Urteil des LAG Hamm vom 08.07.2005

LArbG Hamm: unwirksamkeit der kündigung, unechte rückwirkung, wirtschaftliche einheit, eugh, gemeinschaftsrechtskonforme auslegung, gesellschafter, tschechien, massenentlassung, geschäftsführer

Landesarbeitsgericht Hamm, 7 Sa 684/05
Datum:
08.07.2005
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 Sa 684/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Iserlohn, 5 Ca 2494/04
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 8 AZR 480/05 Rücknahme 14.03.07
Schlagworte:
Massenentlassung, Anzeigepflicht, Kündigung, Vertrauensschutz,
Teilbetriebsübergang
Normen:
§§ 17, 18, 1 Abs. 2 KSchG, § 613 a Abs. 1 u. 4 BGB
Leitsätze:
Mit Urteil des EuGH vom 27.01.2005 - C 188/03 - wurde der nationale
Gesetzgeber
aufgefordert, die §§ 17, 18 KSchG an die Ratsrichtlinie 98/59/EG vom
20.07.1998 entsprechend seiner Auslegung (Entlassung = Kündigung)
anzupassen. Der private Arbeitgeber ist hieraus noch nicht verpflichtet,
zumal eine Richtlinien konforme Auslegung über die allgemeinen
Auslegungskriterien nicht erreicht werden kann.
Rechtskraft:
Die Revision wird zugelassen
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn
vom 08.02.2005 - 5 Ca 2494/04 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten darüber, ob das seit dem 15.08.1988 bestehende Arbeitsverhältnis
aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Kündigung der Beklagten vom 26.07.2004 mit
dem 31.12.2004 beendet worden ist oder darüber hinaus fortbesteht.
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Die Beklagte war Zulieferer der Automobilindustrie. Ihre Kunden waren u. a. die VW AG,
Daimler-Chrysler, BOS, Fanrecea, Zauner, Lemförder etc.. Die Beklagte war für die
Automobilindustrie zertifiziert. Sie belieferte diese Kunden weltweit. Von der
Automobilindustrie bzw. von Zulieferern der Automobilindustrie war sie eingebunden in
die Großserienproduktion von 100.000 bis 800.000 Stück pro Kalenderjahr. Produziert
wurden u. a. Schaltgestänge, Schalthebel und Halterungen für Auspuffanlagen.
Zulieferer der Automobilindustrie waren ebenfalls die D4xx C4 und die D4xx U3. Beide
3
Unternehmungen waren jedoch nicht zertifiziert. In 2002 hat in A1xxxx die D4xx
K1xxxxxxxxxxx GmbH eine eigenständige Produktion auf diesem besonderen
Fachgebiet aufgenommen. Die K1xxxxxxxxxxx beliefert u. a. die Fa. B3xxx mit
hochwertigen Schrauben. Gesellschafter dieser GmbH sind neben U2xxxx H4xxxxx und
A2xxxxxx S5xxx, der Sohn des Gesellschafters/Geschäftsführers der Beklagten,
M3xxxxx D4xx, der zugleich Mitgeschäftsführer der Beklagten war. Geschäftsführer
dieser Gesellschaft sind U2xxxx H4xxxxx, zugleich Prokurist der Beklagten und
A2xxxxxx S5xxx.
Die Beklagte produzierte in acht Hallen. In einer Halle – der Halle 7 – betrieb sie ein
Hochregallager. Für ihre kaufmännischen Aufgaben nutzte sie ein mehrstöckiges
Bürogebäude. Sie beschäftigte zeitweise bis zu 180 Mitarbeiter. Bedingt durch die
Absatzprobleme der Automobilindustrie verringerte sich ihre Belegschaft bis Mitte 2004
auf nahezu 100 Arbeitnehmer. Da in 2004 ein weiterer Umsatzrückgang von nahezu 20
% festgestellt wurde - verursacht durch die weiter fortbestehenden Absatzprobleme in
der Automobilindustrie, die Rückholung von Fremdvergaben in die Produktionsstätten
der Automobilindustrie und den Verlust von Aufträgen aufgrund technischer Probleme –
entschloss sich der Gesellschafter/Geschäftsführer R3xx D4xx zur Stilllegung der
Produktion der Beklagten. Diesen Beschluss formulierte er schriftlich am 22.07.2004.
Nach seinen Vorstellungen sollte die Produktion endgültig zum 31.03.2005 eingestellt
sein. Zugleich beauftragte er die Geschäftsführung, den Arbeitnehmern zeitnah unter
Beachtung der unterschiedlichen Kündigungsfristen zu kündigen und alle darüber
hinaus notwendigen Maßnahmen zu treffen. Aus diesem Anlass fertigte die Beklagte am
26.07.2004 nahezu 100 Kündigungsschreiben. Hiervon war auch die Klägerin betroffen.
Am 27.07.2004 reichte der Prokurist U2xxxx H4xxxxx die erste
Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit Iserlohn, Büro Werdohl, ein. Eine
weitere Anzeige erfolgte am 28.10.2004.
4
Nach Zugang der Kündigung wurde am 06.08.2004 die A3x W3xxxxxxxxxxxxx GmbH,
N1xxxxxxx, gegründet. Geschäftsgegenstand dieser Gesellschaft ist die Konstruktion
und Entwicklung von Einzelteilen (Prototypen) und die Fertigung von Kleinserien.
Gesellschafter sind zu gleichen Teilen die D4xx K1xxxxxxxxxxxxx GmbH A1xxxx und
M3xxxxxx D4xx. Zu Geschäftsführern wurden A2xxxxxx S5xxx und U2xxxx H4xxxxx
bestellt. Die A3x hat ihre Tätigkeit Anfang Oktober 2004 aufgenommen. Sie setzt neun
CNC-Pressen und –Biegemaschinen und fünf Schweißanlagen aus dem früheren
Maschinenpark der Beklagten ein.
5
Mit der beim Arbeitsgericht Iserlohn am 03.08.2004 erhobenen Klage wehrt sich die am
27.10.1964 geborene Klägerin und seit dem 15.08.1988 bei der Beklagten als
Maschinenarbeiterin zum monatlichen Bruttoentgelt von 1.600,00 € tätige Klägerin
gegen die ihr am 27.07.2004 zugegangene Kündigung. Zur Begründung hat sie die
Auffassung vertreten, diese Kündigung sei nicht geeignet, das zur Beklagten
bestehende Arbeitsverhältnis zum 31.12.2004 zu beenden. Diese Kündigung sei
nämlich sozialwidrig im Sinne des § 1 Abs. 1 KSchG. Entgegen ihrer Ankündigung sei
die Beklagte nicht in der Lage, betriebsbedingte Gründe vorzutragen. Schließlich
befänden sich in ihren Hallen weiterhin Mehrstufenpressen, an denen gearbeitet werde.
Zudem habe die Beklagte die Grundsätze der sozialen Auswahl nicht hinreichend
beachtet. Aus diesen Gründen sei sie verpflichtet, sie über das Kündigungsende
hinausgehend zu beschäftigen.
6
Die Klägerin hat beantragt,
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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht
durch die Kündigung der Beklagten vom 26.07.2004 – zugegangen am
27.07.2004 – aufgelöst worden ist;
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2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu Ziff. 1 die Beklagte zu
verurteilen, sie zu unveränderten Arbeitsbedingungen
weiterzubeschäftigen.
9
Die Beklagte hat beantragt,
10
die Klage abzuweisen.
11
Sie bewertet die Klage als unbegründet. Hierzu hat sie behauptet, in ihrer Gesellschaft
bestehe für die Klägerin kein Beschäftigungsbedarf mehr. Sie habe den
Stilllegungsbeschluss vom 22.07.2004 unverzüglich umgesetzt, indem sie die
kündbaren Arbeitsverhältnisse am 26.07.2004 aufgekündigt, eine Massenentlassung
am 27.07.2004 angezeigt, ihre Kunden über den Beschluss vom 22.07.2004 in Kenntnis
gesetzt und keine neuen Aufträge (Kunden) angenommen habe. Sie habe zugleich
damit begonnen, die Verlagerung von Doppeldruckpressen, Pressen, Biegemaschinen
und Schweißanlagen nach Tschechien und Großbritannien vorzubereiten. Im Rahmen
der bestehenden Aufträge habe sie vorproduziert und diese Produktion im
Hochregallager zwischengelagert. Die für die Produktion nicht mehr benötigten
Schweißanlagen (BT01/B11/B13/B17/B18) sowie Bieger und Pressen (P1/P11/P25)
habe sie nach Ausspruch der Kündigungen stillgelegt. Mit dem Abtransport von
Maschinen habe sie Ende September (28., 29. und 30.09.2004) begonnen. Ihre
Kundenbeziehungen sollten nach Einstellung der Produktion vor Ort über die D4xx C4,
die eine Zertifizierung im Automotiv-Bereich anstrebe, und über die D4xx U3 fortgesetzt
werden. Zu diesem Zweck seien nach Tschechien insgesamt acht Pressen und Bieger
und fünf Schweißanlagen sowie nach Großbritannien eine Schweißanlage und drei
Pressen bzw. Bieger sowie eine Großanlage OMCD verlagert worden. Zwei Maschinen
(D2 und P21) seien zur K1xxxxxxxxxxx GmbH, A1xxxx, transportiert worden. Eine
Maschine (P15) werde zum Hersteller zurückgebracht. Zusätzlich seien zwei Maschinen
verschrottet und drei Maschinen "endgültig" außer Betrieb gesetzt worden. Die zu
verlagernden Maschinen habe sie nach der Vorproduktion demontieren und umfassend
reinigen lassen. Diese Maßnahmen hätten es ihr ermöglicht, schon im September 22
Mitarbeiter während der noch laufenden Kündigungsfristen frei zu stellen. Parallel zu
den Kündigungen und zur Massenentlassungsanzeige habe sie beim Integrationsamt
um Zustimmung zur Entlassung von drei beschäftigten schwerbehinderten Menschen
nachgesucht. Nach erteilter Zustimmung habe sie auch diesen Mitarbeitern gekündigt.
Die befristeten Arbeitsverhältnisse habe sie auslaufen lassen. Entgegen früherer
Handhabung habe sie keine neuen Ausbildungsverhältnisse begründet. Ihre Produktion
habe sie endgültig eingestellt. Mit Ausnahme ihres Prokuristen und der im ruhenden
Arbeitsverhältnis befindlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftige sie keine
Arbeitnehmer mehr.
12
Mit Urteil vom 08.02.2005 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat es u. a. ausgeführt, die Kündigung sei durch dringende betriebliche
Erfordernisse bedingt. Hierfür genüge der Entschluss vom 22.07.2004, die Produktion
befristet auslaufen zu lassen um sie sodann endgültig einzustellen, zumal dieser
Entschluss durch die Beklagte tatsächlich umgesetzt worden sei. Hierfür sprächen die
13
nachfolgenden Umstände: Keine Annahme von Neuaufträgen, Kündigung aller
Arbeitnehmer zum nächst möglichen Termin, Anzeige einer Massenentlassung, Einsatz
eigener Arbeitnehmer zur Abproduktion, Bekanntgabe der Stilllegungsabsicht nach
außen, Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes zur Entlassung
schwerbehinderter Arbeitnehmer, Freistellung von Arbeitnehmern während der
Kündigungsfrist sowie die Verlagerung erheblicher Teile des Maschinenparks nach
Tschechien, Großbritannien und an ein in Neuenrade ansässiges Unternehmen. Die
umfassende Umsetzung dieses Stilllegungsentschlusses sei u. a. deshalb zu
unterstellen, zumal die Klägerin das Vorbringen der Beklagten nicht substantiiert
bestritten habe. Die Kündigung sei auch nicht aus anderen Gründen sozial
ungerechtfertigt bzw. rechtsunwirksam. Aufgrund endgültiger Produktionseinstellung
und Entlassung aller Arbeitnehmer könne eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten
nicht verlangt werden. Eine Verletzung der Bestimmungen zur Massenentlassung sei
nicht erkennbar; ebenso wenig eine Rechtsunwirksamkeit der Kündigung aus den
Gründen des § 613 a Abs. 1 und 4 BGB. Die Übertragung von Betriebsteilen sei weder
in Bezug auf die D4xx C4 und die D4xx U3 noch in Bezug auf die A3x
W3xxxxxxxxxxxxx, N1xxxxxxx, zu erkennen. Die Verlagerung jeweils eines Teils des
früheren Maschinenparks bewirke nicht die Wahrung der Identität des vorausgehenden
Produktionsbetriebes. Hieraus folge konsequent, dass eine Weiterbeschäftigung nicht
durchgesetzt werden könne.
Gegen dieses, ihr am 11.03.2005 zugestellte, vorgetragene und wegen der sonstigen
Einzelheiten in Bezug genommene Urteil hat die Klägerin am 08.04.2005 Berufung
eingelegt, die am 09.05.2005 begründet worden ist. Die Klägerin greift das
angefochtene Urteil in vollem Umfang an. Zur Begründung vertritt sie die Auffassung,
die Kündigung sei nicht nur sozial ungerechtfertigt sondern auch wegen Nichteinhaltung
der Anzeigepflicht vor Ausspruch der Kündigung rechtsunwirksam. Die Beklagte habe
nicht erkannt, dass nach Überzeugung des EuGH die Anzeige vor der
Kündigungserklärung zu erfolgen habe und dass die Nichtbeachtung dieses
Grundsatzes zur individual-rechtlichen Rechtsunwirksamkeit der Kündigung führe.
Entgegen der Bewertung im angefochtenen Urteil sei auch festzuhalten, dass ihr
Arbeitsplatz nicht weggefallen sei. Sie habe im Bereich der automatischen CNC-
Maschinen, dem sog. Mittelgang, gearbeitet. Diesen Mittelgang habe die A3x
übernommen. Die Maschinen würden von früheren Mitarbeitern der Beklagten bedient.
Da der Mittelgang als Betriebsteil i. S. des § 613 a Abs. 1 BGB zu werten sei, sei ihr
Arbeitsverhältnis auf die A3x übergegangen; zumindest sei die Beklagte gehalten
gewesen, bei reiner Personalreduzierung eine Auswahl nach sozialen Kriterien
vorzunehmen.
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Mit Schriftsatz vom 27.06.2005 trägt die Klägerin ergänzend vor, sie bezweifle weiterhin
einen Stilllegungsbeschluss und dessen Umsetzung. Die A3x habe nämlich nicht nur
einen Betriebsteil übernommen; sie führe vielmehr den Betrieb der Beklagten fort. Dies
sei darüber erkennbar, dass die A3x die gesamte Produktion der Beklagten weiter
betreibe; dies einschließlich Einkauf, Verkauf, Verwaltung und Versand. Die A3x
bestelle auf dem Briefkopf der Beklagten Rohprodukte bei den früheren Lieferanten der
Beklagten. Sie beliefere zudem die früheren Kunden der Beklagten. Letztlich
beschäftige sie weit mehr als 50 % der früheren Produktionsmitarbeiter der Beklagten.
Sie schließe hieraus, dass die A3x für die Beklagte bzw. in deren Abhängigkeit
produziere. Unter dem 21.09.2004 sei von R3xx D4xx ein Organisationspapier für die
D4xx Gruppe erstellt worden. Darin erscheine die D4xx GmbH & Co. KG als H7xxxxx-
Gesellschaft. Konzernzugehörig seien die Beklagte, die D4xx T1x GmbH, die D4xx C4,
15
die D4xx U3, die D4xx USA (in Planung), die K1xxxxxxxxxxxxx GmbH und die A3x.
Diese Firmen stünden in Abhängigkeit zur Beklagten. Die D4xx T1x habe konsequent
hierzu unter dem 23.10.2004 als Familienunternehmen mit 180 Mitarbeitern geworben
(obwohl sie unmittelbar lediglich drei Arbeitnehmer beschäftige) und sich dargestellt als
Entwickler und Produzent von anspruchsvollen Baugruppen und Einzelkomponenten
aus Metall. Letztlich bezweifelt er ein eigenständiges Handeln der A3x. Seiner Meinung
nach beliefere die Beklagte mit Hilfe der A3x weiterhin die VW AG mit Haltern für die
Plattform PQ34, für den Lupo, für den Golf V/IV, mit Haltebügeln für den New Beetle
Cabrio und mit 13 verschiedenen Haltern für VW T5. Zudem beliefere die Beklagte
durch die A3x die I2x W2xxxx mit Schubstangen, die CTS Fahrzeugdachsysteme, die
Langforderschaltsysteme mit Wahlhebeln für BMW. Die A3x nutze die
Geschäftsbeziehungen der Beklagten zu früheren Zuliefern und bestelle bei diesen
Rohprodukte auf dem Briefkopf der Beklagten.
Die Klägerin beantragt,
16
unter Abänderung des angefochtenen Urteils
17
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch
die Kündigung der Beklagten vom 26.07.2004, zugegangen am
27.07.2004, weder zum 31.12.2004 noch zu einem anderen Termin
aufgelöst worden ist;
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2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu
verurteilen, die Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen als
Schweißerin weiterzubeschäftigen.
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Die Beklagte beantragt,
20
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
21
Sie bewertet weiterhin die Kündigung als rechtswirksam. Zur Begründung führt sie aus,
mit der Auslegung: "Kündigung = Entlassung" wende sich der EuGH an den nationalen
Gesetzgeber und nicht an den privaten Arbeitgeber. Der Gesetzgeber sei deshalb
gehalten, die Bestimmungen zur Massenentlassung entsprechend anzupassen, zumal
eine richtlinienkonforme Auslegung mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen sei.
Zudem genieße sie Vertrauensschutz. Sie habe in Anwendung der gefestigten
Rechtsprechung des BAG (trotz Kenntnis des Vorlagebeschlusses des Arbeitsgerichts
Berlin vom 30.04.2003) nach Gesetz gehandelt. Letztlich dürfte eine evtl.
Nichteinhaltung dieser Bestimmungen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung führen.
Auch diesbezüglich berufe sie sich auf die gefestigte Rechtsprechung des BAG. Sie
bekräftigt zudem die Ausführungen des angefochtenen Urteils zur
Produktionseinstellung und trägt hierzu vor, sie habe ihre Produktion spätestens Ende
Dezember 2004 beendet. Sie vertritt hierzu die Auffassung, ihr Betrieb sei nicht von der
A3x übernommen worden. Sie habe ihren Maschinenpark aufgelöst, ihre
Betriebsorganisation sei nicht mehr vorhanden. Zudem produziere die A3x lediglich in
einer Halle, nutze weder das Hochregallager noch das Bürogebäude. Die A3x sehe ihr
Schwergewicht der
22
unternehmerischen Tätigkeit auf dem Gebiet der Entwicklung und Konstruktion und
produziere Auspuffhalter bzw. Schaltgestänge lediglich in Kleinserien. Die A3x
23
unterscheide sich insofern von ihrer Unternehmensform, zumal sie überwiegend im
Rahmen von Großserien beteiligt worden sei. Diese Großserien habe sie in der Form
der Inselfertigung abgearbeitet. Für die Kleinserienfertigung habe die A3x eine
automatische Linienfertigung aufgebaut. Kleinserien hätten ein Volumen von 150 bis
200 Stück. Dies erfordere ein ständiges Umrüsten der Maschinen. Für die
Linienfertigung habe die A3x zum Teil neue Maschinen, u. a. einen Cloosroboter
(Schweißmaschine B997) und einen Roboter mit TCP Vermessungseinheit, Drehtisch
und Werkzeugaufspannvorrichtung (Schweißanlage B19) beschafft. Diese Technik
habe die Beklagte zu keiner Zeit vorgehalten. Zur Überwachung dieser automatischen
Maschinen benötige sie Fachpersonal. Ihrer Meinung nach habe die A3x auch keinen
Be-triebsteil aus ihrem Unternehmen übernommen. Den sog. Mittelgang habe sie nicht
als solchen vorgehalten. Zudem beschäftige die A3x einschließlich der
Fremdeinstellungen erheblich weniger Mitarbeiter als von der Klägerin angegeben.
Entgegen den Andeutungen der Klägerin produziere sie nicht mittels A3x. Dass von der
Klägerin angesprochene
Organisationspapier halte lediglich ein Gedankenmodell fest. Eine H7xxxxx existiere
tatsächlich nicht. Eine gesellschaftsrechtliche Verflechtung mit beherrschender Leitung
der Beklagten bestünde unter den angesprochenen Gesellschaften nicht. Die Beklagte
wickle nur bestehende Verträge ab. In diesem Rahmen habe sie die A3x, die D4xx C4
und die D4xx U3 als Subunternehmer eingeschaltet. Neugeschäfte sei sie nicht
eingegangen.
24
Wegen der sonstigen Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze verwiesen.
25
Das Berufungsgericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des 51-
jährigen Betriebswirts und Prokuristen U2xxxx H4xxxxx sowie des 32-jährigen
Industriemechanikers M4xx L2xxx als Zeugen. Bezüglich des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 08.07.2004 (Bl. 105 –
111 der Akten) verwiesen.
26
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
27
Die nach der Beschwer (§ 64 Abs. 2 ArbGG) statthafte, form- sowie fristgerecht
eingelegte und begründete Berufung der Klägerin (§§ 66 Abs. 1 S. 1 und 2, 64 Abs. 6
ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO) hat keinen Erfolg.
28
A.
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Die gem. § 256 ZPO allgemein zulässige und in der Frist des § 4 KSchG erhobene
Feststellungsklage der Klägerin ist nicht begründet. Die Kündigung der Beklagten ist
vielmehr durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die einer
Weiterbeschäftigung der Klägerin auf Dauer entgegenstehen (§ 1 Abs. 1, Abs. 2 S. 1
KSchG (I)). Die Kündigung ist auch nicht aus sonstigen Gründen wie z. B. wegen
Verstoßes gegen § 613 a Abs. 1 und 4 BGB oder wegen Nichtbeachtung der §§ 17, 18
KSchG rechtsunwirksam (II).
30
I.
31
Die Kündigung vom 26.07.2004 ist nicht sozial ungerechtfertigt i. S. des § 1 Abs. 1
32
Die Kündigung vom 26.07.2004 ist nicht sozial ungerechtfertigt i. S. des § 1 Abs. 1
KSchG. Sie ist vielmehr durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, die der
Weiterbeschäftigung der Klägerin auf Dauer entgegenstehen (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG).
Dringende betriebliche Erfordernisse können sich aus innerbetrieblichen Umständen
wie z. B. der Umstellung der Produktion oder Schließung einer Abteilung oder durch
außerbetriebliche Umstände wie z. B. Umsatzrückgänge ergeben. Dringend sind
betriebliche Erfordernisse dann, wenn sie eine Kündigung im Interesse des Betriebes
notwendig machen. Auftragsmangel kann eine betriebsbedingte Kündigung dann
rechtfertigen, wenn durch ihn die anfallende Arbeit soweit zurückgeht, dass für einen
oder mehrere Arbeitnehmer das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung entfällt und die
Kündigung nicht durch innerbetriebliche Maßnahmen vermieden werden kann. Das
Arbeitsgericht ist hierbei gehalten zu überprüfen, ob eine unternehmerische
Entscheidung vorliegt, die den endgültigen Verlust des Arbeitsplatzes bewirkt und ob
diese Entscheidung offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Auf ihre
sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit kann eine Unternehmerentscheidung
nicht überprüft werden (BAG, Urteil vom 17.06.1999 – 2 AZR 522/98 –).
32
Zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen gehört die Stilllegung des gesamten
Betriebes durch den Arbeitgeber. Die bloße Einstellung der Produktion bedeutet
allerdings noch keine Betriebsstilllegung. Unter Betriebsstilllegung ist vielmehr die
Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und
Produktionsgemeinschaft zu
33
verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin
findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen
Absicht einstellt, die Verfolgung des bisherigen Betriebszwecks dauernd oder für eine
ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter
zu verfolgen. Der Arbeitgeber muss endgültig entschlossen sein, den Betrieb
stillzulegen. Demgemäß ist von einer Stilllegung auszugehen, wenn der Arbeitgeber
seine Stilllegungsabsicht unmissverständlich äußert, allen Arbeitnehmern kündigt,
etwaige Mietverträge zum nächst möglichen Zeitpunkt auflöst, die Betriebsmittel, über
die er verfügen kann, veräußert und die Betriebstätigkeit vollständig einstellt.
Abgeschlossen ist die Stilllegung erst dann, wenn die Arbeitsverhältnisse der
Arbeitnehmer beendet sind (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. hierzu z. B. Urteil
vom 16.05.2002 – 8 AZR 319/01 – AP Nr. 237 zu § 613 a BGB; Urteil vom 24.02.2005 –
2 AZR 214/04 –). Der Arbeitgeber ist allerdings nicht gehalten, eine Kündigung erst
nach Durchführung der Stilllegung auszusprechen. Es kommt auch eine Kündigung
wegen beabsichtigter Stilllegung in Betracht. Wird die Kündigung auf die künftige
Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, so kann sie ausgesprochen
werden, wenn die betreffenden betrieblichen Umstände greifbare Formen angenommen
haben. Solche greifbaren Formen liegen vor, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der
Kündigung aufgrund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen Betrachtung davon
auszugehen ist, zum Zeitpunkt des Kündigungstermins sei mit einiger Sicherheit der
Eintritt eines die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben
(BAG, a. a. O., mit weiteren Hinweisen auf die ständige Rechtsprechung des BAG).
34
1. Der Beklagten ist es gelungen, diese Voraussetzungen nachzuweisen. Die
Beklagte hat durch ihren Gesellschafter/Geschäftsführer letztendlich am
22.07.2004 den zuvor gereiften Entschluss formal fixiert, den Betrieb zum
31.03.2005 stillzulegen. Zugleich hat er mit diesem Beschluss die
Geschäftsführung beauftragt, alles Erforderliche zu veranlassen, um diesen
Entschluss so zeitnah als möglich umzusetzen. Die
35
Arbeitsverhältnisse sollten unter Berücksichtigung der Kündigungsfrist und unter
Beachtung von produktionstechnischen Gegebenheiten beendet werden. Dass
dieser Beschluss so gefasst wurde, hat der Prokurist der Beklagten, U2xxxx
H4xxxxx, als Zeuge bestätigt. Er war nach seiner Einlassung bei der
Unterzeichnung zugegen. Er hat die aus-zuführenden Hinweise
entgegengenommen.
36
Dieser Entschluss wurde auch entsprechend den Vorstellungen des
Gesellschafter/Geschäftsführers zeitnah realisiert. Die Arbeitsverhältnisse der
kündbaren Arbeitnehmer wurden am 26.07.2004 aufgekündigt. Am 27.07.2004
wurde bei der Agentur für Arbeit Iserlohn, Büro Werdohl, die erste
Massenentlassungsanzeige eingereicht. Zeitgleich hat die Beklagte bei dem
Integrationsamt um Zustimmung zur Entlassung der drei schwerbehinderten
Arbeitnehmer gebeten. Auch ihnen wurde nach erteilter Zustimmung gekündigt.
Diesen personellen Vollzug des Entschlusses hat der Zeuge H4xxxxx ebenfalls
aus eigener Kenntnis bestätigt. Als Personalleiter habe er die Kündigungen
unterschrieben und veranlasst, dass diese zur Post gegeben wurden. Persönlich
habe er am 27.07.2004 gegen 10 Uhr die Massenentlassungsanzeige bei der
Agentur für Arbeit eingereicht. Danach hätten in den Räumen der Beklagten
ausführliche Unterredungen zwischen Mitarbeitern der Agentur und den
betroffenen Arbeitnehmern stattgefunden. Er hat zudem bestätigt, dass das
Integrationsamt zur beabsichtigten Kündigung der Schwerbehinderten beteiligt
wurde. Dessen Zustimmung lag am 10.08.2004 vor.
37
Zur weiteren Ausführung dieses Beschlusses wurde die sog. Ausproduktion
eingeleitet. Die Beklagte hat im Rahmen der bestehenden Verträge vorproduziert,
um Schweißmaschinen, Doppeldruckpressen, Pressen und Bieger zur
Verlagerung nach Tschechien, Großbritannien und Altena demontieren und
reinigen zu können. Zeit-gleich wurde von Fremdfirmen die hierfür notwendig
werdende Logistik vorbereitet. Maschinen wurden ab Ende September fortlaufend
abtransportiert. Auch diese Angaben hat der Zeuge H4xxxxx bestätigt. Er hat
ausgeführt, die Verlagerung der Maschinen und die damit verbundene
Vorproduktion sei Bestandteil des Entschlusses vom 22.07.2004 gewesen. Der
Maschinentransport habe der Erweiterung der in Tschechien und Großbritannien
vorhandenen Kapazität gedient. D4xx C4 habe, wie zur Akte gelangt, weitere
Flächen angemietet, um diese Maschinen in den bisherigen Maschinenpark
eingliedern zu können. Der Abtransport sei wie geplant erfolgt. Hierzu gehöre auch
die Verlagerung von zwei Maschinen zur K1xxxxxxxxxxxxx GmbH, A1xxxx. Nach
seinen weiteren Begründungen habe diese Maßnahme dazu geführt, dass im
September 2004 insgesamt 22 Mitarbeiter hätten freigestellt werden können.
38
Diesen Entschluss unterstützend hat die Beklagte alle befristeten Verträge
auslaufen lassen. Sie hat sich darum bemüht, für den Auszubildenden einen
anderen Ausbildungsplatz zu finden. Entgegen ihrer früheren Handhabung hat sie
im Sommer 2004 kein neues Ausbildungsverhältnis begründet. Sie hat darüber
hinaus keinen neuen Auftrag angenommen. Dies alles ist entweder unstreitig oder
vom Zeugen H4xxxxx bestätigt worden. Hinzu kommt, dass die Beklagte ihren
Entschluss u. a. durch den Zeugen H4xxxxx sowie den Mitarbeiter P5xxxxxx den
Kunden gegenüber bekannt gegeben hat.
39
Die Beklagte beschäftigt schließlich – mit wenigen Ausnahmen – keine
Arbeitnehmer mehr. Der Zeuge H4xxxxx hat in diesem Zusammenhang in seiner
Zeugenaussage darauf hingewiesen, dass die Belegschaft entweder durch
auslaufende Befristung, durch Kündigung der Beklagten, durch Aufhebungsvertrag
oder durch Eigenkündigung der Arbeitnehmer ausgeschieden seien. Auch dieser
Teil der Aussage ist zur Überzeugung der erkennenden Berufungskammer
glaubhaft. Dieser Einschätzung steht nicht entgegen, dass der Zeuge nicht in der
Lage war, die Beendigungsart und den Beendigungszeitpunkt derjenigen, von der
Klägerin aus einer Liste benannten drei bis vier Arbeitnehmer konkret darzustellen.
Diese Zurückhaltung ist nachzuvollziehen. Der Zeuge H4xxxxx hat diesen Prozess
begleitet. Er ist verständlicherweise nicht in der Lage, alle Einzelheiten im
Gedächtnis zu behalten und ohne Einsicht in die Personalunterlagen hierauf
spontan Rede und Antwort zu stehen.
40
2. Entgegen den Andeutungen der Klägerin ist die Stilllegungsabsicht der
Beklagten nicht dadurch entfallen, weil sie von Anfang an beabsichtigte ihren
Betrieb zu veräußern. Zwar ist die Veräußerung des Betriebes, wie sich aus der
Wertung des § 613 a BGB ergibt, keine Stilllegung, weil die Identität des Betriebes
gewahrt bleibt und lediglich ein Betriebsinhaberwechsel stattfindet.
Betriebsveräußerung und Betriebsstilllegung schließen sich nämlich systematisch
aus. Dabei kommt es auf das tatsächliche Vorliegen des Kündigungsgrundes und
nicht auf die vom Arbeitgeber gegebene Begründung an. Eine vom Arbeitgeber mit
einer Stilllegungsabsicht begründete Kündigung ist nur dann sozial gerechtfertigt,
wenn die geplante Maßnahme sich als
41
Betriebsstilllegung und nicht als Betriebsveräußerung darstellt, weil die für die
Fortführung des Betriebs wesentlichen Gegenstände einem Dritten überlassen
werden sollten, der Veräußerer diesen Vorgang aber rechtlich unzutreffend als
Betriebsstilllegung bewertet (BAG, Urteil vom 16.05.2002 – 8 AZR 319/01 – AP Nr.
237 zu § 613 a BGB).
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Eine derartige Absicht ist nicht erkennbar. Zwar wurde am 06.08.2004, folglich
zeitnah zum Stilllegungsentschluss, die A3x W3xxxxxxxxxxxxx GmbH gegründet.
Diese hat in den Räumen der Beklagten ihre Produktion Anfang Oktober 2004
aufgenommen. Sie beschäftigte zu Beginn in etwa 20 Arbeitnehmer der Beklagten
und produziert mit mindestens neun CNC-Pressen und –Bieger und fünf
Schweißmaschinen der Beklagten. Darin liegt jedoch keine Veräußerung ihres
Betriebes i. S. des § 613 a Abs. 1 BGB. Letztere war zumindest nicht beabsichtigt,
d. h. nicht vom Entschluss des Gesellschafter/Geschäftsführers erfasst.
43
a) Ein Betriebsübergang i. S. des § 613 a BGB liegt vor, wenn ein neuer
Rechtsträger die wirtschaftliche Einheit unter Wahrung von deren Identität
fortführt. Ob ein im Wesentlichen unveränderter Fortbestand der organisierten
Gesamtheit "Betrieb" bei dem neuen Inhaber anzunehmen ist, richtet sich
nach den Umständen des konkreten Falles. Zu den maßgeblichen Tatsachen
hierfür zählen insbesondere die Art des betreffenden Betriebes, der Übergang
der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter sowie
deren Wert und Bedeutung, die Übernahme der immateriellen Betriebsmittel
und der vorhandenen Organisation, der Grad der Ähnlichkeit mit der
Betriebstätigkeit des bisherigen Inhabers, die Weiterbeschäftigung der
44
Hauptbelegschaft, der Übergang von Kundschaft und
Lieferantenbeziehungen und die Dauer einer evtl. Unterbrechung der
Betriebstätigkeit (ständige Rechtsprechung des BAG im Anschluss an EuGH
vom 11.03.1997 – RsC –13/05 – AP Nr. 14 zu EWG-Richtlinie Nr. 77/187;
BAG, Urteile vom 16.05.2002 – 8 AZR 319/01 – AP Nr. 237 zu § 613 a BGB
und vom 22.07.2004 – 8 AZR 394/03). Die A3x ist nicht Rechtsnachfolgerin
der Beklagten. Sie führt nicht deren wirtschaftliche Einheit unter Wahrung
deren Identität fort. Die A3x hat lediglich einen Teil des Maschinenparks
übernommen und beschäftigt auch nur 1/5 bis 1/4 der früheren Belegschaft
der Beklagten. Entscheidend ist allerdings der unterschiedliche
Geschäftsgegenstand und die veränderte betriebliche Organisation. Die A3x
lehnt sich an die Kaltformtechnik an und bietet der Automobilindustrie
andersartige Produkte an, als dies die Beklagte konnte. Darüber hinaus ist sie
im Gegensatz zur Beklagten nicht in die Großserienfertigung eingebunden.
Dazu wäre sie auch gar nicht in der Lage. Sie beteiligt sich ausschließlich an
Kleinserien, die einen hohen Aufwand an Rüstzeiten veranlassen. Schließlich
ist die A3x ganz anders organisiert. Während die Beklagte eine für die
Massenproduktion typische Inselfertigung mit Puffern und
Zwischenlagerungen im Hochregallager vorsah, hat die A3x von Anfang an
eine Linienfertigung mit kontinuierlichem Materialverlauf eingerichtet. Um dies
zu bewerkstelligen musste sie Roboter hinzukaufen, die den Transport
zwischen den Maschinen gewährleisten. Hinzu kommt, dass die A3x nur
etwas mehr als eine Halle ohne Hochregallager und ohne Bürogebäude nutzt.
Mit diesem, vom Zeugen H4xxxxx bestätigten Sachverhalt, wird die Beklagte
nicht fortgeführt; deren Einheit wurde vielmehr aufgelöst (vgl. hierzu auch:
BAG, Urteil vom 17.06.2003 – 2 AZR 134/02 – AP Nr. 260 zu § 613 a BGB).
45
Diesen Ausführungen des Zeugen H4xxxxx stehen die Erläuterungen des
Zeugen L2xxx nicht entgegen. Er hat diese veränderte Betriebsorganisation
zwar nicht in dieser Klarheit bestätigt. Dennoch hat er etwas zurückhaltend
gemeint, die A3x unterhalte gegenüber früher eine einheitliche
Produktionslinie bis zur endgültigen Fertigstellung des Produktes. Vorher,
also bei der Beklagten seien die Maschinen verstreuter aufgestellt gewesen;
bei der Beklagten sei mehr zwischengelagert worden. Nunmehr sei alles
enger beieinander und im Ablauf besser angepasst. Außerdem fertige die A3x
Einzelaufträge während die Beklagte mit der Großteilfertigung befasst
gewesen sei.
46
b) Der Stilllegungsabsicht steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte an die
A3x einen Betriebsteil "Zwischengang" übertragen hat. Nach dem Ergebnis
der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der erkennenden
Berufungskammer fest, dass die Beklagte einen entsprechenden Betriebsteil,
dem die Klägerin zuzuordnen wäre, nicht vorgehalten hat.
47
Der Übergang eines Betriebsteils steht für dessen Arbeitnehmer dem
Betriebsübergang gleich. Auch bei dem Erwerb eines Betriebsteils ist es
erforderlich, dass die wirtschaftliche Einheit ihre Identität bewahrt.
Betriebsteile sind Teileinheiten = Teilorganisationen des Betriebs. Es muss
sich um eine selbständige, abtrennbare organisatorische Einheit handeln, die
innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks einen Teilzweck erfüllt. Das
Merkmal des Teilzwecks dient dabei zur Abgrenzung der organisatorischen
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Einheit. Im Teilbetrieb müssen nicht andersartige Zwecke als im übrigen
Betrieb verfolgt werden. Bei den übertragenen sächlichen und immateriellen
Betriebsmitteln muss es sich um eine organisatorische Untergliederung
handeln, mit der innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck
verfolgt wird, auch wenn es sich nur um eine untergeordnete Hilfsfunktion
handelt. § 613 a BGB setzt für den Teilbetriebsübergang voraus, dass die
übernommenen Betriebsmittel bereits bei dem früheren Betriebsinhaber die
Qualität eines Betriebsteils hatten (BAG, Urteile vom 16.05.2002 – 8 AZR
319/01 – AP Nr. 237 zu § 613 a BGB, vom 17.04.2003 – 8 AZR 253/02 – AP
Nr. 253 zu § 613 a BGB; vom 25.01.2005 – 9 AZR 258/04).
In dieser Form wurde von der Beklagten ein Betriebsteil "Zwischengang" nicht
vorgehalten. Es ist schon unsicher, ob für diesen Bereich ein Betriebsleiter
zum Zeitpunkt des Stilllegungsentschlusses bestellt war. Der Zeuge H4xxxxx
hat dies eindeutig verneint. Der Zeuge L2xxx konnte mangels ausreichender
Kenntnisse hierzu keine klare Aussage machen. Ihr war zumindest ein solcher
Bereich nicht ausschließlich personell zugeordnet. Diesem Bereich war auch
nicht ein personell abgegrenzter Personenkreis zugewiesen. Er wollte sich
nicht als Abteilungsleiter dieses Bereichs sehen, zumal er für den gesamten
Bereich Technik zuständig war. In diesem Teilbereich war letztlich zur
Überzeugung der erkennenden Berufungskammer keine selbständige, vom
übrigen abtrennbare organisatorische Untergliederung erkennbar. Diese
Annahme wird dadurch bestärkt, dass für diesen Teilbereich keine
eigenständige bzw. einheitliche Kostenstelle vorgehalten wurde. Die
Kostenstellen waren nach den Angaben des Zeugen H4xxxxx jeder einzelnen
Maschine zugeordnet.
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c) Schließlich fehlt die Absicht der Beklagten, ihren Betrieb oder lediglich
einen Betriebsteil "Zwischengang" zu veräußern. Der
Gesellschafter/Geschäftsführer R3xx D4xx hatte zwar den Entschluss gefasst,
den Maschinenpark aufzuteilen. Die Gründung der A3x war jedoch nicht
Bestandteil dieses Entschlusses. Dies hat der Zeuge H4xxxxx glaubhaft
dargestellt. Auch nach seiner Einschätzung hatte die Umformtechnik keine
Zukunft mehr; deren Produkte waren in Zukunft nicht mehr absetzbar. Deshalb
habe er mit dem Mitarbeiter des C5xxxxxxxxx, B5xxx, überlegt, in N1xxxxxxx
etwas vergleichbares zu A1xxxx auf dem Gebiet der Kaltformtechnik
aufzubauen. Diese Überlegungen seien dem Gesellschafter/Geschäftsführer
R3xx D4xx in einem Gespräch nach dem Stilllegungsentschluss vorgetragen
worden. Ohne seine Beteiligung und Unterstützung sei dann mit dem
Engagement seines Sohnes, M3xxxxxx D4xx, die A3x W3xxxxxxxxxxxxx
GmbH gegründet worden. Sie habe schließlich den bekannten Teil des
früheren Maschinenparks der Beklagten übernommen und für ihre betriebliche
Organisation um weitere Maschinen ergänzt.
50
3. Für die Kündigung sind auch nicht nachträglich die aufgezeigten dringenden
betrieblichen Erfordernisse entfallen. Entgegen den weiteren Einwendungen der
Klägerin scheitert die Betriebsstilllegung nicht daran, dass die Beklagte weiterhin
gegenüber der Automobilindustrie zuvor eingegangene Lieferverpflichtungen
erfüllt. Dies führt zumindest nicht zu der Annahme, dass die Beklagte auch jetzt
noch produziert und deshalb Bedarf an Produktionsmitarbeitern hat. Zum einen hat
sich die erkennende Berufungskammer auch durch das Ergebnis der
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Beweisaufnahme davon überzeugen lassen, dass die Beklagte allenfalls handelt,
aber nicht produziert. Da die Beklagte als zertifizierter Zulieferer nicht in der Lage
war – ohne sich Schadenersatzverpflichtungen auszusetzen -, die übernommenen
Aufträge ohne weiteres aufzukündigen, hat sie die A3x für Kleinserien und die
D4xx Tschechien sowie die D4xx U3 für Großserien als Subunternehmer
eingebunden. Dass die A3x nur die Kleinserien auftragsgemäß erfüllt, hat der
Zeuge H4xxxxx in seiner zeugenschaftlichen Vernehmung erhärtet. Hierin wurde
er durch den Zeugen L2xxx bestärkt. Dadurch kehrt die Beklagte jedoch nicht
wieder zum Produktionsbetrieb zurück. Dass der Beklagten dieser
Produktionsanteil nicht als Eigenproduktion zuzuordnen ist, ist damit zu
begründen, dass beide Gesellschaften keinen gemeinschaftlichen Betrieb führen.
Es fehlt sowohl an der einheitlichen Leitungsmacht als auch am gemeinsamen
Betriebszweck. Im Übrigen ist festzuhalten, dass eine nachträgliche, zuvor nicht
erkennbare Entwicklung keinerlei Auswirkungen auf den Kündigungsgrund hat.
Die soziale Rechtfertigung ist für den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung zu
überprüfen (vgl. hierzu auch: BAG, Urteil vom 16.05.2002 – a. a. O., zu B III 2 der
Gründe).
II.
52
Die Kündigung ist auch nicht aus anderen Gründen rechtsunwirksam (§ 13 Abs. 3
KSchG).
53
1. Die Beklagte hat die Kündigung nicht wegen eines Betriebs- oder
Betriebsteilübergangs erklärt (§ 613 a Abs. 1 und 4 BGB). Die erkennende
Berufungskammer hatte zuvor dargestellt, dass nicht einmal eine
Betriebsteilveräußerung Inhalt des Entschlusses vom 22.07.2004 war. Im Übrigen
sieht die erkennende Berufungskammer die Voraussetzungen des § 613 a Abs. 1
BGB nicht als erfüllt an.
54
2. Die Kündigung ist auch nicht wegen verspätet eingereichter
Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit rechtsunwirksam (§§ 17, 18
KSchG i. V. m. § 134 BGB).
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a) Zwar hat die Beklagte zur Überzeugung der erkennenden
Berufungskammer die Kündigungserklärungen vor erstatteter
Massenentlassungsanzeige abgegeben. Mit der Unterzeichnung durch ihren
Prokuristen U2xxxx H4xxxxx am 26.07.2004 und dem nachfolgenden
einkuvertieren aller Kündigungen hat die Beklagte ihren rechtsgeschäftlichen
Willen erkennbar so geäußert, dass an der Endgültigkeit der Kündigung kein
Zweifel möglich war. Die Kündigungen waren auch mit ihrem Willen in den
Verkehr gebracht worden. Die kaufmännische Mitarbeiterin der Beklagten war
mit allen Kündigungen am 26.07.2004 auf der Post erschienen. Dass die
Kündigungen entgegen den Vorstellungen der Beklagten nicht schon an
diesem Tage in den weiteren Postlauf gelangten, entsprach nicht ihrem
Willen. Dies wurde ausschließlich von der Sachbearbeiterin der Post
beeinflusst. Diese sah sich wegen des Schützenfestes nicht in der Lage,
diese große Anzahl an Einschreiben entgegen zu nehmen. Dass die
Kündigungen dementsprechend erst nach erfolgter
56
Massenentlassungsanzeige endgültig in den Postlauf gelangt sind hat nicht
57
zur Rechtsfolge, dass die Beklagte die Kündigungserklärungen erst am
27.07.2004 und nicht schon am 26.07.2004 abgegeben hat (BGH, Urteil vom
18.12.2002 – VI ZR 39/05 – NJW RR 2003, 384: Bei empfangsbedürftigen
Willenserklärungen muss die Erklärung mit Willen des Erklärenden in den
Verkehr gebracht sein; Palandt/Heinrichs, § 130 Rdnr. 2 BGB).
b) Dieser zeitliche Ablauf bewirkt jedoch nicht die Rechtsunwirksamkeit der
Kündigung.
58
(1) Gem. § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KSchG war die Beklagte verpflichtet, der
Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, da sie mehr als 10 % der in ihrem
Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer innerhalb von 30
Kalendertagen entlassen wollte. Die Anzeige musste vor der Entlassung
der für ihren Betrieb zuständigen Agentur für Arbeit erstattet werden.
Dieser Verpflichtung ist die Beklagte gerecht geworden. Ausgehend von
der ständigen Rechtsprechung des BAG (BAG, Urt. v. 18.09.2003 – 2 AZR
79/02 – NZA 2004, 375 ff.) ist unter Entlassung i. S. der §§ 17, 18 KSchG
nicht schon der Ausspruch der Kündigung, sondern die damit
beabsichtigte tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemeint.
Danach kommt es nicht darauf an, dass die Beklagte unter dem Datum
des 26.07.2004 eine entsprechende Anzahl an Kündigungen
ausgesprochen hat. Maßgeblich ist vielmehr der Zeitpunkt, zudem die
betroffenen Arbeitsverhältnisse tatsächlich beendet werden sollten.
59
(2) An dieser Beurteilung ändert sich zur Überzeugung der erkennenden
Berufungskammer durch das Urteil des EuGH vom 27.01.2005 (C 188/03:
Irmtraud Jung ./. Wolfgang Kühnel, NZA 2005, 213) nichts. In diesem
Urteil hat der EuGH auf Vorlage des Arbeitsgerichts Berlin vom
30.04.2003 entschieden, dass als Entlassung i. S. der Richtlinie 98/59/EG
die Kündigungserklärung zu verstehen ist. Dieses Urteil betrifft unmittelbar
nur die Richtlinie 98/59/EG, die im Verhältnis zwischen Privaten keine
unmittelbare Wirkung entfaltet. Für die Frage, welche Auswirkungen
dieses Urteil auf die streitgegenständliche Kündigung hat, ist
entscheidend, ob die Regelungen der §§ 17 ff. KSchG richtlinienkonform
ausgelegt werden können und – bei Bejahung - ob die Einbeziehung von
"Altfällen" mit den Grundsätzen des Vertrauensschutzes vereinbar ist.
Beides ist zu verneinen.
60
(3) Die Vorschriften der §§ 17 ff. KSchG lassen die von der Klägerin
erhoffte Auslegung nicht zu. Ein nationales Gericht, bei dem ein
Rechtsstreit ausschließlich zwischen Privaten anhängig ist, muss bei der
Anwendung der Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts, die zur
Umsetzung der in einer Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen erlassen
worden sind, das gesamte nationale Recht berücksichtigen und es soweit
wie möglich anhand des Wortlauts und des Zweckes der Richtlinie
auslegen, um zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der
Richtlinie verfolgten Ziel vereinbar ist (EuGH, Urteil vom 05.10.2004 – Rs
C 379/01 – Pfeiffer, AP Nr. 12 zu EWG-Richtlinie Nr. 93/104; EuGH,
Schlussanträge des Generalanwalts vom 30.06.2005 – C-144/04 –
Mangold ./. Rüdiger Helm, EzA Schnelldienst, Heft 14/05 vom
08.07.2005). Lassen Wortlaut, Entstehungsgeschichte,
61
Gesamtzusammenhang oder Sinn und Zweck des Gesetzes mehrere
Deutungen zu, von denen jedenfalls eine zu einem
Gemeinschaftsrechtskonformen Ergebnis führt, so ist die Auslegung
geboten, die mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang steht. Die
gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung darf aber nicht im Widerspruch
zum Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers stehen
(BAG, Beschluss vom 18.02.2003 – 1 ABR 2/02 -; BAG, Urteil vom
18.09.2003 – 2 AZR 79/02 -; a. A., K. Riesenhuber/R. Domröse,
richtlinienkonforme Auslegung der §§ 17, 18 KSchG und Rechtsfolgen
fehlerhafter Massenentlassungen, NZA 2005, 568 ff.: für deutsche
Gerichte bedeutet dies, dass sie nationales Recht grundsätzlich auch
contra legem fortbilden müssen). Von diesen Grundsätzen ausgehend ist
zur Überzeugung der erkennenden Berufungskammer eine richtlinien-
konforme Auslegung der §§ 17 ff. KSchG nicht möglich. Zwar kann bei
isolierter Betrachtung das Wort "Entlassung" sowohl im Sinne von
"Ausspruch der Kündigung" wie auch im Sinne von "Zeitpunkt der
tatsächlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses" verstanden werden.
Hätte der Gesetzgeber ein Verständnis im erstgenannten Sinne gewollt,
so hätte es nahe gelegen, in §§ 17 ff. KSchG wie in den vorangehenden
§§ 1 – 16 KSchG den Begriff der Kündigung zu verwenden. Durch den
62
abweichenden Begriff "Entlassung" wird jedoch bewusst ein anderes Wort
verwandt. Hieraus lässt sich ableiten, dass nicht nur optisch, sondern
auch inhaltlich etwas anderes als mit dem Wort "Kündigung" in den §§ 1 –
16 KSchG gemeint sein soll. Dies legt eine Auslegung i. S. des bisherigen
Verständnisses nahe, dass mit Entlassung die tatsächliche Beendigung
des Arbeitsverhältnisses gemeint ist (so auch: Bauer/Krieger/Powietzka,
Der Betrieb 2005, 445 ff.; a. A., Riesenhuber/Domröse, a. a. O.; ArbG
Bochum, Urteil vom 17.03.2005 – 3 Ca 307/04). Die bewusste
Verwendung eines anderen Begriffes deutet weiter darauf hin, dass der
Gesetzgeber mit den Vorschriften in den §§ 17 ff. KSchG ein bestimmtes
Regelungskonzept verfolgte, in das mit einer Auslegung dieser
Vorschriften i. S. des Urteils des EuGH vom 27.01.2005 erheblich
eingegriffen würde. Dafür, dass der Gesetzgeber den Begriff "Entlassung"
in §§ 17 ff. KSchG als tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses
verstanden haben wollte, spricht schließlich, dass diese Regelungen –
trotz der häufigen Änderungen im
63
Kündigungsschutzgesetz, Kenntnis der Rechtsprechung des BAG und
Kenntnis der Richtlinien – in diesem Punkt nie geändert worden sind.
64
(4) Die sofortige Umsetzung des Urteils des EuGH vom 27.01.2005 auch
auf "Altfälle" ist mit den Grundsätzen des rechtsstaatlichen Prinzips des
Vertrauensschutzes nicht vereinbar. Zwar hat der EuGH von der
Möglichkeit, die Rückwirkung seiner Entscheidung selbst auszuschließen,
im Urteil vom 27.01.2005 keinen Gebrauch gemacht. Zu Berücksichtigen
ist aber erneut, dass diese Entscheidung sich unmittelbar nur auf die
Richtlinie 1998/59/EG bezieht. Wollte man aus dem Urteil vom 27.01.2005
das Gebot einer richtlinienkonformen Auslegung der §§ 17 ff. KSchG auch
für die Vergangenheit ableiten, so wäre dies mit den Grundsätzen des
65
Vertrauensschutzes nicht vereinbar (Bauer/Krieger/ Powietzka, Der
Betrieb 2005, §§ 445 ff.; LAG Köln, Urteil vom 25.02.2005 – 11 Sa 767/04
-; LAG Berlin, Urteil vom 27.04.2005 – 17 Sa 2646/04 -; a. A., ArbG
Bochum, a. a. O.; ArbG Berlin, Urteil vom 01.03.2005 – 36 Ca 19726/02 -;
Riesenhuber/ Domröse, a. a. O.). Es handelte sich um eine unechte
Rückwirkung, da die Parteien über die Frage der Wirksamkeit der
Kündigung gerade streiten. Eine solche unechte Rückwirkung ist
grundsätzlich zulässig. Schranken ergeben sich jedoch aus dem
rechtsstaatlichen Prinzip der Rechtssicherheit. Durfte die betroffene Partei
mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage rechnen und ist dieses
Vertrauen bei einer Abwägung der Interessen des Einzelnen mit
denjenigen der Allgemeinheit schutzwürdig, ist die unechte Rückwirkung
unzulässig. Dieser Schutz ist nicht etwa deshalb eingeschränkt, weil jeder
Arbeitgeber mit einer möglichen Änderung in der Rechtsprechung
rechnen muss. Schließlich ist eine veränderte Rechtsanwendung
aufgrund neuer Rechtserkenntnisse nicht ohne Weiteres mit einer
Änderung der objektiven Rechtslage durch ein neues Gesetz und der
hierbei zu beachtenden Beschränkung echter Rückwirkung
gleichzusetzen. Allerdings gewinnt der sich aus dem
Rechtsstaatsprinzip ergebene Vertrauensschutz um so größere
Bedeutung, je mehr die Rechtsprechung sich der Rechtsetzung nähert.
Trotz des Vorlagebeschlusses des ArbG Berlin vom 30.04.2003 durfte die
Beklagte mit der Fortgeltung der bisherigen Rechtslage in einem
derartigen Maß rechnen, dass ihr diesbezügliches Vertrauen bei einer
Abwägung mit den Belangen der anderen Partei und dem Anliegen der
Allgemeinheit den Vorzug verdient. Sowohl die langjährige gefestigte
Rechtsprechung des BAG (vgl. BAG, Urteil vom 18.09.2003 – 2 AZR
79/02 –, NZA 2004, 375 ff.) als auch der Hinweis in den Merkblättern
sowie in den Formularen zur Erstattung von Massenentlassungsanzeigen
der Bundesagentur für Arbeit gingen ausdrücklich davon aus, dass es für
die Erstattung der Massenentlassungsanzeige nicht auf den Zeitpunkt des
Ausspruchs der Kündigung, sondern auf den der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses durch Ablauf der Kündigungsfrist ankomme. Dieses
Vertrauen des in Unkenntnis der durch die Entscheidung des EuGH vom
27.01.2005 geänderten Rechtsprechung kündigenden Arbeitgebers ist
schützenswert (so ausdrücklich: LAG Köln, Urteil vom 25.02.2005 – 11 Sa
767/04 – und LAG Berlin, Urteil vom 27.04.2005 – 17 Sa 2646/04 –).
66
(5) Ein weiterer Vertrauenstatbestand ist für die Beklagte dadurch
eingetreten, dass die Bundesagentur für Arbeit sowohl mit Bescheid vom
10.08.2004 als auch mit Bescheid vom 20.11.2004 die am 27.07.2004 und
am 28.10.2004 erstatteten Anzeigen unter Berücksichtigung der damals
hinlänglich bekannten Auslegungskriterien für rechtswirksam erachtet hat.
Entgegen der vom Arbeitsgericht Bochum vertretenen Rechtsauffassung
erfahren die Verwaltungsakte der Bundesagentur für Arbeit im Rahmen
der §§ 17, 18 KSchG Tatbestandswirkung für das arbeitsgerichtliche
Kündigungsschutzverfahren. Die
67
Massenentlassungsanzeige hat ausschließlich arbeitsmarktpolitische
Qualität. Der Bundesagentur für Arbeit soll die Möglichkeit eingeräumt
68
werden, einer durch diese unternehmerische Entscheidung auf die
Agentur hinzukommende ungewöhnlich hohe Vermittlungspflicht gerecht
zu werden. Sie soll rechtzeitig alle erforderlichen Maßnahmen treffen
können, um eine Weitervermittlung zu ermöglichen. Bestätigt dann die
Bundesagentur für Arbeit der Beklagten ihre ordnungsgemäße
Beteiligung, so ist es der Arbeitsgerichtsbarkeit verwehrt, nachträglich
deren Rechtswidrigkeit zu überprüfen, um hieraus mögliche
individualrechtliche negative Rechtsfolgen für das
Kündigungsschutzverfahren abzuleiten. Im Übrigen teilt die erkennende
Berufungskammer die vom BAG konsequent vertretende
Rechtsauffassung (beispielhaft: BAG, Urteil vom 18.09.2003 – 2 AZR
403/02 –), dass Fehler in der Anzeigepflicht nicht zur
Rechtsunwirksamkeit der Kündigung führen. Das
Kündigungsschutzgesetz sanktioniert Fehler des Arbeitgebers nicht mit
der individualrechtlichen
Unwirksamkeit der Kündigung. Die §§ 17, 18 KSchG sind auch nicht
Verbotsgesetz i. S. des § 134 BGB.
69
c) Die Beklagte ist den Anforderungen ihrer Anzeigepflicht gem. den §§ 17, 18
KSchG gerecht geworden. Mit ihren Anzeigen vom 27.07.2004 und
28.10.2004 hat sie die für den Zeitraum 30.09.2004 bis 31.01.2005
festzustellenden Massenentlassungen ordnungsgemäß vorbereitet.
70
B.
71
Da das Arbeitsverhältnis der Parteien mit dem 30.09.2004 beendet worden ist, hat die
Klägerin gegenüber der Beklagten keinen, aus § 611 BGB durchsetzbaren
Beschäftigungsanspruch. Dieser Anspruch ist auch nicht wegen veränderter
Geschäftsgrundlage begründet. Die Beklagte hat sich entgegen seiner Annahme nach
Kündigungsende nicht wieder zum Produktionsbetrieb entwickelt. Sie hat deshalb
weiterhin keinen Bedarf für entsprechende Mitarbeiter.
72
C.
73
Aus den zuvor beschriebenen Gründen konnten die Feststellungs- und
Beschäftigungsklage von Anfang an keinen Erfolg haben. Der an sich statthaften
Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts Iserlohn war der
gewünschte Erfolg zu versagen; sie war mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO
zurückzuweisen. Angesichts der ungeklärten Rechtslage zur Massenentlassung hat die
erkennende Berufungskammer die Revision ausdrücklich zugelassen.
74
Schulte
Pohlmeyer
Bogdanski
75