Urteil des LAG Hamm vom 25.03.2010

LArbG Hamm (kläger, arbeitnehmer, schutz des arbeitnehmers, ausdrücklich, höhe, zweck, arbeitsgericht, zahlung, auslegung, umstand)

Landesarbeitsgericht Hamm, 15 Sa 44/10
Datum:
25.03.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 Sa 44/10
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Gelsenkirchen, 5 Ca 2439/08
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 10 AZR 360/10
Schlagworte:
Jahressonderzahlung für Auszubildende
Normen:
§ 9 Manteltarifvertrag für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes
Nordrhein-Westfalen
Leitsätze:
Auszubildende haben im Anwendungsbereich des Manteltarifvertrages
für das Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen
Anspruch auf eine Jahressonderzahlung.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Gelsenkirchen vom 25.11.2009 - 5 Ca 2439/08 - abgeändert und die
Beklagte verurteilt, an den Kläger 319,50 Euro brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
03.12.2007 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
TATBESTAND
1
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger einen Anspruch auf die
Jahressonderzahlung gemäß § 9 des Manteltarifvertrages für das Gaststätten- und
Hotelgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen hat.
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Der Kläger war bei der Beklagten als Auszubildender zum Konditor gegen eine
monatliche Ausbildungsvergütung von 639,00 Euro brutto beschäftigt. Auf das
Ausbildungsverhältnis fand der allgemeinverbindliche Manteltarifvertrag für das
Gaststätten- und Hotelgewerbe des Landes Nordrhein-Westfalen (i.F. MTV)
Anwendung. Im Dezember 2007 zahlte die Beklagte den bei ihr beschäftigten
Arbeitnehmern eine Jahressonderzahlung in Höhe von 50 % des tariflichen
Monatseinkommens. Der Kläger erhielt, im Gegensatz zum Vorjahr, keine
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Jahressonderzahlung. Mit Schreiben vom 13.02.2008 machte der Kläger neben drei
weiteren Auszubildenden der Beklagten gegenüber die Jahressonderzahlung gemäß §
9 des MTV geltend. Mit Schreiben vom 18.02.2008 lies die Beklagte durch ihre
Prozessbevollmächtigte mitteilen, dass sie eine Jahressonderzahlung für 2007 an den
Kläger nicht leisten werde. Der vom Kläger angerufene Ausschuss zur Schlichtung von
Lehrlingsstreitigkeiten hat am 20.05.2008 getagt und das Scheitern des
Schlichtungsverfahrens festgestellt. Wegen der Einzelheiten des Sitzungsprotokolls
vom 20.05.2008 wird auf Blatt 8 der Akte Bezug genommen. Das gemäß § 19 MTV
durchgeführte Schiedsverfahren wurde ohne Ergebnis beendet.
Mit vorliegender Klage, die am 28.05.2008 beim Arbeitsgericht Gelsenkirchen einging,
verfolgt der Kläger den geltend gemachten Anspruch weiter.
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Der Kläger hat vorgetragen, der persönliche Anwendungsbereich des MTV erstrecke
sich auf Arbeitnehmer und Auszubildende. Es sei davon auszugehen, dass mit der
Bezeichnung "Arbeitnehmer" in den Regelungen des MTV auch Auszubildende
gemeint seien. Die Unterscheidung in § 7 Ziffer 7.4.3 des MTV zwischen Arbeitnehmern
und Auszubildenden könne nicht automatisch auf alle Regelungen des MTV übertragen
werden, deren Wortlaut allein von Arbeitnehmern spreche. Andernfalls wären auch die
Entlohnung gemäß § 5, insbesondere Ziffer 5.3.4, die Arbeitsbefreiung und
Arbeitsunfähigkeit gemäß § 8, die Regelung zur Berufskleidung gemäß § 10 bzw. die
Kautionen gemäß § 11 MTV nur für Arbeitnehmer geregelt. Dies sei nicht der Wille der
Tarifvertragsparteien gewesen, die den persönlichen Anwendungsbereich des MTV
gleichermaßen auf Arbeitnehmer und Auszubildende erstreckt hätten.
5
Auch in Gesetzen, die dem Schutz des Arbeitnehmers dienten, z.B. dem
Mindesturlaubsgesetz für Arbeitnehmer (Bundesurlaubsgesetz) und dem Gesetz über
die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall
(Entgeltfortzahlungsgesetz), werde nicht zwischen Arbeitnehmern und Auszubildenden
unterschieden. Unterscheide der Gesetzgeber in Einzelfällen doch ausdrücklich
zwischen Arbeitnehmern und Auszubildenden, so geschehe dies immer zu Gunsten der
Auszubildenden, beispielsweise durch Schutzgesetze, die ihr Alter und ihre Situation
berücksichtigten. Dies gelte auch für tarifliche Regelungen.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 319,50 Euro brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
03.12.2007 zu zahlen.
8
Die Beklagte hat beantragt,
9
die Klage abzuweisen.
10
Sie hat vorgetragen, Auszubildenden stehe eine Jahressonderzahlung nach § 9 MTV
nicht zu. § 1 des MTV differenziere zwischen Arbeitnehmern und Auszubildenden.
Gleiches gelte für die Regelungen zur Arbeitszeit in § 3 MTV. Auch beim Urlaubsgeld
gemäß § 7 MTV unterscheide der Tarifvertrag eindeutig zwischen Arbeitnehmern und
Auszubildenden. Aus dieser Systematik ergebe sich, dass eine Jahressonderzahlung
für Auszubildende nicht geschuldet werde. Dies folge schon daraus, dass die
Regelungen in § 9 MTV hinsichtlich der Jahressonderzahlung auf die Betriebstreue
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abstellten. Mit steigender Betriebszugehörigkeit würden Arbeitnehmer mit einer höheren
Sonderzahlung belohnt. Auszubildende erfüllten diese Voraussetzung jedoch nicht, da
das Ausbildungsverhältnis aufgrund einer Befristung nach drei Jahren ende.
Das Arbeitsgericht hat die Tarifvertragsparteien um Auskunft darüber gebeten, ob bei
der Vereinbarung von § 9 MTV Einigkeit darüber bestanden habe, dass Auszubildende
keine Jahressonderzahlung erhalten sollten. Wegen der Auskunft der Gewerkschaft
NGG vom 02.09.2008 wird auf Blatt 46 der Akten und wegen der Auskunft des DEHOGA
Nordrhein-Westfalen e.V. vom 23.01.2009 auf Blatt 51 f. der Akten verwiesen.
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Durch Urteil vom 25.11.2009 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, die Kosten
des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt, den Streitwert auf 319,50 Euro festgesetzt und
die Berufung zugelassen. Gegen diese Entscheidung, die dem Kläger am 14.12.2009
zugestellt worden ist, richtet sich die Berufung des Klägers, die am 12.01.2010 beim
Landesarbeitsgericht eingegangen und gleichzeitig begründet worden ist.
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Der Kläger vertritt weiter die Auffassung, er habe Anspruch auf die
Jahressonderzahlung gemäß § 9 MTV für das Jahr 2007. Zur Begründung trägt er vor,
weder aus der ausdrücklichen Erwähnung der Auszubildenden in § 1 Ziffer 3 MTV noch
aus dem Umstand, dass in § 9 MTV als Anspruchsinhaber nur Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen, nicht aber ausdrücklich Auszubildende aufgeführt seien, könne
geschlossen werden, dass die Jahressonderzahlung nur Arbeitnehmer, nicht aber
Auszubildende beanspruchen sollte. Eine solche Schlussfolgerung könne allenfalls
dann gezogen werden, wenn der Tarifvertrag in allen seinen Regelungen zwischen
diesen Gruppen unterscheide. Dies sei jedoch nicht der Fall. Der MTV enthalte eine
Reihe von Regelungen, die auf Auszubildende anwendbar seien, ohne dass in diesen
Bestimmungen Auszubildende als eigene Gruppe ausdrücklich erwähnt seien. Dies
gelte etwa für den Ausgleich für die Beschäftigung an Feiertagen gemäß § 4 Ziffer 4.2.,
für die Entlohnung gemäß § 5 Ziffer 5.1., für den Urlaubsanspruch gemäß § 7, die
Regelung zur Arbeitsbefreiung und Arbeitsunfähigkeit in § 8, der Berufskleidung in § 10
Ziffer 2 und des Günstigkeitsprinzips in § 17 MTV. Aus dem Umstand, dass § 9 MTV
Auszubildende als Anspruchsteller nicht eigens erwähne, ließen sich demnach keine
Schlüsse ziehen.
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Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts könne auch aus der Tatssache, dass in §
7 Ziffer 7.4 MTV eine eigene Regelung für die Zahlung von zusätzlichem Urlaubsgeld
für Auszubildende enthalten sei, nicht gefolgert werden, mangels einer derartigen
Spezialregelung in § 9 solle die Jahressonderzahlung für Auszubildende nach dem
Willen der Tarifvertragsparteien entfallen. Nur die Regelung bezüglich des zusätzlichen
Urlaubsgeldes, nicht aber die zur Jahressonderzahlung sei inhaltlich so gestaltet, dass
sie eine Spezialregelung für Auszubildende erfordere. Während die
Jahressonderzahlung 50 % eines tariflichen Monatseinkommens betrage, werde das
zusätzliche Urlaubsgeld in Form eines Festbetrages pro Urlaubstag geleistet.
Angesichts des geringeren Verdienstes von Auszubildenden sei deshalb eine
Spezialregelung erforderlich. Eine Gewährung desselben Festbetrages an
Auszubildende und Arbeitnehmer wäre sachlich nicht gerechtfertigt. Eine
entsprechende Differenzierung sei insofern erforderlich. Dies gelte für die Regelung der
Jahressonderzahlung in § 9 MTV nicht.
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Die Staffelung des Anspruchs auf Jahressonderzahlung je nach Betriebszugehörigkeit
schließe die Anwendbarkeit von 9 MTV auf Auszubildende nicht aus. Zum einen
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bestehe die Staffelung seit 1998 nicht mehr. Zum anderen sei auch im
Ausbildungsverhältnis eine Staffelung nach Ausbildungsjahren sinnvoll, da auch
Auszubildende ihr Ausbildungsverhältnis auflösen könnten und ihnen gekündigt werden
könne. Auch der Umstand, dass das Ausbildungsverhältnis regelmäßig auf drei Jahre
befristet sei, schließe den Anspruch nicht aus, da auch befristete Arbeitsverhältnisse
von § 9 MTV erfasst seien.
Auch die Rückzahlungsklausel in § 9 Ziffer 9.4. MTV stehe der Anwendbarkeit der
Vorschrift auf Auszubildende nicht entgegen. Da auch Ausbildungsverhältnisse vor dem
01.04 des folgenden Kalenderjahres enden könnten, bleibe die Rückzahlungsklausel
auch im Bereich des Berufsausbildungsverhältnisses sinnvoll. Auch der den
Auszubildenden zustehende Sonderzahlungsbetrag überschreite in der Regel den von
der Rückzahlungsklausel nicht erfassten Betrag von 200,00 DM (= ca. 100,00 Euro).
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Weder aus dem Wortlaut der Regelungen noch aus dem tariflichen
Gesamtzusammenhang oder dem Sinn und Zweck ergäben sich demnach
Anhaltspunkte dafür, dass nach dem Willen der Tarifvertragsparteien Auszubildende
vom Anspruch auf die Jahressonderzahlung ausgenommen werden sollten. Da eine
Reihe von tariflichen Regelungen auch Auszubildenden Ansprüche gewähre, obwohl
sie in der Vorschrift nicht eigens erwähnt seien, sei entsprechend dem Sinn und Zweck
der jeweiligen Regelung festzustellen, ob nach dem Willen der Tarifvertragsparteien
auch Auszubildende von ihr erfasst werden sollen oder nicht. Sofern Besonderheiten im
Ausbildungsverhältnis spezielle Regelungen erforderten, sei allein in diesen Fällen
davon auszugehen, dass die tariflichen Regelungen nach dem Willen der
Tarifvertragsparteien nur auf Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen anwendbar sein
sollten. Unterscheide die tarifliche Regelung nicht ausdrücklich zwischen
Arbeitnehmern und Auszubildenden, sei in der Regel anzunehmen, dass sie für beide
Arbeitnehmergruppen gelte, da ansonsten die Tarifvertragsparteien - wie etwa in § 7
MTV – eigenständige und spezifische Regelungen nur für Auszubildende getroffen
hätten. Lediglich dann, wenn nach Sinn und Zweck der jeweiligen Regelung eine
sinnvolle und sachgerechte Anwendung für Auszubildende ausgeschlossen sei, sei sie
trotz fehlender eigen-ständiger Regelung für Auszubildende auf diese nicht
anzuwenden. Die Jahressonderzahlung für Auszubildende könne jedoch nicht als eine
Leistungsgewährung betrachtet werden, die im Ausbildungsverhältnis nicht sachgerecht
sei.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 25.11.2009 – AZ.: 5 Ca
2439/08 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 319,50
Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen
Basiszinssatz seit dem 03.12.2007 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen
vom 25.11.2009, Aktenzeichen 5 Ca 2439/08, zurückzuweisen.
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Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und trägt vor, der genannte MTV differenziere
in einzelnen Bereichen zwischen Arbeitnehmern und Auszubildenden, in anderen
Bereichen allerdings nicht. So spreche § 5 Ziffer 5.1 MTV zwar von der Entlohnung aller
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Arbeitnehmer. Tatsächlich finde sich aber in der entsprechenden Vorschrift auch die
Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern und Auszubildenden. Die
Ausbildungsvergütungen würden separat behandelt.
Bezüglich des Urlaubsanspruches bestünden unterschiedliche Rechtsauffassungen
über den Umfang des Urlaubsanspruchs für Auszubildende. Zudem sei das Urlaubsgeld
für die Auszubildenden in § 7 Ziffer 7.4.3 MTV gesondert geregelt.
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Die Jahressonderzahlung gemäß § 9 MTV knüpfe entscheidend an die
Betriebszugehörigkeit an. Die Betriebszugehörigkeit ende bei einem
Berufsausbildungsvertrag jeweils mit dem Ende der Ausbildungszeit. Vor diesem
Hintergrund hätten die Tarifvertragsparteien die Jahressonderzahlung für
Auszubildende nicht berücksichtigt. Der Gedanke der Betriebstreue ergebe sich aus der
historischen Entwicklung des MTV. Bei den Auszubildenden sei die
Jahressonderzahlung nicht thematisiert worden, weil durch den Abschluss des
befristeten Vertrages die Betriebstreue nicht Bestandteil des Ausbildungsvertrages sei.
Auch die Argumentation im Hinblick auf die Rückzahlungsklausel sei nicht sachgerecht.
Gerade engagierte Auszubildende hätten die Möglichkeit, die Abschlussprüfung
vorzuziehen. Dies würde dazu führen, dass die besonders fleißigen und intelligenten
Auszubildenden, die die Möglichkeit der Vorverlegung der Prüfung hätten, dadurch
bestraft würden, weil sie die Jahressonderzahlung zurückgewähren müssten.
Verlängere sich dagegen wegen Nichtbestehens der Ausbildungsvertrag, wäre sogar
noch eine zusätzliche Jahressonderzahlung fällig.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE :
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I.
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Die Berufung des Klägers ist angesichts ihrer Zulassung durch das Arbeitsgericht im
Urteil vom 25.11.2009 an sich statthaft, sowie form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden.
29
II.
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Der Sache nach hat die Berufung Erfolg. Der Kläger kann die Jahressonderzahlung für
das Jahr 2007 gemäß § 9 des MTV in rechnerisch unstreitiger Höhe von 319,50 Euro
brutto nebst Zinsen im zuerkannten Umfang beanspruchen. Zwar heißt es in § 9 Ziffer
9.1 des streitlos anwendbaren MTV, dass "jede/r Arbeitnehmer/In, der/die am 01.12. des
jeweiligen Kalenderjahres in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis steht", Anspruch
auf die Jahressonderzahlung hat. Nach Auffassung der erkennenden Kammer gilt diese
tarifliche Regelung aber auch für Auszubildende. Dies ergibt die Auslegung des MTV.
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1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger
Rechtsprechung den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Dabei ist
zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu
erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut
ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den
tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den
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tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den
tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen
der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend
ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann
können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere
Kriterien, wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggfs. auch die praktische
Tarifübung, ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer
Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen
Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten
und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG, Urteil vom 28.05.1998 – 6 AZR
349/96, AP Nr. 25 zu § 611 BGB Bühnenengagementvertrag; Urteil vom 29.08.2001 – 4
AZR 337/00, AP Nr. 174 zu § 1 TVG Auslegung; Urteil vom 16.06.2004 - 4 AZR 408/03,
AP Nr. 24 zu § 4 TVG Effektivklausel).
2. Gemessen an diesen Grundsätzen ist § 9 MTV auch auf Ausbildungsverhältnisse
anwendbar.
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a) Im Ausgangspunkt zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass § 9 Ziffer 9.1. MTV
nur von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern spricht, bei isolierter Betrachtung des
Wortlauts dieser Tarifbestimmung also Auszubildende in seinen Regelungsbereich
nicht einbezieht. Für eine dahingehende Beschränkung des Geltungsbereichs von § 9
MTV könnte sprechen, dass die Tarifvertragsparteien in § 7 MTV beim Urlaubsgeld eine
differenzierte Regelung für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf der einen und für
Auszubildende auf der anderen Seite geschaffen haben.
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Andererseits gilt der MTV gemäß § 1 Ziffer 3 für alle Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer
und Auszubildenden. Der MTV enthält außerdem zahlreiche Regelungen, die zweifellos
auch für Auszubildende gelten, obwohl in ihnen nur von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern die Rede ist, so zum Beispiel in den §§ 4 Ziffer 4.2, 5 Ziffer 5.1., 7 Ziffer
7.1 bis 7.3, 7 Ziffer 7.5.4 bis 7.5.8, 8, 10 Ziffer 10.2., 12, 16 und 17 des MTV. Angesichts
dessen kann bei isolierter Betrachtung des Wortlauts nicht mit hinreichender Sicherheit
bestimmt werden, ob Auszubildende Anspruch auf die Jahressonderzahlung haben
oder nicht.
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b) Unter Einbeziehung des tariflichen Gesamtzusammenhangs ist nach Auffassung der
erkennenden Kammer davon auszugehen, dass § 9 MTV auch auf
Ausbildungsverhältnisse anzuwenden ist.
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aa) Der MTV gilt nach § 1 Ziffer 3 ausdrücklich auch für Auszubildende. Finden sich
also in den weiteren Bestimmungen des MTV keine Ausnahmeregelungen im Hinblick
auf Ausbildungsverhältnisse, gelten seine Bestimmungen grundsätzlich für
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Auszubildende, soweit nicht nach Sinn und
Zweck der jeweiligen Regelung eine sinnvolle und sachgerechte Anwendung für
Auszubildende ausgeschlossen ist. Dem entspricht es, dass der MTV, wie oben bereits
ausgeführt, an zahlreichen Stellen Regelungen enthält, die zweifellos auch für
Auszubildende gelten, obwohl dort nur von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
gesprochen wird.
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bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt die Tatsache, dass § 7 MTV eine
eigenständige Regelung über die Zahlung von zusätzlichem Urlaubsgeld an
Auszubildende enthält, den Schluss nicht zu, Auszubildende hätten mangels einer
gesonderten Regelung in § 9 MTV nach dem Willen der Tarifvertragsparteien keinen
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Anspruch auf eine Jahressonderzahlung. Diese Annahme wäre nur dann gerechtfertigt,
wenn in allen Regelungen des MTV, die auch auf Ausbildungsverhältnisse anwendbar
sind, ausdrücklich geregelt wäre, dass sie für Auszubildende gelten. Dass dies nicht der
Fall ist, wurde oben bereits ausgeführt. Vielmehr spricht der MTV auch in Regelungen,
die zweifellos für Auszubildende gelten, nur von "Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern" und "Arbeitsverhältnis", so z.B. in § 7 Ziffer 7.2.2 MTV.
Dass die Tarifvertragsparteien in § 7 MTV eine differenzierte Regelung hinsichtlich der
Zahlung des zusätzlichen Urlaubsgeldes für Auszubildende geschaffen haben, hat
seinen Grund darin, dass das Urlaubsgeld als Festbetrag pro Urlaubstag gewährt wird.
Um zu verhindern, dass Auszubildende ein unangemessen hohes Urlaubsgeld erhalten,
war zwingend eine Sonderregelung erforderlich. Unter Berücksichtigung des tariflichen
Gesamtzusammenhangs ist die Regelung hinsichtlich des Urlaubsgelds für
Auszubildende in § 7 MTV nicht als begünstigende, sondern als die Auszubildenden
belastende Ausnahmebestimmung zu den Urlaubsgeldregelungen für
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu verstehen. Vor diesem Hintergrund können
hieraus keine Rückschlüsse darauf gezogen werden, ob § 9 MTV auch für
Auszubildende gilt.
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c) Der Einwand der Beklagten, Ausbildungsverhältnisse würden befristet
abgeschlossen, so dass der Gedanke der Betriebstreue, der bei der Gewährung der
Jahressonderzahlung im Vordergrund stehe, nicht zum Tragen kommen könne, ist
unerheblich. Zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass § 9 MTV auch befristete
Arbeitsverhältnisse erfasst.
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d) Auch die sonstigen Regelungen in § 9 MTV schließen nach ihrem Sinn und Zweck
eine sinnvolle und sachgerechte Anwendung auf Ausbildungsverhältnisse nicht aus.
41
aa) Dies gilt zunächst für die Rückzahlungsklausel in § 9 Ziffer 9.4. MTV.
Ausbildungsverhältnisse können ebenfalls vor dem 01.04. des folgenden
Kalenderjahres enden. Auch die Höhe der dem Auszubildenden zustehenden
Jahressonderzahlung übersteigt in der Regel den in § 9 Ziffer 9.4. MTV bestimmten
Betrag, der ihm trotz Bestehens der Rückzahlungsverpflichtung verbleiben soll.
42
bb) Der Einwand der Beklagten, die Regelung in § 9 Ziffer 9.4. MTV habe zur Folge,
dass besonders fleißige und intelligente Auszubildende, welche die Möglichkeit hätten,
die Prüfung vorzuverlegen, dadurch bestraft würden, dass sie die Jahressonderzahlung
zurückgewähren müssten, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die in § 9 Ziffer 9.4.
MTV geregelte Rückzahlungsverpflichtung trifft in gleicher Weise auch leistungsstarke
Arbeitnehmer, die vor dem 01.04. des folgenden Kalenderjahres aus dem
Arbeitsverhältnis ausscheiden.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Die Kammer hat die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG zugelassen.
46