Urteil des LAG Düsseldorf vom 24.07.1997

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Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 13 (12) Sa 634/97
Datum:
24.07.1997
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 (12) Sa 634/97
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Düsseldorf, 6 Ca 698/96
Schlagworte:
Tarifauslegung
Normen:
RTV für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Beton- u. Fertigteilindu
strie und dem Beton steinhandwerk (Betongewerbe) Nord
westdeutschland vom 14.09.1993 § 13 IV zu sätzliches Urlaubsgeld
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Entgegen dem Wortlaut des Tarifvertrages kann das zusätzliche Urlaubs
geld nicht nur für den genommenen sondern auch für abzugeltenden
Urlaub beansprucht werden.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Düsseldorf vom 11.03.1997 - 6 Ca 698/96 - abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 416,-- DM brutto nebst
4% Zinsen aus dem sich errechnenden Nettobetrag ab 02.02.1996
zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
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Die Parteien streiten über die Auslegung des Rahmentarifvertrages für die
gewerblichen Arbeitnehmer in der Beton- und Fertigteilindustrie und dem
Betonsteinhandwerk (Betonsteingewerbe) Nordwestdeutschland vom 14.09.1993.
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In diesem Tarifvertrag heißt es unter § 13 IV Zusätzliches Urlaubsgeld
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wie folgt:
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1. Nach einer einjährigen ununterbrochenen Betriebszugehörigkeit
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hat der Arbeitnehmer Anspruch auf ein zusätzliches Urlaubsgeld
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für den nach Ablauf der einjährigen Frist genommenen und auf
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die Zeit nach dieser Frist entfallenden Urlaub.
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Der Kläger hatte bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses 12 oder 13 ihm nach
dem Tarifvertrag zustehende Erholungsurlaubstage für das Jahr 1995 noch nicht
genommen. Er hat unter Berufung auf § 13 IV TV für 13 Tage abzugeltenden
Urlaub zusätzliches Urlaubsgeld geltend gemacht und beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 416,-- DM
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brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich errechnenden
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Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte hat
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Klageabweisung
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beantragt.
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Sie hat die Auffassung vertreten, der Tarifvertrag gewähre einen
Urlaubsgeldanspruch nur für tatsächlich genommene, nicht aber abgegoltene
Urlaubstage.
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Das Arbeitsgericht hat bei den Tarifvertragsparteien Auskünfte eingeholt. Bezüglich
der abgegebenen Erklärungen wird auf Bl. 25 bis 35 d.A. Bezug genommen.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung seiner
Auffassung ausgeführt, der Wortlaut der strittigen Regelung besage, daß
Urlaubsgeld nur für genommenen Urlaub zu zahlen sei. Die wörtliche Auslegung
entspreche dem Sinn des Begriffes genommen im Bundesurlaubsgesetz. Es gebe
keine Anhaltspunkte dafür, dem Begriff in der hier maßgeblichen Norm einen
anderen Sinn beizulegen. Die Tatsache, daß dem Arbeitnehmer durch die tarifliche
Regelung im Krankheitsfalle ohne sein Verschulden der Anspruch auf zusätzliches
Urlaubsgeld entgehen könne, sei deshalb unbedenklich, weil das
Bundesurlaubsgesetz den bis zum Ende des Übertragungszeitraums wegen
Krankheit nicht genommenen Urlaub sogar dem Verfall anheimgebe.
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Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.
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Er vertritt die Auffassung, ihm stehe das zusätzliche Urlaubsgeld gemäß § 13 IV
Ziff. 1 des Rahmentarifvertrages auch bei einer Abgeltung des Urlaubs zu. Die
abweichende wörtliche Tarifauslegung des Arbeitsgerichts verkenne, daß die
Parallele zur Bestimmung des § 7 Abs. 3 Satz 3 Bundesurlaubsgesetz nicht
zulässig sei, die den Begriff genommen in einem völlig anderen Zusammenhang
gebrauche. Vorliegend sei es so, daß er den nicht mehr in natura genommenen
Urlaub nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten verwirklicht
habe. Auch für diese Form der Urlaubsgestaltung stehe ihm das zusätzliche
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Urlaubsgeld zu.
Der Kläger beantragt nunmehr,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom
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11.03.1997 abzuändern und die Beklagte zu ver-
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urteilen, an den Kläger DM 416,00 brutto nebst
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4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden
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Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die gegnerische Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält an ihrer Auffassung fest, daß die Tarifvertragsparteien die Urlaubsnahme
in natura als Bedingung für die Gewährung des tariflichen Urlaubsgeldes gewollt
hätten.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Berufung hatte Erfolg.
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Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hält die Kammer eine Auslegung des
Tarifvertrages dahingehend für geboten, daß das zusätzliche Urlaubsgeld trotz des
Wortlauts der Ziffer IV 1 des Tarifvertrages auch im Abgeltungsfall zu zahlen ist.
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Die Auskünfte der Verbände geben für die Ermittlung eines gemeinsamen Willens
der Tarifvertragsparteien nichts her. Sie sind wie üblich von der jeweiligen
Interessenlage bestimmt.
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Die wörtliche Auslegung des Tarifvertrages spricht zweifelsfrei für die Auffassung
des Arbeitsgerichts. Diese erscheint der Kammer jedoch zu vordergründig. Sie läßt
sich auch aus der Verwendung des auszulegenden Begriffes genommen im
Bundesurlaubsgesetz in einem anderen Zusammenhang nicht hinreichend stützen.
Des weiteren ergeben sich aus § 13 IV Ziff. 5 des RTV entgegen der Auffassung
der Beklagten keine hinreichenden Rückschlüsse darauf, wie der Begriff des
genommenen Urlaubs in § 13 IV Ziff. 1 zu verstehen ist. Bei der Auslegung von
Tarifverträgen muß der subjektive Wille der Tarifvertragsparteien berücksichtigt
werden, wenn er im Wortlaut einen für Dritte erkennbaren Ausdruck gefunden hat
(BAG, AP Nr. 121 zu § 1 TVG Auslegung). Ein gemeinsames Verständnis der
Tarifvertragsparteien läßt sich nicht ermitteln. Was eine Tarifvertragspartei sich
vorgestellt hat oder welche Ziele sie verfolgte, ist aber nur dann von Bedeutung,
wenn dies von der anderen Tarifvertragspartei (an-)erkannt wurde (BAG, AP Nr. 4
zu § 8 TVG, a.a.O.).
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Richtigerweise ist die Vorinstanz bei der Auslegung der strittigen Bestimmung vom
Wortlaut des Tarifvertrages ausgegangen. Der Wortlaut darf jedoch nicht
überbetont werden, da die in einem notwendigen Interessenkompromiß zustande
gekommenen tarifvertraglichen Regelungen häufig nicht so präzise formuliert sind
wie Gesetze.
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Unter Heranziehung der §§ 133, 157, 242 BGB kann der wirkliche Wille der
Tarifvertragsparteien insoweit Berücksichtigung finden, als er im Tarifvertrag
irgendeinen Niederschlag gefunden hat. Das ist auch der Sinn der von der
Rechtsprechung häufig verwandten Formel, es komme nicht auf den inneren,
sondern nur auf den in der Norm zum Ausdruck gekommenen Willen an (vgl. BAG,
AP Nr. 4, 10; 96, 115, 117, 121 und 124 zu § 1 TVG Auslegung mit Anmerkungen).
Der Versuch, den wirklichen Willen der tarifvertragsschließenden
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Parteien zu erforschen, führt vorliegend nicht weiter.
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Ihre divergierenden Erklärungen legen vielmehr die Annahme nahe, daß das
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Problem nicht gesehen wurde.Es ist daher nach Überzeugung der Kammer
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eine ergänzende Vertragsauslegung geboten.
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Die Arbeitsgerichte sind zur Lückenfeststellung und Lückenausfüllung bei
Tarifverträgen ebenso berechtigt wie bei unvollständigen Gesetzen im formellen
Sinn (vgl. Wiedemann/Stumpf, TVG, § 1 Rdnr. 416 mit zahlreichen
Literaturnachweisen).
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Die ergänzende Lückenausfüllung muß davon ausgehen, was die
Tarifvertragsparteien unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie unter
objektiver Einschätzung der wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge bei
Vertragsschluß vereinbart hätten, wenn sie an den nicht geregelten Fall gedacht
hätten.
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In diesem Zusammenhang gewinnt die Tatsache Bedeutung, daß keine innere
Rechtfertigung dafür erkennbar ist, dem Arbeitnehmer das Urlaubsgeld im
Abgeltungsfalle zu versagen. Sinn der Urlaubsabgeltung ist es, dem Arbeitnehmer
außerhalb des beendeten Arbeitsverhältnisses eine entsprechende Gestaltung der
im Arbeitsverhältnis erworbenen und zu beanspruchenden Urlaubszeit zu
ermöglichen. Das zusätzliche Urlaubsgeld hat Vergütungscharakter. Es gibt keinen
sinnvollen Gesichtspunkt, die Vergütungsansprüche des Arbeitnehmers im
Abgeltungsfalle zu beschränken und das zusätzliche Urlaubsgeld nur für den
tatsächlich während des Beschäftigungsverhältnisses genommenen Urlaub zu
gewähren. In diesem Falle würde der Arbeitgeber eine Einsparung zu Lasten des
Arbeitnehmers erzielen, für die es keine Berechtigung gibt und die daher
sinnvollerweise bei Abfassung der tariflichen Vereinbarung nicht gewollt gewesen
sein kann.
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Nach allem war der Berufung stattzugeben.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
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Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG zuzulassen.
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RECHTSMITTELBELEHRUNG
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Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten
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REVISION
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eingelegt werden.
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Für den Kläger ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Revision muß
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innerhalb einer Notfrist von einem Monat
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nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
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Bundesarbeitsgericht,
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Graf-Bernadotte-Platz 5,
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34119 Kassel,
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eingelegt werden.
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Die Revision ist gleichzeitig oder
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innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
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schriftlich zu begründen.
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Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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Funke Boecker Vogtländer
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