Urteil des LAG Düsseldorf vom 03.09.2002
LArbG Düsseldorf: erlöschen des anspruchs, altersrente, arbeitsgericht, tarifvertrag, form, flugsicherung, abschlag, subsidiarität, anknüpfung, anfang
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 16 Sa 397/02
Datum:
03.09.2002
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
16. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 Sa 397/02
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Düsseldorf, 9 Ca 6242/01
Schlagworte:
Gleichbehandlung, Übergangsgeld, Rentenzugangsalter
Normen:
Art. 3 GG, §§ 7, 9 Übergangs-VersTV Deutsche Flugsicherung (Ü-
VersTV-FDB) v. 07.07.1993 i. d. F. v. 27.11.1998
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Eine Tarifregelung, nach der eine Frau mit Vollendung ihres 60.
Lebensjahres Ansprüche aus einer tariflichen Übergangsversorgung
verliert und verpflichtet ist, die gesetzliche Altersrente einschließlich der
damit verbundenen Rentenabschläge in Anspruch zu nehmen, verstößt
gegen das Gebot der Entgeltgleichheit für Männer und Frauen, wenn
dies für Männer erst ab Vollendung ihres 63. Lebensjahres gilt.
Tenor:
1.
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Düsseldorf vom 28.02.2002 9 Ca 6242/01 teilweise abgeändert und
insgesamt wie folgt neu gefasst:
Es wird unter Abweisung der Klage im Übrigen festgestellt, dass die
Beklagte verpflichtet ist,
a)
bis zum 01.10.2003 das Übergangsgeld gem. § 5 des Tarifvertrages
über die Übergangsversorgung für die bei der D. D. F. GmbH
beschäftigten Flugdatenbearbeiter im FVK (Ü-VersTV-FDB) zu zahlen;
b)
für die Zeit vom 01.10.2003 bis zum 31.10.2005 den Unterschiedsbetrag
der monatlichen Alters- und Betriebsrente zu dem monatlichen
Übergangsgeld zu zahlen.
2.
Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
3.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien jeweils zur Hälfte.
4.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einer tariflichen Übergangsversorgung.
2
Die Beklagte mit Sitz in O./M. betreibt seit dem 01.01.1993 die ihr von der damaligen
Bundesanstalt für Flugsicherung übertragenen Aufgaben der Flugverkehrskontrolle
(FVK) und Flugsicherung (FS) in Deutschland.
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Die am 01.11.1942 geborene Klägerin war seit dem 10.09.1963 bei der Beklagten bzw.
deren Rechtsvorgängerin als Flugdatenbearbeiterin in der Regionalstelle D. beschäftigt,
zuletzt als Teilzeitbeschäftigte mit einem Monatsgehalt in Höhe von rund 4.050,-- DM
brutto. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden vereinbarungsgemäß die bei der
Beklagten - D. - geltenden (Haus-)Tarifverträge Anwendung, unter anderem der
Versorgungs-Tarifvertrag vom 07.07.1993 (VersTV) über die Zahlung eines
Altersruhegeldes sowie der Tarifvertrag über die Übergangsversorgung der bei der D.
beschäftigten Flugdatenbearbeiter im FVK (Ü-VersTV-FDB) vom 07.07.1993 in der
Fassung vom 27.11.1989. Nach § 2 Abs. 1 dieses Tarifvertrags erhalten Mitarbeiter ein
Übergangsgeld, wenn
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a) sie das 59. Lebensjahr vollendet haben und
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b) ...
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c) sie ihre Erwerbstätigkeit bei der D. beendet haben und
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d) bis zur Vollendung des 62. Lebensjahres kein Anspruch auf
Versorgungsleistungen besteht.
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Gemäß § 7 Abs. 1 Ü-VersTV-FDB erlischt der Anspruch auf Übergangsgeld
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a) mit Beginn des Monats, von dem ab die/der ausgeschiedene
Mitarbeiterin/Mitarbeiter Altersrente vor Vollendung des 65. Lebensjahres oder
ähnliche Bezüge öffentlich-rechtlicher Art beanspruchen kann;
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b) ...
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Nach § 9 Ü-VersTV-FDB ist der ausgeschiedene Mitarbeiter
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... verpflichtet, frühestmöglich Antrag auf Altersrente oder vergleichbare Leistungen
zu stellen, die zum Erlöschen des Anspruchs auf Übergangsgeld führen, und die D.
hierüber unverzüglich zu unterrichten.
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Nach Vollendung ihres 59. Lebensjahres am 01.11.2001 schied die Klägerin
entsprechend einer tariflichen Sonderregelung für die FS-Dienste mit Ablauf des Monats
November 2001 unter gleichzeitiger Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bei der
Beklagten aus. Ab dem 01.12.2001 bezieht sie von der Beklagten ein tarifliches
Übergangsgeld in Höhe von derzeit 2.456,48 € brutto pro Monat. Bei Renteneintritt ab
dem 01.11.2002 beträgt ihre Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung
voraussichtlich 887,51 € zzgl. einer von der Beklagten zu zahlenden Betriebsrente in
bisher nicht mitgeteilter Höhe.
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Nach zunächst vorgerichtlicher Korrespondenz der Parteien seit Mai 2000 hat die
Klägerin mit der am 31.08.2001 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage geltend
gemacht:
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Sie werde im Zusammenhang mit der Zahlung des tariflichen Übergangsgeldes
gegenüber ihren männlichen Kollegen benachteiligt. Zwar schieden sowohl männliche
als auch weibliche Kollegen mit Vollendung ihres 59. Lebensjahres aus dem
Arbeitsverhältnis aus und erhielten von der Beklagten anschließend ein tarifliches
Übergangsgeld. Insoweit liege noch keine Ungleichbehandlung vor. Die
Ungleichbehandlung beginne jedoch aufgrund des unterschiedlichen
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Rentenzugangsalters von Frauen und Männern mit dem Renteneintritt. Ihr
frühestmöglicher Renteneintritt erfolge nach der Gesetzeslage mit Vollendung ihres 60.
Lebensjahres am 01.11.2002. Dies führe nach dem Tarifvertrag zum Erlöschen ihres
Anspruchs auf Übergangsgeld. Vergleichbare Männer bezögen das zur gesetzlichen
Rente einschließlich der Betriebsrente erheblich höhere Übergangsgeld demgegenüber
ab Vollendung des 59. Lebensjahres bis zur Vollendung ihres 63. Lebensjahres. Sie
seien bereits dadurch bessergestellt. Hinzu komme, dass wegen der vorzeitigen
Inanspruchnahme der gesetzlichenRente die Rentenabschläge insbesondere seit der
Rentenreform aus dem Jahr 1997 bei Frauen prozentual höher seien - in ihrem Fall 10,5
% - als bei Männern - bei ihnen maximal 7,2 % -, was ebenfalls zu einer Benachteiligung
der Frauen führe. Zusätzlich erziele der Mann durch seinen späteren Renteneintritt mit
erst 63 Jahren drei Jahre lang weitere Rentenzuwächse, die die Frau nicht erzielen
könne, was sich dann auch auf die spätere Rentenhöhe auswirke. Die sich hieraus
insgesamt ergebende Ungleichbehandlung sei sachlich ungerechtfertigt.
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Die Klägerin hat beantragt,
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festzustellen, dass sie gem. § 9 Ü-VersTV-FDB vom 07.07.1993 mit ihren
männlichen Kollegen gleichgestellt wird, sie erst mit Vollendung ihres 63.
Lebensjahres in Rente gehen muss und bis zu diesem Zeitpunkt die (tarifliche)
Übergangsversorgung in voller Höhe erhält.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat vorgetragen: Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche seien
unbegründet. Die hier zur Anwendung kommenden Tarifnormen seien eindeutig.
Danach erlösche der Anspruch auf Zahlung des Übergangsgeldes mit Renteneintritt der
Klägerin nach Vollendung ihres 60. Lebensjahres am 01.11.2002.
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Die Tarifvertragsparteien hätten bei Schaffung der Tarifregelungen über die
Übergangsversorgung im Jahre 1993 bewusst an die bestehende Gesetzesregelung
über das unterschiedliche Rentenzugangsalter von Männern und Frauen angeknüpft.
Eine Ungleichbehandlung durch die Tarifvertragsparteien scheide schon deshalb aus.
Auch nach der Rentenreform 1997 und der Einführung von Abschlägen bei vorzeitiger
Inanspruchnahme der gesetzlichen Rente hätten die Tarifvertragsparteien bei der
Neuverhandlung des Tarifvertrags unter anderem im November 1998 an der bisherigen
Regelung festgehalten und sie damit bestätigt. An diese Tarifregelung sei die Beklagte
ihrerseits gebunden und halte sich auch daran. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass
ausschließlich die Beklagte die tariflich vereinbarte Übergangsversorgung finanziere
und diese nur subsidiär bis zum frühestmöglichen Rentenbezug des jeweiligen
Mitarbeiters gezahlt werden solle. Selbst wenn insoweit eine Ungleichbehandlung
zwischen Frauen und Männern vorliegen sollte, sei diese nicht sachwidrig. Die
Tarifvertragsparteien hätten vorliegend eine klare und sich am Gesetz orientierende
Regelung getroffen.
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Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat die Klage mit Urteil vom 28.02.2002 - 9 Ca 6242/01 -
abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird verwiesen. Hiergegen wendet sich die
Klägerin mit der vorliegenden Berufung, die sie zu den im Sitzungsprotokoll vom
03.09.2002 genannten Zeitpunkten eingelegt und begründet hat und mit der sie ihr
Klagebegehren weiterverfolgt sowie zusätzlich hilfsweise beantragt,
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festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist,
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a) bis zum 01.10.2003 das Übergangsgeld gem. § 5 des Tarifvertrages
über die Übergangsversorgung für die bei der D. D. F. GmbH
beschäftigten Flugdatenbearbeiter im FVK (Ü-VersTV-FDB) zu zahlen,
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b) für die Zeit vom 01.10.2003 bis zum 31.10.2005 den
Unterschiedsbetrag der monatlichen Alters- und Betriebsrente zu dem
monatlichen Übergangsgeld zu zahlen,
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c) für den unter b) genannten Zeitraum den Arbeitgeberzuschuss für die
Kranken- und Pflegeversicherung abzüglich des Zuschusses der
Bundesanstalt für Angestellte für Kranken- und Pflegeversicherung in
Höhe von 6,75 % bzw. 0,85 % der Rentenzahlung zu zahlen.
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d) ab dem 01.11.2005 den monatlichen Rentensteigerungsbetrag zu
zahlen, der angewachsen wäre, wenn die Klägerin bis zum 31.10.2005
Übergangsversorgung bezogen hätte.
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Die Beklagte beantragt demgegenüber die Zurückweisung der Berufung einschließlich
der Hilfsanträge. Auf das Berufungsvorbringen beider Parteien wird Bezug genommen,
ebenso wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den übrigen
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Akteninhalt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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I.
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Die Berufung der Klägerin ist zulässig: Sie ist nach dem Wert des
Beschwerdegegenstandes an sich statthaft (§ 64 Abs. 2 ArbGG) sowie form- und
fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 11 Abs. 2, 66 Abs. 1 ArbGG).
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II.
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In der Sache hat sie teilweise Erfolg. Die Klägerin hat nach Maßgabe des
verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes und arbeitsrechtlichen
Gleichbehandlungsgebots einen Anspruch gegenüber der Beklagten darauf, bezüglich
der Zahlung des tariflichen Übergangsgeldes nicht schlechter gestellt zu werden als ein
vergleichbarer männlicher Mitarbeiter.
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1. Zutreffend ist, dass eine Ungleichbehandlung nicht vorliegt, soweit die Beklagte nach
§ 2 Abs. 1 Ü-VersTV-FDB ein Übergangsgeld gleichermaßen an männliche wie an
weibliche Mitarbeiter ab Vollendung ihres 59. Lebensjahres zahlt. Die
Ungleichbehandlung entsteht jedoch mit der Dauer der Zahlung, die sich mittelbar aus
dem unterschiedlichen Rentenzugangsalter von Männern und Frauen sowie der damit
verbundenen finanziellen Schlechterstellung der Frau ergibt.
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a) Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung des von ihr ab dem 01.12.2001 bezogenen
Übergangsgeldes erlischt nach § 7 Abs. 1 Ü-VersTV-FDB mit Beginn des Monats, ab
dem sie Altersrente beziehen kann. Zum Bezug von Altersrente ist sie gem. § 237 a
SGB VI ab Vollendung ihres 60. Lebensjahres am 01.11.2002 berechtigt. Der
vergleichbare Mann hat Anspruch auf Zahlung des tariflichen Übergangsgeldes für
einen um drei Jahre längeren Zeitraum, da er frühestens ab Vollendung seines 63.
Lebensjahres gesetzliche Altersrente beanspruchen kann. Bereits hierin liegt eine
Ungleichbehandlung, die sich angesichts des Unterschiedsbetrags zwischen höherem
Übergangsgeld einerseits und niedrigerer gesetzlicher Rente einschließlich
Betriebsrente andererseits finanziell nachteilig für die Frau auswirkt.
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b) Als weitere Ungleichbehandlung erweisen sich die finanziellen Nachteile für die
Frau, die sich aus dem unterschiedlichen Rentenzugangsalter von Mann und Frau und
den damit verbundenen Rentenabschlägen ergeben.
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aa) Bezieht ein Mann vor Vollendung seines 65. Lebensjahres anstelle der gesetzlichen
Regelaltersrente (§ 35 SGB VI) bereits ab Vollendung seines 63. Lebensjahres
Altersrente, beträgt der Rentenabschlag grundsätzlich (0,3 % x 24 Monate =) 7,2 %.
Macht eine Frau vor Vollendung ihres 63. Lebensjahres vom Rentenbezug Gebrauch
und bezieht ab Vollendung ihres 60. Lebensjahres Altersrente (§ 237 a Abs. 2 Satz 2
SGB VI), beträgt ihr Abschlag grundsätzlich (0,3 % x 36 Monate =) 10,8 %, im Falle der
Klägerin (0,3 % x 35 Monate =) 10,5 %. Der Minderbetrag der Rente zum vergleichbaren
Mann beträgt hier insoweit durchgehend 3,3 %.
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bb) An diese gesetzliche Regelung knüpft die Tarifregelung über die Zahlung des
Übergangsgeldes an. Nach §§ 7 Abs. 1, 9 Abs. 1 Ü-VersTV-FDB kann das
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Übergangsgeld längstens bis zum frühestmöglichen Rentenbezug beansprucht werden.
Dies hat infolge des gem. § 237 a SGB VI niedrigeren Rentenzugangsalters der Frau
automatisch zur Folge, dass die Frau ab Vollendung ihres 60. Lebensjahres durch den
früheren Rentenbezug zum einen anstelle des höheren Übergangsgeldes die
betragsmäßig niedrigere gesetzliche Rente (einschließlich Betriebsrente) erhält und
außerdem einen prozentual höheren Rentenabschlag hinzunehmen hat - hier 10,5 % -
als der vergleichbare Mann, der den Anspruch auf volles Übergangsgeld bis zur
Vollendung seines 63. Lebensjahres behält und danach nur den niedrigeren
Rentenabschlag in Höhe von 7,2 % hinzunehmen hat.
c) Zutreffend weist die Klägerin darauf hin, dass eine Ungleichheit auch bei den
Rentenzuwächsen besteht. Da vom Übergangsgeld als Form des Arbeitsentgelts
Rentenversicherungsbeiträge anfallen, hat der vergleichbare Mann einen um drei Jahre
längeren Versicherungszeitraum mit den sich daraus ergebenden Rentenzuwächsen.
Dies wirkt sich auf die Höhe sowohl der gesetzlichen als auch der betrieblichen Rente
aus und führt zu einer finanziellen Besserstellung des vergleichbaren Mannes bzw.
entsprechenden Schlechterstellung der Frau.
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2. Für die sich hieraus insgesamt ergebende Ungleichbehandlung und finanzielle
Schlechterstellung der Klägerin liegen nach Auffassung der erkennenden Kammer
keine ausreichend sachlich gerechtfertigten Gründe vor. Zwischen den Parteien ist
unstreitig, dass es arbeits- oder vertragsbezogene Gründe für die finanzielle
Schlechterstellung der Klägerin nicht gibt, die unterschiedliche Behandlung vielmehr
eine Folge der gesetzlichen Regelung über das unterschiedliche Rentenzugangsalter
von Mann und Frau ist. Einen ausreichenden Grund für die finanzielle Benachteiligung
der Frau bei der Zahlung des
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hier maßgeblichen tariflichen Übergangsgeldes sieht die erkennende Kammer darin
jedoch nicht. Die Tarifregelungen im hier einschlägigen Tarifvertrag über die
Übergangsversorgung der Flugdatenbearbeiter vom 07.07.1993 verstoßen, soweit sie
die Klägerin bei der Zahlung des Übergangsgeldes finanziell benachteiligen, gegen das
Gleichheitsgebot in der Form der Gleichbehandlung von Männern und Frauen sowie
gegen das Gebot der Entgeltgleichheit für Männer und Frauen und sind
dementsprechend unanwendbar. Jedenfalls kann die Beklagte sich nicht mit Erfolg
hierauf stützen.
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a) Hierfür kann es dahingestellt bleiben, ob die einschlägigen Tarifnormen von Anfang
an schon bei Inkrafttreten des Tarifvertrags im Sommer 1993 Regelungen enthielten, die
zu einer gleichheitswidrigen Behandlung von Mann und Frau und zur finanziellen
Benachteiligung der Frau führten. Spätestens bei der Neuverhandlung des Tarifvertrags
im November 1998 war den Tarifvertragsparteien die sich aus der Anknüpfung an das
unterschiedliche Rentenzugangsalter ergebende Ungleichbehandlung bei der Zahlung
des tariflichen Übergangsgeldes bewusst. Ihnen war unstreitig auch bekannt, dass sich
die finanziellen Auswirkungen infolge der Einführung von Rentenabschlägen durch die
Rentenreform 1997 vergrößerten und spätestens zu diesem Zeitpunkt zu Ungleichheiten
zwischen Mann und Frau führten. Die Tarifvertragsparteien haben unter anderem im
November 1998 bewusst unstreitig Abstand von Neuregelungen genommen, insoweit
an den bisherigen Tarifregelungen festgehalten und den bestehenden Tarifzustand in
ihren Willen aufgenommen. Die sich hieraus ergebende finanzielle Benachteiligung der
Frau bei der Zahlung des tariflichen Übergangsgeldes wird dem Gleichheitsgebot nicht
(mehr) gerecht.
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b) Auch der von der Beklagten wiederholt vorgetragene Gesichtspunkt, die
Tarifvertragsparteien hätten nur an die bestehende Gesetzeslage über das
unterschiedliche Rentenzugangsalter und die damit verbundenen gesetzlichen
Regelungen angeknüpft, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Die Beklagte
übersieht einen erheblichen Unterschied: Nach § 237 a Abs. 2 SGB VI haben
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Frauen ab Vollendung ihres 60. Lebensjahres die Möglichkeit der vorzeitigen
Inanspruchnahme der Altersrente. Sie müssen es nicht. Machen sie von der Möglichkeit
Gebrauch, führt dies zu den gesetzlich geregelten Rentenabschlägen. Nach § 9 Abs. 1
Ü-VersTV-FDB besteht demgegenüber die Verpflichtung zur frühestmöglichen
Inanspruchnahme der Altersrente mit der Folge, dass der Anspruch auf Übergangsgeld
erlischt und die Frau die oben genannten und im Vergleich zum Mann höheren
finanziellen Einbußen hinzunehmen hat. Dies ist nach Auffassung der Kammer mit dem
Gleichheitsgebot und dem Benachteiligungsverbot nicht in Einklang zu bringen. Insofern
sind auch die vom Arbeitsgericht im angefochtenen Urteil erwähnten Entscheidungen
des Bundesverfassungsgerichts vom 28.01.1987 (AP Nr. 3 zu § 25 AVG) und
Bundesarbeitsgerichts vom 18.03.1997 (AP Nr. 32 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung =
NZA 1997, 824) nicht einschlägig. Dort ging es lediglich um das Recht der vorzeitigen
Inanspruchnahme der Rente durch Frauen ab Vollendung ihres 60. Lebensjahres,
während es im vorliegenden Fall um die Pflicht der vorzeitigen Inanspruchnahme geht
mit den damit verbundenen finanziellen Benachteiligungen.
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c) Ebenso wenig vermag der Hinweis der Beklagten auf die Subsidiarität des tariflichen
Übergangsgeldes gegenüber der Inanspruchnahme von gesetzlichen Rentenleistungen
zu einem anderen Ergebnis zu führen. Die Subsidiarität des tariflichen
Übergangsgeldes schließt es nicht aus, Tarifregelungen über diese Zahlungen in der
Weise zu schaffen, dass eine Benachteiligung der Frau in den finanziellen
Folgewirkungen weitestgehend ausgeschlossen wird.
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3. Wie der EuGH bereits in der "Barber"-Entscheidung vom 17.05.1990 (AP Nr. 20 zu
Art. 119 EWG-Vertrag) festgestellt hat, haben gegebenenfalls die Gerichte den Schutz
der Rechte aus dem Gleichbehandlungsgebot zu gewährleisten. Dies gilt im
vorliegenden Fall auch insoweit, als die Klägerin bei der Zahlung des tariflichen
Übergangsgeldes finanziell nicht schlechter gestellt
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werden darf als der vergleichbare Mann, der mit Vollendung seines 63. Lebensjahres
Altersrente bezieht und einen Rentenabschlag dann in Höhe von 7,2 % hinzunehmen
hat. Den 7,2 %-igen Abschlag (10,5 minus 3,3) erreicht die Klägerin, wenn ihr
Rentenbezug anstelle des 01.11.2002 erst mit 11-monatiger Verzögerung (3,3 geteilt
durch 0,3) am 01.10.2003 beginnt. Das Gleichheitsgebot gebietet dementsprechend
eine Verpflichtung zur Zahlung des tariflichen Übergangsgeldes an die Klägerin für den
Zeitraum bis einschließlich September 2003. Für die anschließende Zeit vom
01.10.2003 bis zur (rentenrechtlichen) Vollendung des 63. Lebensjahres der Klägerin
mit dem 31.10.2005 hat die Beklagte weiterhin den Differenzbetrag auszugleichen, der
sich aus der monatlich niedrigeren Alters- und Betriebsrente zum monatlichen
Übergangsgeld ergibt, das ein vergleichbarer Mann bis zur Vollendung seines 63.
Lebensjahres erhielte. Entsprechend war in Ziff. 1 a und b des Urteilstenors zu
tenorieren.
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4. Die weitergehende Klage ist unbegründet und war dementsprechend abzuweisen.
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Die als Arbeitgeberzuschuss zu zahlenden Anteile zur Kranken- und
Pflegeversicherung sind nicht Teil des Arbeitsentgelts. Soweit die Klägerin Zahlung
fiktiver Rentenzuwächse für den Zeitraum ab 01.11.2005 begehrt, scheidet ein Anspruch
ebenfalls aus. Rentenzuwächse sind für die Zeit bis 01.10.2003 bereits in dem zu
zahlenden Übergangsgeld enthalten und fallen im Übrigen wegen des auch unter
Berücksichtigung der Gleichbehandlung spätestens mit dem 01.10.2003 beginnenden
Rentenbezugs nicht an.
III.
55
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Zulassung der Revision
erfolgt für beide Parteien und beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
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Rechtsmittelbelehrung:
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Gegen dieses Urteil kann von beiden Parteien
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REVISION
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eingelegt werden.
60
Die Revision muss
61
innerhalb einer Notfrist von einem Monat
62
nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
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Bundesarbeitsgericht,
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Hugo-Preuß-Platz 1,
65
99113 Erfurt
66
eingelegt werden.
67
Die Revision ist gleichzeitig oder
68
innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
69
schriftlich zu begründen.
70
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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gez.: Dr. Kaup gez.: Meder gez.: Wagner
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