Urteil des LAG Düsseldorf vom 22.10.1997
LArbG Düsseldorf (kläger, zahlung, arbeitsverhältnis, bag, arbeitnehmer, afg, 1995, arbeitsleistung, prämie, gratifikation)
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 11 Sa 1053/97
Datum:
22.10.1997
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 Sa 1053/97
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Duisburg, 2 Ca 973/97
Normen:
§ 611 BGB Gratifikation; AFG §§ 101, 105 a, Tarifvertrag über eine
besondere Zahlung vom 12.09.1996 für die im Fahrgebiet der
mitteleuropäischen Wasserstraßen, mit Ausnahme der Donau,
beschäftigten Besatzungsmitglieder
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Bezieht ein Arbeitnehmer bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit auf
seinen Antrag hin nach Aussteuerung durch die Krankenkasse
Arbeitslosengeld nach den §§ 105 a, 101 AFG, ist davon auszugehen,
daß die Parteien stillschweigend das Ruhen des Arbeitsverhält nisses
vereinbart haben (wie BAG vom 09.08.1995 - 10 AZR 539/94 - EzA §
611 BGB Grati fikation, Prämie Nr. 130).2. Am Fortbestand dieser
stillschweigenden Ruhensvereinbarung ändert die rückwir kende
Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente auf Zeit nichts (im Anschluß
an BAG vom 09.08.1995 - 10 AZR 939/94 - EEK I/1172).3. Zwar mag der
Bezug von Arbeitslosengeld nach den §§ 105 a, 101 AFG das fortbeste
hende Arbeitsverhältnis so lockern, daß ein Arbeitsverhältnis i. S. der
tarifli chen Sonderzahlungsbestimmung nicht mehr anzunehmen ist und
der Arbeitnehmer deshalb, weil die Gleich stellung dieses Falles mit
demjenigen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses u. a. wegen
Zuerkennung der Rente wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit
geboten ist, die hierfür vorgesehene volle Jahressonderzahlung
beanspruchen kann (hierzu BAG vom 10.04.1996 - 10 AZR 600/95 - EzA
§ 611 BGB Gratifikation, Prämie Nr. 142). Das kann jedoch dann nicht
gelten, wenn der Tarif vertrag über eine Sonderzahlung ausdrücklich
einen Anspruchsausschluß bzw. eine -kürzung für Zeiten, in denen das
Arbeitsverhältnis ruht, vorsieht.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg
vom 03.06.1997 - 2 Ca 973/97 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten über die Zahlung einer tariflichen Jahressonderzuwendung.
2
Der am 03.01.1950 geborene Kläger war seit dem 29.09.1989 bei der Beklagten
als Steuermann zu einem Grundlohn von zuletzt DM 3.203,-- brutto pro Monat
beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien, das aufgrund eines
gerichtlichen Vergleichs mit Wirkung zum 30.09.1997 beendet wurde, fanden die
Tarifverträge für die Arbeitnehmer der Binnenschiffahrt Anwendung. In dem
Tarifvertrag über eine besondere Zahlung (künftig: TV besondere Zahlung) vom
12.09.1996, der gemäß seinem § 6 rückwirkend zum 01.05.1996 in Kraft trat, heißt
es u.a.:
3
§2
4
Voraussetzung und Höhe der besonderen Zahlung
5
1. Arbeitnehmer, die jeweils am Auszahlungstag in einem unge- kündigten
Arbeitsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb
ununterbrochen mindestens 6 Monate angehören, haben einen Anspruch
auf eine besondere Zahlung nach diesem Tarifvertrag (1/12 je vollem
Beschäftigungsmonat).
6
2. Die besondere Zahlung beträgt 100 % eines tariflichen
Monatsgrundgehaltes/Monatsgrundlohnes.
7
3. Die besondere Zahlung gilt als Einmalleistung im Sinne der
sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften.
8
4. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im
Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht, erhalten keine
Leistungen. Ruht das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr teilweise, so
erhalten sie eine anteilige Leistung. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer,
die wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit, wegen Erreichens der
Altersgrenze oder aufgrund Kündigung zwecks Inanspruchnahme eines
vorgezogenen Altersruhegeldes aus dem Beruf ausscheiden, erhalten die
volle Leistung.
9
§ 3
10
Zeitpunkt der Auszahlung
11
1. Die Auszahlung erfolgt mit der Novemberabrechnung.
12
2. In Betrieben mit Betriebsrat kann in diesem Rahmen durch eine
Betriebsvereinbarung eine andere Verteilung erfolgen.
13
Der Kläger war infolge eines Bandscheibenvorfalls seit dem 07.10.1994
arbeitsunfähig krank. Bis zum 05.04.1996 bezog er Krankengeld. Einen Tag später
beantragte er beim zuständigen Arbeitsamt Arbeitslosengeld nach § 105 a AFG.
Die Beklagte teilte im Hinblick auf diesen Antrag dem Arbeitsamt mit, daß sie auf
ihr Direktionsrecht gegenüber dem Kläger verzichte.
14
Seit dem 06.04.1996 erhält der Kläger Arbeitslosengeld. Mit Bescheid vom
31.01.1997 wurde ihm für die Zeit vom 01.05.1995 bis zum 31.05.1997 eine Rente
wegen Berufsunfähigkeit bewilligt. Mit Bescheid vom 26.06.1997 wurde dem
Kläger Berufsunfähigkeitsrente weiter bis zum 31.05.1998 bewilligt.
15
Mit seiner der Beklagten am 20.03.1997 zugestellten Klage verlangt der Kläger von
ihr die Zahlung der tariflichen Sonderzuwendung für das Jahr 1996.
16
Der Kläger hat im wesentlichen die Auffassung vertreten:
17
Nach § 2 Nr. 4 Satz 1 TV besondere Zahlung scheide die Leistung der
Sonderzuwendung nur aus, wenn das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr kraft
Gesetzes oder Vereinbarung ruhe. Eine Ruhensvereinbarung habe es weder
ausdrücklich noch stillschweigend im Jahre 1996 gegeben. Selbst wenn man im
Hinblick auf den seit dem 06.04.1996 erfolgenden Bezug von Arbeits- losengeld
trotz fortbestehenden Arbeitsverhältnisses anderer Meinung sei, habe er zumindest
Anspruch auf eine anteilige Sonderzuwendung bis zum 05.04.1996.
18
Der Kläger hat beantragt,
19
die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 3.203,-- brutto nebst 4 % Zinsen aus
dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 01.11.1996 zu zahlen.
20
Die Beklagte hat beantragt,
21
die Klage abzuweisen.
22
Das Arbeitsgericht hat dem Kläger lediglich einen anteiligen
Sonderzahlungsanspruch für die ersten drei Monate des Jahres 1996 in Höhe von
DM 800,75 brutto zugebilligt und die Klage im übrigen abgewiesen. Letzteres hat
es im wesentlichen wie folgt begründet:
23
Das Arbeitsverhältnis der Parteien habe i.S. von § 2 Nr. 4 Satz 1 TV besondere
Zahlung ab dem Zeitpunkt geruht, ab dem der Kläger nach Aussteuerung durch die
Krankenkasse am 06.04.1996 gem. § 105 a AFG Arbeitslosengeld beantragt und
die Beklagte den Verzicht auf ihr Direktionsrecht dem Arbeitsamt mitgeteilt habe.
Damit hätten die Parteien konkludent zum Ausdruck gebracht, daß die
wechselseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis hätten suspendiert sein
sollen. Ein günstigeres Ergebnis ergebe sich für den Kläger nicht aus der in § 2 Nr.
4 Satz 3 TV besondere Zahlung getroffenen Regelung. Danach stehe einem
Arbeitnehmer nur dann die volle Sonderzahlung zu, wenn sein Arbeitsverhältnis
u.a. wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit beendet worden sei.
24
Gegen das ihm am 20.06.1997 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg hat
der Kläger mit einem bei Gericht am 18.07.1997 eingereichten Schriftsatz Berufung
eingelegt und diese mit einem am 14.08.1997 bei Gericht eingegangenen
Schriftsatz begründet.
25
Der Kläger macht unter teilweiser Wiederholung seines erstinstanzlichen
Vorbringens geltend:
26
Sein Arbeitsverhältnis habe 1996 weder ganz noch teilweise i.S. des § 2 Nr. 4 Satz
1 und Satz 2 TV besondere Zahlung geruht. Er habe die Beklagte trotz Bezuges
von Arbeitslosengeldes immer wieder gebeten, ihn anderweitig, z.B. in ihrem
Lager, einzusetzen. Er habe nur seine frühere Tätigkeit als Steuermann nicht mehr
ausüben können. In jedem Fall ergebe sich ein Anspruch zu seinen Gunsten auf
die volle Sonderzuwendung für 1996 aus der in § 2 Nr. 4 Satz 3 TV besondere
Zahlung getroffenen Regelung, sei sie nun direkt oder entsprechend anzuwenden.
27
Der Kläger beantragt,
28
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Duisburg vom 03.06.1997
(AZ: 2 Ca 973/97) die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere DM 2.402,25
brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit
dem 01.11.1996 zu zahlen.
29
Die Beklagte beantragt,
30
die Berufung zurückzuweisen.
31
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und führt ergänzend aus:
32
Bei seiner Argumentation bezüglich § 2 Nr. 4 Satz 3 TV besondere Zahlung
übersehe der Kläger, daß es hierbei um einen Anspruch aus Anlaß der
Beendigung des Arbeitsverhältnisses, nicht aber um den in § 2 Nr. 4 S. 1 und S. 2
TV besondere Zahlung eigenständig normierten Fall des Ruhens des
Arbeitsverhältnisses gehe. Beide Tatbestände könnten nicht gleichgesetzt werden.
33
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der
Akte ergänzend Bezug genommen.
34
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
35
A.
36
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom
05.06.1997 ist zulässig.
37
Die Berufung ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des
Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 ArbGG) sowie in gesetzlicher
Form (§ 518 Abs. 1 u. Abs. 2 ZPO, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG) und Frist (§ 66 Abs. 1
Satz 1 ArbGG) eingelegt und innerhalb der Frist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, §§ 519
Abs. 2 Satz 2 2. Halbs., 523 ZPO i.V. mit § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG) begründet
worden.
38
B.
39
Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet.
40
Richtig hat das Arbeitsgericht erkannt, daß dem Kläger über die ihm nach § 2 Nr. 4
Satz 2 TV besondere Zahlung zustehende anteilige Leistung in Höhe von DM
800,75 brutto kein weiterer Anspruch auf die restliche Sonderzahlung für 1996 in
41
Höhe von DM 2.402,25 brutto zusteht.
I.
42
Grundsätzlich erfüllt der Kläger zwar die für einen Anspruch auf die tarifliche
Sonderzahlung für 1996 anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale des § 2
TV besondere Zahlung. Er stand am Auszahlungstag, am 30.11.1996 (vgl. § 3 Nr. 1
TV besondere Zahlung i.V. mit § 614 Satz 2 BGB) in einem ungekündigten
Arbeitsverhältnis und gehörte zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen
mindestens sechs Monate an. Allein die Tatsache, daß der Kläger während des
gesamten Jahres 1996 arbeitsunfähig krank war und deshalb keine tatsächliche
Arbeitsleistung erbracht hat, führt nicht zum Wegfall des Anspruchs auf eine
Sonderzahlung. Seit der grundlegenden Entscheidung vom 05.08.1992 (- 10 AZR
88/90 - EzA § 611 BGB Gratifikation, Prämie Nr. 90) entspricht es der ständigen
Rechtsprechung des BAG (z.B. BAG v. 12.07.1995 - 10 AZR 511/94 - EzA § 611
BGB Gratifikation, Prämie Nr. 129; BAG v. 10.04.1996 - 10 AZR 600/95 - EzA § 611
BGB Gratifikation, Prämie Nr. 142), daß über die normierten
Anspruchsvoraussetzungen hinaus einer tariflichen Regelung nicht der Rechtssatz
entnommen werden kann, Voraussetzung für den Anspruch auf eine tarifliche
Sonderzahlung sei auf jeden Fall eine nicht ganz unerhebliche tatsächliche
Arbeitsleistung im Bezugszeitraum.
43
II.
44
Auch wenn § 2 TV besondere Zahlung keine Regelung enthält, die generell eine
tatsächliche Arbeitsleistung im Bezugszeitraum als Voraussetzung für eine
Sonderzahlung verlangt, scheidet ein Anspruch des Klägers auf eine
Sonderzahlung von je 1/12 für die Monate April bis Dezember 1996 wegen der in §
2 Nr. 4 Satz 1 TV besondere Zahlung getroffenen Regelung aus. Danach erhalten
diejenigen Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes
oder Vereinbarung ruht, keine Leistung. Dieser den Anspruch auf die tarifliche
Sonderzahlung ausschließende Tatbestand hat, wie das Arbeitsgericht zu Recht
erkannt hat, ab dem 06.04.1996 bis zum 31.12.1996 vorgelegen.
45
1. Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses ist ein in der Rechtssprache gebräuchlicher
Begriff. Benutzen Tarifvertragsparteien ohne Erläuterung einen derartigen Begriff,
so kann davon ausgegangen werden, daß sie ihn im allgemein anerkannten Sinne
verstanden wissen wollen (st.Rspr. z.B. BAG v. 10.05.1989 - 6 AZR 660/87 - EzA §
16 BErzGG Nr. 2; BAG v. 09.08.1995 - 10 AZR 539/94 - EzA § 611 BGB
Gratifikation, Prämie Nr. 130). Ein Arbeitsverhältnis ruht danach - soweit das Ruhen
nicht bereits durch gesetzliche Bestimmungen angeordnet wird, wie z.B. nach § 1
ArbPlSchG -, wenn die wechselseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsvertrag, die
Pflicht des Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung und die Pflicht des Arbeitgebers zur
Zahlung der vereinbarten Vergütung, suspendiert sind und somit der jeweilige
Gläubiger von seinem Schuldner die Erbringung der Leistung nicht mehr verlangen
und durchsetzen kann (BAG v. 10.05.1989 - 6 AZR 660/87 - a.a.O.; BAG v.
09.08.1995 - 10 AZR 539/94 - a.a.O.; vgl. auch BAG v. 17.06.1997 - 1 AZR 674/96 -
demnächst EzA Art. 9 GG Arbeitskampf Nr. 128).
46
2. Allein die lang andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers
im Jahre 1996 führte nicht zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes i.S.
47
von § 2 Nr. 4 Satz 1 TV besondere Zahlung. Denn bei der dauerhaften
Verhinderung zur Arbeitsleistung handelt es sich nicht um eine durchgehende
wechselseitige Suspendierung der Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis,
sondern um eine Leistungsstörung i.S. des Allgemeinen Teils des bürgerlichen
Schuldrechts (BAG v. 23.08.1990 - 6 AZR 124/89 - EzA § 4 TVG Metallindustrie Nr.
77; BAG v. 11.10.1995 - 10 AZR 985/94 - EzA § 611 BGB Gratifikation, Prämie Nr.
133).
3. Auch die dem Kläger am 31.01.1997 rückwirkend ab dem 01.05.1995 zunächst
bis zum 31.05.1997 bewilligte Berufsunfähigkeitsrente führte nicht zum Ruhen des
Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes im Jahre 1996. Um ein Ruhen des
Arbeitsverhältnisses nach Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente zu erreichen,
müßte nämlich erst eine Vereinbarung zwischen den Parteien über die
Suspendierung der wechselseitigen Hauptpflichten des Arbeitsverhältnisses unter
gleichzeitiger Aufrechterhaltung desselben getroffen werden (BAG v. 07.06.1990 -
6 AZR 52/89 - EzA § 4 TVG Metallindustrie Nr. 76; BAG v. 11.10.1995 - 10 AZR
985/94 - a.a.O.). Eine solche Vereinbarung ist aber nach der Bewilligung der
Berufsunfähigkeitsrente nicht erfolgt.
48
4. Ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses i.S. des § 2 Nr. 4 Satz 1 TV besondere
Zahlung war aber im Jahre 1996 aufgrund einer im April dieses Jahres getroffenen
Vereinbarung zwischen dem Kläger und der Beklagten eingetreten.
49
a) Der Kläger hatte sich, obwohl sein Arbeitsverhältnis noch nicht beendet war,
beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und ab dem 06.04.1996 Arbeits- losengeld
beantragt. Nach § 100 Abs. 1 AFG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer u.a.
arbeitslos ist, der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, sich beim Arbeitsamt
arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt hat. Arbeitslos ist gem. § 101
Abs. 1 Satz 1 AFG schon ein Arbeitnehmer, der u.a. vorübergehend nicht in einem
Beschäftigungsverhältnis steht.
50
b) Das in § 101 Abs. 1 Satz 1 AFG genannte Beschäftigungsverhältnis ist nicht mit
dem Arbeitsverhältnis gleichzusetzen. Ein Arbeitnehmer kann daher nicht in einem
Beschäftigungsverhältnis i.S. der vorgenannten Norm auch dann stehen, wenn
sein Arbeitsverhältnis rechtlich fortbesteht. Das ist insbesondere dann der Fall,
wenn der Arbeitgeber seine Verfügungsgewalt über den Arbeitnehmer und dessen
Arbeitskraft nicht mehr beansprucht - etwa nach einer unwirksamen Kündigung -
oder wenn der Arbeitnehmer diese Verfügungsgewalt nicht länger anerkennt oder
wenn der Arbeitgeber über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers - gleich, aus
welchen Gründen - nicht mehr verfügen will (BAG v. 28.09.1994 - 10 AZR 805/93 -
EzA § 611 BGB Gratifikation, Prämie Nr. 117; BAG v. 10.04.1996 - 10 AZR 600/95 -
EzA § 611 BGB Gratifikation, Prämie Nr. 142).
51
c) Nach § 105 a Abs. 1 Satz 1AFG ist es ohne Bedeutung, daß der Arbeitnehmer -
wie hier der Kläger - der Arbeitsvermittlung wegen seiner nicht nur
vorübergehenden Minderung seiner Leistungsfähigkeit nicht mehr zur Verfügung
steht. Der Arbeitnehmer kann gleichwohl Arbeitslosengeld erhalten, wenn die
übrigen Voraussetzungen erfüllt sind. Aus dieser gesetzlichen Regelung folgt, daß
auch dann, wenn ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber
rechtlich noch nicht beendet ist, Arbeitslosengeld beantragt und erhält, das
Arbeitsverhältnis durch diesen versicherungsrecht- lichen Vorgang nicht berührt -
52
insbesondere rechtlich beendet - wird (BAG v. 28.09.1994 - 10 AZR 805/93 - a.a.O.;
BAG v. 10.04.1996 - 10 AZR 600/95 - a.a.O.). Gleichwohl können durch diesen
Vorgang die durch das an sich fortbestehende Arbeitsverhältnis begründeten
Bindungen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einer Weise gelockert werden, die
die Annahme rechtfertigt, daß die wechselseitigen Hauptpflichten aus dem
Arbeitsverhältnis suspendiert sind.
d) Derjenige Arbeitnehmer, der lange Zeit arbeitsunfähig krank ist, von der
Krankenkasse ausgesteuert wurde und der mit der Wiederherstellung seiner
Arbeitsfähigkeit kaum rechnet, beantragt Arbeitslosengeld nicht deshalb, um die
Zeit bis zur Wiederaufnahme seiner Tätigkeit im fortbestehenden Arbeitsverhältnis
zu überbrücken, sondern für die Zeit, bis ihm Rente wegen Berufs- oder
Erwerbsunfähigkeit bewilligt wird. Für ihn ist das bestehende Arbeitsverhältnis
letztlich ohne wirtschaftliche Bedeutung. Auch der Arbeitgeber, der die AFG-
Bescheinigung ausstellt, um dem Arbeitnehmer den Bezug von Arbeits- losengeld
zu ermöglichen, geht dabei in der Regel ebenfalls davon aus, daß zumindest von
diesem Zeitpunkt an eine Wiederbelebung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr in
Frage kommen wird (BAG v. 10.04.1996 - 10 AZR 600/95 - a.a.O.).
53
e) Daraus folgt, daß der Kläger durch seine Arbeitslosmeldung - auch gegenüber
der Beklagten - zu erkennen gegeben hat, daß er seine Hauptpflicht aus dem
Arbeitsverhältnis, nämlich die Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung, wegen
seiner krankheitsbedingten und nicht nur vorübergehenden Verhinderung der
Leistungsfähigkeit zumindest vorläufig als beendet ansieht. Dies hat der Kläger der
Beklagten gegenüber dadurch kundgetan, daß er diese um die Erstellung einer
AFG-Bescheinigung gebeten hat, aus der ersichtlich wurde, daß seine
Beschäftigung wegen seiner Erkrankung beendet sei, damit er Arbeitslosengeld
beziehen könne. Die Beklagte, die ihrerseits die AFG-Bescheinigung ausgestellt
hat, hat damit auf die Erbringung der Arbeits- leistung durch den Kläger verzichtet
(BAG v. 10.04.1996 - 10 AZR 600/95 - a.a.O.; vgl. auch BAG v. 09.08.1995 - 10
AZR 539/94 - EzA § 611 BGB Gratifikation, Prämie Nr. 130).
54
f) Bei einer solchen Fallage gehen beide Vertragsparteien davon aus, daß wegen
der Nichterbringung der Arbeitsleistung und des Bezugs von Arbeitslosengeld
durch den Arbeitnehmer auch die Pflicht zur Vergütungszahlung durch den
Arbeitgeber entfällt. Damit hat im Streitfall zwischen beiden Parteien dahingehende
Übereinstimmung bestanden, daß zumindest für die Dauer des Bezugs von
Arbeitslosengeld durch den Kläger die wechselseitigen Hauptpflichten aus dem
Arbeitsverhältnis nicht mehr bestehen, d.h. suspendiert sind. Dies hat der Kläger
der Beklagten dadurch kundgetan, daß er beim Arbeitsamt Arbeitslosengeld
beantragt hat. Daraus wurde auch für die Beklagte ersichtlich, daß er seine
Beschäftigung bei ihr wegen seiner Erkrankung als beendet ansah, damit er
Arbeitslosengeld beziehen könne. Dies konnte die Beklagte nur so verstehen, daß
der Kläger die Absicht hatte, keine Arbeitsleistung mehr für sie zu erbringen und
anstelle einer ihm etwa zustehenden Arbeitsvergütung Arbeitslosengeld zu
beziehen. Mit dieser Absicht des Klägers hat sich die Beklagte durch das Ausfüllen
der Arbeitsbescheinigung und die Übersendung derselben an den Kläger bzw. an
das Arbeitsamt konkludent einverstanden erklärt. Dadurch ist es zu einer
einvernehmlichen Suspendierung der Hauptpflichten aus dem rechtlich
fortbestehenden Arbeitsverhältnis im Jahre 1996 und somit zu einem Ruhen des
Arbeitsverhältnisses kraft Vereinbarung i.S. des § 2 Nr. 4 Satz 1 TV besondere
55
Zahlung mit Wirkung vom 06.04.1996 gekommen (vgl. auch BAG v. 09.08.1995 -
10 AZR 939/94 - EEK I/1172).
5. Die Tatsache, daß dem Kläger am 31.01.1997 rückwirkend ab dem 01.05.1995
eine Berufsunfähigkeitsrente auf Zeit bewilligt worden ist, ändert am Fortbestand
dieser konkludenten Ruhensvereinbarung nichts. Die Gewährung der
Berufsunfähigkeitsrente führt - wie bereits dargelegt - für sich allein nicht zu einem
Ruhen des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes . Zum Zeitpunkt der Bewilligung der
Berufsunfähigkeitsrente am 31.01.1997 lag aber bereits eine Vereinbarung der
Parteien über ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses vor. Diese Ruhensvereinbarung
wurde durch die Bewilligung der Berufs- unfähigkeitsrente nicht berührt, weil es
nach wie vor dabei bleiben sollte, daß der Kläger - solange er anderweitige
sozialversicherungsrechtliche Leistungen bezog - nicht zur Arbeitsleistung und die
Beklagte nicht zur Vergütungszahlung verpflichtet sein sollten. Nach dem Willen
der Parteien war es nämlich ohne Bedeutung, ob diese Suspendierung der
Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld
während der Arbeitsunfähigkeit des Klägers oder wegen des Bezugs einer
Berufsunfähigkeitsrente erfolgte (vgl. auch BAG v. 09.08.1995 - 10 AZR 939/94 -
a.a.O.).
56
III.
57
Schließlich steht dem Kläger nicht nach § 2 Nr. 4 Satz 3 TV besondere Zahlung ein
Anspruch auf weitere 9/12 der Sonderzahlung für 1996 zu. Danach erhalten
anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, die u.a. wegen Berufsunfähigkeit aus dem
Beruf ausscheiden, die volle Leistung .
58
1. Eine unmittelbare Anwendung von § 2 Nr. 4 Satz 3 TV besondere Zahlung
scheitert daran, daß der Kläger im Jahre 1996 überhaupt nicht aus seinem Beruf
ausgeschieden ist. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien endete erst im
Jahre 1997.
59
2. Aber auch eine analoge Anwendung von § 2 Nr. 4 Satz 3 TV besondere Zahlung
scheidet aus. Sie würde nämlich im Ergebnis dazu führen, den vorgenannten
Tarifvertrag ohne Feststellung einer planwidrigen Tariflücke zu ergänzen. Der zu
beurteilende Tarifvertrag enthält aber keine unbewußte Norm- oder
Regelungslücke. Wie § 2 Nr. 4 Satz 3 TV besondere Zahlung zeigt, waren den
Tarifvertragsparteien die Fälle vorzeitigen Rentenbezugs bekannt. Sie haben dafür
nur im Fall des Ausscheidens aus dem Beruf, d.h. der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses, eine Regelung getroffen. Wenn sie für andere
Fallgestaltungen, z.B. Bewilligung einer Berufsunfähigkeitsrente auf Zeit, keine
Regelung getroffen haben, kann allenfalls von einer bewußten und daher nicht
durch die Gerichte für Arbeitssachen schließbaren Lücke ausgegangen werden
(vgl. auch BAG v. 06.12.1990 - 6 AZR 494/89 - EzA § 4 TV Bauindustrie Nr. 58).
60
3. Dem steht nur scheinbar die zu § 3 Abs. 2 des Tarifvertrages für die Gewährung
einer Jahresvergütung im Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbau i.d.F. v.
03.08.1987 geäußerte Auffassung des BAG, wonach aufgrund der Beantragung
von Arbeitslosengeld gem. § 105 a Abs. 1 Satz 1 AFG die rechtlichen Bindungen
zwischen den Arbeitsvertragsparteien in einer Art und Weise gelockert sein sollen,
daß ein Arbeitsverhältnis i.S. des Tarifvertrages nicht mehr anzunehmen sei und
61
dieser Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen Berufsunfähigkeit
gleich behandelt werden müsse (BAG v. 10.04.1996 - 10 AZR 600/95 - a.a.O., zu II
3), entgegen. Denn der vorerwähnte Tarifvertrag enthält anders als der hier in Rede
stehende TV besondere Zahlung keine Ausschluß- oder Kürzungstatbestände für
nicht erbrachte tatsächliche Arbeitsleistung im rechtlich bestehenden
Arbeitsverhältnis. Bei einer derartigen Tarifgestaltung mag man im Falle der
Bezahlung von Arbeitslosengeld gem. § 105 a Abs. 1 Satz 1 AFG aufgrund der
damit verbundenen Lockerung der Beziehungen der Parteien von einem Wegfall
des Arbeitsverhältnisses i.S. der einschlägigen Tarifnorm sprechen, was in dem
vom BAG am 10.04.1996 entschiedenen Rechtsstreit nur im Hinblick auf eine § 2
Nr. 4 Satz 3 TV besondere Zahlung entsprechende tarifliche Regelung nicht zum
gleichzeitigen Ausschluß des Anspruches auf eine Sonderzuwendung führte. Im
Streitfall enthält jedoch der TV besondere Zahlung eine Ausschluß- und
Kürzungsregelung des Sonderzahlungsanspruchs für Fehlzeiten im bestehenden
Arbeitsverhältnis, nämlich für den Fall seines Ruhens kraft Gesetzes oder
Vereinbarung . Diese kann nicht durch eine anspruchserhaltende Regelung, wie
sie § 2 Nr. 4 Satz 3 TV besondere Zahlung für den Fall des Ausscheidens des
Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis im Verlaufe des Bezugsjahres enthält
(vgl. § 2 Nr. 1 TV besondere Zahlung), modifiziert werden. Denn insoweit handelt
es sich um artverschiedene Ausschluß- und Kürzungstatbestände für die
streitbefangene Sonderzahlung, die zum einen an der fehlenden Arbeitsleistung
während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses und zum anderen an der
fehlenden Betriebszugehörigkeit am Ende des Bezugsjahres anknüpfen und
deshalb selbständig nebeneinander stehen.
C.
62
Die Kosten der Berufung waren gem. § 97 Abs. 1 ZPO i.V. mit § 64 Abs. 6 Satz 1
ArbGG dem Kläger aufzuerlegen.
63
Das Gericht hat die Revision an das Bundesarbeitsgericht nach § 72 Abs. 2 Nr. 1
ArbGG zugelassen.
64
Rechtsmittelbelehrung:
65
Gegen dieses Urteil kann vom Kläger
66
REVISION
67
eingelegt werden.
68
Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
69
Die Revision muß
70
innerhalb einer Notfrist von einem Monat
71
nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
72
Bundesarbeitsgericht,
73
Graf-Bernadotte-Platz 5,
74
34119 Kassel,
75
eingelegt werden.
76
Die Revision ist gleichzeitig oder
77
innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
78
schriftlich zu begründen.
79
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
80
gez.: Dr. Vossen gez.: Schulden gez.: Ollesch
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