Urteil des LAG Düsseldorf vom 30.11.2010

LArbG Düsseldorf (kläger, kündigung, betriebsrat, arbeitnehmer, firma, mitarbeiter, bag, unternehmen, betrieb, arbeitgeber)

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 8 Sa 1234/09
Datum:
30.11.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 Sa 1234/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Mönchengladbach, 1 Ca 1830/09
Schlagworte:
betriebsbedingte Kündigung - Besetzungsklauseln - ultima-ratio-Prinzip -
Sozialauswahl
Normen:
§ 1 Abs. 2, 3 KSchG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Der Arbeitgeber kann zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen
nach dem Ultima-ratio-Prinzip gehalten sein, freiwillige Überstunden, die
aus arbeitstechnischen Gründen außerhalb der tariflichen
Regelarbeitszeit - z. B. an Wochenenden - anfallen, durch Abschluss
einer Betriebsvereinbarung zum Bestandteil der (erweiterten)
Regelarbeitszeit zu machen. Voraussetzung ist die Existenz einer
entsprechenden tariflichen Öffnungsklausel, die dem Betriebsrat den
Abschluss einer solchen Betriebsvereinbarung erlaubt. 2. Zu den
Anforderungen an das Vorliegen eines betriebsbedingten
Kündigungsgrundes bei Geltung tarifvertraglicher Besetzungsklauseln.
Tenor:
1.Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Mönchengladbach vom 06.10.2009 - Az. 1 Ca 1830/09 - wird
kostenpflichtig zurückgewiesen.
2.Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
2
Der 41 Jahre alte Kläger (verheiratet, 3 unterhaltspflichtige Kinder) ist seit dem
02.12.1996 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Druckindustrie mit mehreren
Hundert Arbeitnehmern allein in ihrem Betrieb in N., beschäftigt. Er ist in
Tariflohngruppe III eingruppiert und bezog zuletzt einen Bruttomonatslohn von etwa
3.000,00 €.
3
Der Kläger wurde über Jahre in der Abteilung Weiterverarbeitung (Buchbinderei) der
Beklagten eingesetzt, unter anderem als stellvertretender Maschinenführer im
4
Sammelhefterbereich und Staplerfahrer. Zum 01.04.2009 veräußerte die Beklagte die
dieser Abteilung zugeordneten Betriebsmittel an die Firma C. Finishing GmbH & CoKG
(im Folgenden C.). Die Konsequenzen dieser Maßnahme sind zwischen den Parteien
streitig. Nachdem der Kläger dem von der Beklagten angenommenen Übergang seines
Arbeitsverhältnisses auf C. widersprochen hatte, wurde er zusammen mit weiteren 24
widersprechenden Arbeitnehmern in der Abteilung Tiefdruck als Hilfskraft eingesetzt.
Damit erhöhte sich die Zahl der dort tätigen Hilfskräfte auf insgesamt 145. In der
Abteilung Tiefdruck wurde jedenfalls seit August 2008 von montags bis freitags im
Dreischichtbetrieb gearbeitet. Zudem wurden seitdem unter Ableistung freiwilliger
Überstunden Zusatzschichten am Wochenende gefahren. Die Beklagte und der bei ihr
gebildete Betriebsrat schlossen am 15.08.2008 eine "Vorläufige Betriebsvereinbarung
4/2008 MG: Besetzungen und Tätigkeiten im Tiefdruck", in der unter anderem geregelt
ist, mit wie vielen Hilfskräften die unterschiedlichen Rotationsmaschinen und der
Saaldienst besetzt sein müssen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ziffern 5. - 7. der
Betriebsvereinbarung Bezug genommen (Blatt 221 b) - 221 c) d.A.). Unter Ziffer 9.
Schlussbestimmungen wird ausgeführt, dass im Falle einer Betriebsänderung,
Umorganisation oder Maschinenstilllegung, die mit betriebsbedingten Kündigungen
verbunden sind, bei der Berechnung des erforderlichen Personals von 117 Hilfskräften
ausgegangen wird. Die für die Firma C. tätigen Arbeitnehmer wählten im September
2009 einen eigenen Betriebsrat.
Am 05.05.2009 fasste die Beklagte unter der Überschrift "Hilfskräfte Tiefdruck" einen
Geschäftsleitungsbeschluss mit unter anderem folgenden Inhalt:
5
"1.
6
Durch den Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen im Mai 2009
7
werden 12 Arbeitsplätze für dreischichtig tätige Hilfskräfte im Tiefdruck
8
abgebaut. Dadurch reduziert sich die Zahl der verbleibenden drei-
9
schichtig tätigen Hilfskräfte im Tiefdruck auf 133. Der durch die Wider-
10
sprüche gegen den Betriebsübergang bedingte Personalüberhang
11
wird dadurch teilweise abgebaut.
12
2.
13
Im Hilfskräftebereich können zur Vertretung der Stammarbeitnehmer
14
- wie bisher - bei Bedarf Leiharbeitskräfte eingesetzt werden, wenn
15
- Arbeitsplätze wegen Krankheit des Stammarbeitnehmers
16
vakant sind und ein Ersatz durch eigene Mitarbeiter nicht
17
möglich ist
18
oder
19
- Arbeitsplätze nicht besetzt sind, weil aufgrund der bestehenden
20
Regelungen zur Urlaubsgewährung mehr als 12 % der vergleich-
21
baren Arbeitnehmer (durchschnittliche Urlaubsquote) wegen
22
Urlaub abwesend sind,
23
oder
24
- bei vorübergehendem Personalspitzenbedarf im Tiefdruck.
25
Der Einsatz von Leiharbeitnehmern findet nur statt, wenn dies für die
26
Produktion erforderlich ist."
27
Die Beklagte führte eine Sozialauswahl unter Anwendung einer am 29.08.2008 durch
einen Spruch der Einigungsstelle zustande gekommenen Betriebsvereinbarung durch.
Die Hilfskräfte im Tiefdruck wurden dabei der Gruppe 27 Sonstige Hilfskräfte
zugeordnet, die zwölf Mitarbeiter dieser Gruppe mit den wenigsten Sozialpunkten zur
Entlassung bestimmt. Hilfskräfte waren daneben etwa den Gruppen 11
Zylindertransport, 13 Farblager und 26 Hilfskräfte Arbeitsvorbereitung und
Belegabteilung zugeordnet. Letztgenannte Gruppe bestand aus zwei Mitarbeitern,
darunter der Arbeitnehmer T. H., der 40 Sozialpunkte erreichte. Der Kläger kam - wie
drei weitere, in der Folge nicht gekündigte Hilfskräfte der Gruppe 27 auch - auf 48
Sozialpunkte. Wegen der von den einzelnen Hilfskräften erzielten Punktezahlen wird
auf die Übersichtlisten (Anlage B5 zur Klageerwiderung, Blatt 53 d.A.) Bezug
genommen. Mit Schreiben vom 20.05.2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur
beabsichtigten Kündigung des Klägers an. Dem Deckblatt mit den Sozialdaten (Blatt 54
d.A.) waren Zusatzblätter beigefügt, die - so die Darstellung der Beklagten -
insbesondere eine detaillierte Berechnung des künftigen Bedarfs an Hilfskräften im
Tiefdruck und eine Erläuterung der Gruppenbildung und Punktevergabe bei
Durchführung der Sozialauswahl enthielten (Blatt 55 ff. d.A.). Mit Schreiben vom
29.05.2009 (Blatt 5 d.A.) erhob der Betriebsrat Bedenken gegen die Kündigung des
Klägers. Noch am selben Tage kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien
schriftlich zum 31.10.2009 und stellte den Kläger von der Arbeitsleistung frei.
28
Im Juni 2009 nahm die Geschäftsführung der Beklagten Kontakt zum
Landesvorsitzenden W. der Gewerkschaft ver.di wegen Verhandlungen zum Abschluss
eines Sanierungstarifvertrages auf. Unter Beteiligung des Betriebsrats der Beklagten
und unter Vermittlung des Landesschlichters Q. wurde im Oktober 2009 unter anderem
tarifvertraglich vereinbart, dass das tarifliche Weihnachts- und Urlaubsgeld nur zur
Hälfte auszuzahlen war. Die Beklagte verzichtete im Gegenzug auf den Ausspruch
betriebsbedingter Kündigungen bis zum Jahre 2012. Weiterhin wurden per
Betriebsvereinbarung aus dem Monat November 2009 neun Samstage pro Jahr und
Mitarbeiter zu Regelarbeitstagen bestimmt. Im Rahmen einer Urabstimmung erklärten
rund 80% der Arbeitnehmer des Werks N. ihre Zustimmung zu sämtlichen Maßnahmen.
29
Mit der vorliegenden, am 04.06.2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der
Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 29.05.2009 geltend
30
gemacht und dabei das Fehlen eines Kündigungsgrundes sowie die fehlerhafte
Durchführung der Sozialauswahl sowie der Anhörung des Betriebsrats gerügt. Der
Kläger hat den Wegfall seines Arbeitsplatzes bestritten. Die von der Beklagten
vorgelegte Berechnung eines Bedarfs von 133 Hilfskräften im Tiefdruck sei nicht
nachvollziehbar. Es seien vor wie nach der streitgegenständlichen Kündigung in
erheblichem Maße Leiharbeitnehmer im Tiefdruck eingesetzt worden. Darüber hinaus
könne der Kläger im Arbeitsbereich der Firma C. beschäftigt werden. Das gebe das
Weisungsrecht der Beklagten her, da es sich bei der Firma C. nur scheinbar um ein neu
gegründetes, eigenständiges Unternehmen handele. Räumliche wie arbeitstechnische
Abgrenzungen existierten nicht, Telefon- wie EDV-Anlage beider Firmen seien vernetzt.
Die Sozialauswahl sei jedenfalls im Hinblick auf den Mitarbeiter H. fehlerhaft. Dessen
Tätigkeit - nämlich die Auswahl von sog. Belegexemplaren für die Kunden - könne der
Kläger in Anbetracht seines langjährigen Umgangs mit Druckerzeugnissen der
Beklagten binnen weniger Wochen während der Arbeitszeit erlernen. Soweit in der
Arbeitsvorbereitung Produktionslisten und -mengen erstellt werden müssten, gehe es
nur um das Umsetzen feststehender Vorgaben, welches nicht mit besonderen
intellektuellen Anforderungen verbunden sei. Herr H. sei schließlich auch nur Hilfskraft.
Abgesehen davon könne der Kläger die Richtigkeit der Punktevergabe an einzelne
Mitarbeiter nicht überprüfen. Im Hinblick auf die Betriebsratsanhörung hat der Kläger
bestritten, dass dem Betriebsrat die Anforderungen, die an die verschiedenen
Mitarbeitergruppen gestellt worden seien, bekannt waren und der Betriebsrat im Besitz
sämtlicher Unterlagen war, die die Beklagte im Kündigungsschutzrechtstreit vorgelegt
hatte.
Der Kläger hat beantragt,
31
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch
die Kündigung vom 29.05.2009 zum 31.10.2009 sein Ende finden wird.
32
Die Beklagte hat beantragt,
33
die Klage abzuweisen.
34
Die Beklagte hat behauptet, der Arbeitsplatz des Klägers sei schon infolge seines
Widerspruchs gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Firma C. in
Wegfall geraten. Sie habe das durch die Widersprüche sich ergebende zusätzliche
Arbeitskräftevolumen dazu genutzt, die Zahl der in der Abteilung Tiefdruck beschäftigten
Leiharbeitnehmer erheblich zu reduzieren; es könnten aber nicht alle früher in der
Weitverarbeitung tätigen Hilfskräfte dauerhaft dort eingesetzt werden. In Auswertung der
tatsächlichen, von den Schichtführern ermittelten Personaleinsatzzahlen für die Zeit ab
September 2008 habe sie ermittelt, dass pro Schicht durchschnittlich 32,35 Hilfskräfte
(inklusive Leiharbeitnehmern) eingesetzt worden seien. Von einem höheren
Arbeitskräftebedarf in der Zukunft könne wegen des konjunkturbedingten
Auftragsrückgangs und des Rationalisierungseffekts infolge des Einsatzes von
Abstapelrobotern nicht ausgegangen werden. Es ergäben sich rechnerisch - bei 750
Schichten pro Arbeitnehmer und Jahr - jährlich 24.262 abzuleistende Manntage, die um
1.531 Manntage zu reduzieren seien, die auf Urlaubsspitzen, Krankheitsvertretungen
und unerwartete Mehrarbeit entfielen, welche zulässigerweise durch den Einsatz von
Leiharbeitnehmern abgedeckt werden könnten. Bei 176 Arbeitstagen pro Mann und Jahr
sei daher spitz gerechnet von einem Hilfskräftebedarf von 129,15 Stammkräften
auszugehen, dem die Beklagte mit der von ihr angesetzten Zahl von 133 Hilfskräften im
35
Tiefdruck jedenfalls gerecht würde. Die weiteren Personaleinsatzstatistiken für die Zeit
nach Ausspruch der Kündigung bestätigten dies. Insbesondere sei es über Monate zu
keinem Einsatz von Leiharbeitnehmern mehr gekommen. Die von ihr durchgeführte
Sozialauswahl sei nicht zu beanstanden. Der Kläger sei mit den Hilfskräften anderer
Abteilungen nicht zu vergleichen, wofür schon die Gruppenbildung im Rahmen der
Auswahlrichtlinie spreche. So verrichteten etwa die Rolleure anspruchsvolle
Hilfstätigkeiten, deren Erlernen eine Einarbeitungszeit von mindestens neun Monaten
erforderten, und die deshalb nach der speziellen Lohngruppe V95 vergütet würden. Für
die Hilfstätigkeiten im Farblager bzw. der Belegabteilung/Arbeitsvorbereitung betrage
die notwendige Einarbeitungszeit mindestens 6 Monate. Der dort tätige Mitarbeiter H.
verfüge über mehrjährige Kenntnisse bei der Auswahl von Belegexemplaren und vor
allem über die in der Arbeitsvorbereitung erforderlichen Word-/Excel-Kenntnisse; beides
gehe dem Kläger ab. Entsprechend werde Herr H. nach einer höheren Lohngruppe
vergütet, er werde zudem nur im Zweischichtbetrieb eingesetzt. Es mangele daher an
der vertraglichen Austauschbarkeit. Schließlich habe die Sozialauswahl nicht auf die
Mitarbeiter der Firma C. erstreckt werden müssen. C. und die Beklagte bildeten keinen
gemeinsamen Betrieb. Es gebe personelle Verflechtungen weder auf Ebene der
Geschäftsführung noch auf der der Mitarbeiter, beide Firmen arbeiteten lediglich
unternehmerisch als Auftraggeber und -nehmer zusammen. Die Firma C. habe
abgegrenzte Betriebsräume von der Grundstückseigentümerin angemietet und verfüge
selbstverständlich über einen eigenen Telefonanschluss und eine eigene EDV. Der
Betriebsrat sei vor Ausspruch der Kündigung umfassend und zutreffend über die Gründe
der beabsichtigten Kündigung informiert wurden. Wie sich aus der Reaktion des
Betriebsrats selbst ergebe, müssten diesem sämtliche Unterlagen und insbesondere
das Rechenwerk der Beklagten zur Ermittlung des Hilfskräftebedarfs im Tiefdruck
vorgelegen haben. Der Betriebsrat befinde sich überdies im Besitz einer
Gesamtpersonalliste mit den Sozialdaten aller Arbeitnehmer.
Mit Urteil vom 06.10.2009 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und zur
Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die streitgegenständliche Kündigung sei
unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt unwirksam. Die Betriebsratsanhörung sei nach
den Grundsätzen der subjektiven Determinierung nicht zu beanstanden. Die Kündigung
sei sozial gerechtfertigt. Die Beklagte habe einen Stellenabbaubeschluss gefasst und
dessen Umsetzbarkeit hinreichend verdeutlicht. Dies ergebe sich aus dem vorgelegten
Rechenwerk zur Ermittlung der Manntage sowie der geschilderten Entwicklung nach
Ausspruch der Kündigung. Überdies streite der erste Anschein für einen
Personalüberhang im Tiefdruck, da dort immerhin 25 Hilfskräfte mehr als vor der
Abspaltung der Abteilung Weiterverarbeitung eingesetzt worden seien. Im Gegensatz zu
den Verhältnissen in der Vergangenheit sei nicht feststellbar, dass die Beklagte
Leiharbeitnehmer außer zur Abdeckung eines Vertretungsbedarfs abfordere. Das aber
sei rechtlich zulässig. Im Betrieb der Firma C. könne die Beklagte den Kläger nicht
einsetzen. Beide Unternehmen führten keinen gemeinsamen Betrieb. Zutreffend habe
die Beklagte die Sozialauswahl durchgeführt. Insoweit sei die Existenz der
anzuwendenden Auswahlrichtlinie zu berücksichtigen. Eine grob fehlerhafte Bildung
von Vergleichsgruppen sei ebenso wenig erkennbar wie Fehler bei der Ermittlung der
Sozialpunkte.
36
Der Kläger hat gegen das ihm am 12.10.2009 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts mit
einem am 27.10.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz
Berufung eingelegt und diese mit einem weiteren, am 14.12.2009 (einem Montag)
eingegangenen Schriftsatz auch begründet.
37
Der Kläger hält die streitgegenständliche Kündigung nach wie vor für unwirksam. Das
folge entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts schon aus einer unzulänglichen
Anhörung des Betriebsrats. Die Beklagte hätte sich, so meint der Kläger, speziell auf
den Kläger und seine Fähigkeiten bezogen zur Frage der Vergleichbarkeit mit den
Hilfskräften in den anderen Auswahlgruppen verhalten müssen. Die Kündigung des
Klägers sei sozial ungerechtfertigt. Das Arbeitsgericht habe die an sich schon nicht
aussagekräftigen Zahlen der Beklagten zur Ermittlung des Arbeitskräftebedarfs
ungeprüft übernommen. Dabei zeige die tatsächliche Entwicklung, dass die Beklagte
mit 133 Hilfskräften im Tiefdruck nicht hinkomme; vielmehr immer noch
Leiharbeitnehmer außerhalb von Vertretungsfällen einsetze und (über Dritte) sogar neue
Arbeitskräfte für die Produktion suche. Die Annahme eines Anscheinsbeweises für
einen Personalüberhang sei verfehlt, weil ein solcher voraussetze, dass der bei
Ausspruch der Kündigung vorhandene Auftragsbestand zu 100% durch Stammkräfte
hätte erledigt werden können. Der Kläger bleibe auch dabei, weiterhin bei der Firma C.
eingesetzt werden zu können. Was die Sozialauswahl anbetreffe, so habe sich das
Arbeitsgericht mit der Frage der Vergleichbarkeit der Hilfskräfte in den anderen
Abteilungen und insbesondere mit dem Anforderungsprofil der von Herrn H. besetzten
Stelle nicht hinreichend auseinander gesetzt. Schon aufgrund seiner Vorkenntnisse als
stellvertretender Maschinenführer bringe der Kläger die Voraussetzungen für die Arbeit
in der Belegabteilung mit. Den vorübergehend dort eingesetzten Mitarbeiterinnen N. und
C. sei es möglich gewesen, binnen weniger Wochen die Aufgaben der Belegprüfung zu
erlernen. Der Kläger sei auch mit allen bei der Beklagten verwendeten
Computerprogrammen vertraut, so etwa mit dem Stapelleitsystem. Herr H. habe die
Arbeiten in der Arbeitsvorbereitung erst nach der Kündigung des Klägers übernommen.
38
Der Kläger beantragt,
39
das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 06.10.2009 - Az.: 1 Ca 1830/09 -
abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die
ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.05.2009 nicht aufgelöst ist.
40
Die Beklagte beantragt,
41
die Berufung zurückzuweisen.
42
Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts unter ergänzender Bezugnahme
auf ihren erstinstanzlichen Sachvortrag. Sie hält ihre Angaben zur Ermittlung der
benötigten Anzahl von Hilfskräften im Tiefdruck nach wie vor für stichhaltig; im Übrigen
würde sie durch die tatsächliche Entwicklung - insbesondere im Hinblick auf die
Reduzierung des Leiharbeitnehmereinsatzes - bestätigt. Die von ihr durchgeführte
Sozialauswahl sei richtig. Der Kläger sei mit Herrn H. nicht vergleichbar. Dieser
verrichte in beiden Teilbereichen eine sehr verantwortungsvolle Tätigkeit nahezu
selbständig. Für die Arbeit in der Belegabteilung müsse Herr H. geringfügige
Farbnuancen erkennen können und überdies wissen, worauf die rund 80 Kunden der
Beklagten im Hinblick auf Farbgebung und Beschnitt besonderen Wert legten. In der
Arbeitsvorbereitung seien komplexe Ablaufpläne zu erstellen, deren Fehlerhaftigkeit zur
Produktion von Ausschuss führe. Herr H. mache dies bereits seit Mai 2008. Frau C. und
Frau N. hätten zwar in der Abteilung gearbeitet, aber keine Belegexemplarauswahl,
sondern nur Kuvertier- und Versandarbeiten durchgeführt. Vom Kläger wisse man nicht
einmal, ob er die erforderlichen lese- und Rechtsschreibfähigkeiten mitbringe.
43
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung diverser Zeugen. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Vernehmungsniederschrift vom
13.07.2010 Bezug genommen.
44
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten
Unterlagen sowie die Protokolle der mündlichen Instanzen beider Rechtszüge
verwiesen.
45
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
46
A.
47
Die Berufung des Klägers ist zulässig.
48
Sie ist gemäß § 64 Abs. 1, 2 lit. b) ArbGG an sich statthaft und form- und fristgerecht
eingelegt und begründet worden, §§ 64 Abs. 6 ArbGG iVm § 520 ZPO, 66 Abs. 1 Satz 1
ArbGG.
49
B.
50
Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht
abgewiesen, weil die streitgegenständliche Kündigung vom 29.05.2009 wirksam ist.
51
I.
52
Die Kündigung der Beklagten ist sozial gerechtfertigt. Zwar findet das KSchG in
Anbetracht der langjährigen Dauer des Arbeitsverhältnisses des Klägers und der Größe
des N. Betriebes der Beklagten gemäß §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 Satz 2 unzweifelhaft
Anwendung, und der Kläger hat auch die gemäß § 4 Satz 1 KSchG zu beachtende
dreiwöchige Klagefrist durch Einreichung der Klage am 6. Tage nach Zugang der
Kündigung gewahrt. Der Beklagte kann sich aber auf ein dringendes betriebliches
Erfordernis im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG berufen, welches der Weiterbeschäftigung
des Klägers entgegensteht. (unten 1.). Die Kündigung ist auch nicht wegen einer
fehlerhaften Sozialauswahl im Sinne der §§ 1 Abs. 3 KSchG unwirksam (unten 2.).
53
1.
54
Der Arbeitsplatz des Klägers ist infolge der unternehmerischen Entscheidung der
Beklagten vom 05.05.2009, die Abteilung Tiefdruck künftig mit insgesamt 133
Hilfskräften zu besetzen, in Wegfall geraten. Der Kläger kann auch nicht auf einem
anderweitigen freien Arbeitsplatz eingesetzt werden.
55
a.
56
Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 KSchG können
sich aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben. Eine Kündigung
ist aus innerbetrieblichen Gründen gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber zu einer
organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren innerbetrieblicher Umsetzung das
Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt
57
(ständige Rechtsprechung des BAG, etwa Urteil vom 18.10.2006 - 2 AZR 434/05, NZA
2007, 552). Zu derartigen Maßnahmen kann auch die unternehmerische Entscheidung
gehören, schlicht den Personalbestand dauerhaft zu reduzieren, denn es ist
grundsätzlich Sache des Arbeitgebers, das Verhältnis von Arbeits- und
Arbeitskraftvolumen zueinander festzulegen. Von den Arbeitsgerichten voll
nachzuprüfen ist, ob eine derartige unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt
und durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer
entfallen ist. Dagegen ist die unternehmerische Entscheidung nicht auf ihre sachliche
Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie
offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (BAG, Urteil vom 22.09.2005 - 2
AZR 365/04, n.v.). Allerdings berechtigt die unternehmerische Organisationshoheit den
Arbeitgeber nicht, Arbeitsplätze in einem Maße abzubauen, welches mit einer
überobligatorischen Belastung der im Betrieb verbleibenden Mitarbeiter einhergeht. In
diesem Falle handelte der Arbeitgeber vertragswidrig und überschritte die Grenzen
einer zulässigen Unternehmerentscheidung. Da der Entschluss, Arbeitsplätze zu
streichen, nahe an die einzelnen Kündigungsentscheidungen heranrückt, die als solche
nicht frei sind, sondern den Vorgaben des § 1 Abs. 2 KSchG Rechnung zu tragen
haben, muss der Arbeitgeber in einem solchen Falle durch näheren Sachvortrag
verdeutlichen, wie das vorhandene Arbeitsvolumen mit der verbliebenen Belegschaft
bewältigt werden soll, ohne dass es zu "Überstunden mit Ansagen" kommt. Dass der
Arbeitgeber zur organisatorischen Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit der
unternehmerischen Entscheidung vortragen muss, ist jedoch weder Selbstzweck noch
darf es dazu dienen, dass die Gerichte in die betrieblichen Organisationsabläufe
eingreifen. Der Sinn besteht darin, einen Missbrauch des Kündigungsrechts
auszuschließen. Vermieden werden sollen betriebsbedingte Kündigungen, die zu einer
rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbleibenden
Personals führen. Vermieden werden soll außerdem, dass die unternehmerische
Entscheidung lediglich als Vorwand benutzt wird, um Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu
drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeit fortbestehen
und lediglich die Arbeitsvertragsinhalte und die gesetzlichen
Kündigungsschutzbestimmungen als zu belastend angesehen werden (BAG, Urteile
vom 18.09.2008 - 2 AZR 560/07, NZA 2009, 142; vom 22.09.2005 - 2 AZR 365/04, n.v.,
vom 26.09.2002 - 2 AZR 636/01, NZA 2003, 549).
b.
58
Hieran gemessen beruft sich die Beklagte zu Recht auf das Vorliegen eines
betriebsbedingten Kündigungsgrundes. Im Einzelnen gilt Folgendes:
59
aa.
60
Die Beklagte hat die unternehmerische Entscheidung getroffen, in der Abteilung
Tiefdruck künftig mit 133 Hilfskräften arbeiten und damit auf die Dienste von 12 Anfang
Mai 2009 dort noch beschäftigten Hilfskräften verzichten zu wollen. Die Existenz dieser
Entscheidung ist durch den zur Akte gereichten Geschäftsleistungsbeschluss vom
05.05.2009, das Schreiben zur Anhörung des Betriebsrats vor Ausspruch der
streitgegenständlichen Kündigung und die Antwort des Betriebsrats hinreichend belegt.
Der Kläger hat insoweit auch keine Rügen erhoben.
61
bb.
62
Die Beklagte hat durch näheren Sachvortrag verdeutlicht, dass bei Einsatz von 133
Stammhilfskräften im Tiefdruck das dort und für diese Beschäftigtengruppe anfallende
Arbeitsvolumen abgedeckt wird, ohne dass in rechtlich unzulässiger Weise auf den
Einsatz von Leiharbeitnehmern zurückgegriffen werden müsste.
63
(1)Die Beklagte hat im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 25.06.2009 anhand der
konkreten Einsatzzahlen für den Zeitraum vom 01.09.2008 bis zum 30.04.2009 (Anlage
B4 zum Schriftsatz) dargelegt, dass im Schichtdurchschnitt 32,35 Hilfskräfte inklusive
Leiharbeitnehmern tätig geworden sind. Daraus ergibt sich bei nicht zu
beanstandendem Ansatz von 750 Arbeitsschichten im Jahr (365 Tage abzüglich der
Wochenenden und Feiertage, je drei Schichten pro Arbeitstag) eine
Jahresarbeitsmenge von 24.262 Manntagen. Hiervon hat die Beklagte insgesamt 1.531
Manntage in Abzug gebracht, die sie in zulässiger Weise durch den Einsatz von
Leiharbeitnehmern abdecken möchte (dazu unten (2)). Den sich ergebenden Wert von
22.731 Manntagen hat die Beklagte durch 176 Arbeitstage pro Hilfskraft und Jahr
dividiert, wobei eine dreiwöchige krankheitsbedingte Fehlzeit Berücksichtigung findet.
Auf die sich ergebende Zahl von benötigten 129,15 Stammhilfskräften hat die Beklagte
einen Puffer von knapp vier Hilfskräften addiert und die Zahl der vorzuhaltenden
Hilfskräfte im Tiefdruck auf 133 festgesetzt.
64
(2)Die Beklagte war berechtigt, das durch eigene Arbeitnehmer zu bewältigende
Arbeitsvolumen um 600 Manntage für die Bewältigung von Arbeitsspitzen zu
Urlaubszeiten und weitere 931 Manntage für Krankheitsvertretungen zu minimieren, um
in diesen Zeiten Leiharbeitnehmer einzusetzen.
65
(a)Die Ansätze sind rechnerisch plausibel und vom Kläger auch inhaltlich
nicht bestritten worden. Im Hinblick auf den Urlaub ist die Beklagte nur für die
Sommer(ferien)monate Juli und August und wegen der bestehenden
betrieblichen Urlaubsregelungen (von vier Beschäftigten einer Gruppe kann
einer Urlaub nehmen) zu einer überdurchschnittlichen urlaubsbedingten
Fehlzahl von 5 Arbeitnehmern pro Schicht gelangt und hat dies mit den in den
beiden Monaten anfallenden 120 Schichten auf 600 Manntage
hochgerechnet. Wegen der Vertretung in Krankheitszeiten ist die Beklagte in
Anbetracht von drei zwei- oder mehrtägigen und einer weiteren eintägigen
Erkrankung pro Arbeitnehmer und Jahr von durchschnittlich 7 Arbeitstagen
ausgegangen, die - weil eine Vertretung durch eigene, in AZV-Freistellung
befindliche Arbeitnehmer wegen betrieblicher Ankündigungsfristen erst ab
dem dritten Ausfalltag möglich ist - durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern
überbrückt werden müssen. Zutreffend errechnet die Beklagte hieraus
insgesamt 931 abzudeckende Manntage.
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(b)Die Beklagte war rechtlich nicht gehindert, für diese 1.531 Manntage den
Einsatz von Leiharbeitnehmern zu planen. Denn dieses Arbeitsvolumen führte
nicht zu einem oder mehreren "freien Arbeitsplätzen" (1.531 Manntage : 176
Arbeitstage pro Jahr entsprächen rund 8,7 Arbeitsplätzen), auf denen
Stammhilfskräfte etwa als Springer einzusetzen waren. Dabei kann dahin
stehen, ob die Beklagte sich insoweit auf die Entscheidung des BAG vom
01.03.2007 (2 AZR 650/05, AP Nr. 164 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung) berufen kann. In der dortigen Entscheidung hat das BAG
ausgeführt, die Arbeitsgerichte könnten dem Arbeitgeber keine Vorgaben zu
Ersatzeinstellungen wegen Erkrankungen von Stammmitarbeitern machen;
67
dieser könne vielmehr frei darüber befinden, ob und gegebenenfalls wie lange
er eine Krankheitsvalanz auf einem bestimmten Arbeitsplatz hinnehme und ob
und wie er sie überbrückt. Vorliegend war und ist die Beklagte wegen der zu
beachtenden Besetzungsregeln im Tiefdruck jedenfalls nicht frei, wegen
Krankheit oder Urlaub vakante Arbeitsplätze schlicht gar nicht zu besetzen.
Entscheidend ist jedoch, dass das hier in Rede stehende Arbeitsvolumen
nicht so gleichmäßig verteilt ist, dass es die kontinuierliche Beschäftigung
auch nur einer zusätzlichen Stammhilfskraft rechtfertigte. So fallen die
"Urlaubsspitzen" nur im Juli und August an, und auch die 931 Fehlmanntage
wegen Erkrankung müssen nicht zwangsläufig so liegen, dass sie - schon
wegen möglicher Unverträglichkeiten wegen des Schichteinsatzes - von
einem Stammmitarbeiter zu erbringen wären. Die Beklagte liefe vielmehr
Gefahr, einen solchen zusätzlich vorgehaltenen Springer über Tage und
Wochen gar nicht beschäftigen zu können, aber dennoch vergüten zu
müssen, was ihr nach Auffassung der Kammer nicht zuzumuten ist. Die von
der Beklagten für den Zeitraum nach Ausspruch der Kündigung vorgelegten
Zahlen bestätigen dies exemplarisch: In der Arbeitswoche vom 09.11.2009
bis zum 14.11.2009 wurden lediglich in drei von 15 Schichten
Leiharbeitnehmer eingesetzt, an drei Arbeitstagen gar keine. Wie wären
zusätzlich vorgehaltene Stammarbeitnehmer an diesen Tagen beschäftigt
worden?
(3)Das Gericht vermochte nicht zu erkennen, dass der von der Beklagten gewählte
Zeitraum von acht Monaten (September 2008 bis April 2009) zu kurz war, um eine
verlässliche Grundlage für die Bestimmung des zukünftigen Arbeitsvolumens im
Tiefdruck zu bilden. Dass in den hierbei nicht berücksichtigten Monaten Mai bis August
üblicherweise Beschäftigungsspitzen liegen, hat der Kläger nicht geltend gemacht. Die
von der Beklagten vorgelegten Zahlen für die Zeit nach Ausspruch der Kündigung
bestätigen im Übrigen deren Prognose. So hat sich zum Beispiel die Zahl der im
Tiefdruck beschäftigten Leiharbeitnehmer unzweifelhaft drastisch reduziert. Von Mai bis
Mitte Juli 2009 wurden gar keine Leiharbeitnehmer eingesetzt. Zum Jahreswechsel
2009/2010 waren es zwischen 1,0 und 2,5 Leiharbeitnehmer pro Schicht, während noch
im Dezember 2008 durchschnittlich mehr als sechs Leiharbeitnehmer pro Schicht
beschäftigt wurden (352 Manntage bei 57 Schichten).
68
(4)Die Rüge des Klägers, die Beklagte habe eine detaillierte auftragsbezogene
Darstellung der Arbeitsmenge in der Vergangenheit und in der Zukunft präsentieren
müssen, hält die Kammer für eine Überspannung der Darlegungsanforderungen an die
Beklagte (vgl. hierzu BAG, Urteil vom 18.10.2006 - 2 AZR 434/05, aaO). Abgesehen
davon, dass sich kurzfristige Auftragsspitzen weder planen noch vermeiden lassen
werden, schlägt sich das Auftragsvolumen und die Auftragsdichte in der
Personaleinsatzstatistik hinreichend nieder. Es ist auch nachvollziehbar, dass das zu
bewältigende Arbeitsvolumen in Zukunft tendenziell eher weniger denn mehr wird.
Insbesondere die dann überwundenen Anfangsschwierigkeiten bei Einsatz der
Abstapelroboter und infolge der Umstellung des Schichtsystems dürften, worauf die
Beklagte zu Recht hinweist, einen gewissen Rationalisierungseffekt mit sich bringen.
69
(5)Das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die
von der Beklagten den Bedarfsrechnungen zugrunde gelegten
Personaleinsatzstatistiken von September 2008 bis April 2009 inhaltlich zutreffend sind.
70
(a)Die Zeugin T. hat zunächst glaubhaft bekundet, dass und wie sie die
Statistiken auf Basis der täglichen Meldungen der Schichtführer zu den
tatsächlichen Schichtbesetzungen erstellt hat. Sie hat insbesondere
ausgeschlossen, dass es sich um Zahlen der nur geplanten Schichtbesetzung
gehandelt hat. Sie hat erklärt, dass sie bei Unklarheiten beim Ersteller der
Meldung nachgefragt und die Meldungen zeitnah zu monatlichen
Aufstellungen verarbeitet hat. Die Zeugin hat auf das Gericht einen
überzeugenden Eindruck gemacht. Sie konnte ihre Vorgehensweise anhand
eines Beispieltags (31.08.2009) belegen. Für die Glaubwürdigkeit der Zeugin
spricht, dass sie die Grenzen ihrer Erkenntnismöglichkeiten offen eingeräumt
hat, indem sie bekundet hat, die Meldungen der Schichtführer an richtig
hingenommen zu haben, ohne sie nochmals - etwa durch einen Abgleich mit
den Tageszetteln der Mitarbeiter - gegen zu prüfen. Ein Motiv für eine
Falschaussage der Zeugin T. war nicht zu erkennen.
71
(b)Die anschließend vernommenen Zeugen T. und L. haben übereinstimmend
und glaubhaft bekundet, dass die an Frau T. weitergereichten Meldungen den
Ist-Einsatz der Mitarbeiter pro Schicht und nicht die vorläufige
Personaleinsatzplanung, wie sie in der jeweiligen Vorwoche erstellt wird,
wiedergibt. Der Zeuge T. hat detailliert geschildert, wie sich der Ablauf der
Schichteinteilung und der kurzfristige Austausch von Mitarbeitern bei
Erkrankung, spontan bewilligten Urlauben und Produktionsänderungen
darstellt. Der Zeuge L. hat bekundet, dass das von Herrn T. beschriebene
System generell von allen Schichtführern praktiziert wird und sich die
Meldungen allenfalls bei der Angabe der der Kranken und Urlauber, nicht
aber im Hinblick auf die tatsächlich anwesenden Mitarbeiter unterscheiden
können. Beide Zeugen traten sehr bestimmt auf. Die Kammer vermochte
keinen Anhaltspunkt dafür zu erkennen, an der Glaubwürdigkeit der Zeugen
oder der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen zu zweifeln. Der vermeintliche
Widerspruch zur Aussage des Zeugen I. im Hinblick auf die Richtigkeit der an
Frau T. mitgeteilten Daten hat sich aus Sicht der Kammer als Missverständnis
herausgestellt: Herr I. ging davon aus, dass Frau T. ihre Statistiken auf Basis
der ursprünglichen Einsatzplanung erstellt hat, hat aber während seiner
Vernehmung eingestanden, dass die von Frau T. vorgelegten Meldungen
andere sein müssen, da dort Urlauber und Kranke aufgeführt sind.
72
(6)Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer
weiterhin fest, dass die konkreten Einsatzzahlen bis April 2009 nicht deshalb geringer
ausgefallen sind, weil die Beklagte die Besetzungsvorgaben für den Tiefdruck
unterlaufen hat. Die Beklagte hat vielmehr die Vorgaben der Vorläufigen
Betriebsvereinbarung 4/2008 hinreichend umgesetzt.
73
(a)Soweit der Zeuge I. bekundet hat, im Saaldienst würden nicht durchgehend
die gemäß Ziffer 6. der BV vorgesehenen zwei Hilfskräfte eingesetzt, kann
das als richtig unterstellt werden, belegt aber keinen Verstoß gegen die BV.
Denn auch der Zeuge I. hat nicht erklärt, dass der Saaldienst bereits zu
Beginn einer Schicht nur mit einer Hilfskraft besetzt wäre. Nach Darlegung der
Beklagten ist es aber gerade Aufgabe des Saaldienstes, im kurzfristig
eintretenden Bedarfsfall an einer Auslage mitzuarbeiten, so dass derartige
Einsatzwechsel zum Normalfall zählen. Der Kläger hat diese Angaben nicht
bestritten.
74
(b)Kritischer zu betrachten ist dagegen, dass nach übereinstimmender
Bekundung der Zeugen I., T. und L. insbesondere an Maschine 2 und bei
Herstellung bestimmter Produkte wie der Zeitschrift "Einkauf aktuell" weniger
Hilfskräfte als vorgesehen eingesetzt werden. Gleichwohl kann daraus nicht
der kündigungsrechtlich allein relevante Schluss gezogen werden, die
Beklagte plane auf Kosten der im Betrieb weiter beschäftigten Hilfskräfte
dauerhaft mit zu geringen Maschinenbesetzungen. Nach Aussage aller
Zeugen handelt es sich vielmehr um die Produktion lediglich einzelner
Druckerzeugnisse. Die Zeugen L. und T. haben glaubhaft erläutert, dass neu
eingerichtete Produktionsvorgänge betroffen sind, für die es bei Abschluss der
BV 4/2008 noch keine Erfahrungswerte gab. Ebenso gebe es Fälle, in denen
mehr Mitarbeiter als nach der Besetzungsregelung vorgesehen benötigt
würden, diese setze man dann auch ein. Das alles sei mit dem
Betriebsratsvorsitzenden F. so abgestimmt. Trifft dies zu, woran weder der
weiter anwesende Zeuge I. noch der Kläger Zweifel angemeldet haben, liegt
nicht mehr als eine einvernehmliche Anpassung der BV 4/2008 vor; ein
Vorgang mithin, auf den die Vereinbarung nach Maßgabe ihrer Zif. 10 Abs. 4
Satz 1 so oder so angelegt ist ("Regelungen …(werden) …im Hinblick auf ihre
praktische Durchführung fortlaufend überprüft.").
75
(7)Der Prognose der Beklagten kann weiterhin nicht entgegengehalten werden, dass sie
es verabsäumt habe, die Verhandlungen mit dem Betriebsrat über die
Neuausgestaltung der Besetzungsregeln vor Ausspruch der streitgegenständlichen
Kündigungen abzuschließen, und deshalb Ende Mai 2009 nicht hinreichend sicher
einschätzen konnte, wie viele Hilfskräfte im Tiefdruck sie künftig dauerhaft benötigen
würde. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich bei diesen Verhandlungen
inhaltliche Veränderungen gegenüber den Bestimmungen der Vorläufigen
Betriebsvereinbarung 4/2008 ergeben hätten, die auch in einer Verstärkung vom
Maschinenbesetzungen bei einzelnen Produktionsvorgängen bestehen. Die Beklagte
durfte aber im konkreten Fall davon ausgehen, dass sich die Besetzungsregelungen
nicht in einem Maße änderten, dass die festgelegte Zahl von 133 Hilfskräften im
Tiefdruck damit obsolet würde.
76
(a)Die tarifvertraglichen und die auf Basis des Tarifvertrags durch
Betriebsvereinbarung abgeschlossenen Besetzungsregelungen der
Druckindustrie (vgl. Anhänge zum Manteltarifvertrag für die gewerblichen
Arbeitnehmer der Druckindustrie vom 06.02.1997) bezwecken die
Beschäftigungssicherung der gewerblichen Mitarbeiter und dienen weiterhin
dem Schutz der Mitarbeiter vor gesundheitlicher Überforderung und
Überlastung durch Arbeitsverdichtung. Sie sind aber nicht - gegebenenfalls
durch Spruch der Einigungsstelle - so auszugestalten, dass
Besetzungsstärken festgelegt werden, die eine Orientierung an den
tatsächlichen Einsatzerfordernissen vor Ort vermissen lassen. Gerade im
Hinblick auf letzteres aber scheint der Kammer ein nennenswerter Dissenz
zwischen den Betriebsparteien nicht gegeben zu sein: Nach Bekundungen
der Zeugen L. und T. wird die Anzahl der Hilfskräfte im Tiefdruck eingesetzt,
die man braucht; ohne dass der Betriebrat in Person seines Vorsitzenden F.
Bedenken erhebt. Demnach musste und muss die Beklagte auch nicht damit
rechnen, dass es im Wege des Neuabschlusses der Betriebsvereinbarung zu
einer erheblichen Aufstockung der Maschinenbesetzungen kommen würde.
77
(b)Das spiegelt sich letztlich im weiteren Verlauf der Verhandlungen um die
neue Betriebsvereinbarung zu den Besetzungsregeln wider. Rund 14 Monate
nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung galt die Vorläufige
Betriebsvereinbarung 4/2008 immer noch ungekündigt weiter, zogen sich die
Verhandlungen zwischen den Betriebsparteien weiter hin. Gleichwohl kam es
- jedenfalls hat der Kläger das nicht behauptet und ist es der Kammer nicht
bekannt - zu keinen betriebsverfassungsrechtlichen Auseinandersetzungen
wegen der Missachtung der Besetzungsregelungen bzw. einer Anrufung der
Einigungsstelle wegen des Neuabschlusses einer einschlägigen
Betriebsvereinbarung.
78
(c)Gegenstand der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten war nicht
die Reduzierung der Gesamtzahl der im Tiefdruck eingesetzten Hilfskräfte. Es
ging vielmehr darum, bei unterstellt gleichbleibender Arbeitsbelastung die
Zahl der dort eingesetzten Leiharbeitnehmer auf das gesetzlich zulässige
Maß zu reduzieren und durch die aus dem Bereich der Weiterverarbeitung
hinzugestoßenen Mitarbeiter zu ersetzen; nur soweit hier zu viele
Arbeitskräfte vorhanden waren, sollten betriebsbedingte Kündigungen
erfolgen. So gesehen hat die Beklagte dem vom Betriebsrat in der Antwort auf
die Kündigungsanhörung enthaltenen Einwand, die in der Vorläufigen
Betriebsvereinbarung 4/2008 genannten 108 Hilfskräfte seien bei weitem
nicht ausreichend, durch Aufstockung des Hilfskräftekontingents auf 133
Rechnung getragen.
79
cc.
80
Die weitergehenden Einwände des Klägers gegen den Wegfall der
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit greifen nicht durch.
81
(1)Die Behauptung des Klägers, die Beklagte könne ihn nach wie vor bei der Firma C.,
also an seinem alten Arbeitsplatz in der Weiterverarbeitung beschäftigen, geht
ersichtlich ins Blaue und ist gemäß § 138 Abs. 1, 2 ZPO prozessual unbeachtlich.
Nichts rechtfertigt die Annahme, die Beklagte habe die Rechtsmacht, über die bei der -
unstreitig existenten und operativ tätigen - Firma C. bestehenden Arbeitsplätze zu
disponieren. Bei der Firma C. hat sich zwischenzeitlich ein Betriebsrat gebildet, der
unangefochten im Amt ist. Zwischen der Beklagten und ihrem Betriebsrat fanden
Verhandlungen über einen Interessenausgleich wegen des Verkaufs der Abteilung
Weiterverarbeitung an C. statt, die zwar scheiterten, aber die Tatsache der
Ausgliederung der Weiterverarbeitung an sich bestätigen. Soweit der Kläger
erstinstanzlich noch bestritten hatte, dass bestimmte Betriebsmittel (Ferag-Anlagen,
Klebebinder Corona) an die Firma C. veräußert worden waren, hat er dies in der
Berufungsinstanz nicht mehr wiederholt; er hat demgegenüber die Tatsache, dass das
Arbeitsgericht die Veräußerung im Rahmen des unstreitigen Teils des Tatbestandes
seines Urteils 06.10.2009 angeführt hat, weder mit der Berufung gerügt noch mit einem
Tatbestandsberichtigungsantrag angegriffen. Des weiteren hat der Kläger nicht einmal
beispielhaft vermocht darzulegen, dass er oder einer seiner Kollegen, die dem
Betriebsteilübergang der Weiterverarbeitung widersprochen hatten, in den immerhin
zwei Monaten zwischen dem Widerspruch und der Kündigung bzw. Freistellung des
Klägers (April/Mai 2009) von der Beklagten im Arbeitsbereich der Firma C. eingesetzt
worden wäre. Erst Recht nicht verfängt das Argument, die vermeintliche Abspaltung
82
diene allein dem Zweck, in die Tariflöhne der Hilfskräfte in der Abteilung
Weiterverarbeitung eingreifen zu können. Gerade eine solche Absenkung der Tariflöhne
lässt sich rechtlich nämlich nur dann erreichen, wenn die Firma C. unternehmerisch wie
betrieblich eigenständig ist. Vorliegend haben sich die die Firma C. und der bei ihr
gebildete Betriebsrat denn auch auf die Geltung der Tarifverträge für die Papier
verarbeitende Industrie verständigt.
Im Übrigen erlaubt sich das Gericht den Hinweis, dass die Tatsache der Veräußerung
des Betriebsteils der Weiterverarbeitung in sämtlichen parallelen
Kündigungsschutzrechtsstreitigkeiten unstreitig war. Wie dann der hier diskutierte
Pauschalvortrag des Klägers mit seiner Einschätzung in Einklang zu bringen ist, der dort
agierende Rechtsanwalt X. besitze als ständiger Vertreter des Betriebsrats größeren
Einblick in die betriebliche Abläufe, weshalb sich der Kläger dessen Sachvortrag zu
eigen mache (Blatt 2 des klägerischen Schriftsatzes vom 01.06.2010), vermochte die
Kammer nicht nachzuvollziehen.
83
(2)Die streitgegenständliche Kündigung ist nicht deshalb unwirksam, weil sich nach
Ausspruch der Kündigung durch das einvernehmliche Ausscheiden einiger Mitarbeiter
bzw. das Versterben von Hilfskräften Einsatzmöglichkeiten ergeben haben. Sollte dies
der Fall sein, wäre die zum Kündigungszeitpunkt anzustellende Prognose (vgl. hierzu
BAG, Urteil vom 09.11.2006 - 2 AZR 812/05, NZA 2007, 549) nicht falsch, weil sich
derartige Umstände nicht im Vorhinein planen bzw. absehen lassen. Der Kläger könnte
allenfalls und unter Umständen einen Wiedereinstellungsanspruch geltend machen.
Gleiches gilt im Ergebnis für die vom Kläger vorgelegte Stellenanzeige vom 06.12.2009.
Unterstellt, die Beklagte habe darin tatsächlich über die Firma U. Personalservice
GmbH Hilfskräfte suchen lassen, belegte dies wegen der seit den Kündigungen von Mai
2009 vergangenen fast sieben Monate nicht, dass die die Beklagte eine derartige
Entwicklung vorausahnen musste. Um beim Vortrag des Klägers zu bleiben: Es könnte
sich etwa um Ersatz für in der Zwischenzeit verstorbene oder durch Aufhebungsvertrag
ausgeschiedene Kollegen gehandelt haben.
84
dd.
85
Der Beklagten muss sich schließlich nicht deshalb so behandeln lassen, als sei eine
Weiterbeschäftigung im Bereich des Tiefdrucks möglich gewesen, weil rund ein halbes
Jahr nach Ausspruch der Kündigung und nach Ablauf der Kündigungsfrist des Klägers
durch den Abschluss der Betriebsvereinbarung zur Arbeitsverpflichtung an jährlich neun
Samstagen pro Mitarbeiter ein zusätzliches, planbares Beschäftigungsvolumen
geschaffen wurde.
86
(1)Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung durfte die Beklagte trotz eines
kontinuierlichen Arbeitsanfalls an Wochenenden im Tiefdruck nur auf freiwilliger Basis
durch Ableistung vergütungspflichtiger Überstunden an Samstagen arbeiten lassen. Die
durch Einigungsstellenspruch zustande gekommene Betriebsvereinbarung, durch die
eine Verlagerung der tarifvertraglich für den Zeitraum von montags bis freitags
vorgesehenen Regelarbeitszeit auf den Samstag ermöglicht worden wäre, wurde vom
LAG Düsseldorf im Jahre 2008 für unwirksam erklärt. Im Mai 2009 liefen keine
Verhandlungen wegen des Abschlusses einer neuen Betriebsvereinbarung.
87
(2)Die Beklagte war nicht gehalten, vor Ausspruch der Kündigungen vom 29.05.2009
mit dem Betriebsrat über den Samstag als Regelarbeitszeit zu verhandeln und die
88
Kündigungen so lange aufzuschieben, als bis diese Verhandlungen abgeschlossen
waren.
(a)Die Beklagte sah sich im Mai 2009 einem erheblichen und aktuellen
Arbeitskräfteüberhang gegenüber, was die Hilfskräfte im Tiefdruck anbetraf. Mutete man
der Beklagten in dieser Situation zu, zunächst wegen der Samstagsarbeit mit dem
Betriebsrat zu verhandeln, so wären monatlich Personalkosten im weit fünfstelligen
Bereich hinzunehmen gewesen, denen keine verwertbare Arbeitsleistung entgegen
stand, und das bei unstreitig schlechter Wirtschaftslage der Beklagten. Abgesehen
davon war nicht ansatzweise zu erkennen, wie lange die Verhandlungen dauern
würden, welche Stellen würden involviert werden müssen und welches Ergebnis am
Ende stehen würde. Nach den Erfahrungen der Vergangenheit waren keinesfalls
unkomplizierte Verhandlungen zu erwarten. Der Betriebsrat ergriff seinerseits keine
Initiative in Richtung Zulassung bzw. Ausweitung der regelmäßigen Samstagsarbeit. Im
Antwortschreiben des Betriebsrats vom 29.05.2009 auf die Kündigungsanhörung der
Beklagten wurden viele Einwände gegen die Kündigung erhoben, von regelmäßiger
Samstagsarbeit war indes keine Rede.
89
(b)Tatsächlich haben sich die Verhandlungen zwischen den Betriebsparteien dann über
einen Zeitraum von fünf Monaten hingezogen. Neben dem Betriebsrat wurden die
Gewerkschaft ver.di und der Landesschlichter beteiligt. Die im November 2009
geschlossene Betriebsvereinbarung war in einen ganzen Reigen von
Kollektivübereinkünfte eingebettet; die Beklagte musste auf den Ausspruch
betriebsbedingter Kündigungen bis Ende des Jahres 2012 verzichten. Das gesamte
Sanierungspaket und damit die Betriebsvereinbarung zur Samstagsarbeit wäre
gescheitert, wenn die Belegschaft des Werkes N. nicht im Rahmen einer Urabstimmung
mehrheitlich ihre Zustimmung erklärt hätte. Aus Sicht der Kammer belegt dies
eindrucksvoll, mit welchen Unwägbarkeiten die Frage der Einführung regelmäßiger
Samstagsarbeit behaftet war. Die Beklagte hätte ohne weiteres vor den Befund gestellt
worden sein können, ein halbes Jahr lang auf den Ausspruch von 12 betriebsbedingten
Kündigungen verzichtet zu haben, ohne dass dadurch ein Arbeitsplatz dauerhaft
erhalten blieb.
90
2.
91
Die streitgegenständliche Kündigung ist nicht wegen fehlerhafter Sozialauswahl gemäß
§ 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt.
92
a.
93
Die Beklagte hat den auswahlrelevanten Personenkreis nicht verkannt. Insbesondere ist
der Kläger nicht mit dem in der Abteilung Arbeitsvorbereitung/Belegeabteilung tätigen
Herrn H. vergleichbar.
94
aa.
95
Der Kreis der in die soziale Auswahl einzubeziehenden vergleichbaren Arbeitnehmer
bestimmt sich in erster Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen, also zunächst
nach der ausgeübten Tätigkeit. Dies gilt nicht nur bei einer Identität der Arbeitsplätze,
sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer auf Grund seiner Tätigkeit und Ausbildung
eine andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann. Die Notwendigkeit einer
96
kurzen Einarbeitungszeit, deren zeitliche Obergrenze bei etwa drei Monaten
anzusiedeln ist, steht einer Vergleichbarkeit nicht entgegen ("qualifikationsmäßige
Austauschbarkeit", vgl. BAG vom 05.06.2008 - 2 AZR 907/06, NZA 2008, 1120; vom
31.05.2007 - 2 AZR 306/06, EzA § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 76, vom 05.05.1994 -
2 AZR 917/93, NZA 1994, 1023). An einer Vergleichbarkeit fehlt es jedoch, wenn der
Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf Grund des zugrunde liegenden Arbeitsvertrags nicht
einseitig auf den anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann ("arbeitsvertragliche
Austauschbarkeit”, BAG vom 02.06.2005 - 2 AZR 480/04, NZA 2006, 207).
Auswahlrichtlinien nach § 95 BetrVG iVm. § 1 Abs. 4 KSchG können dabei diese
gesetzlichen Anforderungen an die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG nicht
verdrängen. Im Rahmen eines Beurteilungsspielraums können zwar Erfahrungen der
Betriebspartner hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer bestimmter
Arbeitsplätze einfließen, es können aber nicht von vornherein Arbeitnehmer bestimmter
Abteilungen oder Arbeitsgruppen ohne ausreichende sachliche Kriterien nicht als
vergleichbar eingestuft werden. Dies gilt umso mehr als § 1 Abs. 4 KSchG nur die
Gewichtung der sozialen Auswahlkriterien und nicht die Zusammensetzung des
auswahlrelevanten Personenkreises oder die entgegenstehenden betrieblichen
Bedürfnisse iSv. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG betrifft (BAG, vom 05.06.2008 - 2 AZR 907/06,
aaO).
Nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG obliegt die Darlegungs- und objektive Beweislast für die
Tatsachen, aus denen sich die Unrichtigkeit der Sozialauswahl ergibt, grundsätzlich
dem Arbeitnehmer. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist dabei aber von einer
abgestuften Darlegungslast auszugehen. Es ist danach zunächst Sache des
Arbeitnehmers, die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl darzulegen, sofern er über die
hierzu erforderlichen Informationen verfügt. Soweit der Arbeitnehmer hierzu nicht in der
Lage ist und er deswegen den Arbeitgeber zur Mitteilung der Gründe auffordert, die ihn
zu der Auswahl veranlasst haben, hat der Arbeitgeber als Folge seiner materiellen
Auskunftspflicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz KSchG auch im Prozess
substantiiert vorzutragen. Diese sich aus der Mitteilungspflicht ergebende Vortragslast
ist allerdings auf die subjektiven, vom Arbeitgeber tatsächlich angestellten
Überlegungen beschränkt. Der Arbeitnehmer hat keinen Anspruch auf die vollständige
Auflistung der Sozialdaten aller objektiv vergleichbaren Arbeitnehmer. Demnach ist es
im Prozess zunächst Sache des Arbeitnehmers, zu begründen, warum er mit
Arbeitnehmern einer bestimmten Gruppe vergleichbar ist. Die bloße Behauptung, eine
Vergleichbarkeit sei gegeben, reicht aber hierzu nicht aus. Soweit es ihm möglich ist,
hat er darzulegen, welche Qualifikationsanforderungen bei der Ausübung der
Tätigkeiten, für die er sich geeignet hält, zu erfüllen sind. Gleichzeitig hat er mitzuteilen,
welche Fertigkeiten er wann und wie erworben hat und ob sie ihn zur Ausfüllung des
von ihm angestrebten Arbeitsplatzes befähigen. Soweit er von einer gewissen
Einarbeitungszeit ausgeht, hat er die von ihm angenommene Dauer anzugeben und zu
begründen (BAG vom 05.12.2002 - 2 AZR 697/01, NZA 2003, 849).
97
bb.
98
Nach diesen Grundsätzen, denen sich die Kammer anschließt, hat der Kläger nicht
hinreichend dargelegt, dass er entgegen der detaillierten Schilderung der Beklagten
doch mit Herrn H. vergleichbar ist.
99
(1)Nach dem Vortrag der Beklagten verrichtet Herr H. eine zweigeteilte Tätigkeit. Er ist
zum einen für die Auswahl der für die Kunden bestimmten Belegexemplare zuständig.
100
Dabei ist nicht nur die von Produktion gestellte Palette gedruckter Exemplare auf
sachliche Richtigkeit und korrekte Fertigung zu überprüfen; Herr H. muss vielmehr auch
besonders gelungene Exemplare - und zwar unter Berücksichtigung der individuellen
"Vorlieben" von etwa 80 Kunden im Hinblick auf Beschnitt und Farbgebung -
selektieren, um sie diesen anschließend als Muster für die Arbeit der Beklagten zu
übersenden. Nach Meinung des Geschäftsführers der Beklagten benötigt man für diese
Arbeit ein "Farbauge". Zum zweiten hat Herr H. Aufgaben im Bereich der
Arbeitsvorbereitung zu erledigen. Hierbei hat er das Auftragsleitsystem zu bedienen,
indem er aus dem kaufmännischen Bereich stammende Aufträge in die
produktionssteuernde EDV eingibt. Dafür sind Kenntnisse in MS-Word und -Excel
erforderlich. Unstimmigkeiten bei den Auftragsvorgaben hat Herr H. zu erkennen und mit
den kaufmännischen Sachbearbeitern der Beklagten zu klären. Insgesamt, so die
Beklagte, sei eine Einarbeitungszeit von sechs Monaten, eher länger, notwendig.
Diese Einschätzung ist jedenfalls nicht offensichtlich übersetzt. Ebenso wenig ist zu
erkennen, dass die Beklagte bewusst ein überhöhtes Anforderungsprofil konstruiert hat,
um Herrn H. zielgerichtet einer Sozialauswahl mit den allgemeinen Hilfskräften zu
entziehen. Soweit die Beklagte verlangt, dass der am Arbeitsplatz des Herrn H. tätige
Arbeitnehmer seine Aufgaben sicher und eben nicht nur einigermaßen beherrscht, ist
das nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass Fehler
insbesondere im Bereich der Auftragssteuerung zur Produktion von Ausschuss und
entsprechenden Kundenbeschwerden führt. Ebenso nachvollziehbar ist, dass die
Auswahl der "richtigen" Belegexemplare für die Kundenzufriedenheit von besonderer
Bedeutung ist. Wenn die Beklagte insoweit auf eine nähere und permanente Kontrolle
der Arbeit von Herrn H. verzichtet und dadurch den Umfang der Verantwortung des
Mitarbeiters erhöht, ist das Ausfluss der arbeitgeberischen Organisationshoheit, die von
den Gerichten für Arbeitssachen nicht durch eigene Zweckmäßigkeitserwägungen in
Frage gestellt werden kann. Daran ändert nichts, dass auch Herr H. als "Hilfskraft"
bezeichnet wird. Die Tätigkeiten von Hilfskräften können durchaus so unterschiedlich
sein, dass eine Austauschbarkeit im Rahmen der Sozialauswahl nicht gegeben ist.
Immerhin hat die Beklagte die Stelle in der Belegabteilung/Arbeitsvorbereitung mit
Lohngruppe IV und nicht mit der Eingangslohngruppe III für Hilfskräfte, in der sich etwa
der Kläger befindet, bewertet, und dies gegenüber dem Betriebsrat in der
Kündigungsanhörung mit den besonderen Qualifikationsanforderungen der Stelle
begründet.
101
(2)Der Kläger hat nicht dargetan, dass er nach seinen beruflichen Qualifikationen und
individuellen Fähigkeiten binnen einer Einarbeitungszeit von maximal drei Monaten die
Tätigkeiten des Herrn H. erlernen kann. Er hat auch nicht dargelegt, dass die von der
Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit behaupteten Anforderungen an die Tätigkeit des
Herrn H. der Realität nicht entsprechen.
102
(a)Das Gericht vermisst vor allem eine verwertbare Aussage des Klägers zu den
in der Arbeitsvorbereitung unstreitig erforderlichen Word- und Excel-
Kenntnissen. An keiner Stelle hat der Kläger behauptet, er verfüge über
derartige Kenntnisse oder könne sie kurzfristig erwerben. Er hat vielmehr
ausschließlich auf seine bisherigen Tätigkeiten im Betrieb der Beklagten (als
stellvertretender Maschinenführer und Staplerfahrer) abgehoben und daraus
eine Vertrautheit mit den bei der Beklagten verwendeten EDV-Programmen
hergeleitet. Die Kammer vermochte indes nicht ansatzweise nachzuvollziehen,
was die vom Kläger verrichteten Arbeiten mit einem Textverarbeitungs- und
103
einem Tabellenkalkulationsprogramm zu tun haben sollten. Demzufolge war
auch dem mit Schriftsatz vom 01.10.2010 gemachten Beweisantritt - Zeugnis
des Herrn B. ×. - nicht nachzugehen.
(b)Ob und wann die erforderliche Einarbeitung von Herrn H. in die Aufgaben der
Arbeitsvorbereitung erfolgt ist und wie lange diese gedauert hat, spielt keine
Rolle. Es mag durchaus sein, dass Herr H. die anfallenden Arbeiten - etwa
wegen in seiner Person gegebener Vorkenntnisse oder einer
überdurchschnittlichen Auffassungsgabe - binnen weniger Wochen erlernt hat.
Das heißt aber nicht, dass deswegen auch für den Kläger von einer kurzen
Einarbeitungszeit ausgegangen werden kann. Da es um individuelle
Fähigkeiten geht, ist der Schluss vom einen auf den anderen Mitarbeiter
unzulässig.
104
(c)Obgleich es danach auf den Arbeitsbereich "Auswahl der Belegexemplare"
nicht mehr entscheidend ankommt, weil der Kläger dem Anforderungsprofil der
Stelle des Herrn H. so oder so nicht entspricht, sei insoweit auf folgendes
hingewiesen: Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung hat die Kammer
den Eindruck gewonnen, dass der Kläger die einschlägigen
Arbeitsanforderungen erheblich unterschätzt. Die aus langjähriger Erfahrung am
Sammelhefter gewonnene Fähigkeit, eine Vorauswahl fehlerfrei gefertigter
Druckerzeugnisse zu treffen, um diese Exemplare der Belegabteilung
zuzuleiten, hat mit der eigentlichen Problemstellung der Arbeit von Herrn H. nur
wenig zu tun. Dieser muss nämlich in der Lage sein, aus vielen an sich
verkaufsfähigen Exemplaren ein oder mehrere besonders gelungene
auszusuchen, sprich in der Lage sein, feinste Nuancen etwa bei der Farbgebung
zu erkennen, um anschließend - bei Kenntnis der jeweiligen "Vorlieben" von
immerhin 80 Kunden - zu entscheiden, welches Exemplar an den Besteller
versandt wird. Würden sich insoweit die Arbeitsbereiche der Maschinenführer
und der Belegabteilung decken, könnte die Auswahl auch gleich in der
Produktion erfolgen.
105
cc.
106
Gleiches gilt im Ergebnis auch für die Vergleichbarkeit des Klägers mit den Rolleuren,
den Einrichter-Hilfskräften und den Beschäftigten im Farblager. Schon mit der
Klageerwiderung hat die Beklagte dargelegt, dass alle diese Hilfskräfte besonderen
Arbeitsanforderungen gerecht werden müssen, deshalb auch sämtlich höher
eingruppiert sind als der Kläger, nämlich zumindest in Entgeltgruppe IV, wenn nicht gar
in V oder V95, und - schichtdienstbereinigt - ein höheres Entgelt als der Kläger
beziehen. Eine nähere Auseinandersetzung des Klägers mit den Darlegungen der
Beklagten fehlt, und zwar trotz Hinweises des Gerichts im Beschluss vom 22.04.2010.
Der Kläger hat im Übrigen auch nicht einen seiner Ansicht nach sozial weniger
schutzbedürftigen Mitarbeiter aus diesen Bereichen namentlich benannt (vgl. hierzu
BAG, vom 18.10.1984 - 2 AZR 543/83, NZA 1985, 423; KR-Griebeling, 9. Auflage, § 1
KSchG Rdz. 688).
107
b.
108
Die von der Beklagten getroffene Sozialauswahl ist nicht deshalb falsch, weil der Kläger
zu Unrecht aus dem Kreise der allgemeinen Hilfskräfte (Gruppe 27) zur Kündigung
109
bestimmt worden ist.
aa.
110
Die Beklagte hat ihrer Mitteilungspflicht wegen der Sozialdaten (Lebensalter,
Betriebszugehörigkeit, Unterhaltsverpflichtungen, Schwerbehinderung) der von ihr für
vergleichbar gehaltenen Mitarbeiter durch Vorlage der Auswahlliste (Anlage B5 zur
Klageerwiderung) Genüge getan. Sie hat weiterhin das auf einer Auswahlrichtlinie
beruhende System der Vergabe der Sozialpunkte erläutert. Damit sind die Vorgaben
des § 1 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz KSchG erfüllt und liegt die prozessuale
Darlegungslast wieder allein beim Kläger, § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG. Dieser wird er mit
einem pauschalen Bestreiten der Richtigkeit der mitgeteilten Sozialdaten nicht gerecht.
Es hätte vielmehr dem Kläger oblegen, im Einzelnen die Fehlerhaftigkeit der
angenommenen Sozialdaten aufzuzeigen.
111
bb.
112
Die von der Beklagten getroffene Auswahl ist nicht deshalb falsch, weil die Beklagte
unter den vier Mitarbeitern, die innerhalb der Gruppe 27 jeweils (den Daten nach
zutreffend) 48 Sozialpunkte erreicht haben, den Kläger gekündigt hat, ohne - wie sie
dies in der mündlichen Verhandlung vom 23.02.2010 ausgeführt hat - weitere
Auswahlüberlegungen angestellt zu haben. Die Beklagte konnte vielmehr ohne
weiteres jeden der vier Mitarbeiter (neben dem Kläger die Herren B., X. und T.)
entlassen. § 1 Abs. 3 KSchG stellt allein auf das fehlerhafte Ergebnis der Sozialauswahl
ab und sanktioniert nicht ein möglicherweise fehlerhaftes Auswahlverfahren (BAG vom
09.11.2006 - 2 AZR 812/05, NZA 2007, 549). Etwas anderes könnte nach Ansicht der
Kammer allenfalls dann gelten, wenn die Auswahl des Klägers diskriminierenden oder
maßregelnden Charakter besessen hätte. Dafür sind jedoch Anhaltspunkte nicht
ersichtlich; der Kläger hat sich hierauf auch nicht berufen.
113
c.
114
Der Beklagten kann schließlich nicht entgegen gehalten werden, sie habe verkannt,
dass die Beklagte und die auf demselben Betriebsgelände ansässige Firma C. einen
Gemeinschaftsbetrieb bildeten und die Sozialauswahl daher auch auf die Mitarbeiter der
Firma C. zu erstrecken war. Die Beklagte und die Firma C. bilden keinen
Gemeinschaftsbetrieb.
115
aa.
116
Die Sozialauswahl im Sinne des § 1 Abs. 3 KSchG ist betriebsbezogen durchzuführen.
Ein Betrieb ist die organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder
mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe technischer und immaterieller Mittel bestimmte
arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Ein Betrieb kann auch von mehreren
Arbeitgebern als gemeinsamer Betrieb geführt werden. Von einem gemeinsamen
Betrieb mehrerer Unternehmen ist auszugehen, wenn die in einer Betriebsstätte
vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für einen einheitlichen
arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden
und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat
gesteuert wird. Die beteiligten Unternehmen müssen sich zumindest stillschweigend zu
einer gemeinsamen Führung rechtlich verbunden haben. Die einheitliche Leitung muss
117
sich auf die wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in personellen und sozialen
Angelegenheiten erstrecken. Eine bloße unternehmerische Zusammenarbeit genügt
nicht. Vielmehr müssen die Funktionen des Arbeitgebers institutionell einheitlich für die
beteiligten Unternehmen wahrgenommen werden. (vgl. BAG vom 13.08.2008 7 ABR
21/07, NZA-RR 2009, 255, vom 18.10.2006 - 2 AZR 434/05, NZA 2007, 552). Die mit
einem Konzernverhältnis verbundene Beherrschung eines Unternehmens durch ein
anderes genügt für das Vorliegen eines gemeinsamen Betriebs nicht. Dies gilt auch,
wenn das herrschende Unternehmen dem beherrschten Unternehmen Weisungen
erteilt. Das herrschende Unternehmen wird dadurch nicht zusammen mit dem
beherrschten Unternehmen Inhaber eines Gemeinschaftsbetriebs. Den gemeinsamen
Betrieb kennzeichnet vielmehr die für einen Gesamtzweck zusammengefasste
Einbringung von Betriebsmitteln und Arbeitnehmern der verschiedenen Unternehmen.
Für die Frage, ob der Kern der Arbeitgeberfunktionen in sozialen und personellen
Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung ausgeübt wird, ist vor allem
entscheidend, ob ein arbeitgeberübergreifender Personaleinsatz praktiziert wird, der
charakteristisch für den normalen Betriebsablauf ist (vgl. BAG vom 22.06.2005 - 7 ABR
57/04, NZA 2005, 1248). Die von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
entwickelte Rechtsfigur des gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen wurde durch
das Gesetz zur Reform der Betriebsverfassung vom 23.07.2001 in § 1 Abs. 1 Satz 2,
Abs. 2 BetrVG anerkannt. Die Vorschrift nimmt keine eigenständige
Betriebsbestimmung vor, sondern regelt lediglich Voraussetzungen, unter denen ein
Gemeinschaftsbetrieb widerlegbar vermutet wird. Sie legt dabei den von der
Rechtsprechung entwickelten Begriff zugrunde, der damit weiterhin gültig ist (vgl. BAG
vom 11.02.2004 - 7 ABR 23/03, NZA 2004, 618).
Grundsätzlich trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen
eines von mehreren Unternehmen geführten gemeinsamen Betriebes. Die Grundsätze
der abgestuften Darlegungslast verhindern, dass diese Darlegungs- und Beweislast den
Arbeitnehmer überfordert. An die Darlegungslast des Arbeitnehmers zum Vorliegen
eines Gemeinschaftsbetriebes sind keine strengen Anforderungen zu stellen. Der
Arbeitnehmer genügt in der Regel seiner Darlegungslast, wenn er die äußeren
Umstände schlüssig darlegt, die für die Annahme sprechen, dass sich mehrere
Unternehmen rechtlich über die Führung eines gemeinsamen Betriebes geeinigt haben
und entsprechend dieser Einigung arbeitstechnische Zwecke innerhalb einer
organisatorischen Einheit unter einem einheitlichen Leitungsapparat fortgesetzt
verfolgen. Hat der Arbeitnehmer schlüssig derartige äußere Umstände für das Vorliegen
eines einheitlichen Betriebes vorgetragen, hat der Arbeitgeber hierauf gemäß § 138
Abs. 2 ZPO im Einzelnen zu erklären, welche rechtserheblichen Umstände (zB
vertragliche Vereinbarungen) gegen die Annahme eines einheitlichen Betriebes
sprechen (BAG vom 18.10.2006, aaO).
118
bb.
119
Vorliegend fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten für das Bestehen eines
Gemeinschaftsbetriebes der Beklagten und der Firma C..
120
(1)Dem Kläger kann zugestanden werden, dass beide Firmen unternehmerisch eng
zusammenarbeiten, ja die Firma C. von der Beklagten unternehmerisch abhängig ist
und ohne die Aufträge der Beklagten am Markt nicht überlebensfähig wäre. Auch eine -
von der Beklagten bestrittene - Vernetzung der Telefon- und EDV-Anlagen kann
zugunsten des Klägers als gegeben unterstellt werden. Nach obigen Ausführungen sind
121
weder der Grad der unternehmerischen Zusammenarbeit noch die gemeinsame
Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter für die Existenz eines
Gemeinschaftbetriebes maßgeblich.
(2)Anhaltspunkte für die Praktizierung eines arbeitgeberübergreifenden
Personaleinsatzes, der charakteristisch für den Betriebsablauf ist, sind dem Vortrag des
Klägers nicht zu entnehmen. Dass er oder einer seiner Kollegen aus dem Tiefdruck in
den immerhin zwei Monaten zwischen dem Betriebsteilübergang am 01.04.2009 und
der Freistellung des Klägers Ende Mai 2009 auch nur in einem Einzelfall in der
Weiterverarbeitung ausgeholfen hätte (oder umgekehrt), behauptet der Kläger nicht. Von
einer gemeinsamen Dienstplanerstellung ist ebenso wenig die Rede wie von einer
unternehmensübergreifenden Urlaubsplanung oder Krankheitsvertretung. Gerade
derartige Gesichtspunkte würden aber für die Existenz eines einheitlichen
Leitungsapparates zur Wahrnehmung der wesentlichen personellen und sozialen
Angelegenheiten sprechen.
122
(3)Personenidentität auf Ebene der Geschäfts- oder Personalleitung besteht nicht. Für
die Firma C. agiert deren Geschäftsführer H., der nicht (auch) bei der Beklagten
beschäftigt ist. Die Firma C. hat eigene Betriebsräumlichkeiten angemietet, mag es sich
dabei auch um dieselben Räume handeln, in denen vorher die Weiterverarbeitung der
Beklagten untergebracht war. Demgegenüber bleibt der Vortrag des Klägers, es "habe
sich für die Arbeitnehmer nichts geändert" bzw. "das Weisungs- und Direktionsrecht
bezüglich aller Aktivitäten der C. (seien) bei der Beklagten verblieben", unsubstantiiert
und prozessual unverwertbar. Der Kläger hat es insbesondere trotz einschlägigen
Hinweises des Gerichts nicht vermocht, auch nur beispielhaft Weisungen der Mitarbeiter
L. und L. der Beklagten gegenüber Arbeitnehmern von C. darzulegen, die für ein
Selbstverständnis der Beklagten sprächen, es handele sich bei der C. nach wie vor um
einen Teil ihres Betriebes. Die sich in diesem Falle stellende Frage der rechtlichen
Abgrenzung des Vorliegens eines gemeinsamen Betriebes von der Praktizierung
(unerlaubter) Arbeitnehmerüberlassung bedarf mithin keiner Beantwortung.
123
(4)Entscheidend gegen die Existenz eines Gemeinschaftsbetriebes spricht schließlich
der Umstand, dass für die Firma C. unangefochten ein eigener Betriebsrat gewählt
worden ist, mag dies auch erst Monate nach der streitgegenständlichen Kündigung
erfolgt sein (vgl. BAG vom 18.10.2006, aaO). Damit kommt nicht nur zum Ausdruck, dass
nach Auffassung der Mitarbeiter bzw. der betrieblichen Interessenvertretungen selbst die
Organisation beider Unternehmen einen solchen Grad an Eigenständigkeit erreicht hat,
dass von zwei betriebsratsfähigen Einheiten auszugehen ist (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 2
BetrVG). Vielmehr stünde einer unternehmensübergreifenden Wahrnehmung von
personellen Angelegenheiten - etwa im Hinblick auf die Dienstplangestaltung oder die
Urlaubsplanung - nunmehr auch entgegen, dass insoweit widerstreitende
Stellungnahmen zweier Betriebsräte mit unterschiedlichen Interessen zu beachten
wären und eine Koordinierung des Personaleinsatzes schon deshalb unmöglich ist.
124
Die Regelung des § 1 Abs. 2 BetrVG ändert an dem gefundenen Ergebnis nichts. Der
Kläger hat zu den einschlägigen Vermutungsgrundlagen nicht hinreichend vorgetragen.
Es ist weder ersichtlich, dass die Arbeitnehmer von der Beklagten und der Firma C.
gemeinsam eingesetzt werden (Nr. 1, siehe oben), noch dass sich die Organisation des
Betriebes der Beklagten, wie sie sich vor dem Übergang der Weiterverarbeitung auf die
Firma C. dargestellt hat, unverändert geblieben wäre (Nr. 2).
125
II.
126
Die streitgegenständliche Kündigung ist nicht mangels ordnungsgemäßer Anhörung
des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG
unwirksam.
127
1.
128
Im Hinblick auf die allgemeinen Anforderungen an eine ordnungsgemäße
Betriebsratsanhörung vor Ausspruch einer arbeitgeberseitigen Kündigung wird zunächst
auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts auf Blatt 7 des angefochtenen Urteils gemäß §
69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen.
129
2.
130
Die Kammer folgt dem Arbeitsgericht auch in der Einschätzung, dass die Beklagte den
Anforderungen des § 102 Abs. 1 BetrVG gerecht geworden ist.
131
(1)Soweit der Kläger erstinstanzlich bestritten hat, dass dem Betriebsrat das von der
Beklagten ihrer Prognose zum Hilfskräftebedarf zugrunde gelegte Zahlenwerk
übermittelt worden ist, ist sein Vortrag widersprüchlich. Dem Betriebsrat muss das
Rechenwerk vorgelegen haben, sonst hätte er die im Antwortschreiben vom 29.05.2009
enthaltenen Bedenken gegen dessen Richtigkeit gar nicht formulieren können. So hebt
der Betriebsrat etwa ausdrücklich auf die von der Beklagten vorgenommene
"Berechnung zur Urlaubsplanung im Tiefdruck" ab, die auch Bestandteil des
Beklagtenvortrags zum Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers war. Es sind darüber
hinaus keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich, dass dem Betriebsrat absichtlich ein
"getürktes" Rechenwerk übermittelt worden wäre, welches von dem im vorliegenden
Rechtsstreit verwendeten abwich. Derartiges hat auch der Kläger nicht behauptet.
132
(2)Nicht durchgreifend sind weiterhin die vom Kläger erhobenen Rügen zur Darstellung
der Sozialauswahl. Dass der Betriebsrat die von der Beklagten vorgenommene
Gruppeneinteilung nicht verständlich war, kann schon deshalb ausgeschlossen werden,
weil diese Einteilung Bestandteil einer durch Einigungsstellenspruch zustande
gekommenen Betriebsvereinbarung war, an deren Entstehen der Betriebsrat mithin
selber beteiligt war. Ob sie inhaltlich richtig war, spielt nach dem Grundsatz der
subjektiven Determinierung keine Rolle: Aufgabe des Anhörungsverfahrens war es, die
aus Sicht der Beklagten zutreffende Bestimmung des auswahlrelevanten
Personenkreises zu kommunizieren, nicht aber, den Betriebsrat trotz hinlänglich
bekannter Meinungsverschiedenheiten von der Richtigkeit der Gruppenbildung zu
überzeugen oder sich gar die Meinung des Betriebsrats zu eigen zu machen.
Nichtsdestoweniger hat die Beklagte zusätzlich detailliert erklärt, warum sie die
Hilfskräfte der Gruppen 5, 13 und 26 für nicht mit denjenigen der Gruppe 27 vergleichbar
hielt. Insbesondere sind die Anforderungen an den Arbeitsplatz des Herrn H. in der
Belegabteilung/Arbeitsvorbereitung so beschrieben, dass der Betriebsrat sich ein Bild
von der Richtigkeit der Sozialauswahl machen konnte. Dass die Beklagte ihren
einschlägigen Sachvortrag im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreit weiter erläutert
und konkretisiert hat, ist unschädlich (vgl. ErfK-Kania, 10. Aufl, § 102 BetrVG (210) Rdz.
6). Abgesehen davon hat der Kläger wiederholt sämtliche Betriebsratsmitglieder als
Zeugen für die Umstände und Schwierigkeit (oder besser: Nichtschwierigkeit) der Arbeit
von Herrn H. benannt; das kann nicht anders interpretiert werden, als dass dem
133
Betriebsrat auch aus Sicht des Klägers offensichtlich alle Details der Tätigkeit in der
Arbeitsvorbereitung/Belegabteilung bekannt waren.
C.
134
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Zulassung der Revision beruht
auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Die Kammer hat der entscheidungserheblichen Frage, ob
die Beklagte vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung verpflichtet war,
Verhandlungen mit dem Betriebsrat über die Einführung regelmäßiger Samstagsarbeit
durchzuführen und ggf. abzuschließen, grundsätzliche Bedeutung beigemessen.
135
RECHTSMITTELBELEHRUNG
136
Gegen dieses Urteil kann von dem Kläger
137
R E V I S I O N
138
eingelegt werden.
139
Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
140
Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim
141
Bundesarbeitsgericht
142
Hugo-Preuß-Platz 1
143
99084 Erfurt
144
Fax: 0361-2636 2000
145
eingelegt werden.
146
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
147
Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
148
1.Rechtsanwälte,
149
2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse
mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
150
3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in
Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer
Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer
Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
151
In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift
unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
152
Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
153
* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
154
gez.: Schneider gez.: Meißner gez.: Eckwert
155