Urteil des LAG Hamburg vom 28.02.2012

LArbG Hamburg: unwirksamkeit der kündigung, zwangsvollstreckung, zwangsgeld, direktversicherung, vergleich, erfüllung, beendigung, bestimmtheit, zustellung, anforderung

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(Bestimmtheit des Antrages nach § 888 ZPO bei einer auf Herbeiführung eines Erfolgs
gerichteten Verpflichtung)
1. Eine vertragliche Regelung, mit der sich eine Schuldnerin verpflichtet, alle Erklärungen abzugeben, die
erforderlich sind, um die Übernahme einer Direktversicherung durch Gläubiger zu ermöglichen, ist
hinreichend bestimmt und damit vollstreckbar.
2. Eine solche Verpflichtung ist nach § 888 ZPO zu vollstrecken.
3. Für die Bestimmtheit eines auf die Vollstreckung einer solchen Verpflichtung nach § 888 ZPO gerichteten
Antrags ist es nicht erforderlich, dass die "erforderlichen" Erklärungen der Schuldnerin konkretisiert
werden.
Landesarbeitsgericht Hamburg 1. Kammer, Beschluss vom 28.02.2012, 1 Ta 2/12
Tenor
Auf die Beschwerde des Gläubigers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 30. Januar 2012 (28
Ca 314/10) abgeändert und gegen die Schuldnerin zur Durchsetzung ihrer Verpflichtung aus dem gerichtlich mit
Beschluss vom 23. November 2010 festgestellten Vergleich, nämlich auf erstes Anfordern alle für die
Übernahme der Direktversicherung bei der A. mit der Versicherungsnummer ... durch den Kläger erforderlichen
Erklärungen abzugeben, ein Zwangsgeld in Höhe von € 1.000, ersatzweise für den Fall der Nichtbeitreibbarkeit
drei Tage Zwangshaft, festgesetzt.
Die Schuldnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Der Gläubiger verlangt die Festsetzung von Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft, gegen die Schuldnerin.
Im Ausgangsverfahren klagte der Gläubiger gegen die Schuldnerin unter anderem auf Feststellung der
Unwirksamkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Die Parteien schlossen einen gerichtlich festgestellten
Vergleich, mit dem das Arbeitsverhältnis zum 31. Dezember 2011 beendet wurde und in dem geregelt ist:
IX. Direktversicherung
Der Kläger ist berechtigt, die für ihn bei der Versicherung A. abgeschlossene Direktversicherung mit
der Versicherungsnummer ... mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu übernehmen. Die Beklagte
wird auf erstes Anfordern alle hierfür erforderlichen Erklärungen abgeben.“
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vergleichs wird auf den Beschluss des Arbeitsgerichts Hamburg vom 23.
November 2010 (Bl. 29 bis 32 d.A.) verwiesen.
Der Gläubiger forderte die Schuldnerin mit einem Schreiben vom 22. November 2011 vergeblich auf, die Anlage
zu diesem Schreiben (Anlage AG zum Schriftsatz der Schuldnerin vom 3. Januar 2012, Bl. 117 d. A.) zu
unterzeichnen.
Der Gläubiger hat mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2011 beantragt,
gegen die Schuldner-Seite ein angemessenes Zwangsgeld von € 1.000 festzusetzen und der
Schuldner-Seite nachzulassen, dessen Vollstreckung durch Erfüllung der Ziffer IX des Vergleichs
dieses Gerichts vom 23. November 2010 abzuwenden,
hilfsweise,
dass die Beklagte verpflichtet werden soll, das Formular Anlage AG 1 unter Korrektur des Datums auf
den 31. Dezember 2011 ausgefüllt und unterschrieben zurückzugeben.
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Die Schuldnerin hat beantragt,
den Zwangsvollstreckungsantrag abzuweisen.
Sie hat die Auffassung, dass der Zwangsvollstreckungsantrag nicht bestimmt genug sei und vorzeitig gestellt
worden sei. Der Gläubiger habe keine konkrete, der Verpflichtung der Schuldnerin entsprechende Erklärung von
dieser gefordert.
Das Arbeitsgericht Hamburg hat den Antrag durch Beschluss vom 30. Januar 2012 zurückgewiesen. Wegen
der Einzelheiten des Beschlusses wird auf Bl. 129 bis 133 d. A. verwiesen. Gegen diesen Beschluss, der dem
Gläubiger am 2. Februar 2012 zugestellt wurde, hat er mit Schriftsatz vom 9. Februar 2012, beim
Landesarbeitsgericht eingegangen am 10. Februar 2012, sofortige Beschwerde eingelegt.
Der Gläubiger beantragt,
gegen die Schuldner-Seite ein angemessenes Zwangsgeld von € 1.000 festzusetzen und der
Schuldner-Seite nachzulassen, dessen Vollstreckung durch Erfüllung der Ziffer IX des Vergleichs
dieses Gerichts vom 23. November 2010 abzuwenden,
hilfsweise,
die Vollstreckung durch Abgabe folgender Erklärung abzuwenden:
„Herr E. ist aus unserem Unternehmen mit dem 31.12.2011 ausgeschieden. Er ist berechtigt, die für
ihn bei der Versicherung „A.“ abgeschlossene Direktversicherung mit der VS-Nummer ... mit
Beendigung des Arbeitsverhältnisses, die zum 31.12.2012 erfolgt ist, zu übernehmen. Wir geben
hiermit alle dafür ggf. notwendigen Erklärungen ab und stimmen der Übernahme der Direktversicherung
durch Herrn E. zu.“
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.
1) Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Nach § 78 Satz 1 ArbGG gelten für sie die für die Beschwerde gegen
Entscheidungen des Amtsgerichts geltenden Vorschriften entsprechend. Nach §§ 567 Abs. 1 Ziffer 2, 793 ZPO
ist die Beschwerde statthaft. Sie ist im Sinne des § 569 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden. Die vom
Gläubiger eingereichte Beschwerdeschrift enthält § 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO entsprechend die Bezeichnung der
angefochtenen Entscheidung und die Erklärung, dass gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde
eingelegt werde. Die Beschwerdeschrift ging am 7. Februar 2012 beim Arbeitsgericht ein. Das war innerhalb der
nach § 569 Abs. 1 Sätze 1 und 2 zu beachtenden Frist von zwei Wochen nach Zustellung des angefochtenen
Beschlusses. Diese Zustellung erfolgte nämlich am 2. Februar 2012.
2) Die sofortige Beschwerde ist begründet, weil der Antrag zulässig und begründet ist.
a) Der Antrag ist zulässig. Die Voraussetzungen für die Zwangsvollstreckung sind gegeben. Mit dem gerichtlich
festgestellten Vergleich liegt ein der Schuldnerin am 24. November 2010 zugestellter Titel vor, für den dem
Gläubiger eine Vollstreckungsklausel erteilt worden ist. Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrages sind
nicht ersichtlich.
2) Der Antrag ist begründet.
Der gerichtlich festgestellte Vergleich ist hinsichtlich der Verpflichtung, deren Durchsetzung der Gläubiger
begehrt, als Titel hinreichend bestimmt und damit vollstreckbar. Aus dem Hauptantrag des Klägers ergibt sich,
dass er die Ziffer IX des Vergleichs erfüllt haben möchte. Wenn der Gläubiger formuliert, dass die
Zwangsvollstreckung durch Erfüllung der Ziffer 9 abgewendet werden kann, bedeutet dieses, dass es dem
Gläubiger gerade um diese Verpflichtung geht.
Damit ist zugleich auch hinreichend klargestellt, dass es dem Gläubiger um Ziffer IX Satz 2 des Vergleichs
geht. Die in Ziffer IX Satz 1 geregelte Berechtigung des Gläubigers ist keiner Zwangsvollstreckung gegen die
Schuldnerin zugänglich.
In Ziffer IX 2 ist eine Verpflichtung der Schuldnerin geregelt. Das ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut, weil
es sich dabei um eine bloße Beschreibung zukünftigen Verhaltens der Schuldnerin („Die Beklagte
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wird….abgeben.“) handelt. Aus dem Zusammenhang der Vergleichsregelung ergibt sich, dass mit dieser
Formulierung über eine Beschreibung hinaus eine Verpflichtung der Schuldnerin begründet werden sollte. Die
Formulierung ist nämlich Teil eines Vertrages zwischen den Parteien, der die Beendigung des
Arbeitsverhältnisses und dessen Abwicklung regelt. Wenn in einem solchen Vertrag das Verhalten einer Seite
beschrieben wird, ist davon auszugehen, dass diese Vertragspartei sich damit auch zur Einhaltung dieses
Verhaltens verpflichtet. Mit der Beschreibung eines Verhaltens ist typischerweise sowohl die Erwartung
verbunden, dass es zu dem Verhalten kommt, als auch die Ankündigung eines solchen Verhaltens erfolgt. Die
Einbindung dieser Erwartung und dieser Ankündigung in einen Vertragstext deutet darauf hin, dass
dementsprechende Rechte und Pflichten geschaffen werden sollten. Dieser Deutung steht nicht entgegen,
dass die Parteien an anderen Stellen in dem Vergleichstext ausdrücklich Verpflichtungen der Schuldnerin
vorgesehen haben. Die Wahl einer eindeutigeren Formulierung in diesen Regelungen ist kein Hinweis darauf,
dass in Ziffer IX Satz 2 durch sprachlich unklare Formulierung keine Verpflichtung begründet werden sollte.
Dem Vergleich fehlt es in Ziffer IX Satz 2 nicht an der erforderlichen Bestimmtheit und Bestimmbarkeit, die
Voraussetzung der Vollstreckungsfähigkeit ist (Hartmann, ZPO, Grundz § 704, Rn 19; Stein/Jonas-Münzberg,
ZPO, vor § 704, Rn 26). Der Inhalt von Vergleichen muss zumindest aus dem Zusammenhang des Textes
durch Auslegung bestimmbar sein (Stein/Jonas-Münzberg, ZPO, vor § 704, Rn 27). Bei der Verpflichtung zur
Vornahme einer Handlung genügt regelmäßig die Angabe des durch die Handlung zu erzielenden, bestimmt
bezeichneten Erfolgs (Stein/Jonas-Brehm, § 887, Rn 5). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Es sind die
Erklärungen geschuldet, welche zur Übernahme der Versicherung erforderlich sind. Der „Erfolg“ besteht darin,
dass die Erklärungen die Übernahmemöglichkeit für den Gläubiger begründen müssen.
Zur Durchsetzung des insoweit also vollstreckbaren Inhalts des Vergleichs hat der Gläubiger einen hinreichend
bestimmten Antrag gestellt. Zwar ergibt sich aus diesem Antrag wieder nur mit den oben geschilderten
Gedankenschritten, dass der Gläubiger erreichen will, dass die Schuldnerin die Erklärungen abgibt, die zur
Übernahme der Versicherung durch den Gläubiger erforderlich sind. Der Gläubiger braucht die Leistung aber
nicht zu konkretisieren. Sowohl in seinem Antrag als auch in dem Beschluss kann die Handlung nur nach dem
zu erreichenden Erfolg beschrieben werden (Stein/Jonas-Brehm, § 887, Rn 38). Dem ist jedenfalls für § 888
ZPO zu folgen, weil dadurch in einer für die Schuldnerin unbedenklichen Weise für diese ein
Handlungsspielraum eröffnet wird, innerhalb dessen sie selbst über die für sie angenehmste Weise zur
Herbeiführung des Erfolgs entscheiden kann. Ob die hiergegen im Bereich der §§ 887 ZPO geäußerten
Bedenken (OLG Frankfurt, Beschluss vom 20. August 1987, 8 W 43/86) zutreffend sind, kann dahingestellt
bleiben, weil es bei § 888 ZPO allein Sache der Schuldnerin ist, wie sie den Erfolg herbeiführt. Der Gläubiger
wird nicht wie bei § 887 ZPO ermächtigt, gegen den Willen der Schuldnerin eine bestimmte Handlung im Wege
der Ersatzvornahme durchführen zu lassen.
Für die Verpflichtung aus Ziffer IX 2 des Vergleichs ist die Zwangsvollstreckung aus § 888 ZPO gegeben. Die
Abgabe der Erklärungen ist eine unvertretbare Handlung, weil nicht die Schuldnerin als Versicherungsnehmerin
diese Erklärungen abgeben kann. Die Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO ist nicht ausgeschlossen, weil für
eine Willenserklärung nah § 894 ZPO eine Zwangsvollstreckung nicht erforderlich wäre. Wenn nach Art und
Inhalt des Titels eine Anwendung des § 894 ZPO ausscheidet, ist die Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO
möglich (Stein/Jonas-Brehm, § 888, Rn 4). Das ist hier der Fall, weil der Inhalt der abzugebenden Erklärung im
Titel nicht festgelegt worden ist.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verpflichtung der Schuldnerin aus dem Vergleich erst bei einer „ersten
Anforderung“ nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestand. Jedenfalls in der Erhebung der sofortigen
Beschwerde liegt zugleich auch eine Anforderung, so dass die Beklagte spätestens nach der sofortigen
Beschwerde die erforderlichen Erklärungen hätte abgeben müssen.
Der Begründetheit des Antrags steht nicht ein von der Schuldnerin geltend gemachtes Zurückbehaltungsrecht
entgegen. Dieses müsste gegenüber einem vollstreckbaren Titel nach §§ 767, 769 ZPO geltend gemacht
werden.
Zur Durchsetzung der Verpflichtung sind die festgesetzten Zwangsmittel erforderlich, aber auch angemessen
und ausreichend. Angesichts eines Rahmens für das Zwangsgeld von € 5 (Art. 6 Abs. 1 EGStGB) bis € 25.000
(§ 888 Abs. 1 Satz 2 ZPO) handelt es sich bei einem Zwangsgeld von € 1.000 um einen Betrag, der der
Bedeutung der Verpflichtung der Schuldnerin gerecht wird. Immerhin geht es um ein wirtschaftlich bedeutendes
Gut. Andererseits müssen für etwaige nachfolgende Zwangsgeldanträge Steigerungsmöglichkeiten verbleiben.
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass es im Rahmen der Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO wesentlich
bedeutsamere Verpflichtungen geben kann, deren Erfüllung eine größere Bedeutung für einen Gläubiger haben
kann. Demgemäß erscheint ein Betrag von € 1.000 angemessen, für den ersatzweise drei Tage Zwangshaft
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einzusetzen sind. Die ersatzweise Zwangshaft ist festzusetzen, obwohl sie vom Gläubiger nicht beantragt
worden ist. Ein Zwangsgeld muss das Gericht mit ersatzweiser Zwangshaft verbinden (Baumbach-Hartmann,
ZPO, § 888, Rn 15).
3) Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 891 Satz 2 ZPO.
Die Rechtsbeschwerde wird nach §§ 72 Abs. 2, 78 Satz 2 ArbGG zugelassen. Die Frage, ob im Rahmen des §
888 ZPO der Antrag auf Zwangsgeld hinreichend bestimmt ist, wenn in ihm nur der Erfolg der vornehmenden
Handlungen bezeichnet ist, ist von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.