Urteil des LAG Düsseldorf vom 01.10.1997

LArbG Düsseldorf (bag, kläger, 1995, verweisung, auslegung, höhe, arbeitsgericht, norm, treffen, entstehungsgeschichte)

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 17 Sa 1044/97
Datum:
01.10.1997
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
17. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 Sa 1044/97
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Wuppertal, 5 Ca 389/97
Schlagworte:
Tarifliche Regelung zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall -
Absenkung auf 80 % ?
Normen:
§§3, 4 EFZG,§ 4 Ziff. 7 RTVGerüstbau
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
§ 4 Ziff. 7 RTV Gerüstbau, wonach im Krankheitsfall die Bestimmungen
des Entgeltfortzahlungsgesetzes gelten stellt eine lediglich
deklaratorische Verweisung auf die jeweils geltenden gesetzlichen
Regelungen dar. Deshalb haben die tarifunterworfenen Arbeiter gem. §§
3, 4 EFZG n. F. - ab dem 01.10.1996 - nur noch einen Anspruch auf 80
%ige Krankenvergütung.
Tenor:
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Wuppertal vom 21.05.1997 - 5 Ca 389/97 - wird kostenpflichtig
zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
T A T B E S T A N D :
1
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger für Tage in den Monaten November und
Dezember 1996 sowie in Februar 1997, an denen er arbeitsunfähig erkrankt war,
Krankenvergütung lediglich in gesetzlicher Höhe (80 %) oder aufgrund Tarifvertrages in
voller Höhe (100 %) des für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitsentgelts zusteht.
Der vom Kläger eingeforderte Differenzbetrag beläuft sich - der Höhe nach streitlos - auf
1.104,01 DM brutto.
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Der Kläger arbeitet als Monteur bei der Beklagten, einem Gerüstbauunternehmen. Auf
das Arbeitsverhältnis findet der für allgemeinverbindlich erklärte Rahmentarifvertrag für
das Gerüstbaugewerbe vom 27.07.1993 i. d. F. des Änderungstarifvertrages vom
15.11.1995 (im folgenden: RTV Gerüstbau) Anwendung. § 4 Ziff. 7 RTV Gerüstbau
lautet:
3
Arbeitsversäumnis bei Arbeitsunfähigkeit
4
Im Krankheitsfall gelten die Bestimmungen des Entgeltfortzahlungs-
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gesetzes.
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Der Kläger meint, ungeachtet der durch die Neufassung des § 4 Abs. 1 EFZG zum
01.10.1996 beschränkten Krankenvergütung auf nunmehr 80 % des regelmäßigen
Arbeitsentgelts stehe ihm die volle Entgeltfortzahlung zu. § 4 Ziff. 7 RTV Gerüstbau
räume ihm einen solchen Anspruch ein. Die Tarifvertragsparteien hätten mit dieser
Bestimmung die 100 %-ige Entgeltfortzahlung entsprechend der früheren Fassung des
Entgeltfortzahlungsgesetzes festgeschrieben.
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Der Kläger hat beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.104,01 DM brutto
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nebst 4 % Zinsen von den eingeklagten Teilbeträgen ab Rechts-
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hängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie sieht in § 4 Ziff. 7 RTV Gerüstbau eine Verweisung auf die jeweils geltenden
Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes und von daher den Klageanspruch als
nicht begründet an.
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Das Arbeitsgericht hat sich dem mit Urteil vom 21.05.1997 angeschlossen und die
Klage abgewiesen.
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Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine Ansprüche weiter. Er meint, insbesondere der
fehlende Hinweis auf die Geltung der Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes
in ihrer jeweiligen Fassung lasse nur den Schluß zu, daß die Tarifvertrags-
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parteien künftige gesetzliche Änderungen, wie die hier in Rede stehende Absenkung
der Entgeltfortzahlung, nicht in ihren eigenständigen Regelungswillen aufgenommen
hätten. Dies habe das Arbeitsgericht verkannt.
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Der Kläger beantragt nunmehr,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 21.05.1997
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- Az. 5 Ca 389/97 - abzuändern und die Beklagte zu ver-
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urteilen, an den Kläger DM 1.104,01 brutto nebst 4 %
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Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag
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seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte bittet,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie wendet ein, daß eine tarifvertragliche Abkoppelung von der weiteren
Gesetzesentwicklung jedenfalls nicht hinreichend deutlich formuliert sei. Von daher
könne der Tarifbestimmung lediglich Hinweischarakter und nicht der Charakter einer
eigenständigen Rechtsnorm und Anspruchsgrundlage zuerkannt werden. Dies werde im
übrigen dadurch verdeutlicht, daß der RTV Gerüstbau Verweise auf ohnehin
einschlägige gesetzliche Bestimmungen auch in anderen Sachzusammenhängen
mannigfach enthalte. Im übrigen sei nicht anzunehmen, daß die Angestellten im
Gerüstbaugewerbe, für die kein Rahmentarifvertrag abgeschlossen worden sei,
letztendlich gewerblichen Arbeitnehmern gegenüber seitens der Tarifvertragsparteien
hätten benachteiligt werden sollen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen und die
Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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Die Berufung des Klägers, gegen die keine Zulässigkeitsbedenken bestehen, ist
unbegründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis richtig gesehen, daß dem Kläger eine
Anspruchsgrundlage für die streitige volle Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle nicht zur
Seite steht. Die Krankenvergütung bemißt sich ausschließlich nach § 4 Abs. 1 Satz 1
EFZG in der seit dem 01.10.1996 geltenden Fassung und beträgt demnach 80 % des
regelmäßigen Arbeitsentgelts. In dieser Höhe hat die Beklagte gezahlt.
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I.
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Nach ständiger Rechtsprechung des BAG und einhelliger Meinung im Schrifttum folgt
die Auslegung normativer Teile von Tarifverträgen den für die Auslegung von Gesetzen
geltenden Regeln. Auszugehen ist vom Tarifwortlaut. Dabei ist der maßgebliche Sinn
der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften (§ 133 BGB). Der wirkliche
Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus mitzuberücksichtigen
soweit er in der tariflichen Norm seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist
ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den
wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der
Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie
Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne
Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des
jeweiligen Tarifvertrages, gegebenenfalls auch eine praktische Tarifübung ergänzend
heranziehen (vgl. etwa Urteil vom 06.04.1989 - 6 AZR 622/87 - AP Nr. 2 zu § 2 BAT SR
2 r - zu II 2 b der Gründe).
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1. Diese Grundsätze gelten sowohl für die Feststellung des Inhalts einer Norm, als auch
für die Klärung der Vorfrage, ob einer Tarifbestimmung überhaupt Normcharakter im
Rechtssinne beizumessen ist, der nur darin gesehen werden kann, für einen bestimmten
Sachverhalt eine bestimmte Rechtsfolge anzuordnen. Die hier streitige Frage, ob § 4
Ziff. 7 RTV Gerüstbau eine eigenständige, konstitutive Regelung darstellt oder lediglich
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eine deklaratorische Verweisung, entscheidet sich deshalb anhand der klassischen
Auslegungskriterien der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung, von der
abzuweichen die Kammer keine Veranlassung sieht.
2. a) Dabei hat das BAG für den Fall der Verknüpfung tariflicher Bestimmungen mit
gesetzlichen Normen in ebenfalls ständiger Rechtsprechung für unterschiedliche
Fallgruppen weitere Auslegungsregeln entwickelt: Der Wille der Tarifvertragsparteien,
eine selbständige, d.h. in ihrer normativen Wirkung von der gesetzlichen Norm
unabhängige eigenständige Regelung treffen zu wollen, muß im Tarifvertrag einen
hinreichend erkennbaren Ausdruck gefunden haben. Das ist nach Auffassung des BAG
regelmäßig anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien eine im Gesetz nicht oder
anders enthaltene Regelung treffen oder eine gesetzliche Regelung übernehmen, die
sonst nicht für die betroffenen Arbeitnehmer gelten würde. Für einen rein
deklaratorischen Charakter soll hingegen sprechen, wenn einschlägige gesetzliche
Vorschriften wörtlich oder inhaltlich unverändert übernommen werden oder auf eine
gesetzliche Regelung lediglich verwiesen wird. In derartigen Fällen sei bei Fehlen
gegenteiliger Anhaltspunkte davon auszugehen, daß nach dem Willen der
Tarifvertragsparteien lediglich eine unvollständige Darstellung der Rechtslage
vermieden werden sollte; die Tarifgebundenen sollten möglichst umfassend über die zu
beachtenden Rechtsvorschriften unterrichtet werden (vgl. BAGE 40, 102 = AP Nr. 133
zu § 1 TVG Auslegung; Urteil vom 28.01.1988 - 2 AZR 296/87; vom 04.03.1993 - 2 AZR
355/92; vom 05.12.1995 - 2 AZR 1028/94 und vom 14.02.1996 - 2 AZR 201/95 = AP Nr.
24, 40, 48 und 50 zu § 622 BGB).
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b) Gegen diese zur Bestimmung konstitutiver Tarifnormen entwickelten
Auslegungsregeln sind erhebliche Einwände erhoben worden (etwa von Wiedemann,
Anm. zu BAG, AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung; Bengelsdorf, NZA 1991, 121, 126 f.;
Löwisch/Rieble, TVG, § 1 RN 419; Creutzfeldt, AuR 1995, 87 ff). Mit dieser Kritik hat sich
der 2. Senat des BAG in seinem Urteil vom 05.10.1995 (a.a.O., zu II 2 der Gründe)
eingehend auseinandergesetzt und diese zurückgewiesen. Weitere kritische Stimmen in
der aktuellen Diskussion um die Absenkung der Entgeltfortzahlung sind dem BAG nicht
gefolgt (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 8. Aufl., S. 2111; Preis, NJW 1996, 3369, 3375;
Boerner, ZTR 1996, 435, 437; Wedde, AuR 1966, 421, 424; zustimmend andererseits
Hromadka, BB 1993, 2372, 2375; Hergenröder, Anm. zu BAG AP Nr. 40 zu § 622 BGB;
Jansen, Anm. zu BAG AP Nr. 42 zu § 622 BGB; Buchner NZA 1996, 1178 ff).
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c) Ob dem BAG für den Fall der Übernahme des Gesetzestextes in eine Tarifnorm zu
folgen oder eher anzunehmen ist, daß jeder Normgeber, der fremde Rechtssätze
wiederholt, diese im Zweifel in seinen eigenen Rechtssetzungswillen aufnimmt (vgl.
Thüringer LAG, Urteil vom 20.02.1995 - 8 Sa 443/94 - nicht rechtskräftig - DB 1995,
1030 ff) erscheint der Kammer problematisch.
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Einer Auseinandersetzung mit dieser Frage bedarf es hier indes nicht. Bei einer
Verweisung, wie sie im Streitfalle allein in Rede steht, werden weitaus seltener
gegenüber der Beurteilung einer lediglich deklaratorischen Tarifbestimmung Bedenken
erhoben. Im Schrifttum vertritt, soweit ersichtlich, allein Zachert (DB 1996, 2078, 2079)
für den Fall einer Verweisung könne nicht unterstellt werden, die Tarifvertragsparteien
hätten ohne Jeweiligkeitsklausel eine künftige verschlechternde Gesetzesnovellierung
in ihren Regelungswillen mit einbezogen.
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Dem kann in Übereinstimmung mit dem BAG nicht gefolgt werden.
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Verweisungsklauseln machen schon vom Wortlaut her deutlich, daß die
Tarifvertragsparteien keine eigenständige Regelung treffen. Verweisung heißt Hinweis
und damit unmißverständlich die Unterstellung unter den Regelungswillen allein eines
Dritten, hier des Bundesgesetzgebers, auf dessen Regelungsmaterie mit dem
Entgeltfortzahlungsgesetz hingewiesen wird.
Es entspricht auch anerkannten Auslegungsregeln (vgl. bereits das Urteil des BAG vom
12.11.1964 - 5 AZR 507/63 - AP Nr. 4 zu § 34 SchwBeschG 1961, zu II der Gründe
m.w.N.), daß die Tarifvertragsparteien mangels gegenteiliger Anhaltspunkte selbst mit
dem Hinweis auf eine genau bezeichnete gesetzliche Regelung nur die Klarstellung
des seinerzeitigen Rechtszustandes bezwecken und nicht etwa die bei Tarifabschluß
geltende gesetzliche Regelung gleichermaßen zementieren wollen. Gesetze gelten in
der jeweils aktuellen Form. Von daher gibt auch eine fehlende Jeweiligkeitsklausel
entgegen der Auffassung von Zachert nichts dafür her, daß ein Verweisungstatbestand
eine konstitutive eigenständige Tarifnorm ist.
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Erst recht kann das gegenteilige Verständnis mit Zachert nicht ergebnisorientiert
begründet werden. Wenn tarifliche Verweisungsklauseln ihren Sinn noch erfüllen sollen,
müssen sie dahin ausgelegt werden, daß sie für die Tarifunterworfenen einen Hinweis
auf die jeweils geltenden Gesetze beinhalten. Die Rechtslage wird den
Tarifunterworfenen nur dann richtig verdeutlicht, wenn sich ihre Ansprüche nach dem
Gesetz in jeweils aktueller Fassung ausrichten. Die mit einer Verweisung verfolgte
Hinweis- und Klarstellungsfunktion würde geradezu in ihr Gegenteil verkehrt, wenn ein
überholter Rechtszustand weiterhin geltend festgeschrieben werden sollte.
39
II.
40
In Anwendung dieser Auslegungsgrundsätze kommt § 4 Ziff. 7 RTV Gerüstbau kein
eigenständiger Regelungsgehalt zu.
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1. Die Verweisungsnorm selbst ist eindeutig. Die Wendung, es gelten die
Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes ist ein bloßer Hinweis. Hätten die
Tarifpartner § 4 Ziff. 7 RTV Gerüstbau im Sinne einer konstitutiven Regelung
festschreiben wollen, so wäre es zumindest geboten gewesen, das
Entgeltfortzahlungsgesetz in der bei der letzten Tarifänderung (15.11.1995) geltenden
Fassung vom 01.01.1994 ausdrücklich auszuweisen. Ungeachtet der Frage, ob selbst
für einen solchen Fall gleichwohl eine schlichte Verweisungsnorm anzunehmen wäre,
mußte jedenfalls eine solche Klarstellung erwartet werden, wenn die
Tarifvertragsparteien die damalige Rechtsposition der Tarifunterworfenen hätten
festschreiben wollen.
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2. Auch an anderer Stelle enthält der Tarifvertrag keinen Hinweis darauf, daß § 4 Ziff. 7
RTV Gerüstbau mehr als einen lediglich deklaratorischen Hinweis auf die gesetzliche
Rechtslage für den Fall krankheitsbedingter Arbeitsverhinderung gibt. Das Gegenteil ist
der Fall.
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Die Tarifvertragsparteien haben in § 4 Ziff. 1 RTV Gerüstbau gleichermaßen als
Obersatz der folgenden Entgeltfortzahlungsregeln festgeschrieben, daß die folgenden
Tatbestände - wie derjenige des § 4 Ziff. 7 - enumerative Ausnahmen von der
Grundsatzregelung sind, in Abweichung von § 616 BGB den Lohn nur für die tatsächlich
geleistete Arbeitszeit zu zahlen. Anschließend sind diese Ausnahmen in den Ziffern 1
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bis 6 und 8 zu § 4 RTV Gerüstbau ausgewiesen. Anders verhält es sich mit der
Verweisung auf die Geltung der Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes in
Ziff. 7 RTV Gerüstbau. Das läßt wiederum nur den Schluß zu, dieser Bestimmung
gerade keine eigenständige Normenqualität beizumessen.
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3. Soweit Zachert das Gebot einer ausdrücklichen Jeweiligkeitsklausel weiter damit
begründet, ein anderes Verständnis verstoße gegen die in Art. 9 Abs. 3 GG verfaßten
Grundsätze der Tarifautonomie, hat bereits das BAG mit Urteil vom 05.10.1995 (a.a.O.
zu II 2 f der Gründe) überzeugend darauf hingewiesen, die Tarifautonomie beinhalte
gerade auch die Freiheit, von eigener Normsetzung abzusehen.
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4. Zu Recht verweist die Beklagte auch darauf, daß die Tarifvertragsparteien
anderweitig wiederholt im RTV Gerüstbau Gesetzesverweisungen getroffen haben, bei
denen es sich von selbst versteht, daß keine überholten Gesetzesfassungen, sondern
die jeweils aktuellen gemeint sind.
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Exemplarisch ist hier etwa die Verweisung in § 3 Ziff. 7 RTV Gerüstbau auf die
Arbeitszeit für Kraftfahrer nach den gesetzlichen Vorschriften .
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Im Normenzusammenhang der Freistellungsregelungen verweist so etwa § 4 Ziff. 4 RTV
Gerüstbau unter der Überschrift unbezahlte Freistellung aus besonderen Gründen auf
die Wahrnehmung von Mandatsverpflichtungen nach dem Berufsbildungsgesetz . Auch
hier kann der Beklagten nur beigepflichtet werden, daß in der Tat nichts dafür spricht,
daß die Tarifvertragsparteien diesen Gesetzesverweis auf eine bestimmte Fassung des
Berufsbildungsgesetzes ungeachtet künftiger Änderungen beziehen wollten.
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5. Abgesehen davon, daß die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages bei
der Auslegung nur dann heranzuziehen ist, wenn nach Auswertung des Tarifwortlautes
und des tariflichen Zusammenhangs als den stets und in erster Linie heranzuziehenden
Auslegungskriterien im Einzelfall noch Zweifel verbleiben (vgl. u. a.
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BAG, Urteil vom 21.07.1993 - 4 AZR 468/92 - AP Nr. 144 zu § 1 TVG Auslegung zu B II
1 a aa der Gründe), steht die Entstehungsgeschichte ebenfalls der Annahme einer
eigenständigen Norm im Rechtssinne entgegen.
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Seit Erstabschluß des RTV Gerüstbau am 28.04.1981 haben sich die
Tarifvertragsparteien darauf beschränkt, hinsichtlich der Krankenvergütung auf die
gesetzlichen Bestimmungen - damals des LohnFG - zu verweisen. Redaktionell
geändert wurde lediglich mit Inkrafttreten des Entgeltfortzahlungsgesetzes zum
01.06.1994 bei der letzten Tarifänderung vom 15.11.1995 die Gesetzesbezeichnung.
Dies obschon Ende 1995 die Diskussion hinsichtlich der Höhe der Krankenbezüge
längst eingesetzt hatte, vorrangig geführt im Streit um die Einführung von Karenztagen.
Allein dies hätte eine Klarstellung auf die vermeintliche Eigenständigkeit der Regelung
in § 4 Ziff. 7 RTV seitens der Tarifvertragsparteien erwarten lassen müssen. Insoweit
darf nicht außer Acht bleiben, daß die Kenntnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung
von den Tarifvertragsparteien erwartet werden kann und seit dem Urteil des BAG vom
28.01.1988 (2 AZR 296/87 = AP Nr. 24 zu § 622 BGB) eine schlichte Verweisungsnorm
gegen einen Normsetzungswillen der Tarifvertragsparteien sprach (vgl. BAG, Urteil vom
14.02.1996 - 2 AZR 166/95 - AP Nr. 21 zu § 1 TVG Tarifverträge: Textilindustrie, zu II 2 a
der Gründe).
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Ob eine konstitutive Regelung aus nachträglicher Sicht einer der Tarifvertragsparteien,
hier der Gewerkschaft, interessengerechter für deren tarifunterworfene Mitglieder
gewesen wäre, ist unerheblich. Die Gerichte für Arbeitssachen können den nicht
erkennbar gewordenen Inhalt eines Tarifvertrages nicht nachbessern. Vielmehr ist es
Sache der Tarifvertragsparteien, gegebenenfalls nachzuverhandeln.
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III.
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Nach alledem konnte der Berufung deshalb kein Erfolg beschieden sein. Die
Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
55
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache war die Revision gem. § 72
Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 ArbGG zuzulassen.
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Der Wert des Streitgegenstandes war gem. § 25 Abs. 2 GKG mit 1.104,-- DM
festzusetzen.
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RECHTSMITTELBELEHRUNG
58
Gegen dieses Urteil kann von dem Kläger
59
REVISION
60
eingelegt werden.
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Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
62
Die Revision muß
63
innerhalb einer Notfrist von einem Monat
64
nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
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Bundesarbeitsgericht,
66
Graf-Bernadotte-Platz 5,
67
34119 Kassel,
68
eingelegt werden.
69
Die Revision ist gleichzeitig oder
70
innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
71
schriftlich zu begründen.
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Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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gez.: Grigo gez.: Winkels gez.: Stenhorst
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