vgl. Fitting,
a.a.O., § 5 Rdn. 405), also mehr als 100 % über dem aktuellen Entgelt des Beteiligten
R1xxxxx, der bei der letzten Betriebsratswahl auch den wahlberechtigten Arbeitnehmern
zugeordnet worden ist (vgl. § 5 Abs. 4 Nr. 1 BetrVG).
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2. Aus den Ausführungen unter I. 1. der Gründe folgt, dass in der Person des Beteiligten
R1xxxxx auch die Voraussetzungen des § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BetrVG nicht erfüllt sind.
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Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben.
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Dr. Müller Spruch Rödel
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/Bu.
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