Urteil des LAG Düsseldorf vom 29.10.2008

LArbG Düsseldorf: treu und glauben, widersprüchliches verhalten, photo, betriebsübergang, bestätigung, verwirkung, beendigung, ex tunc, juristische person, finanzielle beteiligung

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 7 Sa 1306/07
Datum:
29.10.2008
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 Sa 1306/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Solingen, 3 Ca 516/07 lev
Schlagworte:
Widerspruch, Verwirkung
Normen:
§ 613 a BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Der Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit einem Betriebserwerber,
der dazu dient, dem Arbeitnehmer den Eintritt in eine Beschäftigungs-
und Qualifizierungsgesellschaft zu ermöglichen, kann unter
Berücksichtigung der Gesamtumstände zu einer Verwirkung des
Widerspruchsrechts führen.
Tenor:
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Solingen vom 06.06.2007 - 3 Ca 516/07 lev - wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
T A T B E S T A N D :
1
Mit seiner am 05.03.2007 beim Arbeitsgericht Solingen eingegangenen Klage begehrt
der Kläger die Feststellung, dass zwischen den Parteien über den 31.10.2004 hinaus
ein Arbeitsverhältnis besteht. Hilfsweise begehrt er Schadensersatz. Die Parteien
streiten darüber, ob der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den
Erwerber eines Betriebsteils der Beklagten wirksam widersprochen hat.
2
Der am 03.11.1964 geborene Kläger war seit dem 05.04.1994 als Maschinenführer bei
der Beklagten zu einem Bruttolohn in Höhe von zuletzt 2.500,00 € beschäftigt.
3
Der Kläger war in dem nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien
selbständigen Geschäftsbereich Consumer Imaging (CI) tätig, der insbesondere die
Geschäftsfelder Film, Finishing und Laborgeräte umfasste. Da dieser Geschäftsbereich
seit mehreren Jahren einen massiven Umsatzrückgang zu verzeichnen hatte, hat die
Beklagte zur Kostenreduzierung Personalabbaumaßnahmen durchgeführt. Dazu
gehörte unter anderem auch der Abschluss von Vorruhestandsverträgen oder
4
Altersteilzeitvereinbarungen, in denen den jeweiligen Arbeitnehmern zum Teil
erhebliche finanzielle Leistungen zugesagt wurden.
Ende des Jahres 2004 wurde der Geschäftsbereich CI im Wege eines
Betriebsübergangs ausgegliedert und mit Wirkung zum 01.11.2004 auf die neu
gegründete B. Photo GmbH übertragen.
5
Für die von dem Teilbetriebsübergang betroffenen Belegschaftsmitglieder fanden
Informationsveranstaltungen statt. Unter anderem hat die Beklagte eine solche
Informationsveranstaltung am 19.08.2004 abgehalten, bei der der spätere
Geschäftsführer der B. Photo GmbH F. S., zum damaligen Zeitpunkt Mitglied des
Vorstandes der Beklagten, Informationen zur wirtschaftlichen Situation der B. Photo
GmbH erteilte. Außerdem wurden die Arbeitnehmer in Mitarbeiterzeitschriften über den
bevorstehenden Teilbetriebsübergang unterrichtet. Im Monat September 2004 befanden
sich in den betriebsinternen Maga zinen die Zahlenangaben für die Erwerberin B. Photo
GmbH von 300 Millionen Eigenkapitalsumme sowie 70 bzw. 72 Millionen Euro
Barmittel.
6
Sämtliche dem Geschäftsbereich CI zugeordneten Arbeitnehmer der Beklagten haben
im Oktober 2004 im Zusammenhang mit der Übertragung des Geschäftsbereichs CI eine
im Wesentlichen gleich lautende schriftliche Information erhalten. Die
Informationsschreiben unterscheiden sich allerdings abhängig von der jeweiligen
arbeitsvertraglichen Situation der betroffenen Mitarbeiter in Einzelfragen voneinander.
7
Mit Schreiben vom 22.10.2004 wurde auch der Kläger über die geplante Übertragung
des Geschäftsbereichs CI informiert. Nach Hinweis auf die Informationspflicht gemäß §
613 a BGB und Wiedergabe des Textes von § 613 a Abs. 5 und 6 BGB teilte die
Beklagte mit, es werde hiermit "noch einmal" schriftlich die vorgesehene und mit dem
Verhandlungsgremium des Gesamtbetriebsrates und der örtlichen Betriebsräte
abgestimmte Information gegeben, auch wenn er - der Kläger - "aus der bisherigen
Kommunikation bereits über die Einzelheiten informiert" sei.
8
Unter Ziffer 2. wird ausgeführt, die B. Photo GmbH übernehme das Vermögen von CI.
Hierzu gehörten insbesondere Produktionsanlagen, Markenzeichen, Patente und
technologisches Know-how, Vorräte und Forderungen. Das Unternehmen werde mit
einem guten Eigenkapital ausgestattet und verfüge über hohe Liquidität, um unerwartet
auftretende Risiken bewältigen, in neue Geschäfte investieren und Marktchancen
besser nutzen zu können.
9
Unter Ziffer 4. dieses Schreibens hat die Beklagte den geplanten Personalabbau
dargelegt.
10
Unter Ziffer 5. hat sie den Kläger darauf hingewiesen, dass sein Arbeitsverhältnis von
dem geplanten Personalabbau gemäß Ziffer 4. nicht betroffen sei.
11
Nach weiteren Darlegungen zum Widerspruchsrecht und dem Hinweis, dass der Kläger
im Falle eines Widerspruchs wegen einer sodann nicht bestehenden
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit bei der Beklagten damit rechnen müsse, seinen
Arbeitsplatz ohne jede finanzielle Leistung zu verlieren, wurde dem Kläger dringend
empfohlen, von einem Widerspruch abzusehen.
12
Wegen des Inhalts des Informationsschreibens und dessen Formulierung im Einzelnen
wird auf Bl. 7 - 10 der Akte Bezug genommen.
13
Am 20.05.2005 stellte die B. Photo GmbH einen Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens.
14
Am 01.08.2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. Photo GmbH
eröffnet.
15
Seit dem 01.02.2006 ist der Kläger aufgrund eines Aufhebungsvertrages mit der B.
Photo GmbH zum 31.01.2006 und eines Anstellungsvertrages mit der
Beschäftigungsgesellschaft Connect Consulting GmbH in Form eines dreiseitigen
Vertrages bei der Beschäftigungsgesellschaft beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis mit der
Beschäftigungsgesellschaft war bis zum 31.01.2007 befristet. Unter Ziffer I. enthält die
Präambel des Vertrages folgende Ausführungen:
16
1.
17
B. Photo wird aus wirtschaftlichen Gründen einen Abbau von Arbeitsplätzen an den
Standorten M./L., Q., X., W. und N. durchführen.
18
2.
19
Um die damit verbundenen wirtschaftlichen Nachteile für die betroffenen Arbeitnehmer
auszugleichen, haben B. Photo und der Gesamtbetriebsrat von B. Photo am 18.10.2005
einen Interessenausgleich und einen Sozialplan abgeschlossen. Dem Arbeitnehmer
sind die darin getroffenen Vereinbarungen bekannt. Ihm ist auch bekannt, dass sein
Arbeitsplatz wegfällt und eine betriebsbedingte Kündigung erfolgen soll.
20
Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten schließt § 13 des
Interessenausgleichs Arbeitnehmer, die bereits dem Übergang ihres
Arbeitsverhältnisses widersprochen haben oder noch nach Abschluss des
Interessenausgleichs widersprechen, von einer Beteiligung an einem Sozialplan aus.
21
§ 1 Abs. 2 des Sozialplans regelt für den Geltungsbereich des Sozialplans, dessen § 3
die Einrichtung einer Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft vorsieht, dass der
Sozialplan nicht für Arbeitnehmer gilt, die einem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses
von der B. H. AG auf die B. Photo GmbH widersprochen haben.
22
Unter Ziffer II. des dreiseitigen Vertrages wurde unter anderem folgendes vereinbart:
23
1.
24
In Kenntnis der in der Präambel genannten Fakten vereinbaren der Arbeitnehmer und
die B. Photo GmbH die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus den im
Interessenausgleich und Sozialplan vom 18.10.2005 genannten betriebsbedingten
Gründen einvernehmlich zum 31.01.2006.
25
2.
26
Der Arbeitnehmer erklärt, dass er über die Folgen einer solchen einvernehmlichen
27
Beendigung - insbesondere auf den darin liegenden Verzicht auf das Führen von
Bestandsstreitigkeiten gegen seinen Arbeitgeber - belehrt worden ist. Der Arbeitnehmer
hatte auch Gelegenheit, sich über diese Folgen ausführlich beraten zu lassen.
3.
28
...
29
4.
30
...
31
5.
32
Mit diesem Vertrag sind sämtliche aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis und seiner
Beendigung abzuleitenden wechselseitigen Ansprüche der Vertragsparteien, seien sie
bekannt oder nicht bekannt, gleich aus welchem Rechtsgrund, geregelt und abgegolten,
sofern es sich nicht um Insolvenzforderungen des Arbeitnehmers handelt und sich aus
dem Sozialplan nichts anderes ergibt .
33
.......
34
10. c.
35
Dieser dreiseitige Vertrag kommt nur zustande, sofern der Arbeitnehmer innerhalb von
drei Tagen nach Erhalt dieses Vertrages diesen unterzeichnet an B. Photo,
Personalabteilung, zurückgibt.
36
Wegen des Inhalts des Vertrages im Einzelnen wird auf Bl. 9 - 18 der Akte Bezug
genommen.
37
Während der Tätigkeit in der Beschäftigungsgesellschaft erhielt der Kläger 90 % seiner
Nettobezüge.
38
Die Beklagte hat die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft mitfinanziert. Sie
musste ihre eigenen finanziellen Mittel und Rückstellungen abhängig von der Anzahl
der in die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft eintretenden Mitarbeiter zur
Verfügung stellen.
39
Nach dem ebenfalls unwidersprochenen Vortrag der Beklagten ist die Regelung "keine
BQG bei Widerspruch" über Geschäftsführung und Betriebsräte an die Arbeitnehmer
kommuniziert worden.
40
Mit Schreiben vom 19.05.2006 (Bl. 16 der Akte) bot die Beklagte dem Kläger an, ihm
ohne Anerkennung einer Rechtspflicht ein VUEK-Zahlung in Höhe von 250,00 € zu
zahlen unter der Voraussetzung, dass er die dem Schreiben beigefügte "Vereinbarung"
(Bl. 17 der Akte) unterschreibt, mit der er sich u.a. verpflichten sollte, keinen
Widerspruch zu erklären.
41
Nach dem unwidersprochenen Vortrag der Beklagten hat sie sämtlichen
Tarifmitarbeitern eine entsprechendes Angebotsschreiben unterbreitet.
42
Der Kläger hat diese Vereinbarung nicht unterschrieben.
43
Mit Schreiben vom 15.02.2007 (Bl. 12 - 15 der Akte) und 16.02.2007 (Bl. 11 der Akte) an
die Beklagte widersprach der Kläger wegen unvollständiger bzw. fehlerhafter
Informationen im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang dem Übergang seines
Arbeitsverhältnisses auf die B. Photo GmbH.
44
Die Beklagte hat dem Kläger vorsorglich unter dem Datum vom 25.04.2007 eine
Kündigung zugestellt, gegen die der Kläger keine Kündigungsschutzklage erhoben hat.
45
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er habe dem Betriebsübergang noch im Februar
2007 widersprechen können, da er bis dahin nicht ausreichend und korrekt über den
Betriebsübergang informiert worden sei. So habe die Beklagte in dem
Informationsschreiben entgegen ihrer Pflicht nicht auf die Verteilung von Schuld und
Haftung zwischen dem bisherigen und dem neuen Arbeitgeber hingewiesen. Über die
wirtschaftliche Situation der Erwerberin sei falsch unterrichtet worden. Schließlich fehle
jegliche Information zu § 613 a Abs. 4 BGB. Der Widerspruch sei auch nicht verwirkt.
Zum einen sehe § 613 a BGB keinen Zeitablauf für diesen Fall vor, so dass der
Widerspruch jederzeit ausgesprochen werden könne. Zum anderen könne die Beklagte
sich schon wegen der fehlerhaften Information nicht auf eine Verwirkung berufen. Eine
Verwirkung scheide auch deshalb aus, weil die Beklagte ihn zuletzt mit Schreiben vom
19.05.2006 aufgefordert habe, eine Vereinbarung zu unterzeichnen, wonach er 250,00 €
erhalte, wenn er zukünftig keinen Widerspruch gegen den Betriebsübergang erkläre.
Zudem fehle es jedenfalls an dem für die Annahme einer Verwirkung erforderlichen
Umstandsmoment. Folge man dieser Ansicht nicht, so sei die Beklagte verpflichtet, ihm
denjenigen Schaden zu ersetzen, den er dadurch erlitten habe, dass er bei der
Beklagten nicht weiterbeschäftigt worden sei. Hätte die Beklagte ihn vollständig und
zutreffend informiert, insbesondere über die finanzielle Ausstattung der B. Photo GmbH,
müsse davon ausgegangen werden, dass er dem Betriebsübergang widersprochen
hätte. In diesem Fall hätte er den Anspruch auf eine Abfindung in Höhe von 14.750,00 €
gehabt.
46
Der Kläger hat beantragt,
47
festzustellen, dass zwischen den Parteien über den 31.10.2004 ein Arbeitsverhältnis
besteht.
48
hilfsweise,
49
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 14.750,00 €
zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
dem 30.04.2005 zu zahlen.
50
Die Beklagte hat beantragt,
51
die Klage abzuweisen.
52
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, ein Arbeitsverhältnis zum Kläger bestehe
nicht mehr, da mangels eines wirksamen Widerspruchs des Klägers die B. Photo GmbH
Arbeitgeberin des Klägers geworden sei. Da die mit Schreiben vom 22.10.2004 erteilten
53
Informationen ausreichend und korrekt gewesen seien, sei die gesetzliche einmonatige
Widerspruchsfrist bei Einlegen des Widerspruchs durch den Kläger bereits lange
verstrichen gewesen. Zumindest habe der Kläger sein Widerspruchsrecht selbst bei
unterstellter Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Information bei der Erwerberin
verwirkt. Der Widerspruch des Klägers sei erst zwei Jahre nach dem Betriebsübergang
und ein Jahr nach dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses erfolgt. Im Hinblick
auf die lange Zeit zwischen Betriebsübergang und Widerspruch in Verbindung mit der
Weiterarbeit des Klägers bei der Erwerberin habe sie - die Beklagte -darauf vertrauen
dürfen, dass der Kläger bei der Erwerberin bleiben werde. Das Arbeitsverhältnis habe
zudem aufgrund des Aufhebungsvertrages mit der Erwerberin sein Ende gefunden.
Nach dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses komme ein Widerspruch bereits
rechtstechnisch und denklogisch nicht mehr in Betracht. Daher komme es letztlich auf
die Frage, ob überhaupt ein Widerspruchsrecht des Klägers bestanden habe, nicht mehr
an. Zudem habe der Kläger in Kenntnis der Tatsache, dass er nur dann in die
Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft eintreten könne, wenn er dem
Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht widerspreche, durch den Abschluss des
dreiseitigen Vertrages deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er sein Widerspruchsrecht
nicht mehr ausüben wolle. Damit habe er sein Widerspruchsrecht verwirkt bzw. auf die
Ausübung des Widerspruchsrechts verzichtet. Die Ausübung des nachträglichen
Widerspruchs sei ihr - der Beklagten - auch nicht zumutbar. Sie habe nicht damit
rechnen können, dass Mitarbeiter nach so langer Zeit massenhaft Widersprüche
einlegen würden. Hierfür seien keine Rückstellungen gebildet worden. Schließlich
könne der Kläger sich nicht auf das Schreiben vom 19.05.2006 berufen. Einziger Sinn
des Schreibens sei gewesen, überflüssige Widerspruchverfahren von Arbeitnehmern zu
vermeiden, die bereits lange zuvor ihr behauptetes Widerspruchsrecht verwirkt hatten.
Im Übrigen habe der Kläger selbst nach Erhalt dieses Schreibens weitere zehn Monate
zugewartet, bevor er sein Widerspruchsrecht ausgeübt habe. Der Vortrag des Klägers
bezüglich eines Schadensersatzanspruchs sei sowohl dem Grunde als auch der Höhe
nach unvollständig und unsubstantiiert.
Das Arbeitsgericht Solingen hat die Klage abgewiesen und dazu ausgeführt, zwischen
den Parteien bestehe kein Arbeitsverhältnis, da der Kläger dem Übergang seines
Arbeitsverhältnisses nicht wirksam widersprochen habe. Dabei könne dahinstehen, ob
die Beklagte ihre Informationspflicht gemäß § 613 a Abs. 5 BGB verletzt habe und die
Monatsfrist des § 613 a Abs. 6 BGB noch nicht in Gang gesetzt worden sei. Dem
Widerspruchsrecht des Klägers stehe entgegen, dass er mit der B. Photo GmbH einen
Aufhebungsvertrag abgeschlossen habe und in die Beschäftigungs- und
Qualifizierungsgesellschaft eingetreten sei. Das Widerspruchsrecht schütze nur den
Arbeitnehmer, der durch sein Verhalten zum Ausdruck bringe, dass er den Fortbestand
des Arbeitsverhältnisses als solches wünsche, es aber nicht mit dem neuen
Betriebsinhaber fortsetzen wolle. Der Arbeitnehmer könne durch die Ausübung des
Widerspruchsrechts den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses mit dem früheren
Betriebsinhaber erzwingen. Wer dagegen zu erkennen gebe, dass er das
Arbeitsverhältnis als solches - unabhängig davon, wer in Zusammenhang mit dem
Betriebsübergang sein Vertragspartner ist - beenden wolle, falle nicht unter den
Schutzzweck des § 613 a BGB und habe kein Widerspruchsrecht, um die von ihm
getroffene Entscheidung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses im nachhinein
korrigieren zu können. Auch der Hilfsantrag habe keinen Erfolg. Es fehle schon an
ausreichenden Anhaltspunkten dafür, dass der Kläger, wäre er besser informiert
worden, tatsächlich dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprochen hätte.
54
Gegen das ihm am 21.06.2007 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Solingen hat der
Kläger mit einem am 20.07.2007 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen
Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 21.08.2007 bei dem
Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.
55
Mit der Berufung macht der Kläger unter Wiederholung seines erstinstanzlichen
Vorbringens geltend, obwohl zwischen dem Erhalt des Informationsschreibens und dem
tatsächlichen Widerspruch ein erheblicher Zeitraum liege, sei der Widerspruch als
rechtzeitig und wirksam anzusehen. Ausgehend von der Informationspflicht in § 613 a
Abs. 5 BGB müsse erwartet werden, dass die Informationsangaben nicht nur formal
zuträfen, sondern auch inhaltlich die wirtschaftliche Situation des Erwerbers
wiedergäbe, denn nur dann seien die sozialen Folgen für die Arbeitnehmer erkennbar.
Da er - der Kläger - tatsächlich die finanzielle Situation der Erwerberin nicht kenne und
diese ihm auch nicht benannt geworden sei, könne er nur generell die Behauptung
aufstellen, dass augenscheinlich entgegen der Erklärung der Beklagten diese nicht ihre
Rechtsnachfolgerin mit genügend Kapital ausgestattet habe. Hätte er dies gewusst,
hätte er den Betriebsübergang nicht hingenommen. Er könne nicht darauf verwiesen
werden, dass er zu lange gewartet habe, denn bis zum heutigen Tage seien ihm nicht
die finanziellen Verhältnisse zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs dargestellt worden.
Da der Widerspruch rechtzeitig erfolgt sei, bestehe noch heute ein Arbeitsverhältnis.
Verwirkung könne nicht eingetreten sein. Im Informationsschreiben habe die Beklagte
eine Garantie über die Gewährung möglicher Sozialplanleistungen übernommen. Aus
diesem Grund stelle er auch seinen Hilfsantrag.
56
Der Kläger beantragt,
57
das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 06.06.2007 - 3 Ca 516/07 lev - abzuändern
und nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.
58
Die Beklagte beantragt,
59
die Berufung zurückzuweisen.
60
Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und vertritt unter Wiederholung ihres
erstinstanzlichen Vortrags weiterhin den Standpunkt, dass das Informationsschreiben
über den Betriebsübergang vom 22.10.2004 nicht unvollständig und nicht fehlerhaft
gewesen und der Widerspruch des Klägers aus Februar 2007 ungeachtet dessen
verspätet, jedenfalls jedoch verwirkt sei, sofern er im Hinblick auf das bereits beendete
Arbeitsverhältnis überhaupt noch habe ausgesprochen werden können. Mit dem
Abschluss des Aufhebungsvertrages habe der Kläger zu erkennen gegeben, dass er
den Betriebsübergang als solchen akzeptiert habe und mit einer Beendigung des
übergegangenen Arbeitsverhältnisses einverstanden sei. Darauf, dass die Beklagte
nicht Vertragspartner des dreiseitigen Vertrages gewesen sei, komme es nicht an. Der
Verzicht auf die spätere Ausübung eines behaupteten Widerspruchsrechts wirke
gegenüber beiden beteiligten Unternehmen. Die Ausübung des Widerspruchs sei
insbesondere rechtsmissbräuchlich erfolgt, da es dem Kläger gar nicht um die
Fortführung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten gehe, sondern allein um den
Versuch, ein behauptetes Widerspruchsrecht rechtsmissbräuchlich zur Ausübung von
Druck auf die Beklagte zu verwenden. Der Kläger begehre die Einführung eines
außerordentlichen Widerspruchsrechts für den Fall der Insolvenz des
Betriebserwerbers, das vom Gesetzgeber jedoch gerade nicht vorgesehen worden sei.
61
Hinsichtlich des Hilfsantrages sei bereits nicht erfindlich, aus welchem Rechtsgrund sie
hierfür haften solle. Auch im Berufungsverfahren fehle jeglicher substantiierter Vortrag
zur haftungsbegründenden sowie haftungsausfüllenden Kausalität.
Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien wird auf ihre in zweiter Instanz
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug
genommen.
62
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
63
I.
64
Die statthafte (§ 64 Abs.1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes
zulässige (§ 64 Abs. 2 ArbGG), form- und fristgerecht eingelegte und begründete
Berufung (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO) des
Klägers ist zulässig.
65
II.
66
Die Berufung des Klägers ist jedoch unbegründet und war demgemäss zurückzuweisen.
Die Berufungskammer folgt der Entscheidung des Arbeitsgerichts.
67
1.
68
Die auf Feststellung gerichtete Klage ist gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 256 Abs. 1 ZPO
zulässig. Das Arbeitsgericht hat zu Recht das für eine Feststellungsklage gemäß § 256
ZPO erforderliche Rechtsschutzinteresse des Klägers bejaht.
69
Nach § 256 Abs.1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines
Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse
daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald
festgestellt werde. Das Bundesarbeitsgericht hat Klagen von Beschäftigten auf
Feststellung, dass zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis besteht, also
gegenwartsbezogene Klagen, in ständiger Rechtsprechung für zulässig erklärt. Der
Kläger verfügt mithin über das zur Erhebung der Feststellungsklage notwendige
Feststellungsinteresse, denn die Beklagte stellt den Fortbestand des
Arbeitsverhältnisses und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen in Abrede.
70
2.
71
Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Zwischen den
Parteien besteht kein Arbeitsverhältnis mehr, da der Kläger dem Übergang seines
Arbeitsverhältnisses auf die B. Photo GmbH nicht wirksam gemäß § 613 a Abs. 6 BGB
widersprochen hat.
72
Zwar hat die Beklagte den Kläger über den Betriebsteilübergang nicht ordnungsgemäß
im Sinne des § 613 a Abs. 5 BGB unterrichtet. Wie das Bundesarbeitsgericht in seiner
Entscheidung vom 20.03.2008, 8 AZR 1016/06 (zitiert nach juris), zu dem
streitgegenständlichen Unterrichtungsschreiben festgestellt hat, hat die Beklagte den
Kläger nicht ordnungsgemäß über die rechtlichen Folgen des Betriebsübergangs
informiert, da nicht hinreichend dargestellt worden ist, dass nach § 613 a Abs. 1 S. 1
73
BGB der neue Betriebsinhaber in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des
Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen kraft Gesetzes eintritt. Ebenso wurde
nicht auf das Haftungssystem nach § 613 a Abs. 2 BGB hingewiesen. Insoweit wird auf
die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts, die den Parteien bekannt sind, und denen
die erkennende Kammer sich vollinhaltlich anschließt, Bezug genommen.
Dennoch hat für den Kläger zum Zeitpunkt der Widerspruchserklärung kein
Widerspruchsrecht mehr bestand, da der Kläger sein Widerspruchsrecht verwirkt hat.
74
a)
75
Nach herrschender Meinung findet das Widerspruchsrecht seine Begrenzung in
zeitlicher Hinsicht nur durch das allgemeine Rechtsinstitut der Verwirkung (vgl. Grau,
a.a.O., S.295 mit einer Vielzahl weiterer Hinweise). Das Bundesarbeitsgericht hält auch
nach der Neuregelung des § 613 a BGB daran fest, dass das Widerspruchsrecht wegen
Verwirkung ausgeschlossen sein kann (vgl. dazu schon BAG, Urteil vom 13.07.2006, 8
AZR 382/05, zitiert nach juris).
76
Ein Anspruch verwirkt, wenn der Anspruchsberechtigte erst nach Ablauf eines längeren
Zeitraums den Anspruch erhebt (Zeitmoment) und dadurch beim Verpflichteten einen
Vertrauenstatbestand geschaffen hat, er werde nicht mehr in Anspruch genommen
(Umstandsmoment).
77
Wie das Bundesarbeitsgericht bereits in mehreren zum vorliegenden Verfahren
parallelen Verfahren entschieden hat, bemisst das Zeitmoment der Verwirkung den
Zeitraum, für welchen die möglichen, die Verwirkung begründenden
Vertrauensumstände gesetzt worden sind. Dieser beginnt grundsätzlich einen Monat
nach einer Unterrichtung über den Betriebsübergang in Textform, wenn diese auch
unvollständig oder fehlerhaft war, denn durch eine solche Unterrichtung gibt der
Arbeitgeber zu erkennen, dass er mit dieser die Widerspruchsfrist von einem Monat in
Gang setzen will und danach die Erklärung von Widersprüchen nicht mehr erwartet (vgl.
BAG, Urteil vom 24.07.2007,
78
8 AZR 166/07, zitiert nach juris). Im Streitfall waren seit diesem fiktiven Ablauf der
Widerspruchsfrist bis zur Ausübung des Widerspruchsrechts zwei Jahre vergangen.
Dieser Zeitraum reicht zur Bejahung des Zeitmoments nach Auffassung der
Berufungskammer zweifellos aus.
79
Auch das für die Verwirkung weiterhin erforderliche Umstandsmoment ist vorliegend
erfüllt.
80
Das Umstandsmoment muss so beschaffen sein, dass der bisherige und der neue
Betriebsinhaber im Zusammenspiel mit dem Zeitmoment berechtigt darauf vertrauen
dürfen, der Arbeitnehmer werde sich dem in § 613 a Abs. 1 S. 1 BGB angeordneten
Vertragspartnerwechsel nicht mehr durch einen Widerspruch widersetzen (vgl. Grau,
a.a.O. S.302). Das Vorliegen des Zeitmomentes indiziert dabei nicht das sogenannte
Umstandsmoment, sondern es bedarf darüber hinausgehender besonderer Umstände
für die berechtigte Erwartung des Schuldners, dass er nicht mehr in Anspruch
genommen wird. Bei der Prüfung, ob ein Recht verwirkt ist, hat mithin eine
Gesamtbetrachtung stattzufinden, bei der das Zeit- und das Umstandsmoment zu
berücksichtigen und in Relation zu setzen sind. Dabei ist die Länge des Zeitablaufes in
81
Wechselwirkung zu dem ebenfalls erforderlichen Umstandsmoment zu setzen, was zur
Folge hat, dass bei schwierigen Sachverhalten die Rechte des Arbeitnehmers
möglicherweise erst nach einer längeren Untätigkeit verwirken können (vgl. BAG, Urteil
vom 24.07.2008, 8 AZR 175/07, zitiert nach juris). Dabei ist im Hinblick auf das
Widerspruchsrecht ein besonders strenger Maßstab anzulegen, denn schließlich haben
es der neue und der alte Arbeitgeber in der Hand, durch vollständige und
ordnungsgemäße Unterrichtung die Widerspruchsfrist in Gang zu setzen. Informieren sie
- ob bewusst oder unbewusst - fehlerhaft, müssen schon besondere Umstände
vorliegen, damit ein Vertrauen dahingehend entstehen kann, der Arbeitnehmer werde
trotz des Informationsdefizits dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht
widersprechen (so auch LAG München, Urteil vom 30.06.2005, 2 Sa 1169/04 = LAGE §
613 a BGB 2002 Nr.7). Entscheidender Gesichtspunkt ist insoweit, dass die Verwirkung
dem Vertrauensschutz dient.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in mehreren Parallelfällen ist ein
solcher Umstand, welcher das Vertrauen des bisherigen Arbeitgebers in die
Nichtausübung des Widerspruchsrechtes nach § 613a Abs. 6 BGB rechtfertigen kann,
gegeben, wenn der Arbeitnehmer über die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses
dadurch disponiert hat, dass er einen Aufhebungsvertrag mit dem Betriebserwerber
geschlossen oder eine von diesem nach dem Betriebsübergang erklärte Kündigung
hingenommen hat und dem Veräußerer dieser Umstand bekannt war (vgl. BAG, Urteil
vom 24.07.2008, 8 AZR 175/07, zitiert nach juris).
82
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Kläger hat mit der Erwerberin im
Wege eines dreiseitigen Vertrages, der dazu diente, dem Kläger den Eintritt in die
Beschäftigungsgesellschaft zu ermöglichen, einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen,
was der Beklagten auch bekannt war, denn die Beklagte hat die
Beschäftigungsgesellschaft mitfinanziert, und zwar bezogenen auf jeden einzelnen
Arbeitnehmer.
83
Insbesondere unter Berücksichtigung des Gesamtverhaltens des Klägers durfte die
Beklagte davon ausgehen, dass dieser sein Widerspruchsrecht nicht mehr ausübt. Nach
ihrem unwidersprochenen Vortrag ist den Arbeitnehmern die Regel "bei Widerspruch
keine BQG" durch die Geschäftsleitung und den Betriebsrat kommuniziert worden. Allen
Arbeitnehmern, die den dreiseitigen Vertrag abgeschlossen haben - so auch dem
Kläger - war mithin bekannt, dass die - wenn auch höchstrichterlich noch nicht geklärte -
Möglichkeit des Widerspruchs besteht, die Erklärung des Widerspruchs den Eintritt in
die Beschäftigungsgesellschaft jedoch verhindert, was sich letztlich auch aus dem
dreiseitigen Vertrag selbst ergibt, den der Kläger unterschrieben hat. Unterschreibt ein
Arbeitnehmer mit dieser Kenntnis einen Aufhebungsvertrag mit der Erwerberin, hat er
auch aus Sicht eines verständigen Dritten über sein Arbeitsverhältnis disponiert und
sich dazu entschieden, keinen Widerspruch gegen den Übergang seines
Arbeitsverhältnisses auf die Erwerberin mehr zu erklären. Dies gilt insbesondere im
Hinblick darauf, dass eine Vielzahl anderer Mitarbeiter sich dafür entschieden hatten,
gegenüber der Beklagten einen Widerspruch zu erklären, was dem Kläger bekannt war.
Unter diesen Umständen durfte die Beklagte berechtigt darauf vertrauen, dass der
Kläger kein Widerspruchsrecht mehr geltend machen wird.
84
Diesem Ergebnis steht das Schreiben der Beklagten vom 19.05.2006 nicht entgegen.
Abgesehen davon, dass die Beklagte ein derartiges Angebot nach ihrem
unwidersprochenen Vortrag allen Tarifmitarbeitern - mithin unabhängig davon, ob sie in
85
die Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft eingetreten waren oder nicht -
unterbreitet hat, diente dieses Schreiben nach dem ebenfalls unwidersprochenen
Vortrag der Beklagten lediglich dazu, weitere Widerspruchsverfahren zu vermeiden.
Auch nach Auffassung der Berufungskammer kann aus diesem Schreiben unter den
gegebenen Umständen nicht geschlossen werden, dass die Beklagte mit
vertrauensausschließender Wirkung davon ausgegangen ist, dem Kläger könnte noch
ein Widerspruchsrecht zustehen. Es diente lediglich in Anbetracht der Vielzahl der
Widersprüche dem Versuch, rechtliche Klarheit zu schaffen, ohne dass daraus darauf
geschlossen werden könnte, die Beklagte habe nicht darauf vertraut, dass der Kläger
nicht mehr widerspricht. Zudem hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass der
Kläger trotz dieses Schreibens noch weitere zehn Monate zugewartet hat, bevor er
seinen Widerspruch erklärte.
Danach hat der Kläger sein Widerspruchsrecht verwirkt.
86
b)
87
Diese Beurteilung ergibt sich nach Auffassung der Berufungskammer auch aus einer
analogen Anwendung des Rechtsgedankens des § 144 BGB, sofern davon
ausgegangen werden müsste, dass die finanzielle Beteiligung der Beklagten an der
Beschäftigungsgesellschaft nicht ausreicht, um von einer Kenntnis der Beklagten das
Umstandsmoment betreffend auszugehen.
88
Nach § 144 Abs. 1 BGB ist die Anfechtung eines Rechtsgeschäfts ausgeschlossen,
wenn das anfechtbare Rechtsgeschäft von dem Anfechtungsberechtigten bestätigt wird.
Der Sache nach handelt es sich bei dieser Regelung um einen Verzicht des
Anfechtungsberechtigten. Dieser sich aus § 144 BGB ergebende Rechtsgedanke ist
nach Auffassung der Berufungskammer auf die Frage, ob ein Widerspruchsrecht noch
ausgeübt werden kann, übertragbar und bedeutet, dass die Ausübung des
Widerspruchsrechts ausgeschlossen ist, wenn der "widerspruchsbehaftete" Übergang
des Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber von dem Widerspruchsberechtigten
bestätigt wird.
89
Da es sich bei dem Übergang des Arbeitsverhältnisses im Falle des § 613 a BGB nicht
um einen rechtsgeschäftlichen, sondern um einen gesetzlich angeordneten
Vertragspartnerwechsel handelt, kommt nur eine analoge Anwendung des § 144 BGB in
Betracht. Eine Analogie ist die Übertragung der für einen oder mehrere bestimmte
Tatbestände im Gesetz vorgesehenen Regel auf einen anderen, aber rechtsähnlichen
Tatbestand (vgl. Palandt, Einl. 40 vor § 1). Die analoge Anwendung einer Norm ist
möglich, wenn zur Ausfüllung einer planwidrigen Gesetzeslücke die Rechtsfolge eines
gesetzlichen Tatbestands auf einen vergleichbaren, aber im Gesetz nicht geregelten
Tatbestand übertragen werden kann. Dabei muss der zu beurteilende Sachverhalt dem
gesetzlich geregelten Sachverhalt gleichen, die möglichen Unterschiede dürfen nicht
von einer Art sein, dass eine Übertragung der gesetzlichen Wertung ausgeschlossen ist
(vgl. BAG, Urteil vom 23.11.2006, 6 AZR 394/06 = ArbuR 2006, 447 m.w.N.).
90
Die Voraussetzungen der analogen Anwendung der in § 144 BGB vorgesehenen
Regelung für die Ausübung des Anfechtungsrechts auf den gesetzlich nicht geregelten
Tatbestand der Ausübung des Widerspruchsrechts sind nach Auffassung der
Berufungskammer gegeben. Es liegen sowohl eine Gesetzeslücke als auch ein
analogiefähiger Tatbestand vor. Durch die Einführung des gesetzlich normierten
91
Widerspruchsrechts ist nachträglich eine Regelungslücke in Bezug auf die Ausübung
dieses Rechts entstanden. Das Gesetz sieht keine Folgenregelung für das
Widerspruchsrechts für die Fälle vor, in denen die Widerspruchsfrist wegen fehlerhafter
Unterrichtung noch nicht läuft. Die Ausübung des Widerspruchsrechts ist der Ausübung
des Anfechtungsrechts "rechtsähnlich". Beide Tatbestände erfordern die Abgabe einer
empfangsbedürftigen Willenserklärung des Berechtigten, der - bei der Anfechtung
bezogen auf ein Rechtsgeschäft, beim Widerspruchsrecht bezogen auf einen gesetzlich
vorgesehenen Vertragspartnerwechsel - rückwirkende Kraft zukommt. In beiden Fällen
bewirkt die Ausübung des Rechts die rückwirkende Vernichtung des bestehenden
Vertragsverhältnisses. Es erscheint der Berufungskammer danach gerechtfertigt, im
Wege der Einzelanalogie die Rechtsfolge der Bestätigung des Rechtsgeschäfts durch
den Anfechtungsberechtigten, nämlich den Ausschluss des Anfechtungsrechts, auf den
vergleichbaren Tatbestand der Bestätigung des Übergangs des Arbeitsverhältnisses auf
den Betriebserwerber durch den Widerspruchsberechtigten mit der Folge des
Ausschlusses des Widerspruchsrechts zu übertragen, soweit die Voraussetzungen
einer Bestätigung im Sinne des § 144 BGB festgestellt werden können.
Die Bestätigung im Sinne des § 144 BGB betrifft ein gültiges Rechtsgeschäft und ist -
anders als die Bestätigung im Sinne des § 141 BGB - keine Neuvornahme des
Geschäfts, sondern der Sache nach ein Verzicht auf das Anfechtungsrecht. Sie ist eine
nicht empfangsbedürftige Willenserklärung und braucht daher nicht gegenüber dem
Anfechtungsgegner erklärt zu werden. Sie ist gemäß § 144 Abs. 2 BGB formfrei, kann
also auch durch schlüssiges Handeln erfolgen. Erforderlich ist allerdings ein Verhalten,
das den Willen offenbart, trotz der Anfechtbarkeit an dem Rechtsgeschäft festzuhalten.
Jede andere den Umständen nach mögliche Deutung muss ausgeschlossen sein. Eine
Bestätigung setzt in der Regel voraus, dass der Bestätigende die Anfechtbarkeit kannte
bzw. mit ihr rechnen musste. Die Bestätigung beseitigt das Anfechtungsrecht (vgl.
Palandt, § 144 BGB Rdnr. 1,2).
92
Unter Berücksichtigung vorstehender Ausführungen hat der Kläger den Übergang
seines Arbeitsverhältnisses auf die Betriebserwerberin durch Abschluss des
dreiseitigen Vertrages in Verbindung mit den Gesamtumständen in diesem Sinne
bestätigt
93
In Übereinstimmung mit der von Annuß vertretenen Auffassung geht die
Berufungskammer dabei davon aus, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers aufgrund
des Betriebsübergangs mit Wirkung zum 01.11.2004 zunächst aufschiebend bedingt auf
die B. Photo GmbH übergegangen ist.
94
Nach Auffassung von Annuß (vgl. Staudinger/Annuß § 613 a BGB Rdnr. 186) wird dem
grundrechtlich fundierten Ziel einer Respektierung der privatautonom getroffenen
Entscheidung des Arbeitnehmers, nur mit einem bestimmten Arbeitgeber zu
kontrahieren, in Fällen, in denen der Widerspruch erst nach dem Betriebsübergang
erklärt zu werden braucht, nur dann ausreichend Rechnung getragen, wenn der
Erwerber bis zum Widerspruch bzw. bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist auch nicht
vorübergehend in die Stellung des Arbeitgebers einrückt. Dieses Ziel kann jedoch nicht
dadurch erreicht werden, dass man der Widerspruchserklärung schlicht ex-tunc-Wirkung
beilegt, sondern nur durch einen aufschiebend bedingten Übergang des
Arbeitsverhältnisses, so dass dieses zunächst (bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist
bzw. einer abschließenden Erklärung des Arbeitnehmers) mit dem bisherigen
Arbeitgeber fortbesteht. Mit Ablauf der Widerspruchsfrist bzw. der abschließenden
95
Entscheidung des Arbeitnehmers tritt der Erwerber rückwirkend zum Datum des
Betriebsübergangs in den Arbeitsvertrag ein.
Ein aufschiebend bedingtes Rechtsgeschäft ist tatbestandlich vollendet und voll gültig,
nur seine Rechtswirkungen sind bis zum Eintritt der Bedingung in der Schwebe. Dieser
Tatbestand ist der erforderlichen Gültigkeit des Rechtsgeschäfts bei der Anfechtung
"rechtsähnlich".
96
Unter Berücksichtigung der Gesamtumstände und des Inhalts des dreiseitigen Vertrages
hat der Kläger nach Auffassung der Berufungskammer durch den Abschluss des darin
enthaltenen Aufhebungsvertrages mit der Erwerberin hinsichtlich seines
Widerspruchsrechts eine abschließende Erklärung abgegeben, den Eintritt der
Bedingung bewirkt und damit den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die
Erwerberin bestätigt.
97
Durch den Abschluss des Aufhebungsvertrages hat der Kläger gegenüber der
Erwerberin erklärt, dass er sie als Vertragspartnerin akzeptiert. Diese Erklärung
gegenüber der Vertragspartnerin erfolgte auch in Kenntnis eines bestehenden
Widerspruchsrechts. Die Kenntnis des Klägers muss - neben der vom Kläger nicht
bestrittenen Behauptung der Information durch die Geschäftsführung und den
Betriebsrat - daraus geschlossen werden, dass er durch seine Unterschrift unter dem
Aufhebungsvertrag mit der B. Photo GmbH bestätigt hat, den Inhalt des
Interessenausgleichs und des Sozialplans zu kennen. Da der Kläger unterschrieben
hat, den Inhalt der Regelungen zu kennen, muss er sich diese auch entgegenhalten
lassen.
98
Der Kläger musste unter den gegebenen Umständen auch damit rechnen, dass die
Erwerberin sein Verhalten, nämlich den Abschluss des dreiseitigen Vertrages, der ein
bestehendes Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Erwerberin zwingend
voraussetzt, als Bestätigung dahingehend auffasst, dass der Kläger den Übergang
seines Arbeitsverhältnisses auf sie akzeptiert hat und nicht mehr in Streit stellen wird.
99
Aus dem Inhalt des vom Kläger unterschriebenen Vertrages ergibt sich auch der
erforderliche eindeutige Wille, trotz des möglicherweise bestehenden
Widerspruchsrechts den - zunächst nur aufschiebend bedingten - Übergang seines
Arbeitsverhältnisses auf die Erwerberin zu akzeptieren. Nach Ziffer II. 2. des
Aufhebungsvertrages hat der Kläger erklärt, dass er über die Folgen einer
einvernehmlichen Beendigung, insbesondere über den darin liegenden Verzicht auf das
Führen von Bestandstreitigkeiten gegen seinen Arbeitgeber, belehrt worden ist und er
auch Gelegenheit hatte, sich über diese Folgen ausführlich belehren zu lassen. Da der
Kläger Kenntnis von einem möglicherweise noch bestehenden Widerspruchsrecht hatte,
hätte er sich also sogar noch vor Unterschrift des Vertrages über die Konsequenzen des
Vertragsabschlusses und die Auswirkungen auf sein Widerspruchsrecht informieren und
seine Entscheidung dementsprechend ausrichten können. Dennoch hat der Kläger den
Vertrag unter Verzicht auf das Führen von Bestandsstreitigkeiten "gegen seinen
Arbeitgeber" vorbehaltlos unterschrieben.
100
Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, seine Erklärung sei nicht in dem für
eine Bestätigung erforderlichen Sinne eindeutig, weil er gleichzeitig gehandelt habe, um
den Vorwurf des böswilligen Unterlassens anderweitigen Erwerbs zu vermeiden und um
seinen Lebensunterhalt zu sichern. Dieser Einwand ist vorliegend ausgeschlossen, weil
101
- im Gegensatz zu anderen von dieser Kammer entschiedenen Fällen - es für den
Abschluss des dreiseitigen Vertrages gerade Voraussetzung war, dass das
Widerspruchsrecht nicht ausgeübt wird. Dies ist in Fällen, in denen zum Beispiel ein
Arbeitsvertrag mit einem dritten Arbeitgeber geschlossen wird, gerade nicht der Fall.
Das Arbeitsverhältnis mit einem dritten Arbeitgeber endet auch nicht aufgrund der
Rückwirkung des Widerspruchs, wenn ein solcher gegenüber dem Veräußerer oder
dem Erwerber erklärt wird. Die unterschiedlichen Fallgestaltungen sind nicht
miteinander vergleichbar, weil das Widerspruchsrecht auf das Arbeitsverhältnis bei
einem dritten Arbeitgeber keine rechtlichen Auswirkungen hat.
Bei der Beurteilung des Erklärungswertes des Verhaltens ist zudem auf den Zeitpunkt
der Erklärung abzustellen. Da der Kläger gegenüber der Erwerberin - zumindest
konkludent - erklärt hat, dass er mit dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses
einverstanden ist, kann er sich im nachhinein nicht darauf berufen, er habe auch andere
Gründe gehabt, den Vertrag abzuschließen, um so die Eindeutigkeit seiner damaligen
Entscheidung in Frage zu stellen. Abgestellt auf den Zeitpunkt des als Bestätigung zu
wertenden Verhaltens war seine Erklärung eindeutig und ließ keine andere Beurteilung
zu.
102
Diesem Ergebnis steht die Rückwirkung des Widerspruchs nicht entgegen. Durch den
den Übergang des Arbeitsverhältnisses bestätigenden Vertrag ist die Erwerberin - wie
bereits ausgeführt - rückwirkend in das zunächst aufschiebend bedingt übergegangene
Arbeitsverhältnis des Klägers eingetreten. Diese Rechtsfolge konnte der Kläger durch
seinen zeitlich erst nach Abschluss des Vertrages ausgeübten Widerspruch nicht mehr
rückgängig machen. Zum Zeitpunkt der Widerspruchserklärung war die Erwerberin in
das - zu diesem Zeitpunkt bereits wieder beendeten - Arbeitsverhältnis rückwirkend
eingetreten. Ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten bestand somit nicht mehr.
103
Sollte der Kläger unter den gegebenen Umständen bei Abschluss des Vertrages
vorgehabt haben, zu einem späteren Zeitpunkt doch noch sein Widerspruchsrecht
auszuüben, um damit die Rechtsfolgen des dreiseitigen Vertrages wieder zu beseitigen,
so dürfte es sich dabei um einen geheimen Vorbehalt im Sinne des § 116 BGB handeln,
der seine Willenserklärung nicht nichtig macht. Der geheime Vorbehalt des Erklärenden,
die Rechtsfolgen seines Verhaltens nicht zu wollen, kann von der Rechtsordnung nicht
anerkannt werden.
104
Da die Bestätigungserklärung im Sinne des § 144 BGB formfrei und nicht
empfangsbedürftig ist, brauchte sie nicht gegenüber der Beklagten erklärt zu werden.
Abgesehen davon reicht es aus, wenn die Bestätigung gegenüber dem Erwerber oder
dem Veräußerer abgegeben wird. Insofern ist in diesem Zusammenhang unerheblich,
ob die Beklagte von dem Abschluss des dreiseitigen Vertrages Kenntnis hatte.
105
3.
106
Schließlich ist das Verhalten des Kläger zudem unter Berücksichtigung des
Grundsatzes von Treu und Glauben als rechtsmissbräuchlich anzusehen.
107
Der Grundsatz von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten und Rechtspositionen
immanente Schranke. Aus ihm ergibt sich das Verbot unzulässiger Rechtsausübung in
seinen unterschiedlichsten Erscheinungsformen (vgl. Palandt § 242 Rdnr. 38). Die
gegen § 242 BGB verstoßende "Rechtsausübung" oder Ausnutzung einer Rechtslage
108
ist als Rechtsüberschreitung missbräuchlich und unzulässig. Beim Rechtsmissbrauch
geht es typischerweise darum, dass die Ausübung eines individuellen Rechts als
treuwidrig und unzulässig beanstandet wird. Welche Anforderungen sich aus Treu und
Glauben ergeben, lässt sich nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls
entscheiden. Maßgebender Beurteilungszeitpunkt ist die Geltendmachung des Rechts
(BGH 13, 350), im Rechtsstreit die letzte Tatsachenverhandlung.
Nach Auffassung der Berufungskammer ist dem Kläger ein mit Treu und Glauben nicht
vereinbares widersprüchliches Verhalten vorzuwerfen.
109
Die Rechtsordnung lässt widersprüchliches Verhalten zwar grundsätzlich zu. Die
Parteien dürfen ihre Rechtsansichten ändern, der Kläger die Klagebegründung, der
Beklagte die Rechtsverteidigung. Jeder Partei steht es in der Regel auch frei, sich auf
die Nichtigkeit der von ihr abgegebenen Erklärung zu berufen oder ein unter ihrer
Beteiligung zustande gekommenes Rechtsgeschäft anzugreifen. Widersprüchliches
Verhalten ist aber dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein
Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere besondere Umstände
die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen. Für die Annahme einer
unzulässigen Rechtsausübung ist nicht zwingend erforderlich, dass der andere Teil im
Hinblick auf den gesetzten Vertrauenstatbestand bestimmte Dispositionen getroffen hat.
Auch wenn kein besonderer Vertrauenstatbestand begründet worden ist, kann
widersprüchliches Verhalten unzulässig sein, wenn der Berechtigte aus seinem
früheren Verhalten erhebliche Vorteile gezogen hat oder wenn sein Verhalten zu einem
unlösbaren Selbstwiderspruch führt (vgl. Palandt, § 242 BGB Rdnr. 55 - 57 m.w.N. aus
der Rechtsprechung).
110
Der Kläger hat durch sein Verhalten bei der Beklagten den Vertrauenstatbestand
gesetzt, dass er den Übergang seines Arbeitsverhältnisses zur B. Photo GmbH
akzeptiert und einen Widerspruch nicht mehr ausüben wird.
111
Die vertrauensbildenden Umstände ergeben sich daraus, dass der Kläger sich während
der gesamten Laufzeit des dreiseitigen Vertrages an die in diesem Vertrag getroffenen
Regelungen gehalten hat, und das, obwohl seit Mitte 2005 eine Vielzahl weiterer
Arbeitnehmer dem Betriebsübergang widersprochen haben. Dadurch hat er sich nach
außen ersichtlich auf den Standpunkt gestellt, dass er zu Recht in der Beschäftigungs-
und Qualifizierungsgesellschaft ist, in der er schließlich gar nicht hätte sein dürfen, wenn
er den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die Erwerberin nicht akzeptiert hätte.
Er hat damit dokumentiert, dass er sich zunächst den Rechtsstandpunkt zu eigen
gemacht hat, zu Recht in der Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahme zu sein,
um alle damit verbundenen Vorteile in Anspruch zu nehmen. Seinen Rechtsstandpunkt
hat er erst dann ins Gegenteil verkehrt, als die Maßnahme beendet war, um sich sodann
Rechtsvorteile gegenüber der Beklagten zu verschaffen. Selbst nach dem Schreiben der
Beklagten vom 19.05.2006 hat er weder einen Widerspruch erklärt noch sich einen
solchen vorbehalten, weil ihm klar war, dass er in diesem Fall die Beschäftigungs- und
Qualifizierungsgesellschaft hätte verlassen und damit auf die bis zur Beendigung der
Maßnahme gesicherten 90 % seines Nettoeinkommens hätte verzichten müssen. Ein
derartiges Verhalten läuft auf ein mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarendes
"Rosinenpicken" hinaus. Dabei verkennt die Berufungskammer nicht, dass die
Arbeitnehmer sich in einer schwierigen und in weiten Teilen ungeklärten Rechtslage
befunden haben und in dieser schwierigen Situation eine Entscheidung treffen mussten.
Dennoch kann auch den Arbeitnehmern nach Auffassung der Berufungskammer nicht
112
gänzlich das Risiko für die von ihnen getroffenen Entscheidungen abgenommen
werden. Haben sie sich - gleichgültig aus welchen Gründen - in Kenntnis eines
möglicherweise bestehenden Widerspruchsrechts dafür entschieden, den Übergang
des Arbeitsverhältnisses zu akzeptieren, sind sie an diese Entscheidung gebunden.
Schließlich hat die Beklagte aufgrund des Verhaltens des Klägers auch finanzielle
Dispositionen getroffen, indem sie Mittel für den Kläger im Rahmen der Beschäftigungs-
und Qualifizierungsmaßnahme zur Verfügung gestellt hat.
113
Selbst wenn auf Seiten der Beklagten durch das Verhalten des Klägers kein besonderer
Vertrauenstatbestand begründet worden wäre, ist das Verhalten des Klägers
rechtsmissbräuchlich. Der Kläger hat sich zwölf Monate lang nach den vertraglich
getroffenen Regelungen des dreiseitigen Vertrages verhalten und daraus Vorteile
gezogen. Es ist ihm verwehrt, nunmehr nach Beendigung der Qualifizierungsmaßnahme
einzuwenden, er sei während der gesamten Zeit zu Unrecht in der
Qualifizierungsmaßnahme gewesen, denn der einzige Umstand, der sich im Laufe
dieses Zeitraums verändert hat, ist die Beendigung der Maßnahme, aus der er bis
zuletzt Vorteile gezogen hat.
114
Der Kläger kann sich daher auch aus diesem Grund nicht auf die Wirksamkeit des
Widerspruchs berufen.
115
4.
116
Der hilfsweise vom Kläger geltend gemachte Schadensersatzanspruch scheidet bereits
deshalb aus, weil er sich - wie ausgeführt - mit dem Übergang seines
Arbeitsverhältnisses durch Abschluss des dreiseitigen Vertrages einverstanden erklärt
hat mit der Folge, dass diese rückwirkend zum 01.11.2004 in das Arbeitsverhältnis
eingetreten ist. Erklärt sich ein Arbeitnehmer mit dem Übergang seines
Arbeitsverhältnisses einverstanden, kann er nicht gleichzeitig verlangen, im Wege der
Naturalrestitution so gestellt zu werden, als habe er einen Widerspruch wirksam
ausgeübt. In der Bestätigung des Übergangs des Arbeitsverhältnisses ist - insbesondere
im Hinblick auf die unter Ziffer II. 5. des dreiseitigen Vertrages enthaltene
Ausgleichsklausel - ein Verzicht auf Schadensersatzansprüche zu sehen.
117
Selbst wenn ein Schadensersatzanspruch nicht bereits aus diesem Grund
ausgeschlossen wäre, können die für einen Schadensersatzanspruch erforderlichen
Voraussetzungen nicht festgestellt werden.
118
Zwar kann von einem Pflichtverstoß der Beklagten zu Gunsten des Klägers
ausgegangen werden. Nach dem Vortrag des Klägers kann unter Berücksichtigung der
Gesamtumstände aber der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverstoß
und Schaden nicht festgestellt werden. Sein diesbezüglicher Vortrag ist in jeder Hinsicht
unsubstantiiert.
119
Unterrichtet der Arbeitgeber - wie vorliegend - fehlerhaft über die Folgen eines
Betriebsübergangs, so verletzt er damit nach ganz herrschender Auffassung echte
Rechtspflichten, was Schadensersatzansprüche gemäß § 280 BGB auslösen kann (vgl.
dazu schon BAG, Urteil vom 24.05.2005, 8 AZR 398/04, juris). Dabei wird das
Verschulden des informierenden Arbeitgebers gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB
grundsätzlich vermutet. Da es sich um eine widerlegbare Verschuldensvermutung
120
handelt, obliegt dem in Anspruch genommenen Arbeitgeber der Entlastungsbeweis. Der
Unterrichtungspflichtverstoß muss sich adäquat in einem Schaden des
informationsberechtigten Arbeitnehmers realisiert haben. Voraussetzung für die
Annahme einer haftungsbegründenden Kausalität zwischen
Unterrichtungspflichtverstoß und Schaden ist, dass der Arbeitnehmer darlegen und
nachweisen kann, bei ordnungsgemäßer Information über den Widerspruch gemäß §
613 a Abs. 6 BGB anders entschieden zu haben, als er es tatsächlich getan hat. Da ein
derartiger Nachweis im Nachhinein kaum zu führen ist, ist für die Verletzung von
Aufklärungs- bzw. Hinweispflichten anerkannt, dass dem Geschädigten durch eine
Vermutung "aufklärungsrichtigen" Verhaltens Beweiserleichterungen zukommen
können. Dabei ist davon auszugehen, dass bei richtiger Information die Eigeninteressen
in vernünftiger Weise gewahrt worden wären (vgl. dazu Grau, Rechtsfolgen von
Verstößen gegen die Unterrichtungspflicht bei Betriebsübergang gemäß § 613 a Abs.5
BGB, RdA 2005, 367, 372 ff m.w.N.). Voraussetzung für diese Vermutung ist jedoch,
dass nur eine Handlungsmöglichkeit besteht (so ausdrücklich: BAG, Urteil vom
13.07.2006, 8 AZR 382/05, juris).
Nach dem Gesamtverhalten des Klägers kann unter Berücksichtigung vorstehender
Grundsätze nicht davon ausgegangen werden, dass er im Falle einer
ordnungsgemäßen Unterrichtung dem Betriebsübergang fristgemäß widersprochen
hätte.
121
Der Kläger hat dazu vorgetragen, er hätte dem Betriebsübergang fristgerecht
widersprochen, wenn er über die Haftung und die finanzielle Ausstattung der Erwerberin
ordnungsgemäß unterrichtet worden wäre. Dieser Vortrag reicht angesichts der
Tatsache, dass der Kläger auch in Kenntnis der maßgeblichen Umstände - z. B. der
Insolvenz der Erwerberin und des Widerspruchs einer Vielzahl von Arbeitnehmern -
gerade nicht widersprochen hat, nicht aus, um die erforderliche Kausalität zwischen
Pflichtverstoß und Schaden anzunehmen.
122
Gegen die Annahme einer fristgemäßen Ausübung des Widerspruchsrechts spricht
insbesondere, dass der Kläger - wie bereits ausgeführt - in Kenntnis eines
möglicherweise bestehenden Widerspruchsrechts den dreiseitigen Vertrag
unterschrieben hat, statt den Widerspruch gegen den Betriebsübergang zu erklären, die
Vorteile der Beschäftigungsgesellschaft ausgenutzt und erst nach Beendigung der
Beschäftigungs- und Qualifizierungsmaßnahme dem Übergang seines
Arbeitsverhältnisses widersprochen hat.
123
Aufgrund dieses Gesamtverhalten des Klägers kann nach Auffassung der erkennenden
Berufungskammer selbst unter Berücksichtigung einer Vermutung aufklärungsrichtigen
Verhaltens nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger bei ordnungsgemäßer
Unterrichtung gemäß § 613 a Abs. 5 BGB einen Widerspruch eingelegt hätte, denn er
hat in Kenntnis der maßgeblichen Umstände monatelang zugewartet, ehe er den
Widerspruch erklärte.
124
Die Berufung des Klägers war mithin insgesamt zurückzuweisen.
125
III.
126
Die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels waren gemäß §§ 64 Abs.6 ArbGG,
97 Abs.1 ZPO dem Kläger aufzugeben.
127
IV.
128
Die Revision war gemäß § 72 Abs.2 Nr.1 ArbGG zuzulassen, da
entscheidungserhebliche Rechtsfragen vorliegen, die grundsätzliche Bedeutung haben,
für die Einheitlichkeit der Rechtsordnung von allgemeiner Bedeutung und
höchstrichterlich noch nicht entschieden sind.
129
RECHTSMITTELBELEHRUNG
130
Gegen dieses Urteil kann von dem Kläger
131
R E V I S I O N
132
eingelegt werden.
133
Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
134
Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim
135
Bundesarbeitsgericht
136
Hugo-Preuß-Platz 1
137
99084 Erfurt
138
Fax: 0361 2636 2000
139
eingelegt werden.
140
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
141
Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
142
1. Rechtsanwälte,
143
2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse
mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
144
3. Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in
Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich
die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser Organisation oder
eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung
entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der
Bevollmächtigten haftet.
145
4.
146
In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift
unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
147
Eine Partei die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
148
* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
149