Urteil des LAG Düsseldorf vom 03.09.2009

LArbG Düsseldorf (kläger, arbeitsfähigkeit, arbeitnehmer, arbeitsunfähigkeit, bag, psychiatrische behandlung, juristische person, psychotherapeutische behandlung, tätigkeit, arbeitgeber)

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 11 Sa 410/09
Datum:
03.09.2009
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 Sa 410/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Oberhausen, 4 Ca 1437/08
Normen:
BGB §§ 297, 611 Abs. 1, 615 S. 1; EntgeltFG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Der Arbeitgeber, der gegen den Entgeltanspruch des Arbeitnehmers aus
dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs (vgl. §§ 611 Abs. 1, 615 Satz
2 BGB) dessen Unvermögen, die geschuldete Arbeitsleistung zu
erbringen, einwenden will (vgl. § 297 BGB), kann den Beweiswert einer
vom Arbeitnehmer vorgelegten ärztlichen
Arbeitsfähigkeitsbescheinigung mit der Darlegung begründeter Zweifel
an deren Richtigkeit erschüttern (im Anschluss an BAG 11.10.2006 - 5
AZR 755/06 - AP Nr. 9 zu § 5 EntgeltFG).
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Oberhausen vom 05.02.2009 - 4 Ca 1437/08 - wird auf ihre Kosten
zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
T A T B E S T A N D :
1
Der Kläger ist seit dem 06.02.1998 bei der Beklagten als Karosseriebauer zu einem
Bruttolohn von zuletzt monatlich 3.158,66 € beschäftigt. Er hat einen Grad der
Behinderung von 40 und ist laut Bescheid der Agentur für Arbeit Essen vom 07.05.2007
einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt.
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Der Kläger war im Zeitraum vom 14.12.2006 bis zum 01.06.2008 durchgehend
arbeitsunfähig erkrankt. Ausweislich des ärztlichen Attestes von Dr. med. T., Facharzt für
Psychiatrie und Nervenheilkunde, Psychotherapie befindet sich der Kläger seit dem
12.01.2007 in ambulanter Behandlung der Gemeinschaftspraxis Dr. med. S. T. und Dr.
med. L. I.. Gemäß dem ärztlichen Attest von Frau Dr. G. L., Fachärztin für Psychiatrie -
Psychotherapie - vom 26.09.2008 befindet sich der Kläger seit dem 22.01.2007 in ihrer
regelmäßigen psychotherapeutischen Behandlung.
3
Der Kläger erkrankte erneut am 02.06.2008 aufgrund einer kurzfristigen Ansteckung, wie
es im Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 02.08.2008 an die gegnerischen
4
es im Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 02.08.2008 an die gegnerischen
Prozessbevollmächtigten heißt. Am 04.06.2008 bot er seine Arbeit der Beklagten an.
Diese wies das Angebot durch ihren Geschäftsführer, Herrn L., zurück.
Mit Schreiben vom 29.05.2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis in
Unkenntnis von dessen Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen ohne
Zustimmung des Integrationsamtes ordentlich zum 30.09.2008. Hiergegen erhob der
Kläger beim Arbeitsgericht Oberhausen - 3 Ca 1060/08 - Kündigungsschutzklage.
Nachdem die Beklagte durch Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 27.06.2008
gegenüber dem Arbeitsgericht Oberhausen die Rücknahme der Kündigung erklärt hatte,
nahm der Kläger seine Kündigungsschutzklage zurück.
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Unter dem 09.07.2008 schrieben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten an die
gegnerischen Prozessbevollmächtigten, der Kläger habe telefonisch am 07.07.2008
mitgeteilt, dass er derzeit arbeitsunfähig krank sei, und zwar bis einschließlich
09.07.2008. In diesem Schreiben stellten sie den Kläger namens ihrer Mandantin
"erneut von der Arbeitsleistung unter Anrechnung von etwaigen Urlaubsansprüchen
frei." Sie wiesen darauf hin, der Kläger würde, sofern er wieder zur Arbeit erscheinen
werde, des Betriebes verwiesen werden. Mit Schreiben vom 21.07.2008, persönlich an
den Kläger gerichtet, forderten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten diesen auf,
mit der beigefügte Schweigepflichtentbindungserklärung den behandelnden Arzt, der
ihn bis zum 01.06.2008 dauernd arbeitsunfähig krankgeschrieben habe, von der
ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden. Außerdem wiesen sie darauf hin, dass ihre
Mandantin aus Gründen der Arbeitssicherheit die Arbeitsfähigkeit des Klägers durch
einen Betriebsarzt überprüfen lassen möchte.
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Auf beide Schreiben antworteten die Prozessbevollmächtigten des Klägers am
02.08.2008. Hierauf erwiderten die Prozessbevollmächtigten der Beklagten schriftlich
am 19.08.2008 und fragten an, ob der Kläger im Hinblick auf seine psychiatrische bzw.
psychotherapeutische Behandlung bereit sei, den ärztlichen Dienst mit der
Untersuchung der Arbeitsfähigkeit zu beauftragen. Einen Tag zuvor, am 18.08.2008,
entband der Kläger schriftlich die ihn behandelnden Ärzte von ihrer Schweigepflicht.
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Mit Bescheid vom 24.10.2008 wies der Landschaftsverband Rheinland den Antrag der
Beklagten vom 17.06.2008 auf Zustimmung zur Kündigung des mit dem Kläger
bestehenden Arbeitsverhältnisses (vgl. § 85 SGB IX) zurück. Den hiergegen seitens der
Beklagten eingelegten Widerspruch wies der Landschaftsverband Rheinland mit
Bescheid vom 27.05.2009 zurück.
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Mit seiner beim Arbeitsgericht Oberhausen am 21.08.2008 eingegangenen und der
Beklagten am 02.09.2008 zugestellten Klage hat der Kläger zunächst das Arbeitsentgelt
für Juni und Juli 2008 geltend gemacht. Mit einem am 03.12.2008 bei diesem Gericht
eingereichten Schriftsatz hat der Kläger zunächst mitgeteilt, im Hinblick auf die Zahlung
des Entgelts für Juni 2008, würde der mit der Klage geltend gemachte Betrag für Juli
und August 2008 verlangt. Zugleich hat der Kläger seine Entgeltklage für die Monate
September bis November 2008 erweitert. Mit einem am 09.01.2009 beim Arbeitsgericht
eingereichten Schriftsatz hat der Kläger noch das Arbeitsentgelt für Dezember 2008 und
Januar 2009 verlangt.
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Der Kläger hat im Wesentlichen geltend gemacht:
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Er habe seine Arbeit ordnungsgemäß angeboten. Seine Ärzte hätten ihn als arbeitsfähig
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angesehen. Die ihn behandelnde Frau Dr. G. L. habe mit Schreiben vom 26.09.2008 -
unstreitig - erklärt, dass er wieder arbeitsfähig sei und aus medizinischer Sicht
Belastbarkeit zur Teilnahme am Arbeitsleben bestehe. Gleiches habe - unstreitig - Herr
Dr. med. T. am 04.08.2008 konstatiert.
Der Kläger hat beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, ihm € 6.371,32 zzgl. 5 % Punkte Zinsen über dem
Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
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2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere € 3.067,75 zzgl. 5 % Punkte über dem
Basiszinssatz seit dem 30.09.2008 zu zahlen;
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3. die Beklagten zu verurteilen, an ihn weitere € 3.067,75 zzgl. 5 % Punkte Zinsen seit
dem 31.10.2008 zu zahlen;
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4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere € 3.067,75 zzgl. 5 % Punkte Zinsen seit
dem 30.11.2008 zu zahlen;
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5. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere € 3.067,75 zzgl. 5 % Punkte Zinsen seit
dem 31.12.2008 zu zahlen;
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6. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere € 3.067,75 zzgl. 5 % Punkte Zinsen seit
dem 31.01.2009 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
20
Die Beklagte hat im Wesentlichen geltend gemacht:
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Es bestehe der hinreichende Verdacht, dass der Kläger nach wie vor arbeitsunfähig sei.
Allein die von ihm vorgelegte Arbeitsfähigkeitsbescheinigung sei nicht ausreichend, um
seine Arbeitsfähigkeit feststellen zu können.
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Mit seinem am 05.02.2009 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht der Klage
stattgegeben und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Dem Kläger stehe der geltend gemachte Zahlungsanspruch gem. § 615 BGB zu. Er
habe sich mit Datum vom 02.06.2008 ordnungsgemäß zur Arbeitsleistung bei der
Beklagten gemeldet, nachdem ihm die behandelnden Ärzte ausdrücklich konstatiert
hätten, einer Wiedereinsetzbarkeit am Arbeitsplatz stehe nichts im Wege. Die Beklagte
habe den Kläger von der Arbeit ausdrücklich freigestellt und ihm im Juli 2008
angekündigt, er werde des Betriebes verwiesen, sollte er zur Arbeit erscheinen. Es sei
kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass der danach feststehende Annahmeverzug der
Beklagten infolge Leistungsunfähigkeit des Klägers gem. § 297 BGB ausgeschlossen
gewesen sei. Allein die Tatsache, dass der Kläger längere Zeit erkrankt gewesen sei,
lasse nicht den Schluss auf weitere Arbeitsunfähigkeit zu. Er habe durch Vorlage der
Atteste der Ärzte in genügendem Umfang nachgewiesen, dass er zur Arbeitsleistung
imstande gewesen sei.
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Gegen das ihr am 30.03.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem bei Gericht
am 22.04.2009 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem hier
am 28.04.2009 eingereichten Schriftsatz begründet.
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Die Beklagte macht unter teilweiser Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens
im Wesentlichen geltend:
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Sie habe bereits erstinstanzlich die Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens
beantragt, um die Arbeitsfähigkeit des Klägers überprüfen zu lassen. Diesen
Beweisantritt habe das Vordergericht unbeachtet gelassen. Die Arbeitsfähigkeit des
Klägers könne aber nicht dadurch festgestellt werden, dass dieser als quasi
Parteigutachten ärztliche Atteste vorlege, wonach er angeblich arbeitsfähig sein solle.
Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit würden sich aus dem ärztlichen Gutachten der
Deutschen Rentenversicherung Rheinland ergeben, wonach sich der Kläger wegen
behaupteten Mobbings und einem "Knock-out" in psychologischer,
psychotherapeutischer und psychiatrischer Behandlung befunden habe. Er sei durch
seine schwerwiegende gesundheitliche Beeinträchtigung, die offensichtlich auf den
Arbeitsplatz zurückzuführen sei, daran gehindert, seine Tätigkeit bei ihr auszuüben.
Sobald der Kläger mit ihrem Geschäftsführer wieder zusammenträfe, würden seine
behandlungsbedürftigen Krankheitsbilder wieder auftreten.
27
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 05. Februar 2009 - 4 Ca 1437/08 -
abzuändern und die Klage abzuweisen.
29
Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Kläger verteidigt in erster Linie das angefochtene Urteil und führt unter teilweiser
Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens ergänzend aus:
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Zu Recht habe die Vorinstanz keinen Anlass gesehen, die von ihm vorgelegte
Arbeitsfähigkeitsbescheinigung in Zweifel zu ziehen. Dem behandelnden Arzt sei seine
Tätigkeit als Werkstattleiter bekannt gewesen. Ihm sei darüber hinaus aufgrund der
konkreten Erkrankung und insbesondere der psychiatrischen Grundlage der Erkrankung
bekannt, dass die Arbeitsunfähigkeit mit seinen damaligen persönlichen Verhältnissen
und den beruflichen Einwirkungen seines Vorgesetzten begründet gewesen sei. Auch
Frau Dr. L. habe ihm in ihrem ärztlichen Attest vom 11.05.2009 bestätigt, dass er aus
ihrer Sicht ohne Einschränkungen arbeitsfähig sei.
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Wegen des sonstigen Vorbringens der Parteien wird ausdrücklich auf den Akteninhalt
Bezug genommen. Das gilt insbesondere auch für das vom Kläger vorgelegte ärztliche
Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung, ausgestellt von dem Arzt für
Neurologie und Psychiatrie - Psychotherapie, Herrn H.-W. E., aufgrund einer am
05.05.2008 stattgefundenen Untersuchung.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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Die Berufung der Beklagten, gegen deren Zulässigkeit keinerlei Bedenken bestehen, ist
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unbegründet. Jedenfalls im Ergebnis zu Recht hat die Vorinstanz der Klage
stattgegeben.
I.
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Der Kläger kann von der Beklagten gem. § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. § 615 Satz 1 BGB für
den Zeitraum vom 01.07.2008 bis zum 31.01.2009 monatlich 3.067,75 € brutto
verlangen.
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1. Da § 615 Satz 1 BGB dem Arbeitnehmer trotz fehlender Arbeitsleistung "die
vereinbarte Vergütung" sichern, ihm also lediglich den originären Vergütungsanspruch
aus § 611 Abs. 1 BGB aufrecht erhalten will (BAG 28.04.1993 - 4 AZR 329/92 - EzA §
611 BGB Croupier Nr. 2; BAG 05.09.2002 - 8 AZR 702/01 - EzA § 615 BGB Nr. 109), ist
erste Voraussetzungen für einen auf diese Norm gestützten Zahlungsanspruch ein
bestehendes Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten (vgl. auch
BVerfG 20.01.1990 - 1 BvR 42/82 - DB 1990, 1042). Hiervon ist unzweifelhaft für die Zeit
vom 01.07.2008 bis 31.01.2009 auszugehen, da in dieser Zeit ein ungekündigtes
Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestand.
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2. Auch ist die zweite Voraussetzung für den auf § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. § 615 Satz 1
BGB gestützten Vergütungsanspruch des Klägers für den vorgenannten Zeitraum,
nämlich der Annahmeverzug der Beklagten, erfüllt.
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a) Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs richten sich auch für das
Arbeitsverhältnis nach den §§ 293 ff. BGB. Danach muss der Schuldner in der Regel die
geschuldete Leistung tatsächlich (§ 294 BGB) oder wörtlich (§ 295 Satz 1 BGB)
anbieten. Ist allerdings für die vom Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach
dem Kalender bestimmt, bedarf es ausnahmsweise überhaupt keines Angebots, wenn
der Gläubiger die Handlung nicht rechtzeitig vornimmt (§ 296 Satz 1 BGB).
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b) Im Streitfall hat der Kläger seine Arbeitskraft der Beklagten - von dieser
unwidersprochen - am 04.06.2008 tatsächlich gem. § 294 BGB angeboten. Diese hat
das Angebot durch ihren Geschäftsführer abgelehnt.
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c) Allerdings kommt der Arbeitgeber nach § 297 BGB nicht in Annahmeverzug, wenn
der Arbeitnehmer zur Zeit des Angebots oder im Falle des § 296 BGB zu der für die
Handlung des Gläubigers bestimmten Zeit außerstande ist, die Leistung zu bewirken.
Ein Arbeitnehmer ist leistungsunfähig i. S. von § 297 BGB, wenn er aus Gründen in
seiner Person die vertraglich vereinbarten Tätigkeiten ausnahmslos nicht mehr
verrichten kann. Ob es sich um gesundheitliche, rechtliche oder andere Gründe handelt,
ist nicht maßgebend (BAG 18.03.2009 - 5 AZR 192/08 - Rz. 13, EzA § 615 BGB 2002
Nr. 28). Leistungsunfähigkeit aufgrund krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit liegt vor,
wenn der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber seine vertraglich geschuldete Tätigkeit wegen
Krankheit nicht mehr ausüben kann, oder nicht mehr ausüben sollte, weil die Heilung
einer vorhandenen Krankheit nach ärztlicher Prognose verhindert oder verzögert wird
(BAG 23.01.2008 - 5 AZR 393/07 - EzA § 615 BGB 2002 Nr. 22).
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aa) Die Darlegungs- und Beweislast für das Unvermögen des Arbeitnehmers, die
geschuldete Arbeitsleistung zu verrichten, trägt der Arbeitgeber (BAG 29.10.1998 - 2
AZR 666/97 - EzA § 615 BGB Nr. 91; BAG 05.11.2003 - 5 AZR 562/02 - EzA § 615 BGB
2002 Nr. 2). Da er über den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers im
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Annahmeverzugszeitraum regelmäßig keine näheren Kenntnisse hat, können an seinen
Vortrag zum Leistungsunvermögen keine hohen Anforderungen gestellt werden. Es
genügt, wenn er Indizien vorträgt, aus denen auf Arbeitsunfähigkeit geschlossen werden
kann. In Betracht kommen insbesondere Krankheitszeiten des Arbeitnehmers vor und
nach dem Verzugszeitraum. Hat der Arbeitgeber solche Indizien vorgetragen, ist es
Sache des Arbeitnehmers, die Indizwirkung zu erschüttern. Der Arbeitnehmer muss
dann darlegen, warum aus dem Vorbringen des Arbeitgebers nicht auf
Leistungsunvermögen geschlossen werden kann (§ 138 Abs. 2 ZPO). Er kann z. B.
vortragen, warum die zugrunde liegenden Erkrankungen keine Aussagekraft für den
Annahmeverzugszeitraum haben, oder konkrete Umstände für eine Ausheilung von
Krankheiten bzw. ein Abklingen der Beschwerden darlegen. Naheliegend ist es, die
behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Der Arbeitgeber ist dann für
die Leistungsunfähigkeit beweispflichtig. Er kann sich auf das Zeugnis der den
Arbeitnehmer behandelnden Ärzte und auf ein Sachverständigengutachten berufen.
Trägt der Arbeitnehmer dagegen nichts vor oder lässt er sich nicht substantiiert ein, gilt
die Behauptung des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer sei auch während des
Verzugszeitraums leistungsunfähig gewesen, gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.
(BAG 05.11.2003 - 5 AZR 562/02 - EzA § 615 BGB 2002 Nr. 2; LAG Köln 29.11.2006 - 7
Sa 1646/05 - LAGE § 615 BGB 2002 Nr. 6).
bb) Im Streitfall hat die Beklagte die Leistungsunfähigkeit des Klägers in der Zeit vom
01.07.2008 bis zum 31.01.2009 nicht nachgewiesen.
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(1.) Die Beklagte hat vorliegend zwar zunächst ausreichende Indizien zum
Leistungsunvermögen des Klägers im Annahmeverzugszeitraum vom 01.07.2008 bis
zum 31.01.2009 vorgetragen. Sie begründet ihre Zweifel an der Arbeitsfähigkeit des
Klägers im Anspruchszeitraum in erster Linie mit dessen Krankheitsvorgeschichte. Sie
verweist darauf, dass der Kläger in der Zeit vom 14.12.2006 bis einschließlich
02.06.2008 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Dieser Einwand reicht
jedoch nicht aus, durchgreifende Zweifel an der Wiederherstellung an der
Arbeitsfähigkeit des Klägers zu begründen. Der Kläger hat mit der Vorlage der Atteste
von Herrn Dr. med. T. vom 04.08.2008 und von Frau Dr. G. L. vom 26.09.2008 seine
Arbeitsfähigkeit ab dem 02.06.2008 und damit aktuell für den hier streitigen
Annahmeverzugszeitraum nachgewiesen. Diese Bescheinigungen betrafen das
Krankheitsbild, das zuvor für den Zeitraum bis zum 02.06.2008 zur Arbeitsunfähigkeit
geführt hatte. Der Feststellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers ab dem 02.06.2008 in
den vorgenannten ärztlichen Attesten steht nicht entgegen, dass der Kläger erneut für
zwei Tage, nämlich am 02. und 03.06.2008 arbeitsunfähig war. Dies beruhte auf einer
anderen Krankheitsursache.
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(2.) Da die Überprüfung der Richtigkeit der von dem Kläger vorgelegten
Arbeitsfähigkeitsbescheinigungen unter entsprechender Anwendung der Grundsätze zu
erfolgen hat, die zur Überprüfung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach § 5
Abs. 1 Satz 2 EFZG entwickelt worden sind (vgl. dazu mehr ErfK/Dörner, 9. Aufl. 2009, §
5 EFZG Rz. 15, 16), musste die Beklagte nunmehr begründete Zweifel an der
Richtigkeit dieser ärztlichen Bescheinigungen aufzeigen, um ihren Beweiswert zu
erschüttern (vgl. BAG 11.10.2006 - 5 AZR 755/05 - AP Nr. 9 zu § 5 EntgeltFG). Dies ist
nicht gelungen. Die Beklagte will den Beweiswert der Arbeitsfähigkeitsbescheinigungen
vom 04.08.2008 und 26.09.2008 vor allem damit erschüttern, dass aus ihnen nicht
ersichtlich sei, den behandelnden Ärzten sei bekannt gewesen, welche Tätigkeit der
Kläger ausübe und aus welchem Grund er sich in psychologischer und psychiatrischer
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Behandlung habe gebeten müssen. Dem ersten Einwand ist entgegenzuhalten, dass
ein Arzt eine Arbeitsunfähigkeit nur nach Schilderung der arbeitsvertraglich
geschuldeten Tätigkeiten durch den Arbeitnehmer ausstellen darf. Bei der Beurteilung
der Arbeitsunfähigkeit muss er nämlich nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Arbeitsunfähigkeits-
Richtlinien vom 01.12.2003 (BAnz. 2004 Nr. 61, S. 6501) i. d. F. vom 19.09.2006 (BAnz.
2006, S. 7356) darauf abstellen, welche Bedingungen die bisherige Tätigkeit des
Arbeitnehmers konkret geprägt haben. Es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass
Herr Dr. T. bzw. Frau Dr. G. L. den Kläger nicht nach seinen bei der Beklagten zu
erbringenden Tätigkeiten vor Feststellung der bis zum 02.06.2008 dauernden
Arbeitsunfähigkeit gefragt hatten. Dementsprechend brauchte in den
Arbeitsfähigkeitsbescheinigungen vom 04.08.2008 bzw. 26.09.2008 nicht ausdrücklich
auf die vom Kläger bei der Beklagten ausgeübten Tätigkeit eingegangen werden, um
nunmehr das Ende der Arbeitsunfähigkeit wegen der vorherigen Krankheitsursachen zu
attestieren. Entsprechendes gilt für den Einwand der Beklagten, aus den vorgenannten
Arbeitsfähigkeitsbescheinigungen sei der Grund für die psychologische und
psychiatrische Behandlung des Klägers nicht ersichtlich. Dieser Aspekt muss bei der
Feststellung der Arbeitsunfähigkeit zur Sprache gekommen sein. Denn um eine
Anamnese aufnehmen zu können, muss der behandelnde Arzt, auch zwecks
anzuwendender Heilmethoden, den Arbeitnehmer nach den Gründen für eine
festgestellte Erkrankung fragen.
(3.) In diesem Zusammenhang ist noch auf Folgendes hinzuweisen: Die Beklagte hat
am Ende ihres Schriftsatzes vom 08.06.2009 die Prognose aufgestellt, sobald der
Kläger mit ihrem Geschäftsführer wieder zusammentreffe, würden seine
behandlungsbedürftigen Krankheitsbilder wieder auftreten. Sie knüpft damit
offensichtlich an die im ärztlichen Gutachten für die gesetzliche Rentenversicherung
(Seite 2 unten) wiedergegebene Angabe des Klägers an, mit seinem Chef habe er einen
"Knock out" gehabt. Es hätte die der Beklagten gemäß § 241 Abs. 2 BGB obliegenden
Rücksichtnahmepflicht geboten, dass ihr Geschäftsführer nach der Stabilisierung des
Gesundheitszustandes des Klägers - selbstverständlich auch durch eine geänderte
Einstellung dem Kläger gegenüber - diesem ab 04.06.2008 die Chance gegeben hätte,
Restzweifel an seiner Arbeitsfähigkeit durch einen praktischen Arbeitsversuch zu
zeigen. Die Verpflichtung der Beklagten, weitestmöglich auf etwa im
Annahmeverzugszeitraum noch bestehende gesundheitliche Beeinträchtigungen des
Klägers Rücksicht zu nehmen, folgte im Übrigen auch aus seiner Anerkennung nach § 2
Abs. 3 SGB IX als ein einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellter behinderter
Mensch (vgl. LAG Köln 29.11.2006 - 7 Sa 1646/05 - a. a. O.).
48
II.
49
Der Zinsanspruch für Juli 2008 ergibt sich dem Grunde nach aus § 291 Satz 1 1. Halbs.
BGB i. V. m. §§ 253 Abs. 1, 261 Abs. 1 ZPO und der Höhe nach gemäß §§ 288 Abs. 1
Satz 2, 291 Satz 2 BGB. Für die übrigen Monate ergibt sich der Zinsanspruch dem
Grunde nach aus § 288 Abs. 1 Satz BGB i. V. m. §§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1
BGB, § 614 Satz 2 BGB und der Höhe nach aus § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.
50
B.
51
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG.
52
Die Kammer hat der Rechtssache im Hinblick auf die Bedeutung einer ärztlichen
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Arbeitsfähigkeitsbescheinigung im Rahmen der dem Arbeitgeber für die Feststellung
einer Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers (vgl. § 297 BGB) obliegenden
Darlegungs- und Beweislast grundsätzliche Bedeutung beigemessen und deshalb die
Revision an das Bundesarbeitsgericht gem. § 72 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :
54
Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten
55
R E V I S I O N
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eingelegt werden.
57
Für den Kläger ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
58
Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim
59
Bundesarbeitsgericht
60
Hugo-Preuß-Platz 1
61
99084 Erfurt
62
Fax: 0361 2636 2000
63
eingelegt werden.
64
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
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Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
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1. Rechtsanwälte,
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2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse
mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
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3. Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in
Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer
Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer
Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
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In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift
unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
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Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
72
gez.: Prof. Dr. Vossen gez.: Prof. Dr. Selke gez.: Hunold
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