Urteil des LAG Hamm vom 15.03.2006

LArbG Hamm: zuweisung einer anderen tätigkeit, vergütung, versetzung, betriebsrat, eisen, tarifvertrag, arbeitsgericht, zulage, gehalt, kunststoff

Landesarbeitsgericht Hamm, 2 Sa 1812/04
Datum:
15.03.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 Sa 1812/04
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Paderborn, 1 Ca 623/04
Normen:
§§ 2, 3, 8 TV LGS Metall NRW; § 256 Abs. 2 ZPO, §§ 315, 615 BGB, §§
1 Abs. 2, 2 KSchG, Art. 12 GG
Leitsätze:
§ 8 des Tarifvertrages über die Lohn- und Gehaltssicherung für
Arbeitnehmer in der Eisen-, Metall-, Elektro- und
Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 25.01.1979 (jetzt
§ 8 TV EGS vom 18.12.2003), der den Arbeitgeber ohne besonderen
Grund berechtigt, dem Arbeitnehmer eine niedriger bezahlte Tätigkeit
zuzuweisen, ist wegen Verstoßes gegen die zwingenden
Kündigungsschutzbestimmungen der §§ 1 und 2 KSchG unwirksam.
Rechtskraft:
Die Revision wird zugelassen
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Paderborn vom 29.07.2004 - 1 Ca 623/04 - wie folgt abgeändert:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger
über den 30.04.2004 hinaus den jeweiligen Tariflohn gemäß der
Lohngruppe 6 § 3 des Lohnrahmenabkommens in der Eisen-, Metall-
und Elektroindustrie NRW in der zuletzt gültigen Fassung zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 984,98 € brutto und auf den
Betrag in Höhe von 156,05 € 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit
dem 03.12.2003, auf den Betrag in Höhe von 156,05 € 5 % Zinsen über
dem Basiszinssatz seit dem 03.01.2004, auf den Betrag in Höhe von
156,05 € 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 03.02.2004, auf
den Betrag in Höhe von 181,92 € 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz
seit dem 03.03.2004 und auf den Betrag in Höhe von 181,92 € 5 %
Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 03.04.2004 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung bezüglich der Zahlungsklage abgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf
5.421,88 € festgesetzt.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Herabgruppierung des Klägers.
2
Der am 19.03.1963 geborene Kläger ist bei der Beklagten, die etwa 240
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, seit dem 01.11.1990 als
Maschinenbediener tätig. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft beiderseitiger
Organisationszugehörigkeit die Tarifverträge der Eisen-, Metall-, Elektro- und
Zentralheizungsindustrie NRW Anwendung. Der Kläger ist seit dem 01.03.1992 Mitglied
der IG Metall. Die Beklagte ist zum 31.12.2004 aus dem Arbeitgeberverband
ausgetreten.
3
In dem schriftlichen Arbeitsvertrag vom 22.10.1990 heißt es:
4
"2. Lohn
5
Herr M2xxxx ist in Lohngruppe 6.
6
Der Lohn beträgt DM 15,34/Std. und setzt sich wie folgt zusammen:
7
1. Tariflohn zur Zeit 13,87 DM
8
2. tarifliche Zulage 1,47 DM
9
...
10
Die Einstellung erfolgt mit der Maßgabe, dass der Arbeitnehmer zur Vermeidung
von Kurzarbeit oder Entlassungen sowie aus anderen betrieblichen Gründen
wechselnd in sämtlichen Abteilungen mit allen Arbeiten und
Schichteinteilungen beschäftigt werden kann, auch wenn dabei ein Wechsel an
Akkord-, Prämien- oder Zeitlohn stattfindet. Mit der Zuweisung der neuen
Tätigkeit tritt die für ihn geltende Lohnregelung sofort in Kraft, ohne dass ein
Anspruch auf Fortzahlung des bisherigen Lohnes für die Dauer der
Kündigungsfrist besteht. ..."
11
Mit Wirkung zum 01.02.2003 wurde der Kläger von seinem bisherigen Arbeitsplatz an
der Blechschere im Metallbereich in den Geschäftsbereich Kunststoffverarbeitung
versetzt. Hintergrund ist, dass die Arbeiten an der Blechschere weggefallen waren und
das Schneiden der Bleche durch den Einsatz von Laserstrahltechnik erfolgt. Nach
Darstellung der Beklagten ist der bisherige Arbeitsplatz des Klägers dadurch vollständig
entfallen. Zur Vermeidung einer Entlassung sei der Kläger in den Kunststoffbereich
versetzt worden. Die Tätigkeit dort werde aber tarifkonform nur mit Lohngruppe 4
vergütet.
12
Die Beklagte teilte dem Kläger deshalb die Neuregelung seiner Bezüge mit Schreiben
vom 16.01.2003 wie folgt mit:
13
"Sehr geehrter Herr M2xxxx,
14
aufgrund ihrer neuen Tätigkeit als Maschinenbediener im Geschäftsbereich
Kunststoffverarbeitung erhalten Sie mit Wirkung ab dem
01.02.2003
Bezüge:
15
- Monatsentgelt Lohngruppe 4 € 1.541,49
16
- Tarifliche Zulage € 168,01
17
€ 1.709,50"
18
Dem widersprach der Kläger mit Schreiben vom 03.04.2003 wie folgt:
19
"Geltendmachung nach § 19 MTV NRW
20
Sehr geehrte Damen und Herren,
21
nach Durchsicht meiner Gehaltsabrechnung habe ich festgestellt, dass sie
einseitig ein neues Gehalt festgesetzt haben. Meine bisherige Lohngruppe war
6, sie haben die Berechnung meines Lohnes für den Monat Februar und März
auf der Grundlage der Lohngruppe 4 vorgenommen.
22
Hiermit widerspreche ich dieser Umgruppierung und berufe mich auf den
Tarifvertrag über Lohn- und Gehaltssicherung für die Arbeitnehmer der Eisen-,
Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalen in der
Fassung vom 25. Januar 1979. In diesem ist geregelt, dass, wenn Arbeitnehmer
aus betrieblichen Gründen auf einen geringer bezahlten Arbeitsplatz versetzt
werden, eine Gehaltssicherung von 7 Monaten haben.
23
Diese mache ich ausdrücklich hiermit geltend. Weiter beanspruche ich die
Differenz zwischen den o.g. Lohngruppen für den Monat Februar in Höhe von
79,62 €
Beträge bitte ich mit der nächsten Lohn- und Gehaltsabrechnung zu
überweisen."
24
Die Beklagte erfüllte die Lohnsicherung bis einschließlich August 2003. Ab 01.09.2003
erhält der Kläger nur noch Vergütung nach der Lohngruppe 4 des einschlägigen
Tarifvertrages.
25
Mit Schreiben vom 17.02.2004 wandte sich der Kläger über seine
Prozessbevollmächtigte an die Beklagte und bat um Überprüfung seiner Umgruppierung
von der Lohngruppe 6 in die Lohngruppe 4. Er machte die Differenzlohnansprüche
einschließlich Zulage für die Vergangenheit und für die Zukunft geltend. Wegen der
Einzelheiten des Geltendmachungsschreibens wird auf Bl. 25 d.A. Bezug genommen.
26
Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 02.03.2004, dass der Mitarbeiter eine
27
Verdienstsicherung im Umfang von sieben Monaten habe, wenn ihm aus dringenden
betrieblichen Gründen ein geringer bezahlter Arbeitsplatz zugewiesen werden müsse.
Diese Gehaltssicherung sei dem Kläger auch gewährt worden. Seiner
Herabgruppierung habe der Kläger nicht widersprochen. Dies wäre auch nicht
erfolgreich möglich gewesen, weil der Tarifvertrag das Direktionsrecht des
Arbeitsgebers erweitert habe. Einer einverständlichen Regelung oder einer
Änderungskündigung hätte es nicht bedurft.
Die einschlägigen Regelungen des Tarifvertrages über die Lohn- und Gehaltssicherung
für Arbeitnehmer in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-
Westfalen vom 25.01.1979 (TV LGS) lauten wie folgt:
28
"§ 2
29
Wird einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Gründen ein geringer
bezahlter Arbeitsplatz zugewiesen, so hat der Arbeitnehmer Anspruch auf
Weiterzahlung seines bisherigen Lohns oder Gehalts für die Dauer von sieben
Monaten.
30
§ 3
31
Ändern sich die Anforderungen an einen Arbeitplatz durch technische und/oder
organisatorische Änderungen auf Dauer und verringert sich dadurch der Lohn
oder das Gehalt, so hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Weiterzahlung seines
bisherigen Lohns oder Gehalts für die Dauer von zwölf Monaten.
32
§ 4
33
Entfällt der Arbeitsplatz durch technische und/oder organisatorische
Maßnahmen auf Dauer und erfolgt ein Einsatz an einem geringer bezahlten
Arbeitsplatz, so hat der Arbeitnehmer, sofern er dem Unternehmen mindestens
sechs Monate angehört, Anspruch auf Weiterzahlung seines bisherigen Lohns
oder Gehalts für die Dauer von zwölf Monaten.
34
§ 5
35
Auch nach Ablauf der Lohn- und Gehaltssicherungsfrist soll der Arbeitgeber
dem Arbeitnehmer nach Möglichkeit einen anderen seiner Eignung, seinem
Können, seiner bisherigen Arbeitsweise (ein- oder mehrschichtig) und seinem
bisherigen Lohn oder Gehalt entsprechenden Arbeitsplatz anbieten.
36
§ 8
37
Jeder Arbeitnehmer ist verpflichtet, andere ihm zugewiesene zumutbare
Arbeiten und Tätigkeiten zu übernehmen."
38
Die Beklagte vertritt den Standpunkt, sie sei aufgrund der tariflichen Regelungen
berechtigt gewesen, dem Kläger wegen Wegfall seines bisherigen Arbeitsplatzes eine
andere Tätigkeit zuzuweisen und ihn in die Lohngruppe 4 herabzugruppieren. § 8 TV
LGS enthalte ein uneingeschränktes Direktionsrecht. Der soziale Ausgleich erfolge
durch die Verdienstsicherung.
39
Der Kläger hält die Herabgruppierung für unwirksam, weil es dazu einer
Änderungskündigung bedurft hätte.
40
Zur Betriebsratsanhörung, die der Kläger erstinstanzlich gerügt hat, hat die Beklagte
vorgetragen, dem Betriebsrat seien die Vorgänge, insbesondere die Notwendigkeit
seiner Versetzung und auch die Herabgruppierung bekannt gewesen, ohne dass der
Betriebsrat Widerspruch eingelegt hätte.
41
Unstreitig ist, dass der Betriebsrat erneut am 18.05.2004 informiert worden ist und
daraufhin am 14.06.2004 folgende Stellungnahme abgegeben hat:
42
"Betr.: Stellungnahme zur Versetzung und Änderungskündigung von
43
Herrn P1xxx M2xxxx
44
In der Betriebsratssitzung am 14.06.04 hat der Betriebsrat sich mit der
Stellungnahme P1xxx M2xxxx befasst.
45
Der Betriebsrat ist der Meinung, dass die Mitbestimmung nach § 99 nicht
eingeholt, und somit auch die personellen Maßnahmen nach § 95
Betriebsverfassungsgesetz nicht berücksichtigt wurden.
46
Daher können wir die Änderungskündigung von Herrn M2xxxx so nicht
zustimmen.
47
B4xxx, den 14.06.04
48
Für den Betriebsrat
49
Gez. V5xxxxx"
50
Die Beklagte erblickt darin keine beachtliche Zustimmungsverweigerung des
Betriebsrats.
51
Ab 06.12.2004 ist der Kläger in den Kunststoffbereich zurückversetzt worden und dort in
der Schleifkabine tätig. Nach Darstellung der Beklagten ist es allein auf diesem
Arbeitsplatz möglich, den Kläger wie von ihm gewünscht nur mit einer täglichen
Arbeitszeit von sieben Stunden zu beschäftigen. Alle anderen Mitarbeiter arbeiteten
täglich acht Stunden.
52
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der im ersten
Rechtszug gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug
genommen.
53
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 29.07.2004 abgewiesen und zur
Begründung ausgeführt, der Antrag des Klägers, festzustellen, dass die Beklagte auch
über den 01.02.2003 hinaus verpflichtet ist, Vergütung nach der Vergütungsgruppe 6 zu
zahlen, sei unzulässig. Lohndifferenzen zwischen den Lohngruppen 4 und 6 stünden
dem Kläger nicht zu, weil der ursprüngliche Arbeitsplatz des Klägers weggefallen sei
und die Beklagte ihm daraufhin wirksam aufgrund eines gemäß § 8 TV LGS erweiterten
54
Direktionsrechts einen Arbeitsplatz im Kunststoffbereich zugewiesen habe.
Kollektivrechtliche Vorschriften seien nicht verletzt. Wegen der Einzelheiten wird auf die
Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seinen modifizierten Feststellungsantrag und
seinen Zahlungsantrag bezüglich der Lohndifferenzen aus dem Zeitraum September
2003 bis einschließlich April 2004 weiter. Zur Begründung des Rechtsmittels trägt er
vor, das Arbeitsgericht habe seinen Feststellungsantrag zu Unrecht als unzulässig
angesehen. Die begehrte Feststellung sei erforderlich, um seinen Vergütungsstatus
endgültig zu klären. Er bestreite nach wie vor, dass dringende betriebliche Gründe seine
Versetzung erforderlich gemacht hätten. Vergleichbare Mitarbeiter seien nicht versetzt
worden und hätten ihre höhere Lohngruppe behalten. Die Mitarbeiter A3xxxxxxx F2xx
und V3xxxx V4xx seien trotz geringerer Betriebszugehörigkeit und schwächerer
Sozialpunkte beim Schneiden mit Lasertechnik eingesetzt worden. Zur Vermeidung der
Herabgruppierung hätten ihm im Bereich Metall andere Tätigkeiten zugewiesen werden
können. Die Tätigkeit des Schneidens der Bleche mit Hilfe einer mechanischen Schere
sei nur teilweise weggefallen. Seine neue Tätigkeit entspreche keineswegs nur den
Merkmalen der Lohngruppe 4. Durch die Zurückversetzung in die Abteilung Kunststoff
ab 06.12.2004 sei er erneut benachteiligt worden. Er könne ebenso gut auf anderen
Arbeitsplätzen eingesetzt werden, die mindestens nach Lohngruppe 5 vergütet würden.
Dies sei nur deshalb nicht geschehen, weil er der einzige Mitarbeiter sei, der sich
geweigert habe, dem Wunsch der Beklagten auf Erhöhung der wöchentlichen
Arbeitszeit auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich zuzustimmen.
55
Der Kläger beantragt,
56
unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils
57
1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger über den
30.04.2004 hinaus den jeweiligen Tariflohn gemäß Lohngruppe 6, § 3 des
Lohnrahmenabkommens in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NRW in
der zuletzt gültigen Fassung zu zahlen;
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2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.300,08 € brutto und auf den
Betrag in Höhe von 156,05 € 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem
03.10.2003, auf den Betrag von 156,05 € 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz
seit dem 03.11.2003, auf den Betrag in Höhe von 156,05 € 5 % Zinsen über
dem Basiszinssatz seit dem 03.12.2003, auf den Betrag von 156,05 € 5 %
Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 03.01.2004, auf den Betrag in Höhe
von 156,05 € 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 03.02.2004, auf
den Betrag in Höhe von 181,92 € 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit
dem 03.03.2004 und auf den Betrag in Höhe von 181,92 € 5 % Zinsen über
dem Basiszinssatz seit dem 03.04.2004 zu zahlen.
59
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
61
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und tritt dem Vorbringen des Klägers
entgegen. Sie trägt ergänzend vor, anders als vom Kläger dargestellt sei er keineswegs
benachteiligt worden. Mit anderen Mitarbeitern, die nach Lohngruppe 6 vergütet würden,
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sei der Kläger nicht vergleichbar. Er habe während seiner gesamten Tätigkeit
ausschließlich an der Blechschere gearbeitet. Andere Tätigkeiten, die nach Lohngruppe
6 vergütet würden, könne der Kläger fachlich nicht ausüben. Eine Umschulung des
Klägers auf Lasertechnik sei für sie nicht in Betracht gekommen, weil der Kläger nach
ihrer Einschätzung nicht in der Lage sei, die erforderlichen Kenntnisse zu erwerben. Auf
die im Jahre 1998 ausgeschriebene Stelle des Blechschneidens mittels Laserstrahl
habe sich der Kläger nicht beworben. Tatsächlich sei der Arbeitsplatz des Klägers an
der Blechschere weggefallen. Die Blechschere würde nur noch in Ausnahmefällen und
nur in einem sehr geringen zeitlichen Umfang von etwa zwei Stunden pro Woche
eingesetzt. Alternative Beschäftigungsmöglichkeiten des Klägers in den Lohngruppen 5
und 6 habe es zum Zeitpunkt des Wegfalls des Arbeitsplatzes des Klägers an der
Blechschere nicht gegeben. Die Beklagte vertritt die Auffassung, das Recht des Klägers
die Wirksamkeit seiner Versetzung in Frage zu stellen, sei verfallen, weil er sich in
seinem Schreiben vom 03.04.2003 nicht gegen seine Herabgruppierung gewandt,
sondern nur den Anspruch auf Lohnsicherung geltend gemacht habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokollerklärungen ergänzend
Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
64
Die zulässige Berufung des Klägers ist im Wesentlichen begründet.
65
I
66
1. Die Zulässigkeit des Feststellungsantrags folgt aus § 256 Abs. 2 ZPO. Es handelt
sich um eine Zwischenfeststellungsklage, die es dem Kläger ermöglicht, eine
rechtskräftige Entscheidung über das für die Hauptklage vorgreifliche Rechtsverhältnis
herbeizuführen (vgl. BAG vom 24.04.1996 – 4 AZR 876/94 – NZA 1997, 50 unter I der
Gründe; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., Rdnr. 21 zu § 256). Auf den Vorrang der
Leistungsklage kann der Kläger nicht verwiesen werden, weil ihm eine Bezifferung des
strittigen Vergütungsansprüche nur für bereits fällig gewordene Zahlungen möglich ist.
Durch die Zwischenfeststellungsklage wird der Gefahr begegnet, dass die Beklagte bei
künftigen Zahlungsklagen den Grund des Anspruchs, nämlich die verlangte
Eingruppierung, immer wieder in Frage stellen könnte. Die Zwischenfeststellungsklage
führt zu einer prozessökonomisch sinnvollen Klärung der zwischen den Parteien
strittigen Frage, ob der Kläger Vergütung nach der Vergütungsgruppe 6 LRA
beanspruchen kann (vgl. BAG vom 10.12.1965 – 4 AZR 161/65 – DB 1966, 534). Sind
wie hier die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 256 Abs. 2 ZPO erfüllt, braucht
das Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO nicht mehr geprüft zu werden
(BAG vom 24.04.1996 – 4 AZR 876/94 – NZA 1997, 50).
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2. Der Feststellungsantrag ist auch begründet, denn die Herabgruppierung des Klägers
ist unwirksam. Die Beklagte ist verpflichtet, an den Kläger auch über den 30.04.2004
hinaus, Vergütung nach der Lohngruppe 6 des LRA in der Eisen-, Metall- und
Elektroindustrie NRW zu zahlen.
68
Es kann offen bleiben, ob der ursprüngliche Arbeitsplatz des Klägers an der
Blechschere durch den Einsatz von Lasertechnik weggefallen ist. Allerdings spricht
vieles für die Richtigkeit des Beklagtenvortrags, denn den Darlegungen des Klägers
69
kann nicht schlüssig entnommen werden, dass die Beklagte nach wie vor in Vollzeit
Schneidearbeiten mit Hilfe der Blechschere durchführen lässt. Die Herabgruppierung
des Klägers um zwei Lohngruppen verstößt auch dann gegen den gesetzliche
Inhaltsschutz des Arbeitsverhältnisses gemäß § 2 KSchG, wenn die Beklagte dafür
einen triftigen Grund hat. Die Beklagte kann die Herabgruppierung des Klägers nicht auf
§ 8 TV LGS stützen. Diese Regelung ist unwirksam, soweit sie das Direktionsrecht des
Arbeitgebers um die Befugnis erweitert, dem Arbeitnehmer andere, niedriger vergütete
Arbeiten zuzuweisen, ohne dass dafür besondere Gründe vorliegen müssen.
a) Die Herabgruppierung des Klägers ist nicht schon wegen Verletzung des
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Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats unwirksam. Allerdings handelt es sich bei
Zuweisung eines anderes Arbeitsplatzes im Bereich Kunststoff und der damit
verbundenen Herabgruppierung um eine personelle Maßnahme i.S.v. § 99 Abs. 1 Satz
1 BetrVG, die in doppelter Weise mit-bestimmungspflichtig ist: Wird dem Arbeitnehmer
wie vorliegend ein neuer Tätigkeitsbereich zugewiesen, handelt es sich um eine
Versetzung i.S.v. § 95 Abs. 3 BetrVG, weil sich dadurch der Inhalt der Arbeitsaufgabe
ändert (BAG vom 18.02.1986, AP Nr. 33 zu § 99 BetrVG 1972 und vom 28.09.1988, AP
Nr. 55 zu § 99 BetrVG 1972). Bei der Herabgruppierung des Klägers handelt es sich um
eine mitbestimmungspflichtige Umgruppierung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG (BAG
vom 20.03.1990 – 1 ABR 20/89 – AP Nr. 79 zu § 99 BetrVG 1972 = NZA 1990, 699).
Beide Vorgänge sind zu unterscheiden und jeweils für sich mitbestimmungspflichtig
(Fitting, BetrVG, 23. Aufl., § 99 Rdnr. 87; Richardi/Thüsing,BetrVG, 10. Aufl., § 99 Rdnr.
83).
71
Es kann offen bleiben, ob der Betriebsrat ordnungsgemäß beteiligt worden ist und seine
Stellungnahme vom 14.06.2004 als Zustimmungsverweigerung gemäß § 99 Abs. 3 Satz
1 BetrVG anzusehen ist, die die Beklagte zur Durchführung des
Zustimmungsersetzungsverfahrens gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG benötigt hätte (vgl. zur
Begründungspflicht des Betriebsrats BAG vom 26.01.1988 – 1 AZR 531/96 – AP Nr. 50
zu § 99 BetrVG 1972 = NZA 1988, 476). Bei der erneuten Versetzung des Klägers ab
06.12.2004 in die Schleifkabine des Metallbereichs ist der Betriebsrat offenbar nicht
beteiligt worden.
72
Auch bei fehlender oder unzureichender Beteiligung des Betriebsrats folgt aber
individual-rechtlich kein Anspruch des Klägers auf unveränderte Vergütung nach der
Lohngruppe 6. Die Herabgruppierung des Klägers ist keine Maßnahme der Beklagten,
sondern Rechtsanwendung. Dem Betriebsrat ist bei Fragen der richtigen
Eingruppierung lediglich ein Mitbeurteilungsrecht eingeräumt (BAG vom 03.10.1989 – 1
ABR 66/88 – AP Nr. 75 zu § 99 BetrVG). Für den Anspruch des Arbeitnehmers auf
Bezahlung nach derjenigen Entgeltgruppe, deren Tätigkeitsmerkmalen seine Tätigkeit
entspricht, ist die Beteiligung des Betriebsrats ohne Einfluss, weil sich das
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nur auf eine Richtigkeitskontrolle beschränkt.
Missachtet der Arbeitgeber bei einer Herabgruppierung das Mitbeurteilungsrecht des
Betriebsrats, hat dies nicht zur Folge, dass die Herabgruppierung individualrechtlich
unwirksam ist und deshalb ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Weiterzahlung der
ursprünglichen Vergütung besteht (Fitting, BetrVG, 23. Aufl., § 99 Rdnrn. 81 und 230;
Richardi/Thüsing, BetrVG, 10. Aufl., § 99 Rdnr. 303; Friedrich/Kloppenburg,
Vergütungskorrektur und Nachweisrecht, RdA 2001, 293, 298 unter dd). Ob dies auch
für den Beschäftigungsanspruch bei unwirksamer Versetzung gilt, war hier nicht zu
entscheiden (vgl. dazu BAG vom 26.01.1988 – 1 AZR 531/86 – AP Nr. 50 zu § 99
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BetrVG 1972 = NZA 1988, 476 m.abl.Anm. Ehrich, NZA 1992, 731). Nur wenn die
höherwertige Tätigkeit tatsächlich ausgeübt wird, besteht auch ein Anspruch auf
entsprechende Vergütung (vgl. BAG vom 10.03.1982 – 4 AZR 541/79 – DB 1982, 2712).
b) Die Beklagte kann nicht mit Erfolg geltend machen, der Kläger habe sich durch die
widerspruchslose Fortsetzung seiner Tätigkeit mit der Herabgruppierung einverstanden
erklärt und damit konkludent einer Änderung seines Arbeitsvertrages zugestimmt. Das
Schreiben der Beklagten vom 16.01.2003 kann nicht als Angebot verstanden werden,
den bestehenden Arbeitsvertrag zu ändern. Die Beklagte teilt dem Kläger darin nämlich
lediglich mit, dass ihm ab 01.02.2003 eine neue Tätigkeit zugewiesen werde und sich
seine Bezüge nunmehr nach der Lohngruppe 4 richteten. Den Inhalt des bestehenden
Arbeitsvertrages wollte die Beklagte damit nicht ändern, denn sie nimmt ausdrücklich
auf Punkt 2 des Arbeitsvertrages vom 22.10.1990 Bezug, welcher sie ihrer Auffassung
nach zu der veranlassten Versetzung und Herabgruppierung berechtigt. Die Parteien
haben in dem genannten Arbeitsvertrag die Lohngruppe 6 auch nicht konstitutiv
vereinbart, sondern nur deklaratorisch die nach dem einschlägigen Tarifvertrag
vollzogene Eingruppierung dokumentiert (... ist in Lohngruppe 6).
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c) Der Eingruppierungsanspruch des Klägers ist auch nicht verfallen. Dabei kann offen
bleiben, ob die Unwirksamkeit einer Versetzung ein Anspruch i.S.v. § 19 Nr. 2 MTV
(jetzt EMTV) ist, der innerhalb von drei Monaten geltend gemacht werden muss. Der aus
einer unwirksamen Versetzung resultierende Beschäftigungsanspruch des
Arbeitnehmers entsteht fortlaufend neu und kann daher gemäß § 19 Nr. 2 b EMTV
innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht werden. Gleiches gilt für
den Eingruppierungsanspruch des Klägers. Es ist zu unterscheiden zwischen dem
Stammrecht und den daraus resultierenden konkreten Zahlungsansprüchen, die gemäß
§ 614 BGB nach Zeitabschnitten fortlaufend fällig werden. Einer abschließenden
Entscheidung dazu bedarf es nicht, denn in dem Schreiben des Klägers vom
03.04.2003 kann eine ausreichende Geltendmachung i.S.v. § 19 Nr. 2 EMTV erblickt
werden. Der Kläger widerspricht darin nämlich ausdrücklich seiner Umgruppierung.
Allerdings hat sich der Kläger gleichzeitig auf den TV LGS berufen und die dort
geregelte Lohnsicherung die Dauer von sieben Monaten geltend gemacht. Anders als
die Beklagte es tut, kann dem aber nicht die Bedeutung beigemessen werden, dass sich
der Kläger dadurch mit der Herabgruppierung einverstanden erklärt und auf sein Recht
verzichtet, die Herabgruppierung selbst nicht mehr überprüfen zu lassen.
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d) Die Herabgruppierung des Klägers ist individualrechtlich unwirksam, weil § 8 TV LGS
in unzulässiger Weise in den gesetzlich geregelten Bestandsschutz eines
Arbeitsverhältnisses eingreift. § 8 TV LGS beinhaltet eine uneingeschränkte
Erweiterung des Direktionsrechts des Arbeitgebers, die ihm die Befugnis verleiht, dem
Arbeitnehmer andere, auch niedriger bewertete Tätigkeiten zuzuweisen, ohne dass es
einer Änderungskündigung bedarf (Zipke, Handkommentar zum Tarifvertrag über die
Lohn- und Gehaltssicherung für Arbeitnehmer in der Eisen-, Metall-, Elektro- und
Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 25.01.1979, § 8 Anm. 1). Diese
umfassende Versetzungsbefugnis soll sogar eine Beteiligung des Betriebsrats
ausschließen (Zipke, aaO, § 8 Anm. 2). Ob die Systematik des TV LGS, seinen Sinn und
Zweck und seine Entstehungsgeschichte eine derart voraussetzungslose Erweiterung
des Direktionsrechts des Arbeitgebers tragen, erscheint zweifelhaft (vgl. dazu im
Einzelnen LAG Düsseldorf vom 17.03.1995 – 17 Sa 1981/94 – LAGE § 2 KSchG Nr.
16). Nach dem Wortlaut der Vorschrift kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber für
die Zuweisung einer anderen Tätigkeit einen sachlich gerechtfertigten Anlass hat. Die
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zugewiesene neue Arbeit muss lediglich zumutbar sein. Zu dieser
Zumutbarkeitsprüfung ist der Arbeitgeber bei der Ausübung einseitiger Weisungsrechte
gemäß § 315 BGB ohnehin verpflichtet. Das erweiterte Direktionsrecht des Arbeitgebers
ist lediglich mit einer Lohnsicherung verbunden, falls für den Arbeitsplatzwechsel
gemäß § 2 TV LGS ein dringender betrieblicher Grund vorliegt. In diesem Fall hat der
Arbeitnehmer wie vorliegend geschehen einen Anspruch auf Weiterzahlung seines
bisheriges Lohns für die Dauer von sieben Monaten. § 3 TV LGS, der die Weiterzahlung
des bisherigen Lohnes für die Dauer von zwölf Monaten vorsieht, ist vorliegend nicht
einschlägig, denn diese Vorschrift gilt nur dann, wenn sich die Wertigkeit der bisher
ausgeübten Tätigkeit durch technische und/oder organisatorische Änderungen auf
Dauer ändert und dadurch ein geringerer Lohn erzielt wird (vgl. dazu auch LAG Hamm
vom 10.06.2002 – 19 (11) Sa 1031/01 –).
aa) Das arbeitsvertraglich und tariflich regelbare Direktionsrecht betrifft im Allgemeinen
die Befugnis des Arbeitgebers, die im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschriebenen
Leistungspflichten im Einzelnen nach Zeit, Ort und Art einseitig näher zu bestimmen
(vgl. ErfK-Ascheid, 6. Aufl., § 2 KSchG Rdnr. 14). Wegen dieser bloßen
Konkretisierungsfunktion umfasst das Direktionsrecht nicht die Befugnis, einseitig in den
Umfang der beiderseitigen Hauptleistungspflichten, nämlich in die Vergütungs- und die
Arbeitspflicht, einzugreifen (BAG vom 12.12.1984 – 7 AZR 509/83 – NZA 1985, 321 und
vom 21.04.1993 – 7 AZR 297/92 – NZA 1997, 476). Dies würde nämlich zu einer
Umgehung von zwingenden Vorschriften des Kündigungs- und Kündigungsschutzrechts
gemäß den §§ 1 Abs. 2 und 3, 2 KSchG, 622 Abs. 2 BGB führen. Der Umfang der
Arbeitszeit und die dafür geschuldete Vergütung gehören zu den wesentlichen
Bestandteilen des Arbeitsvertrages. Deshalb kann die Beklagte nicht aufgrund ihres in
Anspruch genommenen Direktionsrechts einseitig festlegen, dass der Kläger zwei
Lohngruppen niedriger als bisher vergütet wird. Das Direktionsrecht erstreckt sich
grundsätzlich nicht auf den Umfang der zu erbringenden Arbeitsleistung und auch nicht
auf die dafür zu zahlende Vergütung. Will der Arbeitgeber die beiderseitigen
Hauptleistungspflichten ändern, muss er gemäß § 2 KSchG eine Änderungskündigung
aussprechen, um dem Arbeitnehmer die Überprüfung zu ermöglichen, ob es überhaupt
einen anerkennenswerten Anlass für die Vertragsänderung gibt und ob sich der
Arbeitgeber auf solche Änderungen beschränkt hat, die der Arbeitnehmer billigerweise
hinnehmen muss. Diesen Inhaltsschutz des Arbeitsverhältnisses hat das BAG durch
seine neuere Rechtsprechung noch verstärkt (BAG vom 21.04.2005 – 2 AZR 132/04 –
NZA 2005, 1249 und vom 23.06.2005 – 2 AZR 642/04 – NZA 2006, 92). Deshalb ist
eine vertragliche Vereinbarung über die einseitige Änderung der Arbeitszeit und der
Vergütung durch den Arbeitgeber unwirksam (vgl. LAG Hamm vom 21.01.1993 – 17 Sa
961/92 – NZA 1993, 704; KR-Rost, 7. Aufl., § 2 KSchG Rdnr. 47; ErfK-Müller/Glöge, 6.
Aufl., § 620 BGB Rdnr. 46).
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bb) Auf die Versetzungsklausel in Nr. 2 Abs. 5 des Arbeitsvertrages vom 22.10.1990
kann sich die Beklagte daher nicht mit Erfolg berufen. Selbst wenn der Beklagten damit
die Befugnis eingeräumt werden sollte, dem Kläger zur Vermeidung von Entlassungen
mit sofortiger Wirkung eine niedriger bezahlte Tätigkeit zuzuweisen und ihm
entsprechend der Wertigkeit dieser Tätigkeit herabzugruppieren, erweist sich eine
derartige vertragliche Erweiterung des Direktionsrechts aus den oben genannten
Gründen als unzulässig und ist daher gemäß § 134 BGB nichtig (vgl. BAG vom
12.12.1984 – 7 AZR 509/83 – NZA 1985, 321 und vom 21.04.1993 – 7 AZR 297/92 –
NZA 1994, 476). Es handelt sich um einen Eingriff in den Kernbereich der
beiderseitigen Hauptleistungspflichten, denn die Herabgruppierung des Klägers um
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zwei Lohngruppen bedeutet eine effektive Verdiensteinbuße von 150,00 bis 180,00 €
monatlich.
cc) Zu einer derartigen Erweiterung des Direktionsrecht ist die Beklagte auch nicht
durch den TV LGS legitimiert.
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Gestützt auf § 8 TV LGS beansprucht die Beklagte das Recht, dem Kläger infolge
Zuweisung einer anderen Tätigkeit um zwei Lohngruppen niedriger zu vergüten, ohne
dass sie dafür eine Kündigungsfrist einhalten und einen triftigen Grund nachweisen
muss. Das Berufungsgericht folgt daher der Auffassung des LAG Düsseldorf, dass eine
derartige Erweiterung des Direktionsrechts als Umgehung von § 2 KSchG i.V.m. § 1
Abs. 2 und 3 KSchG unwirksam ist (LAG Düsseldorf vom 17.03.1995 – 17 Sa 1981/94 –
LAGE § 2 KSchG Nr. 16). § 8 TV LGS ist wegen Verstoßes gegen die zwingenden
Vorschriften des Kündigungsschutzrechts gemäß § 134 BGB nichtig.
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Die Tarifvertragsparteien haben vorliegend den ihnen durch die Tarifautonomie gemäß
Art. 9 Abs. 3 GG eingeräumten Gestaltungsspielraum überschritten. Allerdings sind die
Tarifvertragsparteien grundsätzlich bei der Ausgestaltung der Rechte und Pflichten der
tarifunterworfenen Arbeitsvertragsparteien frei. Die Regelungsbefugnis der
Tarifvertragsparteien ist nur dort begrenzt, wo zwingendes Gesetzesrecht entgegen
steht (BAG vom 18.10.1994 – 1 AZR 503/93 – AP Nr. 11 zu § 615 BGB Kurzarbeit; BAG
vom 31.07.2002 – 7 AZR 140/01 – NZA 2002, 1155). Dies gebietet der durch Art. 12 GG
zu gewährleistende Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses (vgl. dazu BVerfG vom
25.11.2004 – 1 BvR 2459/04 – BB 2005, 1231). Die Tarifautonomie der
Tarifvertragsparteien ist am stärksten auf dem Gebiet der Löhne und der sonstigen
materiellen Arbeitsbedingungen ausgeprägt. Den Schutz vor der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses und vor der einseitigen Änderung der Vertragsbedingungen hat der
Gesetzgeber mit den §§ 1, 2 KSchG durch zwingende, nicht abdingbare
Kündigungsschutzvorschriften geregelt. Dieser verfassungsrechtlich gebotene
Mindestschutz steht nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien (vgl. BAG vom
25.02.1998 – 7 AZR 641/96 – NZA 1998, 715; LAG Brandenburg vom 30.06.2005 – 9
Sa 79/05 – ZIP 2006, 392). Das Berufungsgericht folgt daher der Auffassung, dass auch
ein tarifvertraglich begründetes Leistungsbestimmungsrecht nicht zur Umgehung oder
Ausschaltung zwingender Kündigungsschutzbestimmungen führen darf. Einen
angemessenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen gewährleistet § 8 TV LGS
nicht. Nur wenn dem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Gründen ein niedriger
bezahlter Arbeitsplatz zugewiesen wird, hat er für einen gewissen Zeitraum Anspruch
auf Lohnausgleich gemäß § 2 TV LGS. Erfolgt die Zuweisung eines anderen
Arbeitsplatzes aus anderen Gründen, muss der Arbeitnehmer dies ohne
Ankündigungsfrist oder Übergangsregelung hinnehmen. Die Möglichkeit einer
Überprüfung beschränkt sich nur darauf, ob ihm die zugewiesene Tätigkeit zumutbar ist.
Ob der Arbeitgeber dafür einen triftigen Anlass hat, wird nicht überprüft.
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Die in § 5 TV LGS geregelte Verpflichtung des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer nach
Möglichkeit einen anderen seinem bisherigen Lohn entsprechenden Arbeitsplatz
zuzuweisen, ist kein angemessener Ausgleich für die Befugnis des Arbeitgebers, die
Vergütung einseitig abzusenken. Es handelt sich dabei um eine abgeschwächte
Sollvorschrift, die noch dadurch eingeschränkt wird, dass der Arbeitgeber dies nur dann
tun soll, wenn er die Möglichkeit dazu hat.
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Der aus dem TV LGS der Eisen- und Stahlindustrie vom 17.02.1978 übernommene § 8
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kann nicht aus historischen Gründen mit den besonderen Bedingungen in der Metall-
und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens erklärt werden, denn der Tarifvertrag zur
Entgeltsicherung in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom
18.12.2003 übernimmt die Regelung des TV LGS vom 25.01.1979 wortgetreu. Da diese
Vorschrift durch die weitgehend voraussetzungslose Erweiterung des Direktionsrechts
des Arbeitgebers in schwerwiegender Weise in den gesetzlichen Inhalts- und
Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses eingreift, ist sie vom Regelungsspielraum der
Tarifvertragsparteien nicht mehr gedeckt.
II
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Die Berufung des Klägers bezüglich seines Zahlungsantrags ist nur in Höhe von 984,98
€ brutto für den Zeitraum November 2003 einschließlich April 2004 begründet. Die
Differenzlohnansprüche für die Monate September und Oktober 2003 sind gemäß § 19
MTV verfallen, weil sie durch das Schreiben der Klägervertreterin vom 17.02.2004 nicht
rechtzeitig geltend gemacht worden sind. Rechtzeitig geltend gemacht worden sind nur
die Ansprüche ab November 2003.
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Da die Herabgruppierung unwirksam ist, befand sich die Beklagte gemäß § 615 BGB in
Annahmeverzug und ist daher zur Weiterzahlung der dem Kläger zustehenden
Vergütung verpflichtet (vgl. Friedrich/Kloppenburg, RdA 2001, 293, 298 unter ee). Eines
besonderen Arbeitsangebots des Klägers bedurfte es nicht, weil die Beklagte es
versäumt hat, ihrer Mitwirkungspflicht nachzukommen und dem Kläger Arbeiten der
Lohngruppe 6 zuzuweisen (§ 296 BGB).
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Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB.
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III
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Die Beklagte hat gemäß den §§ 91, 92 Abs. 2 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu
tragen. Wegen der geringfügigen Zuvielforderung des Klägers hat das Berufungsgericht
von der Möglichkeit nach § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO Gebrauch gemacht und der Beklagten
die gesamten Prozesskosten auferlegt.
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Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil der Rechtssache gemäß § 72
Abs. 2 Nr. 1 ArbGG grundsätzliche Bedeutung zukommt und das Urteil gemäß § 72 Abs.
2 Nr. 2 von der Entscheidung des LAG Hamm vom 10.06.2002 – 19 (11) Sa 1031/01 -
abweicht.
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IV
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Die Streitwertentscheidung beruht auf § 42 Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 1 GKG.
Maßgebend ist danach der dreijährige Differenzbetrag zwischen der Lohngruppe 4 und
der Lohngruppe 6. Da es sich um eine Feststellungsklage handelt, ermäßigt sich der
Wert um 20 %. Die bis zur Einreichung der Klage fälligen Vergütungsansprüche bis
einschließlich März 2004 konnten nicht hinzugerechnet werden.
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Bertram Meermann Bertram für die urlaubsabwesende ehrenamtliche Richterin Köhler
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/Fou.
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