Urteil des LAG Hamm vom 07.04.2006

LArbG Hamm: betriebsrat, schichtarbeit, ersatzmitglied, test, gestaltung, anfang, arbeitsgericht, stellvertreter, betriebsleiter, manager

Landesarbeitsgericht Hamm, 13 Sa 2298/05
Datum:
07.04.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 Sa 2298/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Bochum, 5 Ca 1630/05
Schlagworte:
Schulung; Erforderlichkeit; Spezialwissen; Schichtplan;
Schichtplangestaltung; Aufgabenver-teilung; Betriebsrat
Normen:
§ 37 Abs. 6 S. 1 BetrVG
Rechtskraft:
Die Revision wird nicht zugelassen
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum
vom 02.11.2005 - 5 Ca 1630/05 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten um den Abzug von Stunden für die Zeit der Teilnahme an einer
Schulungsveranstaltung für Schichtplangestaltung.
2
Der Kläger ist bei der Beklagten in der 37,5 Stunden-Woche als Einrichter im Bereich
Engine Operations (ENO) zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 3.567,95 €
beschäftigt. Seit Mai 2005 ist er Mitglied des 21-köpfigen Betriebsrates; zuvor war er seit
dem Jahr 2002 Ersatzmitglied.
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Im Jahre 2002 wurden in einer Arbeitsgruppe, bestehend aus der
Betriebsratsvorsitzenden A1xxxxxxx, ihrem Stellvertreter G3xxxxx und den
Betriebsratsmitgliedern G4xx, S4xxxxxx, S5xxxxx, Wxxxx und P1xxxxxx, diverse
Aspekte der Schichtarbeit und eine mögliche Änderung der Schichtmodelle diskutiert.
4
Im Jahre 2003 kam es für den Bereich "Supply Operations" zur Verabschiedung eines
Schichtmodells. Dabei waren die Betriebsratsmitglieder A1xxxxxxx, G3xxxxx, S4xxxxxx,
G4xx, S5xxxxx, K4xxx und K3xxxx Verhandlungspartner für den Betriebsrat.
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Ab Anfang 2004 nahmen der Betriebsrat und die Beklagte Gespräche über Änderungen
6
des Schichtmodells im Bereich "ENO" auf. Zunächst wurde eine aus Vertretern beider
Seiten bestehende Projektgruppe gebildet, in der der Betriebsrat durch seine Mitglieder
G4xx und J1xxxx repräsentiert war. Aufgabe diese Gremiums war es, die Vielzahl
denkbarer Schichtmodelle nach zuvor mit der Geschäftsleitung vereinbarten Kriterien zu
bewerten.
Am 14.09.2004 reichte dann die Beklagte dem Betriebsrat einen Antrag auf Pilotierung
eines neuen Schichtmodells ein. Die anschließenden Verhandlungen führte für den
Betriebsrat der Betriebsausschuss, bestehend aus den Mitgliedern A1xxxxxxx, G3xxxxx,
G4xx, S4xxxxxx, S5xxxxx, K4xxx und K3xxxx.
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Am 08.12.2004 einigte man sich auf ein (Test-) Schichtmodell, das ab dem 01.01.2005
im Rahmen eines Pilotprojekts auf drei Fertigungslinien im Bereich "ENO" erprobt
wurde. Zur Begleitung und Auswertung dieses Projekts wurde eine Arbeitsgruppe
konstituiert, in der der Betriebsrat durch seine Mitglieder A1xxxxxxx, G3xxxxx und
H4xxxxxx vertreten war.
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Daneben setzte die im Jahre 2004 gebildete Projektgruppe ihre Arbeit fort. Sie wurde
am 19.01.2005 um die Betriebsratsmitglieder E1xxxxxxxx (Kläger im vorliegenden
Verfahren) und P1xxxxxx erweitert. Es kam zu zwei Treffen am 15.03 und 17.05.2005,
wobei der Kläger nur an der ersten Sitzung teilnahm.
9
Am 02.08.2005 schloss der Betriebsrat mit der Beklagten eine ab dem 01.09.2005
geltende Betriebsvereinbarung über das neue Schichtmodell im Bereich "ENO".
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Zuvor hatte der Betriebsrat anlässlich seiner Sitzung am 08.12.2004 die Entscheidung
getroffen, dass der Kläger – neben den Betriebsratsmitgliedern H4xxxxxx und P1xxxxxx
– an einer Veranstaltung des Bildungszentrums S3xxxxxxxxx der IG Metall vom 27.02
bis 04.03.2005 zum Thema " Schichtplangestaltung" teilnehmen sollte. Der Themenplan
der Schulung lautet auszugsweise wie folgt:
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- Schichtarbeit als Element unternehmerischer Arbeitsplatzpolitik
12
- Gesundheitliche Auswirkungen von Schichtarbeit
13
- soziale und familiäre Auswirkung von Schichtarbeit
14
- beschäftigungspolitische Auswirkungen von Schichtarbeit
15
- einkommenspolitische Auswirkungen von Schichtarbeit
16
- gesetzliche und tarifliche Bestimmungen bezüglich Schichtarbeit
17
- Möglichkeiten der Gestaltung von Schichtplänen im Zwei- und Dreischicht-Betrieb
18
- computergestützte Schichtplangestaltung
19
- Maßnahmen zur Reduzierung von Belastungen infolge Schichtarbeit
20
- Entwicklung betrieblicher Vorgehensweise zu Gestaltung von Schichtarbeit
(Fallbeispiele)
21
- gewerkschaftspolitische und tarifpolitische Perspektiven bezüglich Schichtarbeit
22
Nachdem der Kläger, der zuvor im Oktober 2002 an einem zweitägigen,
betriebsinternen Seminar zum Thema "Gestaltung der Schichtarbeit bei N2xxx"
teilgenommen hatte, von der einwöchigen Schulungsveranstaltung der IG Metall
zurückgekehrt war, zog ihm die Beklagte von seinem Arbeitszeitkonto 37,5 Stunden ab.
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Der Kläger hat die Ansicht vertreten, der Abzug sei zu Unrecht erfolgt, weil die Schulung
im Sinne des § 37 Abs. 6 BetrVG erforderlich gewesen sei.
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Dem stehe die Teilnahme an der Schulung durch Rechtsanwalt H1xx im Oktober 2002
nicht entgegen, weil sie sich nicht auf das nunmehr in Rede stehende Schichtmodell
fokussiert habe.
25
Zum Zeitpunkt des Entsendungsbeschlusses Anfang Dezember 2004 habe ein
erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen über ein neues Schichtmodell noch nicht
festgestanden; vielmehr habe man sich nur auf die Durchführung eines Tests
verständigt.
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Die erweiterte Projektgruppe, der er angehört habe, sei als Schnittstelle zwischen
Betriebsrat, Arbeitgeber und Arbeitnehmern geplant gewesen. Es habe u.a. zu seinen
Aufgaben gehört, als Arbeitnehmer aus dem betroffenen Bereich "ENO"
Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten und dabei auch andere Schichtmodelle im
Auge zu behalten.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verpflichten, dem Arbeitszeitkonto des Klägers 37,5 Stunden
gutzuschreiben.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
31
Sie hat die Meinung vertreten, die Schulungsteilnahme sei nicht im Sinne des § 37 Abs.
6 BetrVG erforderlich gewesen. Im Betriebsrat habe nämlich bereits ein
bereitgefächertes Wissen bezüglich der Themen Schichtpläne, Schichtarbeit und
Schichtplangestaltung bestanden. Dies ergebe sich aus der Vielzahl von Projekten,
Schulungen und Arbeitsgruppen.
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Insoweit ist unstreitig, dass Betriebsratsmitglieder in der Vergangenheit an folgenden
einschlägigen Schulungsveranstaltungen teilgenommen haben:
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- Schichtplangestaltung für Profis, Februar 2005
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R4xxxx G4xx, M6xxxxxx J1xxxx
35
- Menschengerechte Arbeitszeiten und Arbeitsplatzgestaltung, November 2004
36
Kläger, C3xxxxxxx H5xxxxx, R3xxxxx P1xxxxxx
37
- Flexible Arbeitszeiten, Arbeitszeitkonten und Beschäftigungssicherung, Juni 2004
38
S6xxxxx B3xxxx, R3xxxxx P1xxxxxx, C4xxxxxxx L1xxx, N3xxxxx H6xxx-K5xx,
M6xxxxxx J1xxxx
39
- Flexible Arbeitszeiten, Oktober 2003
40
R4xxxx G4xx, M6xxxxxx J1xxxx
41
- Arbeitszeitregelungen im Betrieb, Mai 2003
42
R3xxxxx P1xxxxxx
43
- Einführung in die Mitbestimmung zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, Oktober
2002
44
C3xxxxxxx H5xxxxx, R3xxxxx P1xxxxxx, S7xxxx B3xxxx, N3xxxxx H6xxx-K5xx
45
Der Kläger habe weder dem geschäftsführenden Ausschuss, der für die Verhandlungen
des neuen Schichtmodells zuständig gewesen sei, noch der Arbeitsgruppe, die sich mit
der Auswertung des Piloten beschäftigt habe, angehört.
46
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 02.11.2005 die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Anspruch sei schon deshalb nicht
gegeben, weil der Kläger bis Mai 2005 nur Ersatzmitglied im Betriebsrat gewesen sei
und nicht dargelegt habe, welche besonderen Umstände die zuvor stattgefundene
Schulung erforderlich gemacht hätten.
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Abgesehen davon habe der Betriebsrat als Gremium bereits über beträchtliche
theoretische und praktische Kenntnisse zu den in der Schulung behandelten Themen
verfügt. Ein etwaiger Bedarf für weitere Fortbildungen sei jedenfalls nicht durch die
Seminarteilnahme des Klägers zu erfüllen gewesen. Denn dieser habe den auf
Betriebsratsseite maßgeblichen Gremien zur Vorbereitung und zum Abschluss der
Betriebsvereinbarung nicht angehört.
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Gegen dieses ihm am 25.11.2005 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.12.2005
Berufung eingelegt und diese am 23.01.2006 begründet.
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Er weist darauf hin, dass er als damaliges "erstes" Ersatzmitglied ständig an
Betriebsratssitzungen teilgenommen habe. Im Übrigen sei zu beachten, dass die für das
Fachgebiet "Schichtmodelle" berufenen und geschulten Betriebsratsmitglieder G4xx
und J1xxxx in ihren Funktionen als Line-Manager/stellvertretender Betriebsleiter und
Koordinator sehr weit im Arbeitgeberlager gestanden hätten und deshalb die erweiterte
Projektgruppe mit ihm, dem Kläger, als Gegengewicht geschaffen worden sei.
50
Der Kläger beantragt,
51
das Urteil des Arbeitsgerichts Bochum vom 02.11.2005 – 5 Ca 1630/05 –
abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Arbeitszeitkonto des Klägers
37,5 Stunden gutzuschreiben.
52
Die Beklagte beantragt,
53
die Berufung zurückzuweisen.
54
Sie hebt hervor, dass der erweiterten Projektgruppe keine maßgeblichen Aufgaben bei
der Ausgestaltung des neuen Schichtmodells zugekommen seien. Entsprechende
Äußerungen habe der Kläger selbst in der ersten Sitzung am 15.03.2005 gemacht und
sei deshalb zum zweiten Treffen gar nicht mehr erschienen.
55
Wegen des weiteren Vorbringens beider Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze nebst deren Anlagen ergänzend Bezug genommen.
56
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
58
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch darauf, 37,5 Arbeitsstunden
für die Teilnahme an der einwöchigen Schulungsveranstaltung "Schichtplangestaltung"
vom 27.02. bis zum 04.03.2005 in S3xxxxxxxxx gutgeschrieben zu bekommen. Die
Voraussetzungen des § 37 Abs. 6 S. 1 BetrVG i. V. m. § 37 Abs. 2 BetrVG liegen
nämlich nicht vor.
59
Nach der zutreffenden ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. AP
BetrVG 1972 § 37 Nr. 136, 106, 67) ist die Vermittlung von Fähigkeiten und Kenntnissen
nur dann im Sinne des § 37 Abs. 6 S. 1 BetrVG erforderlich, wenn sie unter
Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse im Betrieb und im Betriebsrat notwendig
sind, damit letzterer seine derzeitigen und demnächst anfallenden Aufgaben
ordnungsgemäß erledigen kann. Für die Frage, ob eine sachgerechte Wahrnehmung
der Aufgaben gerade die Schulung des entsandten Betriebsratsmitglieds erforderlich
macht, ist entscheidend auf den Wissensstand des Betriebsrates insgesamt und die
innerhalb dieses Gremiums vorgenommene Aufgabenverteilung abzustellen (vgl. BAG
AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 106).
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Nach diesen Grundsätzen durfte hier der Betriebsrat im Rahmen des ihm zustehenden
Beurteilungsspielraums bei der Beschlussfassung am 08.12.2004 die Schulung des
Klägers nicht für erforderlich halten.
61
I.
62
Insoweit ist schon äußert zweifelhaft, ob bei einem Ersatzmitglied, selbst wenn es in der
Vergangenheit regelmäßig an Betriebsratssitzungen teilgenommen haben sollte, eine
einwöchige Schulung zu Spezialkenntnissen der Schichtarbeit für erforderlich gehalten
werden durfte.
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II.
64
Es kann auch offen bleiben, ob bei der Beschlussfassung des Betriebsrates am
08.12.2004 überhaupt bereits feststand, dass der Kläger gut einen Monat später am
19.01.2005 zum Mitglied der erweiterten Projektgruppe bestimmt werden sollten.
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III.
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Entscheidend gegen den Anspruch des Klägers spricht, dass er nach den vom
Betriebsrat gefassten Beschlüssen nicht zum Kreis der Amtsträger gehörte, die für die
Arbeitnehmervertretung die gesetzlichen Aufgaben im Zusammenhang mit der
Einführung eines neuen Schichtmodells im Bereich "ENO" wahrnehmen sollte.
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Hierzu waren zum einen die sieben Mitglieder des Betriebsausschusses berufen, die ab
Mitte September 2004 die Verhandlungen über die Einführung eines Test-
Schichtmodells führten und auch zum Abschluss brachten. Dazu gehörte auch das
Betriebsratsmitglied G4xx, das zusammen mit dem Betriebsratsmitglied J1xxxx bereits
sei Anfang 2004 der Projektgruppe angehörte, die erst Mitte Januar 2005 unter anderem
um den Kläger erweitert wurde.
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Wenn der Kläger in dem Zusammenhang einwendet, die genannten
Betriebsratsmitglieder G4xx und J1xxxx hätten aufgrund ihrer Funktionen sehr weit im
Arbeitgeberlager gestanden, kann dies seinem Begehren nicht zum Erfolg verhelfen.
Denn aufgrund eines entsprechenden Betriebsratsbeschlusses sind die beiden
Personen als Repräsentanten in die genannten Gremien gewählt bzw. entsandt worden
und dort auch bis zum Abschluss der Betriebsvereinbarung zur Schichtarbeit im Bereich
"ENO" verblieben. An diese Organisationsentscheidung muss sich der Betriebsrat im
Rahmen des § 37 Abs. 6 S. 1 BetrVG festhalten lassen, wenn es darum geht,
festzulegen, für welche Betriebsratsmitglieder er eine einwöchige Spezialschulung zu
Fragen der Schichtarbeit in Anspruch nehmen will.
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Hier ist nichts dafür ersichtlich, dass es am 08.12.2004, als sich die Betriebspartner
auch auf die Durchführung eines Test-Schichtmodells ab 01.01.2005 geeinigt hatten, für
die Aufrechterhaltung einer kompetenten Betriebsratsarbeit in diesem Bereich noch
erforderlich war, weitere Mitglieder des insgesamt 21 Personen umfassenden
Betriebsrates zu Fragen der Schichtplangestaltung schulen zu lassen. Denn es gab
ausreichend durch vorangegangene Schulungen und praktische Arbeiten sachkundig
gewordene Mitglieder des Betriebsrates, neben der Betriebsratsvorsitzenden und ihrem
Stellvertreter namentlich die Betriebsratsmitglieder G4xx und J1xxxx, die die noch
anfallenden Arbeiten bis zum Abschluss der Betriebsvereinbarung am 02.08.2005
erledigen konnten. Gegebenenfalls hätte sich deshalb der Kläger, wenn er bei der
Kontrolle der Auswirkungen des Pilotprojekts in seiner Schicht Problempunkte
ausgemacht hätte, an die genannten mit der entsprechenden Sachkunde versehenen
Betriebsratskollegen wenden können.
70
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.
72
Dr. Müller
Schreckenberg
Heer
73