Urteil des LAG Düsseldorf vom 10.07.2002

LArbG Düsseldorf: europäisches gemeinschaftsrecht, ausländischer arbeitnehmer, arbeitsgericht, subunternehmer, gemeinsame einrichtung, berufliche tätigkeit, arbeitsbedingungen, aufrechnung, baugewerbe

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 12 Sa 132/02
Datum:
10.07.2002
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 Sa 132/02
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Wuppertal, 7 Ca 3540/01
Schlagworte:
Haftung des Generalunternehmers nach § 1 a AEntG für vom polnischen
Subunternehmer nicht abgeführte Urlaubskassenbeiträge
Normen:
Art. 3, 9, 12 GG, § 1, § 1 a AEntG, §§ 13, 18 VTV-Baugewerbe
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Der Kläger (Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft,
Wiesbaden) nimmt die Beklagte, ein deutsches Unternehmen des
Bauhauptbewerbes, das die Streitverkündete, ein polnisches
Bauunternehmen, mit der Erbringung von Bauleistungen in Deutschland
beauftragt hatte, in Haftung für nicht von der Streitverkündeten
abgeführte Urlaubskassenbeiträge. Das Arbeitsgericht hat durch
Teilurteil die Klage teilweise zugesprochen. Die Berufung blieb
erfolglos. 2. Die in § 1 a AEntG begründete Haftung des
Generalunternehmens für die vom Subunternehmer abzuführenden
Urlaubskassenbeiträge verstößt nicht gegen das Grundgesetz.
Tenor:
Die Berufung gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom
04.02.2001 wird kostenfällig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Der Kläger nimmt die Beklagte nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) in
Haftung für nicht von der Streitverkündeten abgeführte Urlaubskassenbeiträge.
2
Die Beklagte, ein in W. ansässiges Unternehmen des Bauhauptgewerbes, beauftragte
die Streitverkündete, das polnische Bauunternehmen I. Sp. Zo. O., K., mit der
Erbringung von Trockenbauarbeiten auf vier Baustellen in West- und Norddeutschland.
Die Streitverkündete beschäftigte auf den Baustellen ausschließlich aus Polen
entsandte gewerbliche Arbeitnehmer. Dem Kläger meldete sie für den Zeitraum Juni bis
Dezember 2000 Urlaubskassenbeiträge in Höhe von insgesamt DM 107.333,34 und
führte an ihn DM 9.703, 46 ab. Nach ihren Meldungen will sie den Arbeitnehmern in
Höhe von DM 85.405,46 (bei Berücksichtigung eines der Streitverkündeten für
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September 2000 unterlaufenen Rechenfehlers: DM 85.805,46) ausgezahlt haben.
Der Kläger hat mit der im Mai 2001 vor dem Arbeitsgericht Wiesbaden erhobenen Klage
die Beklagte nach § 1a AEntG auf Zahlung der ausstehenden Urlaubskassenbeiträge in
Anspruch genommen. Er bezifferte seine Forderung auf € 49.917,37 (DM 107.333,34
abzüglich gezahlter DM 9.703,46) und bestreitet unter Hinweis auf zwei Prüfberichte des
Arbeitsamtes Köln, dass die Streitverkündete ihren Arbeitnehmern überhaupt, jedenfalls
in der gemeldeten Höhe, Urlaubsvergütung gezahlt habe. Im übrigen könne - so meint er
- nach dem Verfahrenstarifvertrag (VTV) der Arbeitgeber geschuldete
Urlaubskassenbeiträge nicht mit ausgezahlter Urlaubsvergütung verrechnen, sondern
sei auf die Durchführung des Erstattungsverfahrens angewiesen.
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Die Beklagte hat die Meldungen als richtig verteidigt und die Aufrechnung mit ihr am
14.11.2001 von der Streitverkündeten abgetretenen Erstattungsansprüchen gegen den
Kläger erklärt. Die Streitverkündete ist dem - vom Arbeitsgericht Wiesbaden an das
Arbeitsgericht Wuppertal verwiesenen - Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten
beigetreten. Beklagte und Streitverkündete halten die im AEntG statuierte Beitragspflicht
des ausländischen Bauunternehmers (§ 1) und Haftung des inländischen Auftraggebers
(§ 1a) für verfassungswidrig.
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Durch Teilurteil vom 04.12.2001 hat das Arbeitsgericht der Klage in Höhe von DM
12.224,42 (= € 6.250, 25) nebst Zinsen mit der Begründung stattgegeben, dass sich
unter Zugrundelegung der eigenen Meldungen der Streitverkündeten dieser
Differenzbetrag als noch nicht ausgezahlte Urlaubsvergütung ergebe.
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Mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift die Beklagte
das Urteil an. Sie und die Streitverkündete beantragen,
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das Teilurteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 04.12.2001 abzuändern und die
Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den von den Parteien
vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze mit den hierzu überreichten Anlagen verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
12
I. Nachdem die Vorinstanz von Beklagter und von Streitverkündeter nicht gerügt die
Zuständigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten für Arbeitssachen angenommen hat,
erledigt sich nach § 65 ArbGG eine Überprüfung in der Berufungsinstanz (BAG, Urteil
vom 05.0.1995, 9 AZR 533/94, AP Nr. 24 zu § 1 TVG Vorruhestand, zu I der Gründe,
BAG, Urteil vom 26.03.1992, 2 AZR 443/91, AP Nr. 7 zu § 48 ArbGG, zu II 3 b aa).
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Im Übrigen folgt die Zuständigkeit zwar nicht aus § 2 Abs. 1 Nr. 6 ArbGG, weil die
Beklagte nicht Arbeitgeber , sondern Auftraggeber des Arbeitgebers ist. Sie ergibt sich
jedoch nach Dafürhalten der Kammer aus § 8 Satz 2 AEntG. Der Kläger kann als
gemeinsame Einrichtung der TVP nach § 1 Abs. 3 Beiträge vor dem Arbeitsgericht
einklagen. Dies umfasst nach dem Normzweck des § 8 AEntG auch die
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Inanspruchnahme des Auftraggebers gemäß § 1a AEntG, der für die Zahlung der
Beiträge haftet.
II. Die Berufung ist in der Sache unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die
Beklagte nach § 1a AEntG zur Zahlung der Urlaubskassenbeiträge verurteilt.
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Zwar ergeben nach dem Vortrag des Klägers die Meldungen der Streitverkündeten über
(angeblich) ausgezahlte Urlaubsvergütung einen Differenzbetrag von DM 11.824,42 und
nicht wie ausgeurteilt - von DM 12.224,42. Dem Kläger stehen jedoch zusätzlich DM
400,00 als weiterer Teilbetrag aus den in Höhe von DM 97.629,88 ( € 49.917,37) offen
gebliebenen Urlaubskassenbeiträgen zu: Weder verkürzt sich die Beitragsschuld des
Arbeitgebers um ausgezahlte Urlaubsvergütung noch ist die Aufrechnung mit
Erstattungsansprüchen gegen den Kläger tariflich zulässig.
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Das erstinstanzliche Urteil hält im übrigen den Angriffen der Beklagten und der
Streitverkündeten stand. Dabei ist das Arbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen,
dass unabhängig von dem Vertragsstatus zwischen der Streitverkündeten und ihren
Arbeitnehmern nach Art. 34 EGBGB über § 1 AEntG die Rechtsnormen der für
allgemeinverbindlich erklärten Bau-Tarifverträge anzuwenden sind, denn die
Streitverkündete erbrachte mit ihren nach Deutschland entsandten Arbeitnehmern
Bauleistungen i. S. v. § 211 Abs. 1 Satz 2 SGB III. Die Beklagte, selbst ein Unternehmen
des Bauhauptgewerbes, hatte die Streitverkündete mit der Erbringung dieser
Bauleistungen i. S. v. § 1a Satz 1 AEntG beauftragt. Das Arbeitsgericht hat des weiteren
zu Recht angenommen, dass
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§ 1 und § 1a AEntG nicht höherrangiges Recht verletzen.
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1. Grundverhältnis zwischen Streitverkündeter und Kläger
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Wie zuvor bereits die Instanzgerichte und nunmehr auch der 9. Senat des
Bundesarbeitsgerichts (Urteile vom 25.06.2002, Pressemitteilung Nr. 46/02) erkannt
haben, wird das AEntG weder durch von den Regierungen geschlossene
Werkvertragsabkommen verdrängt noch ist europäisches Gemeinschaftsrecht verletzt;
ebenso wenig haben die mit den Heimatländern der Arbeitgeber (hier: mit Polen als
Heimatland der Streitverkündeten) bestehenden Assoziierungsabkommen unmittelbare
Wirkung. Schließlich verstößt die Erstreckung der für allgemeinverbindlich erklärten
Tarifverträge nicht gegen das Grundgesetz. Die Kammer folgt dieser Rechtsprechung
und merkt zu den von Beklagter und Streitverkündeter erhobenen Einwänden, die sich
in literarisch vermarkteten Auftragsgutachten wiederfinden, das Folgende an:
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a) Die Erstreckung der Rechtsnormen der für allgemeinverbindlich erklärten Bau-
Tarifverträge, namentlich des VTV, ist hinreichend genau bestimmt (vgl. BVerfG,
Beschluss vom 18.07.2000, 1 BvR 948/00, AP Nr. 4 zu § 1 AEntG, zu II 3 der Gründe).
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b) § 1 Abs. 3 AEntG verstößt weder gegen die positive noch gegen die negative
Koalitionsfreiheit der Streitverkündeten (BVerfG, a.a.O., zu II 2).
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c) Art. 12 Abs. 1 GG gilt für Deutsche und nicht für Ausländer. Soweit Wertungen zur
Berufsfreiheit in Art. 2 Abs. 1 GG einfließen, gibt es kein Recht des ausländischen
Unternehmers, sich in Deutschland derart zu betätigen, dass er hier entsandte
Arbeitnehmer zu den Arbeitsbedingungen des Heimatlandes einsetzen darf.
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d) Art. 3 Abs. 3 GG erfasst nicht die Differenzierung nach Staatsangehörigkeit (vgl.
Wank/Börgmann, NZA 01, 185 [Fn. 104]).
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e) Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt, denn es fehlt schon an einer Ungleichbehandlung:
Indem der ausländische Arbeitgeber für seine nach Deutschland entsandten
Arbeitnehmer die hier geltenden Leistungsstandards der allgemeinverbindlichen Bau-
Tarifverträge gewährleisten muss, erfolgt seine Gleichbehandlung mit den inländischen
Arbeitsverhältnissen.
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Es liegt auch keine nach Art. 3 Abs. 1 GG unzulässige Ungleichbehandlung der Bau-
Unternehmer mit den Unternehmern anderer Wirtschaftszweige vor: Zum einen sind die
unterschiedlichen Arbeitsbedingungen der Branchen Ausfluss der grundrechtlich
geschützten Tarifautonomie; mithin ist auch die Allgemeinverbindlicherklärung von
Tarifverträgen mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar. Zum anderen unterscheiden sich die
Verhältnisse im Baugewerbe signifikant von den Verhältnissen in anderen Branchen.
Dies gilt auch mit Blick auf die Landwirtschaft (vgl. Rieble/Lessner, ZfA 02, 26 [82 f.]),
denn dort wird das Anliegen, Lohndumping zu verhindern, überlagert wird von dem
Problem, dass die meist kleineren landwirtschaftliche Betrieb zur saisonalen
Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer bedürfen, weil auf dem Arbeitsmarkt nicht
genügend deutsche Arbeitskräfte zu finden sind. In der Landwirtschaft existiert nicht der
Wettbewerb zwischen inländischen und ausländischen Arbeitgebern so wie im
Baugewerbe.
26
f) Der Einwand der Streitverkündeten, dass entsandte Arbeitnehmer durch polnisches
Arbeitsrecht geschützt sind, ist unter keinem grundrechtlichen
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Aspekt zielführend.
28
Nach § 1 Abs. 3 AEntG kommt es nicht auf den Schutz in Polen, sondern allein darauf
an, dass sichergestellt ist, dass die Streitverkündete nicht gleichzeitig zu
Urlaubskassenbeiträgen in Polen herangezogen wird und das Urlaubskassenverfahren
die Anrechnung von erbrachten Urlaubsleistungen vorsieht. Irrelevant sind die
nationalen urlaubsrechtlichen Standards des jeweiligen Entsendungsstaats. Der
deutsche Gesetzgeber muss und darf typisieren und generalisieren und daher darauf
abstellen, dass in den meisten Entsendungsstaaten die materiellen
Arbeitsbedingungen, insbes. im Urlaubsrecht, schlechter als in Deutschland sind.
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Die Streitverkündete hat auch nicht darzustellen vermocht, dass die ihren nach Polen
zurückgekehrten Arbeitnehmern dort zustehende Urlaubsvergütung bzw.
Urlaubsabgeltung nach Grund und Höhe den Leistungen entspricht, die sie nach
deutschem Tarifrecht beanspruchen können.
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Mit dem Einwand, dass das Urlaubskassenverfahren nicht erforderlich, vor allem für die
Arbeitgeber zu teuer sei, verkennt die Streitverkündete, dass die Arbeitsgerichte die
Tarifautonomie zu respektieren haben und Tarifverträge nicht auf ihre Angemessenheit
kontrollieren dürfen.
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g) Die Unterwerfung des ausländischen Unternehmers unter das tarifliche
Urlaubskassenverfahren verstößt nicht gegen europäisches Gemeinschaftsrecht (EuGH
vom 25.01.2001, Rs. C 49/48, Finalarte, AP Nr. 8 zu § 1 AEntG, Rdnr. 60-65.). Die
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Streitverkündete ist im übrigen ein polnisches Unternehmen. Auch nach dem
Assoziierungsabkommen (vgl. EuGH vom 27.09.2001, Rs. C 63/99, EAS EG-Vertrag
Art. 238 Nr. 29) muss sie es sich gefallen lassen, so gestellt zu werden, als wenn sie
uneingeschränkt dem deutschen nationalen Recht untersteht so wie andere
Unternehmen in Deutschland auch.
h) Das tarifliche Urlaubskassenverfahren verstößt nicht gegen gesetzlich zwingendes
Urlaubsrecht. Es weicht nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmer von § 1 BUrlG oder § 7
Abs. 4 BUrlG ab (vgl. BAG, Urteil vom 26.06.2001, 9 AZR 347/00, AP Nr. 29 zu § 1 TVG
Tarifverträge: Bau, zu I 4).
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i) Gelten danach für das Grundverhältnis zwischen Kläger und Streitverkündeter die für
allgemeinverbindlich erklärten Bau-Tarifverträge, insbesondere der VTV, schuldet die
Streitverkündete nach §§ 18 ff. des allgemeinverbindlichen Tarifvertrages über das
Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) die Abführung der gemeldeten
Urlaubskassenbeiträge. Ihre Zahlungspflicht wird nicht berührt durch die Auszahlung
von Urlaubsvergütung an Arbeitnehmer. Zum Einen ist die Streitverkündete auf das
Erstattungsverfahren nach § 13 VTV angewiesen. Tarifvertraglicher Inhalt und Sinn
dieses eingerichteten und vorgeschriebenen Verfahrensweges ist es, die Aufrechnung
des Arbeitgebers mit Erstattungsansprüchen gegen den Kläger auszuschließen. Die
Einhaltung des formalisierten und standardisierten Erstattungsverfahrens trägt nicht nur
zur Verwaltungsvereinfachung und -vereinheitlichung bei, sondern sichert ebenso die
Gleichbehandlung der Bau-Arbeitgeber untereinander. Der Kläger hat auch nicht der
Streitverkündeten, wie diese und die Beklagte meinen, durch das Rundschreiben von
Januar 2001 (Bl. 237 a ff. der Gerichtsakte) die direkte Auszahlung anstelle des
Erstattungsverfahrens vorgeschrieben. Das Rundschreiben ist schon deshalb ohne
Belang, weil es vorliegend um den Entsendungszeitraum Juni bis Dezember 2000 geht,
während das Rundschreiben erst aus Januar 2001 datiert und das Verfahren ab dieser
Zeit erläutert. Außerdem verändert es nicht das tarifliche Beitragsabführungs- und
Erstattungsverfahren, sondern knüpft hieran an (Ziffer 5 und 6) und weist explizit auf die
Unzulässigkeit der Aufrechnung mit Erstattungsansprüche gegen Beitragsrückstände
hin (Ziffer 6 Satz 2).
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Zum anderen hat der Kläger bestritten, dass die Streitverkündete Urlaubsvergütung
ausgezahlt habe und daher deren Angaben in den Meldungen zutreffend seien.
Daraufhin haben weder die Beklagte noch die Streitverkündete irgendwelche
Urlaubsvergütungszahlungen substantiiert vorgetragen und unter Beweis gestellt. Die
Beweisangebote der Beklagten im Schriftsatz vom 08.07.2002 sind nach § 67 Abs. 2
ArbGG verspätet. Sie laufen zudem auf einen zivilprozessual unzulässigen
Ausforschungsbeweis hinaus. Die Behauptung, dass an die polnischen Arbeitnehmer
Urlaubsvergütung gezahlt worden sei, wird weder nach Zeit, Ort, Art und Höhe der
Zahlungen konkretisiert, noch werden etwa Lohnabrechnungen oder
Überweisungsträger vorgelegt.
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2. Haftungsverhältnis zwischen Beklagter und Kläger
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a) Zwar greift § 1a AEntG in Form einer Berufsausübungsregelung in die berufliche
Tätigkeit des Unternehmers ein. Indem der Unternehmer der Durchgriffshaftung seitens
des Klägers ausgesetzt ist, drohen ihm bei der Beauftragung eines ausländischen
Subunternehmers rechtliche und wirtschaftliche Komplikationen, so dass er entweder
eine u.U. aufwändige Vorsorge (zB. Einbehalte vom Werklohn, Stellung von
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Ausfallgarantieren, Kontrolle des vom Subunternehmers durchgeführten
Urlaubskassenverfahrens) treffen oder von der Beauftragung absehen muss. Der Eingriff
ist jedoch nach Art. 12 Abs. 1 GG gerechtfertigt. Die Haftung ist der geeignete und
erforderliche Flankenschutz, um die ordnungsgemäße Meldung und Abführung von
Urlaubskassenbeiträgen gemäß § 1 AEntG zu gewährleisten. Sie ist auch
verhältnismäßig.
b) Die Geeignetheit der Haftung folgt bereits aus den tatsächlichen und rechtlichen
Schwierigkeiten des Klägers, seine Ansprüche im Ausland verfolgen und dort
durchsetzen zu müssen. Hinzu kommt die erschwerte Feststellbarkeit, dass es sich nicht
um Schein- und Tarnunternehmen oder um flüchtige Unternehmen handelt, die, was
ihre Beitragspflichten gegenüber dem Kläger und die ihre Urlaubsvergütungspflichten
gegenüber den Arbeitnehmern anbelangt, von vornherein zahlungsunfähig oder
zahlungsunwillig sind. Damit dient § 1a AEntG dem Schutz der entsandten
Arbeitnehmer. Außerdem verhindert die Bestimmung, dass Wettbewerbsverzerrungen
dadurch eintreten, dass der Hauptunternehmer einen (ausländischen) Subunternehmer
deshalb beauftragt, weil dessen günstige Angebotskalkulation auf verbotswidrigem
Handeln, i.c. der Nichtabführung von Sozialkassenbeiträgen und Unterschreitung der
tariflichen Mindestlöhne, basiert.
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39
c) Die Haftung des Auftraggebers ist erforderlich. Die Sanktionen nach § 5 Absatz 1 Nr.
2, Absatz 2, § 6 AEntG stellen nicht sicher, dass der Kläger bzw. die entsandten
Arbeitnehmer einen am Arbeitsort Deutschland greifbaren Schuldner erhalten. Richtig
ist, dass der Gesetzgeber des AEntG auch andere Sicherungen hätte vorsehen können
(vgl. Rieble/Lessner, ZfA 02, 83, 87 f.), etwa die Beibringung von Bankbürgschaften
durch den Subunternehmer. Mit der Entscheidung, den Auftraggeber haften zu lassen,
blieb der Gesetzgeber indessen im Rahmen des ihm zustehenden weiten
Gestaltungsspielraums. Insoweit hatte er auch die mögliche Konstellation zu bedenken,
dass Subunternehmer ohne Wissen des Klägers und ohne Stellung von Sicherheiten in
Deutschland Bauleistungen erbringen. Außerdem musste er berücksichtigen, dass
Urlaubskasse und Tarifpartner die Beachtung und Überwachung des
Urlaubskassenverfahrens nicht leisten und die Erfüllung der Beitragspflichten durch den
Subunternehmer nicht sicherstellen können, zumal die Entsendung ausländischer
Arbeitnehmer nur vorübergehend und oft kurzfristig geschieht. Nach allen Erfahrungen
sind ebenfalls staatliche Kontrollen unzulänglich. Der Staat muss auch nicht unter
Einsatz von Verwaltungsmitteln die Durchsetzung vorgeschriebener arbeitsrechtlicher
Mindeststandards zu seiner Sache machen.
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d) Die Regelung des § 1a AEntG ist verhältnismäßig. Sie knüpft an die
Vertragsbeziehung des Auftraggebers zum ausländischen Subunternehmer und die
diese Beziehung tragenden wirtschaftlichen Interessen an. Der Auftraggeber hat es bei
der Auswahl des Subunternehmers in der Hand, einen seriösen Vertragspartner zu
suchen. Er kann sich durch vertraglich vereinbarte Kontrollrechte, Bankbürgschaften,
Einbehalte vom Werklohn usw. vor finanziellen Einbußen aus eine Inanspruchnahme
seitens des Klägers absichern. Dabei ist im Hinblick auf das Beitragsvolumen die
Haftung gegenüber der Urlaubskasse von eher geringer Eingriffstiefe.
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Es ist nicht zu übersehen, dass der Auftraggeber wegen des mit einer Risikovorsorge
verbundenen Aufwandes davon abgehalten werden kann, einen ausländischen
42
Subunternehmer zu beauftragen. Dies ist hinzunehmen, denn der Staat muss die
Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen in Deutschland nicht so gestalten, dass dem
Auftraggeber die Beauftragung eines ausländischen Subunternehmers mit der
Erbringung von Bauleistungen stets möglich und für ihn mit keinen Haftungsrisiken
verbunden ist.
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Es mag in selten Ausnahmefällen nicht auszuschließen sein, dass, obwohl der
Auftraggeber alles ihm Mögliche und Zumutbare unter Berücksichtigung aller
vorhersehbaren Risiken getan hat, seine Haftung sich im Einzelfall ausweiten kann, weil
etwa der Subunternehmer gegen Absprache und ohne Wissen des Auftraggebers mehr
(zuviel) ArbN beschäftigt hat. Ob insoweit die Haftung auf einen dem Auftraggeber noch
zurechenbaren Umfang zu begrenzen ist, kann dahin stehen. Im Streitfall sind keine
Anhaltspunkte dafür ersichtlich oder vorgetragen, dass die Beklagte von ihrer Haftung
für die ausstehenden Urlaubskassenbeiträge überrascht wurde und ohne Verschulden
annehmen durfte, nicht oder jedenfalls nicht in der streitgegenständlichen Höhe für
Beitragsschulden der Streitverkündeten in Anspruch genommen zu werden.
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e) Nach § 1a Satz 1 AEntG haftet die Beklagte für die Beitragsschulden der
Streitverkündeten wie ein Bürge, der auf die Einrede der Vorausklage verzichtet hat. Die
Höhe der Beitragsschulden (€ 49.917,37 = DM 107.333,34) ergibt sich aus den
Meldungen der Streitverkündeten. Sie ist zwischen den Parteien ebenso unstreitig wie
die Tatsache, dass die Streitverkündete an den Kläger hierauf lediglich einen Teilbetrag
(€ 4.961,30 = DM 9.703,46) zahlte und weitere Zahlungen verweigerte. Damit hat die
Beklagte gegenüber dem Kläger für die Erfüllung der Verbindlichkeiten der
Streitverkündeten einzustehen (§ 765 BGB, § 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB).
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Die Geldschuld ist gemäß § 291, § 288 Abs. 1 BGB ab (Rechtshängigkeit) mit
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5 % p.a. über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
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III. Die Kosten der erfolglos gebliebenen Berufung sind nach § 97 Abs. 1 ZPO der
Beklagten aufzuerlegen. Dies gilt gemäß § 101 ZPO mit der Maßgabe, dass die
Streitverkündete die durch ihre Nebenintervention verursachten Kosten selbst zu tragen
hat.
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Die Kammer hat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung i. S. v. § 72 Abs. 2 Nr. 1
ArbGG beigemessen und daher für die Beklagte und mit der Maßgabe nach § 67 ZPO
für Streitverkündete die Revision zugelassen.
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RECHTSMITTELBELEHRUNG:
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Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten und der Streitverkündeten
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REVISION
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eingelegt werden.
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Für die Klägerin ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Revision muss
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innerhalb einer Notfrist von einem Monat
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nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
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Bundesarbeitsgericht,
58
Hugo-Preuß-Platz 1,
59
99084 Erfurt,
60
Fax: (0361) 2636 - 2000
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eingelegt werden.
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Die Revision ist gleichzeitig oder
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innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils
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schriftlich zu begründen.
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Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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Dr. Plüm Faber Wiertz
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