Urteil des LAG Düsseldorf vom 16.03.2006

LArbG Düsseldorf: arbeitslosenhilfe, treu und glauben, heizung, bedürftigkeit, arbeitsgericht, familie, arbeitslosigkeit, bemessungsgrundlage, bestandteil, beendigung

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 13 Sa 774/05
Datum:
16.03.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 Sa 774/05
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Krefeld, 5 Ca 989/05
Schlagworte:
Überbrückungsbeihilfe / Stationierungsstreitkräfte / Anrechnung ALG II
Normen:
§ 4 des Tarifvertrages vom 31.08.1971 zur sozialen Sicherung der
Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der
Bundesrepublik Deutschland (TV Soz Sich)
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Anknüpfungsleistung für die Gewährung einer Überbrückungsbeihilfe
an ehemalige Arbeitnehmer der Stationierungsstreitkräfte nach § 4 Ziffer
1 b) des Tarifvertrages vom 31.08.1971 zur sozialen Sicherung der
Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der
Bundesrepublik Deutschland (TV Soz Sich) kann der Bezug von
Arbeitslosengeld II sein. 2. Es ist unzulässig, die Überbrückungsbeihilfe
in diesem Falle unter Einbeziehung aller an die Bedarfsgemeinschaft,
der der anspruchsberechtigte Arbeitnehmer angehört, erbrachten
Leistungen (ALG II / Sozialgeld) zu berechnen. 3. Zur Berechnung der
Überbrückungsbeihilfe gemäß § 4 Ziffer 2 a) TV Soz Sich (Einzelfall)
Tenor:
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Krefeld vom 03.05.2005 Az.: 5 Ca 989/05 teilweise abgeändert und die
Beklagte verurteilt, an die Klägerin 904,86 ​ (in Worten: neunhundertvier
86/100 Euro) netto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem
Basiszinssatz aus je 301,62 ​ (in Worten: dreihunderteins 62/100 Euro)
seit dem 01.02.2005, dem 01.03.2005 und dem 01.04.2005 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien zu je .
3. Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.
T A T B E S T A N D
1
Die Parteien streiten über die Zahlung von Überbrückungsbeihilfe.
2
Die am 29.11.1957 geborene Klägerin war von 1973 bis zum 31.03.2002 bei den
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britischen Streitkräften in der Bundesrepublik Deutschland (Standort C. der RAF)
beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin fanden der Tarifvertrag für die
Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland vom 16.12.1966 (TVAL II) sowie der Tarifvertrag zur sozialen Sicherung
der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland vom 31.08.1971 (TaSS) Anwendung. Das Arbeitsverhältnis endete wegen
Personaleinschränkung infolge einer Verringerung der Truppenstärke.
Die nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis heute arbeitslose Klägerin bezog ab
April 2002 zunächst Arbeitslosengeld und anschließend Arbeitslosenhilfe, welche im
Dezember 2004 19,57 € pro Kalendertag betrug. Auch ihr ebenfalls arbeitsloser
Ehemann erhielt Arbeitslosenhilfe. Zusätzlich zu den tatsächlichen Monatsleistungen
der Bundesanstalt zahlte die Beklagte der Klägerin gemäß § 4 TaSS eine
Überbrückungsbeihilfe in Höhe von monatlich zwischen 400,46 € und 418,08 €. Wegen
der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe wird auf die entsprechenden Bescheide der
Beklagten (Anlagen K1 und K2 zur Klageschrift) Bezug genommen.
4
Ab dem 01.01.2005 erhält die Klägerin, die mit ihrem Ehemann und der gemeinsamen,
am 12.09.1994 geborenen Tochter U. in einem Haushalt lebt und eine
Bedarfsgemeinschaft bildet, Leistungen nach dem SGB II. Ausweislich der Anlage zum
Bescheid vom 18.02.2005 (Anlage K4 zur Klageschrift) wurden im ersten Quartal des
Jahres 2005 monatlich geleistet:
5
- an die Klägerin Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für
erwerbsfähige Hilfsbedürftige in Höhe von 311,00 € sowie Kosten für Unterkunft
und Heizung von 249,45 €,
6
- an den Ehemann der Klägerin Regelleistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes für erwerbsfähige Hilfsbedürftige in Höhe von 311,00 € und
Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 249,46 € und
7
- an die Tochter der Klägerin ein Sozialgeld für nicht erwerbsfähige Hilfsbedürftige
von 207,00 € sowie Kosten für Unterkunft und Heizung von 249,46 €.
8
Mit Abrechnung vom 16.02.2005 (Anlage K 3 zur Klageschrift) setzte die Beklagte den
Nettogrundbetrag zur Bestimmung der Überbrückungsbeihilfe auf monatlich 1.054,32 €
fest, rechnete auf diesen Betrag jedoch die Gesamtleistungen der an die
Bedarfsgemeinschaft der Klägerin nach dem SGB II erbrachten Leistungen in Höhe von
insgesamt 1.577,37 € an; die Abrechnung endete folgerichtig mit einem
Auszahlungsbetrag von 0,00 €. Auf das Geltendmachungsschreiben der Klägerin vom
28.02.2005 hin (Anlage K 5 zur Klageschrift) verwies die Beklagte zur Rechtfertigung
ihrer Vorgehensweise auf eine Verfahrensanweisung des Bundesministeriums der
Finanzen (BMF) hinsichtlich der Zahlung von Überbrückungsbeihilfe zu den Leistungen
nach dem SGB II (Anlage 1 zur Klageerwiderung, Bl. 23 f. d. A.) und die
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 4 Ziffer 2 a) Abs. 1 TaSS.
9
Mit der vorliegenden, am 24.03.2005 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die
Klägerin den Anspruch auf Zahlung von Überbrückungsbeihilfe bis zum Ablauf des
Anspruchszeitraums im März 2005 gerichtlich geltend gemacht. Sie hat gemeint, ihr
stehe auch weiterhin dem Grunde nach Überbrückungsbeihilfe zu. Bei den in § 4 Ziffer 1
b) TaSS genannten Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit handele es sich nur um
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Beispielsfälle, so dass die Beihilfe auch in Ergänzung des Arbeitslosengeldes II zu
zahlen sei. Die Berechnung der Überbrückungsbeihilfe durch die Beklagte sei unrichtig,
weil es keine Grundlage dafür gebe, die zur Sicherung des Grundbedarfs des
Ehemanns und der Tochter der Klägerin nach Maßgabe des SGB II in Erfüllung von
deren gesetzlichen Ansprüchen erbrachten Leistungen zu Lasten der Klägerin
anzurechnen. Das Vorgehen der Beklagten führe dazu, dass der Erhalt von
Überbrückungsbeihilfe umso unwahrscheinlicher werde, je mehr Personen die
Bedarfsgemeinschaft bildeten, und Überbrückungsbeihilfe praktisch nur noch an
Alleinstehende zu zahlen sei. Das sei mit dem Ausgleichs- und Sicherungszweck der
tarifvertraglichen Leistung nicht in Einklang zu bringen. Anzurechnen sei vielmehr
lediglich die an die Klägerin erbrachte Regelleistung zur Sicherung ihres
Lebensunterhalts. Das führe rechnerisch dazu, dass die Beklagte eine monatliche
Überbrückungsbeihilfe von 668,99 € netto schulde.
Die Klägerin hat beantragt,
11
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.006,97 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-
Punkten über dem Basiszinssatz aus 668,99 € seit dem 01.02.2005, aus weiteren
688,99 € seit dem 01.03.2005 und aus weiteren 668,99 € seit dem 01.04.2005 zu
zahlen.
12
Die Beklagte hat beantragt,
13
die Klage abzuweisen.
14
Die Beklagte hat die Klage für unbegründet gehalten. Zwar könne
Überbrückungsbeihilfe dem Grunde nach in Ergänzung zu Arbeitslosengeld II gezahlt
werden. Bei ihrer Berechnung sei jedoch auf das an die Bedarfsgemeinschaft insgesamt
geleistete ALG II/Sozialgeld anzuknüpfen. Auch bisher schon sei diese fiktiv nach der
ungekürzten Arbeitslosenhilfe des ehemaligen Arbeitnehmers zu bestimmen gewesen,
obwohl der Lebensunterhalt der Familie tatsächlich nur von der möglicherweise
gekürzten Arbeitslosenhilfe und der Überbrückungsbeihilfe zu bestreiten war. Im
Übrigen seien die Bezieher von Überbrückungsbeihilfe schon dadurch privilegiert, dass
diese nicht ihrerseits als Einkommen im Sinne des § 11 SGB II bei der Berechnung des
Arbeitslosengeldes II berücksichtigt werden dürfe (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 der ALG II-
Verordnung)
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Mit Urteil vom 09.05.2005 hat das Arbeitsgericht Krefeld die Klage abgewiesen und zur
Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
16
§ 4 TaSS stelle seinem Wortlaut nach keine Grundlage für einen Zahlungsanspruch der
Klägerin dar, weil darin nicht geregelt sei, wie die Überbrückungsbeihilfe im Falle des
Bezugs von Arbeitslosengeld II zu berechnen sei. Da dies den Tarifvertragsparteien im
Jahre 1971 auch gar nicht habe bewusst sein können, liege eine unbewusste,
nachträglich entstandene Regelungslücke vor. Diese könne vorliegend jedoch nicht im
Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden, weil der TaSS keine
hinreichenden Anhaltspunkte dafür enthalte, wie die Tarifvertragsparteien den Anspruch
auf Überbrückungsbeihilfe neben dem Bezug von Arbeitslosengeld II geregelt hätten.
Arbeitslosengeld II und die frühere Arbeitslosenhilfe wiesen strukturelle Unterschiede
auf. Der Begriff der Bedürftigkeit und die Grundsätze der Anrechenbarkeit anderweitiger
Einkünfte sei durch die Schaffung des Begriffs der Bedarfsgemeinschaft in § 7 SGB II
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völlig neu definiert worden. Aufgrund der Bandbreite denkbarer Berechnungsformeln für
die Überbrückungsbeihilfe müsse diese Problematik einer ggf. rückwirkenden
Neuregelung durch die Tarifvertragsparteien vorbehalten bleiben.
Gegen das ihr am 19.05.2005 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld hat die
Klägerin mit am 08.06.2005 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz
Berufung eingelegt und diese zugleich begründet.
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Sie hält das Urteil des Arbeitsgerichts für rechtsfehlerhaft. Der TaSS gebe genügend
Anhaltspunkte dafür, wie die hinsichtlich der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe
neben Arbeitslosengeld II bestehende Regelungslücke zu schließen sei. Nach Sinn und
Zweck solle die Überbrückungsbeihilfe die Einkommenseinbußen des früheren
Arbeitnehmers ausgleichen, so dass es grundsätzlich nur auf dessen Einkommen
ankommen könne und nicht auf das der Bedarfsgemeinschaft . Schließlich habe bis
Ende 2004 auch nicht die an den Ehepartner gezahlte Arbeitslosenhilfe den Anspruch
der Klägerin aus § 4 TaSS geschmälert. Unter der Neuregelung des SGB II erhalte
jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft eigene Leistungen, wie § 7 Abs. 2 SGB II
verdeutliche. Im Übrigen ergäben sich bei Anrechnung aller Leistungen an die
Bedarfsgemeinschaft die bereits erstinstanzlich skizzierten Wertungswidersprüche.
Anzurechnen sei daher nur die Regelleistung zur Sicherung des Unterhalts der
Klägerin, nicht hingegen die (anteiligen) Kosten für Unterkunft und Heizung. Dieser Teil
der Sozialleistung komme aus dem Topf der Kommunen wie das frühere Wohngeld,
welches gerade nicht als Einkommen bei der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe
berücksichtigungsfähig gewesen sei.
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Die Klägerin beantragt,
20
das Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld vom 09.05.2005 abzuändern und die
Beklagte zu verurteilen, an sie 2.006,97 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-
Punkten über dem Basiszinssatz aus 668,99 € seit dem 01.02.2005, aus weiteren
688,99 € seit dem 01.03.2005 und aus weiteren 668,99 € seit dem 01.04.2005 zu
zahlen.
21
Die Beklagte beantragt,
22
23
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts unter Bezugnahme auf dessen
Argumentation sowie den eigenen erstinstanzlichen Sachvortrag. Sie verweist
ergänzend darauf, dass sich die Anrechnung aller Leistungen nach dem SGB II an die
Bedarfsgemeinschaft, dessen Mitglied der ehemalige Arbeitnehmer sei, auch dem
Rechtsgedanken des § 5 TaSS entnehmen lasse.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen
den Parteien gewechselten Schriftsätze, die zu den Akten gereichten Unterlagen sowie
die Protokolle der mündlichen Verhandlungen beider Rechtszüge verwiesen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
27
A.
28
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere unter Beachtung der Vorgaben der
§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 520 ZPO form- und fristgerecht
eingelegt und begründet worden.
29
B.
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Die Berufung ist auch teilweise begründet. Die Klägerin kann gemäß § 4 Nr. 1 b), Nr. 2
a) Abs. 1, Nr. 4, Nr. 5 b) TaSS für den Zeitraum zwischen Januar und März 2005 die
Zahlung einer monatlichen Überbrückungsbeihilfe von 301,62 € netto von der Beklagten
verlangen.
31
I.
32
Nach § 4 Nr. 1 b) TaSS, dessen allgemeine Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 2 in
der Person der Klägerin unstreitig gegeben sind, wird Überbrückungsbeihilfe gezahlt zu
den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit aus Anlass von Arbeitslosigkeit oder
beruflichen Bildungsmaßnahmen (Arbeitslosengeld/-hilfe, Unterhaltsgeld) .
Bemessungsgrundlage ist in diesen Fällen die um die gesetzlichen Lohnabzüge
verminderte tarifvertragliche Grundvergütung nach § 16 Nr. 1 a) TVAL II für die
regelmäßige Arbeitszeit im Kalendermonat im Zeitpunkt der Entlassung (§ 4 Nr. 3 b) i. V.
m. § 4 Nr. 3 a Abs. 1 TaSS). Nach § 4 Nr. 4 Satz 1 TaSS beträgt die
Überbrückungsbeihilfe im ersten Jahr nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
100 %, ab dem zweiten Jahr 90 % des Unterschiedsbetrages zwischen der
Bemessungsgrundlage und den in § 4 Nr. 1 und 2 TaSS bezeichneten
Anknüpfungsleistungen. Die maximale Anspruchsdauer hinsichtlich derjenigen
Arbeitnehmer, die nicht gemäß § 4 Nr. 5 a) TaSS zeitlich unbegrenzt
Überbrückungsbeihilfe verlangen können, bestimmt sich aus § 4 Nr. 5 b) TaSS und
betrug im Falle der Klägerin drei Jahre, die (erst) am 31.03.2005 vollendet waren.
33
II.
34
Ebenso wenig wie die Parteien bezweifelt die Kammer, dass nach Maßgabe des § 4 Nr.
1 b) TaSS Überbrückungsbeihilfe dem Grunde nach neben dem Bezug von
Arbeitslosengeld II zu gewähren ist. Dabei bedarf es in der hier vorliegenden
Fallkonstellation keiner näheren Erörterung, ob dieses Ergebnis erst aus einer
ergänzenden Auslegung der Tarifvertragsbestimmung folgt. Tatsache ist, dass die
Klägerin im ersten Quartal 2005 aus Anlass ihrer Arbeitslosigkeit Leistungen der
Bundesagentur für Arbeit erhalten hat, die an die Stelle der zuvor bezogenen
Arbeitslosenhilfe getreten sind, auf deren Weitergewährung die Klägerin in Anbetracht
ihrer fortbestehenden Bedürftigkeit gemäß § 190 SGB III wiederum Anspruch gehabt
hätte, wenn der Gesetzgeber das Leistungssystem durch Einführung des
Arbeitslosengeldes II nicht grundsätzlich reformiert hätte. Stellte man in dieser Situation
darauf ab, dass es entgegen dem Wortlaut des § 4 Nr. 1 b) TaSS die Bundesanstalt für
Arbeit nunmehr nicht mehr gibt und das Arbeitslosengeld II in der eh nur beispielhaften
Leistungsaufzählung nicht erwähnt ist, erhielte der Gesetzgeber die Möglichkeit, durch
das bloße Auswechseln von Begrifflichkeiten tarifvertragliche Ansprüche der
ehemaligen Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften zu unterlaufen.
Demgegenüber kommt es entscheidend darauf an, dass im Falle der Klägerin der vom
Gesetzgeber verfolgte Leistungszweck von Arbeitslosengeld II und früherer
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Arbeitslosenhilfe unverändert geblieben ist und der Sinn und Zweck des § 4 TaSS,
arbeitslosen ehemaligen Arbeitnehmern der Stationierungsstreitkräfte eine zeitlich
begrenzte finanzielle Hilfeleistung zur Überbrückung ihrer Arbeitslosigkeit und
Erleichterung der Wiedereingliederung ins Arbeitsleben zu gewähren (vgl. hierzu etwa
BAG, Urteil vom 05.08.1999, 6 AZR 56/98, AP Nr. 1 zu § 16 TVAL II), eine Zahlung von
Überbrückungsbeihilfe neben dem Bezug von Arbeitslosengeld II gebietet.
III.
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§ 4 TaSS enthält keine ausdrückliche Regelung, wie die Überbrückungsbeihilfe zu
berechnen ist, wenn neben dem ehemaligen Arbeitnehmer weitere Angehörige, mit
denen der Arbeitnehmer in sog. Bedarfsgemeinschaft lebt, Leistungen nach dem SGB II
beziehen. § 4 Nr. 2 a) TaSS bestimmt lediglich, dass die Überbrückungsbeihilfe in den
Fällen des § 44 Abs. 4, der §§ 115, 121, 123, 126, 233 Abs. 2 AFG nach dem
ungekürzten Arbeitslosen- bzw. Unterhaltsgeld zu berechnen ist; entsprechendes gilt für
die Arbeitslosenhilfe. Das dadurch niedergelegte Berechnungssystem passt auf die
Leistungsgewährung nach dem SGB II nicht direkt, weil sich diese nicht mehr wie noch
bei der Arbeitslosenhilfe der Fall am Nettoeinkommen des Arbeitnehmers aus dem
beendeten Arbeitsverhältnis orientiert, sondern die Leistungshöhe nach einer Art
Baukastenprinzip anhand des tatsächlichen Bedarfs des Leistungsempfängers von
unten nach oben bestimmt wird. Dennoch erschließt sich durch eine mögliche und
erforderliche ergänzende Tarifvertragsauslegung, welche Bestandteile der Leistungen
nach dem SGB II bei der Bestimmung der Überbrückungsbeihilfe anrechnungsfähig
sind.
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1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind tarifvertragliche
Regelungen einer ergänzenden Auslegung zugänglich, soweit damit kein Eingriff in die
durch Art 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie verbunden ist. Sie kommt daher nicht
in Betracht, wenn die Tarifvertragsparteien eine regelungsbedürftige Frage bewusst
ungeregelt lassen und diese Entscheidung höherrangigem Recht nicht widerspricht.
Demgegenüber haben die Gerichte für Arbeitssachen grundsätzlich die Pflicht, eine
unbewusste Tariflücke zu schließen, wenn sich unter Berücksichtigung von Treu und
Glauben ausreichende Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen der
Tarifvertragsparteien ergeben. Zwar haben diese in eigener Verantwortung darüber zu
befinden, ob sie eine von ihnen geschaffene Ordnung beibehalten oder ändern.
Solange sie daran festhalten, hat sich eine ergänzende Auslegung an dem
bestehenden System und dessen Konzeption zu orientieren. Diese Möglichkeit scheidet
jedoch aus, wenn den Tarifvertragsparteien ein Spielraum zur Lückenschließung bleibt
und es ihnen wegen der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie überlassen
bleiben muss, die von ihnen angemessene Lösung zu finden (Grundsätze aus BAG,
Urteil vom 29.04.2004, 6 AZR 101/03, NZA 2005, 57).
38
2. Im vorliegenden Fall bedarf es keiner Entscheidung, ob alle denkbaren Probleme, die
die Einführung des Arbeitslosengeldes II für die Berechnung der Überbrückungsbeihilfe
mit sich gebracht hat, durch eine ergänzende Auslegung des § 4 TaSS lösbar sind.
Jedenfalls dann, wenn neben dem ehemaligen Arbeitnehmer auch dessen (in
Bedarfsgemeinschaft lebender) Ehegatte vom Arbeitslosenhilfe- in den
Arbeitslosengeld-II-Bezug übergegangen ist, bietet die Tarifvertragssystematik
hinreichende Anhaltspunkte für die Bestimmung des mutmaßlichen Willens der
Tarifvertragsparteien. Dabei ist zu berücksichtigen, dass wie oben ausgeführt es nur um
das Wie der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe geht, dessen Ob hingegen (siehe
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oben II.) außer Zweifel steht. Diese Wertung darf durch die ergänzende
Tarifvertragsauslegung nicht in Frage gestellt werden. Von daher hält es die Kammer für
höchst problematisch, allein wegen der Existenz mehrerer denkbarer Rechenwege
gänzlich von einer ergänzenden Vertragsauslegung abzusehen, wie das Arbeitsgericht
es getan hat. Das kommt im vorliegenden Fall nämlich einer Lückenschließung im
Sinne der Beklagten gleich, mit der die von den Tarifvertragsparteien getroffene
Grundentscheidung für eine Gewährung von Überbrückungsbeihilfe unterlaufen wird.
Vorliegend sind Bestandteil der Anknüpfungsleistung:
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a) Die der Klägerin fiktiv zustehende ungekürzte Regelleistung des § 20 Abs. 2 SGB II
zur Sicherung des Lebensunterhalts von 345,00 €.
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Zwar hat die Klägerin gemäß § 20 Abs. 3 SGB II tatsächlich lediglich 90 % dieses
Betrages monatlich als Regelleistung ausgezahlt erhalten. Grund hierfür ist jedoch, dass
nach Einschätzung des Gesetzgebers im Falle der Vollendung des 18. Lebensjahres
durch zwei Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft hier: der Klägerin und ihres Ehemanns
der Grad der Bedürftigkeit des einzelnen um je 10 % vermindert ist. Für die in § 4 Nr. 2
a) TaSS angeordnete entsprechende Anwendung der Regelung über die Anknüpfung
an gekürzte Leistungen auf die Arbeitslosenhilfe war indes anerkannt, dass die für diese
geltende weitergehende Abhängigkeit von der Bedürftigkeit des Leistungsempfängers
berücksichtigt werden musste (BAG, Urteil vom 05.08.1999, a. a. O). Das spricht dafür,
vorliegend auch den Umstand zu beachten, dass die Regelleistung an die Klägerin
gerade wegen der gleichzeitigen Zahlung an ihren Ehegatten geringer ausfiel.
Andernfalls würde die Einbuße der Klägerin hinsichtlich des Arbeitslosengeldes II durch
ein entsprechendes Mehr an Überbrückungsbeihilfe ausgeglichen, ohne dass die
Klägerin nach Maßgabe des SGB II als uneingeschränkt bedürftig einzustufen war.
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b) Die Hälfte der von der Klägerin und ihrem Ehemann zu tragenden und gemäß § 22
Abs. 1 Satz 1 SGB II zu erstattenden Kosten für Unterkunft und Heizung, das heißt
374,19 €.
43
Anzurechnen sind weiterhin die (hier unstreitig angemessenen) Kosten für Unterkunft
und Heizung, denn sie bestimmen gemeinsam mit der Regelleistung von 345,00
€/311,00 € gemäß § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II die als Arbeitslosengeld II zu
beanspruchende monatliche Leistung der Klägerin. Unerheblich für die Frage der
Anrechenbarkeit ist, welche Gebietskörperschaft (Bund, Kommunen) für die Kosten
dieses Leistungsbestandteils aufzukommen hat, denn hiervon hängt der
Rechtscharakter der Leistung nicht ab. Die von der Klägerin gezogene Parallele zum
Wohngeldbezug verfängt ebenfalls nicht, weil die Klägerin oder ihr Ehemann ein
solches auch zu Zeiten des gemeinsamen Arbeitslosenhilfebezugs nicht erhalten
haben, sondern die Unterkunfts- und Heizungskosten eben von der Arbeitslosenhilfe
beider zu bestreiten war. Aus diesem Grunde kann schließlich keine Rolle spielen, dass
die Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß §§ 9 Abs. 2 Satz 3, 28 Abs. 1 Satz 2 SGB
II anteilig auf die minderjährige Tochter der Klägerin umgelegt worden sind. Wäre diese
gegriffene Aufteilung der Kosten verbindlich, die die tatsächlich bestehenden
zivilrechtlichen Kostentragungspflichten unberücksichtigt lässt, und müsste die Klägerin
sich nur die auf sie rechnerisch entfallenden 249,45 € anrechnen lassen, führte dies zu
dem paradoxen Ergebnis, dass die Überbrückungsbeihilfe höher ausfallen würde, wenn
die Klägerin und ihr Ehemann im selben Wohnobjekt mit zwei oder drei Kindern leben
würde, sprich die Bedarfsgemeinschaft mehr Köpfe umfasste.
44
3. Nicht Bestandteil der Anknüpfungsleistung sind hingegen die sonstigen Leistungen,
die nach dem SGB II an die weiteren mit der Klägerin in Bedarfsgemeinschaft lebenden
Personen erbracht werden. Für die Anrechenbarkeit dieser Leistungen bietet der TaSS
keine hinreichenden Anhaltspunkte:
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(1) An keiner Stelle regelt der TaSS, dass das Vermögen oder Einkünfte Dritter
unmittelbar die an den ehemaligen Arbeitnehmer der Stationierungsstreitkräfte zu
zahlende Überbrückungsbeihilfe mindern. Derartige Umstände sind gemäß § 4 Nr. 2 a)
bis c) TaSS nur insoweit relevant, als sie Auswirkungen auf die dem ehemaligen
Arbeitnehmer zustehende Anknüpfungsleistung haben. Bezog dieser etwa wegen
anzurechnenden Einkommens des Ehepartners eine nur geringe Arbeitslosenhilfe, so
war bei der Berechnung der Überbrückungsbeihilfe auf deren ungekürzte Höhe
anzustellen, um zu verhindern, dass der Arbeitnehmer trotz geringerer Bedürftigkeit eine
höhere Überbrückungsbeihilfe erhielt (BAG, Urteil vom 05.08.1999, a. a. O.). Mit dieser
Systematik ist nicht zu vereinbaren, nunmehr das auch an andere Mitglieder der
Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II aus eigenem Recht zu zahlende
Arbeitslosengeld II/ Sozialgeld anspruchsmindernd zu berücksichtigen. Wäre das
richtig, hätte man bis Ende 2004 schon die an den Ehemann der Klägerin geleistete
Arbeitslosenhilfe verrechnen müssen. Der von der Beklagtenvertretung in der
mündlichen Verhandlung argumentativ herangezogene § 5 TaSS bestätigt im Übrigen
das gefundene Ergebnis eher als dass er es in Frage stellte, weil es dort nur um die
Anrechnung anderweitiger Leistungen geht, auf die der Arbeitnehmer für Zeiten des
Bezuges von Überbrückungsbeihilfe Anspruch hat.
46
(2) Zutreffend verweist die Klägerin darauf, dass bei Anrechnung der Leistungen an alle
Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft eine Zahlung von Überbückungsbeihilfe umso
unwahrscheinlicher wird, je größer die Bedarfsgemeinschaft ist, und in vielen Fällen
Überbrückungsbeihilfe nur von Alleinstehenden beansprucht werden kann. Für eine
derartige Ungleichbehandlung ist ein sachlicher Grund nicht ersichtlich. Allein der
Hinweis auf eine in der Bedarfsgemeinschaft höhere Gesamtzahlung von
Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld verfängt nicht, weil davon schließlich eine
entsprechend größere Anzahl von Personen ihren Lebensunterhalt bestreiten muss.
Gegen den im Rahmen der ergänzenden Auslegung des § 4 TaSS zu ermittelnden
mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien zur Gesamtanrechnung spricht in diesem
Zusammenhang im Übrigen, dass sich ein gewisses Spannungsverhältnis zum in Art. 6
Abs. 1 GG normierten Schutzgebot von Ehe und Familie auftut. Bedarfsgemeinschaften
werden nämlich häufig von Verheirateten und ihren Kindern gebildet werden. Zugleich
kann nicht verkannt werden, dass die von der Beklagten präferierte Anrechnungspraxis
einen finanziellen Anreiz zur Aufspaltung der Bedarfsgemeinschaft und damit unter
Umständen von Ehe und Familie schafft.
47
IV.
48
Im Ergebnis steht der Klägerin daher monatlich zu:
49
Netto-Bemessungsgrundlage 1.054,32 €
50
./. ungekürzte Regelleistung zur Sicherung des
51
Lebensunterhalts 345,00 €
52
./. hälftige Gesamtkosten für Unterkunft und Heizung 374,19 €
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es verbleiben 335,13 €
54
hiervon 90% (§ 4 Nr. 4 TaSS), entsprechend ./. 33,51 €
55
ergeben 301,62 €.
56
Für die drei Monate Januar bis März 2005 beträgt der Gesamtanspruch der Klägerin
damit 904,86 €. Die Zinsforderung ist gemäß §§ 286 Abs. 1, 2, 288 Abs. 1 BGB
begründet. Weitergehende Ansprüche hat die Klägerin nicht.
57
C.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Kammer hat der Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung beigemessen und die Revision gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1
ArbGG für beide Parteien zugelassen.
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R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G
60
Gegen dieses Urteil kann von beiden Parteien
61
REVISION
62
eingelegt werden.
63
Die Revision muss
64
innerhalb einer Notfrist von einem Monat
65
nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
66
Bundesarbeitsgericht,
67
Hugo-Preuß-Platz 1,
68
99084 Erfurt,
69
Fax: (0361) 2636 - 2000
70
eingelegt werden.
71
Die Revision ist gleichzeitig oder
72
innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils
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schriftlich zu begründen.
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Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
75
Schneider Murach Wiertz
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