Urteil des LAG Hamm vom 25.09.2006

LArbG Hamm: abfindung, arbeitsgericht, bestandteil, erfüllung, beendigung, zumutbarkeit, verwertung, sozialhilfe, zugang, umzug

Landesarbeitsgericht Hamm, 18 Ta 539/06
Datum:
25.09.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
18 Ta 539/06
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Dortmund, 10 Ca 1080/06
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, einzusetzendes Vermögen, Abfindung im
Kündigungsschutzprozess, Berücksichtigung der Kosten, die dem
Arbeitnehmer durch den Verlust des Arbeitsplatzes entstehen im
Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung
Normen:
§§ 114, 115 Abs. 3, 120 Abs. 4 ZPO, § 90 Abs. 1 und 2 SGB XII
Leitsätze:
Eine für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gezahlte Abfindung
ist Vermögen im Sinne des § 115 Abs. 3 ZPO.
Die dem Arbeitnehmer durch den Verlust des Arbeitsplatzes
entstehenden Kosten sind im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung nach §
115 Abs. 3 Satz 1 ZPO zu berücksichtigen. Als Anhaltspunkt für die
Höhe der dem Arbeitnehmer durch den Verlust des Arbeitsplatzes
typischerweise entstehenden Kosten kann derzeit im Regelfall die Höhe
des Betrages für Ledige nach der Durchführungsverordnung zu § 90
Abs. 2 Nr. 9 SGB XII dienen.
Rechtskraft:
Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, denn ein
Grund für die Zulassung der Rechtsbeschwerde
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der PKH-
Abänderungsbeschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 22.06.2006 -
10 Ca 1080/06 - aufgehoben
G r ü n d e
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I. Die ledige Klägerin hat am 06.03.2006 die Kündigungsschutzklage Arbeitsgericht
Dortmund – 10 Ca 1080/06 – gegen die Beklagte anhängig gemacht.
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Durch Beschluss vom 07.04.2006 hat das Arbeitsgericht Dortmund der Klägerin auf
ihren Antrag hin Prozesskostenhilfe mit Wirkung vom 24.03.2006 bewilligt und ihr
Rechtsanwalt V1x beigeordnet. Die Bewilligung erfolgte mit der Maßgabe, dass die
Klägerin keinen eigenen Beitrag zu den Kosten der Prozessführung zu leisten brauchte.
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Der Rechtsstreit zwischen den Parteien 10 Ca 1080/06 wurde am 31.03.2006 durch
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Der Rechtsstreit zwischen den Parteien 10 Ca 1080/06 wurde am 31.03.2006 durch
folgenden Vergleich beendet:
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1. Die Parteien sind sich darin einig, dass das Arbeitsverhältnis durch
fristgerechte, arbeitgeberseitige, betriebsbedingte Kündigung zum 31.03.2006
enden wird.
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2. Die Beklagte verpflichtet sich, an die klagende Partei für den Verlust des
Arbeitsplatzes entsprechend den §§ 9, 10 KSchG eine Abfindung in Höhe von
4.000,00 EUR brutto zu zahlen.
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3. Die Beklagte verpflichtet sich, der Klägerin ein qualifiziertes Zeugnis zu
erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt und die Bewertung
enthält, dass die Klägerin die ihr übertragenen Arbeiten stets zur vollen
Zufriedenheit erledigt hat.
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4. Damit ist der Rechtsstreit erledigt.
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Durch Abänderungsbeschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 22.06.2006 ist der
PKH-Bewilligungsbeschluss vom 13.04.2006 dahingehend abgeändert worden, dass
die Klägerin zu den Kosten der Prozessführung einen sofort fälligen einmaligen Betrag
in Höhe von 400,-- € aus ihrem Vermögen zu zahlen hat.
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Gegen diesen der Klägerin am 28.06.2006 zugestellten und hiermit in Bezug
genommenen Beschluss hat die Klägerin am 19.07.2006 sofortige Beschwerde
eingelegt.
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Das Arbeitsgericht hat durch Beschluss vom 21.07.2006 der sofortigen Beschwerde
nicht abgeholfen.
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II. Die sofortige Beschwerde ist nach § 11 RPflG, § 46 Abs. 2 Satz 3 ArbGG, §§ 127 Abs.
2, 567 ff. ZPO zulässig und begründet.
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Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts hat die Klägerin keinen einmaligen Betrag
in Höhe von 400,-- € aus ihrem Vermögen auf die Kosten des Rechtsstreits zu zahlen.
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1. Nach § 115 Abs. 3 ZPO hat die Partei, die Prozesskostenhilfe begehrt, ihr Vermögen
einzusetzen, soweit es ihr zumutbar ist.
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a) Eine für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses gezahlte Abfindung ist als
Bestandteil des Vermögens im Sinne des § 115 Abs. 3 ZPO, § 11 a Abs. 3 ArbGG bei
der Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen (vgl.
BAG, Beschluss vom 22.12.2003 – 2 AZB 23/03 – RVGreport 2004, 196 f.; BAG,
Beschluss vom 24.04.2006 – 3 AZB 12/05 – EzA – SD 2006, Nr. 11, 12 f.; GK–
ArbGG/Bader, § 11 a Rdnr. 87; Germelmann in
Germelmann/Matthes/Prütting/Müller/Glöge, ArbGG 5. Aufl., § 11 a Rdnr. 41; ErfK/Koch,
6. Aufl., § 11 a ArbGG Rdnr. 28).
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b) Zum Vermögen im Sinne des § 115 Abs. 3 ZPO zählen alle beweglichen und
unbeweglichen Sachen sowie geldwerte Forderungen und Rechte (Stein/Jonas/Bork,
ZPO, 22. Aufl., § 115 Rdnr. 86). Da die Abfindung regelmäßig nicht der Erfüllung von
geschuldetem Arbeitsentgelt dient, ist sie kein zeitraumbezogenes Einkommen, sondern
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Vermögensbestandteil (BAG, Beschluss vom 22.12.2003, a.a.O.).
c) Kündigungsschutzabfindungen sind nicht in einer solchen Weise zweckgebunden,
dass eine Berücksichtigung als Vermögensbestandteil ausscheiden würde.
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Die Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG hat auch Entschädigungsfunktion für die Aufgabe
des als "sozialer Besitzstand" anzusehenden Arbeitsplatzes (BAG, Urteil vom
25.06.1987 – 2 AZR 504/96 – EzA KSchG 1969, § 9 Nr. 23).
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Mit Gewährung der Abfindung sollen alle unmittelbar mit dem Verlust des Arbeitsplatzes
verbundenen vermögensrechtlichen und immateriellen Nachteile des Arbeitnehmers
abgegolten werden. Daneben stellt sie auch eine Überbrückungshilfe für den Fall dar,
dass der Arbeitnehmer nicht sofort eine neue Arbeit findet und damit finanzielle
Einbußen erleidet (vgl. z.B. KR-Spilger, 7. Aufl., § 10 KSchG Rdnr. 11 f).
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Zu berücksichtigen ist aber, dass die Abfindung der freien Verfügung des Arbeitnehmers
unterliegt und nicht der Erfüllung eines Zwecks. Das gilt vor allem für im
Vergleichswege vereinbarte Kündigungsabfindungen nach §§ 9, 10 KSchG analog. Bei
ihnen handelt es sich vielfach sogar um einen schlichten Risikoausgleich. Der
Arbeitgeber wird sich oft zur Zah-lung einer Abfindung deshalb bereit finden, um einen
möglichen Kündigungsschutzprozess zu vermeiden. Insbesondere bei hohen
Abfindungsleistungen ist vor diesem Hintergrund nicht verständlich, warum diese
Beträge dem Arbeitnehmer verbleiben und stattdessen die Staatskasse die Kosten
seiner arbeitsgerichtlichen Prozessführung tragen soll. Die Gewährung von
Prozesskostenhilfe als Leistung staatlicher Daseinsvorsorge soll gewährleisten, der
bedürftigen Partei in gleicher Weise wie einer vermögenden Partei die Führung eines
Prozesses zu ermöglichen und ihr den gleichen Zugang zum Verfahren zu verschaffen
(vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 14.04.2003 – 1 BvR 1998/02 – NJW 2003, 2976,
2977). Weder aus dem Charakter einer vergleichsweise erzielten Abfindung noch aus
dem Zweck der Prozesskostenhilfe kann erkannt werden, dass eine solchermaßen
vereinbarte Abfindung als Bestandteil des Vermögens des Arbeitnehmers bei der
Betrachtung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht zu berücksichtigen
ist (BAG, Beschluss vom 22.12.2003, aa0).
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2. Die der Klägerin zugeflossene Abfindung war aber nach § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO nur
einzusetzen, soweit es ihr zumutbar war. Der Einsatz von 400,-- € aus der erhaltenen
Abfindung war der Klägerin nicht zuzumuten.
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a) Nach § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO gilt § 90 SGB XII entsprechend. Die
sozialhilferechtlichen Regelungen bestimmen typisierend, bis zu welcher Höhe das
Vermögen des Antragstellers geschont werden soll. Nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII darf
die Sozialhilfe nicht von der Verwertung bzw. dem Einsatz kleinerer Barbeträge oder
sonstiger Geldwerte abhängig gemacht werden. Dabei beträgt das Schonvermögen für
den Antragsteller 2.600,00 €, so auch im vorliegenden Fall für die Klägerin.
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b) Bei Prüfung der Zumutbarkeit des Einsatzes einer Abfindung ist darüber hinaus zu
berücksichtigen, dass dem Arbeitnehmer durch den Verlust des Arbeitsplatzes
typischerweise Kosten entstehen, etwa für Bewerbungen, Fahrten, unter Umständen
auch Schulungen und Umzug. Die Höhe der dem Arbeitnehmer durch den Verlust des
Arbeitsplatzes entstehenden Kosten hängt von zahlreichen Faktoren ab, unter anderem
von seiner beruflichen Qualifikation und seinem Alter sowie den Gegebenheiten des
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jeweiligen Arbeitsmarktes. Diese sind oft nicht leicht zu vermitteln. Zudem ist bei Zufluss
der Abfindung und im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nach § 120 Abs. 4 ZPO
oft noch nicht absehbar, ob und gegebenenfalls welche weiteren Kosten dem
Arbeitnehmer in Zukunft infolge des Verlustes des Arbeitsplatzes noch entstehen
werden. Aus Gründen der Praktikabilität erweist sich eine Typisierung als erforderlich.
Als Anhaltspunkt für die Höhe der dem Arbeitnehmer durch den Verlust des
Arbeitsplatzes typischerweise entstehenden Kosten kann derzeit im Regelfall die Höhe
des Betrages für Ledige nach der Durchführungsverordnung zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB
XII dienen (vgl. BAG, Beschluss vom 24.04.2006 – 3 AZB 12/05 – aaO).
Besonderheiten, die es rechtfertigen, im vorliegenden Fall hiervon abzuweichen, sind
nicht gegeben.
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c) Für die Klägerin bedeutet dies, dass sie neben dem Schonbetrag für sich selbst in
Höhe von 2.600,-- € einen weiteren Betrag in Höhe von 2.600,-- € in Abzug bringen
kann. Die ihr zugeflossene Abfindung liegt unter dem Gesamtbetrag von 5.200,-- € und
war damit nicht einzusetzen.
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III. Nach alledem hat das Rechtsmittel Erfolg.
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