Urteil des LAG Düsseldorf vom 20.07.2010

LArbG Düsseldorf (kläger, bag, treu und glauben, arbeitsvertrag, arbeitnehmer, arbeitgeber, arbeitgeberverband, allgemeine geschäftsbedingungen, tarifvertrag, juristische person)

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 17 Sa 317/10
Datum:
20.07.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
17. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 Sa 317/10
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Solingen, 4 Ca 927/09 lev
Schlagworte:
Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag Anwendung der Tarifverträge der
Metallindustrie nach dem Austritt des Arbeitgebers aus dem
tarifschließenden Arbeitgeberverband
Normen:
..
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
..
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen
vom 08.01.2010 - Aktenzeichen 4 Ca 927/09 lev - wird kostenpflichtig
zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten noch in der Berufung über die Gewährung einer pauschalen
Tariflohnerhöhung, sowie über die tarifliche Vergütung ab Februar 2009.
2
Der am 13.12.1948 geborene Kläger ist aufgrund Arbeitsvertrages vom 04.11.1976 bei
der Beklagten beschäftigt. Im Arbeitsvertrag heißt es u.a.:
3
„II. Vereinbarung
4
Wir stellen Sie mit Wirkung vom ... als Qual/kontrolleur ein. Die ersten ... Wochen
gelten als Probezeit mit einer beiderseitigen Kündigungsfrist von... Tagen (Satz
gestrichen). Danach gelten die tariflichen Kündigungsfristen.
5
Ihr Einstell-Lohn beträgt 10,50 DM/h (folgender Satz gestrichen) Sie werden bei
Einstellung in Tariflohngruppe 7 eingestuft. Sonstige Zuschläge und Abzüge
gemäß Betriebsvereinbarungen und Richtlinien.
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Es besteht Einigkeit darüber, dass Sie in Früh-, Spät- und Nachtschichten
beschäftigt werden können. Andere zumutbare Arbeiten, ggf. auch in anderen
7
Abteilungen, können zugewiesen werden.
Mehrarbeit ist im Rahmen der gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen auf
Anordnung des Vorgesetzten zu leisten. Die Vergütung wird im Tarifvertrag
geregelt.
8
Im Übrigen gelten die gesetzlichen Vorschriften, die Bestimmungen des jeweils
gültigen Tarifvertrages für die Metall-Industrie MTV sowie die beiliegende
Arbeitsordnung und sonstige Betriebsvereinbarungen unseres Unternehmens in
den jeweils geltenden Fassungen.“
9
Die Beklagte war bei Beschäftigungsbeginn des Klägers Mitglied im
Arbeitgeberverband der Eisen-, Metall-, und Elektroindustrie. Der Kläger ist nicht
tarifgebunden. Zum Ende des Jahres 2004 schied die Beklagte aus dem
Arbeitgeberverband aus. Seit Anfang des Jahres 2005 ist sie OT-Mitglied in der
Unternehmerschaft Rhein - Wupper e.V..
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Die Beklagte wandte in ihrem Betrieb die jeweiligen Tarifverträge der Eisen,- Metall-,
und Elektroindustrie bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Arbeitgeberverband an.
11
Der Kläger war zuletzt in der Tarifgruppe 8 beschäftigt und erhielt ein
Bruttomonatsgehalt von 2.351,44 € (Tariflohn 2009,52,-- € brutto gemäß Abrechnung
Januar 2009). Am 13.11.2008 beschlossen die Tarifvertragsparteien der Eisen-, Metall-
und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen für die Zeit vom 01.11.2008 bis 30.04.2009
einen Pauschalbetrag für Vollzeitbeschäftigte von 510,-- € brutto sowie eine lineare
Erhöhung der Gehälter. Die Beklagte gab die tarifliche Lohnerhöhung nicht an den
Kläger weiter.
12
Mit der vorliegenden am 02.03.2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage
begehrte der Kläger, soweit für die Berufung von Bedeutung, die Zahlung der
pauschalen Lohnerhöhung sowie die lineare Erhöhung der Gehälter ab Februar und
Mai 2009.
13
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass arbeitsvertraglich die Anwendung der
Tarifverträge vereinbart worden sei. Bei der Klausel im Arbeitsvertrag handele es sich
nicht um eine Gleichstellungsabrede. Es werde auf die Bestimmung des jeweils gültigen
Tarifvertrages für die Metallindustrie verwiesen. Aufgrund der gewählten Formulierung
sei die Beklagte auf Dauer an die dynamische Entwicklung der Tarife in der
Metallindustrie gebunden. Der Austritt aus dem Arbeitgeberverband führe nicht zu einer
anderen Beurteilung.
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Der Kläger hat beantragt,
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1.die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 510,00 EUR brutto nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
01.02.2009 zu zahlen;
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2.festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ab Februar 2009 an den
Kläger monatlich 2.427,70 EUR und ab Mai 2.477,75 EUR zu zahlen;
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
19
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die im Arbeitsvertrag geregelte
Verweisungsklausel nur so lange gültig sei, wie der Arbeitgeber kraft
Organisationszugehörigkeit tarifgebunden sei. Mit Austritt aus dem Verband habe der
Kläger keinen Anspruch auf die Tariflohnerhöhungen.
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Mit Urteil vom 08.01.2010 hat das Arbeitsgericht die Klage insoweit abgewiesen und
ausgeführt, dass dem Kläger kein Anspruch auf Zahlung der Tariferhöhungen nach dem
Tarifabschluss 2008 zu stehe. Eine Bezugnahme in einem von einem tarifgebundenen
Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag auf die für das Arbeitsverhältnis
einschlägigen Tarifverträge sei regelmäßig als Gleichstellungsabrede auszulegen.
Danach sei der Arbeitgeber an Tariflohnerhöhungen nach seinem Ausscheiden aus
dem Arbeitgeberverband nicht mehr gebunden. Da es sich um einen Altvertrag handele,
seien die Grundsätze weiter anzuwenden. Aus dem Arbeitsvertrag oder aus sonstigen
Umständen ergäben sich keine Anhaltspunkte für eine abweichende Auslegung der
Bezugnahmeklausel.
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Gegen das dem Kläger am 29.01.2010 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der
Kläger mit dem am 26.02.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz
Berufung eingelegt und diese mit dem am 11.03.2010 beim Landesarbeitsgericht
eingegangenen Schriftsatz begründet.
22
Der Kläger rügt die Auslegung des Arbeitsgerichts. Die Klausel im Arbeitsvertrag könne
nicht als Gleichstellungsabrede verstanden werden, da auf die Bestimmung des jeweils
gültigen Tarifvertrages für die Metallindustrie verwiesen werde. Damit habe sich der
Arbeitgeber auf Dauer an die dynamische Tarifentwicklung der Metallindustrie
gebunden. Hätte er das auf die Zeit der Tarifmitgliedschaft beschränken wollen, hätte er
eine andere Formulierung wählen müssen. Im Übrigen habe er in der Vergangenheit
eine übertarifliche Zulage gehabt und die Arbeitgeberin habe die Tariflohnerhöhungen
in der Vergangenheit immer gezahlt. Seit 2000 sei die übertarifliche Zahlung nach
seiner Erinnerung auf die tariflichen Erhöhungen angerechnet worden.
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Der Kläger beantragt,
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unter teilweiser Abänderung des am 08.01.2010 verkündeten Urteils des
Arbeitsgerichts Solingen, AZ. 4 Ca 927/09 lev:
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1. Die Beklagte zu verurteilen, über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag
hinaus, an den Kläger weitere 510,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2009 zu zahlen.
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2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ab Februar 2009 an
den Kläger monatlich 2.427,70 € und ab Mai 2.477,75 € zu zahlen.
27
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
29
Die Beklagte ist der Auffassung, dass dem Kläger kein Anspruch auf die
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Tariflohnerhöhung zustehe. Es bestehe keine beiderseitige Tarifgebundenheit. Ein
Anspruch ergebe sich auch nicht aus dem Arbeitsvertrag. Die im Arbeitsvertrag
aufgeführte Verweisungsklausel beziehe sich zum Einen nur auf den Manteltarifvertrag
und zum Anderen stelle sie eine Gleichstellungsabrede dar. Danach würden die
Tarifbedingungen nur für die Dauer der Mitgliedschaft des Arbeitgebers im
tarifschließenden Arbeitgeberverband begründet. Dies gelte zumindest für die Verträge,
die bis zum 31.12.2001 abgeschlossen worden seien. Dies sei hier gegeben. Soweit
der Kläger auf eine kleine dynamische Bezugnahmeklausel verweise, führe das nicht zu
einer anderen Beurteilung, da eine solche Klause gerade den jeweils gültigen
Tarifvertrag einbeziehe.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes, sowie des widerstreitenden
Sachvortrages und der unterschiedlichen Rechtsauffassung der Parteien wird auf die in
beiden Instanzen eingereichten Schriftsätze der Parteien, die Protokolle der mündlichen
Verhandlungen, die eingereichten Anlage und den Tatbestand des erstinstanzlichen
Urteils Bezug genommen.
31
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E:
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I. Die Berufung ist zulässig.
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Sie ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des
Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 ArbGG), form- und fristgerecht
eingelegt und begründet worden (§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 Satz 1, Satz 2
ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO).
34
II. Die Berufung ist nicht begründet.
35
1. Die Klageanträge sind zulässig, insbesondere bestehen gegen die Zulässigkeit des
Feststellungsantrags (Klageantrag zu 2.) keine Bedenken. Die Klage richtet sich auf die
Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses iSd. § 256 Abs. 1 ZPO. Zwar
können nach dieser Vorschrift nur Rechtsverhältnisse Gegenstand einer
Feststellungsklage sein, nicht hingegen bloße Elemente oder Vorfragen eines
Rechtsverhältnisses. Eine Feststellungsklage muss sich jedoch nicht notwendig auf ein
Rechtsverhältnis insgesamt erstrecken. Sie kann sich vielmehr auf einzelne
Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder
Verpflichtungen bzw. auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken (BAG Urteil
13.03.2008 - 9 AZR 417/ 06 - NV; NZA -RR 2007 549-554 m.w.N.). Vorliegend geht es
um die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Tariflöhne der Eisen-, Metall- und
Elektroindustrie NRW ab Februar und Mai 2009 zu zahlen und damit um die Klärung
des Umfangs der Leistungspflicht der Beklagten.
36
Der Kläger hat auch ein rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung des Umfangs
seiner Gehaltsansprüche. Er kann insbesondere nicht auf den Vorrang der
Leistungsklage verwiesen werden. Dieser Vorrang gilt nicht uneingeschränkt. Eine
Feststellungsklage ist vielmehr dann zulässig, wenn auf diesem
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Wege eine sachgemäße, einfachere Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu
erreichen ist und prozesswirtschaftliche Erwägungen gegen einen Zwang zur
Leistungsklage sprechen (BAG Urteil v. 18.11. 2003 - 3 AZR 655/02 - NV).
38
Dies ist hier der Fall. Zum Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz waren die
Gehaltsansprüche noch nicht fällig. Da es auch um künftige Ansprüche geht, kann es
dem Kläger nicht zugemutet werden, stets den Ablauf einzelner Leistungszeiträume
abzuwarten, um anschließend jeweils eine Leistungsklage zu erheben bzw. diese zu
erweitern. Auch die bereits fälligen Ansprüche musste er nicht mit einer Leistungsklage
geltend machen. Der Prozeßökonomie entspricht es, dass er die Gesamtforderung im
Wege der Feststellungsklage verfolgt. Einer Aufspaltung in einen Leistungs- und einen
Feststellungsantrag bedurfte es nicht (vgl. u.a. BAG Urteil v. 20.02.2002 - 3 AZR 39/99 -
EzA § 1 BetrAVG Beamtenversorgung Nr. 3; BAG Urteil v. 07.11.1995 - 3 AZR 952/94 -
AP TVG § 1 Tarifverträge: Bühnen Nr. 1; BAG Urteil v. 03.04.1990 - 3 AZR 273/88 -
EzA § 2 VRG Bauindustrie Nr. 6 = BAGE 64, 276, 280). Durch den Rechtsstreit können
die Verpflichtungen der Beklagten im Zusammenhang mit der Tariflohnerhöhung von
November 2008 abschließend geklärt werden.
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2. Die Klage ist nicht begründet.
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Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, dass der Kläger nicht den
Pauschallohn und die begehrte Monatsvergütung nach dem Tarifabschluss in der
Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NRW von November 2008 verlangen kann.
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a) Eine tarifliche Geltung des Tarifabschlusses für das Arbeitsverhältnis der Parteien
kommt nicht in Betracht. Nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG setzt die unmittelbare und
zwingende tarifliche Geltung der normativen Regelungen eines Tarifvertrages die
beiderseitige Tarifgebundenheit voraus. Zum Zeitpunkt des Tarifabschlusses war keiner
der Parteien tarifgebunden. Der Kläger war nach dem unwidersprochenen
Beklagtenvortrag niemals Mitglied der tarifschließenden Partei. Die Beklagte war zwar
bei Beginn des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger Mitglied des tarifschließenden
Arbeitgeberverbandes. Sie hat aber zum Ende des Jahres 2004 ihre Mitgliedschaft im
Metalltarifverband gekündigt und ist seit 2005 OT-Mitglied in der Unternehmerschaft
Rhein-Wupper e. V. Die Fortdauer der Tarifgebundenheit (Nachbindung) gemäß § 3
Abs. 3 TVG erfasst aber nur die zum Zeitpunkt des Austritts geltenden Tarifverträge,
nicht aber die nach dem Austritt abgeschlossenen (BAG Urteil v. 20.06.2001 - 4 AZR
290/00 - EZA § 242 BGB Betriebliche Übung Nr. 45).
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b) Die Anwendbarkeit des Tarifabschlusses auf das Arbeitsverhältnis ergibt sich auch
nicht aus den Regelungen des Arbeitsvertrages vom 04.11.1976.
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aa) Die Auslegung von Verträgen richtet sich nach §§ 133, 157 BGB. Bei der Auslegung
einer Willenserklärung ist der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem
buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (vgl. § 133 BGB). Es kommt zwar für die
Beurteilung auf den Empfängerhorizont an (BGH, NJW 1990, S. 3206). Der Empfänger
darf der Erklärung allerdings nicht einfach den für ihn günstigen Sinn beilegen
(Palandt/Heinrichs, 64. Aufl., § 133 BGB Rn. 9 u. V. a. BGH 1981, S. 2296). Die
Willenserklärungen sind so auszulegen, wie sie der Empfänger aufgrund des aus der
Erklärung erkennbaren Willens unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und der
Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und unter Berücksichtigung aller ihm
bekannten Begleitumstände vernünftigerweise verstehen durfte (BAG Urteil v.
09.12.1997 - 1 AZR 330/97 - EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 62). Enthält der Vertrag
allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB, die von der
Beklagten für eine Vielzahl von Verträgen gleichlautend verwendet und dem
Arbeitnehmer bei Vertragsabschluss gestellt wurden, so sind diese nach ihrem
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objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von
verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der
normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die
Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen
Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind (BAG Urteil v. 24.10.2007 - 10
AZR 825/06 - EzA BGB 2002, § 307 Nr. 26 m. w. N.; BAG Urteil v. 31.08.2005 - 5 AZR
545/04 - AP Arbeitszeitgesetz § 6 Nr. 8).
Im Rahmen der Auslegung ist auch zu berücksichtigen, dass nach der alten
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die Berufungskammer anschließt,
die Bezugnahme auf die für das Arbeitsverhältnis einschlägigen Tarifverträge durch
einen tarifgebundenen Arbeitgeber in einem vorformulierten Arbeitsvertrag bzw. die
bloße Weitergabe der Tariflohnerhöhungen an die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer
in der Regel nur dahingehend verstanden werden kann, dass der Arbeitgeber seinen
gesetzlichen Verpflichtungen nach dem Tarifvertragsgesetz nachkommt und alle
Arbeitnehmer im Betrieb gleich behandeln will (BAG Urteil vom 15.03.2006 - 4 AZR
132/05 - AP Nr. 9 zu § 2 TVG;
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BAG Urteil vom 09.02.2005 - 5 AZR 284/04 - NV).
46
bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann der Arbeitsvertrag nach Auffassung
der Berufungskammer nicht dahingehend verstanden werden, dass dem Kläger
unabhängig von der Tarifbindung des Arbeitgebers jeweils die Tariflohnerhöhungen in
der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NRW zu zahlen sind. Die Regelungen können
unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles nur als Gleichstellungsabrede
verstanden werden. Die Annahme einer Gleichstellungabrede führt aber nicht zu einem
Anspruch des Klägers.
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(1) Der Wortlaut des Arbeitsvertrages spricht nicht von der Geltung der jeweils gültigen
Entgelttarifverträge/ Entgeltabkommen/ Lohnabkommen der Metallindustrie. Im ersten
Absatz des Arbeitsvertrages wird in Bezug auf den Urlaub der MTV erwähnt. In II. Abs. 2
Satz 1 heißt es, dass der Einstell-Lohn 10,50 DM/h beträgt. Der Einstelllohn lag nach
dem Klägervortrag über dem Tariflohn. Im vierten Absatz ist im Anschluss an die
Festlegung der Verpflichtung zur Mehrarbeit aufgeführt, dass die Vergütung im
Tarifvertrag geregelt wird. Angesichts der Stellung des Satzes, bezieht sich dies allein
auf die Bezahlung von angeordneter Mehrarbeit. In Satz 3 ist aufgeführt, dass der Kläger
in die Tariflohngruppe 7 eingestuft wird. Unter II Abs. 5 heißt es sodann, „Im Übrigen
gelten die gesetzlichen Vorschriften, die Bestimmungen des jeweiligen gültigen
Tarifvertrages für die Metallindustrie MTV, sowie…“. Der Manteltarifvertrag regelt aber
nicht die Höhe des konkreten Tariflohns. Einer Eingruppierung des Arbeitnehmers in
eine bestimmte Lohngruppe bei der Einstellung kann zwar entnommen werden, dass
sich der Arbeitgeber an einem bestimmten Tariflohn orientiert hat.
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Dies alleine spricht aber nicht dafür, dass dem Kläger der jeweilige Tariflohn der
Tarifgruppe einzelvertraglich quasi als Mindestlohn unabhängig von der Tarifbindung
zugesagt werden sollte. Es wird weder der aktuelle Tariflohn aufgeführt, noch die
zukünftige Entwicklung des Lohns erwähnt.
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(2) Die Begleitumstände, insbesondere die Handhabung des Vertrages führen auch
nicht zur Annahme einer unbeschränkten individualrechtlichen Zusage der Weitergabe
der tariflichen Lohnerhöhungen.
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Der Kläger hat einen von der Beklagten vorgelegten Arbeitsvertrag abgeschlossen. Die
Beklagte war bei Vertragsschluss kraft Mitgliedschaft im tarifschließenden Verband
verpflichtet, an die tarifgebundenen Arbeitnehmer den Tariflohn zu zahlen und eine
tarifliche Eingruppierung vorzunehmen. Die Beklagte hat unstreitig bis zu ihrem Austritt
aus dem tarifschließenden Arbeitgeberverband die Tarifverträge im Betrieb angewandt.
Dass bei Vertragsschluss oder danach Äußerungen gegenüber dem Kläger erfolgt sind,
aus denen sich die Absicht der Beklagten ergibt, den Kläger abweichend von der
betrieblichen Praxis zu behandeln, sind nicht vorgetragen. Angesichts dieser
Gesamtumstände kann dem Arbeitsvertrag auch unter Berücksichtigung der
Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen dieser geregelten Art zu
erwartenden nicht rechtskundigen Vertragspartners nach Auffassung der
Berufungskammer nicht entnommen werden, dass der Kläger den jeweiligen Tariflohn
unabhängig von der Tarifbindung der Beklagten erhalten sollte. Die Regelungen im
Arbeitsvertrag können im Zusammenhang mit der tatsächlichen Handhabung folglich
nur als Gleichstellungsabrede im Sinne der Rechtsprechung (BAG a.a.O.) verstanden
werden. Der Kläger sollte für die Dauer der Tarifbindung der Beklagten den
tarifgebundenen Arbeitnehmern gleichgestellt werden.
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(3) Die Annahme einer Gleichstellungsabrede führt aber nicht zu einem Anspruch des
Klägers, wie das Arbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat. Nach der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichtes führt eine Gleichstellungsabrede (BAG Urteil v. 10.12.2008 - 4
AZR 881/07 - AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 68, BAG Urteil v.
14.12.2005 - 4 AZR 536/04 - AP Nr. 39 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag; BAG
Urteil vom 01.12.2004 - 4 AZR 50/04 - EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr.
29) bei einem Wegfall der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers dazu, dass die in Bezug
genommenen Tarifverträge nur noch statisch in der Fassung zum Zeitpunkt des Austritts
anzuwenden sind (BAG Urteil vom 18.11.2009 - 4 AZR 518/08 - NZA 2010, S. 170,
172). Diese Auslegungsregel wird aus Gründen des Vertrauensschutzes weiterhin auf
Bezugnahmeklauseln angewendet, die vor dem 01.01.2002 vereinbart worden sind (vgl.
nur BAG Urteil vom 14.12.2005 - 4 AZR 536/04 - EzA § 3 TVG Bezugnahme auf
Tarifvertrag Nr. 32; BAG Urteil v. 18.04.2007 - 4 AZR 652/05 -EzA § 3 TVG
Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 35; BAG Urteil v. 26.08.2009 - 4 AZR 285/08 -
NZA 2010, 230-237).
52
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze, denen sich die Berufungs-
53
kammer anschließt, kann der Kläger nicht die von den Tarifvertragsparteien 2008
vereinbarte Tariferhöhung verlangen, da der Arbeitsvertrag 1976 abgeschlossen wurde
und die Beklagte seit Anfang des Jahres 2005 nicht mehr tarifgebunden ist.
54
3. Der Kläger kann seinen Anspruch auch nicht auf eine betriebliche Übung stützen.
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a) Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter
Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer
schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer
eingeräumt werden. Aus diesem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten des
Arbeitgebers, das von dem Arbeitnehmer in der Regel stillschweigend angenommen
wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen
Leistungen. Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs ist nicht der
Verpflichtungswille, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das
56
Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller
Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen musste und durfte. Im Wege der
Auslegung des Verhaltens des Arbeitgebers ist zu ermitteln, ob der Arbeitnehmer davon
ausgehen musste, die Leistung werde unter bestimmten Voraussetzungen oder nur für
eine bestimmte Zeit gewährt (BAG Urteil v. 03.11.2004 - 5 AZR 73/04 - NV m.w.N.
juris.de; BAG Urteil v. 16.01.2002 - 5 AZR 715/00 - EzA TVG § 4 Tariflohnerhöhung Nr.
37). Eine betriebliche Übung kann allerdings dann nicht entstehen, wenn die
wiederholten Leistungen des Arbeitgebers aufgrund eines bestehenden
Verpflichtungstatbestandes erfolgen. Dies gilt auch, wenn der Arbeitgeber erkennbar in
der irrigen Annahme leistet, die Arbeitnehmer hätten einen entsprechenden Anspruch
(BAG Urteil v. 18.04.2007 - 4 AZR 653/05 - DB 07 S. 2598; BAG Urteil v. 24.11.2004 -
10 AZR 202/04 -, NZA 2005, S. 349; BAG Urteil v. 16.10.2002 - 4 AZR 467/01 - NZA
2003 S. 390).
b) Aus den vorgetragenen Umständen konnte der Kläger nicht entnehmen, dass die
Tarifverträge unabhängig von der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers zur Anwendung
kommen sollten. Die Beklagte war bis Ende 2004 tarifgebunden. Insoweit erfolgte die
Weitergabe der Tariflohnerhöhungen an die tarifgebundenen Arbeitnehmer aufgrund
einer gesetzlichen Verpflichtung. Die Weitergabe an den Kläger erfolgte aufgrund der
Gleichstellungsabrede.
57
Im Übrigen kann, wie oben ausgeführt, die bloße Weitergabe der Tariflohnerhöhungen
an die nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts in der Regel nur dahingehend verstanden werden, alle
Arbeitnehmer im Betrieb gleich zu behandeln (BAG u.a. Urteil v. 09.02.2005 a.a.O.). Im
vorliegenden Fall sind keine Umstände vorgetragen oder erkennbar, die zu einer
anderen Beurteilung führen. Die Annahme einer unbeschränkten Anwendung der
Tarifverträge würde zudem zu einer Benachteiligung der tarifgebundenen Arbeitnehmer
führen. Bei den tarifgebundenen Arbeitnehmern kann kein Anspruch auf Weitergabe der
zukünftigen Tariferhöhungen entstehen, weil der Arbeitgeber an sie aufgrund einer
gesetzlichen Verpflichtung leistet. Ihr Anspruch erlischt mit dem Austritt aus dem
tarifschließenden Arbeitgeberverband. Bei den tarifungebundenen Arbeitnehmern
würde die Zahlung zu einem zusätzlichen Anspruch aus betrieblicher Übung führen. Es
sind weder Umstände vorgetragen noch erkennbar, dass die Beklagte die nicht
tarifgebundenen Arbeitnehmer besser stellen wollte als die tarifgebundenen
Arbeitnehmer.
58
c) Soweit der Kläger im letzten Kammertermin pauschal angedeutet hat, dass zu Beginn
der Beschäftigung der Gesamtlohn und nicht nur der Tariflohn entsprechend der
Tarifverträge erhöht worden sei, führt das nicht zu einer anderen Beurteilung. Es fehlt
schon an einem ausreichenden substantiierten Vortrag, über welchen Zeitraum, welche
Erhöhungen, in welcher Form, auf welche Lohnbestandteile vorgenommen wurden, um
eine Abwägung vornehmen zu können. Unabhängig davon führt ein solcher Sachverhalt
nicht weiter. Wenn schon kein Anspruch auf Weitergabe aller künftigen
Tariflohnerhöhungen auf den Tariflohn aufgrund betrieblicher Übung entsteht, kann
auch ohne weitere Umstände keine betriebliche Übung entstehen, unabhängig von der
Tarifbindung zumindest die außertariflichen Lohnstandteile entsprechend zu erhöhen.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sagt im Übrigen der
tarifungebundene Arbeitgeber bei jeder Weitergabe einer tariflichen Entgelterhöhung
allein zu, auf Dauer die erhöhte Vergütung zu zahlen. Für die Annahme auch künftige
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Tariflohnerhöhungen weiterzugeben, fehlt es an deutlichen Anhaltspunkten (BAG Urteil
v. 16.01 2002 - 5 AZR 715/00 -, NZA 03, 632; BAG Urteil v. 0902.2005- 5 AZR 164/04 -,
ZTR 05, 419; BAG Urteil v. 03.11.2004- 5 AZR 622/03 -, AP Nr. 28 zu § 611 BGB
Lohnanspruch; BAG Urteil v. 13. 02. 2002- 5 AZR 755/00 -, NZA 02, 1232; BAG Urteil v.
26.01.2001- 4 AZR 290/00 - EzA Nr. 45 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Diese
Grundsätze können entsprechend angewendet werden, da keine Verpflichtung zur
Erhöhung von außertariflichen Lohnbestandteilen besteht. Die Beklagte handelte dann
wie ein tarifungebundener Arbeitgeber. Es fehlen ausreichende Anhaltspunkte dafür,
dass die Beklagte die Erhöhungen auf außerbetriebliche Lohnbestandteile unbefristet
und unabhängig von ihrer Tarifbindung gewähren wollte. Im Übrigen wurden nach
Angaben des Klägers die außertariflichen Zuschläge seit 2000 mit den
Tariflohnerhöhungen verrechnet.
Nach alledem hatte die Klage keinen Erfolg und die Berufung war zurückzuweisen.
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III. Die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels hat der Kläger gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG, §
97 ZPO zu tragen.
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IV. Die Kammer hat den entscheidungserheblichen Rechtsfragen grundsätzliche
Bedeutung beigemessen und daher gemäß § 72 Abs. 2 Nr.1, Abs. 1 ArbGG für den
Kläger die Revision an das Bundesarbeitsgericht zugelassen.
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R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G
64
Gegen dieses Urteil kann von der klagenden Partei
65
R E V I S I O N
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eingelegt werden.
67
Für die beklagte Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim
69
Bundesarbeitsgericht
70
Hugo-Preuß-Platz 1
71
99084 Erfurt
72
Fax: 0361 2636 2000
73
eingelegt werden.
74
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
75
Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
76
1.Rechtsanwälte,
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2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder
Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
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3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer
der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und
ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit
vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung
durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
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In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift
unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
80
Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
81
* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
82
JansenPeraglieSchauf
83