Urteil des LAG Düsseldorf vom 29.09.2004

LArbG Düsseldorf: schutz des arbeitnehmers, haftung des arbeitgebers, minderung, meldung, arbeitsamt, arbeitsgericht, unverzüglich, kündigung, arbeitslosigkeit, sanktion

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 12 Sa 1323/04
Datum:
29.09.2004
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 Sa 1323/04
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Düsseldorf, 4 Ca 2731/04
Schlagworte:
Schadensersatz bei Nichtbeachtung der Informationsobliegenheit nach
§ 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III durch den Arbeitgeber?
Normen:
§§ 2, 37 b, 140 SGB III, 241, 280 BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Der Arbeitnehmer, dessen Arbeitslosengeld nach § 140 SGB III wegen
nicht unverzüglicher Arbeitslosmeldung nach § 37 b SGB III gemindert
wurde, kann vom Arbeitgeber keinen Schadensersatz deshalb
verlangen, weil der Arbeitgeber seiner Informationsobliegenheit nach § 2
Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III nicht nachgekommen war.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Düsseldorf vom 14.07.2004 wird kostenfällig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T A T B E S T A N D :
1
Der Kläger verlangt mit der Begründung, dass die Beklagte seine Schadlosstellung
zugesagt und ihn außerdem pflichtwidrig bei der Kündigung nicht auf die Notwendigkeit
unverzüglicher Arbeitslosmeldung hingewiesen habe, Ersatz für die von der
Arbeitsverwaltung gemäß § 140 SGB III verfügte Minderung des Arbeitslosengeldes.
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Mit Schreiben vom 29.10.2003 kündigte die Beklagte gegenüber dem Kläger das
Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 31.01.2004. Die Beklagte informierte bei der
Kündigung den Kläger nicht gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III über seine
Verpflichtung, sich unverzüglich persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu
melden. Beiden Parteien waren die zum 01.07.2003 mit den Vorschriften der §§ 37b,
140 SGB III eingeführte Regelung über die Pflicht zur Arbeitssuche während eines noch
bestehenden Beschäftigungsverhältnisses und die Rechtsfolgen bei Verstoß gegen
diese Pflicht unbekannt.
3
Am 06.11.2003 mandatierte der Kläger seinen Prozessbevollmächtigten mit der
Erhebung der Kündigungsschutzklage. Im Beratungsgespräch wies ihn sein Anwalt
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darauf hin, sich erst einmal sofort beim Arbeitsamt zu melden. Der Kläger tat dies nicht.
In der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht am 23.23.2003 legten die Parteien den
Kündigungsschutzprozess durch einen Abfindungsvergleich bei. Am selben Tag
meldete sich der Kläger bei dem Arbeitsamt Düsseldorf arbeitsuchend.
5
Mit Bescheid vom 30.01.2004 minderte die Agentur für Arbeit Düsseldorf gegenüber
dem Kläger den Arbeitslosengeldanspruch um Euro 1.500,00 (30 Tage x Euro 50,00).
Zur Begründung gab sie an, dass der Kläger es versäumt habe, sich nach Kenntnis der
Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses unverzüglich, i. c. spätestens am
08.11.2003, arbeitsuchend zu melden. Die Beklagte stellte dem Kläger, als er ihr den
Bescheid vom 30.01.2004 zeigte, als Hilfe gegenüber der Bundesagentur für Arbeit ein
auf den 12.11.2003 rückdatiertes Schreiben aus, wonach sollte sich beim Gütetermin
vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf ein Annahmeverzug ergeben, Sie bis zur
vollständigen Klärung der Angelegenheit in zweiter Instanz, weiterhin bei vollem
Lohnausgleich beschäftigt bleiben und Ihrer normalen Arbeit nachkommen .
6
Mit Widerspruchsbescheid vom 01.03.2004 wies die Bundesagentur für Arbeit den
Widerspruch des Klägers zurück. Der Kläger sah davon ab, die Entscheidung der
Bundesagentur durch Klage beim Sozialgericht anzufechten.
7
Im April 2004 hat der Kläger die Beklagte vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf auf
Schadensersatz in Höhe von Euro 1.500,00 verklagt. Er hat der Beklagten vorgehalten,
ihrer Informationsobliegenheit nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III nicht nachgekommen
zu sein. Der im Rahmen der anwaltlichen Beratung am 06.11.2003 erfolgte Hinweis
seines Prozessbevollmächtigten habe nicht den
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Aufmerksamkeitswert und die Warnfunktion einer Information des Arbeitgebers über die
Verpflichtung unverzüglicher Meldung beim Arbeitsamt gehabt. Im übrigen habe so
meint der Kläger - die Beklagte ihn mit der rückdatierten Bescheinigung vom 12.11.2003
schadlos stellen wollen.
9
Die Beklagte hat in Abrede gestellt, dem Kläger irgendwelche Exspektanzen auf eine
Schadlosstellung oder Wiedereinstellung eröffnet zu haben, und gemeint, dass der
Kläger die verspätete Arbeitslosmeldung selbst zu vertreten habe, zumal er nicht einmal
einem entsprechenden Hinweis seines Prozessbevollmächtigten gefolgt sei.
10
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 14.07.2004 die Klage mit der Begründung
abgewiesen, dass etwaige Obliegenheitsverletzung der Beklagten nach § 2 Abs. 2 Satz
2 Nr. 3 SGB III für den Schadenseintritt nicht mehr kausal geworden sei, nachdem der
Kläger dem Hinweis seines Anwalts am 06.11.2003, sich sofort beim Arbeitsamt
arbeitsuchend zu melden, nicht gefolgt sei, sondern bis zum 23.12.2003 mit der
Arbeitslosmeldung zugewartet habe.
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Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung greift der Kläger das erstinstanzliche
Urteil, auf das hiermit zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, in
rechtlicher Hinsicht an. Die Beklagte verteidigt das Urteil.
12
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten
Schriftsätze verwiesen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
14
Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen.
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I. Für seinen Anspruch auf Ausgleich der entstandenen Arbeitslosengeld-minderung
kann der Kläger sich nicht auf eine Sondervereinbarung mit der Beklagten berufen. Die
Bescheinigung vom 12.11.2003 gibt inhaltlich nichts dafür her, dass die Beklagte ihm
zusagte, ihn schadlos zu stellen, falls die Bundesagentur für Arbeit an ihrer
Entscheidung, das Arbeitslosengeld zu mindern, festhalten würde. Wenn die Beklagte
dem Kläger, wie dieser behauptet, mit der Bescheinigung eine Argumentationshilfe
gegenüber der Bundesagentur geben wollte, so erschöpft sich die Erklärungsbedeutung
ihres Verhaltens in der Erweisung einer Gefälligkeit. Hingegen war damit nicht die
(weitergehende) Zusage der Schadlosstellung verbunden. Die Beklagte hatte - für den
Kläger erkennbar - keine Veranlassung, sich zum Ersatz der Minderung des
Arbeitslosengeldes zu verpflichten, denn sie ging davon aus, dass die ordnungsgemäße
Arbeitslosmeldung Sache des Klägers und dass dieser von Anfang an anwaltlich
beraten war.
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II. Ein Schadensersatzanspruch ist weder aus § 280, § 241 Abs. 2 BGB noch aus § 823
Abs. 2 BGB begründbar.
17
Zwar können öffentlichrechtliche Vorschriften verpflichtende Wirkung auch für die
privatrechtlichen Beziehungen der Parteien eines Arbeitsverhältnisses haben, und,
wenn sie den Schutz des Arbeitnehmers bezwecken, die Fürsorgepflicht des
Arbeitgebers gestalten und konkretisieren (BAG, Urteil vom 15.01.1992, 5 AZR 15/91,
AP Nr. 21 zu § 2 ArbGG 1979; vgl. Urteil vom 02.04.1992, 6 AZR 493/90, AP Nr. 6 zu §
40 BAT). Der Verstoß gegen das Informationsgebot nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB
löst jedoch weder unmittelbar noch unter dem Gesichtspunkt der arbeitsvertraglichen
Fürsorgepflichtverletzung eine Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers wegen der dem
Arbeitnehmer entstandenen Minderung des Arbeitslosengeldes aus.
18
1. Aus der Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III werden, nachdem zum
01.07.2003 über § 140 SGB III i.V.m. § 37b SGB III die Minderung von
Arbeitslosengeldes bei nicht unverzüglicher Arbeitslosmeldung eingeführt wurde,
unterschiedliche arbeitsrechtliche Folgerungen gezogen. Eine verbreitete Meinung in
der Literatur nimmt an, dass der Arbeitgeber, der seine sozialgesetzliche
Informationsobliegenheit verletze, sich schadensersatzpflichtig mache, wenn infolge der
Nichtmeldung oder verspäteten Meldung gegen den Arbeitnehmer Sanktionen nach §
140 SGB III verhängt werden (Brune, AR-Blattei SD 1510 Stellensuche, Rz. 56 f.,
Peters-Lange, Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 41 Rz. 17 c, Kreutz,
AuR 2003, 201, Zieglmeier, DB 2004, 1830). Die Gegenmeinung (ArbG Verden, Urteil
vom 27.11.11.2003, BB 2004, 1632 [m. Anm. Heins/Höstermann], Küttner/Voelzke,
Personalbuch 2004, 43 Arbeitslosengeld, Rz. 81, Henning/Leitherer, SGB III, § 2 Rz. 14,
Wolf, NZA-RR 2004, 337) lehnt eine Ersatzpflicht des Arbeitgebers ab: Sie sieht in § 2
SGB III, namentlich in der Sollvorschrift des Abs. 2 Satz 2 Nr. 3, lediglich
Programmsätze und negiert schadensersatzrechtliche Konsequenzen aus der
Nichtbeachtung der gesetzlichen Informationsobliegenheit.
19
Die Kammer stimmt der letztgenannten Auffassung zu.
20
a) Aus § 2 Abs. 2 SGB III können keine konkreten Rechtsfolgen bei
21
Obliegenheitsverletzungen abgeleitet werden.
(11) Die Ambiguenz des Gesetzeswortlauts (Satz 1: Die Arbeitgeber haben bei ihren
Entscheidungen verantwortungsvoll deren Auswirkungen auf die Beschäftigung der
Arbeitnehmer und von Arbeitslosen und damit die Inanspruchnahme von Leistungen der
Arbeitsförderung einzubeziehen ) macht deutlich, dass an dieser Gesetzesstelle gerade
und nur eine programmatische Zielvorstellung verkündet und nicht mehr als ein Appell
an Arbeitgeber und Arbeitnehmer gerichtet wird. Indessen werden weder bestimmte
Verhaltenspflichten begründet noch Pflichtverstöße mit sozial- oder arbeitsrechtlichen
Sanktionen verbunden. Die konkrete Statutierung und Ausgestaltung von Hand-
lungspflichten und von Rechtsfolgen bei Pflichtverstößen findet vielmehr erst in
nachfolgenden, spezifischen Regelungen statt, so in § 37 b SGB III und § 140 SGB III
(vgl. auch BSG, Urteil vom 27.05.2003, SozR 4-4300 § 144 Nr. 3; zu § 2 Abs. 1 Satz 2
SGB III idFv 24.03.1997: BAG, Urteil vom 12.11.1998, 2 AZR 91/98, AP Nr. 51 zu § 2
KSchG 1969). Legt daher § 2 Abs. 2 SGB III dem Arbeitgeber keine konkreten und
verbindlichen Pflichten auf, kann diese Norm auch nicht für die Annahme herhalten,
dass die allgemeine arbeitsvertragliche Fürsorgepflicht des Arbeitgebers durch die
Pflicht, den Arbeitnehmer über dessen Verpflichtung zur unverzüglichen
Arbeitslosmeldung zu informieren, konkretisiert werde.
22
(22) Der generelle Appell des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB III wird zwar in den Sollvorgaben
des Satzes 2 näher ausgeführt. Dem Arbeitgeber werden insoweit
Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt und angedient. Er wird jedoch zu keinem
bestimmtem Handeln verpflichtet. Vielmehr verbleibt Satz 2 innerhalb der Programmatik
des Abs. 2 Satz 1 und begnügt sich mit unverbindlichen Sollvorgaben .
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Zwar ist richtig, dass, wenn Normen sich an Behörden richten, "Soll" regelmäßig ein
"Muss bedeutet (vgl. BSG, Urteil vom 06.11.1985, SozR 1300 § 48 Nr. 19, BGH,
Vorlagebeschluss vom 18.01.2000, AP Nr. 1 zu § 20 GBW, Preis, NZA 1998, 453). In §
2 Abs. 2 SGB III geht es jedoch nicht um Verwaltungshandeln und behördliche
Ermessensausübung, sondern - wenn diese Norm auf Verhaltensobliegenheiten des
Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer und seine arbeitsvertragliche
Fürsorgepflicht bezogen werden soll - um zivilrechtliche Pflichtenstrukturen. Unter
diesem Aspekt ist zunächst festzuhalten, dass im allgemeinen eine Sollvorschrift
schwächere Rechtsfolgen zeitigt als eine Mussvorschrift (BAG, Urteil vom 20.04.1994, 4
AZR 413/93, AP Nr. 10 zu § 1 TVG Tarifverträge: DDR). Alsdann hängt von der
jeweiligen Sollvorschrift und ihrer Auslegung ab, ob und welche Rechtsfolgen sie
auslöst (vgl. zu § 26 BetrVG; BAG, Beschluss vom 13.11.1991, 7 ABR 8/91, AP Nr. 9 zu
§ 26 BetrVG 1972, zu § 104 Satz 1 Hs. 2 BPersVG: BAG, Urteil vom 20.02.2002, 7 AZR
707/00, AP Nr. 23 zu § 72 LPVG NW, zu § 5 Abs. 1 MuSchG: BAG, Urteil vom
13.06.1996, 2 AZR 736/95 AP Nr. 22 zu § 9 MuSchG 1968; ferner BGH, Urteil vom
14.01. 2003, NJW 2003, 1389, Beschluss vom 08. 11.1976, DNotZ 1977, 379). Des
Weiteren ist zu bemerken, dass § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III sich nicht zum
Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers verhält und daher der Aspekt der
Ermessensbindung als Ansatzpunkt, der Sollvorschrift Rechtswirkungen im Falle der
Nichtbeachtung abzugewinnen, ausscheidet (vgl. Preis, a.a.O).
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Die Informationsobliegenheit nach § 2 Abs. 2 Nr. 3 SGB III ist in den allgemeinen
Appellcharakter der Gesetzesvorschrift eingebettet. Indem § 2 Abs. 2 SGB III weder
Arbeitgeberpflichten noch Arbeitnehmerrechte nach Inhalt und Umfang konkret und
verbindlich festlegt, wirkt er auf die arbeitsvertragliche Pflichtenstruktur nicht dergestalt
25
ein, dass vorschriftswidriges Verhalten Schadensersatzansprüche begründen kann. Das
Gesetz nimmt dem Arbeitnehmer nicht die Selbstverantwortung ab, sich unverzüglich
arbeitsuchend zu melden (§ 37 b), legt die Rechtsfolgen des Verstoßes gegen diese
Pflicht ihm auf (§ 140) und verlagert diese nicht auf den Arbeitgeber. Für dieses
Gesetzesverständnis spricht weiterhin, dass Zeitpunkt bzw. Frist der Information
untechnisch bezeichnet werden ( vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
frühzeitig ) und für die Information keine Form vorgeschrieben wird. Überdies ist die
Informationsobliegenheit nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III nicht abgestimmt mit der
nachträglich eingeführten Sanktion des § 140 SGB III: Die Information über die
Verpflichtung unverzüglicher Meldung beim Arbeitsamt klärt nämlich den Arbeitnehmer
nicht über die Rechtsfolgen der verspäteten Meldung nach § 140 SGB III und nur
unzureichend über den Normgehalt des § 37 b SGB III auf. Auch dieser Befund indiziert
die Annahme, dass der Schutzzweck des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III nicht darin
besteht, den Arbeitgeber in Haftung für die Nachteile, die dem aus dem Arbeitsverhältnis
ausscheidenden Arbeitnehmer durch die Minderung des Arbeitslosengeldes entstehen,
zu bewahren, sondern dass die Sanktion nach § 140 SGB III nur den säumigen
Arbeitnehmer treffen soll (Bepler, jurisPR-ArbR: 35/2004 vom 01. September 2004,
Anm. 3). Insoweit ist gesetzlich mit der Informationsobliegenheit des ArbG gerade und
nur bezweckt, die Eingliederung von Arbeitssuchenden zu beschleunigen und damit
Arbeitslosigkeit und Entgeltersatzleistungen zu vermeiden bzw. die Dauer der
Arbeitslosigkeit zu verkürzen (BT-Drucks. 15/25, S. 27), ggf. auch der Bundesagentur für
Arbeit den Nachweis zu erleichtern, dass der Arbeitnehmer schuldhaft die unverzügliche
Arbeitslosmeldung verzögert habe.
b) Dem Befund, dass die unterlassene Information nach § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III
den Arbeitgeber nicht gegenüber dem Arbeitnehmer zum Schadensersatz wegen der
nach § 140, § 37 b SGB III erfolgten Minderung des Arbeitslosengeldes verpflichtet,
steht nicht entgegen, dass der Arbeitgeber im Einzelfall aufgrund einer gesteigerten
Informations- und Aufklärungspflicht den Arbeitnehmer über die Verpflichtung, sich
unverzüglich arbeitsuchend zu melden, und die Nachteile der Verletzung dieser Pflicht
belehren muss. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Arbeitgeber den Abschluss
eines Aufhebungsvertrages initiiert und dabei den Eindruck erweckt, dass auch die
Interessen des Arbeitnehmers hinsichtlich eines etwaigen Arbeitslosengeldbezugs
gewahrt würden (vgl. BAG, Urteil vom 10.03.1988, 8 AZR 420/85, AP Nr. 99 zu § 611
BGB Fürsorgepflicht). Auch wenn sich regelmäßig der Arbeitnehmer selbst vor
Abschluss eines Aufhebungsvertrages über die Folgen der Beendigung des
Arbeitsverhältnisses Klarheit verschaffen muss, kann der Arbeitgeber aufgrund
besonderer Umstände im Einzelfall gehalten sein, den Arbeitnehmer über dessen
Handlungsobliegenheit nach § 37b SGB III und die Sanktion nach § 140 SGB III zu
unterrichten.
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Im Streitfall bestand keine dermaßen erhöhte Informationspflicht der Beklagten. Sie
setzte den Kläger weder durch die Kündigung als solche noch aufgrund der
Begleitumstände atypischen Risiken oder Erschwernissen hinsichtlich einer
(unverzüglichen) Arbeitslosmeldung aus.
27
c) Hält man es im Ansatz für möglich, dass die unterlassene Information des
Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber Schadensersatzansprüche auslösen kann, soweit
infolge verspäteter Arbeitslosmeldung Arbeitslosigkeit eintritt, wird gleichwohl nach §
254 BGB eine (Mit-)Haftung des Arbeitgebers regelmäßig entfallen, weil primär dem
Arbeitnehmer selbst die frühzeitige Stellensuche und damit die unverzügliche
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Arbeitslosmeldung obliegt. Verzögert er die Meldung, wird sein Eigenverschulden derart
überwiegen, dass es eine Mitverantwortlichkeit des Arbeitgebers dahinter zurücktritt. Im
Streitfall scheidet unter diesem Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch bereits
deshalb aus, weil der Kläger selbst nicht behauptet, dass seine Arbeitslosigkeit durch
eine frühere Arbeitslosmeldung vermieden worden wäre.
d) Danach braucht nicht vertieft zu werden, ob der Umfang der arbeitsvertraglichen
Fürsorgepflicht des Arbeitgebers nicht durch Statuierung sozialrechtlicher Aufklärungs-
und Informationsobliegenheiten überspannt wird. Immerhin ist zu bedenken, dass
Arbeitgeber auch ein Klein(st)unternehmer sein kann und ihm Gesetzeskenntnisse zu
einer Materie ( Arbeitslosmeldung ) zugemutet werden, die genuin den Arbeitnehmer
und nicht ihn betrifft.
29
Dem Unterfangen, der Regelung des § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III einen
Schadensersatzanspruch des vom Arbeitgeber nicht informierten Arbeitnehmers wegen
späterer Minderung von Arbeitslosengeld zu entnehmen, mag zum einen die
Vorstellung zugrunde liegen, dass der Sozialgesetzgeber mit der Schaffung von
Rechtsnormen stets den Willen verbinde, dass deren Nichtbefolgung zu Sanktionen
führe. Diese Vorstellung ist fehlsam (BSG, Urteil vom 27.05.2003, a.a.O). Zudem fällt es
schwer, arbeitsrechtliche Ansprüche aus sozialrechtlichen Sollvorschriften abzuleiten,
wenn es dem Gesetzgeber ein Leichtes gewesen wäre, den entsprechenden Willen in
eine Mussvorschrift zu kleiden. Dies gilt umso mehr, als die Normadressaten einem
ihnen als wuchernd erscheinenden Regelungsdickicht auf klar und eindeutig gefasste
Rechtsnormen angewiesen sind. Es kann nach Dafürhalten der Kammer nicht Sache
der Gerichte sein, politische Rücksichtnahmen und Zurückhaltung des Gesetzgebers
durch forsche Gesetzesauslegung zu kompensieren. Zum anderen geht das Bemühen
um einen Schadensersatzanspruch tendenziell in die falsche Richtung, weil das
Problem, wer für die Minderung des Arbeitslosengeldes nach § 140 SGB III aufkommen
muss, in die arbeitsrechtliche Beziehung des Arbeitnehmers zum Arbeitgeber bugsiert
wird, anstatt es dort zu lösen, wo es hingehört, nämlich beim Leistungsanspruch des
Arbeitnehmers gegen die Bundesagentur für Arbeit und der damit verbundenen Frage,
inwieweit die Bundesagentur ohne individuelle Rechtsbelehrung ihrer Versicherten über
die Rechtsfolgen nicht unverzüglicher Arbeitslosmeldung deren Verschulden
unterstellen und die Sanktion der Arbeitslosengeldminderung verhängen kann (dazu
Zieglmeier, DB 2004, 1830/1833). Insoweit muss das Arbeitsrecht nicht
sozialrechtlichen Informationsproblemen bei der Einführung neuer rigider
Leistungseinschränkungen und einer entsprechenden Verwaltungspraxis den
Steigbügel halten.
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2. Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen ist, wie die Vorinstanz mit
überzeugender Begründung dargestellt hat und worauf verwiesen werden kann (§ 69
Abs. 2 ArbGG), die Klage deshalb unbegründet, weil der Umstand, dass die Beklagte
den Kläger nicht über dessen Verpflichtung zur unverzüglichen Meldung beim
Arbeitsamt informierte, nicht kausal dafür war, dass der Kläger die Meldung verzögerte.
Indem der Kläger auch nach dem Hinweis seines Rechtsanwalts am 06.11.2003 nichts
unternahm, steht für die Kammer fest (§ 286 ZPO), dass er sich auf den selben, durch
die Beklagte gegebenen Hinweis nicht anders verhalten hätte.
31
a) Am 06.11.2003 wurde der Kläger von seinem Rechtsanwalt aufgefordert, sich sofort
arbeitslos zu melden. Ausweislich der Bescheide der Arbeitsver-waltung wäre die
Meldung noch am 08.11.2003 unverzüglich gewesen, so dass das Arbeitslosengeld
32
nicht gemindert worden wäre. Dem Kläger war es auch möglich und zumutbar, sich bis
zu diesem Termin beim Arbeitsamt zu melden. Er macht selbst keinen Hinderungsgrund
geltend (vgl. zum Freistellungs-anspruch nach § 629 BGB: Brune, a.a.O., Rz. 55).
Der Einwand des Klägers, dass für den Arbeitnehmer die Information des Arbeitgebers
im Zusammenhang mit der Kündigung eine höhere Warnfunktion habe als der
anwaltliche Hinweis des eigenen Prozessbevollmächtigten, ist unzutreffend. Es spricht
nichts dafür, dass ein Arbeitnehmer auf Hinweise zur Arbeitslosmeldung mehr hört,
wenn sie vom Arbeitgeber anstatt vom eigenen Anwalt kommen. Wenn der Kläger auf
die Aufforderung seines Prozessbevollmächtigten nicht reagierte, bestehen keine
Anhaltspunkte dafür, dass er aktiv geworden wäre, wenn die Beklagte ihm gesagt hätte,
dass ein gekündigter Arbeitnehmer zur unverzüglichen Meldung beim Arbeitsamt
verpflichtet sei. Anders mögen die Dinge liegen, wenn die Beklagte ihn auf die Gefahr
der Arbeitslosengeldminderung nach § 140 SGB III aufmerksam gemacht hätte. Diese
weitergehende Rechtsbelehrung schuldet indessen der Arbeitgeber nach § 2 Abs. 2
Satz 2 Nr. 3 SGB III nicht.
33
b) Danach kann dahinstehen, ob unter der Prämisse, dass die gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2
Nr. 3 SGB III unterbliebene Information Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers
hinsichtlich der Minderung von Arbeitslosengeld auslösen kann, häufig auch ein
Mitverschulden des Arbeitnehmers vorliegt. Dies wird von Hanau (ZIP 2003, 1575)
zutreffend unter Hinweis auf die Konsequenzen nach § 254 BGB bejaht. Denn der
Verstoß des Arbeitgebers gegen die Informationsobliegenheit fällt zusammen mit einer
eigenen Pflicht-verletzung des Arbeitnehmers nach § 37 b SGB III.
34
III. Nach allem kann dahinstehen, ob die Bundesagentur für Arbeit nach § 140 SGB II
i.V.m. § 37b SGB III das Arbeitslosengeld des Klägers zu Recht minderte oder ob ihre
Entscheidung unrichtig war und es vom Kläger versäumt wurde, sie vor dem
Sozialgericht anzufechten.
35
1. Ob dem Arbeitnehmer nach § 37b SGB III dessen Rechtsunkenntnis schon bei erster
Arbeitslosigkeit nach der neuen Gesetzeslage (ab 01.07.2003) vorgeworfen werden
kann, ist in der Instanzrechtsprechung der Sozialgerichte und der Literatur umstritten
(vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 09.06. 2004, L 3 AL 1267/04 [BSG B 11 AL
47/04 R], SG Freiburg, Urteil vom 02.06 2004, S 3 AL 382/04, Gagel/Kruse, SGB III, §
37b Rz. 8, Zieglmeier, DB 2004, 1832 f.; ferner HWK/Peters-Lange, § 37b SGB III, Rz.
5). Auch im Streitfall mit seinen Besonderheiten bleibt zweifelhaft, ob der Vorwurf der
Bundesagentur für Arbeit an den Kläger, sich nicht unverzüglich bis zum 08.11.2003
arbeitsuchend gemeldet zu haben, berechtigt war. Dass der Kläger bei Erhalt der
Kündigung weder seine Verpflichtung zu unverzüglicher Meldung beim Arbeitsamt noch
die Sanktion des § 140 SGB III kannte, ist unstreitig. Er wurde hierüber auch nicht durch
die Beklagte informiert. Zwar erhielt er mit dem Hinweis seines
Prozessbevollmächtigten im Beratungsgespräch am 06.11.2003 praktisch die
Information entsprechend dem ab 01.01.2003 geltenden § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB III.
Weil der Hinweis jedoch nicht mit der Belehrung über ab 01.07.2003 eingeführten
Minderung des Arbeitslosengeldes bei nicht unverzüglicher Meldung verbunden war,
blieb ihm indessen die Tragweite des Zuwartens mit der Arbeitslosmeldung verborgen.
Schließlich mochte der Kläger eine Arbeitslosmeldung für verfrüht halten, weil nach
seiner (allerdings bestrittenen) Behauptung der Geschäftsführer der Beklagten Anfang
November 2003 erklärte, ihn, den Kläger, im Falle der Verbesserung der Auftragslage
wiedereinzustellen.
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2. Auch könnte der Frage nachzugehen sein, wie es sich mit dem Gleichheitssatz (Art. 3
GG) verträgt, dass der Meldepflicht nach § 37b SGB III nur solche Personen, deren
Versicherungspflichtverhältnis (§ 24 Abs. 1 SGB III) endet, also insbes. Arbeitnehmer,
unterworfen werden, wohingegen andere Arbeitsuchende (zum Personenkreis:
Zieglmeier, a.a.O.), bei nicht unverzüglicher Meldung keine Minderung ihres
Arbeitslosengeldanspruchs erfahren.
37
IV. Die Kosten der erfolglos gebliebenen Berufung sind gemäß § 97 Abs. 1 ZPO vom
Kläger zu tragen.
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Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Ein gesetzlicher Grund für die
Revisionszulassung ist nicht erkennbar. Weil die Ausführungen zu II 2 die vorliegende
Entscheidung tragen, kann nach Auffassung der Kammer nicht wegen der weiteren,
unter II 1 gegebenen Begründung eine höchstrichterliche Klärung der insoweit
rechtsgrundsätzlich bedeutsamen Problematik veranlasst werden.
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Wegen der Einzelheiten der Nichtzulassungsbeschwerde wird der Kläger auf § 72a
ArbGG hingewiesen.
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Dr. Plüm Märzke Sendke
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