Urteil des LAG Düsseldorf vom 30.04.2010

LArbG Düsseldorf (bundesrepublik deutschland, verbot der diskriminierung, ablauf der frist, arbeitsverhältnis, zeitliche wirkung, bag, kündigung, eugh, treu und glauben, arbeitnehmer)

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 9 Sa 354/09
Datum:
30.04.2010
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
9 Sa 354/09
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Krefeld, 2 Ca 2952/08
Schlagworte:
Kündigungsfrist, EuGH-Urteil Kücükdeveci, Vertrauensschutz
Normen:
Richtlinie 2000/78 EG; § 622 Abs. 2 S. 2 BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. § 622 Abs. 2 S. 2 BGB ist seit Ablauf der Frist für die Bundesrepublik
Deutschland zur Umsetzung der Richtlinie 2000/78 EG unangewendet
zu lassen (EuGH vom 19.01.2010 - Kücükdeveci, NZA 2010, S. 85). 2.
Der EuGH hat die zeitliche Wirkung der ihm im
Vorabentscheidungsverfahren "Kücükdeveci" zur Auslegung
vorgelegten Vorschriften des Gemeinschaftsrechts nicht eingeschränkt.
Eine solche Einschränkung kann nur der EuGH in dem Urteil, in dem
über die erbetene Auslegung entschieden wird, vornehmen (EuGH vom
06.03.2007 - Meilicke, ZIP 2007, S. 525). Die deutschen Gerichte
können daher keinen Vertrauensschutz gewähren (a. A. BAG vom
23.03.2006 (AP Nr. 21 zu § 17 KSchG 1969)).
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld
vom 27.02.2009 - 2 Ca 2952/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen, soweit die Berufung gegen die
Feststellung des Arbeitsgerichts (Ziffer 1 des Urteils) zurückgewiesen ist.
Im Übrigen wird die Revision nicht zugelassen.
T A T B E S T A N D :
1
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch darüber, mit welcher Frist das
Arbeitsverhältnis zwischen ihnen gekündigt werden konnte, sowie über einen Anspruch
der Klägerin auf Weihnachtsgeld.
2
Die Klägerin ist am 05.07.1982 geboren. Sie wurde von den Beklagten von August 2003
bis Mai 2006 zur Arzthelferin ausgebildet. Gemäß Arbeitsvertrag vom 31.05.2006 wurde
sie sodann mit Wirkung zum 15.06.2006 als Arzthelferin eingestellt. Sie wurde ohne
zeitliche Unterbrechung in das Arbeitsverhältnis übernommen.
3
In § 7 des Arbeitsvertrages heißt es:
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"Beendigung des Arbeitsverhältnisses
5
(1) Das Arbeitsverhältnis einer Arzthelferin kann mit einer Frist von vier Wochen zum 15.
oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden.
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(2) Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die Kündigungsfrist, wenn das
Arbeitsverhältnis
7
1. zwei Jahre bestanden hat ein Monat zum Ende eines Kalendermonats,
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2. fünf Jahre bestanden hat, zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
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3. acht Jahre bestanden hat, drei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
10
4. zehn Jahre bestanden hat, vier Monate zum Ende eines Kalendermonats,
11
5. 12 Jahre bestanden hat, fünf Monate zum Ende eines Kalendermonats,
12
6. 15 Jahre bestanden hat, sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats,
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7. 20 Jahre bestanden hat, sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats.
14
Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung
des 25. Lebensjahres der Arzthelferin liegen, nicht berücksichtigt.
15
(3) Während einer vereinbarten Probezeit, längstens für die Dauer von sechs Monaten,
kann das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden.
16
(4) Die außerordentliche Kündigung richtet sich nach den gesetzlichen Vorschriften (§
626 BGB).
17
(5) Die Kündigung bedarf der Schriftform."
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrages wird auf diesen Bezug
genommen (Bl. 11 - 14 d. A.).
19
Im Jahr 2003 zahlten die Beklagten der Klägerin ein Weihnachtsgeld in Höhe einer
anteiligen 13. Ausbildungsvergütung. Im Jahr 2004 erhielt sie als Weihnachtsgeld den
Betrag einer vollen monatlichen Ausbildungsvergütung. Im Jahr 2005 erhielt sie als
Weihnachtsgeld nur noch den Betrag einer hälftigen Ausbildungsvergütung. In den
Jahren 2006 und 2007 zahlten ihr die Beklagten als Weihnachtsgeld jeweils den Betrag
einer halben Monatsvergütung.
20
Mit Schreiben vom 10.11.2008 kündigten die Beklagten das Arbeitsverhältnis zum
15.12.2008. In diesem Jahr erhielt die Klägerin kein Weihnachtsgeld.
21
Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagten hätten das Arbeitsverhältnis erst zum
31.01.2009 kündigen können. Ferner hat sie von den Beklagten die Zahlung eines
Weihnachtsgeldes für das Jahr 2008 in Höhe einer vollen Monatsvergütung und die
22
Zahlung eines Urlaubsgeldes verlangt.
Die Klägerin hat beantragt,
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1.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund einer Kündigung
vom 10.11.2008 - zugestellt am 11.11.2008 - zum 15.12.2008 beendet ist, sondern zum
31.01.2009;
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2.die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 3.215,71 € brutto
zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus
272,73 € seit dem 01.12.2005, aus weiteren 661,07 € seit dem 01.12.2006, aus weiteren
661,07 € seit dem 01.12.2007, aus weiteren 1.355,19 € seit dem 01.12.2008, sowie aus
weiteren 255,65 € seit Rechtshängigkeit.
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Die Beklagten haben beantragt,
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die Klage abzuweisen.
27
Das Arbeitsgericht Krefeld hat durch Urteil vom 27.02.2009, auf dessen Inhalt Bezug
genommen wird, festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der
Kündigung der Beklagten vom 10.11.2008 zum 15.12.2008 beendet worden ist, sondern
erst zum 31.01.2009. Ferner hat es die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an die
Klägerin 661,07 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 01.12.2008 zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
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Gegen das ihnen am 26.03.2009 zugestellte Urteil haben die Beklagten mit einem am
07.04.2009 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung
eingelegt und diese mit einem am 14.05.2009 bei dem Landesarbeitsgericht
eingegangenen Schriftsatz begründet.
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Sie sind der Ansicht, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Weihnachtsgeld für das
Jahr 2008, da sie schon zum 15.12.2008 ausgeschieden sei, so dass der mit den
Sondervergütungen verbundene Zweck, künftige Betriebstreue zu honorieren, nicht
erreicht werden könne. Trotz der Entscheidung des EuGH zu § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB
wirke die von ihnen erklärte Kündigung zum 15.12.2008, weil im vorliegenden Streitfall
§ 18 Abs. 2 des Manteltarifvertrages für medizinische Fachangestellte, Arzthelferinnen
vom 22.11.2007 einschlägig sei, auf den § 10 des Arbeitsvertrages Bezug nehme.
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Die Beklagten beantragen,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Krefeld vom 27.02.2009 - 2 Ca 2952/08 - teilweise
abzuändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als das Arbeitsgericht ihr
stattgegeben hat.
32
Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze und den
sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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Die Berufung ist zulässig (§§ 64 Abs. 1, Abs. 2 b und c, 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG,
519, 520 Abs. 3 ZPO), jedoch unbegründet.
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Zu Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den
Parteien aufgrund der Kündigung der Beklagten vom 10.11.2008 nicht zum 15.12.2008,
sondern erst zum 31.01.2009 aufgelöst worden ist und die Beklagten verurteilt, an die
Klägerin für das Jahr 2008 ein Weihnachtsgeld in Höhe von 661,07 € brutto zu zahlen.
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1.Die Klage ist, soweit sie Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, zulässig. Dies gilt
auch für den Feststellungsantrag. Die Klägerin macht damit geltend, die Kündigung
wirke zu einem späteren Zeitpunkt als es nach Auffassung der Beklagten der Fall ist.
Ein solcher Streit kann im Wege der Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO geklärt
werden. Da es nicht um die Wirksamkeit der Kündigung als solche, sondern um die
zutreffende Kündigungsfrist geht, handelt es sich nicht um eine Kündigungsschutzklage
nach § 4 KSchG (BAG vom 06.07.2006, AP Nr. 57 zu § 4 KSchG 1969).
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2.Der Feststellungsantrag ist auch begründet. Die Beklagten konnten das
Arbeitsverhältnis mit ihrem Schreiben vom 10.11.2008 nicht wirksam zum 15.12.2008
kündigen. Die zutreffende Kündigungsfrist beträgt vielmehr zwei Monate, wobei die
Kündigung nur zum Ende eines Kalendermonats erklärt werden konnte. Damit hat die
Kündigung vom 10.11.2008 das Arbeitsverhältnis erst zum 31.01.2009 aufgelöst.
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a)Die zutreffende Kündigungsfrist und der zutreffende Kündigungstermin ergeben sich
aus § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB. Nach dieser Bestimmung beträgt die
Kündigungsfrist für eine Kündigung durch den Arbeitgeber zwei Monate zum Ende
eines Kalendermonats, wenn das Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen
fünf Jahre bestanden hat. Nach der Rechtsprechung des BAG rechnet ein dem
Arbeitsverhältnis nahtlos vorausgegangenes Berufsausbildungsverhältnis zur
Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses im Sinne von § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB (BAG
vom 02.12.1999, AP Nr. 57 zu § 622 BGB). Dies trifft für die Klägerin zu. Ist damit die
Gesamtdauer von Berufsausbildungsverhältnis und Arbeitsverhältnis maßgeblich, hat
das Arbeitsverhältnis mehr als fünf Jahre bestanden, so dass § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
BGB Anwendung findet.
41
b)Dabei ist auch die Beschäftigungszeit, die vor Vollendung des 25. Lebensjahres der
Klägerin lag, zu berücksichtigen. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, der bestimmt, dass Zeiten,
die vor der Vollendung des 25. Lebensjahres des Arbeitnehmers liegen, bei der
Berechnung der Beschäftigungsdauer nicht berücksichtigt werden, hat unangewendet
zu bleiben.
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Diese Regelung ist mit dem europäischen Recht nicht vereinbar. Das Verbot der
Diskriminierung wegen des Alters ist als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts
anzusehen. Er wird durch die Richtlinie 2000/78/EG konkretisiert, die die
Bundesrepublik Deutschland bis zum 02.12.2006 in nationales Recht umzusetzen hatte.
Seit Ablauf dieser Frist fällt § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB in den Anwendungsbereich des
Unionsrechts. Dessen Anforderungen entspricht die Vorschrift nicht. Sie bewirkt eine
unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters, denn sie ermöglicht es, dass jüngere
Arbeitnehmer mit kürzerer Kündigungsfrist gekündigt werden als ältere Arbeitnehmer,
auch wenn sie dieselbe Dauer der Betriebszugehörigkeit aufweisen. Mit den
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Rechtfertigungsgründen des Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG steht
sie nicht in Einklang. Zwar liegt ihr ein legitimes Ziel zugrunde, das darin liegt, dem
Arbeitgeber eine größere personalwirtschaftliche Flexibilität zu verschaffen, indem seine
Belastung im Zusammenhang mit der Entlassung jüngerer Arbeitnehmer verringert wird,
denen eine größere berufliche und persönliche Mobilität zugemutet werden kann. Es
handelt sich aber nicht um eine im Hinblick auf die Erreichung dieses Ziels
angemessene Maßnahme, weil sie für alle Arbeitnehmer gilt, die vor Vollendung des 25.
Lebensjahres in den Betrieb eingetreten sind, unabhängig davon, wie alt sie zum
Zeitpunkt ihrer Entlassung sind (EuGH vom 19.01.2010 - Kücükdeveci, NZA 2010, Seite
85).
§ 622 Abs. 2 Satz 2 BGB enthält eine eindeutige Regelung und kann nicht
richtlinienkonform ausgelegt werden. Vielmehr ist die Bestimmung nach Ablauf der Frist
für die Bundesrepublik Deutschland zur Umsetzung der Richtlinie 2000/78/EG
unangewendet zu lassen. Dies ist zulässig und geboten, da das Verbot der
Diskriminierung wegen des Alters zu den Unionsgrundrechten gehört (EuGH vom
19.01.2010, a. a. O.; EuGH vom 22.11.2005 - Mangold, NZA 2005, Seite 1345; LAG
Düsseldorf vom 17.02.2010, ZIP 2010, Seite 596; Preis/Temming, NZA 2010, Seite
186).
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Etwas anderes gilt im vorliegenden Streitfall nicht etwa deshalb, weil die Parteien nach
§ 7 des Arbeitsvertrages vereinbart haben, dass Zeiten, die vor Vollendung des 25.
Lebensjahres der Arzthelferin liegen, bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer
nicht berücksichtigt werden. Denn zum einen haben die Parteien in § 7 des
Arbeitsvertrages die gesetzliche Regelung inhaltlich übernommen. Das spricht für den
rein deklaratorischen Charakter der Vereinbarung (BAG vom 04.07.2001, AP Nr. 59 zu §
622 BGB). Zum anderen kann nach § 622 Abs. 4 Satz 1 BGB nur durch Tarifvertrag von
§ 622 Abs. 2 BGB abgewichen werden. Nach § 622 Abs. 4 Satz 2 BGB gelten im
Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages die abweichenden tarifvertraglichen
Bestimmungen zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wenn
ihre Anwendung zwischen ihnen vereinbart ist. Eine solche Vereinbarung haben die
Parteien hinsichtlich der Kündigungsfristen nicht getroffen, denn in § 10 des
Arbeitsvertrages ist lediglich vereinbart, dass "im Übrigen" die Bestimmungen der von
der Arbeitsgemeinschaft zur Regelung der Arbeitsbedingungen der Arzthelferinnen mit
den Gewerkschaften abgeschlossenen Tarifverträge für Arzthelferinnen gelten. Diese
gelten also nur, soweit keine einzelvertragliche Vereinbarung getroffen wurde.
Schließlich ist die Vereinbarung, dass Beschäftigungszeiten, die vor Vollendung des 25.
Lebensjahres liegen, nicht berücksichtigt werden, nach Inkrafttreten des AGG am 18.
August 2006 auch nach § 7 Abs. 2 i. V. m. §§ 7 Abs. 1, 3 Abs. 1, 1 AGG unwirksam
geworden. Die Unwirksamkeit tritt im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses wie dem
Arbeitsverhältnis ex nunc ein (BAG vom 16.12.2008, AP Nr. 33 zu § 1 TVG
Vorruhestand; BAG vom 14.10.2008, AP Nr. 41 zu § 1 TVG Altersteilzeit).
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c)Vertrauensschutz dahingehend, dass die Kündigung gleichwohl ohne
Berücksichtigung der vor dem 25. Lebensjahr der Klägerin liegenden
Beschäftigungszeit erklärt werden konnte, kann den Beklagten nicht gewährt werden.
Dies würde dazu führen, dass die Auslegung der Richtlinie 2000/78/EG in der
Entscheidung des EuGH vom 19.01.2010 - Kücükdevici - nicht zugunsten der Klägerin
gelten und deren zeitliche Wirkung eingeschränkt würde. Eine solche Entscheidung
kann nur der Europäische Gerichtshof selbst in dem ihm zur Auslegung des
Unionsrechts vorgelegten Verfahren treffen (EuGH vom 06.03.2007 - Meilicke, ZIP 2007,
46
Seite 525). Da dies in der Entscheidung vom 19.01.2010 nicht geschehen ist, ist auch
der vorliegende Streitfall von der Unanwendbarkeit des § 622 Abs. 2 Satz 1 BGB erfasst
(Preis/Temming, a. a. O., Seite 188).
3.Die Beklagten sind auch verpflichtet, an die Klägerin für das Jahr 2008 ein
Weihnachtsgeld in Höhe von 661,07 € brutto zu zahlen, da eine entsprechende
betriebliche Übung zum Inhalt des Arbeitsvertrages geworden ist.
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a)Unter einer betrieblichen Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter
Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen
können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Aus
dem Verhalten des Arbeitgebers wird konkludent auf eine Willenserklärung
geschlossen, die vom Arbeitnehmer gem. § 151 BGB angenommen werden kann. Die
Wirkung einer Willenserklärung oder eines bestimmten Verhaltens tritt im Rechtsverkehr
schon dann ein, wenn der Erklärende aus der Sicht des Erklärungsempfängers einen
auf eine bestimmte Rechtswirkung gerichteten Willen geäußert hat. Ob eine für den
Arbeitgeber bindende betriebliche Übung aufgrund der Gewährung von Leistungen an
seine Arbeitnehmer entstanden ist, muss deshalb danach beurteilt werden, inwieweit
die Arbeitnehmer aus dem Verhalten des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu
und Glauben sowie der Verkehrssitte gem. § 242 BGB und der Begleitumstände auf
einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durften (BAG vom 28.07.2004, EzA §
242 BGB Nr. 2 Betriebliche Übung).
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Nach ständiger Rechtsprechung des BAG wird durch eine mindestens dreimalige
vorbehaltslose Gewährung einer Weihnachtszuwendung, wenn nicht die Umstände des
Falles eine andere Auslegung bedingen, eine Verpflichtung des Arbeitgebers begründet
mit der Folge, dass er sich von dieser Verpflichtung nicht durch einseitigen freien
Widerruf wieder lossagen kann (BAG vom 22.04.1963 - AP Nr. 26 zu § 611 BGB
Gratifikation; BAG vom 28.02.1996, AP Nr. 192 zu § 611 BGB Gratifikation). Dabei ist es
unerheblich, ob der betreffende Arbeitnehmer selbst bisher schon in die Übung
einbezogen worden ist. Da es sich um eine betriebliche, nicht um eine individuelle
Übung handelt, kommt es nicht darauf an, ob und wie oft die Klägerin selbst schon in die
Übung einbezogen worden war (BAG vom 29.04.2003, AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG
Betriebliche Übung; BAG vom 28.07.2004, a. a. O.). Nach diesen Grundsätzen kann
dahingestellt bleiben, ob die Gewährung von Weihnachtsgeld während des
Berufsausbildungsverhältnisses der Klägerin zu berücksichtigen ist. Denn einer
dreimaligen Leistung während des Bestandes des Arbeitsverhältnisses bedurfte es
nicht, falls schon zu Beginn des Arbeitsverhältnisses der Klägerin bei den Beklagten
eine betriebliche Übung dahingehend bestanden hat, dass den Arzthelferinnen eine
Weihnachtszuwendung in Höhe einer halben Monatsvergütung gezahlt wird. Dass dies
nicht der Fall war, haben die Beklagten nicht behauptet. Sie haben auch nicht
vorgetragen, dass das Weihnachtsgeld nicht vorbehaltslos gezahlt wurde oder sonstige
Umstände bestanden, die das Entstehen einer betrieblichen Übung gehindert haben.
49
b)Entgegen der Ansicht der Beklagten steht dem Anspruch der Klägerin auch nicht
entgegen, dass die Beklagten mit der Gewährung des Weihnachtsgeldes den Zweck
verfolgt haben, künftige Betriebstreue zu honorieren. Sie haben keine Tatsachen
vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass der Bestand eines ungekündigten
Arbeitsverhältnisses zum Auszahlungszeitpunkt notwendige Voraussetzung für einen
Anspruch sein sollte. Im Arbeitsvertrag zwischen den Parteien ist die Zahlung eines
Weihnachtsgeldes nicht vereinbart. Aus den von der Klägerin vorgelegten
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Abrechnungen ergibt sich lediglich, dass "Weihnachtsgeld" gezahlt wurde. Allein diese
Bezeichnung bringt für den Erklärungsempfänger nicht einmal ausreichend erkennbar
zum Ausdruck, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses zum Auszahlungszeitpunkt
notwendige Voraussetzung für einen Anspruch ist (BAG vom 21.05.2003, EzA § 611
BGB 2002 Gratifikation, Prämie Nr. 8). Erst recht gilt dies für den Bestand eines
ungekündigten Arbeitsverhältnisses. Eine Rückzahlungsklausel für den Fall, dass das
Weihnachtsgeld gezahlt wurde und die Klägerin in der Folgezeit bis zu einem
bestimmten Stichtag ausscheidet, haben die Parteien ebenfalls nicht vereinbart. Die
Beklagten haben auch nicht vorgetragen, dass sie die Zahlung des Weihnachtsgeldes
an andere Arzthelferinnen an derartige Voraussetzungen geknüpft haben. Damit spricht
nichts dafür, dass die Beklagten das Weihnachtsgeld gezahlt haben, um das weitere
Verbleiben der Mitarbeiterinnen im Betrieb zu fördern.
c)Unstreitig war der Weihnachtsgeldanspruch für das Jahr 2008 im November 2008
fällig. Damit kann die Klägerin auch die geforderten Zinsen verlangen (§§ 286 Abs. 2,
288 Abs. 1 BGB).
51
4.Die Revision war nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG teilweise zuzulassen. Das BAG hat
nach der Entscheidung des EuGH vom 27.01.2005 in der Rechtssache "Junk" zur
Auslegung der Massenentlassungsrichtlinie in seiner Entscheidung vom 23.03.2006
(AP Nr. 21 zu § 17 KSchG 1969) die Auffassung vertreten, ihm sei die Entscheidung
über die Gewährung von Vertrauensschutz nicht "entzogen". Es handele sich vielmehr
um eine Frage der nationalen Rechtsanwendung. Das Berufungsgericht ist insoweit im
Anschluss an die Entscheidung des EuGH vom 06.03.2007 anderer Auffassung. Es
handelt sich bei der Gewährung von Vertrauensschutz um eine
entscheidungserhebliche Frage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 72 Abs.
2 Nr. 1 ArbGG.
52
Soweit die Revision nicht zugelassen wurde, sind Zulassungsgründe im Sinne von § 72
Abs. 2 ArbGG nicht ersichtlich.
53
R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :
54
Gegen dieses Urteil kann von den Beklagten
55
R E V I S I O N
56
eingelegt werden, soweit die Berufung gegen die Feststellung des Arbeitsgerichts (Ziffer
1 des Urteils) zurückgewiesen ist.
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Im Übrigen ist für die Parteien gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
58
Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim
59
Bundesarbeitsgericht
60
Hugo-Preuß-Platz 1
61
99084 Erfurt
62
Fax: 0361 2636 2000
63
eingelegt werden.
64
Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils,
spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
65
Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als
Bevollmächtigte sind nur zugelassen:
66
1.Rechtsanwälte,
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2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse
solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse
mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
68
3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in
Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person
ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer
Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer
Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die
Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
69
In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift
unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.
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Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.
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* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.
72
Heinlein Peter Krüll
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