Urteil des LAG Düsseldorf vom 28.06.2000
LArbG Düsseldorf: fristlose kündigung, begründung der kündigung, persönliche eignung, betriebsrat, druck, oberarzt, zusammenarbeit, medien, chefarzt, suspendierung
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 12 Sa 851/99
Datum:
28.06.2000
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 Sa 851/99
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Wuppertal, 3 Ca 2779/98
Schlagworte:
Außerordentliche betriebsbedingte Druckkündigung - tarifliche
Unkündbarkeit nach § 55 BAT
Normen:
§ 636 BGB, § 55 BAT
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Die Beklagte erklärte im Juni 1998 gegenüber dem tariflich unkündbaren
Kläger die außerordentliche Kündigung, hilfsweise die außerordentliche
Änderungskündigung mit Auslauffrist. Sie begründet die Kündigung im
Wesentlichen darauf, dass zum einen die Mitarbeiter des Klinikums die
weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger (1. Oberarzt) ablehnten und
zum anderen der Ruf des Klinikums durch die Berichterstattung der
Presse über die etwaige Wiederbeschäftigung des Klägers
beeinträchtigt werde.Der Kläger war Ende 1995 mit dem Vorwurf des
grobfahrlässigen Behandlungsfehlers (Totgeburt eines Kindes)
gekündigt wurden. Er hatte in dem nachfolgenden
Kündigungsschutzprozess obsiegt. In Presse, Rundfunk und Fernsehen
war über den Prozess und über den Kläger ständig berichtet worden.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Wuppertal vom 10.03.1999 wird kostenfällig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer als außerordentliche
Beendigungskündigung sowie als außerordentliche Änderungskündigung
ausgesprochenen Druckkündigung.
2
Der Kläger, am 07.08.1937 geboren, verheiratet, 1 minderjähriges Kind, trat im Juni
1980 als Arzt in die Dienste der Rechtsvorgängerin der Beklagten, die das Kranken-
haus L. betreibt. Die Parteien vereinbarten für das Arbeitsverhältnis die Anwen-dung der
Bestimmungen des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) und der diesen ändernden
Tarifverträge.
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Mit Schreiben vom 18.06.1980 wurde der Kläger ab 16.07.1980 zum 1. Oberarzt und
ständigen Vertreter des Chefarztes der Abteilung Frauenheilkunde und Geburtshilfe
ernannt und in VerGr. I BAT eingruppiert. Seit März 1985 ist Prof. Dr. K. Chefarzt dieser
Abteilung. In einem Schreiben an die Beklagte vom 06.05.1991 führte Prof. Dr. K.
Beschwerde über Qualifikation, Leistung und Verhalten des Klägers.
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Am 18.12.1995 erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger mit dem Vorwurf des grob
fahrlässigen Behandlungsfehlers (Totgeburt des Kindes V. S.) die fristlose Kündigung.
In dem anschließenden Kündigungsschutzprozess gab das Arbeitsgericht Wuppertal mit
Urteil vom 07.03.1996 der Klage statt. Danach erklärten die Kreißsaal-hebammen sowie
die Assistenz- und Oberärzte in Stellungnahmen vom 11. und 12.03.1996, dass sie sich
außerstande sähen, mit dem Kläger weiter zusammen-zuarbeiten.
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Die Beklagte legte gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berufung ein. In der Folgezeit
ging der Kläger, von der Beklagten nicht weiterbeschäftigt, einer Tätigkeit als
Chefarztvertreter in einem Krankenhaus in W. nach. Auf das Zwischenzeugnis des
dortigen Chefarztes der geburtshilflich-gynäkologischen Abteilung Dr. R. vom
23.10.1998 (Bl. 219 f. der Gerichtsakte) wird verwiesen.
6
Mit Urteil vom 17.03.1998 wies die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf
nach Einholung von Gutachten die Berufung der Beklagten zurück. Die Nichtzulas-
sungsbeschwerde der Beklagten blieb erfolglos.
7
Am 26.03.1998 und 06.04.1998 führte die Beklagte mit dem Chefarzt Prof. Dr. K.
Unterredungen über die beabsichtigte Wiederbeschäftigung des Klägers. Prof. Dr. K.
stellte die fachliche und persönliche Eignung des Klägers in Abrede und lehnte die
ärztliche und juristische Mitverantwortung ab, falls der Kläger wieder als 1. Oberarzt und
Chefarztvertreter eingesetzt werde. Unter dem 08.04.1998 (Bl. 103 f.) bestätigte er seine
Haltung.
8
Am 20./27.04.1998 und mit Info vom 02.05.1998 ordnete die Beklagte den Dienst-beginn
des Klägers für den 04.05.1998 an. An diesem Tag erschienen Pressevertreter im
Krankenhaus, um hierüber zu berichten. Bereits früher und in der Folgezeit wurde in
Zeitungen, vor allem im Lokalteil (Bl. 13ff., 226 ff.), im Rundfunk und auch im Fernsehen
über die Vorgänge berichtet. Der Kläger wurde am 04.05.1998 freigestellt. Prof. Dr. K.
hatte ihn nicht im Dienstplan für Mai und Juni berücksichtigt. Auf dessen Schreiben vom
04.05.1998 (Bl. 108) wird verwiesen.
9
Mit Schreiben vom 26.03.1998 an die Beklagte hatte die Ltd. Hebamme I. die
Stellungnahme der Hebammen vom 11.03.1996 erneuert. Mitte Mai 1998 wiederholten
sie und andere Hebammen ihre Ablehnung, mit dem Kläger künftig zusammen-
zuarbeiten. Frau I. bat unter dem 05.06.1998 (Bl. 118) die Beklagte um Auflösung des
Arbeitsverhältnisses zum 31.07.1998. Sie wechselte danach an ein anderes
Krankenhaus, kehrte jedoch im März 1999 zur Beklagten zurück.
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Von Seiten der Assistenz- und Oberärzte wurde in schriftlichen Stellungnahmen vom
25.05. und 15.06.1998 (Bl. 114, 119) zum Ausdruck gebracht, dass sie keine Basis für
eine künftige Zusammenarbeit mit dem Kläger sähen.
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Die Beklagte hörte unter dem 19.06.1998 (Bl. 121 ff.) den Betriebsrat zur beabsich-tigten
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Beendigungs- und Änderungskündigung an. Dieser äußerte unter dem 22.06.1998
Bedenken (Bl. 128). Mit Schreiben vom 23.06.1998 (Bl. 127) wiederholte die Beklagte
unter Nachreichung von Unterlagen die Anhörung. Der Betriebsrat hielt mit Antwort vom
24.06.1998 (Bl. 130) seine Bedenken aufrecht.
Mit Schreiben vom 29.06.1998, das dem Kläger am 30.06.1998 zuging, erklärte die
Beklagte die fristlose Kündigung, hilfsweise die außerordentliche Kündigung zum
31.12.1998 verbunden mit dem Angebot, den Kläger als Oberarzt ohne Funktion
ausschließlich in der operativen Gynäkologie ohne Teilnahme am Bereitschaftsdienst
und unter Eingruppierung in VergGr. I a BAT weiterzubeschäftigen. Ob dem
Kündigungsschreiben der Änderungsvertrag (Bl. 124 ff.) beigefügt war, ist streitig. Zur
Begründung der Kündigung verwies die Beklagte im wesentlichen zum einen auf die
ständige Berichterstattung in den Medien, die eine tiefgreifende Schädigung ihres
Ansehens befürchten lasse und bereits zu einem gravierenden Rückgang der
Belegungszahlen in der Frauenklinik geführt habe, und auf die Verweigerungshaltung
der Hebammen und Ärzte und deren Androhung von Eigenkündigungen und Nachteilen
für das Krankenhaus im Falle der Wiedereinstellung des Klägers.
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Der Kläger lehnte das Änderungsangebot ab und hat am 14.07.1998 beim
Arbeitsgericht Wuppertal Kündigungsschutzklage eingereicht.
14
Die Beklagte hat für die Druckkündigungen personen-, verhaltens- und betriebsbedingte
Gründe geltend gemacht, dem Kläger Behandlungsfehler, einen inkompetenten
Führungsstil, Unkollegialität und Manipulation von Krankenakten vorgeworfen und
gemeint, alles ihr Mögliche und Zumutbare unternommen zu haben, um den Druck
abzubauen. Die Versuche, in mehreren Einzelgesprächen und auf dem Schriftwege die
Beweggründe der Belegschaft für ihre Weigerungshaltung zu erfahren und
auszuräumen, seien erfolglos geblieben.
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Um die Drucksituation abzubauen, sei nur die Beendigungskündigung geeignet,
hingegen die Änderungskündigung letztlich ungeeignet gewesen. Die
Änderungskündigung sei in der Hauptsache schon deshalb nicht in Betracht
gekommen, weil für den Kläger keine andere zumutbare Stelle existiert habe. Im übrigen
habe der Kläger das gegen den Willen des Chefarztes und der Oberärzte unterbreitete
Änderungsangebot abgelehnt. Er habe seinerseits nicht das ihm Zumutbare getan, um
dem Druck entgegenzuwirken und Spannungen abzubauen. Die unternehmerische
Entscheidung, den Kläger nun nicht mehr auf die neu zu schaffende Stelle als Oberarzt
ohne Funktion einzustellen, habe allein sie, die Beklagte, getroffen. Sie sei rechtlich
nicht verpflichtet, für den Kläger eine neue Stelle zu schaffen.
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Der Kläger hat die Vorwürfe seine Person und sein Verhalten als unberechtigt
zurückgewiesen. Urheber der Vorwürfe sei Prof. Dr. K. gewesen, der über Jahre das Ziel
verfolgt habe, ihn, den Kläger, mit allen Mitteln und um jeden Preis aus der Klinik zu
entfernen. Prof. Dr. K. habe nicht die ihm untergebenen Mitarbeiter zur Zusammenarbeit
mit dem Kläger aufgefordert, sondern ihre (nur vorgegebene) Weigerungshaltung
gesteuert. Demgegenüber habe die Beklagte keine ernsthaften Versuche unternommen,
seine (des Klägers) Weiterbeschäftigung durchzusetzen, und nicht einmal von ihrem
Direktionsrecht gegenüber den angeblich widerspenstigen Mitarbeitern Gebrauch
gemacht, sondern lediglich um Akzeptanz geworben.
17
Der Kläger hat eine Drucksituation der Beklagten aufgrund der Berichterstattung in den
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Medien in Abrede gestellt. Es sei nicht (nur) einseitig berichtet. Ebenso habe es auch für
ihn positive Leserbriefe gegeben. Im übrigen habe die Beklagte eine falsche
Berichterstattung hingenommen und sich um keine Richtigstellung bemüht. Auch seien
aus dem Bereich der Beklagten und mit Zielrichtung gegen ihn, den Kläger, interne
Informationen an die Presse gegeben worden.
Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche
20
Beendigungskündigung und hilfsweise außerordentliche Änderungskündigung
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vom 29.o6.1998 nicht aufgelöst worden ist, sondern über den 31.12.1998 hinaus
22
unverändert fortbesteht.
23
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
25
Durch Urteil vom 10.03.1999 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der
form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift die Beklagte das
Urteil an. Der Kläger verteidigt das Urteil. Im übrigen wiederholen und ergänzen die
Parteien ihr erstinstanzliches Vorbringen.
26
Wegen der näheren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze mit den hierzu überreichten Anlagen Bezug genommen.
27
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
28
Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die
Druckkündigung vom 29.o6.1998, die aus einer Beendigungskündigung sowie
hilfsweise erklärten Änderungskündigung besteht, unwirksam ist.
29
I.
30
Die Unwirksamkeit der Kündigungen folgt schon aus § 55 BAT.
31
1. Nach § 55 Abs. 1, Abs. 2 Unterabs. 1 BAT kann dem unkündbaren Angestellten (§ 53
Abs. 3 BAT) aus in seiner Person oder in seinem Verhalten liegenden wichtigen
Gründen fristlos gekündigt werden. Hingegen rechtfertigen andere wichtige Gründe,
namentlich dringende betriebliche Erfordernisse, keine Beendigungskündigung,
sondern lediglich eine Änderungskündigung zwecks Herabgruppierung des
Angestellten um eine Vergütungsgruppe.
32
Aufgrund seiner Beschäftigungszeit und seines Lebensalters war der Kläger im
Kündigungszeitpunkt unkündbar i. S. v. § 53 BAT.
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Die §§ 53 ff. BAT finden kraft einzelvertraglicher Vereinbarung auf das Arbeitsverhältnis
der Parteien Anwendung. Darüber besteht zwischen ihnen kein Streit.
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Anzumerken ist, dass sich die Beklagte selbst nicht auf den Assistenzdienstvertrag vom
10.06.1980 beruft, sondern ihn explizit und unwidersprochen als gegenstandslos
bezeichnet (Seite 29 des Schriftsatzes vom 30.09.1998). Zudem wird in § 4 des - von
der Beklagten vorformulierten - Assistenzdienstvertrages vom 10.06.1980 global auf den
BAT verwiesen, so dass § 3 nicht erkennbar macht, dass der öffentliche Arbeitgeber -
seinerseits tarifgebunden und zur Gleichstellung der Arbeitsverhältnisse der
tarifgebundenen mit den tarifungebundenen Angestellten veranlasst - die tariflichen
Unkündbarkeitsregelungen, namentlich § 55 BAT, ausklammern wollte. Schließlich
rechtfertigt der Tatbestand des § 3 Satz 2 des Assistenzdienstvertrages keine fristlose
Kündigung und liegt im Streitfall auch nicht vor.
35
2. Die Beklagte kann die Kündigungen nicht mit personen- oder verhaltensbe-dingten
Gründen i. S. v. § 55 Abs. 1 BAT rechtfertigen.
36
a) Die Berücksichtigung solcher Gründe ist schon betriebsverfassungsrechtlich
ausgeschlossen.
37
Im Anhörungsverfahren (Anlage 1 zum Schreiben vom 19.06.1998) begründete die
Beklagte die beabsichtigte Kündigung zum einen mit ständiger Berichterstattung in den
Medien und dadurch ausgelöster Schädigung ihres Ansehens sowie Rückläufigkeit der
Belegungszahlen in der Frauenklinik, zum anderen mit der Weigerung des Pflege- und
Ärztepersonals, künftig mit dem Kläger zusammenzuarbeiten. Zu der Verweigerungs-
haltung erwähnte sie zwar den seitens der Hebammen und der Ärzte erhobenen
Vorwurf der Ungeeignet des Klägers in fachlicher und personell-sozialer Hinsicht.
Hingegen machte sie sich weder diesen Vorwurf zu eigen noch legte sie insoweit dem
Betriebsrat einen kündigungsrelevanten Sachverhalt näher dar. Damit folgt aus den
Tatumständen, die die Beklagte dem Betriebsrat unter dem 19.06.1998 nannte und unter
dem 23.06.1998 durch Zuleitung von Schriftstücken ergänzte, ihre subjektive
Determination, die Kündigung auf betriebsbedingte Gründe zu stützen.
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Soweit in dem Anhörungsschreiben vom 19.06.1998 ausgeführt ist, dass daneben .... in
den vergangenen Tagen von Seiten ehemaliger Patienten schwere Vorwürfe gegen
Herrn O.erhoben worden (sind), nach denen er auch in ihrem Fall gegen die Regel der
ärztlichen Kunst behandelt hat , hat es die Beklagte daran fehlen lassen, diesen Grund
so zu umschreiben, dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschung die
Stichhaltigkeit der Vorwürfe hätte prüfen und sich insoweit über seine Stellungnahme
schlüssig werden zu können (vgl. BAG, Urteil vom 15.11.1995,
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2 AZR 974/94, AP Nr. 73 zu § 102 BetrVG 192, zu II 1, Urteil vom 27.02.1997, 2 AZR
302/96, AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 5 a).
Anzumerken ist, dass es sich bei dem am 23.06.1998 übermittelten Schreiben der
Assistenzärzte vom 18.03.1996 (Bl. 115 ff.) nicht um neue Vorwürfe ehemaliger
Patienten gehandelt haben kann und die Beklagte auch im Prozess solche Vorwürfe
nicht dargelegt hat.
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b) Etwaige personen- oder verhaltensbedingte Gründe waren zudem längst bekannt und
resultierten aus der Zeit vor der Kündigung vom 18.12.1995. Daher steht die
zweiwöchige Ausschlussfrist (§ 626 Abs. 2 BGB, § 54 Abs. 2 BAT) einer
kündigungstragenden Verwertbarkeit dieser Gründe entgegen.
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Mit dem Vorwurf der Ungeeignetheit lässt sich kein Dauertatbestand darstellen. Bei den
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angeführten Vorgängen (Schriftsatz der Beklagten vom 30.09.1998, Seite 6 ff.) handelte
es sich um streitige Einzelvorkommnisse, die schon angesichts der Weiterbeschäftigung
des Klägers (bis Ende 1995) nichts für die Annahme einer fachlichen oder persönlichen
Ungeeignetheit hergeben. Im übrigen sprechen die Zwischentätigkeit des Klägers und
seine dort erfahrene Beurteilung für das Gegenteil.
c) Die Beklagte selbst hat die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil auch nicht
darauf gestützt, dass bei der Überprüfung der Kündigungen Vortrag zu personen- und
verhaltensbedingten Gründe übergangen worden sei (§ 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO).
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Letztendlich wäre sie mit diesen Gründen aufgrund des rechtskräftig entschiedenen
Vorprozesses ausgeschlossen.
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3. Kommen danach allein betriebsbedingte Umstände als Kündigungsgrund in Frage, ist
die Beendigungskündigung nach § 55 BAT unzulässig.
45
a) Zwar bestehen gegen Tarifregelungen, die das Kündigungsrecht des Arbeitgebers
aus betriebsbedingten Gründen schlechthin ausschließen, verfassungsrechtliche
Bedenken (BAG, Urteil vom 05.02.1998, 2 AZR 227/97, AP Nr. 143 zu § 626 BGB, zu II
2 b, Urteil vom 17.09.1998, 2 AZR 419/97, AP Nr. 148 zu § 626 BGB, zu II 4 b). Diese
Bedenken greifen jedoch gegen § 55 BAT schon deshalb nicht durch, weil die Vorschrift
die betriebsbedingte Änderungskündigung zulässt (BAG, Urteil vom 31.01.1996, 2 AZR
158/95, AP Nr. 3 zu § 626 BGB Druckkündigung, zu II 5 c).
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b) Die Kammer braucht daher - unabhängig von den nachfolgenden Erwägungen zu I 5 -
nicht zu entscheiden, ob die fristlose Kündigung der nach § 626 Abs. 1 BGB gebotenen
Interessenabwägung Stand hält. Immerhin ist nicht erkennbar, dass die Beklagte Ende
Juni 1998 einem unabweisbaren Handlungszwang ausgesetzt war. Denn zum einen
war zu diesem Zeitpunkt über die Nichtzulassungsbeschwerde noch nicht entschieden;
zum anderen war der (freigestellte) Kläger von der Durchsetzbarkeit seiner tatsächlichen
Beschäftigung, auch wenn er hierauf bestand, noch einiges entfernt. Dabei kam - als
milderes Mittel gegenüber der Kündigung - die weitere Suspendierung des Klägers vom
Dienst in Betracht. Zwar steht § 626 Abs. 1 BGB grundsätzlich entgegen, dem
Arbeitgeber die Suspendierung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist
oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses zuzumuten (BAG, Urteil
vom 11.03.1998, 2 AZR 507/98, NZA 99, 587 ff., zu II 2 d). Vorliegend geht es jedoch
sowohl um den Sonderfall der betriebsbedingten Druckkündigung als auch darum, dem
Unkündbarkeitsschutz gemäß § 55 BAT Rechnung zu tragen. Sieht man Herkunft und
Zweck der Tarifbestimmung darin, den Bestandsschutz von Angestellten dem von
Beamten anzunähern, müssen Fälle, in denen dem Arbeitgeber aus betriebsbedingten
Gründen die Beschäftigung des Angestellten vorübergehend oder dauerhaft auch unter
Herabgruppierung um eine Vergütungsgruppe unmöglich oder unzumutbar ist, nicht
zwangsläufig mit der Zulassung der außerordentlichen Kündigung gelöst werden.
Vielmehr wird der Pflichtenstellung des Arbeitgebers nach § 55 Abs. 2 Unterabs. 1 BAT
eher gerecht, ihm die Suspendierung des Angestellten zuzumuten. Dies gilt jedenfalls
für den - auch vorliegend gegebenen - Regelfall, dass der Arbeitgeber imstande ist, die
mit der Suspendierung verbundene Belastung, namentlich die Vergütungszahlung, zu
tragen (vgl. Preis/Hamacher, FS Arbeitsrecht und Arbeitsgerichtsbarkeit, S. 258 ff.,
Bröhl, FS-Schaub, S. 65 ff.).
47
4. Die Änderungskündigung vom 29.06.1998 ist gemäß § 55 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2
48
BAT unwirksam.
a) Nach dieser Vorschrift der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum Zwecke der
Herabgruppierung um eine Vergütungsgruppe kündigen, wenn eine Beschäftigung des
Angestellten zu den bisherigen Vertragsbedingungen aus dienstlichen Gründen
nachweisbar nicht möglich ist. Darüber hinaus setzt die Änderungskündigung zu ihrer
sozialen Rechtfertigung voraus, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses unter den bisherigen Bedingungen unzumutbar ist und dem
Arbeitnehmer die neuen Bedingungen zumutbar sind (BAG, Urteil vom 31.01.1996, 2
AZR 158/95, AP Nr. 3 zu § 626 BGB Druckkündigung, zu II 4).
49
b) Die Beklagte selbst trägt vor, dass das Änderungsangebot gegen den Willen des
Chefarztes und der Oberärzte unterbreitet worden und es letztlich ungeeignet (sei), den
bestehenden Druck abzuwenden (Schriftsatz vom 30.09.1998, Seite 48/44). Zudem
verweist sie auf die unternehmerische Entscheidung, den Kläger nun nicht mehr auf die
neu zu schaffende Stelle als Oberarzt ohne Funktion einzusetzen . Dieser Vortrag läuft
darauf hinaus, dass Änderungsangebot entweder von vornherein nicht ernst gemeint
war oder jedenfalls die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch zu den angebotenen
neuen Bedingungen für unzumutbar angesehen wurde, und es lediglich deshalb
unterbreitet wurde, um formell der Vorschrift des § 55 Abs. 2 Unterabs. 2 Satz 2 BAT zu
genügen. Von einem Arbeitnehmer kann billigerweise nicht erwartet werden, dass er auf
ein solches Angebot eingeht.
50
c) Danach braucht nicht erörtert zu werden, ob es dem Kläger zumutbar war, die
Beschränkung seiner Betätigung auf die operative Gynäkologie und den
Ausschluss vom Bereitschaftsdienst hinzunehmen. Ebenso kann offen bleiben, ob
der Änderungsvertrag , der nach der vorgelegten Kopie (Bl. 124) in § 1 nicht
ausgefüllt war, dem Kläger mit dem Kündigungsschreiben zugeleitet wurde.
51
Der Kläger hat dies in der letzten mündlichen Verhandlung weiter bestritten, während
die Beklagte hat zu ihrem Beweisangebot (Schriftsatz vom 30.09.1989, Seite 24)
nachgetragen hat, dass ihr Prozessbevollmächtigter die benannten Zeugen
entsprechend angewiesen habe.
52
d) Ist die Änderungskündigung schon aus den genannten Gründen unwirksam, kann
dahin stehen, ob der Betriebsrat hierzu ordnungsgemäß angehört wurde (vgl. BAG,
Urteil vom 05.02.1998, a. a. O., zu II 5). Zwar gab die Beklagte dem Betriebsrat die
neuen Arbeitsbedingungen an. Hingegen stellte sie deren Angemessenheit nicht näher
dar, insbesondere nicht im Hinblick darauf, ob der neue Arbeitsplatz noch geschaffen
werden konnte und geeignet war, der Drucksituation zu begegnen.
53
5. Das Arbeitsgericht hat die Wirksamkeit der Kündigung an dem Fehlen eines
wichtigen Grundes scheitern lassen.
54
a) Gemessen an den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BAG, Urteil vom
31.01.1996, a. a. O., zu II 5 a) gestellten Anforderungen ist dem Vortrag der Beklagten
nicht zu entnehmen, dass Chefarzt, Ärzte und Hebammen ernsthaft eine Eigenkün-
digung oder Arbeitsniederlegung androhten und die arbeitsnotwendige Zusammen-
arbeit mit dem Kläger verweigert hätten, dies selbst dann, wenn sie mit Konsequenzen,
insbes. einer fristlose Kündigung, hätten rechnen müssen. Die Lage auf dem Arbeits-
markt ist auch nicht so, dass im Krankenhausbereich tätige Ärzte und Hebammen
55
sorglos ihr Arbeitsverhältnis aufs Spiel setzen könnten. Die Ltd. Hebamme I.drohte,
selbst wenn mit der Situation bei der Beklagten unzufrieden und gegen eine
Zusammenarbeit mit dem Kläger eingenommen gewesen sein mochte, nicht mit ihrer
Kündigung. Tatsächlich wechselte sie - nach zwischenzeitlicher Tätigkeit in einem
anderen Arbeitsverhältnis zur Beklagten zurück, obwohl sie - abhängig vom Ausgang
des vorliegenden Rechtsstreits - mit der Rückkehr des Klägers in die Frauenklinik
rechnen musste. Danach stellt sich die vom Ärzte- und Pflegepersonal geäußerte
Verweigerung der Zusammenarbeit als keine ernst zu nehmende, nachhaltige Drohung
dar.
Hinzu kommt, dass die Beklagte sich nur halbherzig für den Kläger einsetzte. Vor allem
unterließ sie es, auf den Chefarzt einzuwirken, der aufgrund seiner Stellung einen
erheblichen Einfluss auf das Verhalten der ihm unterstellten Mitarbeiter hat. Stattdessen
nahm sie sein obstruktives Verhalten gegen die Beschäftigung des Klägers und die
Abgabe vernichtender Beurteilungen ohne besondere Gegenwehr und in Anbetracht
dessen hin, dass sein Verhalten Signalwirkung für die ihm unterstellten Ärzte und
Hebammen haben musste..
56
Aufgrund dieser Umstände sowie der Tatsache, dass dem Kläger keine fehlende
Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit anderen Ärzten oder den Hebammen angelastet
werden kann, unterscheidet sich der Streitfall grundlegend von dem Geschehen, über
das das Bundesarbeitsgericht im Urteil vom 1o.12.1992 ( 2 AZR 271/92, AP Nr. 41 zu
Art. 140 GG) entschieden hat.
57
b) Richtig ist allerdings, dass der Presserummel den Ruf der Frauenklinik gefährdete
und für die Beklagte - was diese allerdings nicht substantiiert vorgetragen hat - zu
wirtschaftlichem Schaden führte, falls Patientinnen hierdurch abgehalten wurden, sich in
ihr Krankenhaus zu begeben. Ebenso wenig ist zu übersehen, dass die
Berichterstattung und die Leserbriefe teilweise negativ waren. Die Beklagte hatte nach
allem ein Interesse daran, aus den Schlagzeilen zu kommen. Andererseits muss sie
sich entgegenhalten lassen, sich trotz der aus dem Vorprozess deutlich gewordenen
Vielschichtigkeit nicht nachhaltig um die Richtigstellung unsachlicher und einseitig
verkürzender Darstellungen bemüht und durch ihr zuzurechnende Indiskretionen und
Äußerungen aus den eigenen Reihen die Eingenommenheit von Pressevertretern,
Lesern und Dritten gegenüber dem Kläger bestärkt zu haben.
58
Die Kammer neigt daher im Ergebnis der Auffassung des Arbeitsgerichts zu, dass die
Beklagte nicht alles ihr Zumutbare getan hat, um dem Druck der Belegschaft und
Berichterstattung in den Medien entgegenzuwirken. Sie braucht, da die streitbefangene
Kündigung - wie ausgeführt - schon aus anderen Gründen rechtlich nicht haltbar ist, in
diesem Zusammenhang letztlich nicht darüber zu befinden, inwieweit einem Arbeitgeber
zuzumuten ist, insbesondere einem durch Berichterstattung in den Medien ausgeübten
Druck zu widerstehen oder diesem Druck - i.c. durch Entlassung des in die Kritik
geratenen Mitarbeiters - nachzugeben.
59
II.
60
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
61
Die Kammer hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der unter I 3
erörterten Rechtsfrage im Hinblick auf die betriebsbedingte Druckkündigung
62
zugelassen.
RECHTSMITTELBELEHRUNG
63
Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten
64
REVISION
65
eingelegt werden.
66
Für den Kläger ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
67
Die Revision muss
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innerhalb einer Notfrist von einem Monat
69
nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
70
Bundesarbeitsgericht,
71
Hugo-Preuß-Platz 1,
72
99084 Erfurt,
73
eingelegt werden.
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Die Revision ist gleichzeitig oder
75
innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
76
schriftlich zu begründen.
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Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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gez.: Dr. Plüm gez.: Selke gez.: Sonnenschein
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