Urteil des LAG Düsseldorf vom 09.09.2003

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Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 15 Ta 395/03
Datum:
09.09.2003
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
15 Ta 395/03
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Krefeld, 2 Ca 563/03
Schlagworte:
nachträgliche Klagezulassung
Normen:
§ 5 KSchG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Zu den Voraussetzungen, unter denen Verhaltensweisen oder
Äußerungen des Arbeitgebers einen Grund zur nachträglichen
Zulassung einer Kündigungsschutzklage abgeben können, von deren
rechtzeitiger Erhebung der Arbeitnehmer willentlich abgesehen hatte.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des
Arbeitsgerichts Krefeld vom 15.07.2003 - 2 Ca 563/03 - wird
zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kläger.
Streitwert für das Beschwerdeverfahren: 7.500,-- ​.
G R Ü N D E :
1
I.
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Von der Darstellung des Sachverhaltes wird in entsprechender Anwendung des § 69
Abs. 2 ArbGG abgesehen.
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II.
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1. Die sofortige Beschwerde des Klägers ist statthaft und zulässig.
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2. In der Sache hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu
Recht und mit sorgfältigen und zutreffenden Erwägungen den Antrag auf nachträgliche
Zulassung der verspätet erhobenen Kündigungsschutzklage vom 20.02.2003
zurückgewiesen. Das Beschwerdegericht folgt der Begründung des Arbeitsgerichts und
sieht auch insoweit von einer Darstellung der Gründe gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG ab.
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a) In Literatur und Rechtsprechung ist streitig, inwieweit ein bestimmtes Verhalten des
Arbeitgebers einen Grund zur nachträglichen Zulassung abgeben kann (vgl. dazu etwa
KR-Friedrich, KSchG, Rdnr. 40 zu § 5 m. z. w. N.; LAG Nürnberg vom 15.01.1998,
LAGE, § 5 KSchG Nr. 91; LAG Köln vom 24.05.1994, NZA 1995, Seite 127 f.; LAG Köln
vom 26.11.1999, LAGE, § 5 KSchG Nr. 97).
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Nach Auffassung der Beschwerdekammer ist in all denjenigen Fällen, in denen
Erklärungen oder ein Verhalten des Arbeitgebers eine Rolle spielen und ein
Arbeitnehmer es wissentlich unterlassen hat, rechtzeitig Kündigungsschutzklage zu
erheben, zunächst danach zu unterscheiden, aus welchen Gründen auf eine
Klageerhebung verzichtet wurde. Nicht alle sich danach ergebenden Fallgruppen sind
nämlich gleich zu behandeln.
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aa) Erste Fallgruppe:
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Der Arbeitnehmer verzichtet auf Erhebung einer Klage, weil er diese für aussichtslos
hält. Aufgrund bestimmter Umstände oder Äußerungen des Arbeitgebers bleibt ihm
jedoch noch die Hoffnung, dass sich die Sachlage oder die Meinung des Arbeitgebers
noch werde ändern können und die sich aus einer (berechtigten) Kündigung ergebende
Konsequenz der Vertragsauflösung dann doch nicht eintreten werde. In einem solchen
Fall fehlt es bereits an einem auf die Willensbildung des Arbeitnehmers - das Absehen
von einer Kündigungsschutzklage Einfluss nehmenden Tatbestand von Seiten des
Arbeitgebers. Die dem Arbeitnehmer vielleicht noch verbleibende Hoffnung auf einen
anderweitig sich doch noch ergebenden Arbeitsplatzerhalt hat mit seiner Entscheidung,
eine von ihm für sinnlos gehaltene Klage zu unterlassen, nämlich nichts zu tun. Eine
nachträgliche Zulassung käme in einem derartigen Fall allenfalls dann in Betracht,
wenn auf seine Beurteilung der Prozesschancen bzw. der Berechtigung der Kündigung
arbeitgeberseits unredlicherweise Einfluss genommen worden wäre.
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bb) Zweite Fallgruppe:
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Der Arbeitnehmer verzichtet auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage, weil er
eine solche für überflüssig hält. Bei dieser Sachverhaltskonstellation kommt es für eine
nachträgliche Klagezulassung darauf an, ob der Arbeitnehmer eine
Kündigungsschutzklage berechtigterweise für überflüssig halten durfte, was z. B. dann
der Fall ist, wenn der Arbeitgeber von seinem Entschluss zur Vertragsauflösung selbst
bereits wieder abgerückt war bzw. solches zumindest dem Arbeitnehmer signalisiert
hatte, und es nur noch an der formalen Umsetzung bzw. Rücknahme der Kündigung
fehlte.
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cc) Dritte Fallgruppe:
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Der Arbeitnehmer verzichtet auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage wegen
eines ihm dafür ausdrücklich oder indirekt gebotenen Äquivalentes, dessen häufigster
Fall das Angebot einer Abfindung ist. Dabei ist es nach Auffassung der
Beschwerdekammer das eigene, über § 5 KSchG später nicht mehr zu heilende Risiko
des Arbeitnehmers, wenn er die Abfindung tatsächlich dann doch nicht erhält, sei es,
dass die diesbezüglichen Vergleichsgespräche gescheitert sind (von dem seltenen
Ausnahmefall einmal abgesehen, dass der Arbeitnehmer aufgrund arbeitgeberseits
geschürter Erwartungen berechtigterweise von gesicherten Erfolgsaussichten für die
Verhandlungen ausgehen durfte), sei es, dass dem Arbeitnehmer trotz einer
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diesbezüglich erfolgten Einigung die Abfindung dann später doch noch aus
irgendwelchen Gründen streitig gemacht und nicht gezahlt wird. Hier bleibt dem
Arbeitnehmer nur die Möglichkeit der auf Abfindungszahlung gerichteten
Leistungsklage.
Zu dieser Fallgruppe gehören aber auch diejenigen Fälle, bei denen der Arbeitgeber
dem Arbeitnehmer eine verbindliche Zusage (im Sinne einer rechtsgeschäftlichen
Willenserklärung) auf Wiedereinstellung (sei es nun mit oder ohne Bedingung) gemacht
hat. Auch in einem solchen Fall kommt nur eine darauf gestützte Leistungsklage auf
Wiedereinstellung oder Weiterbeschäftigung in Betracht, wenn der Arbeitnehmer wegen
einer solchen Zusage auf die Erhebung der Kündigungsschutzklage verzichtet hatte und
der Arbeitgeber von dieser (unzulässigerweise) wieder abrücken will.
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dd) Vierte Fallgruppe:
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Der Arbeitnehmer verzichtet aus Opportunitätsgründen auf die Erhebung einer
Kündigungsschutzklage. Eine solche Sachverhaltskonstellation ist z. B. dann gegeben,
wenn der Arbeitnehmer die Erhebung einer Kündigungsschutzklage zwar nicht für
aussichtslos hält, es aber (z. B. aus Gründen des Betriebsklimas oder aus sonstigen
persönlichen Motiven) nicht für sinnvoll ansieht, mit seinem Arbeitgeber einen Prozess
zu führen, in der durch den Arbeitgeber geschürten Hoffnung, auch ohne gerichtliche
Auseinandersetzung seinen Arbeitsplatz letztlich doch erhalten zu können. Bei einer
solchen Sachverhaltskonstellation kommt es nach Auffassung der Beschwerdekammer
für die Frage der nachträglichen Klagezulassung nach § 5 KSchG darauf an, welcher Art
die Hoffnung war, die der Arbeitnehmer sich hat machen dürfen:
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(1) Hatte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer lediglich eine nochmalige (Über-) Prüfung
der Entscheidung in Aussicht gestellt, ohne sich in dieser Situation für die Zukunft
bereits in irgendeiner Richtung binden zu wollen, dann handelt der Arbeitnehmer auf
eigenes Risiko, wenn er sich mit einer derart vagen Hoffnung begnügt und nur
derentwegen auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtet. Auch der
Gesichtspunkt, bei Erhebung einer Kündigungsschutzklage sich gegebenenfalls der
Möglichkeit einer freiwilligen nochmaligen wohlwollenden (Über-) Prüfung der
Vertragsauflösung durch den Arbeitgeber zu begeben, ändert an dieser Sachlache
nichts. Auch insoweit bleibt der Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage
das Ergebnis des eigenen Abwägungsprozesses des Arbeitnehmers mit dem von ihm
insoweit selbst eingegangenen Risiko, dass sich seine prozessuale Zurückhaltung
gegebenenfalls dann doch für ihn nicht auszahlen wird.
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(2) Hat der Arbeitgeber sich demgegenüber in einer Weise geäußert, dass darin zwar
noch keine rechtsverbindliche Zusage im Sinne der oben genannten dritten Fallgruppe
zu sehen ist, die (tatsächlichen) Erklärungen aber dergestalt waren, dass der
Arbeitnehmer sich darauf in einer berechtigten Sicherheit wiegen durfte, (zumindest
unter bestimmten Umständen) komme die Kündigung dann doch nicht zum Tragen, und
rückt der Arbeitgeber (trotz Eintritts dieser Umstände) dann gleichwohl von seiner
Zusicherung ab, ist dieser Umstand dann gegebenenfalls im Rahmen des Verfahrens
nach § 5 KSchG zu Gunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen.
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b) Bei der hier vorliegenden Sachverhaltskonstellation ist die unter II. 2. a) dd) genannte
Fallgruppe 4 in ihrer 1. Variante (1) gegeben.
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Zu Recht verweist das Arbeitsgericht darauf, dass nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme nicht davon ausgegangen werden kann, dass dem Kläger seitens der
Beklagten eine entsprechende Zusicherung gemacht worden sei, aufgrund derer er
darauf habe vertrauen dürfen, dass die Kündigung tatsächlich zurückgenommen werde,
und die bloße Tatsache, dass dem Kläger angekündigt worden sei, noch einmal über
die Kündigung nachzudenken, insoweit nicht genüge. Mehr als eine solche Bereitschaft
war dem Kläger nach der Aussage des Zeugen St. nicht signalisiert worden. Danach
waren noch nicht einmal die Kriterien genannt worden, unter denen man sich den
Verlauf der Kündigungsfrist hatte angucken wollen, geschweige denn, dass unter
bestimmten Voraussetzungen ein bestimmtes Ergebnis nach nochmaliger Überprüfung
zugesagt worden wäre.
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Nach alledem konnte der Beschwerde kein Erfolg beschieden sein.
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III.
23
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Festsetzung des Beschwerdewertes
auf § 12 Abs. 7 ArbGG (Hauptsachestreitwert).
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Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben.
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Dr. Stoltenberg
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