Urteil des LAG Düsseldorf vom 18.03.1998

LArbG Düsseldorf (bonus, kläger, ursache, kürzung, arbeitnehmer, zweck, arbeitsunfall, arbeitsgericht, bag, gratifikation)

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 17 Sa 1797/97
Datum:
18.03.1998
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
17. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 Sa 1797/97
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Wesel, 4 Ca 2165/97
Schlagworte:
Gratifikationsminderung durch Fehlzeiten infolge eines Arbeitsunfalls
Normen:
§ § 611, 612 a BGB, § 75 BetrVG, §§ 548 ff RVO
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
I. Die Regelung in einer Betriebsvereinbarung, die
gratifikationsschädlich krankheitsbedingte Fehlzeiten, für die
Entgeltfortzahlung zu leisten ist, berücksichtigt, ist zulässig - vgl. BAG,
Urteil v. 15.12.1990 - 6 AZR 381/88 - und v. 26.10.1994 - 10 AZR 482/93
- AP Nr. 15 und 18 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie. II. Eine solche
Regelung entspricht dem Billigkeitsmaßstab des § 75 BetrVG auch bei
einem Arbeitsunfall. Der Zweck einer Gratifikation läßt die nähere
Ursache der krankheitsbedingten Fehlzeit im allgemeinen nicht als
sachlich gerechtfertigtes Unterscheidungsmerkmal erachten; dem
stehen bei einem Arbeitsunfall auch die Vorschriften der gesetzlichen
Unfallversicherung - §§ 548 ff RVO - nicht entgegen.
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Wesel vom 10.09.1997 - 4 Ca 2165/97 - wird kostenpflichtig
zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
T A T B E S T A N D :
1
Die Parteien streiten über die Höhe einer dem Kläger für das Jahr 1996 zustehenden
Weihnachtsgratifikation.
2
Der Kläger ist seit mehreren Jahren bei der Beklagten tätig. Im Kalenderjahr 1996 fehlte
er an insgesamt 44 Arbeitstagen. 25 dieser Fehltage beruhten auf einer
krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit infolge eines Arbeitsunfalls. Sämtliche Fehltage
berücksichtigte die Beklagte zu Lasten des Klägers bei der Ermittlung der Höhe der
Weihnachtsgratifikation 1996. Unter Ausklammerung der auf dem Arbeitsunfall
beruhenden 25 Fehltagen hätte sich die nach einem Bonus-System gestaffelte
3
Gratifikation - streitlos - um 1.233,44 DM brutto erhöht. Diesen Betrag fordert der Kläger
nebst Verzugszinsen mit der vorliegenden Klage. Er ist der Auffassung, die auf dem
Arbeitsunfall beruhenden Fehlzeiten hätten nicht zu seinen Lasten Berücksichtigung
finden dürfen, weil insoweit die Ursache des Arbeitsausfalls allein im Risikobereich der
Beklagten gelegen habe.
Die am 22.11.1994 beklagtenseits mit dem Gesamtbetriebsrat geschlossene
Betriebsvereinbarung Weihnachtsgeld lautet - soweit hier von Interesse - in ihrer für das
Jahr 1996 datenmäßig aktualisierten Fassung wie folgt:
4
Errechnung der Vergütung:
5
a) Grundlage
6
Grundlohn/Grundgehalt
7
übertarifliche Bezahlung
8
pauschale Überstunden
9
Prämien (bis maximal 200,- DM)
10
Für das erste, vor dem 01.09.1996 begonnene nicht volle Beschäftigungsjahr
gelten folgende %-Sätze:
11
3 bis einschl. 5 Monate Beschäftigung 8 %
12
6 bis einschl. 8 Monate Beschäftigung 14 %
13
9 bis einschl. 11 Monate Beschäftigung 20 %
14
Für volle Beschäftigungsjahre werden folgende %-Sätze angesetzt:
15
1 Jahr 50 %
16
2 Jahre 60 %
17
3 Jahre 80 %
18
4 Jahre 90 %
19
5 Jahre 100 %
20
(Es ist jeweils die Betriebszugehörigkeit am 31.10.1996 maßgebend).
21
b) Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten von dem so errechneten
Weihnachtsgeld 40 % = 100 %, unabhängig von den angefallenen Fehltagen.
Darüberhinaus gilt folgende Staffelung:
22
41 und mehr Fehltage 40 % = 100,0 % Basis
23
36 - 40 Fehltage 45 % = 12,5 % Bonus
24
31 - 35 Fehltage 50 % = 25,0 % Bonus
25
26 - 30 Fehltage 60 % = 50,0 % Bonus
26
21 - 25 Fehltage 70 % = 75,0 % Bonus
27
16 - 20 Fehltage 80 % = 100,0 % Bonus
28
11 - 15 Fehltage 90 % = 125,0 % Bonus
29
6 - 10 Fehltage 100 % = 150,0 % Bonus
30
0 - 5 Fehltage 115 % = 187,5 % Bonus
31
(nur Urlaubstage gelten nicht als Fehltage)
32
Mitarbeiter, die am 31.10.1996 das 55. Lebensjahr vollendet hatten,
33
erhalten einen Bonus von 10 Fehltagen.
34
Fehltage werden berechnet für die Zeit vom 01.11.1995 bis 31.10.1996.
35
Der Kläger hat beantragt,
36
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.233,44 DM brutto nebst 4 % Zinsen
aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
37
Die Beklagte hat beantragt,
38
die Klage abzuweisen.
39
Sie hält die in der Betriebsvereinbarung getroffene Kürzungsregelung für wirksam und
auch für den Fall anwendbar, daß Ursache der Fehltage eine krankheitsbedingte
Verhinderung infolge eines Arbeitsunfalles sei.
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Dem hat sich das Arbeitsgericht Wesel mit Urteil vom 10.09.1997 angeschlossen und
die Klage abgewiesen.
41
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er meint insbesondere, durch
das gesetzliche Unfallversicherungsrecht sei das Risiko von Arbeitsunfällen voll
umfänglich der Sphäre des Arbeitgebers zugeordnet mit der Maßgabe, daß es deshalb
auch den Grundsätzen von Recht und Billigkeit widerspreche, auf einem Arbeitsunfall
beruhende Fehltage als gratifikationsschädlich zu bewerten.
42
Der Kläger beantragt nunmehr,
43
das am 10. September 1997 verkündete und am 21. Oktober 1997 zugestellte Urteil
des Arbeitsgerichts Wesel - 4 Ca 2165/97 - aufzuheben;
44
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.233,44 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem
sich ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
45
Die Beklagte bittet, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält daran fest, daß nicht zu
Gunsten des Klägers danach unterschieden werden könne, welche Ursache einem
Fehltage zugrunde liege. Der Bonus-bezogene Teil der Weihnachtsgratifikation stelle
sich als eine Anwesenheitsprämie dar, deren Zweck es sei, dem Arbeitnehmer einen
Anreiz zu bieten, die Zahl seiner berechtigten oder unberechtigten Fehltage möglichst
gering zu halten. Dieser Zweck liefe leer, wenn die Kürzung der Anwesenheitsprämie
von der Ursache der Fehltage abhinge, etwa abgestellt auf Verschuldensmaßstäbe oder
- wie der Kläger meine - nach der Risikosphäre des Arbeitnehmers oder des
Arbeitgebers. Insbesondere die gesetzlichen Wertungen des Unfallversicherungsrecht
könnten hier nicht durchschlagen.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der wechselseitigen
Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften Bezug genommen und im
übrigen auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils
verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
48
I.
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Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wesel vom 10.09.1997 -
4 Ca 2165/97 - ist statthaft, da der Wert des Beschwerdegegenstandes DM 800,--
übersteigt (§ 64 Abs. 2 ArbGG). Die Berufung ist auch in der vorgeschriebenen Form
und Frist eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§ 66 Abs. 1
ArbGG, §§ 518, 519 ZPO).
50
51
II.
52
In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg.
53
Das Arbeitsgericht hat dem Kläger zu Recht die begehrte weitere Gratifikation für das
Jahr 1996 über den beklagtenseits ausgezahlten Betrag von 1.233,44 DM brutto nicht
zuerkannt.
54
1. Es überzeugt zunächst einmal, der Rechtsprechung des BAG seit der grundsätzlichen
Entscheidung des 6. Senats vom 15.02.1990 - 6 AZR 381/88 - BAGE 64, 179 = AP Nr.
15 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie, zu folgen.
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a) Danach ist eine vertragliche Gratifikationsvereinbarung zulässig, nach der eine vom
Arbeitgeber freiwillig gewährte Weihnachtsgratifikation wegen der Zeiten
krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit auch dann gemindert wird, wenn für diese
Fehlzeiten das Arbeitsentgelt fort zu zahlen ist. Der Arbeitgeber ist nicht gehindert,
solche Sonderzahlungen nach der Dauer der tatsächlichen Arbeitsleistung im Betrieb zu
bemessen und generell alle Zeiten außer Betracht zu lassen, in denen es an einer
tatsächlichen Arbeitsleistung fehlt.
56
b) Auch nach Auffassung der Berufungskammer verstoßen einzelvertragliche
Vereinbarungen, in denen Gratifikationen durch krankheitsbedingte Fehlzeiten
geschmälert oder im Ergebnis letztendlich ausgeschlossen werden, nicht gegen die
Abdingungsverbote der gesetzlichen Entgeltfortzahlungsregelungen, wenn Fehltage
erfaßt werden, für die der Arbeitgeber Lohn- und Gehaltsfortzahlung zu gewähren hat.
Für diese Beurteilung des Bundesarbeitsgerichts seit dem Urteil vom 15.02.1990 (a. a.
O.) sprechen im Gegensatz zur früheren Auffassung des damals zuständigen 5. Senats
(Urteil vom 19.05.1982 - 5 AZR 466/80 - BAGE 39,67 = AP Nr. 12 zu § 611 BGB
Anwesenheitsprämie) die besseren Gründe. Die einmalig im Jahr aus besonderem
Anlaß wie zu Weihnachten geleisteten Sonderzuwendungen sind Arbeitsentgelt im
weiteren Sinne. Denn es wird auch geleistete Arbeit und gezeigte Betriebstreue belohnt.
An dieser Bewertung ändert sich nichts, wenn der Bezug der Sonderzuwendung von
ständiger Betriebsanwesenheit abhängig ist und damit teilweise den Charakter einer
Anwesenheitsprämie erhält. Entscheidend ist, daß sie gleichwohl kein fortzuzahlendes
Arbeitsentgelt i. S. von § 3 Abs. 1 Satz 1 EntgeltFZG. Deshalb verstößt die
Vereinbarung einer Kürzung von Gratifikationen wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten
nicht gegen das gesetzliche Abdingungsverbot des § 12 EntgeltFZG - vgl. BAG, Urteil
vom 15.02.1990 - a. a. O., zu II 4 a der Gründe m. w. N.
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c) Nichts anderes gilt für den Fall, daß eine entsprechende Regelung in eine
Betriebsvereinbarung über eine Gratifikationszahlung - wie im Streitfalle - aufgenommen
ist. Sieht die Betriebsvereinbarung vor, daß sich die Gratifikation für den Fall
krankheitsbedingter Fehltage mindert, verstößt eine solche Regelung grundsätzlich
nicht gegen § 75 BetrVG; sie ist vielmehr vom Beurteilungsermessen der
Betriebspartner gedeckt. Eine solche Regelung stellt ebensowenig einen Verstoß
gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB dar - vgl. BAG, Urteil vom 26.10.1994
- 10 AZR 482/93 - AP Nr. 18 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie.
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Es stellt auch keine rechtlich relevante Besonderheit des Streitfalles dar, wenn die
Betriebsvereinbarung vom 22.11.1994 die hier allein im Streit stehenden weiteren
Sonderleistungen als einen Bonus bezeichnet, mithin keine Kürzung, sondern eine
beklagtenseits verweigerte zusätzliche Aufstockung in Frage steht. Insoweit liegt
lediglich eine formale Differenzierung vor. Auch das Bonus-System der
Betriebsvereinbarung vom 22.01.1994 geht von einer Maximalleistung der Beklagten i.
H. von 115 % einer sogenannten Vergütungs- Grundlage aus, die sich aus
Grundlohn/Grundgehalt zuzüglich übertariflicher Bezahlung und pauschaler
Überstunden und Prämien (diese allerdings lediglich bis maximal 200,-- DM) errechnet.
Diese Maximalleistung wird nur erreicht für den Fall von nicht mehr als fünf Fehltagen im
Bezugszeitraum, hier vom 01.11.1995 bis 31.10.1996. Weitere Fehltage, gleich aus
welcher Ursache, mindern letztlich diese Maximalleistung und damit synchron den
entsprechenden Gratifikationsanspruch. Faktisch besteht also kein Unterschied zu
Gratifikationsleistungen, die bei krankheitsbedingten Fehlzeiten nachträglich gekürzt
werden.
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2. Ist die Betriebsvereinbarung vom 22.01.1994 mithin grundsätzlich als wirksam
anzusehen, soweit sie die Berücksichtigung krankheitsbedingter Fehlzeiten in der Höhe
des Bonus vorsieht, ist das Arbeitsgericht zutreffend zudem davon ausgegangen, daß
die negative Berücksichtigung der krankheitsbedingten Fehltage auch für den Fall einer
gerichtlichen Billigkeitskontrolle entspricht, daß deren Ursache ein Arbeitsunfall ist.
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a) Maßstab für die gerichtliche Prüfung ist dabei die Bindung der Betriebspartner an die
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Zielbestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes, wie sie insbesondere in § 75
BetrVG umschrieben sind. Die Billigkeitskontrolle bezieht sich auf die sog.
Innenschranken der Betriebsvereinbarung. Sie ist insoweit eine Rechtskontrolle. Es
geht darum, ob die Regelung in sich der Billigkeit entspricht oder ob einzelne
Arbeitnehmer oder Gruppen von ihr in unbilliger Weise benachteiligt werden - BAG,
Urteil vom 26.10.1994 - a. a. O. - zu II 3 a der Gründe m. w. N.
b) Diesem Kontrollmaßstab hält die Betriebsvereinbarung vom 22.11.1994 stand.
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aa) Zusätzlich zu der auf die Betriebstreue abstellenden Basisvergütung i. H. von 40 %
des nach vollen Beschäftigungsjahren gestaffelten Prozentsatzes (50 % bis 100 %) der
Vergütungs- Grundlage (Monatsgehalt) werden mit der Bonusregelung die tatsächlichen
Arbeitstage-Anwesenheitstage im Bezugszeitraum honoriert. Zweck dieser Teilregelung
ist die Honorierung der für den Betrieb geleisteten Arbeit und insbesondere der
finanzielle Anreiz, den Arbeitnehmer zu veranlassen, die Zahl der Fehltage kurz zu
halten . Damit geht in Bezug auf krankheitsbedingte Fehlzeiten die Motivation für den
Arbeitnehmer einher, gesundheitsschädliches Verhalten zu vermeiden und allgemein
seine Gesundheit nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Das Interesse des Arbeitgebers
liegt überdies darin, durch krankfeiern verursachte Arbeitsausfälle und
Betriebsablaufstörungen zu vermeiden. Besonders deutlich wird dieser
Regelungsgehalt dadurch, daß Arbeitnehmer mit langandauernder krankheitsbedingter
Arbeitsunfähigkeit ungeachtet hoher Fehlzeiten von über 41 Tagen jedenfalls den
Sockelbetrag des Weihnachtsgeldes i. H. von 40 % der Monatsvergütung erhalten.
Angestrebt haben die Betriebsparteien hier offensichtlich vorrangig die Eindämmung
mißbräuchlich in Anspruch genommener Kurzerkrankungen.
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Fraglich ist hingegen, ob, wie das Arbeitsgericht im Anschluß an das
Bundesarbeitsgericht meint, die Arbeitnehmer auch bewegt werden sollen, trotz objektiv
bestehender Arbeitsunfähigkeit zur Arbeit zu erscheinen. Diese vom
Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 26.10.1994 (a. a. O. - zu II 2 c der Gründe) nicht
weiter belegte Annahme verbietet sich nach Auffassung der Kammer dann, wenn eine
Anwesenheitsprämie - wie im Streitfalle - durch Betriebsvereinbarung geregelt ist. Es
kann dem Betriebsrat jedenfalls nicht ohne nähere weitere Anhaltspunkte unterstellt
werden, gegen die ihm gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auferlegte Verpflichtung zu
verstoßen, die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zugunsten der Arbeitnehmer zu
bewirken, zu denen zweifelsohne diejenigen des EntgeltFZG zählen.
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bb) Andererseits geht mit dem so eingegrenzten Zweck der hier fraglichen
Bonusregelung eine angemessene Berücksichtigung des Interesses sowohl des
Arbeitgebers als auch der Arbeitnehmer einher, wenn krankheitsbedingte Fehlzeiten
ungeachtet ihrer Ursache ihre Berücksichtigung finden. Dem Arbeitsgericht kann darin
zugestimmt werden, daß der Zweck der Bonusregelung zu einer Binnendifferenzierung
nach den Risikosphären von Arbeitnehmern und Arbeitgebern im
sozialversicherungsrechtlichen Sinne keineswegs zwingt. Die Vorschriften zum
Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung - § 548 bis 550 RVO - sind
an ihren spezifisch öffentlich rechtlichen Zwecken zu messen. Bei der hier in Rede
stehenden Frage der Gratifikationskürzung ist demgegenüber auf die Zweckbestimmung
der Zahlung abzustellen und die gemäß § 75 Abs. 1 Satz 1 BetrVG gebotenen Pflicht
des Arbeitgebers, alle im Betrieb beschäftigten Personen nach den Grundsätzen von
Recht und Billigkeit zu behandeln. Es handelt sich um unterschiedliche, miteinander
nicht zu vergleichende oder zu verknüpfende Rechtsgebiete.
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cc) Im übrigen indiziert allein das Vorliegen eines Arbeitsunfalls des Klägers nicht, daß
er unbillig mit der letztlich hierauf fußenden Gratifikationskürzung belastet wird.
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Eine Nichtbeachtung der fraglichen 25 Fehltage könnte allenfalls dann in Betracht
kommen, wenn es der Beklagten nach dem allgemeinen Rechtsgedanken des § 162
BGB untersagt wäre, diese Fehlzeiten in Ansatz zu bringen, weil sie selbst die
Ursachen für sie gesetzt hat. Anknüpfungspunkte für die Rechtsfolge des § 162 BGB
können dabei allerdings nicht bereits die abstrakten Regelungen der
Betriebsvereinbarung vom 22.11.1994 sein, sondern allenfalls der konkrete Tatbestand
eines treuwidrigen Verhaltens. Ein solcher Tatbestand kann, wie die Beklagte in der
letzten mündlichen Verhandlung zu Recht herausgestellt hat, nicht ohne weiteres
unterstellt werden. Für ein schuldhaftes oder sonstwie der Beklagten zurechenbares
Verhalten gibt aber ansonsten der Vortrag des Klägers über das Unfallgeschehen nichts
her, wenn er lediglich darauf verweist, auf einem auf glattem Hallenboden liegenden
Stück Papier ausgerutscht zu sein.
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dd) Auch die betragsmäßige Kürzung des Weihnachtsgeldes hält der rechtlichen
Überprüfung stand; sie ist vom Beurteilungsspielraum der Betriebspartner gedeckt.
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(1) Maßgebend für die Wahrung der Billigkeit ist die Kürzungsrate gemessen am
Bezugszeitraum. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 15.02.1990 - a.
a. O. - zu II 5 a der Gründe), von der abzuweichen die Berufungskammer keine
Veranlassung im Streitfalle sieht, ist im Regelfall bei einzelvertraglicher Vereinbarung
eine Kürzungsrate von 1/60 angemessen; die Interessenbewertung durch die
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Betriebspartner kann zudem durchaus zu höheren Kürzungsquoten bis zu 1/30 führen -
BAG, Urteil vom 26.10.1994 - 10 AZR 482/93 - a. a. O., zu II 3 b) bb) der Gründe. Der
dadurch errechnete tägliche Kürzungsbetrag ist im Verhältnis zur Gesamtsumme der
Jahressonderzahlung geeignet, weder als Sanktion aufgefaßt noch als
betriebswirtschaftlich untaugliches, weil geringfügiges Steuerinstrument, angesehen zu
werden.
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(2) Dem entspricht letztendlich die Kürzung, wie sie hier im Ergebnis zum Tragen
kommt. 75 % des Weihnachtsgeldes können nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung
über die gesonderte Bonus-Regelung zusätzlich zum Basisbetrag von 40 % erreicht
werden. Die zusätzliche Quotierung hängt von der Anzahl der jeweiligen Fehltage im
Einzelfall ab mit einer Endstaffelung von 41 und mehr Fehltagen. Rechnerisch stellt sich
damit der durchschnittliche Kürzungsbetrag je Fehltag auf 1,83 % und damit geringfügig
über von 1/60. Im Rahmen ihres Beurteilungsspielraumes haben sich die
Betriebspartner im Streitfalle nicht zuletzt auch deshalb gehalten, weil die Kürzung
innerhalb der einzelnen jeweiligen 5-Tages-Blöcke an Fehltagen nicht linear verläuft. Im
untersten Bereich von 0 bis 5 Fehltagen erfolgt keinerlei Kürzung, im folgenden Bereich
von 6 bis 10 Fehltagen hingegen ein Bonus-Abschlag von 15 %, in den weiter
folgenden Staffeln jeweils entsprechend fünf Fehltagen ein Abschlag von 10 % und
wiederum in der letzten Fehltage-Staffel erneut nur ein Abschlag von 5 % bei fünf
Fehltagen. Bei der hier gebotenen generalisierenden Betrachtung kann dieser von den
Betriebspartnern verwandte differenzierte Maßstab nicht als im gewichteten Mittel
überproportionale und damit unzulässige Kürzung der Gratifikation durch
krankheitsbedingte Fehltage erachtet werden.
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III.
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War nach alledem der Berufung des Klägers der Erfolg versagt, hat er gemäß § 97 Abs.
1 ZPO die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
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Der Gebührenstreitwert wird gemäß § 25 Abs. 2 GKG auf 1.233,44 DM festgesetzt.
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Die Kammer hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache bejaht und
demgemäß die Revision zugelassen (§ 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG).
75
R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :
76
Gegen dieses Urteil kann von dem Kläger
77
REVISION
78
eingelegt werden.
79
Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
80
Die Revision muß
81
innerhalb einer Notfrist von einem Monat
82
nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
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Bundesarbeitsgericht,
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Graf-Bernadotte-Platz 5,
85
34119 Kassel,
86
eingelegt werden.
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Die Revision ist gleichzeitig oder
88
innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
89
schriftlich zu begründen.
90
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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gez.: Grigo gez.: Behmenburg gez.: Stenhorst
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