Urteil des LAG Hamm vom 04.11.2004

LArbG Hamm: treu und glauben, fristlose kündigung, ordentliche kündigung, arbeitsgericht, widersprüchliches verhalten, firma, ablauf der frist, unwirksamkeit der kündigung, neues vorbringen, bezahlung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Nachinstanz:
Schlagworte:
Normen:
Leitsätze:
Rechtskraft:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Landesarbeitsgericht Hamm, 8 Sa 292/04
04.11.2004
Landesarbeitsgericht Hamm
8. Kammer
Urteil
8 Sa 292/04
Arbeitsgericht Dortmund, 7 Ca 7237/02
Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 46/05 Urteil aufgehoben 02.03.2006
Kündigung / Schwerbehinderung / Anerkennungsantrag / Zustimmung
des Integrationsamts / fehlerhafter Zustimmungsbescheid / Bestandskraft
/ Zweiwochenfrist / Treu und Glauben
SGB IX § 91 Abs. 2, BGB § 626 Abs. 2, BGB § 242
1. Hat das Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen
Kündigung gegenüber einem Arbeitnehmer, welcher seine Anerkennung
als Schwerbehinderter betreibt, trotz Versäumung der Zweiwochenfrist
des § 91 Abs. 2 SGB IX erteilt, so ist dieser Mangel - von der Nichtigkeit
des Bescheides abgesehen - nicht von den Arbeitsgerichten, sondern
allein im Widerspruchs- und Klageverfahren vor den
Verwaltungsgerichten geltend zu machen. Die Anwendung des § 626
Abs. 2 BGB wird insoweit von den Regeln des § 91 Abs. 2 und Abs. 5
SGB IX verdrängt (BAG AP Nr. 45 zu § 626 BGB Ausschlussfrist).
2. Diese "Verdrängungswirkung" bleibt auch dann erhalten, wenn der
Arbeitnehmer nach Ausspruch der Kündigung seinen
Anerkennungsantrag und die verwaltungsgerichtliche Klage gegen den
Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes zurücknimmt. Im Übrigen
kann der Arbeitnehmer, der durch die Geltendmachung des
Schwerbehindertenschutzes eine entsprechende Herauszögerung der
Kündigung bewirkt hat, sich nach Treu und Glauben nachträglich nicht
darauf berufen, die Regeln des § 91 SGB IX seien gar nicht anwendbar.
Gegen dieses Urteil kann vom Kläger - soweit zugelassen - Revision
eingelegt werden
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund
vom 16.12.2003 - 7 Ca 7237/02 - wird auf Kosten des Klägers
zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen, soweit es den gegen die fristlose
Kündigung vom 02.01.2003 gerichteten Kündigungsfeststellungsantrag
betrifft.
T a t b e s t a n d
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit mehrerer - fristloser und fristgerechter –
Kündigungen, welche die Beklagte zunächst ohne und nachfolgende mit Zustimmung des
Integrationsamtes ausgesprochen hat; ferner begehrt der Kläger die Auflösung des
Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.
Mit seiner Klage hat sich der am xx.xx.xxxx geborene, verheiratete und gegenüber drei
minderjährigen Kindern unterhaltspflichtige Kläger, welcher seit dem 01.09.2000 als
Marketing-Direktor mit Prokura im Betrieb der Beklagten gegen ein durchschnittliches
Arbeitsentgelt von 10.000,00 €/Monat tätig war, gegen die Beendigung seines
Arbeitsverhältnisses durch außerordentliche fristlose Kündigungen vom 15.11.2002 und
25.11.2002 sowie durch ordentliche Kündigung vom 29.11.2002 zum 31.03.2003 gewandt,
ferner gegen eine
erneute außerordentliche Kündigung vom 02.01.2003, welche die Beklagte nunmehr mit
Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen hat sowie gegen eine weitere,
ebenfalls mit Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochene ordentliche Kündigung
vom 14.01.2003 zum 31.07.2003. Nachdem das Arbeitsgericht die außerordentlichen
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Kündigungen vom 15.11. und 25.11.2002 mit der Begründung für unwirksam erklärt hat,
insoweit fehle es an der Einhaltung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB, und der
Kläger sodann seinen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter nicht weiterverfolgt
hat, steht im Berufungsrechtszug allein noch die Wirksamkeit der fristlosen – mit
Zustimmung des Integrationsamtes erklärten – Kündigung vom 02.01.2003 sowie der
ordentlichen Kündigungen vom 29.11.2002 zum 31.05.2003 und vom 14.01.2003 zum
31.07.2003 im Streit. Weiter hat der Kläger im zweiten Rechtszug einen Antrag auf
Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 KSchG gestellt.
Durch Urteil vom 16.12.2003 (Bl. 274 ff.d.A.), auf welches wegen des weiteren
erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht dem
Klagebegehren entsprochen, soweit es die außerordentlichen Kündigungen vom 15. und
25.11.2002 betrifft, hingegen die Klage im Übrigen – hinsichtlich der mit Zustimmung des
Integrationsamtes ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung vom 02.01.2003 sowie
der zum 31.05.2003 und 31.07.2003 ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen vom
29.11.2002 und 14.01.2003 – abgewiesen. Die Wirksamkeit der außerordentlichen
Kündigung vom 02.01.2003 hat das Arbeitsgericht damit begründet, in formeller Hinsicht
begegne die Kündigung keinen Bedenken. Nachdem sich der Kläger darauf berufen habe,
dass er die Anerkennung seiner Schwerbehinderteneigenschaft beantragt habe, habe die
Beklagte vorsorglich die Zustimmung des Integrationsamtes beantragt und erhalten. Nach
Zugang des Zustimmungsbescheides sei die Kündigung sodann unverzüglich
ausgesprochen worden. Soweit sich der Kläger auf eine Verfristung der Kündigungsgründe
berufe, greife dieser Einwand nicht durch. Die Frage, ob das Integrationsamt bei seiner
Entscheidung die Einhaltung der Zweiwochenfrist des § 91 Abs. 2 SGB IX verkannt habe,
sei der arbeitsgerichtlichen Überprüfung entzogen und könne vom Kläger allein durch
Widerspruch und Klage beim Verwaltungsgericht zur Überprüfung gestellt werden. Neben
der Vorschrift des § 91 Abs. 2 SGB IX sei für die Anwendung des § 626 Abs. 2 BGB unter
den vorliegenden Umständen kein Raum. In der Sache erweise sich die außerordentliche
Kündigung der Beklagten als berechtigt, da der Kläger durch sein Verhalten einen
wichtigen Grund zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegeben habe. Unstreitig habe der
Kläger im Hinblick auf die für das Jahr 2002 vorgesehene Kürzung des Werbeetats im
Dezember 2001 veranlasst, dass 32 Rechnungen der Werbeagenturen G4xxxxxx & K4xxx
sowie P2. N1xxxx in Höhe von über 1,2 Mio. € vorab aus dem Werbeetat des Jahres 2001
bezahlt worden seien, obgleich die Beklagte jedenfalls zu diesem Zeitpunkt die in
Rechnung gestellten Beträge nicht geschuldet habe. Hiermit habe der Kläger der
Beklagten liquide Mittel entzogen, was zum einen Zinsverluste der Beklagten bewirkt und
im Übrigen das Risiko des Forderungsausfalls im Falle einer Insolvenz hervorgerufen
habe. Die vorzeitige Bezahlung eines Betrages in Höhe von über einer Million Euro an die
Firma N1xxxx komme schließlich einer Investitionsentscheidung gleich, welche der Kläger
in der hier maßgeblichen Größenordnung nicht ohne
Genehmigung des Vorstands habe treffen dürfen. Allein dieses Verhalten mache der
Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur für die Dauer der
Kündigungsfrist unzumutbar. Soweit der Kläger sein Verhalten damit zu erklären suche, die
Zahlungen seien auf bereits begonnene Projekte erfolgt, mit deren Fertigstellung er im
Laufe des Frühjahrs 2002 habe rechnen können, ergebe sich nichts anderes. Abgesehen
vom maßgeblichen Zinsverlust sei der Kläger allenfalls berechtigt gewesen,
Abschlagszahlungen zu veranlassen, sofern entsprechend erbrachte Leistungen
dokumentiert seien. Demgegenüber müsse vorliegend davon ausgegangen werden, dass
der Kläger Rechnungen auch für solche Projekte habe bezahlen lassen, bei denen
nennenswerte Leistungen noch gar nicht vorgelegen hätten. Anderenfalls sei nicht
erklärlich, wieso es möglich gewesen sei, zu Beginn des Jahres 2002 verbindlich erteilte
Aufträge noch zu stornieren. Dies betreffe insbesondere die vollständige Stornierung der
Rechnung Nr. 10 der Werbeagentur N1xxxx/ P3xxxxxx/S8xxxxxxxxxxxx mit einem
Auftragswert von über 102.000,00 €. Eine weitere Schädigung der Vermögensinteressen
der Beklagten liege auch darin, dass das durch die Stornierung von Aufträgen entstandene
Guthaben von ca. 335.000,00 € bei der Werbeagentur der Firma N1xxxx belassen worden
sei, anstatt für eine zügigere Rückführung des Guthabens zu sorgen. Hierdurch ergebe sich
der Verdacht gegenüber dem Kläger, er habe die Stornierung der vorfristig gezahlten
Aufträge vor dem Vorstand der Beklagten verbergen und sich eine weitere Kürzung der ihm
zugewiesenen Mittel ersparen wollen. Nachdem der Kläger sich zu den maßgeblichen
Verdachtsmomenten trotz Aufforderung nicht geäußert habe, sei die Kündigung auch unter
dem Gesichtspunkt des Verdachts begründet. Wegen der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses durch die fristlose Kündigung vom 02.01.2003 erweise sich zugleich
auch die Klage gegen die ordentlichen Kündigungen vom 29.11.2002 und 14.01.2003 als
unbegründet.
Mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung macht der Kläger im
Wesentlichen geltend, nicht anders als die vom Arbeitsgericht unwirksam erklärten
Kündigungen vom 15.11. und 25.11.2002 scheitere auch die mit Zustimmung des
Integrationsamtes ausgesprochene fristlose Kündigung vom 02.01.2003 an der Einhaltung
der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Soweit das Arbeitsgericht den Standpunkt
einnehme, die Frist des § 626 Abs. 2 BGB werde durch die Sondervorschrift des § 91 Abs.
2 SGB IX verdrängt, treffe dies nach der neueren Rechtsprechung des
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Bundesarbeitsgerichts nur eingeschränkt zu. Die Vorschrift des § 91 Abs. 2 SGB IX wolle
allein dem Umstand Rechnung tragen, dass es dem Arbeitgeber regelmäßig nicht möglich
sei, bis zum Ablauf der zweiwöchigen Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB auch noch die
Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen. Allein der hierdurch bedingten
Verfahrensverzögerung solle mit der Vorschrift des § 91 Abs. 2 SGB IX Rechnung getragen
werden, nicht hingegen könne die genannte Vorschrift dazu führen, dass trotz verstrichener
Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB das Kündigungsrecht des Arbeitgebers erhalten
bleibe. Wie das Arbeitsgericht hinsichtlich der Kündigungen vom 15.11. und 25.11.2002
überzeugend ausgeführt habe, sei aber der Beklagten der maßgebliche
Kündigungssachverhalt mehr als zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung bzw. vor
Beantragung der Zustimmung des Integrationsamtes bekannt gewesen.
Darüber hinaus sei im vorliegenden Fall die Besonderheit zu beachten, dass der Kläger
zwischenzeitlich seinen Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung sowie auch die
gegen den Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes gerichtete Klage vor dem
Verwaltungsgericht zurückgenommen habe. Damit entfalle aber die Anwendung der
Vorschriften des SGB IX über den Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte
Arbeitnehmer, so dass wieder auf die Regelung des § 626 Abs. 2 BGB zurückzugreifen sei.
Auch die Ausführungen des Arbeitsgericht zum Vorliegen eines wichtigen Grundes im
Sinne des § 626 Abs. 1 BGB seien als fehlerhaft anzusehen. Die vorfristige Bezahlung von
Rechnungen der Firma N1xxxx seien auf deren ausdrücklichen Wunsch erfolgt. Da jede
einzelne vorfällige Zahlung unter der zustimmungsbedürftigen Grenze von 500.000,-- DM
gelegen habe, könne von einer Kompetenzüberschreitung keine Rede sein. Im Gegenteil
habe die Bezahlung der Rechnungen im Dezember 2001 im Sinne der Beklagten gelegen,
da diese beabsichtigt habe, für den Aufbau einer neuen Produktionsstätte in S6xxxxx-
Axxxxx eine umfangreiche Werbemaßnahme durchzuführen. Um die rasche Umsetzung
der Maßnahme nicht zu gefährden, sei der Kläger gehalten gewesen, entsprechende
finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Mit Rücksicht darauf, dass die Beklagte seit
vielen Jahren mit der Agentur N1xxxx als Full-Service-Agentur zusammenarbeite, habe er
keine Bedenken gehabt, dem Wunsch der Firma N1xxxx auf vorzeitige Bezahlung der in
Rechnung gestellten Beträge zu entsprechen. Da die einzelnen Rechnungen in die
Kostenrechnung der Beklagten eingebracht worden seien, sei der Vorgang dem Vorstand
ohne Weiteres nachvollziehbar und offensichtlich gewesen. Erst durch die auf Weisung des
Vorstandes durchgeführte Stornierung von Aufträgen zum Jahresbeginn 2002 sei es dann
zum Guthaben der Firma N1xxxx in Höhe von ca. 335.000,00 € gekommen, wobei diesem
Guthaben gemäß der von der Firma N1xxxx vorgelegten Aufstellung entsprechende
Gegenforderungen gegenüber gestanden hätten. Die Entstehung von Überschüssen sei
aufgrund der Eigenart des Agenturgeschäftes in derartigen Größenordnungen ständige
Praxis und sei auch in der Vergangenheit regelmäßig bei der Beklagten so praktiziert
worden (Beweis: H3xxxxx). Nachdem die Beklagte in einem ähnlichen Fall dem Nachfolger
des Klägers lediglich eine Abmahnung erteilt habe, erscheine der Ausspruch der
gegenüber dem Kläger ausgesprochenen Kündigungen als überzogen.
Mit Schriftsatz vom 16.06.2004 begehrt der Kläger zusätzlich die Auflösung des
Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung und führt hierzu aus, die Beklagte
habe über den Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft in unzulässiger Weise auf den
neuen Arbeitgeber des Klägers Druck ausgeübt mit dem Ziel, den Kläger zur Rücknahme
seiner Berufung zu veranlassen, andernfalls drohe der Entzug von Aufträgen.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund abzuändern und festzustellen,
dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung der
Beklagten vom 02.01.2003 mit sofortiger Wirkung noch durch die ordentlichen
Kündigungen der Beklagten vom 29.11.2002 und 14. 01.2003 beendet worden ist,
2. das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen Zahlung einer Abfindung, deren
Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zum 30.06.2003 aufzulösen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens die angegriffene
arbeitsgerichtliche Entscheidung als zutreffend, erhebt Bedenken gegen die Zulässigkeit
der Berufung und führt in der Sache zum Berufungsvorbringen des Klägers Folgendes aus:
Zutreffend habe das Arbeitsgericht im Hinblick auf die mit Zustimmung des
Integrationsamtes ausgesprochene fristlose Kündigung zum 02.01.2003 erkannt, dass die
Einhaltung der Antragsfrist des § 91 Abs. 2 SGB IX im Kündigungsschutzverfahren nicht
von den Arbeitsgerichten überprüft werden könne, vielmehr allein der
verwaltungsgerichtlichen Überprüfung unterliege. Für die Anwendung des § 626 Abs. 2
BGB sei unter diesen Umständen kein Raum. Hieran ändere sich auch nichts durch die
Tatsache, dass der Kläger zwischenzeitlich seine Klage gegen den Zustimmungsbescheid
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des Integrationsamtes zurückgenommen habe und sich auch nicht mehr auf den
Schwerbehindertenstatus berufe. Indem nämlich der Kläger die Klage im
Verwaltungsgerichtsverfahren zurückgenommen habe, sei der Zustimmungsbescheid des
Integrationsamtes bestandskräftig geworden. Damit habe es aber damit sein Bewenden,
dass die Zweiwochenfrist des § 626 Abs.2 BGB im vorliegenden Verfahren nicht mehr zu
prüfen sei. Abgesehen davon handele es sich bei den zur Kündigung führenden Vorwürfen
um einen Dauertatbestand, so dass ohnehin eine Verfristung des Kündigungsgrundes
ausscheide.
Soweit der Kläger in der Sache das Vorliegen eines wichtigen Grundes in Abrede stelle,
bestünden bereits Zweifel, ob die Berufungsbegründung den Anforderungen an die
Zulässigkeit der Berufung genüge. Soweit die Berufungsbegründung neues Vorbringen
enthalte, sei der Kläger hiermit nach § 67 Abs. 3 ArbGG präkludiert. Unabhängig hiervon
sei der Vortrag des Klägers nicht geeignet, die erhobenen Vorwürfe einer schweren
arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung zu entkräften. Keineswegs sei die vorzeitige
Bezahlung von Rechnungen der Werbeagenturen G4xxxxxx & K4xxx sowie P. N1xxxx auf
deren Wunsch erfolgt, vielmehr belege das Schreiben der Werbeagentur N1xxxx vom
25.10.2002 eindeutig, dass der Kläger selbst um eine vorzeitige Fakturierung gebeten
habe. Die Schädigung der Vermögensinteressen der Beklagten bestehe damit zum einen
in der vorzeitigen Bezahlung von Rechnungen im Dezember 2001 und darüber hinaus
darin, dass der Kläger das aus der Stornierung von Aufträgen entstandene Guthaben von
ca. 335.000,00 € nicht zeitnah an die Beklagte habe zurück überweisen lassen. Soweit der
Kläger hierzu ausführe, er habe seinem Mitarbeiter H3xxxxx die entsprechende
Überwachung übertragen, sei dieser Vortrag neu und in der Sache unzutreffend. Im
Gegenteil habe der Kläger sämtliche vorfakturierten Rechnungen persönlich durch seine
Unterschrift freigegeben und Herrn H3xxxxx aufgefordert, über das etatwidrige Vorgehen
Stillschweigen zu bewahren. Ebenso wenig könne der Vortrag des Klägers durchgreifen,
der Firma N1xxxx hätten ihrerseits Gegenforderungen zugestanden, welche sogar das
Guthaben der Beklagten überstiegen. Die vom Kläger vorgelegte Aufstellung der Firma
N1xxxx mit dem Stand vom 25.07.2002 weise per 16.07.2002 noch ein Guthaben zu
Gunsten der Beklagten in Höhe von ca. 184.000,00 € auf. Soweit von diesem Betrag
sodann weitere Beträge abgesetzt würden, handele es sich zum einen um noch nicht
fällige Rechnungsbeträge und zum anderen um "Fremdrechnungen", welche aus dem
vorhandenen Guthaben abgedeckt werden sollten. Die mangelnde Korrektheit der vom
Kläger veranlassten Maßnahmen stehe damit aber außer Zweifel. Ebenso unzutreffend sei
die Behauptung des Klägers, die Beklagte habe in der Vergangenheit Überschüsse in
dieser Größenordnung zum Ausgleich von Gegenforderungen und Fremdrechnungen bei
der Firma N1xxxx belassen. Insoweit fehle es an einer nachvollziehbaren Substantiierung
des Klägervorbringens. Darüber hinaus habe die Firma N1xxxx mit Schreiben vom
25.10.2002 selbst ausgeführt, das Stehenlassen eines Guthabens in der dort erwähnten
Größenordnung sei auch aus ihrer Sicht problematisch gewesen. Im Übrigen rechtfertige
schon die unstreitige Tatsache, dass das bei der Firma N1xxxx stehengelassene Guthaben
dazu verwendet worden sei, die vom Kläger bei anderen Lieferanten in Auftrag gegebenen
Leistungen über die Firma N1xxxx abzurechnen, für sich genommen den Ausdruck einer
fristlosen Kündigung. Für keine der aufgeführten Werbemaßnahmen aus den
dreiundzwanzig Fremdrechnungen habe eine Genehmigung des Vorstands vorgelegen.
Infolge der vom Kläger veranlassten Praxis seien die genannten Rechnungen auch in der
Buchführung der Beklagten nicht aufgetaucht und nicht vom Etat 2002 gedeckt gewesen.
Soweit der Kläger schließlich die Auflösung des Arbeitsverhältnisses wegen
Unzumutbarkeit seiner Fortsetzung begehre, müsse die Beklagte den Sachvortrag des
Klägers mit Nichtwissen bestreiten. In rechtlicher Hinsicht sei überdies zu beachten, dass
das Verhalten Dritter als Auflösungsgrund nur geeignet sei, wenn der Arbeitgeber dieses
Verhalten durch eigenes Tun entscheidend veranlasst habe; dies trage der Kläger
indessen selbst nicht vor.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Berufung des Klägers bleibt ohne Erfolg.
Die Berufung des Klägers ist zulässig. Die insoweit von der Beklagten erhobenen
Bedenken greifen nicht durch.
Da das Arbeitsgericht das Kündigungsfeststellungsbegehren des Klägers
– soweit für das Berufungsverfahren von Belang – abgewiesen hat, genügt für die
Zulässigkeit der Berufung der Angriff auf ein tragendes Urteilselement, mit welchem die
Wirksamkeit der angegriffenen Kündigung insgesamt in Frage gestellt ist. Dies ist hier
hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung vom 02.01.2003 ohne weiteres mit den
Ausführungen in der Berufungsbegründung zu § 626 Abs. 2 BGB der Fall, ohne dass es für
die Zulässigkeit der Berufung darauf ankommt, ob die geltend gemachten Einwände in der
Sache durchgreifen. Mit dem zulässigen Angriff auf die außerordentliche Kündigung vom
02.11.2003 ist zugleich eine hinreichende Berufungsbegründung gegeben, soweit es den
Angriff auf die ordentlichen Kündigungen vom 29.11.2002 und 14.01.2003 betrifft. Das
Arbeitsgericht hat die hiergegen gerichteten Kündigungsfeststellungsanträge mit der -
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sachlich zutreffenden - Begründung abgewiesen, wegen der Beendigungswirkung der
außerordentlichen Kündigung vom 02.01.2003 seien auch die Feststellungsanträge
hinsichtlich der zu einem späteren Zeitpunkt ausgesprochenen Kündigung ohne weitere
Sachprüfung abzuweisen. Mit dem zulässigen Angriff auf das arbeitsgerichtliche Urteil
hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung vom 02.01.2003 ist damit zugleich eine
ausreichende Berufungsbegründung hinsichtlich der weiteren Kündigungen gegeben.
Soweit demgegenüber die Beklagte die Zulässigkeit der Berufung mit der Erwägung in
Frage stellt, der Kläger habe sich mit den Erwägungen des Arbeitsgerichts zum Vorliegen
eines "wichtigen Grundes" im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht hinreichend
auseinandergesetzt, wird verkannt, dass der Subsumtionsschluss des arbeitsgerichtlichen
Urteils bereits durch den konkret begründeten Angriff auf die Ausführungen des
arbeitsgerichtlichen Urteils zu § 626 Abs. 2 BGB in Frage gestellt ist. Darauf, ob auch die
weiteren Ausführungen zum "wichtigen Grund" im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB bei
isolierter Betrachtung als hinreichende Auseinandersetzung mit dem angegriffenen Urteil
anzusehen wären, kommt es deshalb nicht an. Auch aus der von der Beklagten zitierten
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 01.04.2004 – ersichtlich gemeint ist
das Aktenzeichen 16 Sa 1596/03 – ergibt sich nichts anderes. In jenem Verfahren war das
verfolgte
Eingruppierungsfeststellungsbegehren aus mehreren Gründen als unschlüssig erachtet
worden, so dass nur durch eine konkrete Auseinandersetzung mit sämtlichen tragenden
Gesichtspunkten der (klageabweisende) Subsumtionsschluss des Urteils zu Fall gebracht
werden konnte. Anders als bei einer Leistungs- oder positiven Feststellungsklage; welche
nur Erfolg haben kann, wenn sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, genügt bei
der Kündigungsschutzklage als negativer Feststellungsklage bereits die Verneinung einer
Wirksamkeitsvoraussetzung, um dem Klagegebehren zum Erfolg zu verhelfen. Verneint
das arbeitsgerichtliche Urteil sämtliche geprüften Rechtsunwirksamkeitsgründe und weist
es deshalb den Kündigungsfeststellungsantrag ab, so bedarf es – im Gegensatz zur
arbeitgeberseitigen Berufung gegen ein klagestattgebendes Urteil, welches mehrere
Gründe für die Unwirksamkeit der Kündigung nennt – weder für die Zulässigkeit der
Berufung eines Angriffs auf sämtliche Urteilserwägungen, noch ist der Umfang der
rechtlichen Überprüfung im Berufungsrechtszug auf konkret gerügte Rechtsverletzungen
beschränkt. Genügt die Berufungsbegründung schon mit einem einzelnen Angriff den
gesetzlichen Anforderungen und ist sie damit zulässig, umfasst die Begründetheitsprüfung
– auf der Grundlage des vorgetragenen Tatsachenstoffs – sämtliche, auch nicht oder nur
pauschal gerügte anderweitige Rechtsmängel der Kündigung. An die geltend gemachten
sachlichen Berufungsgründe ist das Gericht auch nach der Neuregelung des
Berufungsrechts der Zivilprozessordnung nicht gebunden (§ 529 Abs. 2 S. 2 ZPO).
II
Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet. Auch auf der Grundlage des
zweitinstanzlichen Sachvortrages des Klägers ist von der Wirksamkeit der fristlosen
Kündigung vom 02.01.2003 auszugehen.
1. Die fristlose Kündigung vom 02.01.2003 scheitert nicht an der Versäumung der
Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB.
a) Zutreffend hat das Arbeitsgericht erkannt, dass die Vorschrift des § 626 Abs. 2 BGB,
welche den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen
seit Kenntnis des Arbeitgebers vom maßgeblichen Kündigungssachverhalt zulässt, im
Bereich des Schwerbehindertenrechts durch die Regelungen des § 91 Abs. 2 und Abs. 5
SGB IX modifiziert wird. Dies betrifft zum einen den materiell-rechtlichen Gesichtspunkt,
dass der Arbeitgeber – abweichend von § 626 Abs. 2 BGB – nicht gehalten ist, die
Kündigung
innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis vom Kündigungsgrund auszusprechen,
sondern allein innerhalb der genannten Frist die Zustimmung zur Kündigung beim
Integrationsamt zu beantragen und – nach erteilter Zustimmung – sodann unverzüglich
auszusprechen hat. In formeller Hinsicht ist daneben zu beachten, dass es sich bei der
Zustimmung zur Kündigung um einen Verwaltungsakt handelt, dessen Rechtswirksamkeit
allein im Verwaltungsverfahren zu klären ist. Da das Integrationsamt die beantragte
Zustimmung nur erteilen darf, sofern die Antragsfrist des § 91 Abs. 2 SGB IX gewahrt ist,
handelt es sich insoweit – vom Fall des nichtigen Verwaltungsaktes abgesehen – um eine
Fragestellung, welche der arbeitsgerichtlichen Nachprüfung entzogen ist. Hat also das
Integrationsamt trotz Versäumung der Zweiwochenfrist die Zustimmung zur Kündigung
erteilt, so kann der Einwand fehlerhafter Rechtsanwendung nicht im arbeitsgerichtlichen
Verfahren, sondern allein im Widerspruchs- und Klageverfahren vor dem
Verwaltungsgericht geltend gemacht werden. Liegt die Zustimmung des Integrationsamtes
zur Kündigung vor, so hat der Arbeitgeber gemäß § 91 Abs. 5 SGB IX die Kündigung
unverzüglich zu erklären. Die im Gesetz enthaltene Formulierung, die Kündigung könne
auch noch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erfolgen, bedeutet allein,
dass der Zeitablauf, welcher durch das Antragsverfahren gemäß § 91 SGB IX verstreicht,
nicht zur Versäumung der Zweiwochenfrist nach § 626 Abs. 2 BGB führt. In diesem Sinne
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"verdrängt" die Sondervorschrift des § 91 Abs. 2 SGB IX die Anwendung des § 626 Abs. 2
BGB. Ist allerdings die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB im Zeitpunkt des
Kündigungsausspruchs noch nicht verstrichen, weil etwa das Integrationsamt innerhalb
kürzester Zeit seine Entscheidung getroffen hat, steht dem Arbeitgeber unabhängig von der
Sondervorschrift des § 91 Abs. 5 SGB IX die volle Zweiwochenfrist ab Kenntnis vom
Kündigungssachverhalt gemäß § 626 Abs. 2 BGB zur Verfügung (BAG Urt. v. 15.11.2001 –
2 AZR 380/00 – AP § 626 BGB Ausschlussfrist Nr. 45).
Auf der Grundlage der Vorschriften des Sonderkündigungsschutzes für Schwerbehinderte
hat dementsprechend das Arbeitsgericht zutreffend eine eigene Prüfungskompetenz
verneint und klargestellt, dass die Einhaltung der Antragsfrist des § 91 Abs. 2 SGB IX allein
vom Verwaltungsgericht nachzuprüfen sei.
b) Wie der Kläger im Zuge des Berufungsverfahrens mitgeteilt hat, hat er allerdings sein
Bemühen, als Schwerbehinderter anerkannt zu werden, zwischenzeitlich aufgegeben und
seine diesbezügliche Klage vor dem Sozialgericht zurückgenommen. Mit der Erwägung,
dass aus diesem Grunde auch die Anfechtung des Zustimmungsbescheides des
Integrationsamtes beim Verwaltungsgericht keinen Sinn mehr macht bzw. das
diesbezügliche Rechtsbedürfnis entfallen sein dürfte, hat der Kläger auch seine
Anfechtungsklage vor dem Verwaltungsgericht zurückgenommen.
Entgegen dem Standpunkt des Klägers führt dies jedoch nicht dazu, dass nunmehr die
Rechtslage so zu beurteilen ist, als ob ein Zustimmungsbescheid gar nicht ergangen wäre.
Dem Kläger steht zwar der Sonderkündigungsschutz nach den Regeln des
Schwerbehindertenrechts nicht zu, weswegen die Wirksamkeit der Kündigung nicht an
einem Verstoß gegen Vorschriften des Schwerbehindertenrechts – insbesondere einer
fehlerhaften Anwendung des § 91 Abs. 2 SGB IX durch das Integrationsamt – scheitern
kann. Die Tatsache, dass der Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes sich
nachträglich als "überflüssig" oder "gegenstandslos" erweist, ändert aber nichts daran,
dass die zu Gunsten der Beklagten ergangene behördliche Zustimmungsentscheidung
nach wie vor existent und bestandskräftig geworden ist. Die behördliche
Zustimmungsentscheidung ist auch nicht etwa unter dem Vorbehalt ergangen, dass der
Kläger tatsächlich als Schwerbehinderter anerkannt werde. Vielmehr hat das
Integrationsamt – der gesetzlichen Regelung entsprechend – über den Zustimmungsantrag
des Arbeitgebers auch für den Fall zu entscheiden, dass der Antrag auf Anerkennung der
Schwerbehinderung noch nicht beschieden ist. Ist aber der Zustimmungsbescheid des
Integrationsamts bestandskräftig geworden, so hat es damit sein Bewenden, dass die
Rechtmäßigkeit der Zustimmungsentscheidung auch gegenwärtig nicht mit der Erwägung
in Frage gestellt werden darf, das Integrationsamt habe verkannt, dass dem Arbeitgeber der
maßgebliche Kündigungssachverhalt länger als zwei Wochen bekannt gewesen sei. Die
Tatsache, dass der Kläger tatsächlich nicht als Schwer-behinderter anerkannt worden ist,
kann nicht ungeschehen machen, dass der Kläger für sich den Sonderkündigungsschutz
für Schwerbehinderte in Anspruch genommen hat mit der Folge, dass eine
Behördenentscheidung über die Zustimmung zur Kündigung ergangen und in diesem
Zusammenhang verbindlich die Vorfrage der Einhaltung der Zweiwochenfrist entschieden
worden ist. Die "Verdrängung" der Vorschrift des § 626 Abs. 2 BGB durch die
Sondervorschrift des § 91 Abs. 2 SGB IX ist dementsprechend mit Rücksicht auf die
Bestandskraft des Verwaltungsakts auch weiter zu beachten. Demgemäß kann der Kläger
nicht mit seinem Einwand durchdringen, die Wirksamkeit der Kündigung sei nunmehr ohne
Rücksicht auf die Vorschriften des Schwerbehindertenrechts nach § 626 Abs. 2 BGB zu
prüfen und folgerichtig zu verneinen.
c) Aber auch wenn man – abweichend von den vorstehenden Ausführungen – aus der
Bestandskraft des Zustimmungsbescheides allein herleiten will, die Rechtmäßigkeit der
Zustimmung könne nicht in Frage gestellt werden, wegen der fehlenden
Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers komme es indessen hierauf nicht an, ist es
dem Kläger jedenfalls unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB)
versagt, sich auf den Mangel des § 626 Abs. 2 BGB zu berufen. Nachdem der Kläger
nämlich den Sonderkündigungsschutz als Schwerbehinderter in Anspruch genommen und
so die Beklagte zur Durchführung des Zustimmungsverfahrens vor dem Integrationsamt
veranlasst hat, will er nunmehr so gestellt werden, als habe er die Rechte des
Schwerbehindertenschutzes für sich gar nicht in Anspruch genommen. Hierin muss ein
widersprüchliches Verhalten gesehen werden, welches mit Treu und Glauben nicht
vereinbar ist.
Zutreffend hat das Arbeitsgericht im angegriffenen Urteil auf die Entscheidung des
Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.1987 – 7 AZR 632/85 – AP § 626 BGB Ausschlussfrist
Nr. 26 = NZA 1988, 429 ff. hingewiesen. Danach darf sich der Arbeitnehmer nach Treu und
Glauben auch dann nicht auf die Versäumung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB berufen,
wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass er tatsächlich nicht schwerbehindert war und
deshalb die Kündigung der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle nicht bedurfte. Wie sich
allerdings aus den Gründen der Entscheidung im Einzelnen ergibt, betreffen die
Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts zu § 242 BGB diejenige Verzögerung bei
Ausspruch der Kündigung, welche unmittelbar durch die Notwendigkeit des
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Zustimmungsverfahrens bedingt sind. Der Arbeitgeber, der nicht innerhalb der
Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB kündigt, sondern vorsorglich – weil der
Arbeitnehmer sich einer Schwerbehinderung berühmt – einen Zustimmungsantrag bei der
Behörde stellt, braucht sich eine Versäumung der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB
nicht vorhalten zu lassen, wenn sich nachträglich herausstellt, dass das behördliche
Zustimmungsverfahren überflüssig war. Im vorliegenden Fall geht es demgegenüber nicht
um die verfahrensbedingte Verzögerung des Kündigungsausspruchs, sondern darum, dass
der Arbeitnehmer, welcher sich auf eine behördlich noch nicht festgestellte
Behinderteneigenschaft beruft, den Arbeitgeber zur Durchführung eines behördlichen
Zustimmungsverfahrens veranlasst, welches eigenständigen Verfahrensregeln unterliegt
und deren Einhaltung nur in einem eigenständig ausgestalteten Rechtsbehelfs- und
Klageverfahren überprüft werden kann. Wenn aber der Kläger für sich die Rechte des
Sonderkündigungsschutzes nach dem Schwerbehindertenrecht in Anspruch nimmt,
welches zu Gunsten des Arbeitnehmers ein behördliches Überprüfungsverfahren – mit der
Folge einer gewissen Herauszögerung der Kündigung – mit eigenständigem
Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelverfahren vorsieht, so muss es als ein widersprüchliches
Verhalten gewertet werden, wenn der Arbeitnehmer, nachdem auf der Grundlage
behördlicher Prüfung binnen zwei Wochen ein entsprechender Bescheid zu seinen Lasten
ergangen, auf dieser Grundlage eine Kündigung ausgesprochen und schließlich der
Zustimmungsbescheid bestandskräftig geworden ist, nachträglich geltend machen will, der
Sonderkündigungsschutz stehe ihm in Wahrheit gar nicht zu, weswegen es bei der
Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Kündigung nicht hierauf, sondern auf die allgemein
geltenden Regeln ankomme. Auch wenn dem Kläger nicht unterstellt werden kann, er habe
einen völlig aussichtslosen Antrag auf Anerkennung einer Schwerbehinderung gestellt, um
dem Kündigungsentschluss der Beklagten Steine in den Weg zu legen, ändert dies nichts
daran, dass sich der Kläger an seinen Erklärungen festhalten lassen muss und nicht so
gestellt werden kann, als habe es das behördliche Verfahren der Zustimmungserteilung
nicht gegeben. Für diesen Fall wäre nämlich die Kündigung zweifellos früher
ausgesprochen worden. Mit der Rechtskraft des Zustimmungsbescheides muss der Kläger
hinnehmen, dass ihm – gleich ob in der Sache zu Recht oder zu Unrecht – der Einwand
abgeschnitten ist, dem Arbeitgeber sei der Kündigungsgrund länger als zwei Wochen
bekannt gewesen.
2. Zutreffend hat das Arbeitsgericht auch das Vorliegen eines "wichtigen Grundes" im
Sinne des § 626 Abs. 1 BGB bejaht. Die Kammer folgt insoweit der ausführlichen und
überzeugenden Begründung des arbeitsgerichtlichen Urteils. Die mit der Berufung
vorgetragenen Gesichtpunkte rechtfertigen keine andere Beurteilung.
Insbesondere wird die vom Arbeitsgericht überzeugend begründete Feststellung, der
Kläger habe durch die vorzeitige Bezahlung von Rechnungen der Werbeagentur in grober
Weise seine Vertragspflichten verletzt, nicht durch die mit der Berufung vorgetragene
Begründung in Frage gestellt, der Kläger habe bei der Zahlungsanweisung auf die
Auskunft der Agentur N1xxxx vertrauen können. In seiner verantwortlichen Position als
Marketing-Direktor musste dem Kläger ohne weiteres klar sein, dass er auch gegenüber
einem vertrauenswürdigen Kunden die Interessen der Beklagten zu wahren hatte.
Ersichtlich war in den Vereinbarungen mit der Werbeagentur weder die Zahlung von
Abschlägen noch gar eine Vorleistung der Beklagten vorgesehen. Selbst wenn also nicht
der Kläger die Werbeagentur aufgefordert hat, vorzeitig Rechnungen zu schreiben, sondern
der entsprechende Wunsch an den Kläger herangetragen wurde, gab es keinen Grund,
sich hierauf – zumindest nicht in der maßgeblichen Größenordnung – einzulassen.
Zutreffend hat das Arbeitsgericht darauf hingewiesen, dass die durchgeführten
Stornierungen von Rechnungen, insbesondere die voll-ständige Stornierung des Auftrags
Nr. 10 der Werbeagentur N1xxxx/P3xxxxxx/S9xxxxxxx-pagne (Bl. 135 d.A.) nur so zu
erklären ist, dass entsprechende Leistungen von Seiten der Werbeagentur noch nicht
erbracht waren. Einem etwaigen Kundenwunsch, gleichwohl die Rechnung vorab bezahlt
zu erhalten, hätte der Kläger unter diesen Umständen nur mit besonderer Genehmigung
entsprechen dürfen. Das Schreiben der Werbeagentur N1xxxx vom 25.10.2002 spricht im
Übrigen deutlich gegen die Richtigkeit der Darstellung des Klägers.
Entsprechendes gilt für den Vortrag des Klägers, bei der Anweisung von Zahlungen im
Dezember 2001 habe er auf die Auskunft der Agentur N1xxxx vertrauen dürfen, die
fraglichen Projekte seien bereits begonnen, mit der entsprechenden Nachprüfung sei nicht
er, sondern Herr H3xxxxx befasst gewesen. Dies vermag nichts daran zu ändern, dass die
Entscheidung über eine vorzeitige Begleichung noch nicht fälliger Rechnungen beim
Kläger lag. Das Vertrauen in die Redlichkeit eines Geschäftspartners erklärt und rechtfertigt
nicht, in der hier maßgeblichen Größenordnung Vorleistungen zu erbringen. Deutlich näher
als die Erklärungen des Klägers liegt vielmehr die Einschätzung der Beklagten, der Kläger
habe im Hinblick auf die Kürzung des Werbeetats für das Jahr 2002 das Ziel verfolgt,
Rechnungen, welche an sich erst im Jahr 2002 fällig würden, noch zu Lasten des Etats für
das Jahr 2001 abzuwickeln. Dass dies den erkennbaren Interessen der Beklagten und den
Pflichten des Klägers nicht entsprach, bedarf keiner weiteren Ausführungen.
Auch der weitere Vortrag des Klägers, mit welchen er die fehlende Rückführung des
Guthabens von ca. 335.000,00 € an die Beklagte zu erklären sucht, vermögen nicht zu
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überzeugen. Abgesehen vom maßgeblichen Zinsverlust und Insolvenzrisiko, auf welches
das Arbeitsgericht zutreffend verwiesen hat, ist zu beachten, dass die vom Kläger gewählte
Vorgehensweise, das entstandene Guthaben durch Verrechnung mit Fremdrechnungen
aufzubrauchen, der Beklagten jedwede Kontrolle unmöglich machte. In der Buchhaltung
der Beklagten erschienen nämlich Rechnungen, welche zwar bezahlt waren, denen jedoch
– wegen Stornierung der Aufträge – entsprechende Leistungen der Werbeagentur gar nicht
zugrunde lagen. Diejenigen Leistungen, welche aus dem bei der Werbeagentur geführten
Guthaben bezahlt wurden, tauchten hingegen in der Buchhaltung der Beklagten gar nicht
auf. Dass hierin ein schwerer Vertrauensverstoß liegt, welcher zugleich geeignet war,
Zweifel an der Redlichkeit des Klägers zu begründen, hat das Arbeitsgericht zutreffend
ausgeführt: Die Kammer schließt sich dieser Bewertung ausdrücklich an.
Auch die gebotene Interessenabwägung muss unter den vorliegenden Umständen zu
Lasten des Klägers ausgehen. Unabhängig davon, ob der Kläger als leitender Angestellter
anzusehen ist, stellt jedenfalls seine vertragliche Position als unmittelbar dem Vorstand
unterstellten
Marketing-Direktor eine ausgesprochene Vertrauensposition dar, welche – neben der
Prokura – mit einer Etatverantwortung von mehreren Millionen Euro/Jahr verbunden war.
Auch wenn verständlich erscheint, dass der Kläger mit der für das Jahr 2002 verordneten
Kürzungen seines Etats nicht einverstanden war und das vorstehend dargestellte
pflichtwidrige Verhalten des Klägers vorrangig dadurch motiviert war, durch Vorverlagerung
von Ausgaben auf den noch nicht ausgeschöpften Etat 2001 einen zusätzlichen Spielraum
für Ausgaben im Jahre 2002 zu erreichen, ändert dies nichts daran, dass die vom Kläger
gewählte Vorgehensweise nicht allein mit den Vorgaben des Vorstandes in Widerspruch
stand, sondern zugleich die Interessen der Beklagten und
– wichtiger noch – das Vertrauen in das korrekte Verhalten des Klägers in Frage stellte.
Unter diesen Umständen war der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch
nur für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist, welche immerhin sechs Monate zum
Monatsende betrug, nicht mehr zuzumuten.
III
Wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die außerordentliche Kündigung
vom 02.01.2003 hat das Arbeitsgericht zu Recht auch die gegen die ordentlichen
Kündigungen vom 29.11.2002 und 14.01.2003 gerichteten Kündigungsfeststellungsanträge
abgewiesen. Insoweit wird auf die zutreffenden Gründe der arbeitsgerichtlichen
Entscheidung Bezug genommen.
IV
Über den Auflösungsantrag des Klägers war keine Entscheidung zu treffen. Da das
Arbeitsverhältnis bereits aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung beendet worden ist, ist für
eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses kein Raum.
V
Die Kosten der erfolglosen Berufung hat der Kläger zu tragen, da er unterlegen ist.
VI
Die Kammer hat im Hinblick auf die Problematik des § 626 Abs. 2 BGB die Revision gegen
das Urteil zugelassen, soweit es die Frage der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch
die angegriffene außerordentliche Kündigung vom 02.01.2003 betrifft. Demgegenüber
bestand für eine umfassende Zulassung der Revision kein Anlass. Sollte der Kläger
aufgrund der zugelassenen Revision mit seinem Standpunkt durchdringen, das
Arbeitsverhältnis sei durch die außerordentliche Kündigung vom 02.01.2003 nicht beendet
worden, bliebe es jedenfalls bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die
ordentliche Kündigung vom 29.11.2002 zum 31.05.2003, hinsichtlich derer Rechtsmängel
nicht zu erkennen sind. Insbesondere hat der Kläger den Vortrag der Beklagten nicht
bestritten, die Kündigung vom 29.11.2002 sei nach entsprechender Anhörung des
Betriebsrats ausgesprochen worden. Da die Einhaltung der Zweiwochenfrist des § 626
Abs. 2 BGB allein die außerordentliche Kündigung, nicht hingegen die ordentliche
Kündigung betrifft und das Verhalten des Klägers aus den dargestellten Gründen in jedem
Falle zur Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung genügt, war für die Zulassung der
Revision hinsichtlich der weiteren Klageabweisung kein Raum.
Dr. Dudenbostel
Menzel
Taschner
Woi./k