Urteil des LAG Düsseldorf vom 14.02.2008
LArbG Düsseldorf: fristlose kündigung, tarifvertrag, betriebsübergang, arbeitsgericht, firma, industrie, rechtsverletzung, inhaber, zustellung, sanierung
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 11 Sa 1922/07
Datum:
14.02.2008
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 Sa 1922/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Duisburg, 2 Ca 3244/06
Normen:
BGB § 613 a Abs. 1 Satz 2 und 3; TVG § 3 Abs. 1
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Die Ablösung eines vor dem Betriebsübergang normativ geltenden
Tarifvertrages (§ 3 Abs. 1 TVG) durch einen "anderen Tarifvertrag" i. S.
von § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB setzt die kongruente Tarifgebundenheit
des Betriebserwerbers und des Arbeitnehmers voraus (vgl. BAG
30.08.2000 - 4 AZR 581/99 - EzA § 3 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag
Nr. 13).
2. Ein nach § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB individualrechtlich fortgeltender
Tarifvertrag kann auf Arbeitgeberseite nur durch den Betriebsveräußerer
und auf Arbeitnehmerseite allenfalls durch sämtliche von der
Weitergeltung der Tarifnormen betroffenen Arbeitnehmer gekündigt
werden.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg
vom 13.09.2007 - 2 Ca 3244/06 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird für den Kläger zugelassen.
T A T B E S T A N D :
1
Der Kläger ist seit 1981 für die Firma I. Werke Gebr. D. GmbH bzw. deren
Rechtsvorgänger tätig. Über das Vermögen der Firma I. Werke Gebr. D. GmbH wurde
am 01.09.2001 das Insolvenzverfahren eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt waren der Kläger
und die Insolvenzschuldnerin kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit an die
Tarifverträge für die Sägeindustrie und verwandte Betriebe gebunden. Am 01.07.2006
übernahm die Beklagte, die jedenfalls in dem hier interessierenden Zeitraum nicht
tarifgebunden war, gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB u. a. auch den in E. angesiedelten
Betrieb, in dem der Kläger beschäftigt ist.
2
Am 31.05.2005 schloss der Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma I. Werke
Gebr. D. GmbH, Herr Rechtsanwalt Dr. Dr. X. T., mit der IG-Metall einen
Sanierungstarifvertrag, der im Wesentlichen eine vorübergehende Anhebung der nach
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dem Manteltarifvertrag für die Sägeindustrie geltenden wöchentlichen Arbeitszeit von 35
Stunden auf 40 Stunden sowie eine Reihe von Entgeltkürzungen enthält. In Ziffer 9 Abs.
3 des Sanierungsvertrages ist vorgesehen, dass er ohne Kündigung zum 31.12.2007
ausläuft. Unter Ziffer 7 des Sanierungstarifvertrages ist geregelt, dass er von beiden
Parteien bis zum 15. eines Monats zum Monatsende schriftlich gekündigt werden kann.
In einer ergänzenden Vereinbarung vom 13.07.2005 kamen der Insolvenzverwalter und
die IG-Metall überein, dass das ursprünglich im Sanierungstarifvertrag (Ziffer 2 Abs. 3)
für die Anhebung der individuellen Arbeitszeit vorgesehene Erfordernis einer
Zustimmungserklärung des jeweiligen Arbeitnehmers entbehrlich sei.
Mit einem am 17.07.2006 - nach Betriebsübergang - zugegangenen Schreiben vom
13.07.2006 kündigte die IG-Metall den Sanierungstarifvertrag zum 31.08.2006. Mit
Schreiben vom 27.08.2006 genehmigte der Kläger diese Kündigung. Hilfsweise erklärte
er seinerseits die Kündigung sämtlicher "kollektiven und individuellen Vereinbarungen,
die vor und nach dem 01.06.2005 am Standort E. anlässlich des
Sanierungstarifvertrages getroffen worden sind (und meine individuellen
Arbeitsbedingungen verschlechtert haben) erneut fristgerecht zum Monatsende".
4
Mit seiner am 21.12.2006 beim Arbeitsgericht Duisburg eingegangenen Klage, die er mit
einem dort am 26.01.2007 eingereichten Schriftsatz erweitert hat, begehrt der Kläger auf
der Basis seiner beiden Schreiben vom 27.09.2006 und 15.11.2006 die Zahlung
verschiedener Differenzbeträge für die Zeit von Juli bis Oktober 2006, die allesamt
darauf beruhen, dass die Beklagte das Arbeitsverhältnis weiterhin auf der Grundlage
des Sanierungsvertrages abgerechnet hat.
5
Der Kläger hat im Wesentlichen geltend gemacht:
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Der Sanierungstarifvertrag habe nach dem Betriebsübergang vom Insolvenzverwalter
auf die Beklagte keine Anwendung mehr gefunden. Denn dieser könne nach Ziffer 1 lit.
b nur auf solche Arbeitnehmer angewandt werden, welche am Standort E. "für den
Insolvenzverwalter" tätig seien. Auch sei die Geschäftsgrundlage des
Sanierungstarifvertrages, die allein die Insolvenz und die damit einhergehende
Sanierung gewesen sei, mit Übernahme des Betriebes durch die Beklagte seit dem
01.07.2006 entfallen mit der Folge, dass diese sich seitdem nicht mehr auf ihn berufen
könne. Schließlich könne der Sanierungstarifvertrag jedenfalls seit dem 01.09.2006
nicht mehr angewendet werden, weil er sowohl von der IG-Metall als auch von ihm
gekündigt worden sei.
7
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.295,07 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.10.2006 zu zahlen;
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2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.233,40 € brutto nebst 5 % Zinsen über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.12.2006 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
12
Die Beklagte hat im Wesentlichen geltend gemacht:
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Die Arbeitsbedingungen hätten sich in dem streitbefangenen Zeitraum weiterhin nach
dem Sanierungstarifvertrag gerichtet. Diesen seit dem Betriebsübergang gemäß § 613 a
Abs. 1 Satz 2 BGB in die Arbeitsverhältnisse transformierten Tarifvertrag hätte die IG-
Metall mit ihrer nach dem 01.07.2006 erfolgten Kündigung nicht mehr beseitigen
können. Da von der Transformation gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB nur die
normativen Regelungen eines Tarifvertrages, nicht aber seine schuldrechtlichen
Bestandteile erfasst würden, hätte auch der Kläger selbst durch seine Kündigung nicht
die Wirkung des Sanierungstarifvertrages beenden können.
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Mit seinem am 13.09.2007 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage
abgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Die im Sanierungstarifvertrag festgelegten Konditionen seien für den streitbefangenen
Zeitraum gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB auf das Arbeitsverhältnis anwendbar. Eine
Transformation des Sanierungstarifvertrages in den Arbeitsvertrag der Parteien
scheitere nicht daran, dass sein Geltungsbereich gemäß Ziffer 1 auf "den Betrieb des
Insolvenzverwalters" (lit. a) und auf Beschäftigte, die am Standort E. "für den
Insolvenzverwalter tätig sind" (lit. b) abgestellt worden sei. Dieser Bezug diene
erkennbar nur der Individualisierbarkeit des Betriebes, nicht indes der Formulierung
einer Ausnahmeregelung. Der gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB nach dem
Betriebsübergang am 01.07.2006 fortgeltende Sanierungstarifvertrag sei nicht durch
eine Kündigung entfallen. Die Kündigung der IG-Metall vom 13.07.2006 habe keine
Rechtswirkung erzeugen können, da zu diesem Zeitpunkt der Sanierungstarifvertrag
bereits gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB Bestandteil der einzelnen Arbeitsverhältnisse
gewesen sei. Die Kündigung des Klägers vom 27.06.2006 sei wirkungslos gewesen, da
das tarifliche Kündigungsrecht nicht in die einzelnen Arbeitsverhältnisse gemäß § 613 a
Abs. 1 Satz 2 BGB transformiert worden sei. Schließlich sei auch die
Geschäftsgrundlage des Sanierungstarifvertrages nicht durch den am 01.07.2006
erfolgten Betriebsübergang entfallen.
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Gegen das ihm am 26.09.2007 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger mit
einem am 24.10.2007 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und
diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 27.12.2007 - mit
einem hier am 27.12.2007 eingereichten Schriftsatz begründet.
17
Der Kläger macht unter teilweiser Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorringens im
Wesentlichen geltend:
18
Durch den Insolvenztarifvertrag zum Zwecke der Sanierung der Insolvenzschuldnerin
sei deren frühere tarifvertragliche Bindung nur unterbrochen worden. Die früher
geltenden Tarifverträge für die Sägeindustrie und holzbearbeitende Industrie NRW
seien deshalb infolge des Betriebsübergangs mit dem 01.07.2006 wieder in Kraft
getreten. Die gleiche Rechtsfolge ergebe sich aus § 4 Abs. 3 TVG. Danach seien
abweichende Regelungen nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet seien
oder aber eine Änderung zu Gunsten des Arbeitnehmers enthalten würden.
19
Der Kläger beantragt,
20
das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 13.09.2007 - 2 Ca 3244/06 - abzuändern
und gemäß seinen erstinstanzlichen Schlussanträgen zu erkennen.
21
Die Beklagte beantragt,
22
die Berufung zurückzuweisen.
23
Die Beklagte verteidigt in erster Linie das angefochtene Urteil und führt ergänzend aus:
24
Da sich die Berufungsbegründung nicht substantiiert mit dem angefochtenen Urteil
auseinandersetze, beständen bereits Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung.
Im Übrigen habe die Vorinstanz substantiiert begründet, dass der Sanierungstarifvertrag
unbedingt abgeschlossen worden sei. § 4 Abs. 3 TVG sei nicht anwendbar, weil
jedenfalls dieser Tarifvertrag sowohl wegen des Spezialitätsprinzips als auch aufgrund
der zeitlichen Abfolge dem früheren Flächentarifvertrag vorgegangen sei.
25
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den mündlich
vorgetragenen Inhalt der Akte ergänzend Bezug genommen.
26
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
27
A.
28
Nicht zu Unrecht macht die Beklagte Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung
des Klägers geltend.
29
I. Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann eine Berufung nur darauf gestützt werden, dass die
angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach §
529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
Damit korrespondiert der notwendige Inhalt einer Berufungsbegründung nach den in §
520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO enthaltenen Regelungen. Diese Anforderungen
an eine Berufungsbegründung gelten gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG auch für das
arbeitsgerichtliche Verfahren (z. B. BAG 14.10.2004 - 6 AZR 564/03 - AP Nr. 3 zu § 2
BAT SR 2 R; BAG 10.02.2005 - 6 AZR 183/04 - EzA § 64 ArbGG 1979 Nr. 40).
30
II. Nach der Neuregelung des Verfahrensrechtes durch das Zivilprozessreformgesetz
vom 17.05.2001 (BGBl. I S. 1887) mit Wirkung ab dem 01.01.2002 kann eine Berufung
gemäß § 513 Abs. 1 ZPO nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene
Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO
zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Damit
korrespondiert der notwendige Inhalt einer Berufungsbegründung nach den
Bestimmungen in § 520 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 2 und 3 ZPO. Danach muss die
Berufungsbegründung die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich eine
Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben,
oder die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit und
Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen in dem angefochtenen Urteil begründen
und deshalb eine neue Feststellung gebieten, enthalten. Diese Anforderungen an eine
Berufungsbegründung gelten gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG auch für das arbeitsgerichtliche
Verfahren (z. B. BAG 14.10.2004 - 6 AZR 564/03 - AP Nr. 3 zu § 2 BAT SR 2 r; BAG
10.02.2005 - 6 AZR 183/04 - EzA § 64 ArbGG 1979 Nr. 40). Wie bereits unter der
Geltung des bisherigen Prozessrechtes muss in der Berufungsbegründung eine
Auseinandersetzung mit der erstinstanzlichen Entscheidung stattfinden. Die
Begründung muss auf den Streitfall zugeschnitten sein und im Einzelnen erkennen
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lassen, in welchen Punkten tatsächlicher und rechtlicher Art sowie aus welchen
Gründen der Berufungsführer das angefochtene Urteil für unrichtig hält (z.B. BAG
14.12.2004 - 1 AZR 504/03 - EzA § 13 GmbH-Gesetz Nr. 4; BAG 14.07.2005 - 8 AZR
392/04 - EzA § 613 a BGB 2002 Nr. 36). Dabei muss die Rechtsmittelbegründung
geeignet sein, das gesamte Urteil in Frage zu stellen. Wenn das Gericht seine
Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche
Erwägungen stützt, muss die Berufungsbegründung für jede dieser Erwägungen
darlegen, warum sie unzutreffend sein soll; andernfalls ist das gesamte Rechtsmittel
unzulässig (vgl. BGH 10.01.1996- IV ZB 29/95 - NJW-RR 1996, 572; BGH VII ZR 25/98 -
NJW-RR 2000, 685 f.; BAG 29.11.2001 - 4 AZR 729/00 - EzA § 519 ZPO Nr. 13).
III. Den vorstehenden Anforderungen an eine Berufungsbegründung nach § 513 Abs. 1
ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG dürfte der Kläger kaum nachgekommen sein. Er
gesteht nämlich der Vorinstanz zu, dass sie die Kündigung des Sanierungstarifvertrages
durch die IG-Metall deshalb als verspätet angesehen habe, weil es sich nur um eine
tarifvertraglich wirksame Regelung gehandelt habe. Er wirft dem Arbeitsgericht dann
lediglich vor, "diese Rechtsfolgen nicht zu Ende gedacht" zu haben. Denn die vor
Abschluss des Sanierungstarifvertrages geltenden Tarifverträge für die Sägeindustrie
und holzbearbeitende Industrie NRW seien zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges am
01.07.2006 automatisch wieder in Kraft getreten, wobei sich diese Rechtsfolge auch aus
§ 4 Abs. 3 TVG ergebe. Hierin kann kaum eine nähere Auseinandersetzung mit der
erstinstanzlichen Entscheidung gesehen werden, zumal der Kläger, jedenfalls in zweiter
Instanz, weder näher das Wiederaufleben der bis zum Abschluss des
Sanierungstarifvertrages geltenden Tarifverträge für die Sägeindustrie und
holzbearbeitende Industrie NRW begründet noch im einzelnen dargelegt hat, wieso aus
§ 4 Abs. 3 TVG folgen soll, dass diese Verbandstarifverträge ab dem 01.07.2006 für das
Arbeitsverhältnis der Parteien gelten würden, obwohl die Beklagte doch gar nicht
gemäß § 3 Abs. 1 TVG an diese Tarifverträge gebunden war.
32
B.
33
Letztlich kann jedoch dahinstehen, ob die Berufung des Klägers zulässig ist. Jedenfalls
ist sie unbegründet.
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I. Zu Recht hat die Vorinstanz erkannt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung
von insgesamt der Höhe nach unstreitigen 2.528,47 € brutto für die Zeit von Juli 2006
bis Oktober 2006 gemäß § 611 Abs. 1 BGB i. V. m. dem Manteltarifvertrag für die
Holzbearbeitung (Sägeindustrie und verwandte Betriebe) sowie den Holzhandel im
Lande Nordrhein-Westfalen (künftig: MTS) i. V. m. dem für diese Branche in dem
genannten Zeitraum geltenden Lohntarifvertrag hat. Denn die Entgeltansprüche des
Klägers gemäß § 611 Abs. 1 BGB richteten sich von Juli bis Oktober 2006 nach dem
Sanierungstarifvertrag vom 31.05.2005 (im Folgenden: SanTV). Die ihm nach diesem
Tarifvertrag zustehenden Arbeitsentgelte sind aber gemäß § 362 Abs. 1 BGB durch
Erfüllung erloschen.
35
II. Mit Inkrafttreten des SanTV am 01.06.2005, der die Rechtsqualität eines
Firmentarifvertrages hat, verdrängte dieser aufgrund des Spezialitätsprinzips (vgl. nur
Wiedemann/Wank, TVG, 7. Aufl. 2007, § 4 Rz. 298) in den hier interessierenden
Entgeltfragen die zu dieser Zeit geltenden Verbandstarifverträge für die Holzbearbeitung
(Sägeindustrie und verwandte Betriebe) sowie den Holzhandel in NRW, also MTS und
Lohntarifvertrag. Der SanTV fand auf das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und
36
der Rechtsvorgängerin der Beklagten bis zum 30.06.2006 gemäß §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 4
Abs. 1 Satz 1 TVG Anwendung.
III. Seit dem 01.07.2006, dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs, galt der SanTV
zwischen den Parteien gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB nur noch
individualvertraglich.
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1. Die Anwendung des § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB im Streitfall ist nicht etwa von
vornherein aufgrund der in § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB enthaltenen Regelung
ausgeschlossen. Danach gilt § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach vor dem
Betriebsübergang für das Arbeitsverhältnis geltende kollektivrechtliche Normen
zwischen dem neuen Inhaber des Betriebes und dem Arbeitnehmer als Vertragsrecht
zumindest ein Jahr ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs unverändert fortgelten,
nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines
anderen Tarifvertrages geregelt werden. Denn die Ablösung eines vor dem
Betriebsübergang normativ geltenden Tarifvertrages (hier: SanTV) durch einen
"anderen Tarifvertrag" i. S. von § 613 a Abs. 1 Satz 3 BGB setzt die kongruente
Tarifgebundenheit des neuen Inhabers (hier: Beklagte) und des Arbeitnehmers (hier:
Kläger) voraus (vgl. BAG 30.08.2000 - 4 AZR 581/99 - EzA § 3 TVG Bezugnahme auf
Tarifvertrag Nr. 13; ErfK/Preis, 8. Aufl. 2008, § 613 a BGB Rz. 123 m. w. N.). Hiervon
kann im Streitfall schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil die Beklagte zum
Zeitpunkt des Betriebsübergangs am 01.07.2006 überhaupt nicht gemäß § 3 Abs. 1
TVG tarifgebunden war. Insofern können entgegen der Ansicht des Klägers keinesfalls
die bis zum 30.06.2006 gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG für das
Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten geltenden, aber
seit dem 01.06.2005 aufgrund des Spezialitätsgrundsatzes durch den SanTVG
verdrängten Verbandstarifverträge für die Holzverarbeitung (Sägeindustrie und
verwandte Betriebe) in NRW Anwendung finden.
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2. Die Beklagte war nicht etwa nach § 3 Abs. 1 TVG an den SanTV gebunden mit der
Folge, dass eine derartige kollektiv-rechtliche Fortgeltung dieses Tarifvertrages die
Anwendung von § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB, der lediglich eine Auffangfunktion hat,
ausschließen würde (vgl. hierzu BAG 04.07.2007 - 4 AZR 491/06 - Rz. 46, EzA § 4 TVG
Tarifkonkurrenz Nr. 20). Zwar galt der SanTV vor dem Betriebsübergang für das
Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten, wie bereits
erwähnt, aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1
TVG, weil der Kläger Mitglied der IG-Metall und die Rechtsvorgängerin der Beklagten
Partei des SanTV waren. Durch den Betriebsübergang am 01.07.2006 ist aber für die
Beklagte keine Bindung an den SanTV, der, wie bereits erwähnt, ein Firmentarifvertrag
war, nach § 3 Abs. 1 TVG begründet worden, weder tarifvertraglich noch aufgrund einer
Gesamtrechtsnachfolge.
39
a) Eine tarifvertragliche Vereinbarung über die tarifrechtliche Geltung des SanTV für die
Beklagte ist nicht gegeben. Eine solche Vereinbarung läge z. B. vor, wenn die Beklagte
als Betriebserwerberin mit der IG-Metall einen gleichlautenden SanTV oder eine
Vereinbarung über die Übernahme dieses Firmentarifvertrages geschlossen hätte (vgl.
BAG 20.06.2001 - 4 AZR 295/00 - NZA 2002, 517, 518; BAG 29.08.2001 - 4 AZR 332/00
- NZA 2002, 513, 514). Hierfür gibt es im Streitfall, nicht zuletzt in Ermangelung
entsprechenden Parteivortrags, keinen Anhaltspunkt.
40
b) Die Beklagte ist auch nicht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge Tarifvertragspartei
41
des SanTV geworden. Die kollektivrechtliche Weitergeltung eines Firmentarifvertrags ist
nur gegeben, wenn der Übernehmer im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auch in den
abgeschlossenen Firmentarifvertrag einrückt (BAG 20.06.2001 - 4 AZR 295/00 - a. a. O.;
BAG 29.08.2001 - 4 AZR 332/00 - a. a. O.; BAG 04.06.2007 - 4 AZR 491/06 - Rz. 39,
EzA § 4 TVG Tarifkonkurrenz Nr. 20). Im Streitfall ist aber die Beklagte in die
Rechtsstellung ihrer Rechtsvorgängerin aufgrund einer Einzelrechtsnachfolge gemäß §
613 a Abs. 1 Satz 1 BGB getreten mit der Folge, dass die Regelungen des SanTV
gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB Inhalt des zwischen den Parteien ab dem 01.07.2006
bestehenden Arbeitsverhältnisses wurden.
3. Da, wie dargestellt, die Verbandstarifverträge für die Holzverarbeitung (Sägeindustrie
und verwandte Betriebe) seit dem 01.07.2006 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien
nicht mehr gemäß §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 Satz 1 TVG einwirken, steht der Anwendung
des SanTV entgegen der vom Kläger zweitinstanzlich vertretenen, aber nicht näher
begründeten Auffassung auch nicht das in § 4 Abs. 3 TVG normierte Günstigkeitsprinzip
entgegen.
42
IV. Die individualrechtliche Fortgeltung des SanTV seit dem 01.07.2006 nach § 613 a
Abs. 1 Satz 2 BGB dauerte im gesamten streitbefangenen Zeitraum, d. h. von Juli bis
Oktober 2006, fort.
43
1. Zu Recht hat die Vorinstanz erkannt, dass die seit dem 01.07.2006 fortwirkende
Weitergeltung des SanTV nicht zu diesem Zeitpunkt aufgrund Wegfalls der
Geschäftsgrundlage dieses Tarifvertrages entfallen ist.
44
a) Ein Tarifvertrag, auch ein befristeter, ist außerordentlich kündbar. Die Zulässigkeit der
Kündigung ergab sich bis zum Inkrafttreten des § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB am 01.01.2002
aus der Rechtsnatur des Tarifvertrages als Dauerrechtsverhältnis (vgl. BAG 18.12.1996
- 4 AZR 129/06 - EzA § 1 KSchG Fristlose Kündigung Nr. 2) und ergibt sich nun
unmittelbar aus § 314 Abs. 1 Satz 1 BGB (vgl. Wiedemann/Wank, TVG, 7. Aufl. 2007, §
4 Rz. 28). Ob neben der außerordentlichen Kündigung auch bei Tarifverträgen eine
Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage möglich ist, ist streitig (vgl. zum
Meinungsstand Wiedemann/Wank, a. a. O., § 4 Rz. 65 Fn. 142). Allgemein ist im
Schuldrecht weitgehend anerkannt, dass bei Dauerschuldverhältnissen das Recht der
außerordentlichen Kündigung die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage
verdrängt (vgl. BGH 11.04.1957 - VII ZR 280/56 - BGHZ 24, 91, 95 f.;
Wiedemann/Schultz, ZIP 1999, 1 ff.). Das Bundesarbeitsgericht hat die Frage vor
Inkrafttreten des § 313 BGB am 01.01.2002 offengelassen (vgl. BAG 18.12.1996 - 4 AZR
129/96 - a. a. O.; BAG 18.06.1997 - 4 AZR 710/95 - EzA § 1 TVG Fristlose Kündigung
Nr. 3).
45
b) Im Streitfall braucht die vorgenannte Frage nicht entschieden zu werden. Selbst wenn
man die Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage neben der
außerordentlichen Kündigungsmöglichkeit auch bei Tarifverträgen zulassen würde und
die Insolvenz der Rechtsvorgängerin der Beklagten im Streitfall annähme, hätte dies
keine Auswirkung auf den individualrechtlichen Fortbestand des SanTV. Denn
keinesfalls würde der Tarifvertrag ipso iure entfallen. Vielmehr gewährt § 313 Abs. 1
Satz 1 BGB einen Anspruch auf Zustimmung des anderen Vertragsteils zur Anpassung
des Vertrages bzw. wenn dies nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar ist, bei
Dauerverhältnissen, wozu, wie bereits erwähnt, auch ein Tarifvertrag gehört, das Recht
zur Kündigung (vgl. § 313 Abs. 3 Satz 2 BGB). Beides ist im Streitfall nicht erfolgt bzw.
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nicht wirksam ausgeübt worden.
2. Die individualrechtliche Fortgeltung des SanTV ist auch nicht durch die von der IG-
Metall bzw. dem Kläger erklärte Kündigung zum 31.08.2006 bzw. zum 30.09.2006
beendet worden.
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a) Die mit Schreiben vom 13.07.2006 erfolgte Kündigung der IG-Metall, der Beklagten
am 17.07.2006 zugegangen, ging "ins Leere". Zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs
war die IG-Metall aufgrund des nur noch individualvertraglich gemäß § 613 a Abs. 1
Satz 2 BGB fortgeltenden SanTV nicht mehr Partei dieses Tarifvertrages, konnte ihn
also auch gar nicht mehr kündigen.
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b) Eine Kündigungsbefugnis fehlte aber auch dem Kläger mit der Folge, dass die von
ihm unter dem 27.08.2006 erfolgte Genehmigung der Kündigung des SanTV durch die
IG-Metall auch in seinem eigenen Namen bzw. die gleichzeitig erfolgte hilfsweise
Kündigung fristgerecht zum Monatsende (d. h. gemäß Ziffer 7 Abs. 1 SanTV zum
30.09.2006) keine Rechtswirkung haben konnte.
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aa) Nach der ausdrücklichen Regelung in § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB werden nur
Rechtsnormen eines Tarifvertrages in das Arbeitsverhältnis transformiert. Was darunter
zu verstehen ist, ist in § 1 Abs. 1 TVG geregelt, wobei die Transformation in das
Individualarbeitsverhältnis durch § 613 a Abs. 1 Satz 2 BGB nur für Inhaltsnormen
unstreitig ist (vgl. zum Meinungsstand Wiedemann/Oetker, TVG, 7. Aufl. 2007, § 3 Rz.
245). Das Recht, den in das Arbeitsverhältnis transformierten Tarifvertrag zu kündigen,
zählt hierzu nicht.
50
bb) Auf Arbeitgeberseite bleibt deshalb ausschließlich der Betriebsveräußerer zur
Kündigung berechtigt (vgl. Wiedemann/Oetker, a. a. O., § 3 Rz. 239 mit Nachw. in Fn.
224). Auf Arbeitnehmerseite kann keinesfalls der einzelne Arbeitnehmer eine auf die
fortwirkenden Tarifnormen beschränkte Kündigung aussprechen und zwar auch dann
nicht, wenn das Kündigungsrecht von § 613 a Abs 1 Satz 2 BGB erfasst würde. Hierbei
würde es sich um eine grundsätzlich im Individualarbeitsrecht ausgeschlossene
Teilkündigung (vgl. nur BAG 25.02.1988 - 2 AZR 346/87 - AP Nr. 18 zu § 611 BGB Arzt-
Krankenhausvertrag; BAG 23.08.1989 - 5 AZR 569/88 - AP Nr. 3 zu § 565e BGB; BGH
05.11.1992 - IX ZR 200/91 - EzA § 622 BGB Teilkündigung Nr. 6; APS/Preis, 3. Aufl.
2007, Grundlagen E Rz. 13 m. w. N.) handeln. Denkbar wäre allenfalls eine
Kündigungsbefugnis sämtlicher von der Weitergeltung der Tarifnormen gemäß § 613 a
Abs. 1 Satz 2 BGB betroffenen Arbeitnehmer (vgl. hierzu Hanau/Vossen, Festschrift für
Hilger/Stumpf, 1983, S. 271, 294 i. V. m. S. 283). Eine solche ist jedoch im Streitfall nicht
erfolgt.
51
C.
52
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG.
53
Die Kammer hat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zugemessen und deshalb
die Revision an das Bundesarbeitsgericht gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
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R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G
55
Gegen dieses Urteil kann von dem Kläger
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REVISION
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eingelegt werden.
58
Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Revision muss
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innerhalb einer Notfrist von einem Monat
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nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
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Bundesarbeitsgericht,
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Hugo-Preuß-Platz 1,
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99084 Erfurt,
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Fax: (0361) 2636 - 2000
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eingelegt werden.
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Die Revision ist gleichzeitig oder
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innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils
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schriftlich zu begründen.
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Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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