Urteil des LAG Düsseldorf vom 22.11.2001

LArbG Düsseldorf (Kündigung, Anhörung, Unterrichtung, Abmahnung, Datum, Kenntnisnahme, Form, Rüge, Nebentätigkeit, Arbeitsrecht)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Schlagworte:
Normen:
Sachgebiet:
Leitsätze:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 13 (18) Sa 1001/01
22.11.2001
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
13. Kammer
Urteil
13 (18) Sa 1001/01
Arbeitsgericht Düsseldorf, 11 Ca 8076/00
Anhörung des Personalrats vor außerordentlicher Kündigung
§ 72 a Abs. III Personalvertretungsgesetz NRW
Arbeitsrecht
Der vorgeschriebenen Anhörung des Personalrats vor außerordentlichen
Kündigungen ist nicht genügt, wenn der Arbeitgeber trotz erkennbar nicht
ordnungsgemäßen Zustandekommens der Beteiligung des Personalrats
vor Ablauf der gesetzlichen Äußerungsfrist die Kündigung ausspricht.
Eine (telefonische) Unterrichtung im Umlaufverfahren ist keine
ordnungsgemäße Beschlussfassung. Der Arbeitgeber trägt das Risiko
eines Verfahrensfehlers, wenn er die Äußerungsfristen nicht einhält und
kündigt, solange nicht zumindest nach Außen der Anschein einer
ordnungsgemäß zustandegekommenen Stellungnahme des Personalrats
aufgrund wirksamer Beschlussfassung gegeben ist.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Düsseldorf vom 22.05.2001 11 Ca 8076/00 abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die von der Beklagten unter dem 20.11.2000
ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den
Parteien unwirksam ist.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T A T B E S T A N D
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Der 60-jährige und verheiratete Kläger ist seit 01.10.1971 als technischer Angestellter im
Bauamt der Beklagten beschäftigt. Im Zusammenhang mit polizeilichen Ermittlungen
wegen eines Korruptionsverdachts im Bauordnungsamt der Stadtverwaltung H. kündigte
die beklagte Kommune dem Kläger mit Schreiben vom 20.11.2000 (Bl. 5 f. d. A.)
außerordentlich wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen
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Verfehlung, da das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen zerstört
sei. Vorausgegangen war eine Anhörung des Klägers am 09.11.2000, in der der Kläger die
ihm gemachten Vorwürfe bestritten hatte. Der Kläger räumt ein, eine ungenehmigte und
nicht genehmigungsfähige Nebentätigkeit ausgeübt zu haben, hält dies aber in
Ermangelung von strafrechtlichen Verfehlungen nicht für eine ausreichende Grundlage für
eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung.
Das Kündigungsschreiben vom 20.11.2000 ist dem Kläger am 21.11.2000 um 15:00 Uhr
zugestellt worden, nachdem der Personalratsvorsitzende unter gleichem Datum die
Kenntnisnahme von der geplanten Maßnahme unterschriftlich bestätigt hatte. Der
Personaldezernent der Beklagten hat in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer
eingeräumt, dass ihm bekannt war, dass die Information der Mitglieder des Personalrats
telefonisch im Umlaufverfahren erfolgte.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 543 ZPO in
Verbindung mit § 64 Abs. 6 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie
den Inhalt der gewechselten Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen, die sämtlich
Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
I.
Die Berufung ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des
Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 ArbGG) sowie in gesetzlicher Form und
Frist eingelegt (§ 518 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO in Verbindung mit § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG,
§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) und innerhalb der Frist (§ 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO in Verbindung
mit § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) begründet worden.
II.
Die Berufung ist begründet und führte zur Abänderung des erstinstanzlichen Urteils.
Die folgenden Entscheidungsgründe beschränken sich angesichts der ausführlichen
mündlichen Begründung, die die Kammer für ihre Auffassung gegeben hat, in der
gebotenen Anwendung des § 313 Abs. 3 ZPO auf eine kurze Zusammenfassung der
Erwägungen, auf denen das Urteil in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht beruht.
Ungeachtet der in der mündlichen Verhandlung ausführlich thematisierten Frage, ob die
Schwere des Tatvorwurfs gegen den Kläger eine außerordentliche Kündigung ohne
vorherige Abmahnung rechtfertigt, da dem Kläger lediglich der Verstoß gegen ein
Nebentätigkeitsverbot zur Last zu legen ist, nicht aber ein strafrechtlich relevanter Vorwurf,
ist die Kündigung schon aus dem Grunde unwirksam, weil eine vorherige Beteiligung des
Personalrats im Wege ordnungsgemäßer Beschlussfassung nicht erfolgt ist. Der Berufung
war mithin schon aufgrund dieser von der Vorinstanz nicht gewürdigten Rüge stattzugeben.
Eine ohne Beteiligung des Personalrats ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 72 a Abs.
3 PersVG NRW unwirksam. Der durch Abs. 2 der vorzitierten Bestimmung
vorgeschriebenen Anhörung des Personalrats vor außerordentlichen Kündigungen ist nicht
genügt, wenn der Arbeitgeber trotz erkennbar nicht ordnungsgemäßen Zustandekommens
der Beteiligung des Personalrats vor Ablauf der gesetzlichen Äußerungsfrist die Kündigung
ausspricht. Soweit es um den Umfang der notwendigen Unterrichtung zur Durchführung
einer Anhörung oder zur Einleitung eines Mitwirkungsverfahrens entsprechend § 79 b
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PersVG oder nach den Landespersonalvertretungsgesetzen geht, überträgt das
Bundesarbeitsgericht die zu § 102 BetrVG entwickelten Grundsätze auf das
Personalvertretungsrecht (vgl. Urteil vom 16.03.2000, PersR 2000, 522 [527] = NZA 2000,
1337 m. w. N.). Seine Rechtsprechung zum Umfang der durch § 102 BetrVG gebotenen
Unterrichtung des Betriebsrats kann deshalb ohne weiteres auf die vergleichbaren
Regelungen im Personalvertretungsrecht übertragen werden. Zwar ist es allein Sache des
Personalrats, eine Äußerung innerhalb der ihm zustehenden Äußerungsfristen zustande zu
bringen. Jedoch trägt der Arbeitgeber das Risiko eines Verfahrensfehlers, wenn er die
Äußerungsfristen nicht einhält. Dies gilt speziell in dem Fall, dass ersichtlich eine
ordnungsgemäße Beschlussfassung des Personalrats nicht stattgefunden hat. Zur
ordnungsgemäßen Einhaltung der Beteiligungsvorschriften gehört, dass der Arbeitgeber
eine gesetzliche Äußerungsfrist des Personalrats abwartet. Nur wenn er ausnahmsweise
davon ausgehen kann, der Personalrat habe sich schon vor Ablauf einer ihm zustehenden
Frist abschließend geäußert, braucht er den Ablauf dieser Frist nicht abzuwarten und kann
schon vorher die Kündigung erklären (vgl. LAG Köln, PersR 2000, 31, 32; Thorsten in NZA
Rechtsprechungsreport, Rechtsprechungsübersicht zum Personalvertretungsrecht NZA
2001, 512). So lange nicht zumindest nach Außen der Anschein einer ordnungsgemäß
zustande gekommenen Stellungnahme des Personalrats aufgrund wirksamer
Beschlussfassung gegeben ist, muss der Arbeitgeber zumindest die gesetzliche
Äußerungsfrist abwarten, binnen der der Personalrat die gemeinsame Erörterung etwaiger
Einwände gegen die beabsichtigte Kündigung erklären kann.
Die Missachtung des Mitbestimmungsrechts des Personalrats hat die Unwirksamkeit der
außerordentlichen Kündigung nach § 72 a Abs. 3 LPVG NRW zur Folge. Die endgültige
Entscheidung des Personalrats ergeht durch Beschluss. Das telefonische Umlaufverfahren
stellt keine ordnungsgemäße Beschlussfassung dar.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Für die Zulassung der Revision
bestand keine Veranlassung. Eine Rechtssache grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor,
da die Kammer nicht von der herrschenden Rechtsauffassung abweicht.
Auf den Rechtsbehelf des § 72 a ArbGG und dessen Voraussetzungen wird hingewiesen.
Funke Rodeck Kniese