Urteil des LAG Düsseldorf vom 14.11.2000

LArbG Düsseldorf: kapitän, verlängerung der frist, pilot, tarifvertrag, positives recht, vergleich, vergütung, zukunft, kauf, arbeitsrecht

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 8 Sa 1524/99
Datum:
14.11.2000
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 Sa 1524/99
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Düsseldorf, 1 Ca 8177/98
Schlagworte:
Lohngleichheit
Normen:
GG Art. 3 (2)
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Das Lebenseinkommen kann einen sachlichen Grund für eine Ungleich-
behandlung im Rahmen einer neuen Tarifstruktur darstellen.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 06.08.1999
- 1 Ca 8177/98 wird auf Kosten des Klägers
zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
T A T B E S T A N D :
1
Die Parteien streiten darüber, ob tarifvertragliche Vergütungsregelungen, nach denen
der Kläger als Flugkapitän unter Umständen weniger verdient als nach ihm zum
Flugkapitän geförderte Co-Piloten, gegen Art. 3 GG verstoßen.
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Der Kläger ist seit dem 08.01.1990 bei der Beklagten beschäftigt, und zwar zunächst als
Co-Pilot und seit dem 12.12.1995 als Flugkapitän. Hierzu ist es zu diesem Zeit-punkt
gekommen, weil die Vorbeschäftigungszeiten des Klägers als Flugingenieur nach einer
Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten aufgrund des Tarifvertrages
Förderaufstieg vom 01.07.1994, der heute nicht mehr gilt, ange-rechnet wurden.
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Der Kläger ist Mitglied der DAG und der Vereinigung Cockpit. Auf das Arbeitsverhältnis
der Parteien finden die jeweiligen Tarifverträge zwischen der Beklagten und der DAG
Anwendung.
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Bei der Beklagten bestanden bis zum Jahr 1997 zwei Firmentarifverträge mit der DAG,
die die Vergütung für das Personal regelten. Sie wurden jährlich neu ausgehandelt.
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Die älteren arabischen Vergütungstarifverträge, die mit fortlaufender arabischer
Nummerierung (im Jahre 1997 VTV Nr. 24) geführt wurden , galten persönlich für alle
Mitarbeiter, die am 30.06.1993 in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis standen. Nach
diesen Vergütungstarifverträgen setzte sich das Gehalt aller bei der L.beschäftigten
Piloten, also sowohl die Gehälter der Co-Piloten als auch die der Kapitäne, aus einem
Grundgehalt und einer Flugzulage zusammen, wobei das Gehalt eines Co-Piloten
ungefähr 50 60 % des Gehaltes eines Kapitäns ausmachte. Mehr-
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flugstunden wurden gesondert vergütet. Die Höhe des Grundgehaltes war abhängig von
der Beschäftigungsdauer und der Vergütungsgruppe. Die Vergütungsgruppen waren
unterteilt in die Gruppe der Kapitäne und die der Co-Piloten. Bei dem Gehalts-
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faktor Beschäftigungsdauer wurden drei Gruppen unterschieden: Die Anfangsstufe (0 18
Monate), die Übergangsstufe (19 36 Monate) und die Endstufe (36 Monate bis zum
Ausscheiden). Bei einer Umschulung vom Co-Piloten zum Kapitän wurde der
betreffende Arbeitnehmer in die Anfangsstufe der Kapitäne eingeordnet. Die Flug-
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zulage ist ein Stundensatz, der mit der monatlichen Flugstundenzahl multipliziert wird.
Die Zulage war für Co-Piloten und Kapitäne unterschiedlich hoch, blieb aber, anders als
das Grundgehalt, unabhängig von der Beschäftigungsdauer gleich. Damit ergaben sich
im Jahre 1997 folgende Gehaltszahlen:
9
VTV Nr. 24
10
( Arabischer Tarifvertrag )
11
Grundgehalt
12
Flugzulage
13
Vergütungsgruppe: Kapitäne
14
Anfangsstufe
15
14.678,00 DM
16
67,93 DM / Flugstunde
17
Übergangsstufe
18
15.483,00 DM
19
67,93 DM / Flugstunde
20
Endstufe
21
16.287,00 DM
22
67,93 DM / Flugstunde
23
Vergütungsgruppe:
24
Co-Piloten
25
Anfangsstufe
26
7.480,00 DM
27
43,16 DM / Flugstunde
28
Übergangsstufe
29
8.165,00 DM
30
43,16 DM / Flugstunde
31
Endstufe
32
9.773,00 DM
33
43,16 DM / Flugstunde
34
Im Jahre 1994 wurde erstmalig ein zweiter Vergütungstarifvertrag mit einer gegenüber
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dem VTV Nr. 24 abgesenkten Gehaltsstruktur abgeschlossen. Diese römischen
Tarifverträge (1994: VTV Nr. I, 1995: VTV Nr. II ), galten für Mitarbeiter wie den Kläger,
die nach dem 30.06.1993 eingestellt oder zum Kapitän gefördert wurden. Die
Gehaltsstruktur für Kapitäne und Co-Piloten wurde insofern den arabischen Tarif-
verträgen angepasst, als sich das Gehalt wieder aus einem Grundgehalt und einer
Flugzulage zusammensetzte. Anstelle der Einteilung nach Vergütungsgruppen und
Beschäftigungsdauer wurde jetzt ein Anfangsgehalt festgesetzt, das sich einmal im Jahr
um einen Steigerungsbetrag von 328,00 DM erhöhte, bis das Endgehalt er-
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reicht wurde. Wurde ein Co-Pilot zum Kapitän gefördert, erhielt er als Anfangsgehalt
sein letztes Gehalt als Co-Pilot, ergänzt um einen sogenannten Umgruppierungs-
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betrag , dessen Höhe ebenfalls bei Abschluss der jährlichen Vergütungstarifverträge
neu ausgehandelt wurde. Er betrug im Jahre 1995 3.170,00 DM, im Jahre 1997 3.275,00
DM. Die Flugzulage blieb in ihrer Struktur gegenüber den arabischen Tarifverträgen
unverändert. Im Jahre 1997 sah der römische Tarifvertrag folgende Gehälter vor:
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VTV Nr. IV
39
(Römischer Tarifvertrag)
40
Grundgehalt
41
Flugzulage
42
Kapitäne
43
Endgehalt
44
14.191,00 DM
45
54,59 DM / Flugstunde
46
Steigerungsbetrag
47
328,00 DM
48
Umgruppierungsbetrag
49
3.275,00 DM
50
Co-Piloten
51
Anfangsgehalt
52
6.441,00 DM
53
28,63 DM / Flugstunde
54
Steigerungsbetrag
55
328,00 DM
56
Endgehalt
57
9.061,00 DM
58
Im November 1997 fusionierte die L.mit der bis dahin selbständigen
Schwestergesellschaft L. Süd, bei der ebenfalls zwei Gehalts-Firmentarifverträge
bestanden, die nach dem Einstellungs- bzw. Beförderungsdatum differenzierten. Bei
den Fusionsverhandlungen einigten sich die Tarifpartner darauf, die Tarifstrukturen zu
vereinheitlichen und schlossen für das gesamte Bordpersonal einen einzigen
Gehaltstarifvertrag, den VTV Nr. 25, ab, der am 01.11.1997 in Kraft trat. Er ersetzte nach
§ 10 die zu diesem Zeitpunkt bei der L. bestehenden Vergütungstarifverträge VTV Nr. 24
und VTV Nr. IV sowie die Vergütungstarifverträge Nr. 6 und VTV Nr. IV der ehemaligen
L. Süd.
59
Bei der Umstellung der Mitarbeiter auf den neuen Gehaltstarifvertrag wurde gemäß
60
§ 3 a Nr. 1 a des VTV Nr. 25 für jeden Mitarbeiter des fliegenden Personals (Kapitäne,
Co-Piloten und Flugbegleiter) das Gesamtgehalt Stichtag 31.10.1997 errechnet.
Grundlage war das aktuelle Grundgehalt mit einer fiktiven Flugzulage auf einer Basis
von 75 Flugstunden. Dabei ergaben sich für den Kläger, der Ende 1995 zum Kapitän
gefördert wurde, beispielsweise folgende Zahlen:
61
Grundgehalt: 13.377,00 DM
62
Flugzulage bei 75 Stunden: 4.094,25 DM
63
Gesamtgehalt: 17.471,25 DM.
64
Das jeweilige Gesamtgehalt wurde als sogenannte individuelle Zwischenstufe jedes
Mitarbeiters mit den Gehaltsstufen des neuen Vergütungstarifvertrages VTV Nr. 25
verglichen. Gemäß § 3 a Nr. 2 des VTV Nr. 25 wurde jeder Mitarbeiter am 01.11.1998
der über der individuellen Zwischenstufe liegenden Vergütungsstufe zugeordnet.
65
Vergütungsstufen Kapitäne nach VTV Nr. 25
66
Stufe
67
Grundgehalt
68
Flugzulage
69
1
70
12.311,95 DM
71
49,03 DM / Flugstunde
72
2
73
12.556,17 DM
74
50,01 DM / Flugstunde
75
3
76
12.800,40 DM
77
50,98 DM / Flugstunde
78
4
79
13.044,62 DM
80
51,95 DM / Flugstunde
81
5
82
13.288,84 DM
83
52,93 DM / Flugstunde
84
6
85
13.533,06 DM
86
53,90 DM / Flugstunde
87
7
88
13.777,28 DM
89
54,87 DM / Flugstunde
90
8
91
14.021,50 DM
92
55,84 DM / Flugstunde
93
9 u. s. w.
94
...
95
...
96
Der Kläger, dessen Gesamtgehalt in Höhe von 17.471,25 DM am Stichtag zwischen
Vergütungsstufe fünf und sechs lag, erhielt folglich ab 01.11.1998 nach Vergütungs-
97
stufe sechs ein neues Grundgehalt von 13.533,06 DM und eine Flugzulage von 53,90
DM / Flugstunde. Nach dem VTV Nr. 25 wird das Grundgehalt der Kapitäne und Co-
98
Piloten wie zuvor in den römischen Tarifverträgen jährlich um einen Steigerungsbetrag
99
- hier von 244,22 DM erhöht. Neu geregelt wurde, dass sich nach dem VTV Nr. 25 die
ebenfalls fortbestehende Flugzulage mit zunehmender Beschäftigungsdauer erhöht.
100
Die weitreichendste Veränderung war die Verbesserung der Vergütung für Umschüler
vom Co-Piloten zum Kapitän. Nach dem VTV Nr. 25 setzt sich das Anfangsgehalt eines
geförderten Kapitäns wie in den römischen Tarifverträgen aus seinem letzten Gehalt als
Co-Pilot, ergänzt um den Umgruppierungsbetrag, zusammen. Der Um-
gruppierungsbetrag wurde im VTV Nr. 25 von 3.275,00 DM auf 4.528,56 DM erhöht. Der
erhöhte Umgruppierungsbetrag hat zur Folge, dass die Kapitäne, die unter Geltung der
alten Tarifverträge zum Kapitän gefördert wurden, unter bestimmten Umständen weniger
verdienen als ihre nach dem neuen VTV Nr. 25 geförderten Kollegen.
101
Mit der am 16.12.1998 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger mit
Zahlungsanträgen bzw. mit einem Feststellungsantrag Vergütung begehrt für die Zeit ab
01.11.1997 nach den unter Berücksichtigung des erhöhten Umgruppierungsbetrages
sich für ihn ergebenden Vergütungsstufen 11, 12 bzw. 13.
102
Der Kläger hat die Auffassung vertreten:
103
Der VTV Nr. 25 sei materiell rechtswidrig. Die materielle Rechtswidrigkeit ergebe sich
aus einem Verstoß gegen Art. 3 GG. Flugkapitäne, die unter dem VTV Nr. IV um-
geschult worden seien, würden aufgrund des geringeren Umschulungsbetrages ohne
sachlichen Grund schlechter entlohnt als solche, die unter dem VTV Nr. 25 umgeschult
würden. Aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz stehe ihm die Differenz zu.
104
Hierzu hat der Kläger behauptet:
105
Die nach ihm zum Kapitän geförderten Co-Piloten erhielten die Endstufe auch früher als
er. Es handele sich um eine Differenz von fünf Vergütungsgruppen. Die ansonsten
vergleichbaren Kapitäne verdienten mindestens acht Jahre 1.350,03 DM mehr als er.
Ein Gleichstand sei erstmals im Jahre 2011 erreicht. In ähnlicher Lage befänden sich
weitere 60 Arbeitskollegen.
106
Der Kläger hat beantragt,
107
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 23.249,23 DM nebst 4 % Zinsen
108
aus 1.253,56 DM seit dem 01.12.1997, aus 1.880,34 DM seit dem
109
01.01.1998, aus jeweils 1.253,56 DM seit dem 01.02.1998,
110
01.03.1998, 01.05.1998 aus 1.880,34 DM, seit dem 01.05.1998,
111
aus weiteren 1.253,56 DM seit dem 01.07.1998 sowie dem
112
01.08.1998, dem 01.09.1998, 01.10.1998 und 01.11.1998 zu
113
zahlen, weitere 4 % Zinsen aus 2.196,15 DM seit dem 01.12.1998
114
sowie aus 1.585,60 DM jeweils 4 % Zinsen seit dem 01.01.1999
115
und 01.03.1999,
116
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn ab dem 01.03.1999 nach der
Vergütungsgruppe 12 des VTV Nr. 25
117
vom 01.12.1997 und ab dem 01.05.1999 nach der Vergütungs-
118
gruppe 13 zu vergüten.
119
Die Beklagte hat beantragt,
120
den Kläger mit der Klage abzuweisen.
121
Sie hat die Auffassung vertreten:
122
Es liege keine Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte vor. Für vor-
genommene Differenzierungen bestünden sachliche Gründe. Die Tarifvertrags-
123
parteien hätten sich im Rahmen der Tarifautonomie bewegt. Im Übrigen sei der
124
Kläger nicht mit Co-Piloten vergleichbar, die erst nach dem 01.11.1997, das heißt nach
Inkrafttreten des VTV Nr. 25, zum Kapitän gefördert worden seien. Der Kläger lasse
nämlich unberücksichtigt, dass er bereits seit dem 01.12.1995 als Kapitän beschäftigt
und seitdem auch als solcher vergütet werde. Dagegen flögen die Kollegen, auf die der
125
Kläger abstelle, zum Teil heute noch als Co-Piloten, obwohl sie eine teilweise längere
Betriebszugehörigkeit als der Kläger hätten. Der Kläger müsse sich entgegenhalten
lassen, dass er zu einem Kollegen, der erst nach dem 01.11.1997 gefördert worden sei,
einen Vorsprung als Kapitän von mindestens 24 Monaten habe. Betragsmäßig bedeute
dies einen Vorteil von mindestens 80.000,00 DM zu Gunsten des Klägers.
Berücksichtige man, dass die erste Förderung vom Co-Piloten zum Kapitän nach den
neuen VTV Nr. 25 im Dezember 1998 abgeschlossen worden sei, so verbuche der
Kläger sogar einen Vorteil von drei Jahren für sich.
Hierzu hat sie behauptet:
126
Es sei dem vom Kläger vermittelten Eindruck entgegenzuwirken, dass sich seine
finanzielle Situation durch den VTV Nr. 25 verschlechtert habe oder verschlechtern
werde. Unstreitig nehme der Kläger über den VTV Nr. 25 an einer Gehaltsentwicklung
teil, die er bei einem Fortbestand oder bei einer Weiterentwicklung des römischen
Vergütungstarifvertrages nicht hätte erreichen können. Nach der Anlage II zum VTV Nr.
25 könne der Kläger ein Grundgehalt in Höhe von 16.763,71 DM (Stand 01.11.1997)
erreichen. Zuzüglich einer unterstellten Flugzulage auf der Basis von 75 Flugstunden
pro Monat multipliziert mit DM 65,57 errechne sich somit ein Gesamt-gehalt in Höhe von
21.381,44 DM. Im Vergleich dazu habe das Gehalt für Kapitäne nach dem VTV IV auf
der Basis von 75 Flugstunden 18.285,25 DM betragen, so dass sich ein Differenzbetrag
in Höhe von 3.096,19 DM ergebe. Vergleichbar mit dem VTV Nr. 25 wäre für den Kläger
bereits zwischen der Stufe 8 und 9 das Endgehalt erreicht gewesen. Im Rahmen der
Tarifgespräche hätten sich die Tarifvertragsparteien darauf geeinigt, den
Umgruppierungsbetrag vom Co-Piloten zum Kapitän von vormals 3.275,00 DM auf
4.528,56 DM zu erhöhen. Die Steigerung sei erfolgt auf Betreiben der DAG. Die DAG
habe nämlich verlangt, dass in einem vorgegebenen insgesamt überschaubaren und
realistischen Zeitrahmen das Endgehalt des VTV Nr. 25 erreicht werden könne. Die
Tarifvertragsparteien seien dabei von dem theoretischen Ansatz ausgegangen, dass
unter den derzeitigen Voraussetzungen eine Kapitänswerdung in der Regel erst nach
einer zehnjährigen Tätigkeit als Co-Pilot möglich sei. Diese Annahme werde höchst
anschaulich bestätigt, wenn man die Senioritätsdaten der Co-Piloten zugrunde lege, die
zukünftig zum Kapitän gefördert würden, soweit überhaupt Bedarf vorhanden sei. In der
Regel seien Co-Piloten betroffen, die auf eine fast annähernd zehnjährige
Betriebszugehörigkeit zurückblicken könnten. Da die DAG nicht bereit gewesen sei,
noch einige Stufen (z. B. 19, 20) anzuhängen, sei der erhöhte Umgruppierungsbetrag
das Ergebnis der neuen Struktur der Vergütungsstufen. Eine andere Lösung habe es in
den möglichen verhandelbaren Rahmenbedingungen nicht gegeben. Die DAG habe
sich von der Vorstellung leiten lassen, dass ein Arbeitnehmer, der als Co-Pilot bei der
Beklagten beginne, noch nach 24 Jahren die Endstufe erreichen könne, immer
vorausgesetzt, dass er rechtzeitig bei der Beklagten eingestiegen und ein Bedarf an
Kapitänen vorhanden sei. Dieses Ziel wäre bei einer Beibehaltung des
Umgruppierungsbetrages von 3.275,00 DM nicht im Sinne der Vorstellung der DAG
erreicht worden. Dabei hätten die Tarifvertragsparteien bewusst unterschiedliche
Auswirkungen auf einzelne Mitarbeiter des fliegenden Personals in Kauf genommen,
um das gesteckte Ziel zu erreichen. Allen Beteiligten sei klar gewesen, dass ein Co-
Pilot, der nach dem 01.11.1997 gefördert werde, vorübergehend wegen des höheren
Umgruppierungsbetrages eine höhere Vergütung erzielen könne als derjenige, der, wie
zum Beispiel der Kläger, noch vor dem 01.11.1997 mit dem alten
Umgruppierungsbetrag in Höhe von 3.275,00 DM umgruppiert worden sei. Im Übrigen
müsse berücksichtigt werden, dass die Tarifvertragsparteien im Rahmen der
127
Verhandlungen aus vier unterschiedlichen Vergütungstarifverträgen einen einheitlichen
Vergütungstarifvertrag hätten machen müssen. Die pauschale Behauptung des Klägers,
dass diejenigen, die in den Geltungsbereich des römischen Vergütungstarifvertrages
fielen, schlechter vergütet würden, als diejenigen, die im Rahmen des VTV Nr. 25
umgruppiert würden, sei unrichtig. Eine Vielzahl von Co-Piloten sei kurz nach
Inkrafttreten der römischen Vergütungstarifverträge bei ihr und ihrer
Schwestergesellschaft, der L. Süd, zu Kapitänen gefördert worden und partizipierten
bereits an den jährlichen Steigerungsbeträgen sowie an den tariflichen Erhöhungen, so
dass ein gehaltlicher Unterschied durch den höheren Umgruppierungsbetrag nach VTV
Nr. 25 nicht feststellbar sei. Der VTV Nr. 25 sei in dem Bewusstsein und der Kenntnis
der Tarifvertragsparteien abgeschlossen worden, dass sich bei einer einheitlichen
Vergütungsstruktur gleich oder teilweise vorübergehend unterschiedliche
Vergütungsergebnisse miteinander vergleichbarer Berufsgruppen ergeben würden. Es
ließe sich auch eine Vielzahl von Piloten benennen, die noch heute als Co-Piloten
eingesetzt würden und eine längere Betriebszugehörigkeit als der Kläger aufwiesen.
Mit Urteil vom 06.08.1999 hat das Arbeitsgericht den Kläger mit der Klage abgewiesen
und hat dies wie folgt begründet:
128
Es könne dahinstehen, ob der VTV Nr. 25 gegen Art. 3 GG verstoße. Selbst bei partieller
Nichtigkeit des VTV Nr. 25 ergebe sich daraus kein Anspruch des Klägers, denn er
könne aus einer nichtigen Tarifnorm keine Rechte herleiten. Den Gerichten sei es
verwehrt, die nichtige Tarifnorm durch eine andere Norm zu ersetzen oder zu ergänzen,
denn dies stelle einen unzulässigen Eingriff in die Tarifautonomie dar. Die
Tarifvertragsparteien seien verpflichtet, bei nichtigen Tarifnormen auch für die
Vergangenheit eine verfassungsgemäße Regelung herbeizuführen. Die Gerichte
könnten eine Tarifnorm nur dann ergänzen, wenn praktisch nur eine Möglichkeit zur
Beseitigung der verfassungswidrigen Regelung bleibe. Dies sei bei der vorliegenden
Konstellation nicht der Fall, denn die Vergütungssystematik sei so differenziert, dass
eine Vielzahl von Möglichkeiten bestehe.
129
Gegen dieses dem Kläger am 14.09.1999 zugestellte Urteil hat er am 14.10.1999
Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Frist bis zum 29.11.1999 am
29.11.1999 begründet.
130
Der Kläger vertritt die Auffassung:
131
Es liege ein Verstoß gegen Art. 3 GG vor, an den die Tarifvertragsparteien gebunden
seien. Verletzt sei der Grundsatz Gleicher Lohn für gleiche Arbeit . Durch die ver-
132
änderte Vergütungsstruktur erhielten unter dem VTV Nr. 25 umgeschulte Piloten
gleicher Seniorität über acht Jahre hinweg ein höheres Gehalt als er der Kläger und
erreichten die Endstufe der Vergütung sechs Jahre früher, was auch zu Differenzen im
Lebenseinkommen führte. Vergleichbar sei er der Kläger aufgrund des unter-
133
schiedlichen Verantwortungsbereiches nur mit anderen Kapitänen, nicht mit Co-
134
Piloten. Die Zusammenführung von verschiedenen Tarifverträgen erkläre lediglich das
Zustandekommen der Ungleichbehandlung, stelle aber keine sachliche Rechtfertigung
dar. Der Erfüllungsanspruch ergebe sich aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz, der
wegen des Schutzprinzips anspruchsbegründende Wirkung habe. Ein Eingriff in die
135
Tarifautonomie liege darin nicht, da diese durch einen verfassungswidrigen Tarifvertrag
überhaupt nicht ausgeübt worden sei. Die Verfassungsmäßigkeit des VTV Nr. 25 könne
nicht offengelassen werden, da das Ziel der Gleichbehandlung ausschließlich durch
eine Anhebung seines Gehaltes erreicht werden könne.
Der Kläger beantragt,
136
1. das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 06.08.1999
137
abzuändern,
138
2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 51.520,57 DM brutto
139
nebst 4 % Zinsen aus 1.253,56 DM ab dem 01.12.1997, 01.01.1998,
140
01.02.1998, 01.03.1998, 01.04.1998, 01.05.1998, 01.06.1998,
141
01.07.1998, 01.08.1998, 01.09.1998, 01.10.1998 sowie dem
142
01.11.1998, nebst weiteren 4 % Zinsen aus 1.585,60 DM seit
143
dem 01.12.1998 und 01.01.1999, nebst weiteren 4 % Zinsen
144
aus 1.585,60 seit dem 01.02.1999, 01.03.1999, 01.04.1999,
145
01.05.1999, nebst weiteren 4 % Zinsen aus 1.586,35 DM
146
seit dem 01.06.1999, 01.07.1999, 01.08.1999, 01.09.1999,
147
01.10.1999, 01.11.1999, 01.12.1999, 01.01.2000, 01.02.2000,
148
01.03.2000, 01.04.2000 sowie 01.05.2000 und schließlich
149
nebst weiteren 8,25 % aus 1.585,61 DM seit dem 01.06.2000,
150
01.07.2000, 01.08.2000, 01.09.2000 und 01.10.2000 zu
151
zahlen,
152
3. festzustellen, dass er ab dem 01.11.1997 nach der individuellen
153
Grundgehaltszwischenstufe 10/11 in Höhe von 14.630,56 DM
154
ab dem 01.11.1999 nach der Vergütungsstufe 11, ab dem
155
01.01.1999 nach der Vergütungsstufe 12, ab dem 01.05.1999
156
nach der Vergütungsstufe 13 und ab dem 01.05.2000 nach der
157
Vergütungsstufe 14 des VTV Nr. 25 vom 01.12.1997 zu ver-
158
güten war,
159
4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihn ab dem
160
01.10.2000 nach der Vergütungsgruppe 14 des VTV Nr. 25
161
vom 01.12.1997 zu vergüten.
162
Die Beklagte beantragt,
163
die Berufung zurückzuweisen.
164
Die Beklagte vertritt die Auffassung:
165
Die Vergütungsregelung des VTV Nr. 25 würden dem aufgrund der Tarifautonomie
eingeschränkten Prüfungsmaßstab für Art. 3 GG gerecht. Eine Vergleichbarkeit mit den
nach dem 01.11.1997 geförderten Kapitänen bestehe nicht, denn diesen gegenüber
habe der Kläger einen Vorsprung als Kapitän von mindestens 24 Monaten, was einen
Betrag von etwa 80.000,00 DM ausmache. Die Tarifvertragsparteien hätten bei den
Verhandlungen Wert darauf gelegt, die Besitzstände aller Mitarbeiter zu wahren sowie
die Endstufe eines Pilotengehaltes in einer üblichen Pilotenlaufbahn erreichbar zu
machen. Dies sei mit dem VTV Nr. 25 gelungen. Niemand, auch nicht der Kläger, stehe
sich schlechter als zuvor. Der höhere Umgruppierungsbetrag stelle einen Aus-
166
gleich für zur zeit schlechtere Beförderungschancen dar. Anders als der Kläger, der
aufgrund von damals für ihn geltenden günstigen Regelungen im Tarifvertrag nach nur
fünfjähriger Co-Pilotentätigkeit Kapitän geworden sei, hätten zur Zeit der Fusion tätige
Co-Piloten erst nach einer durchschnittlich zehnjährigen Tätigkeit mit einer Förderung
zum Kapitän rechnen können. Die kurzzeitigen, sich angleichenden Gehaltsdifferenzen
seien bewusst in Kauf genommen worden. Selbst wenn die Vergütungsregelungen
nichtig seien, sei es zunächst die ureigene Angelegenheit der Tarifvertragsparteien, sie
durch andere Vorschriften zu ersetzen. Aufgrund der beträchtlichen finanziellen Mehr-
167
belastung sei eine Anhebung der unter dem VTV Nr. IV geförderten Piloten auf das
Niveau des VTV Nr. 25 für die Beklagte als Tarifvertragspartei damals nicht vertretbar
gewesen. Es hätte dann das Gehaltsniveau der Piloten insgesamt reduziert werden
müssen.
168
Wegen der sonstigen Einzelheiten wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der Akte
Bezug genommen.
169
Die Kammer hat Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten, die Erhöhung
des Umgruppierungsbetrages sei auf Drängen der DAG unter den im Tatbestand
geschilderten Umständen vereinbart worden, durch Vernehmung der Zeugen Dr. N.und
Dr. I., auf deren protokollierte Aussagen (Bl. 362 ff d. A.) verwiesen sei.
170
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
171
Die Berufung ist zulässig.
172
Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerde-
173
gegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 ArbGG), sowie in gesetzlicher Form und Frist
eingelegt (§§ 518 Abs. 1, Abs. 2 ZPO, 66 Abs. 1 ArbGG) und begründet worden
(§§ 519 Abs. 2, Abs. 3 ZPO, 66 Abs. 1 ArbGG).
174
Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
175
Nachdem der Kläger im Rahmen seines Schriftsatzes vom 25.10.2000 erstmals die
exakten Flugstunden für den Berechnungszeitraum 01.11.1997 bis 30.09.2000 ange-
176
geben hat, ist der Zahlungsantrag zu 2) so nicht mehr zutreffend, da bisher der Kläger
pauschal und generell von (geschätzten) 75 Flugstunden ausgegangen war. Dies betrifft
jedoch nur die Höhe des Anspruchs.
177
Die Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des Feststellungsanträge zu 3) und 4) hat
die Beklagte dadurch ausgeräumt, dass sie in der letzten mündlichen Verhandlung
zweiter Instanz auf Anregung der Kammer zu Protokoll erklärt hat, dass sie sich im Falle
des Klägers nach den Feststellungsanträgen richten werde.
178
Die zulässige Klage ist jedoch nicht begründet, womit die Kammer dem Arbeitsgericht
im Ergebnis, nicht jedoch in der Begründung, folgt.
179
Soweit das Arbeitsgericht darauf abstellt, es sei den Gerichten grundsätzlich verwehrt,
eine nichtige Tarifnorm durch eine andere Norm zu ersetzen oder zu ergänzen,
entspricht dies der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG, Urteil vom
13.11.1985 - 4 AZR 234/84 -, AP Nr. 136 zu Art. 3 GG). Wegen der Tarifautonomie des
Art. 9 Abs. 3 GG haben die Gerichte keine Befugnis zur eigenen Normsetzung, diese
bleibt vielmehr dem Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien überlassen.
Grundsätzlich wirkt ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz daher nicht
anspruchsbegründend.
180
Anders als das Bundesverfassungsgericht, dass sich in der Regel auf eine bloße Un-
181
vereinbarerklärung beschränkt und dem Gesetzgeber eine Korrekturpflicht auferlegt (vgl.
Sachs, Zu den Folgen von Gleichheitsverstößen in Tarifverträgen, RdA 1989, 25 ff, 27 ff;
Dieterich, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, Art. 3 GG, Rdn. 57), behandelt das
Bundesarbeitsgericht in ständiger Rechtsprechung gleichheitswidrige Tarifverträge als
ganz oder teilweise nichtig (vgl. BAG, Urteil vom 20.04.1997 - 4 AZR 732/75 - AP Nr.
111 zu Art. 3 GG; BAG, a. a. O., AP Nr. 136 zu Art. 3 GG). Dies ergibt sich aus dem
Charakter des arbeitsrechtlichen Verfahrens als Parteiprozess: Die Arbeitsgerichte
haben selbst die Verwerfungskompetenz, die normunterworfenen Arbeitgeber und
Arbeitnehmer können aufgrund des rechtsstaatlichen Rechtsverweigerungsverbotes
eine abschließende Entscheidung verlangen (vgl. Sachs, a. a. O., S. 34; Dieterich, a. a.
O., Rdn. 61; BAG, Urteil vom 14.12.1982 - 3 AZR 251/80 -, AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG
Besitzstand). Die Rechtsfolge der (Teil)Nichtigkeit wird vom Bundesarbeitsgericht durch
einen Rückgriff auf § 134 BGB, teilweise auf §§ 139, 140 BGB erreicht (vgl. BAG, a. a.
O., AP Nr. 111 zu Art. 3 GG; BAG, a. a. O., AP Nr. 136 zu Art. 3 GG), nach anderer
Auffassung ergibt sie sich aus dem Charakter als ranghöherer Rechtsquelle sowie aus
den Grundsätzen über die Nichtigkeit von Gesetzen (vgl. Wiedemann, TVG, A.
Einleitung Rdn. 263; Sachs, a. a. O., S. 34).
182
Jedoch begründet auch das Bundesarbeitsgericht Ansprüche, die im Tarifvertrag nicht
vorgesehen waren, wenn für die Beseitigung der Gleichheitsverletzung, die grund-
sätzlich auf beliebige Weise möglich ist, nur der Weg bleibt, die Gleichstellung durch
Ausdehnung der nicht mehr zu beseitigenden Normfolgen auf die gleichheitswidrig
Ausgeschlossene herbeizuführen (vgl. BAG, a. a. O., AP Nr. 136 zu Art. 3 GG; BAG,
Urteil vom 28.07.1992 - 3 AZR 553/91 - WiR 1992, 380; BAG, Urteil vom 16.01.1996 - 3
AZR 767/94 - AP Nr. 222 zu Art. 3 GG). Die ungewollte Regelungslücke darf im Wege
der ergänzenden Vertragsauslegung dann geschlossen werden, wenn für die
Vergangenheit und die Zukunft nur eine einzige Lösungsmöglichkeit in Betracht kommt.
183
Soweit das Arbeitsgericht darauf abstellt, bei der vorliegenden Fallkonstellation
bestünden eine Fülle von Möglichkeiten, einen verfassungsmäßigen Zustand her-
184
zustellen und dabei insbesondere darauf hinweist, dass sich das Entgelt aus mehreren
Komponenten zusammensetzte, sind dabei die Besonderheiten von in der Vergangen-
185
heit liegenden Gleichheitsverstößen zu berücksichtigen. Eine Herstellung der Gleich-
186
heit durch Wiederherstellung der vor Änderung des Tarifvertrages geltenden Rechts-
187
lage kann an der Begrenzung bereicherungsrechtlicher Rückzahlungspflichten (§ 818
Abs. 3 BGB), an Verjährungs- oder tariflichen Ausschlussfristen oder aus Gesichts-
188
punkten der Besitzstandswahrung scheitern (vgl. Sachs, a. a. O., S. 35; Dieterich, a. a.
O., Rdn. 63). Im vorliegenden Fall ist es ausgeschlossen, seit 1997 gezahlte Entgelte
von den unter dem VTV Nr. 25 geförderten Kapitänen zurückzufordern. Dafür gäbe es
keine Anspruchsgrundlage.
189
Die Frage, ob dies hier dazu führt, dass der Kläger für die Vergangenheit so gestellt wird
wie die Co-Piloten, die nach dem VTV Nr. 25 zum Kapitän gefördert worden sind, hängt
davon ab, ob man hier mit Hanau (von der Beklagten vorgelegtes Gutachten Seite 25,
Bl. 314 ff, 338 d. A.) einen Unterschied zur bisherigen Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts darin sieht, dass es sich in den vom Bundesarbeitsgericht
entschiedenen Fällen um betragsmäßig feste Leistungen (etwa bei der Jubiläums- und
der Ehegattenzulage), oder um Begünstigungen handelte, deren Höhe nach abstrakten
Bestimmungen zweifelsfrei ermittelt werden konnte (wie in den Fällen der
Altersversorgung), während sich hier die begünstigende Regelung nicht eindeutig vom
Restentgelt abgrenzen lässt, so dass eine Vielzahl von Möglichkeiten besteht, einen
verfassungsgemäßen Zustand herzustellen. Insoweit sei auf die oben genannten
Ausführungen von Hanau verwiesen.
190
In jedem Falle hätte das Arbeitsgericht die Frage der Gleichheitswidrigkeit des VTV
191
Nr. 25 mit dieser Begründung nicht offen lassen können, da bei einer Gleichheits-
192
widrigkeit für die Vergangenheit der Klage entweder hätte stattgegeben werden müssen
oder für Vergangenheit und Zukunft der Rechtsstreit bis zu einer Neu-
193
regelung der Tarifvertragsparteien gegebenenfalls befristet hätte ausgesetzt werden
müssen.
194
Nach Auffassung der Kammer verstößt der VTV Nr. 25 jedoch weder gegen den
Grundsatz Gleicher Lohn für gleiche Arbeit oder gegen den arbeitsrechtlichen
Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen Art. 3 GG.
195
Der Grundsatz Gleicher Lohn für gleiche Arbeit stellt keine allgemeingültige An-
spruchsgrundlage in Form eines überpositiven Grundsatzes dar, sondern bedarf der
Umsetzung in positives Recht, wie dies zum Beispiel in § 612 Abs. 3 BGB erfolgt ist (vgl.
BAG, Urteil vom 21.06.2000 5 AZR 806/98 - ZiP 2000, 1680).
196
Der gewohnheitsrechtlich auf der Umsetzung von Grundrechten beruhende, einfach-
197
rechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz besagt, dass der Arbeitgeber einzelne Arbeit-
198
nehmer im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern, die sich gruppenmäßig in einer ver-
199
gleichbaren Lage befinden, nicht willkürlich, also sachfremd, schlechterstellen darf (vgl.
Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 9. A., § 112 I 5, 6; Dütz, Arbeitsrecht, 5. A. Rdn. 50).
Anders als der Grundsatz Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist in Rechtsprechung und
Literatur die anspruchsbegründende Wirkung des Gleichbehandlungsgrundsatzes
anerkannt, das bedeutet, dass der willkürlich Ausgeschlossene wegen der Unwirksam-
200
keit dieses Ausschlusses Anspruch auf dieselben Leistungen hat, von denen er zu
Unrecht ausgeschlossen wurde. Dabei handelt es sich um einen Erfüllungsanspruch, so
dass es auf ein Verschulden des Arbeitgebers nicht ankommt (vgl. Dütz, a. a. O.,
201
Rdn. 50; Lieb, Arbeitsrecht, 6. A., Rdn. 104).
202
Jedoch ist Adressat des Gleichbehandlungsgrundsatzes ausschließlich der Arbeit-
geber. Bei kollektiver Normsetzung durch Tarifvertrag gestaltet der Arbeitgeber nicht den
Inhalt des Arbeitsverhältnisses, sondern wendet nur normativ geltende tarif-
203
liche Bestimmungen an. Der Tarifvertrag ist keine vom Arbeitgeber freiwillig ab-
204
geschlossene Vereinbarung, sondern steht unter dem Zwang zur Einigung (vgl. BAG,
Urteil vom 17.10.1995 3 AZR 882/94 BB 1996, 380, 381; BAG, Urteil vom 26.04.2000 4
AZR 177/99, DB 2000, 978). Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist gegenüber
Regelungen in einem Kollektivvertrag subsidiärer Gestaltungsfaktor (vgl. Richardi,
MünchArbR, 2. A. Bd. 1, 1992, § 14 Rdn. 2).
205
Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist daher innerhalb des VTV Nr. 25 als kollektiv-
rechtliche Norm nicht anwendbar.
206
Die Frage, ob und inwieweit die Tarifvertragsparteien an die Grundrechte im Allge-
meinen und nach Art. 3 Abs. 1 GG im Besonderen gebunden sind, war lange un-
207
umstritten. In seinem sogenannten Lohngleichheitsurteil legte der Erste Senat des
Bundesarbeitsgerichts die unmittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien
fest (vgl. BAG, Urteil vom 15.01.1955 - 1 AZR 305/54 -, AP Nr. 4 zu Art. 3 GG).
Entsprechend der sogenannten Delegationstheorie bänden nach Art. 1 Abs. 3 GG die
nachfolgenden Grundrechte auch die Gesetzgebung als unmittelbar geltendes Recht.
Tarifverträge seien aber Gesetzgebung im materiellen Sinne, weil sie namentlich in
208
ihren Arbeitsbedingungen objektives Recht für die Arbeitsverhältnisse der Beteiligten
setzten. Das ergebe sich zwingend aus § 1 TVG. Hiernach enthalte der Tarifvertrag
Rechsnormen. In ständiger Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht später
ausgeführt, die Tarifvertragsparteien müssten sich wie der Gesetzgeber an die zentrale
Gerechtigkeitsnorm des Art. 3 Abs. 1 GG halten. Art. 9 Abs. 3 GG stehe dem nicht
entgegen. Die Tarifvertragsparteien seien durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht zu Regelungen
ermächtigt, die dem Gesetzgeber selbst durch die Verfassung verboten seien (vgl. BAG,
Urteil vom 23.01.1992 - 2 AZR 470/91 -, BAGE 69, 257, 269 f; BAG, Urteil vom
17.10.1995 - 3 AZR 882/94 -, BB 1996, 380, 381). Die arbeits- und zum Teil auch
verfassungsrechtliche Literatur hat sich der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts, zum
Teil mit abweichender Begründung über den gewohnheitsrechtlichen Charakter eines
Grundsatzes der Verteilungsgerechtigkeit (vgl. Wiedemann, a. a. O., Einleitung, Rdn.
214) oder die Schutzgebotsfunktion der Grundrechte und die Kartellfunktion der
Tarifautonomie (vgl. Richardi, a. a. O., § 10 Rdn. 29 ff) weitgehend angeschlossen (vgl.
Schaub, a. a. O., § 200, II 3, S. 1674 f; von Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar,
5. A. , Art. 3 Rdn. 8).
209
An dieser Rechtsprechung wurde zunehmend Kritik geübt. Art. 1 Abs. 3 GG meine nicht
Gesetze im materiellen Sinne, sondern die Gesetzgebung als formelle Gewalt. Zu einer
Umformung der Koalition zu staatlicher Gewalt durch die Vorschrift des § 4
210
Abs. 1 TVG sei der einfache Gesetzgeber auch gar nicht befugt (vgl. Richardi, a. a. O., §
10 Rdn. 22; Dieterich, Die Grundrechtsbindung von Tarifverträgen, Tarifautonomie für
ein neues Jahrhundert, Festschrift für Günter Schaub, S. 117, 120). Die Tarifautonomie
stelle keine Delegation staatlicher Normsetzung, sondern einen besonderen Fall
normativer Gestaltung innerhalb der Privatautonomie, kollektiv ausgeübte
Privatautonomie dar. Tarifverträge seien schuldrechtliche Abreden (vgl. Dieterich, a. a.
O., FS Schaub, S. 121; Richardi, a. a. O., § 10 Rdn. 23 ff; Kempen/Zachert, TVG, 3. A.,
Grundlagen Rdn. 154). Die Annahme einer Grundrechtsbindung führe zu einer nicht
mehr sachgerechten Inhaltskontrolle von Tarifverträgen, zu einer getarnten Tarifzensur
und verletze somit die Tarifautonomie (vgl. Dieterich, a. a. O., FS Schaub, S. 123).
211
Auch in der Rechtsprechung ist die Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 Abs. 1
GG gleich der des Gesetzgebers zum Teil dadurch relativiert worden, dass wegen der
Gleichgewichtung der Tarifvertragsparteien und wegen ihrer mitgliedschaftlichen
Legitimation von einer materiellen Richtigkeitsgewähr für die tariflichen Regelungen
ausgegangen wurde mit der Folge einer Vermutung zugunsten ihrer Gerechtigkeit (vgl.
BAG, Urteil vom 16.09.1993 - 2 AZR 697/92 -, NZA 1994, 221, 223; BAG, Urteil vom
10.03.1994 - 2 AZR 605/93 -, NZA 1994, 1045). Der Siebte Senat des
Bundesarbeitsgerichts stellt für die Begründung der Grundrechtsbindung nicht mehr auf
die staatliche Delegation, sondern darauf ab, dass sich die Mitglieder der
Tarifvertragsparteien mit ihrem Verbandsbeitritt bestehendem und zukünftigem
Tarifrecht unterwürfen (vgl. BAG, Urteil vom 14.10.1997 - 7 AZR 811/96 -, BAGE 87, 1).
212
In seinem Beschluss vom 21.05.1999 (BVerfG, Beschluss vom 21.05.1999, - 1 BvR
726/98 - EzA Nr. 72 a zu Art. 3 GG) hat das Bundesverfassungsgericht die Frage der
Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 GG ausdrücklich offengelassen. In der
213
Folge hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts diese Frage in zwei
Entscheidungen ebenfalls offengelassen (vgl. BAG, Urteil vom 05.10.1999 4 AZR
214
668/98,
AP Nr. 70 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel; BAG, Urteil vom 26.04.200
215
4 AZR 177/99 -, DB 2000, 978). Darin wird zum Teil ein Rechtsprechungswandel
gesehen (vgl. Schliemann, Arbeitsgerichtliche Kontrolle von Tarifverträgen, ZTR 2000,
198, 202).
216
Auch die Kritiker der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehen
jedoch davon aus, dass eine prinzipielle, materielle Bindung der Tarifvertragsparteien
an Gleichheitsgebote bestehe. Diese wird überwiegend mit der Doppelfunktion der
Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat und mit der objektiven Schutzfunktion
der Grundrechte, die den Staat und somit auch die Arbeitsgerichtsbarkeit dazu ver-
pflichten, Grundrechtsträger von einer unverhältnismäßigen Beschränkung ihrer
Grundrechte zu bewahren, begründet (vgl. Dieterich, a. a. O., FS Schaub, S. 122;
Kempen/Zachert, a. a. O., Grundlagen Rdn. 160; Schliemann, a. a. O.). Der Umfang der
Grundrechtsprüfung im Einzelnen wird uneinheitlich beurteilt. Jedenfalls ist keine
Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen (vgl. Dieterich, a. a. O., FS Schaub, S. 123;
Schliemann, a. a. O.). Zum Teil wird darauf abgestellt, der Arbeitnehmer legitimiere mit
seinem Verbandsbeitritt den Abschluss von Tarifnormen. Darin sei ein
Grundrechtsverzicht zu sehen, der aber nicht weiter gehen könne, als der Wesensgehalt
der Grundrechte (Art. 19 Abs. 2 GG), denn dieser Kern stehe nicht zur Disposition des
einzelnen und somit auch nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien (vgl.
Kempen/Zachert, a. a. O., Grundlagen Rdn. 160; Schliemann, a. a. O.). Zum Teil wird
wegen der grundsätzlichen Parität der Tarifvertragsparteien für erforderlich gehalten,
dass es sich um Störungen des Verfahrens handele, die zu einseitig belastenden
Grundrechtsbeschränkungen führen würden, wenn nicht der Gesetzgeber oder die
Rechtsprechung schützend eingriffen. Der Minderheitenschutz müsse gewährleistet
werden (vgl. Dieterich, a. a. O., FS Schaub, S. 125).
217
Jedenfalls stimmen alle Auffassungen darin überein, dass der Gestaltungsfreiraum der
Tarifvertragsparteien auf der Grundlage und im Rahmen der autonomen Unterwerfung
ihrer Mitglieder weitergehen muss, als die rechtsstaatlich gebundene Macht des Staates
zu hoheitlichen Eingriffen. Die Verbandsmitglieder könnten über demokratische
Prozesse innerhalb ihres Verbandes Einfluss nehmen.
218
Daraus ergibt sich, dass ein Verstoß gegen Gleichheitsgebote bzw. ein Überschreiten
der Grenzen der Tarifautonomie jedenfalls dann nicht vorliegt, wenn die Beschränkung
des höheren Umgruppierungsbetrages auf nach dem 01.11.1997 geförderte Kapitäne im
VTV Nr. 25 bereits nach der Konzeption der bisherigen strengeren Rechtsprechung
keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG darstellt.
219
Hiervon ist auszugehen.
220
Nach der sogenannten neuen Formel des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 07.10.1980, 1 BvL 50, 89/79, 1 BvR 240/79, BVerfGE 55, 72, 88) ist der
Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG dann verletzt, wenn eine Gruppe von
Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten ungleich behandelt wird,
obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem
Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Dabei
handelt es sich nicht um eine bloße Willkürkontrolle. Wie dem Gesetzgeber steht auch
221
den Tarifvertragsparteien ein Gestaltungsspielraum und eine Einschätzungsprärogative
zu. Der Spielraum endet erst dort, wo die ungleiche Behandlung nicht mehr mit einer am
Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist.
222
Aufgrund des um 1.153,56 DM niedrigeren Umgruppierungsbetrages gegenüber den
unter dem VTV Nr. 25 geförderten Kapitänen entstehen dem Kläger monatliche
Gehaltsdifferenzen in nicht unerheblicher Höhe, sowohl beim Grundgehalt als auch bei
der Flugstundenzulage. Dazu kommen Einbußen beim 13. Monatsgehalt.
223
Es ist ein Vergleich dahingehend erforderlich, ob die zurückgesetzten Arbeitnehmer
dieselbe oder eine gleichwertige Arbeitsleistung erbringen wie die bevorzugten. Dies
muss durch einen Gesamtvergleich der Tätigkeiten ermittelt werden. Für die Gruppen-
224
abgrenzung ist der jeweils erforderliche Umfang von Vorkenntnissen und Fähigkeiten,
Ausbildungsanforderungen, Qualifikationserfordernisse, Arbeitsproduktivität, Art der
Arbeit, Arbeitsbedingungen, Erfahrung, Verantwortung und Schwierigkeit zu be-
225
rücksichtigen. Es kommt darauf an, ob die Tätigkeiten nach objektiven Maßstäben der
Arbeitsbewertung denselben Arbeitswert haben (vgl. Wiedemann, a. a. O., Einleitung,
Rdn. 225).
226
Der Kläger ist ausschließlich mit anderen bei der Beklagten vom Co-Piloten zum
Kapitän geförderten Arbeitnehmern vergleichbar. Nur diese erfüllen die gleichen
Qualifikationserfordernisse und üben hinsichtlich praktischer Tätigkeit und übertragener
Verantwortung eine vergleichbare Tätigkeit aus. Die Vergleichbarkeit entfällt auch nicht
deshalb, weil der Kläger aufgrund seiner Vordienstzeiten (frühere Tätigkeit als
Flugingenieur) früher Kapitän geworden ist als dies heute bei schlechteren
Karrierechancen möglich gewesen wäre. Die Kriterien für die Kapitänswerdung sind
aufgrund objektiver Maßstäbe, insbesondere aufgrund der Senioritätslisten, festgelegt.
Wenn diese Kriterien sich im Laufe der Zeit ändern, ändert dies nicht an der
grundsätzlichen, objektiv vergleichbaren Eignung zum Kapitän und an der Art seiner
Tätigkeit.
227
Die Tatsache, dass die Gehaltsdifferenzen sich ständig angleichen und in der Zukunft
nicht mehr bestehen werden, verringern nur den Umfang der Ungleichbehandlung.
Bereits ein geringer Nachteil kann für eine Ungleichbehandlung ausreichen (vgl.
BVerfG, Beschluss vom 15.10.1985, 2 BvL 4/83, BVerfGE 71, 39, 50).
228
Hier ist jedoch ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung gegeben.
229
Es muss ein legitimes Regelungsziel bestehen. Dabei sind unterschiedlichste
Differenzierungsmerkmale und ziele, z. B. wirtschafts-, beschäftigungs-, sozial- und
gesellschaftspolitische Vorstellungen denkbar. Die Differenzierungen müssen bei einer
objektiven Gesamtbetrachtung sachgerecht sein. Es gilt eine abgestufte Prüfungs-
230
intensität je nach Anknüpfungspunkt und Art der Differenzierung. Der zu belassende
Gestaltungsspielraum wird dabei um so kleiner, je stärker sich die Ungleichbehandlung
von Personen auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig
auswirken kann und je weniger die Betroffenen auf die Verwirklichung der Unter-
231
scheidungsmerkmale einwirken können. Es muss ein sachgerechter Zusammen-
232
hang zwischen einem sachbereichsbezogenen Differenzierungsgrund und den daran
anknüpfenden Differenzierungsfolgen, abhängig von der rechtlichen Gestaltung sowie
dem Sinn und Zweck der Normierung, gefunden werden. Es gilt kein Optimierungs-
gebot, das heißt die Gerichte haben allein die Einhaltung rechtlicher Grenzen sicher-
233
zustellen, also nicht zu prüfen, ob der Normgeber die jeweils zweckmäßigste oder
gerechteste Lösung gefunden hat (vgl. Dieterich, ErfKom, a. a. O., Art. 3 GG Rdn. 38 ff;
234
Wiedemann, a. a. O., Einleitung Rdn. 223).
235
Wie Hanau (a. a. O., S. 12) unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts ausgeführt hat, sind tarifliche Regelungen auch das
kompromisshafte Ergebnis kontroverser Vertragsverhandlungen, weswegen an ihre
Systemgerechtigkeit nur äußerst geringe Anforderungen gestellt werden können (vgl.
BAG, Urteil vom 28.01.1998 - 4 AZR 491/96 -, NZA-RR 1998, 424). Es bleibt den
Tarifvertragsparteien überlassen, in eigener Verantwortung Zugeständnisse in einer
Richtung mit Vorteilen in anderer Richtung auszugleichen (vgl. BAG, Urteil vom
23.02.1994 - 4 AZR 165/93 -, ZTR 1994, 462; BAG, a. a. O., NZA-RR 1998, 424). Ihnen
wird insoweit eine größere Sachnähe zugetraut als den Gerichten. Sie sind auch nicht
an richterrechtliche Regelungen gebunden, sondern können davon erheblich
abweichen. Ebenso obliegt es den Tarifvertragsparteien, bei der Eingruppierung von
Mitarbeitern in eine Vergütungsordnung die für die Eingruppierung ausschlaggebenden
Kriterien festzulegen und über den Zeitpunkt der Anpassung tarifvertraglicher
Regelungen an die im Laufe der Jahre veränderten Verhältnisse zu befinden (vgl. BAG,
a. a. O., NZA-RR 1998, 424). Die Willkürgrenze wird erst überschritten, wenn sich bei
einer generellen (und nicht einer individuellen) Betrachtungsweise ergibt, dass
Arbeitnehmer im Vergleich zu einer sachlich vertretbaren Lösung grundlegend
schlechter gestellt und dauernd benachteiligt werden (vgl. BAG, Urteil vom 28.01.1998,
a. a. O.; BAG, Urteil vom 06.09.1995 - 5 AZR 174/94 -, NZA 1996, 437; BAG, Urteil vom
06.09.1995 5 AZR 744/94, n.v.; BAG, Urteil vom 10.03.1982 - 4 AZR 540/79, AP Nr. 47
zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG, Urteil vom 03.10.1969 - 3 AZR 400/68 -, AP Nr.
12 zu § 15 AZO).
236
Dies wird tatsächlich, wie Hanau (a. a. O., Seite 13) ebenfalls ausgeführt hat, an der
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu Rückzahlungsklauseln bzw. zum
Wettbewerbsverbot deutlich. Im Gegensatz zu Regelungen in Einzelarbeitsverträgen
sind Rückzahlungsklauseln hinsichtlich der Kosten von Fortbildungsmaßnahmen bei
Tarifverträgen unter weit weniger engen Voraussetzungen möglich (vgl. BAG, a. a. O.,
NZA 1996, 437). Hinsichtlich des Wettbewerbsverbots hat Dieterich (a. a. O., FS
Schaub, 1998, 117) zutreffend darauf hingewiesen, dass die Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts eine gegen Art. 3 GG verstoßende mangelnde
Systemgerechtigkeit beim nachvertraglichen Wettbewerbsverbot für den Fall, dass das
vorzeitige Vertragsende durch vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers oder des
Arbeitgebers provoziert wurde, nach § 75 HGB verwirft, während es den
Tarifvertragsparteien eine solche Differenzierung erlaubt (vgl. BAG, Urteil vom
23.02.1977 - 3 AZR 620/75 -, AP Nr. 6 zu
237
§ 75 HGB).
238
Bei der Festlegung der Prüfungsintensität ist zu berücksichtigen, dass es sich weder um
eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung, noch um einen Eingriff in
Freiheitsgrundrechte des Klägers handelt. Betroffen ist lediglich die Vermögenssphäre.
Auch liegt keine verhaltensbezogene Ungleichbehandlung vor. Die
Ungleichbehandlung wird sich in der Zukunft angleichen. Es ist daher keine strenge
Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen, d. h., den Tarifvertragsparteien stand ein
eher großer Gestaltungsspielraum zur Verfügung.
239
Bei der Gewichtung der regelungsbedingten Nachteile ist schließlich zu berück-
sichtigen, inwieweit vorteilhafte Regelungen, die in sachlichem Zusammenhang mit der
Benachteiligung stehen, der benachteiligten Personengruppe zugutekommen und
kompensierend wirken (vgl. Dieterich, a. a. O., ErfKom, Art. 3 Rdn. 47).
240
Hanau (a. a. O., Seite 16) hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Beurteilung nicht
auf den Einzelfall bezogen werden darf, sondern die Gesamtauswirkung der Tarifnorm
zu beachten ist, da Tarifnormen eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen erfassen (vgl.
BAG, Urteil vom 10.03.1982 - 4 AZR 540/79 -, AP Nr. 47 zu § 242 BGB
Gleichbehandlung; BAG, Urteil vom 06.09.1995 - 5 AZR 174/94 -, NZA 1996, 437). In
die vergleichende Betrachtung sind alle Arbeitnehmer einzubeziehen, die von der
tariflichen Regelung betroffen sind. Die Grenze zu einer willkürlichen
Ungleichbehandlung ist erst überschritten, wenn eine Gruppe von Arbeitnehmern
typischerweise schlechter gestellt wird. Ungerechtigkeiten im Einzelfall sind dagegen
nach Auffassung des BAG in Kauf zu nehmen. Dazu heißt es in der Entscheidung des
BAG vom 23.02.1994
241
- 4 AZR 165/93 - vgl. ZTR 1994, 462, 463: Es ist unvermeidlich, dass bei
Pauschalierungen, die im Gesetzes- und Tarifrecht im Interesse der Praktikabilität
vorkommen werden, gewisse Härten vorkommen .
242
Soweit der Kläger moniert, Hanau (a. a. O., Seite 16) sei von einer Einzelfallunge-
243
rechtigkeit ausgegangen, obwohl ca. 60 Kapitäne hiervon betroffen seien, so ist dies
insoweit unzutreffend, als der Kläger nicht als Einzelfall gesehen wurde. Dort wird
lediglich zu Recht darauf hingewiesen, dass nicht alle vor Inkrafttreten des VTV Nr. 25
zum Kapitän geförderte Kapitäne im selben Umfange schlechter bezahlt werden als die
nach Inkrafttreten des VTV Nr. 25 geförderten Kapitäne. Dies hängt davon ab, wie lange
die Förderung zum Kapitän bereits zurückliegt.
244
Damit ist entscheidend, inwieweit hier auf das Lebenseinkommen abgestellt werden
darf.
245
Dies würde sich dann verbieten, wenn die frühere Beförderung des Klägers auf eine
höhere Qualifikation zurückzuführen wäre. Dann, so hat Hanau (a. a. O., S. 17 d. A.)
zutreffend ausgeführt, hätte sich der Kläger seine frühere Beförderung durch besondere
Leistungen verdient, und die dadurch erlangten Vorteile dürften ihm nachträglich nicht
wieder entzogen werden. Unstreitig ist jedoch bei der Beklagten allein die Seniorität,
also die Betriebszugehörigkeit, maßgeblich für den Zeitpunkt der Förderung. Auch die
Tatsache, dass der Kläger aufgrund des inzwischen nicht mehr geltenden Tarifvertrages
Förderaufstieg für das Cockpit und Kabinenpersonal zwei Jahre früher gefördert wurde,
da ihm die Vordienstzeiten als Flugingenieur auf die Betriebszugehörigkeit angerechnet
wurden, steht nicht im Zusammenhang mit seinen Leistungen als Kapitän. Er muss sich
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die daraus erzielten Vorteile entgegenhalten lassen, so dass hier ein Vergleich der
Lebenseinkommen zulässig ist.
Damit gilt auch die Berechnung von Hanau (S. 18), wonach der Kläger im Vergleich zu
dem ersten nach dem VTV Nr. 25 geförderten Kapitän 12 Jahre lang ein geringeres
Jahresgehalt bezieht als dieser Kollege (Bolten). Da der Vergleichskapitän im Jahre
2006 das Endgehalt als Kapitän erreicht, nimmt die Gehaltsdifferenz ab dem Jahr 2007
jedes Jahr um eine Gehaltsstufe ab, bis sich auch der Kläger in der Endstufe befindet.
Verrechnet man den durch die frühere Beförderung erzielten Gehaltsvorsprung des
Klägers (150.000,00 DM) mit dem von Hanau errechneten Gehaltsvorsprung des
Vergleichskapitäns (144.663,84 DM) ergibt sich sogar ein leichter Vorteil zugunsten des
Klägers. Insoweit sei auf die Einzelheiten der Berechnung (S. 19) Bezug genommen.
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist auch davon auszugehen, dass die
Beklagte hier einer für nicht mehr verhandelbar erklärten Forderung der DAG gefolgt ist.
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Die Beklagte hatte bereits erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 11.02.1999 behauptet, die
Steigerung des Umgruppierungsbetrages von 3.275,00 DM auf 4.528,56 DM sei auf
Betreiben der DAG erfolgt. Die DAG habe verlangt, dass in einem vorgegebenen
insgesamt überschaubaren und realistischen Zeitrahmen das Endgehalt des VTV Nr. 25
erreicht werden könne. Dabei seien die Tarifvertragsparteien von dem theoretischen
Ansatzpunkt ausgegangen, dass unter den derzeitigen Voraussetzungen eine
Kapitänswerdung in der Regel erst nach einer zehnjährigen Tätigkeit als Co-Pilot
möglich sei. Dieser nach Auffassung der Kammer substantiierte Vortrag ist von dem
Kläger erstmals mit Schriftsatz vom 19.10.2000 bestritten worden, weswegen hierüber
durch Vernehmung der Zeugen Dr. N. und Dr. I. Beweis erhoben wurde. Dagegen
verbot sich eine Ladung des Zeugen L., denn selbst wenn man den diesbezüglichen
Vortrag des Klägers im Schriftsatz vom 25.10.2000 als richtig unterstellt, schließt dies
nicht aus, dass die Behauptung der Beklagten dennoch zutreffend ist.
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Die Zeugen haben für die Kammer eindeutig, plausibel und widerspruchsfrei den
Vortrag der Beklagten bestätigt. Hiernach hat die DAG eine nicht mehr verhandelbare
unterste Grundvergütung für Co-Piloten genannt. Darüber hinaus war es eine Forderung
der DAG, dass alle Piloten in der Zukunft die alte Endvergütung des früheren
Tarifvertrages erreichen können sollten. Weiterhin war von der DAG vorgegeben
worden, in welcher Zeit dies möglich sein sollte. Dabei war man davon ausgegangen,
dass man zehn Jahre Co-Pilot ist und dann mit der Beförderung zum Kapitän innerhalb
der nächsten weiteren 14 Jahre die Möglichkeit hat, die Endstufe zu erreichen. Diese
von der DAG genannten Parameter hätten dann zu diesem erhöhten
Umgruppierungsbetrag geführt, der für die DAG nicht mehr verhandelbar gewesen sei.
Obwohl dies für die Beklagte, wie beide Zeugen übereinstimmend ausgesagt haben,
nicht akzeptabel gewesen sei, sei es zum Schluss dennoch akzeptiert worden, um unter
anderen einen Streik zu vermeiden.
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Soweit die Tarifvertragsparteien hiernach davon ausgegangen sind, dass unter den
damaligen Voraussetzungen eine Kapitänswerdung in der Regel erst nach einer
zehnjährigen Tätigkeit als Co-Pilot möglich war, hat dies im Übrigen die Praxis bestätigt.
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Mit Schriftsatz vom 31.10.2000 hat die Beklagte die entsprechenden Daten in neun
Fällen vorgetragen. In der letzten mündlichen Verhandlung zweiter Instanz sind durch
Überreichung der weiteren Auflistung (Bl. 373 d. A.) und durch handschriftliche Hinzu-
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fügung durch den Vorsitzenden der Kammer nach Angaben der Beklagten die Daten
hinsichtlich der bis dahin noch fehlenden Kapitäne nachgereicht worden. Aus allem
bestätigt sich, dass nach Inkrafttreten des VTV Nr. 25 in der Regel zehn Jahre zur
Kapitänswerdung benötigt wurden.
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Dabei kann wiederum nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durchaus unterstellt
werden, dass den Tarifvertragsparteien bei allem die hier beispielsweise im Falle des
Klägers eintretenden Unterschiede hinsichtlich der Vergütung nicht in vollem Ausmaß
bewusst waren. Sie waren sich aber sehr wohl bewusst, dass es aufgrund der
Zusammenführung von vier Tarifverträgen hier und da knirschen und kneifen würde
(Zeuge Dr. N.) bzw. zu Ungereimtheiten (Zeuge Dr. I.) kommen würde, was man jedoch
meinte, in Kauf nehmen zu müssen.
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Schließlich ist bei der Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen, dass der Kläger sich nicht
nur aufgrund des VTV Nr. 25 besser stand, soweit er im Gegensatz zu früher 3.096,19
DM brutto mehr verdiente, sondern dass dem Kläger durch den VTV Nr. 25 ebenfalls
erstmals wieder die Möglichkeit eröffnet wurde, die letzten beiden Gehaltsendstufen zu
erreichen, die vorher, wie der ZeugeN. es ausgedrückt hat, gekappt worden waren und
nun mit dem VTV Nr. 25 auf die Forderung der DAG hin wieder eingeführt worden
waren.
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Nach allem vermag die Kammer in dieser mit dem VTV Nr. 25 eingeführten neuen
Tarifstruktur unter den oben im Einzelnen genannten Entscheidungskriterien keinen
Verstoß der Tarifvertragsparteien gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu erkennen, auch wenn der
Kläger zur Zeit nicht unerheblich weniger verdiente als die Kapitäne, die nach ihm zum
Kapitän gefördert worden sind.
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Nach allem war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
zurückzuweisen.
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Gem. § 97 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 64 Abs. 6 ArbGG hat der Kläger die Kosten
des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels zu tragen.
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Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache war die Revision gem. § 72
Abs. 2 Ziff. 1 zuzulassen.
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RECHTSMITTELBELEHRUNG
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Gegen dieses Urteil kann von dem Kläger
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REVISION
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eingelegt werden.
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Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Revision muss
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innerhalb einer Notfrist von einem Monat
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nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
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Bundesarbeitsgericht,
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Hugo-Preuß-Platz 1,
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99084 Erfurt,
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eingelegt werden.
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Die Revision ist gleichzeitig oder
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innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
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schriftlich zu begründen.
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Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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gez.: Dr. Pauly gez.: Lescanne gez. : Selle
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