Urteil des LAG Düsseldorf vom 15.08.2005

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Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 16 Ta 363/05
Datum:
15.08.2005
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
16. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 Ta 363/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Oberhausen, 3 Ca 2295/04
Schlagworte:
Einigungsgebühr nach erfolgter Einigung über die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses und anschließender Klagerücknahme
Normen:
Nr. 1000 VV RVG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Eine Einigungsgebühr i. S. d. Nr. 1000 VV RVG entsteht auch dann,
wenn die Parteien eines Kündigungsrechtsstreits sich auf eine
Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses einigen und der Arbeitnehmer
daraufhin die Klage zurücknimmt.
Tenor:
1.
Auf die befristete Beschwerde des Antragstellers vom 03.06.2005 wird
der (richterliche) Beschluss des Arbeitsgerichts Oberhausen vom
27.05.2005 3 Ca 2295/04 - , zugestellt am 03.06.2005, aufgehoben.
2.
Der Zurückweisungs-Beschluss des Arbeitsgerichts vom 29.11.2004
wird (teilweise) abgeändert, soweit das Arbeitsgericht die beantragte
Einigungsgebühr nebst anteiliger Mehrwertsteuer außer Ansatz
gelassen hat.
3.
Das Verfahren wird zur Neuentscheidung über den
Vergütungsfestsetzungsantrag des Antragstellers/Beschwerde- führers
an das Arbeitsgericht Oberhausen/Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
zurückverwiesen.
4.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht
erstattet.
5.
Für die Antragsgegnerin wird die Rechtsbeschwerde zugelassen.
G R Ü N D E :
1
I.
2
Mit Kündigungsschutzklage vom 28.09.2004 wandte sich der Kläger des
Ausgangsrechtsstreits gegen die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses mit dem
Antrag,
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der
Beklagten vom 21.09.2004 nicht aufgelöst worden ist, sondern weiterhin
fortbesteht.
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Zugleich stellte er Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, dem das
Arbeitsgericht entsprach. Nachdem die Parteien sich außergerichtlich auf eine
Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses geeinigt hatten, nahm der Kläger die Klage
zurück. Im vorliegenden Verfahren auf Festsetzung der Anwaltsvergütung im PKH-
Verfahren (§ 55 RVG) hat das Arbeitsgericht in Übereinstimmung mit der Auffassung
des Bezirksrevisors die Festsetzung einer Einigungsgebühr abgelehnt. Hiergegen
richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen
hat.
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II.
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1. Die (befristete) Beschwerde des Antragstellers gegen den richterlichen Beschluss
des Arbeitsgerichts ist zulässig: Sie ist nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG
statthaft. Der Wert des Beschwerdegegenstandes für die außer Ansatz gelassene
Einigungsgebühr übersteigt 200,00 €. Die gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3
RVG einzuhaltende Rechtsmittelfrist von zwei Wochen ab Zustellung ist gewahrt.
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2. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des
Bezirksrevisors und des Arbeitsgerichts im angefochtenen Beschluss ist im
vorliegenden Fall eine Einigungsgebühr (Nr. 1000, 1003 VV RVG) entstanden. Sie
entsteht nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG für die Mitwirkung beim Abschluss eines
Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein
Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich
auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht.
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a) Dass es sich bei der Einigung der Parteien über die Fortsetzung ihres
Arbeitsverhältnisses um einen Vertrag handelt, durch den sie ihren Streit über ein
Rechtsverhältnis beseitigt haben, ist unzweifelhaft. Der Streit zwischen ihnen über die
Rechtswirksamkeit der Kündigung und über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses
wurde einvernehmlich beigelegt.
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b) Diese vertragliche Einigung beschränkte sich auch nicht ausschließlich auf ein
Anerkenntnis oder auf einen Verzicht einer der beiden Parteien. Zunächst fehlt es
insoweit bereits an entsprechenden Erklärungen. Insbesondere hat die Beklagte des
Ausgangsrechtsstreits den prozessualen Anspruch des dortigen Klägers nicht anerkannt
(vgl. § 307 Abs. 1 ZPO). Darüber hinaus haben die Parteien hier mit ihrer Vereinbarung
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über den Fortbestand und die Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses mehr geregelt, als
es der Beklagten einseitig etwa durch ein Anerkenntnis möglich gewesen wäre, indem
sie beispielsweise die Kündigung als rechtsunwirksam anerkannt und
zurückgenommen hätte. Da es sich bei der Kündigung um eine einseitige,
empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, kann sie nach Zugang vom Kündigenden
nicht mehr einseitig zurückgenommen werden (vgl. u. a. BAG vom 19.08.1982 2 AZR
230/80 AP § 9 KSchG 1969 Nr. 9, zu II 2 a der Gründe). Um das hiermit angestrebte Ziel
zu erreichen, bedarf es der Zustimmung des Kündigungsempfängers, etwa in Form der
hier zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung über den Fortbestand ihres
Arbeitsverhältnisses. Außerdem begibt sich der Arbeitnehmer mit einer solchen
Einigung der für ihn im Einzelfall bestehenden Rechte aus §§ 9, 12 KSchG.
Entsprechend löst eine derartige Einigung die Einigungsgebühr im Sinne der Nr. 1000
Abs. 1 Satz 1 VV RVG aus (ebenso LAG Niedersachsen vom 18.02.2005 10 Ta 129/05
[Juris]; LAG Berlin vom 08.06.2005 17 Ta 6023/05 [Juris]).
c) Hinzu kommt, dass nach der Begründung des Gesetzgebers (BT-Drucks. 15/1971 S.
171) die Einigungsgebühr die bis dahin geltende Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO
ersetzen und diese gleichzeitig erweitern sollte. Während die Vergleichsgebühr des §
23 BRAGO durch Verweisung auf § 779 BGB ein gegenseitiges Nachgeben
voraussetzte, soll die Einigungsgebühr jegliche vertragliche Beilegung eines Streits der
Parteien honorieren, lediglich mit Ausnahme eines vollständigen Anerkenntnisses eines
Anspruchs oder eines vollständigen Verzichts auf einen Anspruch. Durch den Wegfall
der Voraussetzung des gegenseitigen Nachgebens sollte insbesondere der in der
Vergangenheit häufige Streit darüber vermieden werden, welche Abreden noch und
welche nicht mehr als gegenseitiges Nachgeben zu bewerten waren (vgl. auch
Göttlich/Mümmler/Rehberg/Xanke, RVG 1. Aufl. 2004, Einigungsgebühr , S. 245).
Darüber hinaus ist die Einigungsgebühr wie die bisherige Vergleichsgebühr eine
Erfolgsgebühr. Sie soll auch den Erfolg honorieren, die Gerichte durch gütliche
Beilegung eines Rechtsstreits zu entlasten (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken/Müller-
Rabe, RVG 16. Aufl. 2004, VV 1000 Rdn. 5). Beide Intentionen des Gesetzgebers
lassen es als folgerichtig erscheinen, in größerem Umfang als bisher zu § 23 BRAGO
von einer Einigung der Parteien und einer daraus resultierenden Einigungsgebühr im
Sinne der Nr. 1000 VV RVG auszugehen.
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3. Die Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung/Festsetzung des Urkundsbeamten
(§ 55 Abs. 1 Satz 1 RVG) erfolgt nach § 572 Abs. 3 ZPO). Hinsichtlich der
Gebührenfreiheit und des Ausschlusses der Kostenerstattung wird auf § 56 Abs. 2 Satz
2 und 3 RVG verwiesen. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt nach § 78 Satz 1
und 2, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG i. V. m. § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO.
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R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :
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Für den Antragsteller ist kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Antragsgegnerin kann gegen diesen Beschluss durch einen bei einem deutschen
Gericht zugelassenen Rechtsanwalt
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R E C H T S B E S C H W E R D E
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einlegen. Die Rechtsbeschwerde ist
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innerhalb von einer Notfrist von einem Monat
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nach Zustellung dieses Beschlusses durch Einreichung einer Beschwerdeschrift bei
dem
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Bundesarbeitsgericht,
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Hugo-Preuß-Platz 1,
21
99084 Erfurt,
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einzulegen und zu begründen.
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Dr. Kaup
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