Urteil des LAG Hamm vom 20.03.2009

LArbG Hamm: betriebsrat, sozialplan, arbeitsgericht, unterrichtung, mitbestimmungsrecht, neugründung, zahl, konzept, montage, vertreter

Landesarbeitsgericht Hamm, 10 TaBV 17/09
Datum:
20.03.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
10 TaBV 17/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Herford, 3 BV 3/09
Schlagworte:
Einigungsstellenbesetzung; offensichtliche Unzuständigkeit;
ausreichende vorherige Ver-handlungen; Mitbestimmung bei
Interessenausgleich und Sozialplan; Beschäftigungssiche-rung; Vorrang
des Beratungsanspruchs des Betriebsrats vor
Interessenausgleichsverhand-lungen; Sozialplan bei Neugründung
Normen:
§ 98 ArbGG §§ 92 a, 111 S. 3 Nr. 1 und 4, 112 Abs. 2, 4 und 5, 112 a
Abs. 2 BetrVG
Leitsätze:
§ 92 a BetrVG enthält kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des
Betriebsrats, sondern lediglich eine Verpflichtung für den Arbeitgeber,
mit dem Betriebsrat über Vorschläge zur Beschäftigungssicherung zu
beraten. Das Verfahren nach § 92 a BetrVG ist gegenüber
Interessenausgleichsverhandlungen nach § 112 BetrVG nicht
vorgreiflich. Betriebsänderun-gen nach §§ 111 ff. BetrVG können nicht
über § 92 a BetrVG verzögert oder blockiert wer-den.
Tenor:
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des
Arbeitsgerichts Herford vom 25.02.2009 – 3 BV 3/09 – wird
zurückgewiesen.
Gründe:
1
A
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Die Beteiligten streiten um die Einrichtung einer Einigungsstelle.
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Die antragstellende Arbeitgeberin ist ein am 15.02.2008 neu gegründetes Unternehmen,
das sich mit der Herstellung von Maschinen für die Laminat produzierende Industrie
befasst. Sie beschäftigt ca. 150 Mitarbeiter.
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Der bei ihr gewählte Betriebsrat besteht aus sieben Personen.
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Aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung und dadurch bedingter Auftragsrückgänge
rechnete die Arbeitgeberin für das Kalenderjahr 2009 mit einer Verfehlung der avisierten
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Umsätze um 50 %. Sie prüfte daraufhin die unternehmerische Umstrukturierung zum
Erhalt ihrer Wettbewerbsfähigkeit.
Die insoweit von der Arbeitgeberin erstellten Planungen sehen eine grundsätzliche
Neuausrichtung – weg von der gesamten Fertigungstiefe mit Produktion und Montage
und hin zu einem reinen E2- und Entwicklungsbetrieb – vor. Diese Planung ging mit
einem Verlust von ca. 50 Arbeitsplätzen einher. Über Einzelheiten der Planungen
unterrichtete die Arbeitgeberin den Betriebsrat am 20.01.2009 unter Vorlage schriftlich
dargestellter Einzelheiten der geplanten Betriebsänderung. Darin wurde unter anderem
auf die Absicht der Fremdvergabe der Produktionsbereiche mechanische Fertigung,
Elektrofertigung und Innenmontage verwiesen, was zu einem Abbau von 38
Arbeitsplätzen führen würde. Im Bereich der 2-D Konstruktion wurden darin die
Anpassung der Personalkapazitäten und ein Abbau von drei Arbeitsplätzen verzeichnet.
Auch im Bereich der Arbeitsvorbereitung sollte eine geplante Personalanpassung zum
Abbau von drei Arbeitsplätzen führen. Das Gleiche sollte für die Bereiche
Außenmontage Elektrik, Projektierung, Elektrokonstruktion Software, Materialwirtschaft
gelten, insoweit war ein Abbau von weiteren sechs Arbeitsplätzen vorgesehen. Wegen
der Einzelheiten der Unterrichtung des Betriebsrats wird auf die Anlage zur
Antragsschrift vom 02.10.2009 (Bl. 10 ff.d.A.) verwiesen.
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Die Planungen der Arbeitgeberin wurden dem Betriebsratsvorsitzenden anlässlich der
Übergabe des Konzeptes weiter erläutert. Im Anschluss an die Informationsphase fand
ein Verhandlungstermin zwischen den Beteiligten über die Umsetzung der geplanten
Betriebsänderung am 26.01.2009 statt. Darin wurden noch einmal die Details, die
Plausibilität und Machbarkeit des von der Arbeitgeberin geplanten Geschäftsmodells
dargelegt.
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Im Verhandlungstermin vom 26.01.2009 wurden auch alternative Optionen für eine
mögliche Reduzierung der insgesamt abzubauenden Arbeitsplätze besprochen. Ein
vom Betriebsrat vorgelegtes Alternativ-Konzept bestand unter anderem aus einem
"Freiwilligen-Programm" mit 12 Monaten Transferdauer sowie Abfindungszahlungen
und Verzicht auf die Ausnahmeregelung des § 112 a Abs. 2 BetrVG. Am Ende des
Verhandlungstermins vom 26.01.2009 erklärte der Betriebsratsvorsitzende, dass die von
der Arbeitgeberin vorgestellten unternehmerischen Planungen in dieser Form nicht
akzeptiert werden würden. Der Verhandlungsführer der Arbeitgeberin erwiderte
daraufhin, dass eine substantielle Reduzierung der abzubauenden Arbeitsplätze im
Rahmen der geplanten Neuaufstellung nicht in Betracht komme und sie, die
Arbeitgeberin, an ihren Planungen zur grundsätzlichen Neuausrichtung der
Gesellschaft, verbunden mit der Aufgabe der eigenen Fertigung und Montage festhalte.
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In einem Schreiben der Arbeitgeberin an den Betriebsrat vom 26.01.2009 (Bl. 28 d.A.)
wies die Arbeitgeberin noch einmal darauf hin, dass die vom Betriebsrat vorgestellten
Alternativen zu dem am 20.01.2009 dargestellten Konzept wirtschaftlich nicht tragbar
und finanziell nicht realisierbar seien. Die Arbeitgeberin forderte den Betriebsrat auf, die
Verhandlungen am Folgetag um 12.00 Uhr fortzusetzen.
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Mit Schreiben vom 27.01.2009 (Bl. 30 ff.d.A.) wies der Betriebsrat über seine
Verfahrensbevollmächtigten auf seine bestehende Verhandlungsbereitschaft hin und
legte noch einmal seine eigene Verhandlungsposition bestehend aus acht Punkten dar.
Unter anderem forderte der Betriebsrat die Arbeitgeberin in diesem Schreiben auf, die
vorgeschlagenen Eckpunkte im Rahmen einer Beschäftigungssicherungs-Vereinbarung
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nach § 92 a BetrVG zu verhandeln; seinerseits bestehe weitere
Verhandlungsbereitschaft, die aber voraussetze, dass auch von der Arbeitgeberin
angezeigt werde, dass weitere Verhandlungsbereitschaft über das vom Betriebsrat
vorgeschlagene Paket bestehe.
Die Arbeitgeberin wies daraufhin mit Schreiben vom 28.01.2009 (Bl. 33 f.d.A.) darauf
hin, dass das vom Betriebsrat skizzierte Alternativ-Konzept aus den im Rahmen der
Verhandlungen genannten Gründen und Erläuterungen wirtschaftlich und strukturell
nicht gangbar und nicht akzeptabel sei. Vor diesem Hintergrund erklärte die
Arbeitgeberin im Schreiben vom 28.01.2009 unter Hinweis auf unüberbrückbare
Standpunkte beider Seiten das Scheitern der Verhandlungen über den angestrebten
Interessenausgleich.
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Noch am 28.01.2009 verständigten sich die Betriebsparteien darauf, eine
Betriebsvereinbarung über die bis zum 28.02.2009 befristete Einführung und
Durchführung von Kurzarbeit abzuschließen.
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Mit dem am 03.02.2009 beim Arbeitsgericht eingeleiteten Beschlussverfahren begehrte
die Arbeitgeberin die Einsetzung einer Einigungsstelle unter dem Vorsitz des
Vorsitzenden Richters am Landesarbeitsgericht Hamm Q.T.
14
Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, die Einigungsstelle sei gemäß § 112
Abs. 2 Satz 2 BetrVG zuständig. Insbesondere seien vorausgegangene Verhandlungen
aufgrund unüberbrückbarer Verhandlungspositionen der Beteiligten gescheitert. Für die
Einleitung eines gerichtlichen Bestellungsverfahrens genüge es, dass Betriebsrat und
Arbeitgeber hinreichend klar sei, worum es bei den Verhandlungen gehen solle. Liege
der Regelungsgegenstand auf der Hand, stehe jeder Seite frei zu entscheiden, wann sie
die Einrichtung einer Einigungsstelle mit gerichtlicher Hilfe für notwendig erachte.
15
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
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1. zum Vorsitzenden der Einigungsstelle, die über den Abschluss eines
Interessenausgleichs über die in der Unterrichtung der Antragstellerin vom 20.
Januar 2009 beschriebene Betriebsänderung, ins-besondere zu folgenden
Zwecken:
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(i) Personalabbau
18
(ii) Um- und Versetzungen
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entscheiden soll,
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wird der Vorsitzende Richter am Landesarbeitsgericht Hamm, Herr Q.T., bestimmt,
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2. die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer wird auf zwei
festgesetzt.
22
Der Betriebsrat hat beantragt,
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die Anträge abzuweisen,
24
hilfsweise
25
zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegen-stand
"Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplans aus Anlass der
Betriebsänderung" wird der Vorsitzende Richter am Landesarbeitsgericht Q.T.
bestellt.
26
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Einigungsstelle sei offensichtlich
unzuständig, da die Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs
noch nicht gescheitert seien. Das Scheitern von Verhandlungen setze voraus, dass die
Verhandlungspartner überhaupt zu Verhandlungen bereit seien. Die Arbeitgeberin sei
aber von Anfang an nicht bereit gewesen, über eine Betriebsänderung tatsächlich zu
verhandeln. Darüber hinaus sei das Verfahren über eine
Beschäftigungssicherungsvereinbarung nach § 92 a BetrVG vorgreiflich. Das gelte
insbesondere im Hinblick auf die bereits im Schreiben vom 27.01.2009 enthaltene
Aufforderung, entsprechende Verhandlungen aufzunehmen.
27
Der Betriebsrat hat weiter die Auffassung vertreten, im Falle der Einsetzung einer
Einigungsstelle sei jedenfalls auch über den Abschluss eines Sozialplanes zu
verhandeln.
28
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
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auch den Hilfsantrag des Betriebsrats zurückzuweisen.
30
Sie hat die Auffassung vertreten, die Besetzung einer Einigungsstelle zum Zwecke der
Verhandlungen über einen Sozialplan komme von vornherein nicht in Betracht, da die
Einigungsstelle insoweit offensichtlich unzuständig sei. Nach der eindeutigen Regelung
des § 112 a Abs. 2 BetrVG seien die Bestimmungen über einen Sozialplan in den ersten
vier Jahren nach Gründung des Unternehmens unanwendbar.
31
Durch Beschluss vom 25.02.2009 hat das Arbeitsgericht dem Antrag der Arbeitgeberin
stattgegeben und die Einigungsstelle entsprechend eingesetzt. Den Hilfsantrag des
Betriebsrats hat das Arbeitsgericht abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die
Einigungsstelle sei nach § 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG für den Interessenausgleich nicht
offensichtlich unzuständig. Es liege eine geplante Betriebsänderung im Sinne des § 111
Satz 3 Nr. 1 und 4 BetrVG vor. Die Arbeitgeberin sei auch ihrer Verhandlungspflicht
nach § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG nachgekommen. Es hätten ausreichende
Verhandlungen, auch über das vom Betriebsrat vorgeschlagene Alternativkonzept,
stattgefunden. Beide Seiten könnten frei entscheiden, wann weitere Verhandlungen
aussichts- und ergebnislos seien. Die Gegenvorschläge des Betriebsrats seien erörtert
und endgültig abgelehnt worden. Die Einigungsstelle sei auch nicht deshalb
offensichtlich unzuständig, weil das Verfahren über die Vorschläge des Betriebsrats zur
Beschäftigungssicherung nach § 92 a BetrVG vorgreiflich wäre. Würden bereits
Verhandlungen über eine vom Arbeitgeber geplante Betriebsänderung gemäß § 111
BetrVG geführt, würden die in § 92 a BetrVG erwähnten Vorschläge in die
Verhandlungen über den Interessenausgleich eingehen. Über die Möglichkeit von
Maßnahmen der Beschäftigungssicherung könne auch in der Einigungsstelle
verhandelt werden. Der Hilfsantrag sei unbegründet, weil die Einigungsstelle
hinsichtlich eines Abschlusses eines Sozialplans offensichtlich unzuständig sei. Dies
ergebe sich aus § 112 a Abs. 2 BetrVG. Bei einer Neugründung sei ein Sozialplan nicht
32
erzwingbar.
Gegen den dem Betriebsrat am 27.02.2009 zugestellten Beschluss, auf dessen Gründe
ergänzend Bezug genommen wird, hat der Betriebsrat am 10.03.2009 Beschwerde zum
Landesarbeitsgericht eingelegt und diese zugleich begründet.
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Er hat unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens die Auffassung
vertreten, das Verfahren nach § 92 a BetrVG sei nach seinem Gegenstand dem
Verfahren der Interessenausgleichsverhandlungen bei Betriebsänderungen
vorgeschaltet. Durch die unmittelbare Einsetzung der Einigungsstelle zum Versuch
eines Interessenausgleichs würden die Beratungsrechte des Betriebsrats nach § 92 a
BetrVG umgangen. § 92 a BetrVG sehe keine unmittelbaren Sanktionen für den Fall vor,
dass der Arbeitgeber dem Begehren des Betriebsrats nicht nachkomme. Dies
widerspreche Art. 8 Abs. 2 der EG-Richtlinie zur Unterrichtung und Anhörung
2002/14/EG vom 11.03.2002. Solange der Gesetzgeber keine entsprechend der EG-
Richtlinie geforderten Sanktionen ins deutsche Recht umgesetzt habe, seien die
Arbeitsgerichte aufgefordert, das Betriebsverfassungsgesetz richtlinienkonform
anzuwenden. Dies könne nur dadurch geschehen, dass dem Verfahren nach § 92 a
BetrVG Vorrang vor dem Verfahren nach §§ 111 ff. BetrVG eingeräumt werde.
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Mindestens sei aber der Hilfsantrag begründet. Mit dem Hilfsantrag wolle der Betriebsrat
erreichen, dass die Einigungsstelle auch bestellt werde zum Regelungsgegenstand
"Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplanes aus Anlass der
Betriebsänderung". Hierfür sei die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig. Zwar
handele es sich bei der Arbeitgeberin um eine Neugründung nach § 112 a Abs. 2
BetrVG. Der Abschluss eines Sozialplans sei auch nicht erzwingbar. Der Betriebsrat
fordere aber nicht die Aufstellung eines Sozialplans, sondern lediglich "Verhandlungen"
über den Abschluss eines Sozialplans. Nach § 112 a Abs. 2 BetrVG fänden lediglich die
Absätze 4 und 5 des § 112 BetrVG keine Anwendung auf Betriebe eines Unternehmens
in den ersten vier Jahren nach seiner Gründung. Die Anwendbarkeit des § 112 Abs. 2
BetrVG sei hingegen durch § 112 a Abs. 2 BetrVG nicht ausgeschlossen. Die
Arbeitgeberin habe im Vorfeld mit dem Betriebsrat auch über einen – freiwilligen –
Sozialplan verhandelt. Die Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplans lägen
deshalb nicht außerhalb der Regelungskompetenz der Betriebsparteien.
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Der Betriebsrat beantragt,
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1. den Beschluss des Arbeitsgerichts Herford vom 25.02.2009 – 3 BV 3/09 –
abzuändern und den Antrag der Arbeitgeberin abzuweisen,
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2. hilfsweise zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem
Regelungsgegenstand "Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplans
aus Anlass der Betriebsänderung" den Vorsitzenden Richter am
Landesarbeitsgericht Hamm, Herrn Q.T., zu bestellen,
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die Zahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer auf zwei festzusetzen.
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Die Arbeitgeberin beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
41
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss und ist der Auffassung, das Arbeitsgericht
habe zu Recht erkannt, dass das Verfahren nach § 92 a BetrVG gegenüber
Interessenausgleichsverhandlungen nicht vorrangig sei. Die §§ 111, 112 BetrVG
verdrängten § 92 a BetrVG als lex specialis. § 92 a BetrVG sei allein als
Vorschlagsrecht des Betriebsrats ausgestaltet. Der Betriebsrat könne seine Vorschläge
auch nicht durch einen Unterlassungsanspruch oder über eine Einigungsstelle
durchsetzen. Hieraus ergäbe sich, dass Betriebsänderungen über § 92 a BetrVG nicht
verzögert oder blockiert werden könnten. Die Beratungsrechte des Betriebsrats würden
im vorliegenden Fall auch nicht umgangen. Der vom Betriebsrat unter Bezugnahme auf
die EG-Richtlinie 2002/14/EG geforderten Sanktionswirkung werde durch das Verfahren
nach den §§ 111 ff. BetrVG und den damit verbundenen Beratungspflichten ausreichend
Rechnung getragen.
42
Die Einigungsstelle sei auch für Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplans
offensichtlich unzuständig. Dies ergebe sich aus § 112 a Abs. 2 BetrVG. Auch wenn die
Arbeitgeberin auf freiwilliger Basis Transfermaßnahmen im Sinne des § 216 b SGB III
einrichten wolle, folge hieraus im Umkehrschluss noch lange nicht, dass sie hierüber
auch in weitere Verhandlungen mit dem Betriebsrat im Rahmen eines
Einigungsstellenverfahrens eintreten wolle.
43
Im Übrigen wird auf den weiteren Inhalt der von den Beteiligten gewechselten
Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.
44
B
45
Die zulässige Beschwerde des Betriebsrats ist nicht begründet. Zu Recht hat das
Arbeitsgericht den Anträgen der Arbeitgeberin auf Einrichtung der begehrten
Einigungsstelle stattgegeben und die Hilfsanträge des Betriebsrats zurückgewiesen.
46
I.
47
Gemäß § 98 Abs. 1 Satz 1 ArbGG kann ein Antrag auf Bestellung eines
Einigungsstellenvorsitzenden und auf Festsetzung der Zahl der Beisitzer wegen
fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle nur dann zurückgewiesen werden, wenn
die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist. Offensichtlich unzuständig ist die
Einigungsstelle, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar
ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter
keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt und sich die beizulegende Streitigkeit
zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erkennbar nicht unter einen
mitbestimmungspflichtigen Tatbestand des Betriebsverfassungsgesetzes subsumieren
lässt (vgl. statt aller: LAG Hamm, 07.07.2003 - 10 TaBV 92/03 - NZA-RR 2003, 637; LAG
Köln, 14.01.2004 - 8 TaBV 72/03 - AP BetrVG 1972 § 106 Nr. 18; LAG Hamm,
09.08.2004 - 10 TaBV 81/04 - AP ArbGG 1979 § 98 Nr. 14 = LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr.
43 m.w.N.).
48
II.
49
1. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das Arbeitsgericht dem Antrag der
Arbeitgeberin zu Recht stattgegeben. Die Einigungsstelle ist für den Abschluss eines
Interessenausgleichs über die von der Arbeitgeberin geplante Betriebsänderung nicht
offensichtlich unzuständig.
50
a) Zwischen den Beteiligten ist ein mitbestimmungspflichtiger Tatbestand des
Betriebsverfassungsgesetzes im Streit. Bei der von der Arbeitgeberin geplanten
Betriebsänderung handelt es sich um eine interessenausgleichspflichtige Maßnahme.
Dies ergibt sich aus § 112 Abs. 2 BetrVG. Die Arbeitgeberin plant gemäß Unterrichtung
des Betriebsrats vom 20.01.2009 eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 3 Nr.
1 und 4 BetrVG. Die Um-strukturierungsmaßnahmen verbunden mit dem geplanten
Personalabbau stellen unzweifelhaft eine Betriebsänderung dar. Dies wird auch von
den Beteiligten des vorliegenden Verfahrens so gesehen.
51
b) Die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle ergibt sich auch nicht daraus,
dass die Beteiligten noch nicht ausreichend über die interessenausgleichspflichtige
Maßnahme verhandelt hätten.
52
Nach Sinn und Zweck des gerichtlichen Bestellungsverfahrens nach § 98 ArbGG, den
Betriebsparteien im Konfliktfall möglichst zügig und ohne weitere Verzögerung durch
eine der Betriebsparteien eine Einigungsstelle zur Seite zu stellen, ist die
Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig, wenn eine der Betriebsparteien
aufgrund des bisherigen Verhaltens der anderen Partei die weitere Führung von
Verhandlungen für aussichtslos hält, das Scheitern der Verhandlungen erklärt und die
Einigungsstelle anruft. Ist der Regelungsgegenstand hinreichend bekannt, liegt es in der
Hand jeder Seite, frei zu entscheiden, wann sie die Errichtung einer Einigungsstelle mit
gerichtlicher Hilfe für notwendig erachtet. Hält ein Betriebspartner weitere
Verhandlungen aufgrund des bisherigen Verhaltens der Gegenseite für aussichtslos
und ruft er das Arbeitsgericht zur Einsetzung einer Einigungsstelle nach § 98 ArbGG an,
so ist diese auch nicht deswegen offensichtlich unzuständig, weil der
Verhandlungsanspruch nach § 74 Abs. 1 Satz 2 BetrVG noch nicht oder noch nicht
vollständig erfüllt worden ist; andernfalls hätte es die verhandlungsunwillige Seite in der
Hand, die Einsetzung einer Einigungsstelle längere Zeit zu blockieren (LAG Baden-
Württemberg, 16.10.1991 – LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 21; LAG Niedersachsen,
07.12.1998 – LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 35; LAG Hamm, 09.08.2004 – 10 TaBV 81/04
– AP ArbGG 1979 § 98 Nr. 14 = LAGE ArbGG 1979 § 98 Nr. 41;
Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, 24. Aufl., § 74 Rn. 9; GK/Kreutz,
BetrVG, 8. Aufl., § 74 Rn. 28 m.w.N; a.A.: LAG Schleswig-Holstein, 17.11.1988 – LAGE
ArbGG 1979 § 98 Nr. 13).
53
Nach diesen Grundsätzen kann eine offensichtliche Unzuständigkeit der begehrten
Einigungsstelle im vorliegenden Verfahren nicht angenommen werden. Dies hat das
Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Im vorliegenden Fall haben sich sowohl der
Betriebsrat wie auch die Arbeitgeberin grundsätzlich Verhandlungen über den
Abschluss eines Interessenausgleichs nicht verschlossen. Nach den zwischen den
Beteiligten geführten Verhandlungen und dem geführten Schriftverkehr kann es aber
nicht beanstandet werden, wenn die Arbeitgeberin, die sich im Übrigen auf die
besondere Eilbedürftigkeit der Betriebsänderung berufen hat, bereits mit Schreiben vom
28.01.2009 das Scheitern der Verhandlungen erklärt und anschließend das Verfahren
zur Einrichtung einer Einigungsstelle beim Arbeitsgericht eingeleitet hat.
54
c) Das Arbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, dass die Beteiligten auch ausreichend
über die vom Betriebsrat gemachten Vorschläge zur Beschäftigungssicherung nach §
92 a BetrVG verhandelt haben. Unstreitig ist im Verhandlungstermin vom 26.01.2009
über die insoweit vom Betriebsrat gemachten Vorschläge verhandelt worden. Auf die
55
erneut gemachten Vorschläge des Betriebsrats im Schreiben vom 27.01.2009 hat die
Beklagte mit Schreiben vom 28.01.2009 erklärt, die Vorschläge des Betriebsrats seien
nicht akzeptabel und weitere Verhandlungen ausdrücklich und endgültig abgelehnt.
Die Arbeitgeberin war auch nicht verpflichtet, vor Einrichtung einer Einigungsstelle
erneut mit dem Betriebsrat über die von ihm gemachten Vorschläge zur
Beschäftigungssicherung nach § 92 a BetrVG zu verhandeln. Richtig ist zwar, dass der
Arbeitgeber nach § 92 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG verpflichtet ist, die Vorschläge mit dem
Betriebsrat zu beraten. Hierzu kann auch ein Vertreter der Bundesagentur für Arbeit
hinzugezogen werden. Das in § 92 a BetrVG vorgesehene Verfahren ist aber nicht
gegenüber Interessenausgleichsverhandlungen gemäß § 112 BetrVG vorgreiflich. Zu
Recht steht die Arbeitgeberin auf dem Standpunkt, dass die §§ 111 ff. BetrVG § 92 a
BetrVG als lex specialis verdrängen. § 92 a BetrVG stellt lediglich einen
Auffangtatbestand dar, der dem Betriebsrat die Möglichkeit geben soll, Maßnahmen zur
Beschäftigungssicherung und -förderung auch dann anzuregen, wenn ihm keine
besonderen Beteiligungsrechte zustehen. Liegen dagegen die tatbestandlichen
Voraussetzungen eines Beteiligungsrechts vor, so schließt der besondere
Beteiligungstatbestand einen Rückgriff auf die allgemeine Vorschrift des § 92 a BetrVG
aus (GK/Kraft/Raab, BetrVG, 8. Aufl., § 92 a Rn. 38; GK/Oetker, a.a.O., § 111 Rn. 170;
Lingemann, NZA 2002, 934, 942). Dies ergibt sich bereits aus der in § 92 a Abs. 2 Satz
2 BetrVG vorgesehenen Begründungspflicht. Die vom Betriebsrat vertretene Auffassung
würde dazu führen, dass der Betriebsrat bei einem Scheitern der Verhandlungen über
einen Interessenausgleich gemäß §§ 111, 112 BetrVG vom Arbeitgeber eine schriftliche
Begründung verlangen könnte, bevor er die Einigungsstelle anruft. Dies sehen die §§
111 ff. BetrVG aber nicht vor. Außerdem könnte der Betriebsrat nach Beginn des
Verfahrens vor der Einigungsstelle über § 92 a Abs. 2 Satz 3 BetrVG auch im Rahmen
von Interessenausgleichsverhandlungen jeder Zeit einen Vertreter der Bundesagentur
für Arbeit hinzuziehen, obgleich weder § 87 BetrVG eine solche Möglichkeit gar nicht
vorsieht und § 112 Abs. 2 Satz 3 BetrVG die Hinzuziehung vom Ersuchen des
Vorsitzenden der Einigungsstelle abhängig macht (GK/Kraft/Raab, a.a.O., § 92 a Rn.
37).
56
Das Vorschlagsrecht des Betriebsrats nach § 92 a BetrVG ist darüber hinaus nicht als
Mitbestimmungsrecht ausgestaltet. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, einen
entsprechenden Betriebsratsvorschlag umzusetzen, selbst wenn er ihn für geeignet hält
(Fitting, a.a.O., § 92 a Rn. 6 und 9; Lingemann, NZA 2002, 934, 942). § 92 a BetrVG
erhält kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht. Anders als bei § 87 BetrVG oder § 111
BetrVG kann der Betriebsrat im Rahmen des § 92 a BetrVG nicht die Einigungsstelle
anrufen. Bei einer Verletzung der Beratungspflicht nach § 92 a BetrVG durch den
Arbeitgeber gibt es auch keinen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats (Lingemann,
NZA 2002, 934, 942; ErfK/Kania, 9. Aufl., § 92 a BetrVG Rn. 1; vgl. auch: BAG,
18.10.2006 – 2 AZR 434/05 – NZA 2007, 552 = DB 2007, 810). Hieraus folgt, dass
Betriebsänderungen nach §§ 111 ff. BetrVG nicht über § 92 a BetrVG verzögert oder
blockiert werden können. Der Betriebsrat kann vielmehr seine Vorschläge zur
Beschäftigungssicherung auch im Interessenausgleichsverfahren und im Verfahren vor
der Einigungsstelle einbringen (vgl. Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 11. Aufl., § 92 a Rn.
3).
57
Auch der Hinweis des Betriebsrats auf Art. 8 Abs. 2 der EG-Richtlinie zur Unterrichtung
und Anhörung 2002/14/EG vom 11.03.2002 führt zu keinem anderen Ergebnis. Richtig
ist zwar, dass der Gesetzgeber in § 92 a BetrVG keine Sanktionsmöglichkeiten für den
58
Fall vorgesehen hat, dass der Arbeitgeber seiner Beratungs- und Begründungspflicht
nicht oder nicht ausreichend nachkommt. Dies hat jedoch nicht die Konsequenz, dass
das Verfahren nach § 92 a BetrVG in jedem Fall einem Interessenausgleichsverfahren
nach §§ 111 ff. BetrVG vorgeschaltet wäre. Dem Sanktionszweck ist jedenfalls im
Rahmen von Interessenausgleichsverfahren in § 113 BetrVG ausreichend Rechnung
getragen worden. Zudem kann die Weigerung eines Arbeitgebers, über Vorschläge des
Betriebsrats zur Beschäftigungssicherung zu beraten und/oder eine entsprechende
Begründung abzugeben, eine grobe Pflichtverletzung im Sinne des § 232 Abs. 3 BetrVG
darstellen. Schließlich ist der Betriebsrat, worauf bereits hingewiesen worden ist, nicht
gehindert, seine Vorschläge zur Beschäftigungssicherung auch in
Interessenausgleichs- und Einigungsstellenverhandlungen einzubringen. Einer
weitergehenden Sanktion bedarf es danach nicht.
2. Das Arbeitsgericht hat den Hilfsantrag des Betriebsrats auch zu Recht als
unbegründet abgewiesen. Für Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplans
aus Anlass der geplanten Betriebsänderung ist die Einigungsstelle offensichtlich
unzuständig.
59
a) Die Unzuständigkeit der Einigungsstelle ergibt sich aus § 112 a Abs. 2 BetrVG.
Hiernach findet § 112 Abs. 4 und 5 BetrVG keine Anwendung auf Betriebe eines
Unternehmens in den ersten vier Jahren nach seiner Gründung.
60
Unstreitig ist der Betrieb der Arbeitgeberin erst am 15.02.2008 gegründet worden.
Hiernach ist der Abschluss eines Sozialplans, obgleich eine Betriebsänderung im Sinne
des § 111 BetrVG geplant ist, nicht erzwingbar. Die Betriebsparteien können lediglich
freiwillig einen Sozialplan vereinbaren. Der Gesetzgeber wollte mit der Befreiung von
der Sozialplanpflicht generell die Neugründung von Unternehmen erleichtern (Fitting,
a.a.O., §§ 112, 112 a Rn. 106; GK/Oetker, a.a.O., § 112, 112 a Rn. 242).
61
b) Entgegen der Rechtsauffassung des Betriebsrats ist die Einigungsstelle auch für
bloße Verhandlungen über einen Sozialplan offensichtlich unzuständig. Richtig ist zwar,
dass § 112 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG lediglich die Anwendung der Absätze 4 und 5 von §
112 BetrVG ausschließt. Hieraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass damit –
bei nicht erzwingbarem Sozialplan – ein Verhandlungsanspruch des Betriebsrats über
einen Sozialplan erzwingbar wäre. In § 112 Abs. 4 und 5 BetrVG ist geregelt, wie
verfahren werden muss, wenn eine Einigung über einen Sozialplan nicht zustande
kommt. Die in § 112 Abs. 4 und 5 BetrVG enthaltene Regelung betrifft aber lediglich
einen erzwingbaren Sozialplan. Die Einigungsstelle nach dem
Betriebsverfassungsgesetz ist lediglich für erzwingbare Mitbestimmungsrechte
zuständig. Ist der Abschluss eines Sozialplans aber nicht erzwingbar, kann es auch
keinen Anspruch des Betriebsrats geben, über einen Sozialplan zu verhandeln. Dass
die Arbeitgeberin im vorliegenden Verfahren im Vorfeld mit dem Betriebsrat über den
Abschluss eines freiwilligen Sozialplans verhandelt hat, bedeutet aber nicht, dass sie
hiermit einen Verhandlungsanspruch des Betriebsrats begründet hätte. Gäbe es einen
Verhandlungsanspruch, wäre dieser sinnlos, weil diesem Verhandlungsanspruch kein
Anspruch auf Abschluss eines Sozialplans folgt.
62
III.
63
Die Bestellung des Vorsitzenden der danach einzurichtenden Einigungsstelle sowie die
Zahl der Beisitzer sind zwischen den Beteiligten nicht im Streit
64