Urteil des LAG Düsseldorf vom 11.06.1997

LArbG Düsseldorf (1995, kläger, bag, geltendmachung des anspruchs, zpo, höhe, feststellungsklage, klage auf künftige leistung, negative feststellungsklage, venire contra factum proprium)

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 12 (13) Sa 421/97
Datum:
11.06.1997
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 (13) Sa 421/97
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Duisburg, 5 (3) Ca 3106/97
Schlagworte:
Ausschlußfristen - Einwand der unzulässigen Rechtsausübung
Normen:
§ 4 Abs. TVG,§ 242 BGB,§ 22 MTV-Stahl NRW
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Unterfällt der Anspruch des Arbeitgebers auf Rückzahlung zuviel
gezahlter Bezüge einer tarifli chen Ausschlußfrist, steht dem
Anspruchsverfall nicht deshalb der Einwand unzulässiger
Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegen, weil der Arbeitnehmer die
Überzahlung bemerkt und hierauf den Arbeitgeber nicht aufmerksam
gemacht hatte (gegen BAG, Urteil vom 01.06.1995, 6 AZR 912/94, AP
Nr. 16 zu § 812 BGB).
Tenor:
Unter teilweiser Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Duisburg
vom 05.02.1997 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger für April 1995
DM 3.244,27 zu zahlen.
Im übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger zu 9/10,
die Beklagte zu 1/10.
T A T B E S T A N D :
1
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte abgerechnete Nettobeträge für die
Monate März und April 1995 an den Kläger auszuzahlen oder gegen die Ansprüche des
Klägers mit einer Überzahlung von insgesamt DM 39.333,08 wirksam aufgerechnet hat.
Der Kläger begehrt weiter die Feststellung, daß der Beklagten eine Gegenforderung aus
erfolgten früheren Überzahlungen nicht zusteht, und beansprucht - mit einem zuletzt
gestellten Hilfsantrag - die Auszahlung ab Mai 1995 einbehaltener Beträge.
2
Der Kläger, am 18.04.1940 geboren, türkischer Staatsangehöriger, verheiratet, ein
unterhaltsberechtigtes Kind, war seit dem 17.06.1969 als gewerblicher Arbeitnehmer bei
der Beklagten beschäftigt. Am 09.11.1993 schlossen die Parteien einen
Aufhebungsvertrag (Bl. 26 ff. der Gerichtsakte) zum 31.08.1995. Ebenfalls trafen sie am
3
09.11.1993 eine Vereinbarung, wonach der Kläger ab November 1993 bis August 1995
in den eingerichteten Einsatzbetrieb gemäß § 63 Abs. 4 AFG versetzt wurde und dort
zum Kurzarbeitergeld einen Zuschuß auf 90 % seiner Bezüge bzw. auf
100 % (in der Kündigungsfrist) erhalten sollte. Nach der Betriebsvereinbarung vom
13.09.1993 wird dieser Zuschuß als Vorschuß auf die Abfindungszahlung gewährt.
4
Aufgrund eines Eingabefehlers in der Entgeltabrechnung der Beklagten erhielt der
Kläger in dem Zeitraum von Februar 1993 bis Februar 1995 (ausgenommen Januar
1994) überhöhte Abfindungsvorschüsse. Die monatlich zuviel gezahlten Beträge lagen
zwischen 1.392,-- und 3.093,-- DM. Insgesamt beliefen sich die Überzahlungen auf DM
39.333,08.
5
Mit Schreiben vom 21.03.1995 teilte die Beklagte dem Kläger die Überzahlung (dort
noch auf DM 39.193,-- beziffert) mit und kündigte an, beginnend mit der
Märzabrechnung die zuviel gezahlten Ausgleichsbeträge wieder in Abzug zu bringen.
Mit Schreiben vom 15.05.1995 teilte sie mit, daß ihre Restforderung unter
Berücksichtigung der Bezüge für April 1995 noch DM 32.971,30 betrage. Unter dem
23.05.1995 widersprach der Kläger der Rückzahlungsforderung und forderte die
Beklagte zur Auszahlung der zuviel einbehaltenen Beträge auf. Die Beklagte lehnte
dies durch Schreiben vom 06. und 29.06.1995 ab. Daraufhin hat der Kläger mit am
25.07.1995 beim Arbeitsgericht Duisburg eingereichten Antrag auf
Prozeßkostenhilfe/Klage die Anträge angekündigt,
6
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn die Bruttolöhne für die Monate März und
7
April 1995, abzüglich der gesetzlichen Abzüge und bereits gezahlter
8
2.000,-- DM zu zahlen,
9
2. festzustellen, daß der nicht verpflichtet ist, die seitens der Beklagten an ihn
10
zuviel gezahlten Bezüge für den Zeitraum November 1993 bis einschließlich
11
Februar 1995 in Höhe von DM 39.193,-- zurückzuzahlen.
12
Für die Zeit ab Mai 1995 nahm die Beklagte weitere Einbehalte vor. Den
Abfindungsanspruch des Klägers für die Zeit ab September 1995 in Höhe von monatlich
DM 1.151,55 bzw. DM 1.151,54 verrechnete sie jeweils vollumfänglich gegen die
früheren Überzahlungen. Wegen der Einzelheiten der Verrechnung wird auf die
Aufstellung der Beklagten (S. 4 f. des Schriftsatzes vom 06.06.1997) verwiesen.
13
Nachdem das Arbeitsgericht mit Beschluß vom 26.09.1996 dem Kläger
Prozeßkostenhilfe gewährt hat, hat es mit Urteil vom 05.02.1997 die Zahlungsklage als
unzulässig und die Feststellungsklage als unbegründet abgewiesen.
14
Gegen das Urteil,auf das hiermit zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes
verwiesen wird, wendet sich der Kläger mit der form- und fristgerecht eingelegten und
begründeten Berufung. Er beziffert die Zahlungsansprüche für März und für April 1995
und macht geltend, daß er hinsichtlich der Überzahlungen gutgläubig gewesen sei.
Nach Eingang der ersten Überzahlung habe er diese im Personal- bzw. Lohnbüro
15
gemeldet und dort die Auskunft erhalten, die Angelegenheit sei in Ordnung,
Überzahlungen lägen nicht vor. Jedenfalls durch diese Auskunft sei er - so meint der
Kläger - wieder gutgläubig geworden, so daß er sich auf den Wegfall der Bereicherung i.
S. v. § 818 Abs. 3 BGB berufen könne.
Die Beklagte bestreitet, dem Kläger die (behauptete) Auskunft erteilt zu haben. In einem
Gespräch am 29.03.1995 habe der Kläger eingeräumt, die Überzahlung von Anfang an
bemerkt zu haben, und mitgeteilt, daß er mit seinem Sohn sprechen wolle, ob dieser ihm
zur Beschleunigung der Rückzahlung 10.000,-- DM leihen könne. Eine daraufhin
vorbereitete Rückzahlungsvereinbarung habe er dann jedoch nicht unterzeichnet.
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Die Beklagte ist des weiteren der Auffassung, daß der Zahlungsanspruch des Klägers
für die Monate März und April 1995 vollständig pfändbar gewesen sei, weil er sich um
eine ratierlich gezahlte Abfindung gehandelt habe. Der Anspruch sei auch nicht nach §
22 MTV-Stahl verfallen. Einem tariflichen Verfall stehe § 242 BGB entgegen, denn der
Kläger habe es pflichtwidrig unterlassen, sie von den erkannten Überzahlungen ab
November 1993 zu unterrichten.
17
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
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1.
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn für März 1995 DM 3.117,51 sowie für April 1995 DM
3.244,27 zu zahlen.
20
2.
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festzustellen, daß er nicht verpflichtet ist, die seitens der Beklagten an ihn zuviel
gezahlten Beträge für den Zeitraum November 1993 bis einschließlich Februar 1995 in
Höhe von 39.193,00 DM zurückzuzahlen.
22
3.
23
hilfsweise zum Antrag zu 2,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 27.501,46 abzüglich im Verfahren 12 Sa 420/97
rechtshängiger DM 2.800,-- netto für die Monate September und Oktober 1995 zu
zahlen.
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Die Beklagte hat die Zurückweisung der Berufung beantragt und der Klageänderung
widersprochen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
27
I.
28
Der Kläger hat mit der in der Berufungsinstanz geänderten Leistungsklage (Antrag zu 1)
insoweit Erfolg, als er die Zahlung der für den Monat April 1995 abgerechneten
Nettobezüge in Höhe von DM 3.244,27 verlangt; im übrigen ist die Zahlungsklage
unbegründet. Die negative Feststellungsklage (Antrag zu 2) ist unzulässig und deshalb
abzuweisen. Den mit dem Hilfsantrag geltend gemachten Zahlungsanspruch hat die
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Kammer schon gemäß § 528 Abs. 2 ZPO nicht zulassen können; im übrigen ist die
Änderung der Klage gemäß § 263 ZPO unzulässig.
II.
30
Die mit dem zuletzt gestellten Antrag zu 1. verfolgte Zahlungsklage ist zulässig und
teilweise begründet.
31
1. Soweit der Kläger durch die Ansprüche für März 1995 und April 1995 auf
32
DM 3.117,51 netto und auf DM 3.244,27 netto beziffert hat, erachtet die Kammer die
Klageänderung für sachdienlich (§ 263 ZPO). Im übrigen stellt die Bezifferung die nach
§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO erforderliche Bestimmtheit der Leistungsklage her, die, wie das
angefochtene Urteil zutreffend ausführt, in erster Instanz nicht gegeben war.
33
2. Der Anspruch für beide Monate ist dem Grunde und der Höhe nach zwischen den
Parteien unstreitig. Allerdings ist der Anspruch für März 1995 tariflich verfallen,
wohingegen für den Monat April 1995 die Ausschlußfristen des § 22 MTV-Stahl
eingehalten sind.
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Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand unstreitig der MTV-Stahl Anwendung, der in
§ 22 Nr. 1 Satz 1 bestimmt, daß Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb von drei
Monaten nach ihrer Fälligkeit geltend zu machen sind. Nach Nr. 2 sind bei Beendigung
des Arbeitsverhältnisses alle Ansprüche innerhalb eines Monats nach Erhalt der
Endabrechnung schriftlich oder zu Protokoll der betrieblich zuständigen Stelle geltend
zu machen. Wird der Anspruch schriftlich abgelehnt, so kann der Anspruch nur
innerhalb von drei Monaten nach Zugang des Ablehnungsbescheids beim
Arbeitsgericht geltend gemacht werden. Andernfalls ist der Anspruch verwirkt.
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Die Geltendmachung erfordert, daß der Gläubiger die Forderung dem Grunde und der
Höhe nach hinreichend deutlich bezeichnet. Er hat den Anspruchssachverhalt
anzugeben und des weiteren die Forderung mindestens annähernd der Höhe nach zu
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bezeichnen; letzteres ist nur dann entbehrlich, wenn dem Schuldner die Höhe der
Forderung ohnehin bekannt ist oder wenn ihm die Ermittlungen des Betrages ohne
weiteres möglich ist (BAG, Urteil vom 05.03.1981, 3 AZR 559/76, AP Nr. 9 zu § 70 BAT,
Urteil vom 13.11.1986, 6 AZR 529/83, AP Nr. 1 zu § 2 BAT SR 2 b).
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Zwar ist die Geltendmachung durch den am 10.08.1995 der Beklagten zugestellten
Antrag auf Prozeßkostenhilfe/Klage nicht mehr fristwahrend gewesen (vgl. BAG, Urteil
vom 08.03.1976, 5 AZR 361/75, AP Nr. 4 zu § 496 ZPO). Der Kläger hat sich jedoch
bereits mit anwaltlichem Schreiben vom 23.05.1995 der Rückforderung der
Überzahlung widersetzt und gerügt, daß die Beklagte unzulässigerweise von seinem
Gehalt bereits Zahlungen einbehalten habe, und sie aufgefordert, die zuviel
einbehaltenen Beträge zu überweisen. Allerdings wird in dem Schreiben vom
23.05.1995 ausdrücklich nur der Monat April 1995 erwähnt, während der geforderte
Auszahlungsbetrag ( .... ca. 5.000,00 DM .... ) weder nachvollziehbar dargestellt noch
anderen Leistungszeiträumen zugeordnet wird. Insbesondere fehlt eine Bezugnahme
auf den Monat März 1995 und/oder auf den sich aus der Lohnabrechnung ergebenden
Brutto- oder Nettobetrag. Unter diesen Umständen stellt das Schreiben vom 23.05.1995
keine ausreichende Geltendmachung der Ansprüche für März 1995 dar. Diese sind
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somit gemäß § 22 Nr. 1 Satz 1 MTV-Stahl verfallen.
Dem Kläger kommt in diesem Zusammenhang nicht die Ausnahmeregelung des § 22
Nr. 1 Satz 2 zugute, wonach Ansprüche nicht verwirken, wenn der Anspruchsberechtigte
trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert
war, die tarifliche Ausschlußfrist von drei Monaten einzuhalten. Ihm lag nämlich die
Lohnabrechnung für März 1995 bereits vor, so daß er ohne weiteres in der Lage war,
den Anspruch sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach zu erkennen. Bezogen auf
den Monat April 1995 ist die Geltendmachung ausreichend. Die Bezüge
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für den Monat April 1995 werden ausdrücklich erwähnt. Auch wenn sie - trotz der
vorliegenden Lohnabrechnung 04/95 - nicht beziffert werden, waren sie doch aufgrund
der Abrechnung der Beklagten ebenso bekannt wie der getätigte Einbehalt von DM
3.244,27.
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3. Die Aufrechnung der Beklagten ist teilweise unzulässig, im übrigen unbegründet.
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Will der Arbeitgeber gegen Ansprüche des Arbeitnehmers aufrechnen, ist er im Prozeß
damit belastet, die Pfändbarkeit der Ansprüche substantiiert darzulegen (§ 394 BGB, §§
850 ff. ZPO). Die Beklagte macht zwar geltend, daß es sich bei dem Zahlungsanspruch
des Klägers für April 1995 um eine ratierlich gezahlte Abfindung handelte. Nach der
Entgeltabrechnung 04/95 war jedoch lediglich der Betrag DM 1.325,00 ein Vorschuß auf
die Sozialplanleistungen, während DM 1.404,00 Kurzarbeitergeld und DM 671,56
Gesamt-Brutto (gesetzliche Abzüge: DM 129,29) waren. Das Kurzarbeitergeld ist
prinzipiell unpfändbar (§ 54 SGB I; vgl. § 850 e Nr. 2 a ZPO). Auch unter
Zusammenrechnung des DM 671,56 brutto entsprechenden Nettobetrages ist eine
Pfändbarkeit nach Maßgabe des § 850 c Abs. 1 ZPO nicht erkennbar und wird von der
Beklagten auch nicht dargelegt und beziffert. Damit ist die Aufrechnung nur gegen den
Betrag von DM 1.325,-- zulässig (vgl. BAG, Urteil vom 13.11.1991,
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4 AZR 20/91, AP Nr. 30 zu § 850 ZPO).
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Der Beklagten stand jedoch nicht die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung zu.
Nach § 396, § 366 Abs. 2 BGB resultierte die Gegenforderung aus der Überzahlung
Dezember 1993, nachdem die Überzahlung November 1993 (DM 542,--) bereits durch
den Einbehalt für März 1995 verrechnet war und diese Verrechnung in Höhe von
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weiteren 1.575,51 DM die Überzahlung für Dezember 1993 (DM 3.093,00) rückführte.
Die Gegenforderung der Beklagten aus der historischen Reihenfolge (S. 5 ihres
Schriftsatzes vom 06.06.1997) war jedoch tariflich verfallen, so daß mit ihr nicht mehr
aufgerechnet werden konnte (vgl. BAG, Urteil vom 10.01.1974, 5 AZR 573/72, AP Nr. 54
zu § 4 TVG Ausschlußfristen, Urteil vom 30.03.1988, 5 AZR 42/87, AP Nr. 77 zu
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§ 1 LohnFG).
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a) Tarifliche Ausschlußfristen erfassen grundsätzlich auch Ansprüche aus
ungerechtfertigter Bereicherung, insbesondere auch Rückforderungsansprüche des
Arbeitgebers aus Überzahlungen (BAG, Urteil vom 14.09.1994, 5 AZR 407/93, AP Nr.
127 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, Urteil vom 01.06.1995, 6 AZR 912/94, AP Nr. 16 zu §
812 BGB, LAG Berlin, Urteil vom 03.04.1995, BB 1996, 222; vgl. BAG, Urteil vom
04.09.1991, 5 AZR 647/90, AP Nr. 113 zu § 4 TVG Ausschlußfristen). Die Fälligkeit des
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Bereicherungsanspruchs tritt grundsätzlich schon mit der Anspruchsentstehung ein (§
271 BGB), also mit dem Zeitpunkt der Überzahlung. Allerdings setzt die in einer
tariflichen Verfallklausel geforderte Geltendmachung voraus, daß dem Gläubiger die
Geltendmachung überhaupt möglich und zumutbar ist. Daher beginnt der Lauf einer
Verfallfrist, auch wenn diese auf Fälligkeit abstellt, nicht, bevor der Gläubiger in der
Lage ist, die tatsächlichen Voraussetzungen seines Anspruchs zu erkennen und diesen
wenigstens annähernd zu beziffern (BAG, Urteil vom 01.06.1995, a. a. O., Plüm, MDR
1993, 16). Somit hemmt schuldlose Unkenntnis den Fristbeginn. Andererseits setzt der
Lauf der Ausschlußfrist ein, wenn der Arbeitgeber es durch (objektiv) schuldhaftes
Zögern versäumt, sich die Kenntnis der Voraussetzungen zu verschaffen, die er für die
Geltendmachung benötigt (BAG, Urteil vom 16.11.1989, 6 AZR 114/89, AP Nr. 8 zu § 29
BAT, Urteil vom 01.06.1995, a. a. O.). Der Beklagten waren im Zeitpunkt der fehlerhaften
Auszahlung alle maßgeblichen Umstände für die Berechnung der ab November 1993
dem Kläger geschuldeten Leistungen bekannt. Der
Berechnungsfehler (Eingabefehler) fiel in ihre Sphäre. Er hätte durch
Kontrollmaßnahmen leicht entdeckt werden können. Die Beklagte hat nichts zu ihrer
Exkulpation vorgetragen. Daher kann von einer schuldlosen Fristversäumung, die -
unabhängig von den vorerwähnten Grundsätzen - nach § 22 Nr. 1 Satz 2 MTV-Stahl
dem Anspruchsverfall entgegen steht, keine Rede sein.
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b) Der Verfall der Gegenforderung ist nicht durch § 242 BGB ausgeschlossen. Nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung (BAG, Urteil vom 22.01.1997, 10 AZR 459/96, Urteil
vom 18.02.1992, 9 AZR 611/90, AP Nr. 115 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, Urteil vom
09.08.1990, 2 AZR 579/89, AP Nr. 46 zu § 615 BGB) stellt die Berufung auf eine
Ausschlußfrist dann eine treuwidrige und damit unzulässige Rechtsausübung dar, wenn
die zum Verfall des Anspruchs führende Untätigkeit des Gläubigers hinsichtlich der
erforderlichen form- und/oder fristgerechten Geltendmachung des Anspruchs durch ein
Verhalten des Schuldners veranlaßt worden ist. Der Schuldner muß mithin den
Gläubiger von der Geltendmachung des Anspruchs bzw. der Einhaltung der Verfallfrist
abgehalten haben. Ob der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung greift, hängt von
den Umständen des Einzelfalles ab. Es muß sich um besonders krasse Fälle handeln,
in denen dem Gläubiger ein grob unbilliges Verhalten zur Last gelegt werden kann
(BAG, Urteil vom 09.08.1990, a. a. O.). Eine unzulässige Rechtsausübung wird vor
allem dann angenommen, wenn der Schuldner beim Gläubiger den Eindruck erweckt
hatte, eine Geltendmachung der Ansprüche sei entbehrlich (BAG, Urteil vom
18.02.1992, a. a. O., Urteil vom 09.08.1990, a. a. O.).
49
Eine unzulässige Rechtsausübung durch widersprüchliches Verhalten (venire contra
factum proprium) scheidet vorliegend aus: Der Kläger hat nicht durch sein Verhalten bei
der Beklagten das Vertrauen erweckt, sie brauche ihre Bereicherungsansprüche nicht
fristgerecht geltend zu machen.
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Ebensowenig stellt es eine grobe Unbilligkeit dar, wenn der Kläger die Beklagte nicht
auf die von ihm erkannten Überzahlungen hingewiesen haben sollte und dadurch der
Beklagten nicht die fristgerechte Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs
ermöglichte. Zwar gehört es zu den Nebenpflichten des Arbeitnehmers, dem
Arbeitgeber drohende Schäden anzuzeigen. Es kann also eine Pflichtwidrigkeit
darstellen, wenn der Arbeitnehmer es unterläßt, den Arbeitgeber auf eine erfolgte
Lohnüberzahlung aufmerksam zu machen (BAG, Urteil vom 01.06.1995, a. a. O.). Die
Pflichtwidrigkeit impliziert oder indiziert jedoch keine Arglist , denn es ist in erster Linie
51
Sache des Arbeitgebers, den in seiner Sphäre entstandenen Abrechnungs- oder
Überweisungsfehler zu vermeiden, aufzudecken und den Rückforderungsanspruch
fristgerecht geltend zu machen. Allein durch das Unterlassen des Arbeitnehmers wird
ihm dies weder erschwert noch unmöglich gemacht.
Für ihre Auffassung, daß der Berufung des Klägers auf den Ablauf der tariflichen
Ausschlußfrist der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen stehe, kann
sich die Beklagte nicht auf die BAG-Rechtsprechung zu § 70 BAT verweisen. Richtig ist
freilich, daß das Bundesarbeitsgericht für tarifliche Ausschlußfristen im Bereich des
öffentlichen Dienstes wiederholt eine unzulässige Rechtsausübung durch den
Arbeitnehmer angenommen hat, der in Kenntnis oder Erkennbarkeit der
Lohnüberzahlung untätig geblieben war (BAG, Urteil vom 11.06.1980, 4 AZR 443/78,
AP Nr. 7 zu § 70 BAT, Urteil vom 01.06.1995, a. a. O.). Der Judikatur der für den
öffentlichen Dienst zuständigen Senate liegt indessen eine unzulässige
Billigkeitskontrolle von Tarifnormen und ein problematischer Wertungsansatz zugrunde;
sie ist auf tarifliche Ausschlußfristen in der Privatwirtschaft nicht ohne weiteres
übertragbar.
52
Indem Tarifvertragsparteien Verfallklauseln den ihnen geläufigen Rechtsbegriff des
Anspruchs ohne gegenständliche Einschränkungen versehen, erfassen sie nämlich
auch Ansprüche aus pflichtwidrigem Verhalten, insbesondere aus positiver
Forderungsverletzung (BAG, Urteil vom 16.03.1995, 8 AZR 58/92, AP Nr. 128 zu § 4
TVG Ausschluß-
53
fristen) oder aus unerlaubter Handlung (BAG, Urteil vom 08.02.1972, 1 AZR 221/71, AP
Nr. 49 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, Urteil vom 05.03.1981, AP Nr. 9 zu § 70 BAT, Urteil
vom 26.04.1990, 8 AZR 153/89, ZTR 1991, 26 f.; Urteil vom 27.04.1995, 8 AZR 582/94,
ZTR 1995, 520, zu B I 1; vgl. Urteil vom 26.05.1981, 3 AZR 269/78, AP Nr. 71 zu § 4
TVG Ausschlußfristen, LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.10.1995, LAGE Nr. 40 zu § 4
TVG Ausschlußfristen). Da sie wissen, daß solche Ansprüche zwischen den
Arbeitsvertragsparteien entstehen können und sie gleichwohl nicht durch
entsprechende Klauseln von dem tariflichen Verfall ausnehmen, macht die gewählte
weite Formulierung der Verfallklausel ihren Willen erkennbar, selbst die Ansprüche,
denen ein gravierendes pflichtwidriges und schuldhaftes Verhalten des Schuldners
zugrunde liegt, der Verfallfrist zu unterwerfen. Ist also eine weite Verfallklausel rechtlich
nicht zu beanstanden, sind die Gerichte für Arbeitssachen nicht befugt, durch eine
verdeckte Billigkeits- und Angemessenheitskontrolle bestimmte Sachverhalte von dem
tariflichen Verfall auszunehmen. Ausschlußfristen dienen der Rechtssicherheit und dem
Rechtsfrieden. Sie wollen den Gläubiger anhalten, innerhalb kurzer Fristen die
Begründetheit und Erfolgsaussichten seiner Ansprüche zu prüfen. Der Schuldner soll
sich darauf verlassen können, nach Ablauf der Frist nicht mehr in Anspruch genommen
zu werden; der Nichtschuldner soll nach Ablauf längerer Fristen vor einem
Beweisnotstand bewahrt werden (BAG, Urteil vom 07.02.1995, 3 AZR 483/94, AP Nr. 54
zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel). Ausgehend von dem Befund, daß - unter der
Prämisse der Erkennbarkeit - selbst Schadensersatzansprüche aufgrund pflichtwidrigen
schuldhaften Fehlverhaltens der anderen Vertragspartei vom tariflichen Verfall erfaßt
werden, stellt es einen Wertungswiderspruch dar, das pflichtwidrig-schulhafte
Unterlassen des Arbeitnehmers, den Arbeitgeber auf eine erkennbare Lohnüberzahlung
hinzuweisen, als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) mit der Konsequenz zu
beurteilen, daß die Ausschlußfrist nicht eingreift.
54
Hinzu kommt folgendes: Indem tarifliche Ausschlußfristen standardmäßig
Vergütungsansprüche der Arbeitnehmer erfassen, nehmen sie in Kauf, daß ein
Anspruchsverfall selbst dann eintritt, wenn in der grundlosen Nichterfüllung dieser
Ansprüche
55
durch den Arbeitgeber ein sozialer Unwert liegt. Das Verhalten des Arbeitgebers muß
nicht schon deshalb, weil es die Rechtsordnung nicht ausdrücklich pönalisiert, weniger
mißbilligenswert sein (vgl. BAG, Urteil vom 03.04.1990, 3 AZR 211/89, AP Nr. 9 zu § 1
BetrAVG Treuebruch). Kommt ihm aber gleichwohl der tarifliche Verfall zugute, ist nicht
nachvollziehbar, weshalb dem Arbeitnehmer in Überzahlungsfällen wegen
pflichtwidrigen Unterlassens der Anzeige die Berufung auf den tariflichen Verfall versagt
sein soll.
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Anzumerken ist, daß die vom 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts begründete Judikatur
zu Ausschlußfristen auch in anderer Hinsicht von der Rechtsprechung der anderen
Senate abweicht. So meint der Senat, daß vor Fälligkeit des Anspruchs eine
Geltendmachung nicht rechtswirksam erfolgen könne (BAG, Urteil vom 24.10.1990,
57
6 AZR 37/89, AP Nr. 7 zu § 3 BAT; ebenso: BAG, Urteil vom 20.08.1996, 9 AZR 222/95,
AP Nr. 1 zu § 11 BUrlG Urlaubskasse). Demgegenüber halten andere Senate (BAG,
Urteil vom 10.11.1992, 1 AZR 293/90, (ZfPR 1993,93), Urteil vom 27.03.1996, 10 AZR
668/95, AP Nr. AP Nr. 134 zu § 4 TVG Ausschlußfristen) die vorfristige Geltendmachung
für statthaft, (ebenso: Urteil der Kammer vom 14.02.1993, LAGE Nr. 29 zu § 613 a BGB).
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c) In Anwendung dieser Grundsätze auf den Streitfall steht dem tariflichen
Anspruchsverfall der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nicht schon deshalb
entgegen, weil es - nach Behauptung der Beklagten - der Kläger es unterlassen haben
soll, sie auf die von ihm bemerkte Überzahlung hinzuweisen.
59
Es kann daher dahinstehen, ob der Kläger, wie er behauptet, im November 1993 mit
einer Dame der Lohn- und Personalabteilung der Beklagten gesprochen, sie auf die
Überzahlung hingewiesen und die Antwort erhalten haben will, daß alles in Ordnung
sei. Die Vorinstanz hat diesen Einwand als unsubstantiiert angesehen (S. 6, 7 des
Urteils); die Beklagte hat behauptet, daß eine Umfrage unter den zuständigen
Mitarbeitern ein negatives Ergebnis gehabt habe (S. 5 des Schriftsatzes vom
26.05.1997).
60
d) Der Kläger hat die Gegenforderung der Beklagten schließlich nicht dadurch
anerkannt , daß er mit ihr Gespräche über eine ratenweise Rückzahlung führte. Die
Gespräche sollten nach eigenem Vortrag der Beklagten zum Abschluß einer
schriftlichen Rückzahlungsvereinbarung führen. Die Beurkundung ist indessen nicht
erfolgt, so daß nach der Auslegungsregel des § 154 Abs. 2 BGB kein
Schuldanerkenntnisvertrag (vgl. BAG, Urteil vom 26.10.1994, 5 AZR 390/92, AP Nr. 19
zu § 611 BGB Ausbildungsbeihilfe) zustande gekommen ist.
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Die Berufung auf den Verfall der Gegenforderung ist auch nicht deshalb treuwidrig, weil
sich der Kläger in Gespräche mit der Beklagten über die Rückführung der Überzahlung
einließ. Die Beklagte mußte damit rechnen, daß der Kläger sich auf den Standpunkt
zurückziehen würde, die erhaltene Überzahlung nicht erstatten zu müssen, und also die
Verhandlungen scheitern würden.
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4. Der zuerkannte Anspruch des Klägers für den Monat April 1995 ist nicht um eine
Abschlagszahlung in Höhe von DM 2.000,-- zu vermindern. Zwar hat der Kläger selbst
in der Klageschrift vom 21.07.1995 den Erhalt einer solchen Abschlagszahlung
eingeräumt. Es ist jedoch zweifelhaft, ob die Beklagte überhaupt diesen Abschlag
gewährte. Sie selbst hatte dies nicht behauptet. In jedem Fall wäre gemäß § 366 Abs. 2
BGB eine etwaige Abschlagszahlung auf die Bezüge für März 1995 zu beziehen; der
Anspruch für April 1995 wird daher nicht verringert.
63
III.
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Die negative Feststellungsklage (Antrag zu 2) ist unzulässig, § 256 Abs. 1 ZPO.
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1. Richtig ist allerdings, daß sich die Beklagte unter dem 21.03.1995 eines
Rückforderungsanspruchs in Höhe von DM 39.193,-- berühmte, so daß das
Rechtsschutzinteresse für eine leugnende Feststellungsklage entstanden war. Richtig
ist weiter, daß der Kläger in der Regel nicht deshalb zu einer Leistungsklage übergehen
muß, wenn diese erst nach zulässiger Erhebung der Feststellungsklage möglich wird
(Thomas/Putzo, ZPO, 19. Aufl., § 256 Rz. 20). Der Kläger hat auch die Gegenansprüche
der Beklagten beziffert, so daß die Feststellungsklage Klarheit über den Umfang der
Rechtskraft schaffen konnte (Stein/Jonas/Schumann, ZPO, 20. Aufl., § 256 Rz. 110,
112).
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Die vorgenommene Bezifferung ist jedoch fehlerhaft, und zwar weniger deshalb, weil
die Beklagte den Gesamtbetrag der Überzahlung auf DM 39.333,08 berichtigt hat,
sondern deshalb, weil ihr Rückforderungsanspruch, mit dem sie gegen die Ansprüche
des Klägers ab März 1995 aufgerechnet hat, bereits - teilweise - Streitgegenstand der
Leistungsklagen im vorliegenden Rechtsstreit sowie im Rechtsstreit 12 Sa 420/97
geworden ist und also insoweit das Feststellungsinteresse durch die erhobenen
Leistungsklagen entfallen ist. Zum anderen hat sich die Höhe der Gegenforderung der
Beklagten im Laufe der Zeit durch die vorgenommenen Einbehalte weitgehend
ermäßigt. Da der Kläger, wie noch auszuführen sein wird, wegen des Verfalls seiner
Zahlungsansprüche nach § 22 MTV-Stahl diese Einbehalte hinnehmen muß, ist die
Feststellung des Nichtbestehens der Gegenforderung in der angegebenen Höhe
unzulässig, weil sich in diesem Umfang für die Gegenwart oder Zukunft keine
Rechtsfolgen mehr ergeben. Insoweit verlangt der Kläger lediglich ein Rechtsgutachten
für einen
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abgeschlossenen Sachverhalt. Die Erstattung von Rechtsgutachten ist den Gerichten
aber versagt (BAG, Urteil vom 08.12.1992, 9 AZR 113/92, AP Nr. 19 zu § 256 ZPO
1977).
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2. Zwar hat der Kläger im Verfahren 12 Sa 420/91 durch die dort erhobene
Feststellungsklage die Ansprüche aus dem Aufhebungsvertrag (unbeziffert) geltend
gemacht. Auch ist die vorfristige Geltendmachung, wie ausgeführt, zulässig. Indem die
Beklagte jedoch vorgerichtlich im Hinblick auf den zur Aufrechnung gestellten
Rückforderungsanspruch die Zahlungsansprüche des Klägers ablehnte, war dieser
nach § 22 Nr. 2 Satz 2 MTV-Stahl gehalten, die Ansprüche innerhalb von drei Monate
beim Arbeitsgericht geltend zu machen. Dies ist nicht geschehen.
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a) Zunächst ist anerkannt, daß tariflichen Ausschlußfristen auch Sozialplanansprüche
unterliegen (BAG, Urteil vom 27.03.1996, 10 AZR 668/95, AP Nr. 134 zu § 4 TVG
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Ausschlußfristen). Hiervon macht § 22 Nr. 2 MTV-Stahl nicht deshalb eine Ausnahme,
weil er an den Erhalt der Endabrechnung (i. c. für den Monat August 1995) anknüpft.
Zwar sind die Ansprüche, die bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses offenstehen,
meistens Zahlungsansprüche, deren Höhe der Arbeitnehmer erst bei Erhalt der
Abrechnung erkennen kann. Aus diesem Grund wurde tariflich der Erhalt der
Endabrechnung als Zeitpunkt für den Fristbeginn festgelegt. Mit dem Erhalt der
Endabrechnung beginnt freilich die Ausschlußfrist auch für alle anderen Ansprüche zu
laufen, die dem Grunde und der Höhe nach unabhängig von der Endabrechnung
geltend gemacht werden können (Reinecke/Stumpfe, Kommentar zum
Manteltarifvertrag-Stahl vom 15.03.1989, 3. Aufl., § 22 Rz. 12). Danach mußte der
Kläger seine Ansprüche, namentlich die Sozialplanabfindungsansprüche, innerhalb von
drei Monaten gerichtlich geltend machen. Zunächst ist die bezifferte Leistungsklage der
von der Zivilprozeßordnung vorgesehene Normalfall der gerichtlichen
Auseinandersetzung. Auch eine unbezifferte Leistungsklage kann ausreichen, wenn sie
durch Aufnahme eines konkreten Zahlungsantrages zulässig gemacht wird. Schließlich
erfüllt
eine zulässige allgemeine Feststellungsklage den tariflichen Begriff der gerichtlichen
Geltendmachung, sofern sie geeignet ist, den gesamten von den Parteien
unterschiedlich beurteilten Streitstoff zu klären (BAG, Urteil vom 06.07.1989, 6 AZR
771/87, AP Nr. 4 zu § 705 BGB). Hingegen genügt eine unzulässige Feststellungsklage
nicht den tariflichen Anforderungen an eine gerichtliche Geltendmachung, weil sie den
Schuldner nicht zwingt, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem gerichtlich geltend
gemachten Anspruch vornehmen zu müssen, seine Einwendungen und Gegenrechte zu
überdenken und somit seine prozessuale und materiellrechtliche Verteidigung so zu
prüfen, daß das Arbeitsgericht den Streit endgültig entscheiden kann (BAG, Urteil vom
06.07.1989). Im Gegensatz zur unzulässigen Leistungsklage kann eine unzulässige
Feststellungsklage auch nicht jederzeit zulässig gemacht werden. Eine Nachholung mit
heilender Wirkung kommt nicht in Betracht. Zwar kann der klagende Gläubiger die
Klage durch Klageänderung zulässig machen. Es bedarf zur prozessualen Wirksamkeit
dieser Klageänderung jedoch der Zustimmung des Gegners oder der
Sachdienlichkeitsentscheidung des Gerichts. Erst die unter diesen Prämissen
eingetretene Klageänderung würde den Schuldner des gerichtlich geltend gemachten
Anspruchs zwingen, sich auf die Sache materiellrechtlich einzulassen (BAG, Urteil vom
06.07.1989, a. a. O.). Des weiteren wird eine gerichtliche Geltendmachungsfrist nicht
durch eine Feststellungsklage gewahrt, die lediglich eine Vorfrage zur Entscheidung
stellt, hingegen weitere wesentliche Streitpunkte außer Betracht läßt (BAG, Urteil vom
01.03.1979, 3 AZR 472/77, AP Nr. 66 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).
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b) Danach stellt die leugnende Feststellungsklage (Antrag zu 2) keine gerichtliche
Geltendmachung der klägerischen Ansprüche dar. Bezogen auf diese Ansprüche
behandelte sie lediglich eine Vorfrage, nämlich ob der Beklagten eine Gegenforderung
zusteht. Der Streitgegenstand der Feststellungsklage, die einen Gegenanspruch
leugnet, ist ein anderer als der Klage, die den Anspruch selbst zur gerichtlichen
Entscheidung stellt.
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c) Die im Rechtsstreit 5(2) Ca 3405/95 Arbeitsgericht Duisburg = 12 Sa 420/97 LAG
Düsseldorf erhobene Klage mit dem Antrag, festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet
ist, an den Kläger die gemäß Aufhebungsvertrag vom 09.11.1993 vereinbarten
Zahlungen zu erbringen, ist nach den Ausführungen des dort ergangenen Urteils vom
05.02.1997 unzulässig gewesen. Eine unzulässige Feststellungsklage wahrt, wie
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dargelegt, nicht die tariflich vorgeschriebene Form der gerichtlichen Geltendmachung.
Anzumerken ist, daß - wäre die Feststellungsklage im Parallelverfahren zulässig
gewesen - ihre rechtskräftige Abweisung Ansprüche des Klägers aus dem
Aufhebungsvertrag in Gänze untergehen ließen (§ 322 ZPO).
d) Liegt nach alledem in den Feststellungsklagen keine gerichtliche Geltendmachung
der Zahlungsansprüche (vgl. auch BAG, Urteil vom 27.11.1991, 4 AZR 211/91, AP Nr.
22 zu § 4 TVG Nachwirkung), kann dahinstehen, ob der Prozeßkostenhilfeantrag, von
dessen gerichtlicher Vorabentscheidung die Erhebung der Klage abhängig gemacht
wird (vgl. Thomas/Putzo, a. a. O., § 117 Rz. 3), eine gerichtliche Geltendmachung im
Sinne tariflicher Verfallklauseln darstellt.
74
3. Da hinsichtlich der im Antrag angegebenen Höhe der Gegenforderung - DM 39.193,--
- kein Feststellungsinteresse besteht, ist die Klage mit dem Antrag zu 2) unzulässig.
Mangels substantiiellen Tatsachenvortrages des Klägers und Bezifferung der aus Sicht
der Beklagten noch offenen Gegenforderung ist die Kammer außer- stande gewesen,
auch nur teilweise in die Sachprüfung einzutreten.
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IV.
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Hilfsantrag zu 2)
77
1. Der in der letzten mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellte Leistungsantrag ist
gemäß § 528 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Nach der Prozeßlage hätte es einer
sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozeßführung entsprochen
(§ 282 Abs. 1 ZPO), wenn der Kläger den Hilfsantrag bereits in erster Instanz erhoben
hätte. Immerhin hatte er dafür ausreichend Zeit, denn das Verfahren dauerte insgesamt
ca. 1 Jahre bis zum Urteil. Dabei brauchte der Kläger nicht die jeweilige Fälligkeit der
Abfindungszahlungen abzuwarten, sondern hätte insoweit Klage auf künftige Leistung
erheben können. Aufgrund der erteilten Entgeltabrechnungen und der bekannten
Regelungen im Aufhebungsvertrag sowie in den in Bezug genommenen
Betriebsvereinbarungen war es dem Kläger leicht möglich, seine Ansprüche der Höhe
nach zu beziffern. Die Unterlassung der rechtzeitigen Stellung des Hilfsantrags im
ersten Rechtszug beruht auf grobe Nachlässigkeit. Wenn der Kläger die Zahlungen seit
Mai 1995 einklagen wollte und dies im Rechtsstreit 12 Sa 420/97 nur hinsichtlich der
Monate September und Oktober 1995 tat, stellt es ein grob nachlässiges,
prozeßförderungswidriges Verhalten dar, wenn er die Leistungsklage erst gegen Schluß
der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz (hilfsweise) erhob. Es muß
jedem einleuchten, daß der Antrag, zumal aus zahlreichen Einzelpositionen bestehend
und eine differenzierte Feststellung und Bewertung des Sachverhalts erfordernd, z. B.
hinsichtlich der Einhaltung der Ausschlußfristen des § 22 MTV-Stahl, früher hätte
gestellt werden müssen, einmal um der Gegenseite die Möglichkeit der Einlassung auf
den Antrag zu geben, zum anderen, um dem Gericht eine sachgerechte Vorbereitung zu
erlauben. Durch die Zulassung des Hilfsantrags hätte sich das Berufungsverfahren
verzögert. Schon wegen der Notwendigkeit, der Beklagten die Möglichkeit der
schriftsätzlichen Stellungnahme zu geben, hätte ein weiterer Verhandlungstermin
anberaumt werden müssen.
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2. Der Hilfsantrag ist überdies eine unzulässige Klageänderung, §§ 523, 263 ZPO. Die
Vorschriften der §§ 260 ff. ZPO gelten auch für den Hilfsantrag (Thomas/Putzo, a. a. O.,
§ 260 Rz. 8). Da der Kläger den Hilfsantrag neben der Feststellungsklage gestellt hat,
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liegt kein Übergang von Feststellungs- zur Leistungsklage vor. Im übrigen greift zu
seinen Gunsten § 264 Nr. 2 ZPO auch deshalb nicht ein, weil sich die Feststellungs-
und die Zahlungsklage nicht auf dasselbe Rechtsverhältnis beziehen, vielmehr die
leugnende Feststellungsklage einen anderen Streitgegenstand hat als die
Leistungsklage.
Die Beklagte hat der Klageänderung widersprochen (§ 263, § 267 ZPO). Die Kammer
erachtet die Klageänderung auch nicht für sachdienlich. Der neue Antrag ändert das
Gesicht des Rechtsstreits. Seine Berücksichtigung würde den Parteien nicht nur eine
Tatsacheninstanz nehmen, sondern die Erledigung des Berufungsverfahrens verzögern,
was im Hinblick auf das arbeitsgerichtsgesetzliche Beschleunigungsgebot
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(§ 9 Abs. 1 ArbGG) nach Lage der Dinge nicht sachgerecht ist.
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Ist danach die Klageänderung nicht zuzulassen, steht die Frage, inwieweit dem Kläger
die eingeklagten Zahlungen zustehen, nicht zur Entscheidung der Kammer. Immerhin
mag einiges dafür sprechen, daß dem Kläger die noch nicht gemäß § 22 Nr. 2 Satz 2
MTV-Stahl verfallenen Ansprüche an sich zustehen und die Beklagte ihrerseits nur mit
den Gegenforderungen aufrechnen könnte, die bei Zugang des
Geltendmachungschreibens vom 21.03.1995 noch nicht gemäß § 22 Nr. 1 MTV-Stahl
verfallen waren.
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V.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 (§ 97) ZPO.
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Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Wegen der Einzelheiten der
Nichtzulassungsbeschwerde werden die Parteien auf § 72 a ArbGG hingewiesen.
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gez.: Dr. Plüm gez.: Jagieniak gez.: Giesen
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