Urteil des LAG Hamm vom 21.10.2005

LArbG Hamm: betriebsrat, arbeitsrecht, reisekosten, veranstaltung, seminar, entsendung, arbeitsgericht, unterliegen, gleichbehandlung, versetzung

Landesarbeitsgericht Hamm, 13 TaBV 70/05
Datum:
21.10.2005
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
13. kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 TaBV 70/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Dortmund, 1 (10) BV 138/03
Schlagworte:
Schulung; Schulungsveranstaltung; Erforderlichkeit; Grundkenntnisse
des Arbeitsrechts; Grundlagenseminar; Erfahrungswissen
Normen:
§ 37 Abs. 6 S. 1; § 40 Abs. 1 BetrVG
Rechtskraft:
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen
Tenor:
Auf die Beschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des
Arbeitsgerichts Dortmund vom 26.11.2004 - 1 (10) BV 138/03 - teilweise
abgeändert.
Die Anträge, die Arbeitgeberin zu verpflichten, den Betriebsrat von den
Kosten für die Seminarteilnahme des Betriebsratsmitglieds I1x D2x-
xxxxxx gegenüber den Rechtsanwälten T1xxxx & S2xxxxxx in Höhe von
939,50 Euro freizustellen und dem Betriebsratsmitglied I1x D2xxxxxx
Reisekosten in Höhe von 72,83 € zu erstatten, werden auch
abgewiesen.
Gründe
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A.
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Die Beteiligten streiten um die Freistellung bzw. um die Erstattung von Kosten für eine
Schulungsveranstaltung.
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Bei der Arbeitgeberin, einen Luftfahrtunternehmen, besteht für den Bodenbetrieb in
D3xx-xxxx ein Betriebsrat, der das vorliegende Verfahren eingeleitet hat. Die Beteiligte
D2x-xxxxxxxx ist seit dem 04.02.2000 Betriebsratsmitglied und hat im Jahre 2001 den
Betriebsratsvorsitz übernommen; seit dem 15.01.2003 ist sie auch Mitglied des
Gesamtbetriebsrats für als Bodenbetriebe und fungiert seit dem 04.02.2003 als dessen
Vorsitzende. Vom 04.12.2000 bis zum 26.05.2003 gehörte sie auch dem
Wirtschaftsausschuss an.
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Der ebenfalls Beteiligte K3xxxxxx ist seit dem Jahr 2002 Mitglied des Betriebsrats.
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Beide Beteiligten haben in der Vergangenheit Schulungen zum
Betriebsverfassungsrecht besucht.
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Am 19.02.2003 beschloss der Betriebsrat die Teilnahme der beiden genannten
Mitglieder an einer Schulungsveranstaltung der Anwaltkanzlei T1xxxx vom 30.06. bis
zum 04.07.2003 am T2xxxxxxx. Nach der schriftlichen Ankündigung des Veranstalters
handelte es sich um eine Betriebsräteschulung "Grundkenntnisse im Arbeitsrecht";
hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf die mit Antragsschriftsatz vom
23.09.2003 eingereichte Kopie (Bl. 6. d. A.). Laut Teilnahmezertifikat vom 04.07.2003,
auf dessen Inhalt als Anlage zum Antragsschriftsatz vom 23.09.2003 ebenfalls Bezug
genommen wird (Bl. 14 d.A.), ist es um "Aktuelle Rechtsprechung zum Arbeitsrecht"
gegangen. Es gibt zu der Veranstaltung weiterhin ein Skript mit den
Teilnehmerunterlagen, auf dessen Inhalt als Anlage zum Schriftsatz des Betriebsrats
vom 07.09.2004 ebenfalls Bezug genommen wird (Bl. 57 bis 92 d. A.).
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In der Folgezeit machten die Rechtsanwälte T1xxxx & S2xxxxxx gegenüber dem
Betriebsrat Seminarkosten in einer Gesamthöhe von 3.136,50 € geltend, und zwar
Seminargebühren in Höhe von 1.620,00 € (2 x 810,00 €) zzgl. 16 Prozent
Mehrwertsteuer, 1.243,40 € ( 2 x 621,70 €) Hotelkosten sowie 13,90 € für Gesetzestexte.
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Die Arbeitgeberin lehnte die Begleichung dieser Kosten ab – ebenso wie die Erstattung
von Reisekosten für die Beteiligte D2xxxxxxxx in Höhe von 72,83 € (Bl. 11 d. A.) und für
den Beteiligten K3xxxxxx in Höhe von 257,68 € (Bl. 12 f. d. A.).
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Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, das Seminar habe den beiden Mitgliedern
ausweislich der vorliegenden Unterlagen erforderliche Grundkenntnisse im Arbeitsrecht
vermittelt.
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Der Betriebsrat hat beantragt,
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1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller von den Kosten für die
Seminarteilnahme der Betriebsratsmitglieder I1x D2xxxxxxxxx und U1x K3xxxxxx
gegenüber Herrn Rechtsanwalt T1xxxx in Höhe 3.136,50 Euro freizustellen.
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2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, der Betriebsratsvorsitzenden I1x
D2xxxxxxxxx Reisekosten in Höhe von 72,83 € und dem Betriebsratsmitglied U1x
K3xxxxxx Reisekosten in Höhe von 257,68 € zu erstatten.
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Die Arbeitgeberin hat beantragt,
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den Antrag abzuweisen.
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Sie hat darauf hingewiesen, dass unter Berücksichtigung der Einladung keine
allgemeine Einführung in das Arbeitsrecht stattgefunden habe. Vielmehr seien konkrete
Situationen angesprochen worden, die überhaupt nicht auf den eigenen Betrieb
zutreffen würden, so z. B. Fragen des Arbeitsentgeltes unter besonderer
Berücksichtigung von Betrieben ohne Tarifbindung. Beim Direktionsrecht seien
Versetzungen angesprochen worden, die schon in Betriebsratsseminaren behandelt
worden seien, an denen die Betroffenen teilgenommen hätten. Arbeitnehmerhaftung und
Mobbing seien klare Spezialthemen ohne aktuelle Erforderlichkeit. Im Übrigen benötige
die Betriebsratsvorsitzende angesichts der Dauer und Qualität ihrer bisherigen
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Betriebsratsarbeit keine Einführung in das Arbeitsrecht mehr.
Letztlich seien auch die angefallenen Kosten unverhältnismäßig.
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Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 26.11.2004 den Anträgen in Höhe der
Seminargebühren und der geltend gemachten Reisekosten stattgeben; im Übrigen hat
es die Anträge abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, in der
Veranstaltung seien tatsächlich Grundkenntnisse des Arbeitsrechts vermittelt worden,
wie sich der Ankündigung und den eingereichten Schulungsunterlagen entnehmen
lasse. Für das erstmals gewählte Betriebsratsmitglied K3xxxxxx sei die Vermittlung
dieses Basiswissens ohne weiteres erforderlich gewesen.
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Die Erforderlichkeit sei auch im Falle der Betriebsratsvorsitzenden D2xxxxxxxxx zu
bejahen, da sie noch keine komplette Wahlperiode im Amt gewesen und nicht
erkennbar sei, dass sie in der Vergangenheit vertiefte Kenntnisse im Arbeitsrecht
erworben hätte.
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Die angefallenen Hotelkosten seien hingegen nicht erforderlich gewesen, weil man ein
insoweit preiswerteres Seminar in der Nähe hätte besuchen können.
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Gegen diesen ihm am 29.03.2005 zugestellten Beschluss hat die Arbeitgeberin am
28.04.2005 Beschwerde eingelegt und diese – nach Verlängerung der
Beschwerdebegründungsfrist bis zum 30.06.2005 – am 29.06.2005 begründet.
Demgegenüber hat der Betriebsrat die von ihm eingelegte Beschwerde in der
mündlichen Anhörung am 21.10.2005 zurück-genommen.
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Die Arbeitgeberin streicht heraus, dass es nach Vorlage der Seminarthemenliste in der
Veranstaltung nicht um Grundkenntnisse des Arbeitsrechts gegangen sei. Vielmehr
habe man durchweg nur spezielle Themen behandelt, wie sich aus dem Zertifikat
ergebe; dass der insoweit gewählte Titel irrtümlich gewählt worden sei, müsse bestritten
werden.
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Davon abgesehen müsse im Falle der Beteiligten D2xxxxxxxx in jedem Fall von einer
fehlenden Erforderlichkeit ausgegangen werden. Sie sei nämlich im maßgeblichen
Zeitpunkt fast 3½ Jahre im Betriebsrat gewesen, so dass aufgrund der gewonnenen
Erkenntnisse keine Grundschulung zum Arbeitsrecht mehr erforderlich gewesen sei. In
diesem Zusammenhang dürfe auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass – unstreitig –
der D1xxxxxxxx Betriebsrat im Jahre 2002 noch rund 600 Bodenmitarbeiter zu vertreten
hatte; in der Folgezeit kam es zu Betriebsänderungen mit einer Vielzahl von
Kündigungen, so dass die heutige Belegschaftszahl noch bei rund 300 liegt. Die
speziell auch dadurch gewonnenen Kenntnisse und Erfahrungen führten dazu, die
Erforderlichkeit abzulehnen.
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Die Arbeitgeberin beantragt,
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den Beschluss des Arbeitsgerichts Dortmund vom 26.11.2004 – 1 (10) BV
138/03 – teilweise abzuändern und den Antrag des Betriebsrats insgesamt
abzuweisen.
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Der Betriebsrat beantragt,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Er weist unter anderem darauf hin, dass die Beteiligte D2xxxxxxx zu keiner Zeit die
Möglichkeit gehabt habe, sich die Grundlagen des Arbeitsrechts anzueignen.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird verwiesen auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen.
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B.
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Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin war hinsichtlich der für die Beteiligte D2x-
xxxxxxxx geltend gemachten Seminarkosten in Höhe von 939,50 € (Hälfte der
erstinstanzlich zugesprochenen 1.879,00 €) und der Reisekosten in Höhe von 72,83 €
zur Entscheidung reif, so dass ein Teilbeschluss zu erlassen war (§ 301 Abs. 1 S. 1
ZPO).
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Das Rechtsmittel ist insoweit begründet.
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Es besteht weder beim Betriebsrat noch bei der Beteiligten D2xxxxxxxxx ein aus § 40
Abs. 1 BetrVG ableitbarer Anspruch auf Freistellung bzw. Erstattung von Kosten, die
durch die Teilnahme der Betriebsratsvorsitzenden an dem von der Anwaltskanzlei
T1xxxx in der Zeit vom 30.06. bis zum 04.07.2003 am T2xxxxxxx veranstalteten Seminar
entstanden sind.
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Die Voraussetzungen des § 37 Abs. 6 S. 1 BetrVG liegen nämlich insoweit nicht vor.
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Nach der zutreffenden ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z. B. AP
BetrVG 1972 § 37 Nr. 136, 106, 67) ist die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten
nur dann im Sinne des § 37 Abs. 6 S. 1 BetrVG erforderlich, wenn sie unter
Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse im Betrieb und im Betriebsrat notwendig
sind, damit Letzterer seine derzeitigen und demnächst anfallenden Aufgaben
ordnungsgemäß erledigen kann. Für die Frage, ob eine sachgerechte Wahrnehmung
der Aufgaben gerade die Schulung des entsandten Betriebsratsmitglieds erforderlich
macht, ist abzustellen auf die aktuellen Verhältnisse im jeweiligen Betrieb und zu
prüfen, ob dort Fragen anstehen oder in absehbarer Zukunft anstehen werden, die der
Beteiligung des Betriebsrats unterliegen und für die im Hinblick auf den Wissensstand
des Betriebsrats und seiner Aufgabenverteilung eine Schulung gerade dieses
Betriebsratsmitgliedes geboten erscheint (BAG AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 106).
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Einer solchen näheren Darlegung der Erforderlichkeit der aktuellen
Schulungsmaßnahme bedarf es allerdings dann nicht, wenn es sich um die Vermittlung
von Grundkenntnissen namentlich im Betriebsverfassungsrecht und dem allgemeinen
Arbeitsrecht für erstmals fungierende Betriebsratsmitglieder handelt (BAG AP BetrVG
1972 § 37 Nr. 35, 54, 58, 67, 113, 136 sowie § 40 Nr. 57). Denn Grundlagenwissen in
den genannten Bereichen ist ein unabdingbare Voraussetzung für eine
ordnungsgemäße Betriebsratsarbeit.
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In dieser Konstellation kann es aber aus der Sicht eines vernünftigen Dritten im
maßgeblichen Zeitpunkt der Beschlussfassung des Betriebsrats bei Abwägung der
betrieblichen Interessen einerseits und der Arbeitnehmerinteressen andererseits an der
Erforderlichkeit einer (weiteren) Informationsvermittlung mangeln, wenn bei dem
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betroffenen Betriebsratsmitglied einschlägige Vorkenntnisse gegeben sind (BAG AP
BetrVG 1972 § 37 Nr. 58). Dazu gehört namentlich das durch einen langjährige
Amtstätigkeit erworbene Erfahrungswissen. Daher wird im Regelfall die Entsendung
eines bereits längere Zeit dem Betriebsrat angehörenden Mitglieds zu einer
Grundlagenschulung im Arbeitsrecht nicht (mehr) erforderlich sein.
Nach diesen Grundsätzen durfte hier der Betriebsrat im Rahmen des ihm zustehenden
Beurteilungsspielraums die Schulung der Betriebsratsvorsitzenden D2xxxxxxxxx Mitte
des Jahres 2003 nicht mehr für erforderlich halten.
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In dem Zusammenhang soll trotz der inhaltlich nicht unerheblichen Differenzen
namentlich zwischen der Seminarankündigung einerseits und des eingereichten
Skriptinhalts andererseits zugunsten des Betriebsrats davon ausgegangen werden,
dass es sich zumindest überwiegend um eine Wochenschulung zu Grundkenntnissen
des Arbeitsrechts gehandelt hat.
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Die beschlossene Entsendung der Betriebsratsvorsitzenden zu dieser Veranstaltung ist
aber nicht mehr von § 37 Abs. 6 S. 1 BetrVG gedeckt. Denn im Zeitpunkt der
Beschlussfassung des Betriebsrats gehörte die Beteiligte D2xxxxxxxxx bereits mehr als
3 Jahre und zu Beginn der Schulung weitere knapp 5 Monate dem Betriebsrat an,
konnte also für die Zeitdauer fast einer Wahlperiode von jetzt 4 Jahren (§ 13 Abs. 1 S. 1
BetrVG) ausreichend Erfahrungswissen unter anderem im Arbeitsrecht erwerben. Nimmt
man ihre zusätzlichen Funktionen besonders als Betriebsratsvorsitzende, aber auch als
Gesamtbetriebsratsmitglied und Gesamt-betriebsratsvorsitzende sowie zeitweilig auch
als Mitglied des Wirtschaftsausschusses hinzu, kann bei Unterstellung einer
ordnungsgemäßen Wahrnehmung dieser Ämter davon ausgegangen werden, dass sie
im Laufe der Jahre, beginnend mit den Rechtsquellen des Arbeitsrechts über die
Anbahnung bis zum Abschluss und die Durchführung von Arbeitsverhältnissen
einschließlich Fragen des Direktionsrechts, des Entgelts, des Urlaubs, der
Gleichbehandlung, des Mobbings und der Arbeitnehmerhaftung (siehe die 36seitigen
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Seminarunterlagen), Kenntnisse erlangt hat, die ausreichen, um auch die nach dem
04.07.2003 angefallenen Arbeiten sachgerecht erledigen zu können.
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Entgegen stehende Anhaltspunkte, die darauf hindeuten könnten, dass sie keine
entsprechenden Erfahrungen sammeln konnte, sind hier nicht ersichtlich, z. B. ein
längerer Ausfall während ihrer knapp 3½-jährigen Betriebsratstätigkeit (vgl. BAG AP
BetrVG 1972 § 37 Nr. 58).
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Im Übrigen darf auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass ausweislich des
Themenkatalogs besprochene Fragen, z. B. Betriebsvereinbarungen, § 80 BetrVG,
Personalfragebogen bei der Einstellung, Versetzung, Urlaub unter dem Gesichtspunkt
des § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG, die Interessenvertretung von Frauen nach dem BetrVG
sowie andere Beteiligungsrechte des Betriebsrats und deren Durchsetzung schon bei
den Schulungen zum Betriebsverfassungs-recht behandelt worden sein müssen, an der
die Beteiligte D2xxxxxxxxx unstreitig teilgenommen hat.
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Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde sind nicht gegeben.
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Dr. Müller Feger Strehl
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