Urteil des LAG Düsseldorf vom 28.11.2001

LArbG Düsseldorf: betriebsrat, arbeitsgericht, gehaltserhöhung, budget, verfügung, geschäftsführung, anpassung, befund, rückstellung, entstehungsgeschichte

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 12 TaBV 49/01
Datum:
28.11.2001
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
12 TaBV 49/01
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Essen, 7 BV 7/00
Schlagworte:
Auslegung einer Betriebsvereinbarung
Normen:
§ 77, § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, § 317 BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Eine Betriebsvereinbarung begründet nicht deshalb, weil sie sich über
die Verteilung eines jährlich vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten
Gehaltserhöhungsbudgets verhält, die Verpflichtung des Arbeitgebers,
nach § 315 BGB ein solches Gehaltserhöungsbudget festzulegen.
Tenor:
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen des Beschluss des
Arbeitsgerichts Essen vom 31.05.2001 wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
G R Ü N D E :
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I.
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Die Beteiligten streiten darüber, ob der antragstellende Betriebsrat aufgrund einer
Betriebsvereinbarung von der Arbeitgeberin verlangen kann, dass diese für die AT-
Mitarbeiter ein Gehaltserhöhungsbudget von 3 % ab dem 01.01.2000 festlegt.
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Die Arbeitgeberin befasst sich mit der weltweiten Aufsuchung und Gewinnung von Erdöl
und Erdgas (sog. Upstream-Geschäft ). Sie ist mit ihrer Konzernobergesellschaft, der V.
Öl AG, durch einen Ergebnisabführungsvertrag verbunden.
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Nach der Gewinn- und Verlustrechnung 1999 (Bl. 135 d. A.) erzielte die Arbeitgeberin
als Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit einen Verlust von über 55 Mio. DM.
Die GuV-Rechnung enthält Rückstellungen für Restrukturierungsmaßnahmen in Höhe
von 85,1 Mio. DM. Aufgrund steuerlicher Nutzung ihrer Verluste durch die
Konzernobergesellschaft wurde der Arbeitgeberin konzernintern eine Steuergutschrift
von ca. 147 Millionen DM erteilt, so dass die GuV-Rechnung einen Jahresüberschuss
vor Gewinnabführung in Höhe von ca. 137 Mio. DM ausweist.
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Im Jahre 2000 führt die Arbeitgeberin die Restrukturierungsmaßnahmen durch, die
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begleitet von einem Sozialplan zu einem Personalabbau der ca. 240/250 Mitarbeiter,
davon ca. 220 AT-Angestellte, auf derzeit 35 Mitarbeiter führte. Die in Höhe von 85,1
Mio. DM gebildete Rückstellung wurde im Jahre 2000 mit 12,1 Mio. DM in Anspruch
genommen. Im Herbst 2000 veräußerte die Arbeitgeberin ihr Bürogebäude in E. zu
einem Preis von ca. 35 Mio. DM.
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Ende 1999 beschloss die Arbeitgeberin, ein Budget für die Erhöhung der AT-Gehälter
zum 01.01.2000 nicht zur Verfügung zu stellen. Der Betriebsrat widersetzte sich der
Entscheidung und verlangte unter Hinweis auf eine am 05.09.1995 zwischen ihm und
der Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin, der Firma D., geschlossene
Betriebsvereinbarung über das Gehaltssystem für Mitarbeiter mit außertariflichem
Dienstvertrag (nachfolgend: BV-Gehaltssystem-AT-1995) die Beratung nach Ziff. 3.1
Abs. 2 Satz 4. Hiermit unterlag er vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Beschluss
der 8. Kammer vom 30.01.2001, Geschäftsnummer 8 TaBV 83/00, Bl. 227 ff.). Er
verlangt mit dem vorliegenden Antrag die Festlegung eines Gehaltserhöhungsbudgets
von 3 %.
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Die BV-Gehaltssystem-AT-1995 bestimmt, soweit hier von Interesse, folgendes:
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3. Gehaltsüberprüfung
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3.1 Die Gehaltsüberprüfung findet jährlich zum 01. Januar statt.
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Die Geschäftsführung legt das Gehaltsbudget fest, das die
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allgemeine Gehaltserhöhung und das Leistungselement
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enthält. Dabei berücksichtigt sie die wirtschaftliche Lage
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der D. sowie die nationale bzw. branchenspezifische
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prozentuale Gehaltsentwicklung. Hierzu gehören sowohl
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die Gehaltsentwicklung für die AT-Mitarbeiter als auch die
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jeweiligen Tarifabschlüsse in der Branche. Zuvor beraten
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Geschäftsführung und Betriebsrat über das Verhältnis
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von allgemeiner Gehaltserhöhung und Leistungselement.
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Der Betriebsrat ist der Auffassung, dass Ziff. 3.1 der Betriebsvereinbarung die
Arbeitgeberin verpflichte, nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) das jährliche
Gehaltserhöhungsbudget festzusetzen. Ihre Entscheidung, für das Jahr 2000 keine
Gehaltserhöhung vorzunehmen, sei angesichts des in der GuV-Rechnung 1999
ausgewiesenen Jahresüberschusses unbillig. Zudem sei die für die Restrukturierung
gebildete Rückstellung überdimensioniert gewesen. Daher hätte Ende 1999 eine
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günstige Prognose der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens gestellt werden
müssen, zumal ein Erlös aus der beabsichtigten Veräußerung des Bürogebäudes zu
erwarten gewesen sei. Entsprechend der allgemeinen und branchenspezifischen
Gehaltsentwicklung im Jahr 1999 hätte die Arbeitgeberin das Gehaltserhöhungsbudget
zum 01.01.2000 um 3 % erhöhen müssen.
Der Betriebsrat hat beantragt,
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festzustellen, dass die Arbeitgeberin verpflichtet ist, das
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Gehaltserhöhungsbudget gem. Ziff. 3.1 der Betriebsvereinbarung
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vom 05.09.1995 betreffend das Gehaltssystem der außertariflichen
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Mitarbeiter ab dem 01.01.2000 auf 3 % der Gesamtheit der 1999
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den AT-Angestellten bei der Arbeitgeberin gezahlten Gehälter
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festzulegen.
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Die Arbeitgeberin hat beantragt,
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den Antrag zurückzuweisen.
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Sie hat die Auffassung vertreten, dass die BV-Gehaltssystem-AT-1995 sie nicht
verpflichte, ein jährliches Gehaltserhöhungsbudget zur Verfügung zu stellen, und im
Übrigen die Ende 1999 gestellte Prognose der schlechten wirtschaftlichen Lage des
Unternehmens verteidigt.
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Durch Beschluss vom 31.05.2001 hat das Arbeitsgericht den Antrag des Betriebsrates
zurückgewiesen. Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten
Beschwerde greift der Betriebsrat den Beschluss in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht an. Er verfolgt mit der Beschwerde seinen Antrag weiter. Die Arbeitgeberin
beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt
vollumfänglich Bezug genommen.
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II.
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht den Antrag des
Betriebsrates zurückgewiesen.
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1. Der Antrag des Betriebsrates ist zulässig.
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Er ist auf die Feststellung gerichtet, dass die Arbeitgeberin gegenüber dem Betriebsrat
verpflichtet ist, die BV-Gehaltssystem-AT-1995 mit dem reklamierten Inhalt, i. e.
Festlegung eines Gehaltserhöhungsbudgets von 3 % für das Jahr 2000, durchzuführen.
Der Betriebsrat kann nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG,
Beschluss vom 27.10.1998, 1 ABR 3/98, AP Nr. 99 zu § 87 BetrVG 1972
Lohngestaltung zu B I 3 a der Gründe, Beschluss vom 30.08.1994, 1 ABR 10/94, AP Nr.
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132 zu Art. 9 GG Arbeitskamp zu B I) vom Arbeitgeber verlangen, dass dieser eine
Betriebsvereinbarung entsprechend ihrem Regelungsgehalt im Betrieb anwendet, und
eine Meinungsverschiedenheit der Betriebspartner über den Regelungsgehalt durch die
Gerichte klären lassen.
2. Der Antrag ist aber nicht begründet. Die BV-Gehaltssystem-AT-1995 begründet keine
Verpflichtung der Arbeitgeberin, ein jährliches Gehaltserhöhungsbudget festzulegen.
Dies ergibt die Auslegung der Betriebsvereinbarung.
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a) Betriebsvereinbarungen sind nach den für die Tarifauslegung geltenden
Grundsätzen, die ihrerseits den für die Gesetzesauslegung geltenden Regeln folgen,
auszulegen. Danach ist zunächst vom Wortlaut der Betriebsvereinbarung auszugehen.
Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Betriebsparteien mit zu
berücksichtigen, soweit er in den Regelungen der Betriebsvereinbarung seinen
Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang der
Regelung, weil daraus auf den wirklichen Willen der Betriebspartner geschlossen
werden und so der Zweck der Regelung ermittelt werden kann. Lassen sich auch so
zuver-lässige Auslegungsergebnisse nicht finden, kann ohne die Bindung an eine
Reihen-folge auf weitere Kriterien sowie die Entstehungsgeschichte der
Betriebsvereinbarung, vorherige Betriebsvereinbarungen oder die Praktikabilität
denkbarer Auslegungsergebnisse zurückgegriffen werden (BAG, Urteil vom 16.09.1998,
5 AZR 598/97, AP Nr. 54 zu
40
§ 242 BGB Betriebliche Übung, zu I 1 a, BAG, Urteil vom 15.12.1998, 1 AZR 332/98, AP
Nr. 126 zu § 112 BetrVG 1972, zu I).
41
b) Aus dem Wortlaut der BV-Gehaltssystem-AT-1995 ergibt sich keine Verpflichtung der
Arbeitgeberin, ein jährliches Gehaltserhöhungsbudget festzulegen.
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Nr. 3 regelt überschriftlich die Gehaltsüberprüfung und bestimmt in Nr. 3.1, dass die
Gehaltsüberprüfung jährlich zum 01. Januar stattzufinden hat. Aus der
Überprüfungspflicht folgt kein Anspruch auf Anpassung der AT-Gehälter (vgl. BAG,
Beschluss vom 24.01.1996, 1 ABR 35/95, n. v., zu B I 2 a, Urteil vom 16.09.1998, a. a.
O., zu I 1 b).
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Nr. 3.1 Abs. 2 Satz 1 BV-Gehaltssystem-AT-1995 überlässt ausdrücklich der
Arbeitgeberin die Festlegung des Gehaltserhöhungsbudgets. Eine Verpflichtung wird
nicht statuiert. Wenn die Arbeitgeberin nach Satz 2 bestimmte Kriterien (wirtschaftliche
Lage des Unternehmens, allgemeine und branchenspezifische Gehaltsentwicklung) zu
berücksichtigen hat, so bedeutet dies schon nicht zwingend, dass andere
Gesichtspunkte außer Betracht bleiben müssen. Noch weniger ist erkennbar, dass die
Arbeitgeberin mit der Berücksichtigung sachlicher Kriterien eine Rechtsverpflichtung zur
Erhöhung der AT-Gehälter eingehen wollte. Die Regelung gibt lediglich eine rechtlich
ungesicherte Exspektanz, begründet jedoch keinen Anspruch auf Gehaltserhöhung.
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Dieser Befund wird dadurch bestätigt, dass Nr. 3 BV-Gehaltssystem-AT-1995 keine
Beteiligung des Betriebsrats bei der Festlegung eines Gehaltserhöhungsbudgets
vorsieht und die Betriebsvereinbarung keine Vergütungsansprüche von AT-Angestellten
statuiert, sondern es bei Informationsrechten belässt. Der Umstand, dass in Nr. 3
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Abs. 2 Satz 1 das (von der Arbeitgeberin festgelegte) Budget angesprochen und weder
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eine Dotierungs- noch Zahlungspflicht der Arbeitgeberin formuliert wird, spricht somit
dagegen, dass die freie unternehmenspolitische Entscheidung, ob im AT-Bereich
Gehaltserhöhungen gewährt werden, beschnitten und eine rechtliche Verbindlichkeit
der Arbeitgeber, gemäß Nr. 3.1 Abs. 2 Satz 2 BV-Gehaltssystem-AT-1995 i. V. m. § 315
BGB die AT-Gehälter zu erhöhen, erzeugt werden soll.
c) Der Gesamtzusammenhang, in dem Nr. 3.1 Abs. 2 Satz 1 u. 2 BV-Gehaltssystem-AT-
1995 steht, macht ebenfalls nicht den Regelungswillen erkennbar, dass die
Arbeitgeberin verpflichtet ist, nach wirtschaftlicher Lage des Unternehmens und
allgemeiner oder branchenspezifischer Gehaltsentwicklung ein
Gehaltserhöhungsbudget jährlich bereit zu stellen.
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Das Arbeitsgericht hat aus der Bindung der Arbeitgeberin an bestimmte Prüfkriterien (Nr.
3.1 Abs. 2 Satz 2), den detaillierten Verteilungsregeln und der Abhängigkeit der
Gehaltserhöhungsansprüche der AT-Angestellten von der Durchführung des
Festlegungsverfahrens auf die Verpflichtung der Arbeitgeberin geschlossen, gem. § 315
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Abs. 1 BGB das Gehaltserhöhungsbudget festzusetzen.
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Richtig ist, dass die Verteilungs-(verfahrens-)regelungen der BV-Gehaltssystem-AT-
1995 nur dann praktische Relevanz erhalten, wenn die Arbeitgeberin ein
Gehaltserhöhungsbudget festgelegt hat. Daraus kann jedoch nicht der Rückschluss
gezogen werden, dass die Arbeitgeberin jährlich das Budget erhöhen muss. Vielmehr
wird die Betriebsvereinbarung mit ihren Verteilungsregelungen nicht sinnlos, wenn
mangels zur Verfügungsstellung eines Budgets Gehaltserhöhungen ausbleiben. Die
Betriebspartner können nämlich daran anknüpfen, dass in der Vergangenheit die
Gehälter der AT-Mitarbeiter durchweg erhöht wurden (Aufstellung Bl. 27 d. A.) und
angesichts der Wahrscheinlichkeit, dass auch in Zukunft die Arbeitgeberin positive
Betriebsergebnisse erwirtschaften und ihr an der Anpassung der AT-Gehälter gelegen
sein wird, prophylaktisch Verteilungs- und Verfahrensgrundsätze aufstellen.
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Ebenso wenig trägt Nr. 3.1 Abs. 2 Satz 2 mit der Benennung der Gesichtspunkte
wirtschaftliche Lage und Gehaltsentwicklung die Annahme einer von der Arbeitgeberin
eingegangenen Rechtsverpflichtung. Die genannten Gesichtspunkte liegen regelmäßig
jeder Entscheidung des Unternehmers, ob und in welchem Umfang er die
außertariflichen Gehälter erhöht, zugrunde. Indem die Arbeitgeberin angekündigt hat,
unter Einbeziehung dieser Sachkriterien zu unterscheiden, hat sie nicht schon auf ihre
genuine Entscheidungsfreiheit über Budget bzw. Dotierungsrahmen verzichtet.
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Tatsächlich macht die BV-Gehaltssystem-AT-1995 den Regelungswillen der
Betriebsparteien erkennbar, den mitbestimmungsfreien Teil, nämlich die zur
Verfügungsstellung des Gehaltserhöhungsbudgets, uneingeschränkt der Arbeitgeberin
zu überlassen, hingegen den mitbestimmungspflichtigen Teil, die Verteilung des
Budgets, mit dezidierten Vorgaben und obligatorischer Beteiligung des Betriebsrates
gemäß Nr. 3.2 zu versehen. Mithin spiegelt die BV-Gehaltssystem-AT-1995 die
betriebsverfassungsgesetzliche Rechtslage wider und muss vor diesem Hintergrund
ausgelegt werden. Danach hatte der Betriebsrat bei der Festlegung der Lohnhöhe kein
Mitbestimmungsrecht (z. B. BAG, Beschluss vom 20.07.1999, 1 ABR 66/98, AP Nr. 8 zu
§ 76 BetrVG 1972 Einigungsstelle). Dies schließt zwar nicht aus, dass der Arbeitgeber
sich in einer freiwilligen Betriebsvereinbarungen zu Lohnerhöhungen verpflichtet.
Jedoch bedarf es insoweit entweder einer Regelung, die den Verpflichtungswillen
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hinreichend klar zum Ausdruck bringt, oder es ergeben sich eindeutige Anhaltspunkte
für einen solchen Willen etwa aus dem Interesse der Betriebsparteien, übertarifliche
Ansprüche aus Verträgen, Gesamtzusage oder betrieblicher Übung mit dem Ziel der
Vereinheitlichung, Vereinfachung oder größerer Sachgerechtigkeit in einer
mitbestimmten Regelung einfangen zu
wollen.
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Im Streitfall fehlt es sowohl an einer hinreichend klaren Regelung in der
Betriebsvereinbarung als auch an Anhaltspunkten in der Entstehungsgeschichte der
Vereinbarung und Zielsetzung der Betriebsparteien. Damit führt die Auslegung der BV-
Gehalts-
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system-AT-1995 zu dem Befund, dass die Betriebsparteien die zwingende
Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG verwirklichen und nicht darüber hinaus
die Grundlage für Rechtsansprüche der AT-Angestellten auf Gehaltserhöhung legen
wollten (vgl. BAG, Urteil vom 18.06.1997, 5 AZR 208/96, n. v., zu I 1 c, Urteil vom
15.11.1994, 5 AZR 682/93, AP Nr. 121 zu § 242 BGB Gleichbehandlung, zu I 1 a,
55
Urteil vom 28.09.1994, 1 AZR 870/93, AP Nr. 68 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung).
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Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Abschluss von Betriebsvereinbarungen
unter dem Gebot der Normenklarheit und der aktualisierten Ausübung der betrieblichen
Regelungsmacht steht. Hiermit verträgt sich nicht die Konstruktion einer gem. § 315 Abs.
1 BGB dem Arbeitgeber obliegenden Budgetierung. Sie läuft praktisch darauf hinaus,
dass sich die Vertriebsparteien mit einer unbestimmten Regelung begnügen und
Meinungsverschiedenheiten über die Dotierung nicht auf betrieblicher Ebene (vgl. § 76
Abs. 1, § 112 Abs. 5 Nr. 3 BetrVG) klären, sondern schiedsgutachterlich dem Gericht
überantworten. Es kann dahinstehen, inwieweit durch freiwillige Betriebsvereinbarung
die Entscheidung des Arbeitgebers über Dotierung der gerichtlichen Nachprüfung
unterworfen werden oder, falls der Arbeitgeber die Entscheidung verzögert, diese durch
das Gericht getroffen werden lassen kann. Jedenfalls ist eine Betriebsvereinbarung mit
diesem Regelungsinhalt untypisch, so dass bei der Auslegung von Regelungen, die
sich über die zur Verfügungsstellung eines Budgets verhalten und daran anknüpfen,
zunächst alles dafür spricht, dass es bei der freien, gerichtlich nicht auf Billigkeit
nachprüfbaren Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers bleibt.
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3. Selbst wenn man annimmt, dass die Entscheidung der Arbeitgeberin über ein
Gehaltserhöhungsbudget der gerichtlichen Nachprüfung auf ihre Billigkeit unterliegt, hat
der Betriebsrat mit seinem Antrag keinen Erfolg. Die Entscheidung der Arbeitgeberin,
die Gehälter im AT-Bereich zum 01.01.2000 nicht zu erhöhen, ist nicht zu beanstanden.
Dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt. Die Kammer macht sich daher insoweit
die Ausführungen des erstinstanzlichen Beschlusses zu eigen.
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Zu den Einwänden der Beschwerde ist lediglich das Folgende anzumerken.
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Zu Recht orientiert die Arbeitgeberin die Einschätzung ihrer wirtschaftlichen Lage
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(Nr. 3.1 Abs. 2 Satz 2 BV-Gehaltssystem-AT-1995) an handelsrechtliche
Jahresabschlüsse, insbesondere an der Gewinn- und Verlustrechnung (vgl. BAG, Urteil
vom 23.01.2001, 3 AZR 287/00, z. V. v., zu 2 c [4]). Die dort erfolgte Ausweisung von
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Unternehmenserfolg und Betriebsergebnissen ist zwar den betriebswirtschaftlich
gebotenen Korrekturen zugänglich. Soweit im vorliegenden Fall solche Korrekturen in
Betracht kommen, führen sie jedoch nicht zu einer derart günstigen Beurteilung, dass
die Arbeitgeberin für 2000 ein Gehaltserhöhungsbudget hätte bereitstellen müssen.
Vielmehr hält sie sich mit der beschlossenen Nullrunde im Rahmen des ihr nach § 315
Abs. 1 zustehenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums. So ist es sachgerecht,
dass sie auf das (negative) operative Ergebnis abstellte und die konzerninterne
Steuergutschrift ausklammerte. Ebenso durfte die Arbeitgeberin aus den von ihr
dargelegten Erwägungen (Schriftsatz vom 16.11.2001, dort unter III 7) einen
Rückstellungsbedarf von 85,1 Mio. DM annehmen. Ein Arbeitgeber, dem an dem
Fortbestand des Unternehmens gelegen ist, muss das worst-case-scenario bedenken
und darf aus Gründen größtmöglicher Vorsicht dafür Rückstellungen treffen. Dass später
der angenommene schlimmste Fall nicht eintritt, macht seine Entscheidung nicht
sachwidrig. Noch weniger brauchte die Arbeitgeberin prognostisch den Erlös der im
zweiten Halbjahr 2000 erfolgten Veräußerung ihres Bürogebäudes einzukalkulieren.
Zum Zeitpunkt der Gehaltsüberprüfung (01.01.2000) stand nicht fest, wann und zu
welchem Preis das Gebäude veräußert werden würde. Der Umstand, dass die
Veräußerung möglich und sogar wahrscheinlich und ein Mindesterlös absehbar war,
ersetzte nicht die für eine betriebswirtschaftlich vernünftige Prognose erforderliche
Sicherheit, dass der Erlös aus dem Verkauf des Bürogebäudes der Arbeitgeberin noch
im Jahre 2000 zufließen würde. Dabei kann dahinstehen, ob dieser außergewöhnliche
Ertrag überhaupt bei der Entscheidung über das Gehaltserhöhungsbudget zu
berücksichtigen wäre.
III.
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Die Kammer hat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beigemessen und daher
für den Betriebsrat die Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht zugelassen.
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RECHTSMITTELBELEHRUNG
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Gegen diesen Beschluss kann von dem Betriebsrat
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RECHTSBESCHWERDE
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eingelegt werden.
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Für die weiteren Beteiligten ist gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Rechtsbeschwerde muss
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innerhalb einer Notfrist von einem Monat
70
nach der Zustellung dieses Beschlusses schriftlich beim
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Bundesarbeitsgericht,
72
Hugo-Preuß-Platz 1
73
99084 Erfurt,
74
eingelegt werden.
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Die Rechtsbeschwerde ist gleichzeitig oder
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innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
77
schriftlich zu begründen.
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Die Rechtsbeschwerdeschrift und die Rechtsbeschwerdebegründung müssen von
einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
79
gez.: Dr. Plüm gez.: Brandenberg gez.: Crepaz-Ruhr
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