Urteil des LAG Düsseldorf vom 31.01.2003
LArbG Düsseldorf: einstweilige verfügung, erlass, ordentliches verfahren, klageerweiterung, gehalt, arbeitsgerichtsbarkeit, betriebsübergang, firma, dringlichkeit, herausgabe
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 10 Sa 1535/02
Datum:
31.01.2003
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 Sa 1535/02
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Düsseldorf, 3 Ga 94/02
Schlagworte:
ohne
Normen:
ohne
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
kein Leitsatz vorhanden
Tenor:
Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts E. vom 27.11.2002 3 Ga 94/02
wird kostenfällig als unbegründet zurückgewiesen.
Die Klageerweiterung auf die Fa. W. Systems GmbH wird
auf Kosten der Verfügungsklägerin zurückgewiesen.
T a t b e s t a n d
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Die Verfügungsklägerin (nachfolgend: Klägerin) ist verheiratet; ihr Ehemann ist
berufstätig. Sie ist seit 1995 bei der Gemeinschuldnerin zu einem Brutttomonatsgehalt
von zuletzt 3560,61 € beschäftigt gewesen. Nachdem durch Beschluss des
Amtsgerichts E. vom 01.10.2002 über das Vermögen der Gemeinschuldnerin das
Insolvenzverfahren eröffnet wurde, kündigte der Verfügungsbeklagte (nachfolgend:
Beklagter) in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der
Gemeinschuldnerin das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31.01.2003. Mit
Schreiben vom 22.11.2002 stellte der Beklagte die Klägerin von ihrer Arbeit frei und
verwies sie wegen ihres Gehalts an das Arbeitsamts.
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Mit ihrem beim Arbeitsgericht E. am 22.11.2002 eingereichten Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Verfügung hat die Klägerin die Zahlung des Bruttogehalts für die Zeit bis
zum 31.01.2003 erreichen wollen mit der Begründung, die Zahlungsverweigerung des
Beklagten sei reine Willkür und nicht einmal durch den Schein einer Argumentation
gerechtfertigt; ein derart offener Rechtsbruch dürfe nicht sanktionslos hingenommen
werden
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, am 1.12.2002 949,50 € brutto zu zahlen,
sowie am 1.1. und 1.2.2003 je weitere 3560,61 € brutto zuzüglich
Jahreszinsen aus den vorgenannten Bruttobeträgen seit den
vorgenannten Fälligkeitsdaten in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz.
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Der Beklagte hat seinen Antrag auf Zurückweisung des Antrages auf Erlass einer
einstweiligen Verfügung mit dem Hinweis auf die fehlende Darlegung des
Verfügungsgrundes begründet.
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Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 27.11.2002 den Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Verfügung mit der Begründung zurückgewiesen, bereits nach dem Vortrag
der Klägerin sei ein Verfügungsgrund nicht erkennbar.
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Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie behauptet unter
Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung, sie sei auf ihr Gehalt angewiesen, da sie
den Krankenkassenbeitrag, die Jahresprämie für die KfZ-Versicherung und die
Lebensversicherungsprämie zahlen sowie den Sparvertrag für die
vermögenswirksamen Leistungen bedienen müsse. Der Erlass einer einstweiligen
Verfügung könne nicht mit der Begründung verwehrt werden, sie könne
Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe in Anspruch nehmen.
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Die Klägerin wiederholt deshalb ihren erstinstanzlichen Antrag. Demgegenüber
verteidigt der Beklagte das Urteil des Arbeitsgerichts mit dem Hinweis, der
Verfügungsgrund sei immer noch nicht ausreichend dargelegt. Jedenfalls könne die
Klägerin im Wege der einstweiligen Verfügung nicht mehr als das pfändungsfreie
Einkommen verlangen. Außerdem weist der Beklagte darauf hin, dass die Klägerin
selbst von einem Betriebsübergang ausgehe und deshalb der Antrag unschlüssig sei.
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Während des Berufungsverfahrens hat nämlich die Klägerin ihre erstinstanzliche Klage
gegen die Kündigung des Beklagten gegen eine Firma W. Systems GmbH erweitert mit
dem Feststellungsantrag, dass das früher zwischen der Klägerin und dem Beklagten
bestandene Arbeitsverhältnis am 03.12.2002 auf die W. Systems GmbH übergegangen
ist und seither zu ihr besteht. Die Klägerin beantragt deshalb nunmehr im vorliegenden
zweiten Rechtszug, auch die Firma W. Systems GmbH am Rechtsstreit zu beteiligen
und gegen diese eine einstweilige Verfügung zu erlassen.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Akteninhalt
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat richtig entschieden. Die
Klageerweiterung gegen die Firma W. Systems GmbH war zurückzuweisen.
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I.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist gegen den Beklagten
unbegründet.
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1. Soweit die Klägerin für die Zeit ab dem 03.12.2002 von dem Beklagten Zahlung ihres
Gehalts verlangt, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bereits
mangels Verfügungsanspruchs unbegründet. Denn die Klägerin trägt vor, das
Arbeitsverhältnis sei zu diesem Zeitpunkt auf die W. Systems GmbH übergegangen.
Damit behauptet sie selbst, ab dem 03.12.2002 bestehe kein Arbeitsverhältnis mehr mit
der Gemeinschuldnerin. Bestand aber nach dem Vortrag der Klägerin ab dem
03.12.2002 kein Arbeitsverhältnis mehr mit der Gemeinschuldnerin, der W.
Maschinenbau GmbH, kann sie von dem Beklagten auch nicht mehr erfolgreich einen
Gehaltsanspruch geltend machen. Hierbei ist es unerheblich, dass der Beklagte einen
Betriebsübergang in Abrede stellt; denn ein Verfügungsanspruch ist nur dann schlüssig
dargelegt, wenn der Antragsteller zumindest behauptet, es bestehe ein Arbeitsverhältnis
mit dem Antragsgegner bzw. mit dem Gemeinschuldner.
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2. Für die Zeit bis zum 03.12.2002 kann die Klägerin nicht im Wege einer einstweiligen
Verfügung Gehalt geltend machen, weil es insoweit an dem Verfügungsgrund mangelt.
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a. Das Arbeitsgericht hat unter Berücksichtigung der als herrschend zu bezeichnenden
Rechtsauffassung zutreffend erkannt, dass eine einstweilige Verfügung auf
Gehaltszahlung nur dann erlassen werden kann, wenn der Antragsteller auf die
sofortige Erfüllung so dringend angewiesen ist, dass er ein ordentliches Verfahren nicht
abwarten kann, ohne unverhältnismäßig großen oder irreparablen Schaden zu erleiden.
Dies folgt unmittelbar aus § 940 ZPO, wonach eine einstweilige Verfügung zur
Regelung eines einstweiligen
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Zustandes nur dann erlassen werden darf, wenn sie zur Abwendung wesentlicher
Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig
erscheint. Das einstweilige Verfügungsverfahren dient wohl entgegen der Meinung der
Klägerin nicht dazu, auf einfache und schnellere Weise unstreitige Ansprüche auf
Gehalt durchzusetzen. Vielmehr liegt ein für den Erlass einer einstweiligen Verfügung
notwendiger Verfügungsgrund nur dann vor, wenn eine solche Maßnahme dringend
geboten ist, um sonst drohende erhebliche Nachteile abzuwenden. Insoweit verweist
die Kammer auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts und macht sie sich
zur Vermeidung von Wiederholungen ausdrücklich zu Eigen, § 69 Abs. 2 ArbGG. Wenn
in diesem Zusammenhang die Klägerin geltend macht, auch beim Anspruch des
Arbeitgebers auf Unterlassung verbotener Wettbewerbshandlungen, beim Anspruch auf
Erteilung von (Bildungs-) Urlaub, auf Herausgabe von Arbeitspapieren und auf Erteilung
eines Zeugnisses sowie beim Anspruch des Arbeitgebers auf Herausgabe von
Arbeitsmitteln und Dienst-Pkw werde auch nicht im Ansatz eine existenzielle Notlage
verlangt, übersieht sie, dass in diesen Fällen bereits durch den Zeitablauf erhebliche
Nachteile für den Arbeitgeber bzw. Arbeitnehmer eintreten können; allerdings muss
auch in diesen Fällen die Dringlichkeit der verlangten Maßnahme dargelegt und
glaubhaft gemacht werden. Dies verlangt bereits das Gesetz.
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b. Die Klägerin hat nicht konkret vorgetragen, weshalb der Erlass einer einstweiligen
Verfügung dringend geboten ist. Sie hat zwar geltend gemacht, dass sie den
Krankenversicherungsbeitrag abführen, die Versicherungsprämie für ihre Kfz-
Versicherung zahlen, die Lebensversicherungsprämie begleichen und den Sparvertrag
erfüllen muss. Sie hat jedoch mit keinem Wort ihre übrige finanzielle Situation
dargestellt. In diesem Zusammenhang hat sie nichts zu
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ihren Ersparnissen vorgetragen und nicht näher dargelegt, weshalb es ihr nicht möglich
ist, durch die Aufnahme eines Kredits die nach ihrem Vortrag aufgetretenen Probleme
mit ihren Gläubigern zu meistern. Allein der Hinweis, ein Arbeitnehmer sei auf sein
Einkommen angewiesen, entband die Klägerin nicht von ihrer Verpflichtung, den
Verfügungsgrund näher darzulegen.
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c. Doch selbst wenn die Klägerin einen Verfügungsgrund dargelegt und glaubhaft
gemacht hätte, hätte die beantragte einstweilige Verfügung nicht erlassen werden
können. Denn der Arbeitnehmer kann nach ganz herrschender Auffassung (vgl. LAG
Bremen Beschluss vom 05.12.1997 4 Sa 258/97, NZA 1998, 902 f m.w.N.) im Wege
einer einstweiligen Verfügung nur die Zahlung des pfändungsfreien Betrages seines
Gehalts verlangen. Trotz gerichtlichen Hinweises vom 10.01.2003 sah die Klägerin
unverständlicherweise - keine Veranlassung, jedenfalls hilfsweise ihren Antrag auf den
unpfändbaren Gehaltsanteil zu begrenzen. Da die Kammer die persönlichen
Verhältnisse der Klägerin nicht kennt und von der Klägerin auch die Höhe ihres
Nettoanspruchs nicht genannt wurde, hätte dieser pfändungsfreie Betrag der Klägerin
wegen fehlender Berechnungsgrundlage nicht zugesprochen werden können.
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d. Dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung kann auch nicht mit der
Begründung stattgegeben werden, es könne der Klägerin nicht zugemutet werden, das
Hauptsacheverfahren zuzuwarten. Abgesehen davon, dass damit der Verfügungsgrund
nicht dargetan wird, meint die Klägerin, in diesem Zusammenhang vortragen zu
müssen, die Arbeitsgerichtsbarkeit sei in ihrem derzeitigen Zustand nicht in der Lage,
das ordentliche Verfahren innerhalb
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angemessener Frist abzuwickeln, und es bedürfe des vorliegenden
Berufungsverfahrens, um simpelste Rechtspositionen durchzusetzen; so trage die
Arbeitsgerichtsbarkeit zu ihrem eigenen Erstickungstod tatkräftig bei. Die Klägerin muss
einfach zu Kenntnis nehmen, dass auch Arbeitsgerichtsprozesse eine gewisse Zeit
dauern und ein Zeitraum von gut einem Jahr zwischen erstinstanzlichem Güte- und
Kammertermin keinesfalls unangemessen lang ist. Abwegig ist der Hinweis auf einen
Erstickungstod der Arbeitsgerichtsbarkeit. Es ist gerichtsbekannt, dass die
Arbeitsrichterinnen und Arbeitsrichter der ersten Instanz bei starker Arbeitsbelastung mit
großem Einsatz ihre Pflicht tun. Es ist deshalb für die erkennende Kammer völlig
unverständlich, den Richterinnen und Richtern der ersten Instanz in der vom
Prozessvertreter der Klägerin vorgetragenen Weise einen Vorwurf zu machen, zumal
die Klägerin selbst keine Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht hat, die die
Dringlichkeit ihres Antrages begründen.
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II.
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Die Klägerin hat mit ihrer zweitinstanzlichen Klageerweiterung ebenfalls keinen Erfolg.
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1. Diese zweitinstanzliche Klageänderung, zu der auch die Erweiterung der Klage in der
Berufungsinstanz auf einen zweiten Beklagten zählt, ist gemäß § 533 ZPO unzulässig.
Der Beklagte hat dieser Klageerweiterung nicht
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zugestimmt. Sie ist auch nicht sachdienlich (§ 533 Nr. 1 ZPO). Denn würde der neue
Antrag an die W. Systems GmbH zugestellt und ein neuer Kammertermin anberaumt
werden, was auch einige Zeit in Anspruch nehmen würde, stände schon der Termin in
der Hauptsache am 04.03.2003 an.
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2. Zudem ist der Antrag gegen die W. Systems GmbH gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 ArbGG
zurückzuweisen. Denn zum einen hat die Klägerin ihren Verfügungsanspruch nicht
glaubhaft gemacht (§§ 940, 936, 929 Abs. 2 ZPO). Denn sie hat nicht glaubhaft
gemacht, dass ein das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der
Gemeinschuldnerin erfassender Betriebsübergang von der Gemeinschuldnerin auf die
W. Systems GmbH stattgefunden hat und deshalb dieses Unternehmen seit dem
03.12.2002 Arbeitgeberin der Klägerin ist. Außerdem hat die Klägerin wie dargelegt den
Verfügungsgrund nicht dargetan.
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Da die Klägerin mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung erfolglos
geblieben ist, muss sie die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 97 ZPO tragen.
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Einer Entscheidung über die Zulassung der Revision bedurfte es nicht, da im
einstweiligen Verfügungsverfahren die Revision ausgeschlossen ist, § 72 Abs. 4
ArbGG.
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gez. Dr. Beseler gez. Dr. Heidorn gez. Fischer
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