Urteil des LAG Hamm vom 19.09.2005
LArbG Hamm: begründung der kündigung, ordentliche kündigung, behandlung, gefahr, arbeitsfähigkeit, gutachter, beendigung, interessenabwägung, arbeitsgericht, gesundheitszustand
Landesarbeitsgericht Hamm, 8 Sa 2213/03
Datum:
19.09.2005
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 Sa 2213/03
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Gelsenkirchen, 4 Ca 2268/02
Nachinstanz:
Bundesarbeitsgericht, 2 AZR 759/05 Revision zurückgewiesen
18.01.2007
Schlagworte:
Kündigung / personenbedingte Kündigung / Krankheit / mangelnde
gesundheitliche Eignung / psychische Erkrankung /
Sicherheitsbedenken / Zukunftsprognose / Beurteilungszeitpunkt /
Therapieplan
Normen:
KSchG § 1
Leitsätze:
Für die bei der krankheitsbedingten Kündigung erforderliche
Zukunftsprognose ist von den im Kündigungszeitpunkt maßgeblichen
Verhältnissen auszugehen, weswegen nachträglich gewonnene
Erkenntnisse aus einem gerichtlichen Sachverständigengutachten zu
Krankheitsdiagnostik und weiteren Therapiemaßnahmen
unberücksichtigt bleiben müssen.
Rechtskraft:
Die Revision gegen das Urteil wird zugelassen.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Gelsenkirchen vom 05.11.2003 - 4 Ca 2268/02 - wird auf Kosten des
Klägers zurückgewiesen.
Die Revision gegen das Urteil wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
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Mit seiner Klage wendet sich der im Jahre 1964 geborene, ledige und mit einem GdB
von 30 einem Schwerbehinderten gleichgestellte Kläger, welcher im Betrieb der
Beklagten seit dem 01.09.1982 als technischer Angestellter und seit 1996 in der
Funktion eines Main-Operaters (Industriemeister Chemie) gegen ein durchschnittliches
Monatsentgelt von 3.701,-- € beschäftigt war, in erster Linie gegen die Beendigung
seines Arbeitsverhältnisses durch ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung vom 27.09.
zum 31.12.2002 und macht weiter Vergütungsansprüche unter dem Gesichtspunkt des
Annahmeverzuges geltend. Widerklagend verlangt die Beklagte die Rückzahlung
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geleisteter Vergütung wegen irrtümlicher Überzahlung.
Die angegriffene Kündigung hat die Beklagte, welche in G4xxxxxxxxxxx einen Betrieb
der chemischen Industrie mit ca. 565 Arbeitnehmern führt, unter dem Gesichtspunkt
mangelnder gesundheitlicher Eignung des Klägers ausgesprochen. Hierzu hat die
Beklagte vorgetragen, die unstreitig beim Kläger vorliegende psychische Erkrankung
schließe nach werksärztlicher Feststellung sowohl eine Beschäftigung als Main-
Operator mit Fahr- und Steuertätigkeiten als auch die zuletzt ab Januar 2002
probeweise übertragene Tätigkeit als
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Reparatur-Koordinator aus. Angesichts des hohen Gefährdungspotentials der
Produktionsanlagen, wo ständig mit hochexplosiven und brennbaren Stoffen gearbeitet
werde, sei ein Einsatz des Klägers insbesondere unter Sicherheitsgesichtspunkten nicht
mehr zu vertreten. Hierzu hat die Beklagte auf vorangehende Konflikte am Arbeitsplatz
verwiesen, bei welchen sich erhebliche Defizite in der Zusammenarbeit und
Kommunikation mit Vorgesetzten und Mitarbeitern gezeigt hätten, wobei es bereits zu
unkontrollierten Verhaltensweisen des Klägers und einer Notabschaltung der
Produktionsanlagen gekommen sei.
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Wie unstreitig ist, wurde der Kläger nach dem Auftreten innerbetrieblicher Konflikte im
Zeitraum November/Dezember 1999 in der Abteilung für Psychiatrie und
Psychotherapie des S4. A3xxxxxx-H3xxxxxxx K4xxxxxxx behandelt. Die anschließend
beabsichtigte stufenweise Wiedereingliederung in den bisherigen Einsatzbereich
scheiterte daran, dass der Werksarzt die erforderliche Unbedenklichkeitsbescheinigung
für den Einsatz mit Fahr- und Steuertätigkeiten nicht erteilte, worauf der Kläger zunächst
im Produktionsumfeld und ab Januar 2002 probeweise als Reparatur-Koordinator
eingesetzt wurde. Nachdem der Werksarzt mit Wirkung vom 01.03.2002 auch für diese
Tätigkeit eine Arbeitsunfähigkeit attestierte, stellte die Beklagte den Kläger ab dem
21.03.2002 von der Arbeit frei und leitete das Kündigungs-verfahren ein.
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Zur Begründung der Kündigung hat die Beklagte ausgeführt, unter den vorliegenden
Umständen sei die Fortführung des Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen. Wegen der
bestehenden Erkrankung bestehe die Gefahr, dass der Kläger in beruflich oder privat
veranlassten Stresssituationen die Kontrolle verliere, woraus sich eine Gefährdung für
Mitarbeiter, Nachbarschaft und Anlagen ergebe. Diese Einschätzung sei auch
ärztlicherseits (Bl. 58 ff. d.A.) durch den vom Integrationsamt beauftragten Gutachter D1.
S5xxxx bestätigt worden. Soweit demgegenüber der Kläger geltend mache, die
vorliegende psychische Erkrankung beruhe auf einer langjährigen Exposition giftiger
Stoffe sowie auf Betriebsunfällen in den Jahren 1997 und 1999 mit massivem
Lösungsmittelkontakt, sei dieser Erklärungsansatz weder medizinisch überzeugend,
noch werde hierdurch die festgestellte mangelnde gesundheitliche Eignung des Klägers
in Frage gestellt. Mangels geeigneter anderweitiger Einsatzmöglichkeiten verbleibe
allein die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Nach schriftlicher Anhörung des
Betriebsrats (Bl. 38 ff. d.A.) und Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes
gemäß Bescheid vom 24.09.2002 (Bl. 32 d.A.) sei das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der
tariflich vorgesehenen dreimonatigen Kündigungsfrist mit dem 31.12.2002 beendet.
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Demgegenüber hat der Kläger zum einen die ordnungsgemäße Anhörung des
Betriebsrats bestritten und im Übrigen ausgeführt, bereits seit dem 01.08.2002 sei er
wieder als arbeitsfähig anzusehen. Wie sich aus der Stellungnahme des behandelnden
Neurologen, Psychiaters und Umweltmediziners D1. R3xxxxx vom 04.07.2002 (Bl. 79 ff.
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d.A.), vom 02.09.2003 (Bl. 221 d.A.) und vom 07.01.2004 (Bl. 273 ff. d.A.) ergebe, seien
die früher – seit 1994/1995 – gelegentlich aufgetretenen psychischen Störungen nach
stationärer
Behandlung im Jahre 1999 unter Einnahme der verordneten Medikamente vollständig
verschwunden. In Übereinstimmung mit der Beurteilung des behandelnden Arztes D1.
R3xxxxx handele es sich bei den aufgetretenen Krankheitssymptomen um Folgen einer
Lösungsmittel-Intoxikation, welche insbesondere darauf zurückzuführen sei, dass der
Kläger im Jahre 1997 in eine ungesicherte Grube mit Lösungsmitteln und anderen
Chemikalien gefallen sei. Im Jahre 1999 sei es zu einem weiteren Arbeitsunfall
gekommen, wobei ihm Lösungsmittel in die Augen gespritzt seien. Die sich hieraus
ergebenden Krankheitsfolgen im Sinne einer Polyneuropathie führten jedoch
keineswegs zu einer dauerhaften Leistungsunfähigkeit, vielmehr sei von einem
Abklingen der Beschwerden auszugehen, so dass unter Beibehaltung der verordneten
Medikation dauerhaft eine Beschäftigung des Klägers in seiner früheren Position ohne
weiteres möglich sei. Dementsprechend sei die Beklagte auch zur
arbeitsvertragsgemäßen Weiterbeschäftigung zu verurteilen.
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Für den Zeitraum September 2002 bis einschließlich Januar 2003 hat der Kläger die
Zahlung von Arbeitsvergütung unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges verlangt
und ferner einen Anspruch auf ein betriebliches "Begrüßungsgeld" und ein 13.
Monatsgehalt geltend gemacht. Soweit die Beklagte die für August 2002 gezahlte
Vergütung als irrtümlich geleistet zurückverlange, stehe ihm auch für diesen Monat
Vergütung zu, da er bereits ab dem 01.08.2002 wieder arbeitsfähig gewesen sei.
9
Der Kläger hat im ersten Rechtszuge beantragt
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die
Kündigung vom 27.09.02 beendet worden ist, sondern über den
31.12.02 hinaus ungekündigt fortbesteht;
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2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen
vertraglichen Bedingungen weiter zu beschäftigen;
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3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 25.049,25 € brutto
abzüglich erhaltenen
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Arbeitslosengeldes in Höhe von 4.960,20 € netto nebst 8% Zinsen über
dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der
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Lohnbeträge für September 2002 bis Januar 2003 zu zahlen.
15
Die Beklagte hat beantragt,
16
die Klage abzuweisen.
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Widerklagend hat die Beklagte die Rückzahlung der Augustvergütung 2002 geltend
gemacht
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und hat insoweit beantragt,
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den Kläger zur verurteilen, an die Beklagte 2.135,84 € nebst 5% Zinsen
über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Der Kläger hat beantragt,
21
die Widerklage abzuweisen.
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Durch Urteil vom 05.11.2003 (Bl. 241 ff. d.A.), auf welches wegen des weiteren
erstinstanzlichen Parteivorbringens Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht nach
Einholung eines Sachverständigengutachtens des Arbeitsmediziners D1. P4xxxx (Bl.
172 ff. d.A.) nebst nervenärztlichem Zusatzgutachten des D1. K3xxxxx (Bl. 142 ff. d.A.)
die Klage abgewiesen und dem Widerklagebegehren der Beklagten entsprochen. Zur
Begründung des klageabweisenden Urteils ist im Wesentlichen ausgeführt worden,
nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe zur Überzeugung des Gerichts fest,
dass der Kläger aus gesundheitlichen Gründen seine frühere Tätigkeit im Betrieb der
Beklagten nicht mehr ausüben könne. Das beim Kläger vorliegende Krankheitsbild mit
rezidivierenden psychotischen Episoden, schizotypen Störungen und schizoiden
Persönlichkeitsstörungen kombiniert mit sozialen Phobien stehe der Beschäftigung des
Klägers mit Tätigkeiten, welche ein übliches Maß an Verantwortung, Eigenständigkeit
und Kooperation in einem organisierten Betrieb voraussetzten und eine Fremd- oder
Selbstgefährdung herbeiführen könnten, entgegen. Auf dieser Grundlage müsse von
einer durchgängigen Arbeitsunfähigkeit des Klägers seit dem 22.03.2002 ausgegangen
werden, ohne dass Aussicht bestehe, dass der Kläger in
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absehbarer Zeit – bis zum Ablauf des Jahres 2004 – seine Arbeitsfähigkeit
wiedergewinnen könne. Soweit sich der Kläger demgegenüber auf die abweichende
Stellungnahme des D1. R3xxxxx berufe, habe dieser bei seiner Stellungnahme zu
Unrecht den Lösungsmittelkontakt in den Vordergrund gestellt. Nach den
überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen könne jedoch nicht
von einer durch Lösungsmittelkontakt ausgelösten Polyneuropathie ausgegangen
werden, zumal Herr D1. R3xxxxx bei seiner Beurteilung die psychischen Erkrankungen
des Klägers aus der Vergangenheit nicht ausreichend berücksichtigt habe. Soweit der
Kläger die Betriebsratsanhörung bestreite, sei dieses Bestreiten unsubstantiiert,
nachdem die Beklagte Inhalt und Hergang der Betriebsratsanhörung im Einzelnen
vorgetragen habe. Mit Rücksicht auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses seien
auch der Weiterbeschäftigungsantrag sowie die verfolgte Zahlungsklage unbegrün- det.
Wegen der festgestellten Arbeitsunfähigkeit des Klägers auch im Monat August 2002
erweise sich zugleich die Widerklage der Beklagten als begründet.
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Mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung wendet sich der Kläger
unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens gegen das
arbeitsgerichtliche Urteil, welches der Kläger in vollem Umfang zur Überprüfung stellt.
Weder die vom Integrationsamt eingeholte ärztliche Stellungnahme des D1. S5xx vom
23.06.2002 noch das vom Gericht eingeholte Sachverständigengutachten des D1.
K3xxxxx seien geeignet, die vom Kläger unter Hinweis auf die Stellungnahme des
behandelnden Arztes D1. R3xxxxx vorgetragene Behauptung zu widerlegen, bei den
aufgetretenen Gesundheitsstörungen handele es sich um Folgen einer
Lösungsmittelintoxikation. Nachdem sich der gesundheitliche Zustand des Klägers
bereits im Zeitpunkt der Kündigung deutlich gebessert habe, sei bei Beachtung der
verordneten Medikation von der tatsächlichen oder zumindest absehbaren
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers – auch für die zuletzt ausgeübte
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Tätigkeit – auszugehen. Soweit es nach Ausspruch der Kündigung im Jahre 2004 zu
akuten psychischen Problemen mit erneuter stationärer Aufnahme gekommen sei,
beruhe dies auf nicht verallgemeinerungsfähigen Umständen und schicksalhaften
Ereignissen.
Insoweit ist unstreitig, dass der Kläger u.a. nach einem Konflikt mit seiner
Lebensgefährtin die ärztlicherseits verordneten Medikamente abgesetzt hatte, worauf
sich bei ihm Selbsttötungsgedanken einstellten, welche letztlich zur stationären
Behandlung in der Zeit vom 23.07. – 03.09.2004 führten. Nach erfolgreicher Behandlung
dieser Krankheitsepisode sei von einer vollen Stabilisierung des Gesundheitszustandes
unter Beachtung der verordneten Medikation auszugehen. Wie im Übrigen der vom
Landesarbeitsgericht bestellte Sachverständige D1. B6xxx bei der Erläuterung seines
Gutachtens ausgeführt habe, könne selbst auf der Grundlage des vom Gutachter
angenommenen Krankheitsbildes einer noch nicht ausreichend behandelten "affektiven
Störung" durchaus von einer günstigen Gesundheitsprognose ausgegangen werden,
wenn neben der korrekten Medikation zugleich eine therapeutische Begleitung des
Patienten erfolge. Von einer feststehenden dauerhaften
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Leistungsunfähigkeit oder einer vollständigen Ungewissheit der Genesung könne unter
diesen Umständen nicht ausgegangen werden.
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Der Kläger beantragt,
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das angegriffene Urteil abzuändern und nach den in erster Instanz
zuletzt gestellten Anträgen zu erkennen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält die Berufung des Klägers mangels ausreichender Berufungsbegründung für
unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet und führt unter Wiederholung und Vertiefung
ihres Vorbringens aus, die vom Integrationsamt sowie vom Arbeitsgericht eingeholten
Gutachten bestätigten eindeutig den arbeitgeberseitig vorgetragenen Standpunkt einer
mangelnden gesundheitlichen Eignung des Klägers. Soweit sich der Kläger auch im
zweiten Rechtszug erneut auf die Stellungnahme des D1. R3xxxxx beziehe, gehe diese
an der Sache vorbei. Unabhängig davon, dass die beim Kläger aufgetretenen
Krankheitserscheinungen durch die geschilderten Arbeitsunfälle nicht zu erklären seien,
weshalb auch eine Anerkennung als Berufskrankheit erfolglos geblieben sei, führe
schon die Tatsache, dass es bei Herabsetzung der Medikamentendosis oder
eigenmächtigem vollständigen Absetzen der
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Medikation zu unberechenbaren Verhaltensweisen und Ausfällen kommen könne, dazu,
dass dem Kläger krankheitsbedingt die Eignung für eine Tätigkeit in einem
Produktionsbetrieb der chemischen Industrie fehle. Da unstreitig andere geeignete
Arbeitsplätze nicht vorhanden seien, sei eine Aufrechterhaltung des
Arbeitsverhältnisses nicht vertretbar.
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Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines weiteren
Sachverständigengutachtens gemäß dem Beweisbeschluss vom 11.03.2004 (Bl. 298
d.A.). Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten der Ärzte
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P5xx. D1. A1xx und D1. B6xxx (Bl. 362 ff. d.A.), ferner auf die ergänzende
Stellungnahme des D1. B6xxx vom 30.05.2005 (Bl. 455 ff. d.A.) Bezug genommen.
Weiter hat das Gericht den behandelnden Arzt des Klägers, Herrn D1. R3xxxxx, als
sachverständigen Zeugen sowie den Sachverständigen D1. B6xxx zur mündlichen
Erläuterung seines Gutachtens vernommen. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll
vom 19.09.2005 Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
35
Die – entgegen den Einwänden der Beklagten zulässige – Berufung des Klägers bleibt
oh- ne Erfolg.
36
I
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Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die ausgesprochene Kündigung vom
27.09.2002 mit Ablauf des 31.12.2002 wirksam beendet worden.
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1. In formeller Hinsicht bestehen gegen die Wirksamkeit der Kündigung keine
Bedenken. Die Beklagte hat vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung des
Integrationsamtes eingeholt, welche mit Bescheid vom 24.09.2002 erteilt worden ist.
Weiter hat die Beklagte die Rechte des Betriebsrats gewahrt. Die vorgelegten
Unterlagen zur schriftlichen Betriebsratsanhörung lassen Mängel des
Anhörungsverfahrens nicht erkennen. In tatsächlicher Hinsicht hat der Kläger keine
substantiierten Einwände erhoben, so dass in Übereinstimmung mit dem
arbeitsgerichtlichen Urteil von der korrekten Durchführung des Anhörungsverfahrens
auszugehen ist.
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2. In der Sache kann die Beklagte die ausgesprochene Kündigung erfolgreich auf
Gründe in der Person des Klägers gemäß § 1 Abs. 2 KSchG stützen.
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In Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil muss nämlich davon
ausgegangen werden, dass im Zeitpunkt der Kündigung beim Kläger eine nicht
ausgeheilte bzw. nicht erfolgreich therapierte psychische Erkrankung vorlag, welche
unter Berücksichtigung der bestehenden Arbeitsplatzanforderungen und zu
beachtenden Sicherheitsgesichtsaspekte einen Einsatz des Klägers in der Produktion
ausschloss (a) und auch innerhalb eines absehbaren und zumutbaren
Überbrückungszeitraums eine Wiederherstellung der
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Arbeitsfähigkeit nicht erwarten ließ (b). Da nach dem unstreitigen Sachverhalt keine
Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Beschäftigung des Klägers auf einem freien
Arbeitsplatz außerhalb des Produktionsbereichs in Frage kam (c), kann die
Entscheidung der Beklagten, das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Kündigung zu
beenden, nicht beanstandet werden.
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a) Aufgrund der vorliegenden psychischen Erkrankung ließ der gesundheitliche Zustand
des Klägers im Zeitpunkt der Kündigung einen Einsatz im Produktionsbereich nicht zu.
Insbesondere war aufgrund der seinerzeit ärztlich veranlassten Therapiemaßnahmen
eine hinreichende Stabilisierung der Psyche nicht erreicht, welche die Gefahr
stressbedingter "Entgleisungen" zuverlässig ausschloss. Hiervon ist das Gericht trotz
der zum Teil voneinander abweichenden ärztlichen Beurteilungen des
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Krankheitsbefundes überzeugt.
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(1) Das Arbeitsgericht ist im Anschluss an das eingeholte Sachverständigengutachten
des Arbeitsmediziners D1. P4xxxx und des nervenärztlichen Zusatzgutachtens des
Neurologen und Psychiaters D1. K3xxxxx, welches wiederum an die im S4. A3xxxxx-
H4xxxxx erhobenen Befunde anknüpft, davon ausgegangen, das beim Kläger
vorliegende Krankheitsbild sei den Erkrankungen des schizophrenen Formenkreises
zuzuordnen. Auf der Grundlage dieser Diagnose sei der Kläger für einen Einsatz als
Main-Operator oder Reparatur- Koordinator ungeeignet, da ihm Tätigkeiten mit
entsprechender Verantwortung aus Gefährdungsgründen nicht übertragen werden
dürften.
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Demgegenüber hat der Kläger unter Hinweis auf die Stellungnahme des behandelnden
Arztes D1. R3xxxxx auch im zweiten Rechtszuge an seinem Standpunkt festgehalten,
die in der Vergangenheit aufgetretenen Erkrankungen beruhten auf
Vergiftungserscheinungen, deren Folgen jedoch soweit abgeklungen seien, dass bei
Fortführung der verordneten Medikation mit weiteren Ausfallerscheinungen nicht zu
rechnen sei. Diesen Standpunkt hat der als sachverständiger Zeuge vernommene Arzt
D1. R3xxxxx gegenüber dem Landesarbeitsgericht im Einzelnen bestätigt und unter der
Voraussetzung, dass der Kläger Zuspitzungen betrieblicher Konflikte vermeidet, sich
erwartungsgemäß lernfähig zeigt und dementsprechend die verordneten Medikamente
durchgehend einnimmt, auch im Produktionsbereich eingesetzt werden kann, wobei
wegen der durch die Betriebsunfälle bestehenden "Vorbelastung" der Gesundheit ein
erneuter unmittelbarer Kontakt mit Giftstoffen vermieden werden müsse, wovon aber bei
Einhaltung der allgemeinen Produktionsvorschriften ausgegangen werden könne.
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Nach dem Ergebnis des vom Landesarbeitsgericht eingeholten
Sachverständigengutachtens sind – wie der Gutachter D1. B6xxx bei der mündlichen
Erläuterung seines Gutachtens noch einmal herausgestellt hat – die aufgetretenen
Erkrankungen nicht bzw. nicht maßgeblich durch die vom Zeugen D1. R3xxxxx
herausgestellte Intoxikation zu erklären. Gegen einen solchen Zusammenhang spreche
insbesondere das Fehlen körperlicher Symptome, wie sie für eine Nervenschädigung
durch Belastung mit Giftstoffen kennzeichnend sei. Abweichend von der Auffassung des
Vorgutachters und von der Diagnose des S4. A3xxxxxx-H3xxxxxxx, nach welcher beim
Kläger Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis vorlägen, sei nach den jetzt
getroffenen gutachterlichen Feststellungen am ehesten von einer "affektiven Störung" im
Sinne einer schweren depressiven Erkrankung mit episodischem Verlauf und zeitweise
psychotischen Symptomen auszugehen, welche durch eine vorbestehende psychische
Vulnerabilität bedingt sei. Sowohl die aufgetretenen Arbeitsunfälle als auch die
Stressbelastung am Arbeitsplatz seien damit nicht als Ursachen der psychiatrischen
Erkrankung anzusehen, hätten aber – wie auch die besonderen psychischen
Belastungen im privaten Bereich – jeweils zur psychischen Destabilisierung des
Klägers beigetragen.
47
(2) Für die rechtliche Beurteilung, inwiefern durch die bestehende Erkrankung die
Eignung des Klägers zur Fortführung seiner Tätigkeit im Betrieb der Beklagten in Frage
gestellt ist, kommt es letztlich nicht auf die exakte Erfassung des Krankheitsbildes an, in
kündigungs-schutzrechtlicher Hinsicht ist vielmehr entscheidend, inwiefern im
Kündigungszeitpunkt wegen der Erkrankung des Klägers dessen Einsatzfähigkeit
dauerhaft oder auf nicht absehbare Zeit infrage gestellt oder ob durch entsprechende
Medikation und Therapiemaßnahmen der Gesundheitszustand des Klägers soweit
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stabilisiert war, dass ein Einsatz des Klägers am bisherigen Arbeitsplatz in der
Produktion aktuell oder innerhalb eines zumutbaren Überbrückungszeitraum von nicht
mehr als 24 Monaten erwartet werden konnte. Die Frage, inwiefern die Erkrankung auf
betrieblichen Ursachen – etwa auf den vom Kläger geschilderten Arbeitsunfällen –
beruht, ist allein für die stets erforderliche Interessenabwägung von Belang.
(a) Zur Frage der gesundheitlichen Einsatzfähigkeit des Klägers im
Kündigungszeitpunkt hat der Sachverständige D1. B6xxx überzeugend ausgeführt, dass
hierfür nicht allein die Einordnung des Krankheitsbildes als "affektive Störung" sowie
eine hierauf bezogene Medikation maßgeblich ist, vielmehr bedürfen die beim Kläger
festgestellten Beeinträchtigungen der Konzentrationsfähigkeit und kognitiver Defizite
einer entsprechenden therapeutischen Behandlung. Zugleich bedarf es einer
Stabilisierung der Psyche, um so zugleich die Einsichtsfähigkeit des Patienten in die
Notwendigkeit strikter Medikamenteneinnahme zu stärken. Nach den überzeugenden
Ausführungen des Sachverständigen kann nämlich nur bei regelmäßiger und
dauerhafter Einnahme der verordneten Medikamente das Risiko von Rückfällen und
Entgleisungen der Psyche, wie dies in der Vergangenheit vorgekommen ist, minimiert
werden.
49
(b) Diese Voraussetzungen lagen unzweifelhaft im Zeitpunkt der Kündigung nicht vor.
Auch wenn man davon ausgeht, dass der Kläger im damaligen Zeitpunkt nicht allein die
nach dem eingeschlagenen Therapiekonzept des D1. R3xxxxx verordneten
Medikamente erhielt, sondern Gegenstand der ärztlichen Behandlung zugleich auch
therapeutische Gespräche waren, kann nicht davon ausgegangen werden, dass bereits
aufgrund dieses Therapieansatzes die vom Sachverständigen D1. B6xxx für notwendig
erachteten Voraussetzungen zur Stabilisierung der Psyche und zur Überwindung der
festgestellten mentalen Defizite geschaffen waren. Vielmehr bestanden aus den im
Sachverständigengutachten genannten Gründen noch im Untersuchungszeitpunkt
grundlegende Bedenken gegen eine Arbeitsaufnahme. Ob mit Hilfe der vom
Sachverständigen D1. B6xxx geschilderten
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therapeutischen Maßnahmen künftig eine dauerhafte Stabilisierung der Psyche des
Klägers erreicht werden könnte, so dass auch bei erneutem Auftreten von Konflikten am
Arbeitsplatz oder in der Privatsphäre mit entsprechender Stressbelastung eine
"Entgleisung" der Psyche – ggfls. mit Selbst- oder Fremdgefährdung – ausgeschlossen
werden könnte, ist demgegenüber aus rechtlichen Gründen nicht von Belang.
Maßgeblich für die soziale
51
Rechtfertigung der Kündigung sind nämlich die Verhältnisse im Zeitpunkt des
Kündigungsausspruchs. Erst nachträglich entstandene oder zutage getretene Umstände
können danach bei der Beurteilung des Gesundheitszustandes und der hierauf
bezogenen Zukunftsprognose keine Berücksichtigung finden. (BAG AP Nr. 18, 22, 26 zu
§ 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG Urt. v. 21.02.2001 – 2 AZR 558/99 – EzA § 1 KSchG
Krankheit Nr. 48 = NZA 2001,1071 ff.):
52
Dies gilt nicht allein für den Fall, dass der Arbeitnehmer erst nach Ausspruch der
Kündigung durch eine Verhaltensänderung die Voraussetzungen für eine günstigere
Zukunftsprognose schafft, indem er etwa durch Einstellen des Rauchens die Gefahr
weiterer Atemwegserkrankungen begrenzt oder durch die nachträgliche Bereitschaft,
sich einer Operation zu unterziehen, die Heilungsaussicht für eine bestehende
Erkrankung verbessert. Zu den erst nachträglich entstandenen und damit
53
kündigungsschutzrechtlich nicht mehr zu berücksichtigenden Umständen gehören
vielmehr auch Änderungen der ärztlichen Behandlungsmethode, welche – etwa durch
Arztwechsel oder neue medizinische Erkenntnisse – erst nach Ausspruch der
Kündigung die Therapieaussichten verbessern und eine günstigere Prognose der
Krankheitsentwicklung erlauben, als dies auf der Grundlage der im
Kündigungszeitpunkt verordneten Heilmaßnahmen der Fall war. Auch das Risiko einer
Fehlbeurteilung durch den behandelnden Arzt trifft nach diesen Grundsätzen den
Arbeitnehmer (BAG vom 21.02.2001, a.a.O.)
Ohne die erst durch das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten zutage
getretenen Erkenntnisse über zusätzliche Möglichkeiten der Stabilisierung des
Gesundheitszustandes durch psychotherapeutische Begleitmaßnahmen muss aber
davon ausgegangen werden, dass der Kläger zwar unter regulären Umständen die ihm
verordneten Medikamente weiterhin eingenommen hätte, wodurch ein aktuelles
Auftreten psychischer Störungen verhindert wurde. Nicht hingegen war die verordnete
Therapie auch in dem Sinne ausreichend, um im Falle außerordentlicher
Stressbelastungen der Gefahr einer "Entgleisung" der Psyche zuverlässig zu begegnen.
Wie die Tatsache belegt, dass der Kläger im Jahre 2004 im Zusammenhang mit privaten
Problemen die verordneten Medikamente abgesetzt hat und sich in diesem Zustand
ernsthafte Störungen der Psyche gezeigt haben, muss davon ausgegangen werden,
dass allein die vom behandelnden Arzt durchgeführte Behandlung eine hinreichende
Stabilisierung des Gesundheitszustandes nicht gewährleistete.
54
Hiergegen kann auch nicht eingewandt werden, für die Beurteilung des
Gesundheitszustandes im Kündigungszeitpunkt dürfe nicht auf die nachfolgenden
Ereignisse des Jahres 2004 zurückgegriffen werden. Im vorliegenden Zusammenhang
geht es nicht darum, den Krankheitsverlauf nach Ausspruch der Kündigung als Indiz für
oder gegen die Richtigkeit einer auf den Kündigungszeitpunkt bezogenen
Gesundheitsprognose heranzuziehen. Der Sachverständige hat seine Einschätzung,
die diagnostizierte Erkrankung sei allein mit der verordneten Medikation nicht optimal
therapiert, weswegen es an einer ausreichenden Stabilisierung der Psyche fehle, nicht
etwa aus den Ereignissen des Jahres 2004 geschlussfolgert, vielmehr knüpfen die
Ausführungen des Sachverständigen an die selbst erhobenen Befunde einschließlich
des neuropsychologischen Zusatzgutachtens an, welche unter Verwertung von
Erfahrungswissen in dem Sinn gedeutet werden, dass allein durch die verordnete
Medikation eine zuverlässige Stabilisierung der Gesundheit nicht zu erreichen und auch
tatsächlich nicht erreicht ist. Letztere Feststellung bezieht sich zwar unmittelbar auf die
Verhältnisse im Untersuchungszeitpunkt. Der Kläger trägt indessen selbst nicht vor, im
Zeitpunkt der Kündigung sei sein Gesundheitszustand besser als im Zeitpunkt der
Untersuchung durch den Sachverständigen gewesen. Dann bestehen aber keine
Bedenken gegen die Annahme, der vom Sachverständigen erhobene Befund treffe auch
für die Verhältnisse im Zeitpunkt der Kündigung zu.
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(c) Soweit demgegenüber nach Auffassung des Arztes D1. R3xxxxx eine hinreichende
Stabilisierung des Gesundheitszustandes auch bereits im Zeitpunkt der Kündigung
vorgelegen haben soll, da sich gezeigt habe, dass der Kläger die verordneten
Medikamente bis zum Vorfall aus dem Jahre 2004 regelmäßig eingenommen habe und
der Kläger im Übrigen zweifellos lernfähig sei, um mit beruflichen und privaten
Konflikten umzugehen, vermag dies die Kammer nicht zu überzeugen. Insbesondere
bleibt bei dieser Einschätzung unberücksichtigt, dass das Auftreten psychischer
Belastungsfaktoren und die hiermit verbundene Destabilisierung der Psyche zu einer
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Verhaltensänderung des Patienten führen kann, bei welcher die notwendige
regelmäßige Einnahme von Medikamenten ausbleibt. Eben hierdurch kann es zu nicht
überschaubaren "Entgleisungen" mit erheblichem Gefährdungspotential kommen.
Diejenigen Umstände, welche im Jahre 2004 beim Kläger eine Destabilisierung der
Psyche bewirkt haben, können auch nicht als derart ungewöhnlich angesehen werden,
dass eine Wiederholung ähnlicher Konfliktsituationen praktisch ausgeschlossen werden
könnte. Demgemäß muss davon ausgegangen werden, dass im Kündigungszeitpunkt
die Gefahr einer belastungsbedingten Fehlreaktion des Klägers nicht auszuschließen
war. Ob – wie der Sachverständige D1. B6xxx ausgeführt hat – die zusätzliche
Durchführung therapeutischer Maßnahmen die bestehenden Risiken vollkommen
ausschalten könnte, oder ob selbst unter den vom Gutachter genannten Bedingungen
ein gewisses "Restrisiko" nicht auszuschließen wäre, welches in Anbetracht der
besonderen betrieblichen
Verhältnisse als nicht hinnehmbar anzusehen wäre, bedarf aus den dargestellten
Gründen keiner Entscheidung. Allein die dem Kläger von Herrn D1. R3xxxxx attestierte
Lernfähigkeit und seine erklärte Bereitschaft, sich leidensgerecht zu verhalten, sind
nach Art der vorliegenden Erkrankung nicht genügend, um die bestehenden Bedenken
gegen einen Einsatz mit verantwortungsvollen Tätigkeiten im Produktionsbereich
auszuräumen. Der Gesichtspunkt der gesundheitlichen Eignung umfasst nach der Art
der auszuübenden Tätigkeit hier nicht allein Merkmale der körperlichen und geistigen
Leistungsfähigkeit oder der eigenen Gesundheitsgefährdung, sondern auch – wegen
der Gefahren für Mitarbeiter und Allgemeinheit – eine ausreichende Sicherheit, dass es
nicht wegen fehlender Stabilität der Psyche zu Fehlreaktionen kommt.
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(3) Auf dieser Grundlage kann auch nicht dem Einwand des Klägers gefolgt werden, mit
Rücksicht auf die bestehende Beweislastverteilung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG sei
bei Zweifeln an der vollständigen Ausheilung bzw. hinreichenden Therapie der
Erkrankung von der Sozialwidrigkeit der Kündigung auszugehen. Geht man im
Anschluss an die vorstehenden Ausführungen davon aus, dass zur Eignung für die
auszuübende Tätigkeit unbedingt das Vorhandensein einer stabile Psyche – ohne die
krankheitsbedingte Gefahr von Ausfallerscheinungen – gehört, so muss nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme vom Fehlen dieser Voraussetzungen ausgegangen
werden. Auch wenn nicht feststeht, sondern lediglich als möglich erscheint, dass es bei
Fortführung der Beschäftigung zu psychischen Belastungssituationen und
Ausnahmereaktionen des Klägers kommen könnte, steht doch eine entsprechende
krankheitsbedingte Disposition des Klägers fest. Schon diese und nicht erst die mehr
oder minder geringe Wahrscheinlichkeit, dass es infolgedessen zu einer psychischen
"Entgleisung" kommen könnte, begründet den festgestellten Eignungsmangel.
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b) Die auf den Zeitpunkt der Kündigung bezogene Prognose möglicher
Heilungsaussichten muss aus den bereits dargestellten Gründen als vollständig
ungewiss angesehen werden. Insbesondere war nicht absehbar, dass es allein durch
Zeitablauf und Fortführung der ärztlichen Behandlung unter Beachtung der verordneten
Medikation zu einer
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zuverlässigen Stabilisierung der psychischen Konstitution kommen würde. Für die
Einschätzung, der Gesundheitszustand des Klägers werde sich auf der Grundlage des
im Kündigungszeitpunkts vorliegenden Behandlungskonzepts binnen 24 Monaten
entsprechend verbessern, fehlt nach dem festgestellten Sachverhalt jede Grundlage. Ob
dies bei Durchführung der vom Sachverständigen D1. B6xxx angesprochenen
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ergänzenden therapeutischen Maßnahmen anders wäre, ist aus den vorstehenden
Gründen nicht von Belang.
c) Entgegen dem Standpunkt des Klägers war es der Beklagten auch im Rahmen der
gebotenen Interessenabwägung nicht zuzumuten, die weitere Krankheitsentwicklung
über einen längeren Zeitraum abzuwarten, weil – wie der Kläger behauptet – seine
Erkrankung maßgeblich durch betriebliche Ursachen bedingt ist.
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Zum einen hat der Sachverständige D1. B6xxx unter Hinweis auf die Auswertung
einschlägiger Fachliteratur einer derartigen Beurteilung im Hinblick auf fehlende
körperliche Symptome widersprochen und jedenfalls eine monokausale Verursachung
der festsgestellten Symptomatik durch betriebliche Faktoren verneint. Schon aus diesem
Grunde scheidet eine Verpflichtung der Beklagten aus, trotz unabsehbarer Dauer der
Erkrankung am Arbeitsverhältnis festzuhalten.
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Zum anderen muss auch im Rahmen der Interessenabwägung der Grundsatz beachtet
werden, dass die Zumutbarkeit weiteren Abwartens nach den im Kündigungszeitpunkt
maßgeblichen Verhältnissen zu beurteilen ist. Ist im Zeitpunkt der Kündigung auf der
Grundlage der vorhandenen ärztlichen Erkenntnis und dem hierauf aufbauenden
Therapiekonzept allein eine Symptomfreiheit, nicht jedoch eine dauerhafte, auch unter
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Belastungssituationen hinreichend sichere Stabilisierung des Gesundheitszustandes
erreicht, ohne dass weiterreichende Therapiemaßnahmen mit verbesserten Chancen
zur Stabilisierung des Gesundheitszustandes bereits in Erwägung gezogen sind, so
kann auf dieser Grundlage ein längeres Aufschieben der Kündigungsentscheidung
auch im Fall betrieblicher Verursachung der Erkrankung nicht verlangt werden. Allein
die abstrakte Möglichkeit, es werde sich auch ohne Änderung von Diagnostik und
Behandlungsmethode irgendwann eine Besserung des Gesundheitszustands ergeben,
rechtfertigt nicht die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses ohne jede zeitliche
Beschränkung. Für Überbrückungsmaßnahmen und ein vorübergehendes Freihalten
des Arbeitsplatzes – auch für eine längere Zeitspanne – ist nur Raum, wenn – bezogen
auf die im Kündigungszeitpunkt maßgeblichen Umstände – Aussicht auf
Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit besteht. Dies war – wie vorstehend ausgeführt
worden ist – hier nicht der Fall. Auch die Tatsache, dass der Kläger einem
Schwerbehinderten gleichgestellt ist, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.
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Auch der Umstand, dass mögliche Folgen der vom Zeugen D1. R3xxxxx in den Vorder-
grund gerückten Giftstoffexposition auf Dauer abklingen, rechtfertigt keine andere
Einschätzung. Auch nach der Beurteilung des D1. R3xxxxx waren und sind die
psychischen Folgen der Erkrankung nicht etwa überwunden, vielmehr ist weiterhin die
Einnahme der verordneten Medikamente erforderlich. Die vom Zeugen D1. R3xxxxx
erwartete Stabilisierung der Psyche knüpft nicht etwa an ein konkret prognostizierbares,
mehr oder minder zeitnahes Abklingen der Krankheitssymptome an, vielmehr gründet
sich die genannte
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Einschätzung, der Kläger sei bereits im Kündigungszeitpunkt wieder als arbeitsfähig
anzusehen, auf die vorausgesetzte Lernfähigkeit des Klägers und eine entsprechend
erwartete Verhaltensänderung zur Vermeidung von Stressbelastungen. Davon, dass
allein noch ein irgendwie eingrenzbarer Zeitraum zu überbrücken sei, um die nach dem
vorstehend begründeten Standpunkt der Kammer erforderliche dauerhafte Stabilisierung
der psychischen Verfassung zu erreichen, kann auch auf der Grundlage der
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Ausführungen des Zeugen D1. R3xxxxx nicht ausgegangen werden.
Mangels anderer leidensgerechter Beschäftigungsmöglichkeiten muss nach alledem die
Interessenabwägung zu Lasten des Klägers ausgehen. Mit Ablauf der Kündigungsfrist
ist dementsprechend des Arbeitsverhältnis der Partein wirksam beendet worden.
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II
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Wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sind auch der
Weiterbeschäftigungsantrag wie auch die vom Kläger verfolgten Zahlungsansprüche
unbegründet. Insoweit wird auf die zutreffenden Gründe der arbeitsgerichtlichen
Entscheidung Bezug genommen.
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III
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Entsprechendes gilt für die Verurteilung des Klägers nach Maßgabe der Widerklage.
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IV
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Die Kosten der erfolglosen Berufung hat der Kläger zu tragen.
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V
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Die Kammer hat gemäß § 72 ArbGG die Revision gegen das Urteil zugelassen.
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Dr. Dudenbostel
Ebeler
Palsbröker
76
En.
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