Urteil des LAG Düsseldorf vom 02.08.2007

LArbG Düsseldorf: schichtarbeit, schichtdienst, zulage, belastung, arbeitsgericht, wechsel, teilzeitarbeit, erschwernis, entstehungsgeschichte, tarifvertrag

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 5 Sa 682/07
Datum:
02.08.2007
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 Sa 682/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Wuppertal, 4 Ca 4296/06
Schlagworte:
Schichtarbeit, Schichtzulage im öffentlichen Dienst, Teilzeitkräfte,
Gleichbehandlung
Normen:
§§ 7, 8, 24 TVöD BT-B, § 4 TzBfG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1) Leisten Teilzeitkräfte ständige Schichtarbeit i. S. v. § 7 Abs. 2 TVöD
BT-B, so steht ihnen die volle Schichtzulage nach § 8 Abs. 6 Satz 1
TVöD BT-B zu. 2) Eine Kürzung der Zulage stellt eine unzulässige
Ungleichbehandlung dar und verstößt gegen § 4 Abs. 1 TzBfG.
Tenor:
1) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Wuppertal vom 23.02.2007 - 4 Ca
4296/06 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2) Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
T A T B E S T A N D :
1
Die Parteien streiten über die Frage, ob der teilzeitbeschäftigten Klägerin eine volle
Schichtzulage gemäß § 8 Abs. 6 Satz 1 TVöD BT-B zusteht.
2
Die am 20.03.1958 geborene Klägerin ist aufgrund eines Arbeitsvertrages vom
18.10.1989 seit dem 16.10.1989 als Altenpflegerin bei der Beklagten, die ein Alten- und
Altenpflegeheim in Wuppertal betreibt, beschäftigt. Sie arbeitet seit dem 12.04.2005 in
Teilzeit mit einer wöchentlichen Stundenzahl von 30 Stunden. Die
Bruttomonatsvergütung der Klägerin beträgt zurzeit 2.319,68 €.
3
Das Arbeitsverhältnis der Parteien unterlag zunächst dem
Bundesangestelltentarifvertrag (BAT), der in § 33 a folgende Regelung zur Schichtarbeit
vorsah:
4
§ 33 a BAT
5
(1) Der Angestellte, der ständig nach einem Schichtplan
6
(1) Der Angestellte, der ständig nach einem Schichtplan
6
(Dienstplan) eingesetzt ist, der einen regelmäßigen Wechsel der
täglichen Arbeitszeit in Wechselschichten (§ 15 Abs. 8 Unterabschnitt 6
Satz 2 BAT) vorsieht, und der dabei in je fünf Wochen durchschnittlich
mindestens 40 Arbeitsstunden in den dienstplanmäßigen oder
betriebsüblichen Nachtschichten leistet, erhält eine
Wechselschichtzulage von 102,26 € monatlich.
7
(2) Der Angestellte, der ständig Schichtarbeit (§ 15 Abs. 8 Un-
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terabschnitt 7 BAT) zu leisten hat, erhält eine Schichtzu-
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lage, wenn
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a) er nur deshalb die Voraussetzungen des Abs. 1 nicht
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erfüllt,
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aa) weil nach dem Schichtplan eine Unterbrechung der
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Arbeit am Wochenende von höchstens 48 Stunden vor-
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gesehen ist, oder
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bb) weil er durchschnittlich mindestens 40 Arbeitsstunden
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in der dienstplanmäßigen oder betriebsüblichen Nacht-
17
schicht nur in sieben Wochen leistet,
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b) die Schichtarbeit innerhalb einer Zeitspanne von min-
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destens
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aa) 18 Stunden
21
bb) 13 Stunden
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geleistet wird.
23
Seit dem 01.10.2005 findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der Tarifvertrag des
öffentlichen Dienstes - Besonderer Teil Pflege- und Betreuungseinrichtungen (im
Folgenden: TVöD BT-B genannt) in der Fassung vom 24.11.2005 Anwendung. Dieser
regelt die Schichtarbeit, soweit für den vorliegenden Rechtsstreit von Relevanz, wie
folgt:
24
§ 7 TVöD
25
...
26
(2) Schichtarbeit ist die Arbeit nach einem Schichtplan, der
27
einen regelmäßigen Wechsel des Beginns der täglichen Arbeitszeit um
mindestens zwei Stunden in Zeitabständen von längstens einem Monat
vorsieht, und die innerhalb einer Zeitspanne von 13 Stunden geleistet
wird.
28
§ 8 TVöD
29
...
30
(6) Beschäftigte, die ständige Schichtarbeit leisten, erhalten
31
eine Schichtzulage von 40 € monatlich. Beschäftigte, die nicht ständige
Schichtarbeit leisten, erhalten eine Schichtzulage von 0,24 € pro Stunde.
32
§ 24 TVöD
33
...
34
(2) Soweit tarifvertraglich nicht ausdrücklich etwas anderes ge-
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regelt ist, erhalten Teilzeitbeschäftigte das Tabellenentgelt (§ 15) und
alle sonstigen Entgeltbestandteile in dem Umfang, der dem Anteil ihrer
individuell vereinbarten durchschnittlichen Arbeitszeit an der
regelmäßigen Arbeitszeit vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter entspricht.
36
Die Klägerin leistete in der Vergangenheit ständig Schichtarbeit im Sinne des § 7 Abs. 2
TVöD BT-B und erhielt bis zum Mai 2006 die volle Schichtzulage in Höhe von 40,-- €
brutto pro Monat nach § 8 Abs. 6 Satz 1 TVöD BT-B.
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Seit dem 01.06.2006 zahlte die Beklagte die Schichtzulage nur noch anteilig
entsprechend der Wochenarbeitszeit der Klägerin in Höhe von 31,17 € brutto. Darüber
hinaus behielt die Beklagte für die Vergangenheit die aus ihrer Sicht zu Unrecht
gezahlten Zulagenbeträge ein, insgesamt 141,28 € brutto.
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Unter dem 06.10.2006 forderte die Klägerin die Beklagte zur Auszahlung des
einbehaltenen Betrags auf. Dies lehnte diese mit Schreiben vom 07.11.2006 endgültig
ab.
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Mit ihrer am 29.12.2006 beim Arbeitsgericht Wuppertal anhängig gemachten Klage hat
die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt.
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Sie hat die Auffassung vertreten, dass sie auch nach Einführung des TVöD BT-B
Anspruch auf Zahlung der vollen Schichtzulage hätte.
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Die Klägerin hat hierzu die Auffassung vertreten, dass eine nur anteilige
Berücksichtigung bei der Zahlung der Schichtzulage nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 6
allein davon abhängig sei, ob es sich bei dieser Zulage um einen
Vergütungsbestandteil handelt oder ob eine besondere Erschwernis abgegolten werden
soll. Genau dies sei mit der streitbefangenen Schichtzulage beabsichtigt, mit der dem
Erschwernis Rechnung getragen würde, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
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einem regelmäßigen Wechsel des Beginns der täglichen Arbeitszeit ausgesetzt würden.
Dann aber seien Teilzeit- und Vollzeitmitarbeiter gleichermaßen betroffen; eine anteilige
Kürzung komme nicht in Betracht.
Die Klägerin hat beantragt,
43
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 141,28 € brutto zuzüglich Zinsen in Höhe
von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.07.2006 aus
114,79 € brutto sowie aus weiteren 26,49 € seit dem 01.02.2007 zu zahlen.
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2. es wird festgestellt, dass die Klägerin seit dem 01.02.2007 Anspruch auf
volle Zahlung der Schichtzulage nach § 8 Abs. 5 Satz 1 TVöD hat, sofern sie
in den jeweiligen Monaten ständige Schichtarbeit im Sinne des § 8 Abs. 5
Satz 1 TVöD leistet.
45
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
47
Die Beklagte hat die Rechtsauffassung vertreten, dass nach der Neufassung der
Schichtarbeit in §§ 7, 8 TVöD BT-B die hier strittigen Zulagen Vergütungsbestandteile
darstellten, die mit Rücksicht auf die Besonderheiten der Arbeit - ständige Schichtarbeit
- gezahlt würden. Dann aber seien diese Entgeltbestandteile gemäß § 24 Abs. 2 TVöD
BT-B anteilig zu kürzen. Eine derartige Interpretation und Handhabung verstieße auch
nicht gegen § 4 Abs. 1 TzBfG, weil sie durch sachliche Gründe gerechtfertigt wäre.
Teilzeitbeschäftigte würden nämlich durch Schichtarbeit weniger stark belastet als
vollzeitbeschäftigte Mitarbeiter.
48
Mit Urteil vom 23.02.2007 hat die 4. Kammer des Arbeitsgerichts Wuppertal
49
- 4 Ca 4296/06 - dem Klagebegehren entsprochen. In den Entscheidungsgrün- den, auf
die im Übrigen Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Klägerin
stehe ein Anspruch auf Zahlung der vollen Schichtzulage zu. Der Anspruch folge
letztlich aus § 8 Abs. 6 Satz 1 TVöD BT-B, wonach den besonderen Bedingungen der
Schichtarbeit Rechnung getragen werde. Dies ergebe sich vor allem daraus, dass nur
zwischen ständiger und nicht ständiger Schichtarbeit unterschieden werde.
50
Demgegenüber, so das Arbeitsgericht weiter, könne sich die Beklagte nicht auf § 24
Abs. 2 TVöD BT-B berufen, weil die dort vorgesehene Kürzungsmöglichkeit wegen
Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 TzBfG nichtig sei. Es fehle an einem sachlichen Grund für
die Schlechterstellung der teilzeitbeschäftigten gegenüber den vollzeitbeschäftigten
Mitarbeitern.
51
Die Beklagte hat gegen das ihr am 19.03.2007 zugestellte Urteil mit einem am
18.04.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt
und diese mit einem am 16.05.2007 eingegangenen Schriftsatz begründet.
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Sie wiederholt zunächst ihren Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug und verteidigt und
vertieft die von ihr vertretene Rechtsauffassung. Die Beklagte trägt vor, die
Tarifvertragsparteien hätten in Kenntnis des alten § 33 a BAT und der dazu ergangenen
Rechtsprechung eine neue, abweichende Regelung getroffen, wonach die Zahlung der
53
Schichtzulage von dem Grad der mit der Schichtarbeit verbundenen Belastung
abhängig gemacht werden sollte. Dann aber sei auch eine ratierliche Kürzung im Sinne
des § 24 Abs. 2 TVöD BT-B möglich, der, anders als beim Jubiläumsgeld in § 23 Abs. 2
Satz 2 TVöD BT-B gerade nicht aus dem Anwendungsbereich der Kürzungsnorm
herausgenommen sei.
Die Beklagte beantragt,
54
das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 23.02.2007 - 4 Ca 4296/06 -
abzuändern und die Klage abzuweisen.
55
Die Klägerin beantragt,
56
die Berufung zurückzuweisen.
57
Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und wiederholt ebenfalls ihren Sachvortrag
aus dem ersten Rechtszug.
58
Die Klägerin verweist erneut darauf, dass allein der unterschiedliche Umfang der
Arbeitszeit kein Sachgrund für die Bevorzugung der Vollzeitbeschäftigten wäre.
Andererseits stelle aber die Regelung in § 8 Abs. 6 Satz 1 TVöD BT-B gerade nicht auf
Belastungsunterschiede ab, die man als Differenzierungsgrund anerkennen könnte.
Unterschieden würde nur danach, ob es sich um ständige oder nicht ständige
Schichtarbeit handele. Dann aber käme eine Kürzungsmöglichkeit im Sinne des § 24
TVöD BT-B nicht in Betracht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Urkunden und der zwischen den
Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.
60
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
61
I.
62
Die Berufung ist zulässig.
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Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des
Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 Ziffer a ArbGG) sowie form- und
fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 519, 520
ZPO).
64
II.
65
In der Sache selbst hatte das Rechtsmittel indessen keinen Erfolg.
66
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Zahlung einbehaltener
Schichtzulage in Höhe von 141,28 € nebst Zinsen, weil die Voraussetzungen für die
Zahlung der vollen Schichtzulage im Sinne von § 8 Abs. 6 Satz 1 TVöD BT-B auch mit
Blick auf die Teilzeitbeschäftigung der Klägerin vorliegen. Hieraus folgt weiterhin, dass
dem - unzweifelhaft zulässigen - Feststellungsantrag der Erfolg nicht versagt werden
konnte und die Berufung auch insoweit als unbegründet zurückzuweisen war.
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1. Die Klägerin erfüllt zunächst die tarifvertraglichen Anforderungen der § 8 Abs. 6 Satz
1 TVöD BT-B. Sie leistet ständige Schichtarbeit nach § 7 Abs. 2 TVöD BT-B. Dieser
Sachverhalt ist zwischen den Parteien nicht streitig.
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2. Der Beklagten ist es entgegen ihrer Auffassung verwehrt, sich hinsichtlich der
vorgenommenen Kürzung der Schichtzulage auf die Teilzeittätigkeit der Klägerin zu
berufen. Insbesondere muss die Klägerin keine ratierliche Kürzung der Schichtzulage
nach § 24 Abs. 2 TVöD BT-B hinnehmen. Durch die vorgenommene Kürzung der
Schichtpauschale nach Maßgabe der eben genannten Norm wird die Klägerin wegen
ihrer Teilzeittätigkeit benachteiligt, ohne dass die Beklagte hierfür einen sachlichen
Grund vorweisen kann. Es liegt mithin ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 TzBfG vor.
69
2.1 Zwar haben grundsätzlich Tarifverträge die Vermutung für sich, dass sie den
Interessen beider Seiten gerecht werden und keiner Seite ein unzumutbares
Übergewicht vermitteln. Trotz der weitgehenden Gestaltungsfreiheit der
Tarifvertragsparteien haben die Gerichte für Arbeitssachen aber Tarifverträge jederzeit
daraufhin zu überprüfen, ob sie gegen höherrangiges Recht verstoßen, auch wenn sie
über einen langen Zeitraum unbeanstandet praktiziert wurden. Zum zwingenden
Gesetzesrecht gehört unter anderem § 4 Abs. 1 TzBfG. Gemäß § 22 Abs. 1 TzBfG sind
von diesem Gesetz abweichende Vereinbarungen außer in den dort genannten
Ausnahmen, zu denen § 4 nicht gehört, nur zu Gunsten der Arbeitnehmer möglich (BAG,
Urteil vom 24.09.2003 - AP Nr. 4 zu § 4 TzBfG).
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2.2 Hiernach wird die Klägerin durch die dargestellte Praxis der Beklagten wegen der
Teilzeitarbeit benachteiligt. Eine Ungleichbehandlung wegen der Teilzeitarbeit liegt
nämlich immer dann vor, wenn die Dauer der Arbeitszeit das Kriterium darstellt, an das
die Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen knüpft (BAG,
Urteil vom 24.09.2003, a. a. O.; BAG, Urteil vom 26.09.2001 - 10 AZR 714/00 - BAGE
99, 140; BAG, Urteil vom 15.12.1998 - 3 AZR 239/97 - BAGE 90, 303).
71
Danach führt die Anwendung des § 24 Abs. 2 TVöD BT-B auf die Vergütungsregelung
des § 8 Abs. 6 Satz 1 TVöD BT-B zu einer Ungleichbehandlung von
teilzeitbeschäftigten gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern gerade wegen ihrer
Teilzeitbeschäftigung. Die Beklagte verweigert der Klägerin die Zahlung der
beanspruchten Zulage nicht deshalb, weil sie deren Bezugsvoraussetzungen nicht
erfüllt, sondern, weil sie im Vergleich zu Vollzeitkräften weniger Stunden arbeitet und
daher einer - nach Meinung der Beklagten - geringeren Belastung durch den
Schichtbetrieb ausgesetzt ist als Vollzeitkräfte.
72
3. Diese Benachteiligung ist durch sachliche Gründe nicht gerechtfertigt und damit
rechtsunwirksam.
73
3.1 Eine unterschiedliche Behandlung von Teilzeitkräften kann nur gerechtfertigt sein,
wenn sich ihr Grund aus dem Verhältnis von Leistungszweck und Umfang der
Teilzeitarbeit herleiten lässt (BAG, Urteil vom 24.09.2003, a. a. O.; BAG, Urteil vom
26.09.2002, a. a. O.). Allein der unterschiedliche zeitliche Umfang der Arbeitsleistung ist
dabei gerade kein Sachgesichtspunkt, der eine Benachteiligung der betroffenen
Teilzeitmitarbeiter rechtfertigen könnte (BAG, Urteil vom 23.06.1993 - 10 AZR 127/92 -
AP Nr. 1 zu § 34 BAT). Entgegen der Auffassung der Beklagten kann danach vorliegend
nicht davon ausgegangen werden, dass sich die in § 24 Abs. 2 TVöD BT-B
74
vorgesehene Kürzungsmöglichkeit an einer weniger starken Belastung der Teilzeitkräfte
orientiert, die Schichtarbeit leisten. Ein derartiges Unterscheidungskriterium findet sich
in § 8 Abs. 6 TVöD BT-B gerade nicht wieder.
3.2 Dies folgt aus einer umfassenden Auslegung der hier in Streit stehenden
Tarifnormen.
75
Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen
geltenden Regelungen. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der
maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei
einem nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien
mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag
gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil
dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur
so der Sinn und der Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Lässt dies
zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen
ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des
Tarifvertrages, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen.
Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im
Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen,
sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (ständige
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. zuletzt: Urteil vom 23.05.2007 - 10
AZR 323/06 - n. v., m. w. N.).
76
3.2.1 Der Wortlaut des § 8 Abs. 6 TVöD BT-B ergibt hiernach keine hinreichenden
Anhaltspunkte für die eine oder andere Auslegung. Immerhin ist festzuhalten, dass in
der Tarifnorm keine Unterscheidung nach Teilzeit- und Vollzeittätigkeit erfolgt. Die
Tarifvertragsparteien haben als Differenzierungskriterium nur die Tatsache der
ständigen oder nicht ständigen Schichtarbeit herangezogen und insoweit zusätzlich auf
§ 7 Abs. 2 TVöD BT-B hingewiesen.
77
3.2.2 Aus der Systematik, in der sich § 8 Abs. 6 TVöD BT-B befindet, und aus dem
tariflichen Gesamtzusammenhang folgt indessen nach Auffassung der erkennenden
Kammer, dass § 8 Abs. 6 TVöD BT-B gerade nicht an einer unterschiedlichen
Beanspruchung von Teilzeit- und Vollzeitkräften anknüpft. Ausschlaggebend und
entscheidend soll nur sein, ob es sich um ständige oder nicht ständige Schichtarbeit
handelt. Nach § 8 Abs. 6 Satz 2 TVöD BT-B erhalten Beschäftigte, die nicht ständig
Schichtarbeit leisten, keine Zulagenpauschale, sondern eine Schichtzulage von 0,24 €
pro geleisteter Stunde in Schichtarbeit. Diese am tatsächlichen Einsatz im Schichtdienst
orientierte Vorschrift gilt indessen nur für Arbeitnehmer, die nicht ständig, sondern nur
vertretungsweise im Schichtdienst eingesetzt und damit nicht gerade dauerhaft den
Belastungen des Schichtdienstes ausgesetzt sind. Eine Übertragbarkeit auf
Teilzeitbeschäftigte, die ständig im Schichtdienst arbeiten, verbietet sich. Die
Differenzierung zwischen dem Einsatz in ständiger und nicht ständiger Schichtarbeiter
soll vielmehr nur gewährleisten, dass nur solche Arbeitnehmer in den Genuss der
Zulagenpauschale gelangen, die regelmäßig in Schichtarbeit eingesetzt und den damit
einhergehenden Belastungen deshalb permanent unterfallen. Demgegenüber erhalten
diejenigen Arbeitnehmer, die nur vorübergehend oder vertretungsweise Schichtarbeit
leisten, nur eine stundenweise bezahlte Schichtzulage für ihren zeitweiligen Einsatz im
Schichtdienst. Dieser Arbeitnehmer sind demgemäß gerade nicht dauerhaft den
78
Belastungen des Schichtdienstes ausgesetzt und rechtfertigen eine unterschiedliche
Behandlung (so ausdrücklich: LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 27.03.2007 - 5 Sa
557/06 - noch nicht veröffentlicht; a. A. LAG Hamm, Urteil vom 10.05.2007 - 17 Sa
1890/06 - noch nicht veröffentlicht, beide jeweils mit weiteren Hinweisen auf Literatur
und Rechtsprechung).
Die dargestellte Rechtsauffassung wird unterstrichen durch § 27 TVöD BT-B. Auch in
der dort statuierten Regelung des Zusatzurlaubs unterscheiden die Tarifvertragsparteien
nicht zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten und gewähren - nur orientiert an der
ständigen Schichtarbeit - Zusatzurlaubstage für die betroffenen Mitarbeiter.
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Dass dem gegenüber in § 23 TVöD BT-B eine ausdrückliche Regelung für die volle
Zahlung von Urlaubsgeld gegenüber Teilzeitbeschäftigten aufgenommen worden ist,
vermag das bisher gefundene Ergebnis nicht zu verändern. In diesem Zusammenhang
ist darauf hinzuweisen, dass § 23 TVöD BT-B völlig andere Zahlungen regelt, die sich
mit der hier zu diskutierenden Schichtzulage nur sehr schwer vergleichen lassen. Dann
aber verbietet sich ein Rückschluss von der dortigen Regelung auf die hier zu
behandelnde Problematik.
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Ein weiterer Anhaltspunkt für die Richtigkeit der hier vertretenen Auffassung folgt
schließlich aus § 24 TVöD BT-B selbst. Die zuletzt genannte Vorschrift weist schon in
der Überschrift mit dem Hinweis auf die Berechnung und Auszahlung des Entgelts
darauf hin, dass hier in der Tat eine Regelung beabsichtigt war, die sich ausschließlich
auf Entgeltbestandteile nach dem Tarifvertrag beziehen sollte. § 24 TVöD BT-B verweist
damit inzidenter auf die Entgeltbestandteile, die in §§ 15 ff. TVöD BT-B aufgeführt sind.
In den zuletzt genannten Vorschriften finden sich aber keine Regelungen zur
Schichtzulage. Dies wiederum lässt den Schluss zu, dass es sich dann aber auch nicht
um einen allgemeinen Vergütungsbestandteil handeln sollte, der an die besonderen
Belastungen anknüpft, unter denen die Schichtarbeit zu leisten ist. Auch dies belegt
letztlich, dass es dann nur auf die Unterscheidung zwischen ständiger und nicht
ständiger Schichtarbeit ankommen kann und ankommen sollte.
81
3.2.3 Die Entstehungsgeschichte der Tarifnorm führt zu keinem anderen als dem bisher
gefundenen Ergebnis.
82
Die Beklagte verweist zwar in diesem Zusammenhang zu Recht darauf, dass die
Tarifvertragsparteien bei der Neuregelung der Materie im TVöD BT-B auf das Kriterium
der Ableistung einer bestimmten Anzahl von Nachtarbeit innerhalb einer bestimmten
Zeitspanne verzichtet haben. Damit haben sie eine Änderung des vormals geltenden §
33 a BAT vorgenommen, ohne dass dies indessen zu einer Änderung der rechtlichen
Sichtweise zu führen hat.
83
Das Bundesarbeitsgericht hatte in seiner mehrfach zitierten Entscheidung zu § 33 a
BAT (Urteil vom 23.06.1993 - 10 AZR 127/92 - a. a. O.) darauf hingewiesen, dass die
Tarifvertragsparteien durchaus die Möglichkeit haben, die sich aus den
Arbeitsumständen ergebende jeweilige konkrete Belastung zum Maßstab für eine
Schicht- oder Wechselschichtzulage zu machen. Derartige sachliche Gründe, die eine
unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können, müssen allerdings in der Regelung
selbst zum Ausdruck kommen. Stellt indessen die tarifliche Regelung auf solche
möglichen sachlichen Gründe für eine unterschiedliche Behandlung nicht ab, wird
dadurch eine Regelung, die allein auf den Umfang der Arbeitszeit abstellt, nicht
84
wirksam, auch wenn im Einzelfall eine zulässige differenzierende Regelung zum
gleichen Ergebnis führen könnte.
Auch der neue § 8 Abs. 6 Satz 1 TVöD BT-B setzt als Anspruchsvoraussetzung nur
voraus, dass die betroffenen Arbeitnehmer ständige Schichtarbeit leisten. Dies stellt
gerade keine Konkretisierung im Sinne der oben genannten Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts dar. Der Umstand, dass auf eine bestimmte Anzahl von
Nachtarbeitsstunden innerhalb eines bestimmten Zeitraums verzichtet wird, deutet
vielmehr darauf hin, dass ausschließlich die sich aus der Schichtarbeit überhaupt
ergebenden Belastungen durch die Zulage vergütet werden sollen. Die
Voraussetzungen der Pauschalvergütung sind demnach in § 8 Abs. 6 TVöD BT-B
gegenüber der Vorgängertarifnorm noch abstrakter formuliert. Dann aber deutet in der
Tat nichts darauf hin, dass die Tarifvertragsparteien auch unter Berücksichtigung der
mehrfach genannten BAG-Rechtsprechung gleichwohl eine sachliche Rechtfertigung für
die anteilmäßige Reduzierung der Zulagenpauschale bei Teilzeitbeschäftigten gemäß §
74 Abs. 2 TVöD BT-B statuieren wollten (so auch: LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom
27.03.2007, a. a. O.).
85
3.2.4 Schließlich führt das hier gefundene Ergebnis auch nicht zu einer Privilegierung
der Teilzeitbeschäftigten und damit zu einer unpraktikablen und den
Gleichbehandlungsgrundsatz verletzenden Regelung. Das auch von der Beklagten ins
Feld geführte Argument einer Benachteiligung der Vollzeitbeschäftigten könnte nur
dann überzeugen, wenn man in der Schichtzulage gemäß § 8 Abs. 6 TVöD BT-B eine
ausschließlich leistungsbezogene Zuwendung erkennen würde. Dies ist aber, wie
mehrfach aufgezeigt, bei der hier zu diskutierenden Schichtzulage gerade nicht der Fall.
Diese soll erkennbar die sich aus der Schichtarbeit ganz allgemein ergebenden
Belastungen kompensieren, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Schichtarbeit in
Teilzeit oder Vollzeit geleistet wird.
86
Die Kammer hat das Vorliegen einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von
grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG bejaht und die
Revision zugelassen.
87
R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G
88
Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten
89
REVISION
90
eingelegt werden.
91
Für die Klägerin ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
92
Die Revision muss
93
innerhalb einer Notfrist von einem Monat
94
nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
95
Bundesarbeitsgericht,
96
Hugo-Preuß-Platz 1,
97
99084 Erfurt,
98
Fax: (0361) 2636 - 2000
99
eingelegt werden.
100
Die Revision ist gleichzeitig oder
101
innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils
102
schriftlich zu begründen.
103
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
104
gez.: Göttling gez.: Vossen gez.: Kramarczyk
105