Urteil des LAG Düsseldorf vom 28.01.2003

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Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 16 Sa 1378/02
Datum:
28.01.2003
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
16. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 Sa 1378/02
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Mönchengladbach, 2 Ca 2557/02
Schlagworte:
Arbeitszeitverkürzung; Umfang bezahlter Freistellungstage bei
Arbeitsunfähigkeit
Normen:
Ziffer 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV Druckindustrie
(1997)
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Beträgt die regelmäßige Arbeitszeit eines Arbeitnehmers der
Druckindustrie nicht 35, sondern 40 Wochenstunden, kann der tarifliche
Anspruch auf bezahlte Freistellung nicht für Zeiten gekürzt werden, in
denen der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt war und für die er einen
Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall hatte.
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Mönchengladbach vom 09.10.2002 2 Ca 2557/02 wird kostenpflichtig
zurückgewiesen.
2. Streitwert: unverändert (372,96 ​).
3. Die Revision wird zugelassen.
T A T B E S T A N D :
1
Die Parteien streiten über den Umfang bezahlter Freistellungstage des Klägers.
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Die Beklagte unterhält einen Druckereibetrieb mit rund 1000 Arbeitnehmern. Der am
27.04.1945 geborene Kläger ist dort seit September 1972 als Hilfskraft mit einem
Stundenlohn in Höhe von zuletzt 13,32 € brutto beschäftigt. Seine Arbeitszeit wie auch
die der anderen Arbeitnehmer beträgt 40 Wochenstunden. Auf das Arbeitsverhältnis der
Parteien findet der (Bundes-) Mantel-Tarifvertrag (MTV) der Druckindustrie vom
06.02.1997, gültig ab 01.01.1997, Anwendung. Nach dessen § 3 Nr. 1 beträgt die
regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit (in den alten Bundesländern) 35 Stunden. Gemäß
Ziffer 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV, die nach § 17 MTV Bestandteil
des Tarifvertrags sind, ist die durch Verkürzung der Wochenarbeitszeit (auf 35 Stunden)
entstehende Freizeit nach dort näher geregelten Möglichkeiten zu verteilen, unter
anderem durch bezahlte Freistellung in Tagen, verteilt auf die Arbeitswochen des ...
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Jahres . Weiter heißt es:
Bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden beträgt die
durch Verkürzung der Wochenarbeitszeit entstehende Freizeit bei Berechnung
nach Tagen ... für ein Jahr 30 Tage ...
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Fällt einer dieser freien Tage mit Zeiten einer Krankheit ... zusammen, so ist er
verbraucht.
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Die Beklagte erfasst die Arbeitszeitverkürzungstage (AZV-Tage) ihrer Mitarbeiter jeweils
für ein Jahr (AZV-Jahr). Das AZV-Jahr erstreckt sich auf den Zeitraum 1. April eines
Jahres bis 31. März des Folgejahres. Mit Schreiben vom 08.03.2002 erklärte die
Beklagte, dass ein Verfall zum 31.03.2002 von noch nicht verbrauchten AZV-Tagen in
dort näher genannten Fällen nicht eintrete.
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Der Kläger war im AZV-Jahr 2001/2002 an insgesamt 28 Tagen arbeitsunfähig krank.
Mit Ausnahme von einem Fehltag (unbezahlter Urlaub) erhielt er für die Fehltage
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Als AZV-Tage 2001/2002 legte die
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Beklagte in seinem Fall insgesamt 26 der 30 AZV-Tage zugrunde. Vier der AZV-Tage
zog sie unter vorgerichtlichem Hinweis auf die Krankheitsfehlzeiten des Klägers ab.
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Mit der am 10.07.2002 beim Arbeitsgericht Mönchengladbach eingegangenen Klage
macht der Kläger die Gutschrift von vier AZV-Tagen (für das AZV-Jahr 2001/2002)
geltend, da für deren Abzug kein Rechtsgrund bestehe. Zum einen ergebe sich dies aus
der tariflichen Regelung. Zum anderen spreche hierfür auch das Ergebnis der
schiedsgerichtlichen Verhandlung und das Ergebnis des Schiedsspruchs des Zen-
tralen Schiedsgerichts der Druckindustrie vom 16.01.1986 zum damals geltenden
Mantel-Tarifvertrag, wonach AZV-Tage zwar verbraucht seien, wenn sie mit einer
nachfolgenden Erkrankung des Arbeitnehmers zusammenfielen, umgekehrt für das
Entstehen des Anspruchs auf AZV-Tage eine bestehende Arbeitsunfähigkeit des
Arbeitnehmers dagegen keine Rolle spiele.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, dem Monatskonto des Klägers vier AZV-Tage (aus
dem AZV-Jahr 2001/2002) gutzuschreiben.
12
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat geltend gemacht: Ein Anspruch auf die vom Kläger geltend gemachten vier AZV-
Tage bestehe nicht. AZV-Tage als Ausgleich für längere als die tariflich geregelte
Wochenarbeitszeit könnten nur entstehen, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung
auch tatsächlich erbringe. Für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit entstehe mangels erbrachter
Arbeitszeit über die tariflich vorgesehene Arbeitszeit hinaus auch kein Anspruch auf
Arbeitszeitverkürzung. Das vom Kläger erwähnte Schiedsverfahren vom Januar 1986
habe mit der hier streitigen Frage nichts zu tun.
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Das Arbeitsgericht Mönchengladbach hat der Klage mit Urteil vom 09.10.2002
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- 2 Ca 2557/02 stattgegeben. Auf die Entscheidungsgründe wird verwiesen. Hiergegen
wendet sich die Beklagte mit der vorliegenden Berufung, die sie zu den im
Sitzungsprotokoll vom 28.01.2003 genannten Zeitpunkten eingelegt und begründet hat
und mit der sie weiterhin die Abweisung der Klage begehrt, während der Kläger die
Zurückweisung der Berufung beantragt. Auf das Berufungsvorbringen beider Parteien
wird Bezug genommen, ebenso wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und
Streitstands auf den übrigen Akteninhalt.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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I.
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Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist nach erfolgter Zulassung durch das
Arbeitsgericht (§ 64 Abs. 3 ArbGG) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden (§§ 11 Abs. 2, 66 Abs. 1 ArbGG).
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II.
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In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
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1. Keine Bedenken bestehen gegen die Zulässigkeit des Klageantrags. Er ist
ausreichend bestimmt. Aus ihm und seiner Begründung wird hinreichend deutlich, dass
der Kläger die Gewährung von vier AZV-Tagen aus dem AZV-Jahr 2001/2002 begehrt,
für die die Beklagte einen Anspruch in der Sache verneint. Im Übrigen war auch in dem
vom Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 26.09.2002 5 AZR 539/00 (AP Nr. 55 zu § 4
EntgeltFG) entschiedenen Fall ein nahezu identischer Klageantrag Gegenstand des
dortigen Rechtsstreits. Bezüglich seiner Zulässigkeit bestanden offensichtlich ebenfalls
keine Zweifel. Die vom Kläger in seiner Berufungserwiderung angesprochenen
Bedenken und die hilfsweise erfolgte Neuformulierung des Klageantrags bewertet die
erkennende Kammer als gegenstandslos.
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2. Das Arbeitsgericht hat der Klage auch in der Sache zutreffend stattgegeben. Das
Berufungsgericht folgt der arbeitsgerichtlichen Entscheidung nicht nur im Ergebnis,
sondern auch in den wesentlichen Entscheidungsgründen.
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a) Unstreitig beläuft sich die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers
entsprechend der betriebsüblichen Arbeitszeit bei der Beklagten auf 40 Stunden. Nach
Ziffer 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV beträgt die durch die tarifliche
Verkürzung der Arbeitszeit auf 35 Wochenstunden entstehende Freizeit 30 Tage pro
Jahr. Eine Kürzung dieses Freizeitanspruchs durch Zeiten der Arbeitsunfähigkeit eines
Arbeitnehmers sieht der Tarifvertrag nicht vor. Ob eine solche Kürzung, wenn sie tariflich
vorgesehen wäre, nach entgeltfortzahlungsrechtlichen Maßstäben zulässig wäre, kann
hier dahinstehen.
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b) Auch die Tarifregelung in Ziffer 2 der Durchführungsbestimmungen zu § 3 MTV,
wonach ein AZV-Tag verbraucht ist, wenn er mit einem Krankheitstag des
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Arbeitnehmers zusammenfällt, steht dem hier geltend gemachten Anspruch des Klägers
auf Gewährung der vollen AZV-Tage für das AZV-Jahr 2001/2002 nicht entgegen. Diese
Tarifbestimmung regelt den Fall, dass ein bereits feststehender AZV-Tag mit einer
nachfolgenden Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers an dem betreffenden AZV-Tag
zusammenfällt. In diesem Fall ist der AZV-Tag verbraucht. Die Tarifbestimmung hat
jedoch nicht zum Inhalt, dass ein AZV-Tag für Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit nicht
entsteht.
c) Auch die Erwägung der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung, wonach
Arbeitnehmer mit einer 40-Stundenwoche und entsprechendem Zeitausgleich durch
AZV-Tage bei Eintritt von Arbeitsunfähigkeitszeiten gegenüber anderen Arbeitnehmern,
die von vornherein in einer 35-Stundenwoche arbeiten, dann bevorzugt wären,
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greift nicht durch. Im Gegenteil: Tatsächlich sind die im Jahr zu leistenden
Arbeitsstunden bei beiden Modellen (abgesehen von Rundungen) gleich. Der im 40-
Wochenstunden-Modell befindliche Arbeitnehmer erhält für seine über 35
Wochenstunden hinaus geleistete Arbeitszeit auf seinem Arbeitszeitkonto eine
entsprechende Zeitgutschrift. Das hierfür entstehende Entgelt wird nicht sofort
ausgezahlt, sondern verrechnet und im Rahmen der Arbeitszeitverkürzung im Verlauf
des AZV-Jahres dann in Form von bezahlten Freistellungstagen ausbezahlt. Würde nun
bei dem Arbeitnehmer im 40-Wochenstunden-Modell im Falle seiner Arbeitsunfähigkeit
für diesen Zeitraum keine Zeitgutschrift erfolgen, fehlt der entsprechende bezahlte
Freizeitausgleich, den der betreffende Arbeitnehmer ohne Eintritt seiner
Arbeitsunfähigkeit für diesen Zeitraum erworben hätte. Der Arbeitnehmer würde damit
schlechter stehen als ohne Eintritt seiner Arbeitsunfähigkeit, was offensichtlich auch von
den Tarifvertragsparteien nicht bezweckt war. Darüber hinaus würde er schlechter
stehen als der im 35-Wochenstunden-Modell stehende Arbeitnehmer, bei dem Zeiten
seiner Arbeitsunfähigkeit mit einem Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu keiner
Anspruchsminderung führen. Zumindest für Zeiten seiner Arbeitsunfähigkeit mit einem
Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall muss es daher bei dem Anspruch des
Klägers auf Berücksichtigung seiner Zeitgutschrift von vier Tagen für diesen Zeitraum
verbleiben. Bezüglich der rechnerischen Höhe von vier Tagen besteht zwischen den
Parteien kein Streit. Ob dieser Anspruch auch für Arbeitsunfähigkeitszeiten außerhalb
des Entgeltfortzahlungszeitraums gegeben wäre, ist hier nicht zu entscheiden.
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d) Für die Bejahung des Anspruchs des Klägers sprechen auch die Erwägungen des
Arbeitsgerichts im angefochtenen Urteil zu § 4 Nr. 1 MTV und Ziffer 7 der
Durchführungsbestimmungen zu § 4 MTV. Ihnen schließt sich das Berufungsgericht an
(§ 69 Abs. 3 ArbGG).
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3. Ob darüber hinaus auch das Schiedsverfahren und der hierauf basierende
Schiedsspruch vom 16.01.1986 für die Bejahung des Klageanspruchs sprechen, kann
hier dahinstehen. Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kommt es
hierauf nicht mehr an.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Streitwert blieb unverändert.
Die Zulassung der Revision erfolgt nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
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RECHTSMITTELBELEHRUNG
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Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten
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REVISION
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eingelegt werden.
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Für den Kläger ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Revision muss
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innerhalb einer Notfrist von einem Monat
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nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
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Bundesarbeitsgericht,
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Hugo-Preuß-Platz 1,
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99084 Erfurt,
44
eingelegt werden.
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Die Revision ist gleichzeitig oder
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innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils
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schriftlich zu begründen.
48
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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Dr. Kaup Effertz Bunse
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