Urteil des LAG Hamm vom 03.11.2006

LArbG Hamm: vertragsstrafe, treu und glauben, abwerbung von kunden, grad des verschuldens, versicherungsgesellschaft, vermittler, verleitung zum vertragsbruch, gesetzlicher vertreter, unternehmen

Landesarbeitsgericht Hamm, 7 Sa 1232/06
Datum:
03.11.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 Sa 1232/06
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Herne, 3 Ca 3843/05
Schlagworte:
gesetzliches Wettbewerbsverbot, Vertragsstrafe, Inhaltskontrolle,
unangemessene Benachteiligung
Normen:
§ 84 ff., 86 Abs. 1 HGB, §§ 310 Abs. 1, 307 Abs. 1 S. 1, 306 Abs. 2 BGB
Leitsätze:
Auch im Interesse selbständiger Handelsvertreter erfolgt eine
Inhaltskontrolle vorformulierter Vertragsklauseln, §§ 310 Abs. 1, 307
Abs. 1 S. 1 BGB.
Aus der Höhe der Vertragsstrafe kann eine unangemessene
Benachteiligung des Handelsvertreters folgen (so schon: BGH v.
3.4.1998, NJW 1998, 2600). Die Rechtsfolge ist die Nichtigkeit der
gesamten Vertragsklausel, § 306 Abs. 2 BGB. Eine Geltungserhaltende
Reduktion ist ausgeschlossen (so schon: BGH v. 25.06.2003, NJW
2003, 2899). Die Herabsetzung der Vertragsstrafe gem. §§ 343 BGB
setzt ein wirksames Vertragsstrafenversprechen voraus.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herne
vom 22.06.2006 - 3 Ca 3843/05 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Klägerin hat außerdem die Kosten für die Anrufung des
unzuständigen Gerichts zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten nach erklärter Berufungsrücknahme durch den Beklagten noch
darüber, ob der Beklagte die vertraglich festgelegte Vertragsstrafe verwirkt hat.
2
Die Klägerin ist eine rechtlich verselbständigte Vertriebsorganisation. Sie gehört der
A3xxxxxx und M1xxxxxxx V5xxxxxxxxxxxxxxxxx an. Mit den übrigen
konzernzugehörigen Gesellschaften sowie weiteren Unternehmen der deutschen
3
Finanzwirtschaft (B3xxxxx B8xxxxxxxxxx, C1xxxxxxxxx, D6xxxxxx-B4xx, B5xxxxxxxx
H3xxxxxxxxx, B6x B4xx-I1xxxx, A3xxxxxx- M1xxxxxxx-L3xxxxxxxxxxxxxxxx, Z1xxxxx-
L3xxxxxxxxxxxxxxxx, A4xxxxxx-Rechtsschutzversicherung u. a.) hat sie Agenturverträge
i. S. d. §§ 92, 84 ff. HGB abgeschlossen. Die Klägerin vermittelt alle Formen von
Finanzdienstleistungen und zwar: Baufinanzierungen, gewerbliche Finanzierungen,
Kredite, Festgeldanlagen, Investmentzertifikate, Versicherungsverträge (Leben-,
Kranken-, Unfall-, Haftpflicht-, Sach- und Rechtsschutzversicherungen),
Bausparverträge und Kreditkarten. Die Klägerin unterhält eine bundesweit tätige
Vertriebsorganisation mit mehreren 1000 haupt- und nebenberuflichtätigen Vertretern
gem. den §§ 84 ff., 92 HGB als Vermögensberater, Betreuer oder Abschlussvermittler.
Der Beklagte war für die Klägerin seit dem 31.10.1996 als Außendienstmitarbeiter als
Vermögensbetreuer, zuletzt auf der Stufe des Regionalgeschäftsstellenleiters tätig.
Hierüber verhält sich der Vermögensberatervertrag vom 17.04./30.04.2000. Dieser
Vertrag regelt unter Punkt V:
Der Vermögensberater ist verpflichtet die Interessen der Gesellschaft zu wahren,
wie es ihm durch § 86 Abs. 1 HGB aufgegeben ist. Deswegen hat er es neben
jeder Konkurrenztätigkeit zu unterlassen, Vermögensberater o. a. Mitarbeiter der
Gesellschaft abzuwerben oder Kunden der Gesellschaft auszuspannen oder dies
alles auch nur zu versuchen (vertragliches Wettbewerbsverbot).
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Der Vermögensberater verpflichtet sich, es für die Dauer von 2 Jahren nach der
Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses zu unterlassen, Vermögensberater
oder andere Mitarbeiter der Gesellschaft abzuwerben oder Kunden der
Gesellschaft auszuspannen oder dies alles auch nur zu versuchen
(nachvertragliches Wettbewerbsverbot).
5
Verstößt der Vermögensberater gegen die vorstehenden vertraglichen oder
nachvertraglichen Wettbewerbsverbote, so hat er für einen jeden Fall der
Zuwiderhandlung an die Gesellschaft eine Vertragsstrafe i. H. v. 25.000,00 € je
abgeworbener/ausgespannter Person und/oder je Versuch zu zahlen.
6
Weitergehende Schadenersatzansprüche bleiben unberührt.
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Mit Schreiben vom 26.05.2003 kündigte die Klägerin das zwischen den Parteien
bestehende Vertragsverhältnis unter Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist zum
30.06.2004. Am selben Tage kündigte sie den Mietvertrag über den von dem Beklagten
bei ihr angemieteten Laptop zum 30.06.2003.
8
Die Abschlüsse des Beklagten waren seit dem Jahresende 2003 stark rückläufig. Im
September 2003 erreichte der Beklagte 18 bzw. 15 Einheiten. Seit November 2003 war
das erreichte Geschäft 0. Der Beklagte erzielte zuvor üblicherweise zwischen 50 und
300 Einheiten. Eine Einheit entspricht beispielsweise einem Versicherungsvertrag mit
einer Versicherungssumme von 500,00 € und hat für den Beklagten einen
Provisionswert von ca. 10,00 € (ohne Erfolgsprovision und sonstige Sonderleistungen).
Am 18.01.2004 erhielt die Klägerin eine Mitteilung der Auskunftsstelle für den
Versicherungs-/Bausparkassenaußendienst und Versicherungsmakler in D7xxxxxxxxx
e. V. (A5xx) aus der sich ergab, dass der Beklagte seit dem 01.12.2003 als
Versicherungsmakler für die H4xxxxxx Versicherungen, Filialdirektion K2xx, tätig sei.
Einige Tage später erhielt sie eine Korrektur vom 20.01.2004. Die Tätigkeitsmeldung sei
als gegenstandslos zu betrachten; diese sei irrtümlich erfolgt. Gem. Schreiben der
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H4xxxxxx, s5xxxxxxxxxxxx L2xxxxxxxxxxxxxxxxx-AG vom 11.05.2004 wünschte die
Mutter des Beklagten, die damals einen Vertrag über eine private Rente in Form einer
Riester-Rente bei der Klägerin hatte, die Fortführung des Vertrages bei der H4xxxxxx.
Am 26.04.2004 hatte sie einen Antrag auf Abschluss einer H4xxxxxx-Privatvorsorge
nach dem Riester-Modell unterzeichnet. Als Vermittler ist der Beklagte aufgetreten. Ein
weiterer Antrag auf Übernahme des bei der Klägerin bestehenden Vertrages über eine
Riester-Rente durch die H4xxxxxx s5xxxxxxxxxxxx L2xxxxxxxxxxxxxxxxx-AG
unterzeichnete der Beklagte als Vermittler am 07.04.2004 für den Versicherungsnehmer
der Klägerin, C2xxxxxxx H5xxxxxx. Zuvor hatte dieser einen
Versicherungsmaklervertrag mit der Ehefrau des Beklagten geschlossen. Am
27.04.2004 unterzeichnet der Beklagte als Vermittler einen Antrag des
Versicherungsnehmers der Klägerin, J1xxx K3xxxx auf eine H4xxxxxx Privatvorsorge.
Auch in seinem Interesse sollte eine Übernahme des bestehenden Riester-Vertrages
erfolgen, nach dem er zuvor einen Versicherungsmaklervertrag mit der Ehefrau des
Beklagten unterschrieben hatte. Wegen der Unterschriften wird auf Blatt 67, 72 und 76 d.
A. bezug genommen. Letztlich unterzeichnete der Beklagte einen Antrag seiner Ehefrau
auf Übernahme des Riester-Vertrages der Klägerin auf die H4xxxxxx am 03.01.2004.
Versicherte Personen sind die beiden Kinder der Eheleute. Als Antragstellerin war seine
Ehefrau aufgeführt, die als derzeitige Tätigkeit die Beschäftigung als Arzthelferin
angegeben hat. Die Unterzeichnung des Beklagten erfolgte als gesetzlicher Vertreter
und als Vermittler.
In den Monaten Januar bis Juli 2004 erteilte die Klägerin dem Beklagten zwar
Provisionsabrechnungen (Blatt 125 ff. d. A.), zahlte aber keine Gelder mehr aus. Der
Grund ist zwischen den Parteien streitig. Ebenso kündigte die Klägerin nach Ausspruch
der Vertragsbeendigung die Kranken- und Unfallversicherung des Beklagten auf. Die
Lebensversicherung zahlte sie an den Beklagten nicht aus. Mit der zunächst beim
Landgericht Essen am 15.06.2004 erhobenen und durch Beschluss vom 28.12.2004 an
das Arbeitsgericht Gelsenkirchen verwiesenen und von dort am 01.12.2005 an das
Arbeitsgericht Herne abgegebenen Klage, begehrte die Klägerin u. a. die Unterlassung
von Konkurrenztätigkeit. Nach dem 30.06.2004 verfolgt sie im wesentlichen die
Feststellung einer Schadenersatzpflicht des Beklagten, seiner Auskunftspflicht über bis
zum 30.06.2004 für andere Unternehmen vermittelter Verträge und seiner
Auskunftspflicht über abgeworbene Verträge. Wegen seines Verstoßes gegen Punkt V
des Vermögensberatervertrages verlangt sie vom Beklagten eine Vertragsstrafe i. H. v.
50.000,00 € für zumindest 2 abgeworbene Kunden.
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Die Klägerin hat beantragt,
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1. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu
ersetzen, der ihr dadurch entstanden ist, oder noch entstehen wird, dass der
Beklagte vor der rechtlichen Beendigung des Agenturverhältnisses am 30.06.2004
seine Vermittlungstätigkeit für die Klägerin eingestellt und/oder eine
Konkurrenztätigkeit entwickelt hat;
2. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin für den Zeitraum bis zum 30.06.2004
Auskunft darüber zu erteilen, welche Geschäfte er in welchem Umfang für andere
Unternehmen als die Klägerin vermittelt hat, insbesondere dabei Vertragstyp,
Abschlusssumme, provisionspflichtige Summe, Laufzeit, Unternehmen, das
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Vertragspartner geworden ist und ein individuelles Kennzeichen des vermittelten
Geschäfts, beispielsweise Name des Kunden zu benennen;
3. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu
ersetzen, der ihr dadurch entstanden ist oder noch entstehen wird, dass der
Beklagte vor Ablauf des 30.06.2004 Kunden, die auf Vermittlung der Klägerin
Verträge über Kapitalanlagen, beispielsweise Lebensversicherung,
abgeschlossen haben, zur Aufgabe oder Einschränkung dieses
Vertragsverhältnisses bewegt hat;
4. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 50.000,00 € nebst Zinsen i. H. v. 8
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung am 02.08.2004 zu zahlen;
5. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, welche
Kunden, die auf Vermittlung der Klägerin Verträge über Kapitalanlagen,
beispielsweise Lebensversicherungen, abgeschlossen haben, zur Aufgabe oder
Einschränkung dieser Vertragsverhältnisse bewegt hat, dabei Name und Anschrift
des Kunden, betroffener Vertrag, Vertragstyp, Tarif, Abschlusssumme,
provisionspflichtige Summe, Laufzeit, Unternehmen das Vertragspartner war,
anzugeben.
13
Der Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte hat jegliche unzulässige Vermittlungs- oder Verkaufstätigkeit für andere
Finanzdienstleister bestritten. Zusätzlich hat er behauptet, bei der Meldung des A5xx
habe es sich tatsächlich um einen Irrtum gehandelt. Seine Ehefrau übe seit dem
01.12.2003 ein Gewerbe als Versicherungsmaklerin aus. Im Rahmen eines
Gefälligkeitsverhältnisses habe er als deren Bevollmächtigter ein paar Verträge
unterschrieben. Insofern räume er ein, dass die Unterschrift auf Blatt 67 d. A. von ihm
stamme (Zugeständnis Bl. 227 d. A.). Die Klägerin habe gegen ihn keinen
durchsetzbaren Rechtsanspruch erworben. Zumindest sei in ihrem Auskunfts- und
Schadenersatzbegehren eine unzulässige Rechtsausübung zu erkennen. Nach Zugang
der Kündigung habe sie begonnen, ihn auszuhungern. Durch die Wegnahme des
Laptops habe er seine Aufgaben nicht mehr erfüllen können.
Stornogefahrenmitteilungen oder Kundenmitteilungen habe sie ihm nicht mehr
zukommen lassen. Die Stornoreserve habe sie grundlos über Gebühr d. h. 50 % über
dem Durchschnitt, belastet. Folgeprovisionen und das Abfindungsguthaben gem. § 98 b
HGB habe sie nicht ausgezahlt. Die Vertragsstrafenklausel sei sowohl unzulässig als
auch sittenwidrig, weil sie hierüber seine Existenz vernichte.
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Durch Urteil vom 22.06.2006 hat das Arbeitsgericht dem Feststellungsbegehren
stattgegeben und den Beklagten zur umfassenden Auskunft verpflichtet. Im übrigen hat
es die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt die Auskunftspflicht
(Ziffern 2 u. 4 des Klageantrags) sei aus § 242 BGB begründet. Die Klägerin habe die
Wahrscheinlichkeit eines Schadensersatzanspruchs dargelegt. Der Beklagte habe 4
Verträge der H4xxxxxx als Vermittler unterschrieben. Dabei habe es sich um Kunden
der Klägerin gehandelt. Hierüber habe der Beklagte seine Vertragspflicht verletzt und
hafte gem. § 280 Abs. 1 BGB i. V. m. § 86 Abs. 1 HGB. Im Rahmen des § 86 Abs. 1 HGB
reiche eine mittelbare Förderung eines anderen Versicherungsunternehmens aus. Eine
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so zu kennzeichnende pflichtwidrige beratende, vermittelnde Hilfstätigkeit für die
Konkurrenz sei selbst dann zu unterstellen, sofern die Ehefrau des Beklagten als
Maklerin tätig gewesen sei. Unterschreibe der Beklagte in ihrem Interesse als Vermittler
Versicherungsanträge, so erfülle er den Tatbestand einer unzulässigen Hilfstätigkeit für
konkurrierende Versicherungsunternehmen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass der
Beklagte diesen Kunden als Vermögensberater der Klägerin bekannt gewesen sei. Zu
dem sei herauszustellen, dass die Ehefrau des Beklagten als Zahnarzthelferin wohl
nicht als Maklerin einzustufen sei. Diese Unterstützungshandlungen seien
vertragswidrig und damit unzulässig gewesen. Ein aus diesen Handlungen
abzuleitender Schaden sei wahrscheinlich. Die zu erteilende Auskunft sei für die
Klägerin von Nutzen. Hieraus gewinne sie die Möglichkeit, ihren entgangenen Gewinn
gem. den §§ 249, 252 BGB zu bestimmen. Immerhin habe der Beklagte der Konkurrenz
vergleichbare Produkte angeboten. Hierdurch habe er der Klägerin Umsatz entzogen.
Die Auskunftspflicht des Beklagten erstrecke sich auch auf der Konkurrenz vermittelter
Geschäfte. Ob der Beklagte für die H4xxxxxx Versicherungsgesellschaft bis zum
30.06.2004 neue Kunden geworben habe sei unklar. Diese Unsicherheit beeinträchtige
jedoch nicht seine Auskunftspflicht. Das Klagebegehren sei keine unzulässige
Rechtsausübung. Sollte die Klägerin ihrerseits gesetzliche Verpflichtungen nicht erfüllt
haben, so eröffne dies dem Beklagten nicht das Recht, gegen seine Vertragspflicht zu
verstoßen. Rechtsverletzungen der Klägerin begründeten Schadenersatzansprüche
oder das Recht zur Zurückbehaltung gem. den §§ 273, 320 BGB. Rechtsverletzungen
der Klägerin bewirkten jedoch nicht den Wegfall eigener Pflichten des Beklagten. Der
Beklagte sei verpflichtet gewesen, mit rechtlichen Mitteln gegen den Entzug des
Laptops vorzugehen und die Klägerin auf gleicher Grundlage dazu anzuhalten, ihm alle
für die Vertragserfüllung notwendigen Informationen zukommen zu lassen. Er sei durch
das Rechtsinstitut der einstweiligen Verfügung bzw. durch das Gestaltungsrecht der
außerordentlichen Kündigung gem. § 89 a HGB geschützt gewesen. Als
Handelsvertreter sei ihm jedoch kein Recht zur Selbsthilfe eingeräumt worden.
Auch das Feststellungsbegehren gem. den Ziffern 1 u. 3 der Klageanträge sei zulässig
und begründet.
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Das Vertragsstrafenbegehren der Klägerin sei hingegen nicht begründet. Die
Vertragsstrafenklausel sei unwirksam, da sie den Beklagten unangemessen
benachteilige, § 307 BGB. Dabei seien die rechtlich anzuerkennenden Interessen der
Vertragsparteien untereinander zu bewerten. In die Bewertung seien grundrechtlich
geschützte Positionen einzubeziehen. Die Benachteiligung des Beklagten erfolge
letztlich durch die Höhe der Vertragsstrafe. Diese sei unangemessen hoch, zu mal ihre
Sanktionen außer Verhältnis zum Gewicht des Vertragsverstoßes stehe. Anzuerkennen
sei die Vertragsstrafe als Druckmittel zur Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen.
Zudem erleichtere die Vertragstrafe die Schadloshaltung der Klägerin als Gläubigerin
ohne Einzelnachweis. Der Vertrag lasse jedoch vermissen die notwendige
Differenzierung nach der Schwere der Pflichtverletzung, dem Grad des Verschuldens
und der Höhe des zu befürchtenden Schadens. Da eine Obergrenze fehle sei zu
befürchten, dass die in mehreren Jahren verdiente Provision aufgezehrt werde. Dies sei
unangemessen. Hieraus folge gem. § 306 BGB die Rechtsunwirksamkeit der
Vertragsklausel, zu mal eine geltungserhaltende Reduktion ausgeschlossen sei, § 306
Abs. 2 BGB. § 343 BGB sei unanwendbar. Diese Bestimmung setze eine verwirkte
Vertragsstrafe voraus.
19
Gegen dieses, ihr am 19.07.2006 zugestellte, vorgetragene und wegen der sonstigen
20
Einzelheiten in Bezug genommene Urteil, wehrt sich die Klägerin mit der beim
Landesarbeitsgericht am 25.07.2006 eingegangenen Berufung, die am 15.09.2006
begründet worden ist. Die Klägerin greift das angefochtene Urteil an, soweit ihr die
Vertragsstrafe nicht zugesprochen wurde. Zur Begründung trägt sie vor, der Beklagte
habe gegen das gesetzliche Wettbewerbsverbot des § 86 Abs. 1 HGB verstoßen, in
dem er in zumindest 2 Fällen den Versicherungsvertrag über die Riester-Rente von der
Klägerin auf die konkurrierende H4xxxxxx Versicherungsgesellschaft habe umschreiben
lassen. Dabei habe er verantwortlich gehandelt. Sollte seine Ehefrau tatsächlich als
Versicherungsmaklerin tätig gewesen sein – dagegen spreche ihre Beschäftigung als
Arzthelferin und der Umstand, Mutter zweier Kinder zu sein – so habe er zumindest als
Untervertreter gehandelt. Denn ein Handeln im Interesse der H4xxxxxx
Versicherungsgesellschaft sei ohne rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung nicht möglich
gewesen. Im übrigen bezweifele sie die Versicherungsagentur der Ehefrau. Das
beibehalten ihrer Riester-Rente setze eine versicherungspflichtige Tätigkeit als
Arbeitnehmerin voraus. Zudem zeige der mit der H4xxxxxx Versicherungsgesellschaft
geführte Schriftwechsel deutlich auf, dass der Beklagte und nicht etwa seine Ehefrau
Vermittler der "neuen Verträge" gewesen sei. Folglich sei er ursächlich für die Aufgabe
des bisherigen Versicherungsverhältnisses geworden. Deshalb sei dem Beklagten
anzulasten, ihre Kunden vertragswidrig dazu veranlasst zu haben, das
Versicherungsunternehmen zu wechseln. Dies sei ein Verstoß gegen § 86 Abs. 1 HGB,
für den (jeweils) eine Vertragsstrafe i. H. v. 25.000,00 € verlangt werden könne. Die
getroffene Regelung sei nicht unangemessen. Der Vertragszweck sei hierdurch nicht
gefährdet worden. Vielmehr habe sie ein gewichtiges Interesses daran, die Einhaltung
der Pflichten eines Handelsvertreters zu sichern. Kern dieser Pflicht sei es, Geschäfte zu
vermitteln und ihre Interessen als Unternehmen zu wahren. Diese Pflichten würden
durch das Ausspannen von Kunden in ihr Gegenteil verkehrt. Bei der Höhe der zu
verwirkenden Vertragsstrafe sei zu berücksichtigen, dass der Beklagte Kaufmann sei
und dass die Vertragsstrafe als Abschreckung geeignet sein müsse. Die Vertragsstrafe
habe zu berücksichtigen, dass durch die Verleitung zum Vertragsbruch ein bestehendes
Versicherungsverhältnis vorzeitig gelöst werde. Sollte die Vertragsstrafe im Einzelfall zu
hoch bemessen sein, so sei sie der Höhe nach anzupassen. § 306 BGB sei
unanwendbar. Vorrangig greife der Grundsatz der geltungserhaltenden Reduktion.
Die Klägerin beantragt,
21
unter Abänderung des angefochtenen Urteils den Beklagten auch dazu zu
verurteilen, an sie 50.000,00 € nebst Zinsen i. H. v. 8 %-Punkten über dem
Basiszinssatz seit dem 02.08.2004 zu zahlen.
22
Der Beklagte beantragt,
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
24
Der Beklagte bezweifelt weiterhin einen Verstoß gegen § 86 Abs. 1 HGB. Die
Vertragsunterzeichnung sei ihm nicht zuzurechnen, zu mal er aufgrund einer "bloßen
rechtsgeschäftlichen Vollmacht" den jeweiligen Antrag "nur einfach unterschrieben
habe". Im übrigen verteidigt er insoweit das angefochtene Urteil.
25
Wegen der sonstigen Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird auf den
vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze verwiesen.
26
Im Termin zur Berufungsverhandlung hat der Beklagte seine eigene, an sich zulässige
Berufung zurückgenommen.
27
Das Arbeitsgericht Frankfurt (Main) hat die Klägerin mit Teilurteil vom 22.03.2006 dazu
verurteilt, dem Beklagten einen Buchauszug – einschl. der Vermögensberater J.
B9xxxxx, G. B9xxxxx, J. T3xxxxx und J. G1xxxxx – für die Zeit 01.01.2001 bis
30.06.2004 zu erteilen.
28
Entscheidungsgründe
29
Die nach der Beschwer an sich statthafte (§ 64 Abs. 2 b ArbGG), form- sowie fristgerecht
eingelegte und begründete Berufung der Klägerin (§§ 66 Abs. 1 S. 1 und 2, 64 Abs. 6
ArbGG, §§ 519, 520 ZPO) hat keinen Erfolg. Der Beklagte hat die mit Punkt V des
Vermögensberatervertrages festgelegte Vertragsstrafe nicht verwirkt. Das
Vertragsstrafenversprechen ist nämlich gem. §§ 310 Abs. 1, 307 Abs. 1 S. 1, 306 Abs. 2
BGB rechtsunwirksam.
30
I.
31
Die Klägerin hat durchaus das Recht, auch für die Einhaltung der gesetzlich normierten
Pflicht, sich während der Vertragszeit wettbewerbsneutral zu verhalten (§ 86 Abs. 1
HGB) ein Vertragsstrafenversprechen zu verabreden (zur Sicherung gesetzlicher
Pflichten durch Strafversprechen: BGH v. 28.01.1993, I ZR 240/90, NJW 1993, 1786;
Palandt/Heinrichs, BGB, Vorbemerkung zu den §§ 339 – 343 Rdnr. 2). Da sich der
Beklagte mit Punkt V des Vermögensberatervertrages diesem Strafversprechen
unterworfen hat, ist die maßgebliche vertragliche Abrede hierüber begründet worden
(Strafversprechen als vertragliche Abrede: Palandt/Heinrichs, a. a. O. Rdnr. 3). Der
Beklagte hat auch gegen die durch das Strafversprechen zu sichernde Hauptpflicht
verstoßen. Er hat entgegen seiner gesetzlichen (§ 86 Abs. 1 HGB) und vertraglich
ergänzend normierten Pflicht, während der Vertragsdauer ausschließlich das Interesse
der Klägerin wahrzunehmen und Kunden nicht für konkurrierende Gesellschaften
auszuspannen, noch während der Vertragszeit zur Klägerin und andauernden
Versicherungszeit Kunden dazu bewegt, die Versicherungsgesellschaft zu wechseln.
Der Beklagte hat in mindestens zwei Fällen Kunden der Klägerin vor dem 30.06.2004
dazu veranlasst bzw. sie dabei unterstützt, die Privatvorsorge "Riester-Rente" von der
Klägerin auf die H4xxxxxx Versicherungsgesellschaft zu übertragen. Dies ist aufgrund
der zur Akte gereichten Anträge zur Überzeugung der zu erkennenden
Berufungskammer unbestreitbar. Die Anträge des C2xxxxxxx H5xxxxxx vom 04.04.2004
(Bl. 72 d. A.) und der Eheleute J1xxx und B7xxx K3xxxx vom 27.04.2004 (Bl. 76 u. 78 d.
A.) hat der Beklagte als Vermittler der H4xxxxxx Versicherungsgesellschaft
unterschrieben.
32
Die Versuche des Beklagten, seine Unterschrift als reine Gefälligkeit im Interesse seiner
Ehefrau abzutun, sind untauglich. Denn die von ihm beschriebene rechtsgeschäftliche
Bevollmächtigung zur Unterzeichnung der Anträge als Vermittler der H4xxxxxx
Versicherungsgesellschaft vermittelt ein verbindliches Handeln für die
Versicherungsgesellschaft. Als Vermittler kann der Beklagte nur unterschreiben, sobald
zwischen ihm und der H4xxxxxx Versicherungsgesellschaft Rechtsbeziehungen
bestehen. Diese Rechtsbeziehung bewertet die Klägerin berechtigt zumindest in einer
Vertragsbindung als Untervertreter der Ehefrau des Beklagten, sofern sie tatsächlich seit
dem 01.12.2003 parallel zur Beschäftigung als Arzthelferin für die H4xxxxxx
33
Versicherungsgesellschaft eine Tätigkeit als Versicherungsmaklerin aufgenommen
haben sollte. Damit hat der Beklagte nicht nur gegen seine vertraglichen, sondern auch
gegen gesetzliche Pflichten – hier konkret: das vertragliche Wettbewerbsverbot des § 86
Abs. 1 HGB – verstoßen.
Mit dem angefochtenen Urteil, mit dem OLG Hamm (NJW RR 1992, 364) und H6xx
(Handelsvertreterrecht § 86 Rdnr. 26 u. 27) vertritt die erkennende Berufungskammer die
Auffassung, dass der Konkurrenzschutz sowohl für alle bisherigen Kunden als auch für
sämtliche gleichartigen Produkte besteht und dass dieses vertragliche
Wettbewerbsverbot auch dann verletzt wird, wenn der Beklagte eine nur beratende oder
vermittelnde Hilfstätigkeit für eine konkurrierende Versicherungsgesellschaft vornimmt
(zur mittelbaren Förderung der Konkurrenz: MK-HGB/von Hoyningen-Huene, § 86 Rdnr.
44). Diese Hilfstätigkeit ist auch in einer unterstützenden Handlung seiner als Maklerin
agierenden Ehefrau zu sehen. Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die maßgeblichen
Kunden des Beklagten der Klägerin zuzuordnen sind. Ihnen war er als
Vermögensberater bekannt. Die Unterzeichnung dieser Anträge als Vermittler der
H4xxxxxx Versicherungsgesellschaft war demzufolge unzulässig.
34
Der Beklagte hat auch schuldhaft i. S. d. § 276 BGB gehandelt. Er kann sich nicht auf
ein Selbsthilferecht berufen. Die Klägerin mag dem Beklagten gegenüber
Pflichtverletzungen begangen haben. Die erkennende Berufungskammer war jedoch
nicht verpflichtet zu überprüfen, ob der Klägerin das Recht zustand, den Mietvertrag über
den vermieteten Laptop mit versicherungsinterner Software zu kündigen und die
Stornogefahrenmitteilungen sowie Kundeninformationen ausschließlich der
Geschäftsstelle und nicht ihm persönlich unter seiner Privatadresse zur Verfügung zu
stellen. Die Klägerin mag außerdem pflichtwidrig verdiente Provisionen zurückbehalten
und das Stornoguthaben unzulässig erhöht haben. Dies alles vermittelt dem Beklagten
allenfalls ein Zurückbehaltungsrecht i. S. d. § 273 BGB, das sachgerecht und für die
Klägerin erkennbar ausgeübt werden müsste. Dieses Verhalten der Klägerin vermittelte
dem Beklagten möglicherweise auch das Recht zur außerordentlichen Kündigung gem.
§ 89 a HGB. Gegen Rechtsverstöße der Klägerin hätte der Beklagte mit den
gesetzlichen Mitteln wie z. B. dem vorläufigen Rechtsschutz gem. dem § 935 ZPO
vorgehen können, ja sogar vorgehen müssen. Derartige Rechtsverstöße der Klägerin
als Vertragspartnerin entbinden den Beklagten als weiteren Vertragspartner jedoch nicht
von der eigenen Verpflichtung, gesetzliche und vertragliche Standards einzuhalten. Sie
eröffnen nicht das Recht selbst vertragswidrig zu werden. Im übrigen waren die
Voraussetzungen der §§ 227 Abs. 2, 229 BGB kaum erfüllt.
35
II.
36
Obwohl der Beklagte gegen das vertragliche und gesetzliche Wettbewerbsverbot
verstoßen hat, hat er die in Anspruch genommene Vertragsstrafe in zwei Fällen nicht
verwirkt, § 339 S. 2 BGB. Denn das Vertragsstrafenversprechen ist aus den Gründen
des Übermaßverbotes i. S. d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB rechtsunwirksam und deshalb
unanwendbar, § 306 Abs. 2 BGB. Auch insoweit stimmt die erkennende
Berufungskammer mit der Bewertung im angefochtenen Urteil überein. Zwar ist der
Einwand der Klägerin berechtigt, dass der Vermögensberatervertrag nicht aus Gründen
des Verbraucherschutzes einer Inhaltskontrolle unterzogen werden darf. Denn der
Beklagte ist als Kaufmann selbständig und nicht Verbraucher i. S. d. § 13 BGB. Der
Vermögensberatervertrag ist seiner selbständigen beruflichen Tätigkeit als
Handelsvertreter der §§ 84 ff., 92 HGB zuzuordnen (zum Ausschluss des
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Verbraucherschutzes: Palandt/Heinrichs, BGB, § 13 Rdnr. 3). Dennoch ist der Beklagte
gegenüber der Klägerin nicht schutzlos. Auch der unter Selbständigen geschlossene
Vertrag unterliegt einer AGB Kontrolle, § 310 Abs. 1 BGB. Für die Inhaltskontrolle ist
zumindest § 307 BGB maßgebend, selbst wenn die §§ 305 Abs. 2 u. 3, 308 und 309
BGB keine Anwendung finden sollten (zur beschränkten Inhaltskontrolle für
Unternehmer: Palandt/Heinrichs, a. a. O., § 307 Rdnr. 30; MK BGB/Basedow, § 310
Rdnrn. 3, 4, 7 u. 9; zum Handelsvertreterrecht: Palandt/Heinrichs, a. a. O. § 307 Rdnr.
111; MK BGB/Basedow, § 307 Rdnr. 107). Diese Inhaltskontrolle ist begrenzt durch die
im Handelsverkehr geltenden Gewohnheiten.
Mit Punkt V des Vermögensberatervertrages hat die Klägerin allgemeine
Geschäftsbedingungen verwandt. Sie hat das vertragliche Wettbewerbsverbot
einschließlich des Strafversprechens formularmäßig vereinbart. Aus diesem Grunde
muss sich diese Klausel an den Grundsätzen des § 307 BGB messen lassen. Diesen
Anforderungen wird zumindest die Höhe der versprochenen Vertragsstrafe nicht
gerecht.
38
Gem. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB sind Bestimmungen in AGB unwirksam, wenn sie den
Vertragspartner entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.
Unangemessen ist jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses des
Vertragspartners, die nicht durch begründete und billigenswerte Interessen des AGB-
Verwenders gerechtfertigt sind oder durch gleichwertige Vorteile ausgeglichen werden.
Die Feststellung einer unangemessenen Benachteiligung setzt eine wechselseitige
Berücksichtigung und Bewertung rechtlich anzuerkennender Interessen der
Vertragspartner voraus. Bei diesem Vorgang sind auch grundrechtlich geschützte
Positionen zu beachten. Es bedarf einer umfassenden Würdigung der beiden
Vertragspositionen unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben.
Hierbei ist anerkannt, dass Vertragsstrafenabreden nicht grundsätzlich zu einer
unangemessen Benachteiligung des Vertragspartners führen. Obwohl auch im
Handelsvertreterrecht das Wettbewerbsverbot für die Vertragszeit gesetzlich normiert ist
und ein Verstoß hiergegen Schadenersatzansprüche auslöst (Schadenersatzpflicht i. H.
des Gewinnverlustes: MK HGB/von Hoyningen-Huene, § 86 Rdnr. 33), ist ein
besonderes Interesse der Klägerin anzuerkennen, sich zusätzlich vor derartigen
Eingriffen durch Vertragsstrafenversprechen zu schützen. Denn gerade im
Versicherungsgeschäft löst eine Abwerbung von Kunden eine Kette weiterer Verluste
aus. Zudem wird durch Abwerbung von Kunden das Vertrauen der
Versicherungsgesellschaft nachhaltig beeinträchtigt. Weitere Versicherungsnehmer
werden verunsichert. Auch wenn das Argument der Klägerin nicht von der Hand zu
weisen ist, ein wettbewerbswidriges Handeln dürfe sich nicht lohnen, die Vertragsstrafe
müsse deshalb so spürbar sein, so dass sie noch eine abschreckende Wirkung behalte,
ist die für jeden abgeworbenen Kunden, ja schon für die versuchte Abwerbung
festgelegte Vertragsstrafe unangemessen hoch.
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Für die Frage nach einer angemessenen Höhe der Vertragsstrafe kommt es auf eine
typisierende Betrachtungsweise bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses an.
Von einer unangemessen hoch angesetzten Vertragsstrafe ist auszugehen, wenn die
Sanktionen außer Verhältnis zum Gewicht des Vertragsverstoßes und dessen Folgen
für den Vertragspartner stehen. Auch hier sind die beiderseitigen Interessen
abzuwägen. Die Vertragsstrafe wird vom Gesetzeszweck her als Druckmittel dafür
angesehen, den Schuldner zur ordnungsgemäßen Erbringung der versprochenen
Leistung anzuhalten. Der Gläubiger soll zudem die Möglichkeit einer erleichterten
40
Schadloshaltung erhalten, in dem mittels Vertragsstrafe ohne Einzelnachweis ein
pauschalierter Schaden geltend gemacht werden kann. Schaden und Vertragsstrafe
müssen demzufolge wegen des Gesichtspunktes der Abschreckung nicht
übereinstimmen. Andererseits darf durch das grundlegende Vertragsstrafenversprechen
weder der Vertragszweck gefährdet noch der Vertragspartner in seiner Existenz
vernichtet werden. Punkt V des Vermögensberatervertrages berücksichtigt diese
Interessenabwägung nicht. Die Vertragsstrafe differenziert nicht nach dem vermittelten
Produkt: Lebensversicherung, Sachversicherung, Kfz-Versicherung,
Rechtsschutzversicherung, Kreditvermittlung oder die Vermittlung von Kreditkarten. Alle
Produkte werden in der Wertigkeit gleichgestellt. Da nur bei einer Lebensversicherung
mit einer Versicherungssumme von 100.000,00 € in der gesamten Laufzeit ein Erlös
zwischen 6.000,00 und 6.500,00 € (einschließlich aller Provisionsansprüche der
Vermittler) erwirtschaftet werden kann und dieser Erlös bei den übrigen
Versicherungsarten erheblich niedriger ausfällt, fehlt jegliche interessengerechte
Relation zwischen dem zu befürchtenden Gewinnverlust und der pauschalierten
Schadensbestimmung (vgl. hierzu: BGH v. 20.01.2000, VII ZR 46/98, NJW 2000, 2106;
BGH v. 03.04.1998, V ZR 6/97, NJW 1998, 2600; MK BGB/Gottwald, § 339 BGB Rdnr.
12). Das Vertragstrafenversprechen differenziert auch nicht nach der objektiven
Schwere der Vertragspflichtverletzung und nach dem Grad des Verschuldens, so dass
selbst leichteste Fahrlässigkeit und jegliche Konkurrenztätigkeit – also auch einfachste
Unterstützungshandlungen, selbst der im frühen Anfangsstadium abgebrochene
Versuch – die Vertragsstrafe in voller Höhe auslösen soll. Damit ist die Vertragsstrafe
unabhängig vom Vorliegen eines Schadens dazu geeignet, auf die Schöpfung neuer,
vom eigentlichen Sachinteresse losgelöster Geldforderungen hinaus zu laufen, zu mal
ausdrücklich zusätzlicher Schadenersatz unberührt bleiben soll (OLG München v.
13.12.1996, 7 U 5432/95, NJW RR 1996, 1181). Hinzu kommt, dass der Formularvertrag
keine Obergrenze der für jeden Fall der Zuwiderhandlung verwirkten Vertragsstrafe
vorsieht. Auch dies ist unbillig. Denn auf diese Weise kann der gesamte
Provisionsverdienst des Handelsvertreters für mehrere Jahre in einem die Existenz
vernichtenden Umfang aufgezehrt werden. Die gegenteilige Meinung (MK
BGB/Gottwald, Rdnr. 12 vor § 339) überzeugt nicht. Zwar ist der Hinweis berechtigt,
dass die Gesamthöhe einer verwirkten Vertragsstrafe vom willkürlichen Verhalten des
Schuldners abhänge. Dennoch ist im konkreten Fall zu berücksichtigen, dass auch
geringfügigste Verstöße mit geringstem Schaden in der Addition zu ungerechtfertigten
Vorteilen der Klägerin führen. Dies war gewollt. Hierbei hat die Klägerin ihre
wirtschaftliche Mächtigkeit gegenüber dem Beklagten zu einseitig zu ihren Gunsten
ausgenutzt.
III.
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Dieser Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB führt zur
Unwirksamkeit der Strafklausel im Ganzen. Eine Geltungserhaltende Reduktion ist
ausgeschlossen. Dies ist begründet im AGB-Recht, dem das formularmäßig vereinbarte
Strafbewährte Wettbewerbsverbot unterfällt. Eine Aufrechterhaltung der AGB in Teilen
liefe dem Schutzzweck des Gesetzes zuwider (vgl. hierzu die Grundaussage in § 306
Abs. 2 BGB; siehe hierzu auch: Palandt/Heinrichs, a. a. O. § 307 Rdnr. 9 und § 343
Rdnr. 3; MK BGB/Basedow § 307 Rdnr. 108 und § 310 Rdnrn. 7 u. 9; MK BGB/Gottwald
§ 343 Rdnr. 314). Dieses sieht die Verwendung verbotswidriger Klauseln vor allem
deshalb als eine objektiv zur Täuschung geeignete Störung im Rechtsverkehr an, weil
es der Rechtsunkundige Verwendungsgegner in der Regel nicht auf einen Prozess
ankommen lässt und eine Vertragsabwicklung auf Basis der unwirksamen Klausel
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hinnimmt. Ein solches Verhalten darf nicht dadurch Risikolos gemacht werden, dass
verbotswidrige Klauseln durch Reduktion auf das gerade noch gesetzlich zulässige
Maß aufrecht erhalten werden. Dieses Ergebnis ist auch mit der wirtschaftlichen
Abhängigkeit des Beklagten von der Klägerin zu begründen (zur Rechtsunwirksamkeit
ebenso: BGH v. 25.06.2003, VIII ZR 344/02, NJW 2003, 2899).
Der Rechtsgedanke des § 343 BGB führt nicht zur Herabsetzung der Vertragsstrafe auf
das angemessene Maß. § 343 BGB kommt ausschließlich bei verwirkten d. h. bei
wirksam vereinbarten Vertragsstrafen in Betracht (MK BGB/Gottwald, § 343 Rdnr. 314;
Palandt/Heinrichs, § 343 BGB Rdnr. 1).
43
IV.
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Da die Klägerin die aus ihrer Sicht in zwei Fällen verwirkte Vertragsstrafe in der
Gesamthöhe von 50.000,00 € nicht durchsetzen kann, war ihre Klage von Anfang an
unbegründet. Die gegen das klageabweisende Urteil gerichtete Berufung war mit der
Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Zugleich waren ihr abweichend zur
Kostenentscheidung im ersten Rechtszug diejenigen Kosten aufzuerlegen, die durch
die Anrufung des unzuständigen Gerichts (Landgericht Essen) entstanden sind. Diese
Korrektur war durch das Berufungsgericht trotz erfolgter Berufungsrücknahme durch den
Kläger statthaft. Denn die Kostenentscheidung ist insoweit keine notwendige Beschwer
i. S. d. § 64 Abs. 2 b ArbGG, die durch Rechtsmittelrücknahme entfallen sein könnte. Die
vorzunehmende Korrektur hat ihre Rechtsgrundlage im § 319 ZPO und beruht nicht
etwas auf § 321 ZPO.
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Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache hat die erkennende
Berufungskammer die Revision ausdrücklich zugelassen.
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Schulte
Volkenrath
Rödel
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