Urteil des LAG Düsseldorf vom 01.08.2007

LArbG Düsseldorf: unterrichtung, verwirkung, photo, treu und glauben, betriebsübergang, akte, arbeitsgericht, beendigung, ex tunc, erfüllung

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 7 Sa 361/07
Datum:
01.08.2007
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
7 Sa 361/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Solingen, 5 Ca 2692/05 lev
Schlagworte:
.
Normen:
.
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Fordert der Arbeitnehmer den Betriebsveräußerer im Falle einer
fehlerhaften Unterrichtung zu weiteren Informationen hinsichtlich des
Betriebsübergangs auf und behält er sich den Widerspruch ausdrücklich
vor, so ist darin ein vertrauenszerstörender Umstand zu sehen mit der
Folge, dass der Betriebsveräußerer, der das Schreiben des
Arbeitnehmers unbeantwortet lässt, sich nicht mehr auf eine Verwirkung
des Widerspruchsrechts berufen kann. Eine Verwirkung gilt
grundsätzlich dann als ausgeschlossen, wenn der Berechtigte in irgend
einer Weise zu erkennen gibt, dass er möglicherweise auf seinem Recht
besteht. 2. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Veräußerer bereits
von einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern eine
Widerspruchserklärung wegen fehlerhafter Unterrichtung erhalten hat
und von diesen gerichtlich auf das Bestehen von Arbeitsverhältnissen in
Anspruch genommen worden ist. Er muss in diesem Fall damit rechnen,
dass auch andere Arbeitnehmer - insbesondere die, die sich den
Widerspruch vorbehalten haben - nach weiterer Aufklärung der Sach-
und Rechtlage von ihrem Widerspruchsrecht noch Gebrauch machen
werden. 3. Das Widerspruchsrecht kann bei nicht laufender
Widerspruchsfrist grundsätzlich auch noch nach rechtlicher Beendigung
des Arbeitsverhältnisses ausgeübt werden.
Tenor:
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Solingen vom 30.01.2007 - 5 Ca 2692/05 lev - wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu
tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Mit seiner am 27.12.2005 beim Arbeitsgericht Solingen eingegangenen Klage begehrt
der Kläger gegenüber der Beklagten als Betriebsveräußerin die Feststellung, dass ihm
gegen die Beklagte ein Anspruch auf Altersversorgung aus der Zusage im
Anstellungsvertrag und aufgrund einer weiteren Vereinbarung aus dem Jahre 2003
zusteht. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger dem Übergang seines
Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber eines Betriebsteils der Beklagten wirksam
widersprochen hat.
2
Der am 22.03.1950 geborene, verheiratete Kläger war seit dem 01.12.1977 bei der
Beklagten zuletzt als Controller in der Abteilung internationale Finanzen und Controlling
tätig.
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Ausweislich Ziffer 10 des Anstellungsvertrages vom 23.12.1981/18.01.1982 (Bl. 15 - 18
der Akte) ist dem Kläger ein Anspruch auf Alters-, Invaliden- und
Hinterbliebenenversorgung nach Maßgabe der Gesamtversorgungsordnung der
Beklagten zugesagt worden.
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Der Kläger war dem Geschäftsbereich Consumer Imaging zugeordnet, der
insbesondere die Geschäftsfelder Film, Finishing und Laborgeräte umfasste. Da dieser
Geschäftsbereich seit mehreren Jahren einen massiven Umsatzrückgang zu
verzeichnen hatte, hat die Beklagte zur Kostenreduzierung Personalabbaumaßnahmen
durchgeführt. Dazu gehörte unter anderem auch der Abschluss von
Vorruhestandsverträgen oder Altersteilzeitvereinbarungen, in denen den jeweiligen
Arbeitnehmern von der Beklagten zum Teil erhebliche finanzielle Leistungen zugesagt
wurden.
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Mit Schreiben vom 29.11.2002 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers
zum 30.06.2003 und aufgrund weiterer vorsorglicher betriebsbedingter Kündigung vom
29.08.2003 zum 31.03.2004.
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In einem außergerichtlichen Vergleich vom 02.12.2003 (Bl. 21 - 22 der Akte) einigten die
Parteien sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2005.
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Unter Ziffer 7. dieses Vergleichs vereinbarten die Parteien, dass der Kläger zum
Ausgleich für die Rentenzuwächse in der Pensionskasse, die ihm in der Zeit zwischen
seinem Ausscheiden und der Vollendung des 60. Lebensjahres entgehen, eine
einzelvertragliche Zusage ab Alter 60 in Höhe von 299,10 € brutto monatlich erhält.
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Mit Schreiben vom 19.03.2004 (Bl. 35 der Akte) wurde der Kläger mit Wirkung ab dem
01.04.2004 bis zum 31.03.2005 widerruflich von der Arbeitsleistung freigestellt.
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In Erfüllung der unter Ziffer 7. des Vergleichs getroffenen Vereinbarung übersandt die
Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 09.07.2004 eine einzelvertragliche
Pensionszusage (Bl. 23 - 26 der Akte) und verzichtete mit Schreiben vom 26.10.2004
auf die Einhaltung der Wartezeiten sowie auf die Quotierung der Zahlungen gemäß
Betriebsrentengesetz aus der einzelvertraglichen Pensionszusage vom 09.07.2004.
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Unter dem Datum vom 14.10.2004 schloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden
Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste ab.
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Ende des Jahres 2004 wurde der Geschäftsbereich CI im Wege eines
Betriebsübergangs ausgegliedert und mit Wirkung zum 01.11.2004 auf die neu
gegründete B. Photo GmbH übertragen.
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Für die von dem Teilbetriebsübergang betroffenen Belegschaftsmitglieder fanden
Informationsveranstaltungen statt. Unter anderem hat die Beklagte eine solche
Informationsveranstaltung am 19.08.2004 abgehalten, bei der der spätere
Geschäftsführer der B. Photo GmbH F. S., zum damaligen Zeitpunkt Mitglied des
Vorstandes der Beklagten, Informationen zur wirtschaftlichen Situation der B. Photo
GmbH erteilte. Außerdem wurden die Arbeitnehmer in Mitarbeiterzeitschriften über den
bevorstehenden Teilbetriebsübergang unterrichtet. Im Monat September 2004 befanden
sich in den betriebsinternen Magazinen die Zahlenangaben für die Erwerberin B. Photo
GmbH von 300 Millionen Eigenkapitalsumme sowie 70 bzw. 72 Millionen Euro
Barmittel.
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Sämtliche dem Geschäftsbereich CI zugeordneten Arbeitnehmer der Beklagten haben
im Oktober 2004 im Zusammenhang mit der Übertragung des Geschäftsbereichs CI eine
im wesentlichen gleich lautende schriftliche Information erhalten. Die
Informationsschreiben unterscheiden sich allerdings abhängig von der jeweiligen
arbeitsvertraglichen Situation der betroffenen Mitarbeiter in Einzelfragen voneinander.
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Mit Schreiben vom 22.10.2004 wurde auch der Kläger über die geplante Übertragung
des Geschäftsbereichs CI informiert. Nach Hinweis auf die Informationspflicht gemäß §
613 a BGB und Wiedergabe des Textes von § 613 a Abs.5 und 6 BGB teilt die Beklagte
mit, es werde hiermit noch einmal schriftlich die vorgesehene und mit dem
Verhandlungsgremium des Gesamtbetriebsrates und der örtlichen Betriebsräte
abgestimmte Information gegeben, auch wenn er
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- der Kläger - aus der bisherigen Kommunikation bereits über die Einzelheiten informiert
sei.
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Unter Ziffer 2. wird ausgeführt, die B. Photo GmbH übernehme das Vermögen von CI.
Hierzu gehörten insbesondere Produktionsanlagen, Markenzeichen, Patente und
technologisches Know-how, Vorräte und Forderungen. Das Unternehmen werde mit
einem guten Eigenkapital ausgestattet und verfüge über hohe Liquidität, um unerwartet
auftretende Risiken bewältigen, in neue Geschäfte investieren und Marktchancen
besser nutzen zu können.
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Unter Ziffer 4. dieses Schreibens hat die Beklagte den geplanten Personalabbau
dargelegt.
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Unter Ziffer 5. hat sie den Kläger darauf hingewiesen, dass sein Arbeitsverhältnis nicht
von dem geplanten Personalabbau gemäß Ziffer 4, sondern von einem früheren
Personalabbau betroffen sei. Eine entsprechende Kündigung des Arbeitsverhältnisses
liege ihm bereits vor. Zur Milderung wirtschaftlicher Nachteile stünden ihm die im
gerichtlichen Vergleich vorgesehenen Leistungen zu. Sein Arbeitsverhältnis gehe in
gekündigtem Zustand über.
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Nach weiteren Darlegungen zum Widerspruchsrecht wurde der Kläger darauf
hingewiesen, dass sein Arbeitsverhältnis im Falle eines fristgerechten Widerspruchs bei
der Beklagten bleibe und nicht auf die B. Photo GmbH übergehe. Ihm wurde empfohlen,
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von einem Widerspruch abzusehen.
Wegen des Inhalts des Informationsschreibens und dessen Formulierung im Einzelnen
wird auf Bl. 36 - 39 der Akte Bezug genommen.
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Der Kläger schied entsprechend der mit der Beklagten getroffenen Vereinbarung mit
Ablauf des 31.03.2005 aus dem Arbeitsverhältnis aus.
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Am 20.05.2005 stellte die B. Photo GmbH einen Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahren.
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Nachdem der Pensionssicherungsverein dem Kläger auf dessen Anfrage hin mitgeteilt
hatte, dass die einzelvertragliche Pensionszusage nicht insolvenzgeschützt sei, wies
der Kläger die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 21.07.2005 (Bl. 41 - 44 der
Akte) darauf hin, dass die Informationen im Schreiben vom 22.10.2004 offensichtlich
unzutreffend gewesen seien und forderte sie auf, nunmehr eine vollständige und
wahrheitsgemäße Information über die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen
des Übergangs zu erteilen. Er erklärte, er werde nach entsprechender
wahrheitsgemäßer Information entscheiden, ob er dem Übergang widerspreche oder
nicht.
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Die Beklagte bestätigte den Eingang dieses Schreibens, nahm zur Sache jedoch trotz
zweier Mahnungen der Prozessbevollmächtigen des Klägers keine Stellung. Sie hat
lediglich telefonisch am 01.08.2005 darauf hinweisen lassen, dass die seitens des
Klägers bis zum 08.08.2005 gesetzte Frist wegen Urlaub des zuständigen
Sachbearbeiters nicht eingehalten werden könne.
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Am 01.08.2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. Photo GmbH
eröffnet.
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Mit Schreiben vom 02.11.2005 (Bl. 47 der Akte) widersprach der Kläger unter
Bezugnahme auf das anwaltliche Schreiben vom 21.07.2005 dem Übergang seines
Arbeitsverhältnisses auf die B. Photo GmbH.
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Der Kläger hat die Ansicht vertreten, er habe im Novemer 2005 dem Betriebsübergang
noch widersprechen können, da er bis dahin nicht ausreichend und korrekt über den
Betriebsübergang informiert worden sei. Er hat unter Bezugnahme auf die auf der
Betriebsversammlung und in den betriebsinternen Magazinen dargelegten
Informationen behauptet, über die wirtschaftliche Situation der Erwerberin sei bewußt
falsch informiert worden. Dies ergebe sich schon daraus, dass die B. Photo GmbH
bereits nach weniger als sieben Monaten einen Insolvenzantrag habe stellen müssen.
Entgegen den erteilten Informationen sei die B. Photo GmbH wirtschaftlich so schlecht
ausgestattet gewesen, dass ein Überleben am Markt tatsächlich nicht möglich gewesen
sei. Es sei vor allem über die finanzielle Ausstattung und die Übertragung der
Markenrechte bewusst falsch informiert worden. Die B. Photo GmbH habe zu keiner Zeit
über Barmittel in Höhe von rund 70 Millionen Euro verfügt und auch keine Kreditlinie in
Höhe von 50 Millionen Euro gehabt. Über die Markenrechte könne sie nicht verfügen,
sondern habe diesbezüglich nur ein Nutzungsrecht. Außerdem habe die Beklagte in
dem Informationsschreiben entgegen ihrer Pflicht nicht auf die Verteilung von Schuld
und Haftung zwischen dem bisherigen und dem neuen Arbeitgeber hingewiesen. Da es
für die Ausübung des Widerspruchsrechtes keine zeitliche Höchstgrenze gebe, sein
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Recht nicht verwirkt sei und ihm ein Widerspruchsrecht auch nach rechtlicher
Beendigung des Arbeitsverhältnisses zustünde, sei sein Arbeitsverhältnis nicht auf die
B. Photo GmbH übergegangen, sondern bestehe zur Beklagten fort. Diese schulde die
ordnungsgemäße Abwicklung der mit ihm getroffenen Vereinbarungen.
Vorsorglich hat der Kläger seinen Anspruch auch auf §§ 280 ff BGB gestützt.
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Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, dass ihm gegen die Beklagte ein Anspruch auf Altersversorgung aus
der Zusage des Anstellungsvertrages vom 23.12.1981/18.01.1982, Ziffer 10 und
nach Ziffer 7. der Vereinbarung vom 02.12.2003 zusteht.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, ein Arbeitsverhältnis zum Kläger bestehe
nicht mehr, da mangels eines wirksamen Widerspruchs des Klägers die B. Photo GmbH
Arbeitgeberin des Klägers geworden sei. Da die mit Schreiben vom 22.10.2004 erteilten
Informationen ausreichend und korrekt gewesen seien, sei die gesetzliche einmonatige
Widerspruchsfrist bei Einlegen des Widerspruchs durch den Kläger bereits lange
verstrichen gewesen. Für die Frage einer richtigen und ausreichenden Information
bezüglich des Betriebsübergangs sei allein der Inhalt des Schreibens vom 22.10.2004
maßgeblich gewesen. Dies ergebe sich schon aus dem Textformerfordernis in § 613 a
Abs.5 BGB. Mitteilungen auf Betriebsversammlungen oder in betriebsinternen
Magazinen genügten nicht der Formvorschrift des § 126 b BGB. Außerdem gehe aus
dem Schreiben eindeutig hervor, dass allein dieses Schreiben der Erfüllung der
Informationspflicht diene. Eine Pflicht zur Information über die wirtschaftliche Lage eines
Erwerbers gebe es zudem nicht. Abgesehen davon, dass auch die im Zusammenhang
mit dem Betriebsübergang erteilten Informationen korrekt gewesen seien, enthalte das
Schreiben vom 22.10.2004 keine konkrete Information über die wirtschaftliche Solvenz
der B. Photo GmbH, sondern beschränke sich auf eine Bewertung. Auf die Frage einer
Haftung der Beklagten gemäß § 613 a Abs.2 BGB könne es im vorliegenden Verfahren
ersichtlich nicht ankommen. Zudem sei ein Widerspruch im November 2005 auch
deshalb nicht mehr möglich gewesen, weil entsprechend § 5 Abs.3 S.2 KSchG von
einer Höchstfrist von sechs Monaten auszugehen sei. Zumindest habe der Kläger sein
Widerspruchsrecht selbst bei unterstellter Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der
Information durch seine Weiterarbeit bei der Erwerberin verwirkt. Im Hinblick auf die
lange Zeit zwischen Betriebsübergang und Widerspruch in Verbindung mit der
Weiterarbeit des Klägers bei der Erwerberin habe sie - die Beklagte - darauf vertrauen
dürfen, dass der Kläger bei der Erwerberin bleiben werde. Als weiteres
Umstandsmoment komme hinzu, dass der Kläger die Beklagte selbst zweimal
aufgefordert habe, ihn nachträglich zu unterrichten . Dabei habe der Kläger zuletzt sogar
eine Frist gesetzt, aber auch diese Frist verstreichen lassen und noch weiter zugewartet,
bis er einen Widerspruch erhoben habe. Obwohl der Kläger daher bereits im Sommer
2005 nach seiner Auffassung habe widersprechen können, habe er die Vornahme eines
Widerspruchs unterlassen. Einen gesonderten Anspruch auf Nachinformation habe der
Kläger nicht. Dem Kläger stehe auch deshalb kein Widerspruchsrecht zu, weil er bereits
zum 31.03.2005 bei der B. Photo GmbH aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sei.
Damit sei der Kläger im Zeitpunkt des Widerspruchs kein Arbeitnehmer mehr im Sinne
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des § 613 a Abs.6 BGB gewesen, so dass er keinen Widerspruch mehr habe erklären
können.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und dazu ausgeführt, der Kläger habe
dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses wirksam widersprochen. Die Tatsache, dass
das Arbeitsverhältnis vor Ausübung des Widerspruchsrechts beendet gewesen sei,
führe nicht zum Verlust des Widerspruchsrechts. Entscheidend sei, dass der Kläger zum
Zeitpunkt des Betriebsübergangs Arbeitnehmer gewesen und an dem Betriebsübergang
zunächst teilgenommen habe. Die Monatsfrist des § 613 a Abs.6 BGB, die mit Zugang
der Unterrichtung beginne, sei noch nicht in Gang gesetzt worden, da das Schreiben der
Beklagten vom 22.10.2004 den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Unterrichtung
im Sinne des § 613 a BGB nicht genüge. So enthalte das Schreiben keinerlei Hinweise
auf die in § 613 a Abs.2 BGB geregelte Haftungsverteilung zwischen dem alten und
dem neuen Betriebsinhaber. Dass auch über die Haftungsfragen unterrichtet werden
müsse, ergebe sich zwingend aus dem Zweck der Unterrichtung. Ob die Information
über die Haftungsfragen im Einzelfall für die Entscheidung über die Ausübung des
Widerspruchsrechtes eine Rolle spiele, sei ohne Bedeutung. Der Widerspruch sei nicht
verfristet. Eine absolute Zeitgrenze für den Widerspruch entsprechend § 5 Abs.3 KSchG
gebe es nicht. Das Gesetz stelle keine zeitliche Höchstgrenze auf. Eine planwidrige
Gesetzeslücke liege nicht vor. Der Kläger habe sein Widerspruchsrecht auch nicht
verwirkt. Dabei könne dahinstehen, ob das Zeitmoment der Verwirkung erfüllt sei.
Jedenfalls fehle das Umstandsmoment. Der Weiterarbeit des Klägers - zudem nur bis
zum 31.03.2005 - komme kein Erklärungswert zu. Durch die Aufforderung zur
Nachunterrichtung habe der Kläger kein Umstandsmoment gesetzt. Da er die Beklagte
letztmals mit Schreiben vom 28.09.2005 um Stellungnahme zur Vollständigkeit der
gegebenen Informationen gebeten habe, habe die Beklagte zumindest Anfang
November 2005 nicht darauf vertrauen können, dass der Kläger sein Widerspruchsrecht
nicht mehr geltend machen werde.
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Gegen das der Beklagten am 02.02.2007 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Solingen
hat die Beklagte mit einem am 08.02.2007 bei dem Landesarbeitsgericht
eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der
Berufungsbegründungsfrist bis zum 02.05.2007 mit einem am 02.05.2007 per Fax und
am 03.02.2007 im Original bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz
begründet.
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Mit der Berufung macht die Beklagte geltend, dass ein Widerspruch des Klägers nach
dem Ende seines Arbeitsverhältnisses rechtlich nicht mehr möglich, das
Informationsschreiben über den Betriebsübergang vom 22.10.2004 nicht unvollständig
und nicht fehlerhaft gewesen und der Widerspruch des Klägers vom 02.11.2005
ungeachtet dessen verspätet, jedenfalls jedoch verwirkt sei. Ein Widerspruchsrecht
scheide bereits deshalb aus, weil das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses
Voraussetzung für die Ausübung des Widerspruchsrechts gemäß § 613 a Abs. 6 BGB
sei. Dies führt die Beklagte im Einzelnen in ihrem Schriftsatz vom 02.05.2007 auf S. 6-
12 aus. Insoweit wird auf Bl. 184 - 190 der Akte Bezug genommen. Die Beklagte rügt,
die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts, eine Information über die Haftungsverteilung
gemäß § 613 a Abs.2 BGB sei ein unabdingbarer Mindestbestandteil eines
Informationsschreibens gemäß § 613 a BGB, sei rechtlich unzutreffend. Die in dem
Informationsschreiben enthaltene Aussage zur Haftungsverteilung zwischen Veräußerer
und Erwerber sei überdies ausreichend, um den Mindestanforderungen gerecht zu
werden. Für die Information über Haftungsfragen sei einerseits zwischen der Information
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über den Austausch des Vertragspartners sowie andererseits über die befristete
gesamtschuldnerische Haftung zu differenzieren. Über den Austausch des
Vertragspartners und das damit einhergehende Ende der Haftung der Beklagten sei der
Kläger in dem Informationsschreiben deutlich durch den Hinweis informiert worden,
dass sein Arbeitsverhältnis auf die B. Photo GmbH übergehen werde. Der Begriff
Übergang könne bei verständiger Würdigung nur dahingehend verstanden werden,
dass das Arbeitsverhältnis zur Beklagten beendet und mit der B. Photo GmbH fortgeführt
werde. Dieses Verständnis werde auch in weiteren Formulierungen des
Informationsschreibens verdeutlicht. So werde auf S.3 darauf hingewiesen, dass die in
der Überleitungsvereinbarung getroffenen Regelungen davon geprägt seien soweit wie
möglich Kontinuität zu wahren . Daraus ergebe sich, dass eine völlig unveränderte
Kontinuität unter Beibehaltung des bisherigen Vertragspartners gerade nicht eintrete.
Das Arbeitsgericht verkenne, dass ein zusätzlicher Hinweis auf die Haftungsregelung in
§ 613 a Abs.2 BGB nicht erforderlich gewesen sei. Die zusätzliche
gesamtschuldnerische Haftung für die Dauer eines Jahres sei eine für den Arbeitnehmer
gegenüber der Normalsituation günstigere gesetzliche Regelung. Für einen
Arbeitnehmer, der sich bereits entschieden habe, dem Übergang seines
Arbeitsverhältnisses nicht zu widersprechen, könne ein fehlender Hinweis auf die
gesamtschuldnerische Nachhaftung keine Bedeutung haben. Denn wenn ihm durch
Hinweis auf die gesamtschuldnerische Nachhaftung die Situation noch günstiger hätte
dargestellt werden können, hätte ihn dies sicherlich nicht dazu veranlasst, deshalb dem
Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu widersprechen.
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Das Arbeitsgericht habe auch unberücksichtigt gelassen, dass das
Informationsschreiben in enger Absprache mit den Arbeitnehmervertretungen verfasst
worden sei.
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Die Beklagte hält ihre Auffassung aufrecht, dass keine Verpflichtung zur Information
über Details der finanziellen Ausstattung der Erwerberin bestanden habe.
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Der vom Kläger erhobene Widerspruch sei jedenfalls verspätet erfolgt. Ein grenzenloses
Widerspruchsrecht widerspräche den Grundsätzen von Treu und Glauben und auch
dem Regelungszweck des Gesetzes. Zudem könnten die beteiligten Unternehmen
andernfalls auf Dauer keinerlei Rechtssicherheit erhalten, da ein Arbeitnehmer das
Widerspruchsrecht noch nach Jahren mit der Begründung ausüben könnte, die
Informationen über den Betriebsübergang seien unzulänglich gewesen. In der Literatur
werde deshalb zutreffend vertreten, dass in analoger Anwendung von § 5 Abs.3 S.2
KSchG eine Höchstfrist von sechs Monaten ab Betriebsübergang für die Erklärung des
Widerspruchs gelten müsse. Wie sich aus den Gesetzgebungsunterlagen ergebe, sei
eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Änderungsvorschlag, in das Gesetz eine
sechsmonatige Ausschlussfrist aufzunehmen, nicht erfolgt. Es dränge sich gerade zu
der Eindruck auf, die Vorschläge der Opposition seien deshalb abgelehnt worden, weil
sie von der Opposition stammten und nicht, weil sie inhaltlich diskutiert worden wären.
41
Der Widerspruch des Klägers sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts
jedenfalls verwirkt. Da gerade die Frage nach dem Bestand des Arbeitsverhältnisses
besonders eilig klärungsbedürftig sei, seien an das Zeitmoment keine hohen
Anforderungen zu stellen. Für das Zeitmoment sei an den Zugang des Schreibens vom
22.10.2004 beim Kläger anzuknüpfen. Zu diesem Zeitpunkt sei für ihn ersichtlich
gewesen, dass eine dezidierte Aussage über die befristete gesamtschuldnerische
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Haftung in dem Informationsschreiben nicht enthalten gewesen sei. Danach sei von
einem Zeitraum von mehr als zwölf Monaten auszugehen, der für die Erfüllung des
Zeitmoments ausreiche. Für das Umstandsmoment sei es ausreichend, dass der Kläger
die B. Photo GmbH im Rahmen der Abwicklung seines Arbeitsverhältnisses und auch
nach dessen Beendigung bei der Abwicklung der Pensionierungsvereinbarung als
seinen Arbeitgeber
akzeptiert habe.
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Die Beklagte beantragt,
44
das Urteil des Arbeitsgerichts Solingen vom 30.01.2007 - 5 Ca 2692/05 lev -
abzuändern und die Klage abzuweisen.
45
Der Kläger beantragt
46
die Berufung zurückzuweisen.
47
Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und vertritt im wesentlichen weiterhin
den Standpunkt, dass das Informationsschreiben bereits deshalb fehlerhaft sei, weil ein
Hinweis auf die Haftungsverteilung zwischen Veräußerer und Betriebserwerber fehle.
Der bloße Hinweis auf den Austausch eines Vertragspartners reiche insoweit nicht aus.
Gerade im Fall des Klägers seien Haftungsfragen von besonderem Belang. Selbst bei
einer standarisierten Information hätte die Beklagte so informieren müssen, dass dem
Kläger die Haftungsbesonderheiten deutlich geworden wären. Abgesehen davon fehle
in dem Unterrichtungsschreiben jegliche Information zu § 613 a Abs.4 BGB.
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Hinsichtlich der Arbeitnehmereigenschaft komme es allein auf den Zeitpunkt des
Betriebsübergangs an. Dies führt der Kläger auf S. 2 -8 seines Schriftsatzes vom
20.06.2007 im Einzelnen aus. Insoweit wird auf Bl. 254 - 261 der Akte Bezug
genommen.
49
Das Widerspruchsrecht des Klägers sei weder verfristet noch verwirkt. Im Falle einer
fehlerhaften Unterrichtung könne das Zeitmoment frühestens ab Kenntnis der
Unrichtigkeit der erteilten Unterrichtung beginnen. Zweifel hinsichtlich der Unrichtigkeit
der Unterrichtung hätten dem Kläger frühestens ab Stellung des Insolvenzantrages
durch die B. Photo GmbH kommen können. Selbst in diesem Fall liege der Widerspruch
des Klägers noch innerhalb von sechs Monaten. Jedenfalls sei kein Umstandsmoment
gegeben. Ihm - dem Kläger - können nicht zum Nachteil gereichen, dass er seine
Informationsansprüche mehrfach gegenüber der Beklagten geltend gemacht habe. Ihm
könne auch nicht entgegen gehalten werden, dass er sich an Dritte gewandt habe, die
nun einmal als Abwicklungsstelle für Ansprüche gegenüber der Beklagten tätig
gewesen seien.
50
Wegen des weiteren Berufungsvorbringens der Parteien wird auf ihre in zweiter Instanz
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug
genommen.
51
Entscheidungsgründe:
52
I.
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Die statthafte (§64 Abs.1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes
zulässige (§64 Abs. 2 ArbGG), form- und fristgerecht eingelegte und begründete
Berufung (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO) ist
zulässig.
54
II.
55
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zwar ist der Betriebsteil, in dem der Kläger
beschäftigt war, gemäß § 613 a Abs.1 BGB auf die B. Photo GmbH übergegangen. Der
Kläger hat dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses jedoch rechtzeitig und wirksam
gemäß § 613 a Abs.6 BGB widersprochen, so dass aufgrund der Rückwirkung des
Widerspruchs das Arbeitsverhältnis bis zum 31.03.2005 zwischen den Parteien
fortbestanden hat mit der Folge, dass die Beklagte die mit dem Kläger für die Zeit nach
der Beendigung des Arbeitsverhältnisses getroffenen Vereinbarungen zu erfüllen hat.
Der Widerspruch des Klägers mit Schreiben vom 02.11.2005 war noch rechtzeitig, da
die Beklagte den Kläger über den Betriebsteilübergang nicht ordnungsgemäß im Sinne
des § 613 a Abs.5 BGB unterrichtet hat mit der Folge, dass die einmonatige
Widerspruchsfrist gemäß § 613 a Abs.6 BGB nicht in Lauf gesetzt worden ist. Eine
Verwirkung des Widerspruchsrechtes kann nicht festgestellt werden.
56
1.
57
Die auf Feststellung gerichtete Klage ist gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 256
58
Abs. 1 ZPO zulässig. Das Arbeitsgericht hat zu Recht das für eine Feststellungsklage
gemäß § 256 ZPO erforderliche Rechtsschutzinteresse des Klägers bejaht. Insoweit
wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen.
59
2.
60
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat dem Übergang seines
Arbeitsverhältnisses form- und fristgerecht widersprochen. Zu Recht hat das
Arbeitsgericht festgestellt, dass die Monatsfrist des § 613 a Abs.6 BGB wegen
fehlerhafter Unterrichtung der Beklagten über den Teilbetriebsübergang noch nicht
verstrichen war.
61
Durch das Gesetz zur Änderung des Seemannsgesetzes und anderer Gesetze vom
23.März 2002 (BGBl. I S.1163) wurde § 613 a BGB mit Wirkung ab 1.April 2002 um die
Absätze 5 und 6 ergänzt. § 613 a Abs.5 BGB bestimmt, dass der bisherige Arbeitgeber
oder der neue Inhaber die von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer vor
dem Übergang in Textform über den (geplanten) Zeitpunkt des Übergangs, den Grund
für den Übergang, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs
für die Arbeitnehmer und die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen
Maßnahmen zu unterrichten hat. Gemäß § 613 a Abs.6 BGB kann der Arbeitnehmer
dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der
Unterrichtung nach Abs.5 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber
dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden. Rechtsfolge der
unterbliebenen Unterrichtung nach § 613 a Abs.5 BGB ist, dass die Widerspruchsfrist
gemäß Abs.6 nicht zu laufen beginnt. Nach allgemeiner Ansicht, der sich die
Berufungskammer anschließt, gilt das auch für die unvollständige Unterrichtung (vgl.
62
BAG, Urteil vom 24.05.2005, 8 AZR 398/04 = NZA 2005, 1978 m.w.N; BAG, Urteil vom
13.07.2006, 8 AZR 305/05).
Die Unterrichtung soll dem Arbeitnehmer eine ausreichende Wissensgrundlage für die
Ausübung oder Nichtausübung seines Widerspruchsrechtes geben (vgl. BT-Drucksache
14/7760 S.19). Auf der Grundlage der Information soll der Arbeitnehmer die Folgen des
Betriebsübergangs für sich abschätzen können. Die erteilten Informationen müssen
zutreffend sein. Ob die Unterrichtung ordnungsgemäß ist, kann vom Gericht überprüft
werden (vgl. BAG, Urteil vom 13.07.2006, 8 AZR 305/05).
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Vorstehenden Anforderungen genügt das Unterrichtungsschreiben der Beklagten vom
22.10.2004 nicht, denn die Beklagte hat den Kläger jedenfalls nicht hinreichend über die
rechtlichen Folgen des Teilbetriebsübergangs unterrichtet.
64
Die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Betriebsübergangs ergeben
sich nach der Gesetzesbegründung vor allem aus den Absätzen 1 bis 4 des § 613 a
BGB. Der Gesetzgeber nennt insoweit - unter Bezugnahme auf § 613 a Abs.1 - 4 BGB -
die Fragen der Weitergeltung oder Änderung der bisherigen Pflichten aus dem
Arbeitsverhältnis, der Haftung des bisherigen Arbeitgebers und des neuen Inhabers
sowie des Kündigungsschutzes (BT-Drucksache 14/7760 S.19). Bereits aus der
Gesetzesbegründung ist mithin zu entnehmen, dass auch über das Haftungssystem des
613 a Abs.2 BGB zu unterrichten ist. Dass die Unterrichtung über die rechtlichen Folgen
auch Angaben zu der Haftung des bisherigen und des neuen Betriebsinhabers umfasst,
wird auch in der Literatur überwiegend vertreten (vgl. ErfK/Preis, § 613 a BGB, Rdnr.85;
Palandt, § 613 a BGB Rdnr.44; Willemsen/Müller-Bonanni in Arbeitrecht Kom., § 613 a
BGB Rdnr. 328; L., Personalhandbuch 2006, 123 Rdnr.32; Grau, Unterrichtungs- und
Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer bei Betriebsübergang, S.166). Nunmehr hat auch
das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 13.07.2006 (a.a.O.) entschieden, dass zur
Unterrichtung über die rechtlichen Folgen u.a. sowohl der Hinweis auf den Eintritt des
Übernehmers in die Rechte und Pflichten aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis (§
613 a Abs.1 S.1 BGB) als auch auf die gesamtschuldnerische Haftung des
Übernehmers und des Veräußerers nach § 613 a Abs.2 BGB gehört (so auch BAG,
Urteil vom 14.12.2006, 8 AZR 763/06).
65
Diese Informationen sind dem Schreiben vom 22.10.2004 entgegen der Auffassung der
Beklagten nicht zu entnehmen.
66
Der Hinweis auf den Übergang der Arbeitsverhältnisse gibt lediglich die in
67
§ 613 a Abs.1 BGB getroffene Regelung wieder und erschöpft sich letztlich in der
Wiederholung des gesetzlich vorgegebenen Begriffs Übergang . Die reine
Wiederholung des Gesetzeswortlauts genügt den Anforderungen des § 613 a BGB
nicht. Erforderlich ist vielmehr eine konkrete betriebsbezogene Darstellung in einer auch
für juristische Laien möglichst verständlichen Sprache (vgl. BAG a.a.O.) Selbst wenn der
Auffassung der Beklagten gefolgt würde, dass sich aus dieser Formulierung ein
Austausch der Vertragspartner entnehmen lässt, so wäre dadurch dennoch nichts über
die Haftungsregelung des Abs.2 des § 613 a BGB gesagt. Dies räumt auch die Beklagte
selbst ein. Sie kann sich indes nicht darauf berufen, der - auch nach ihrem eigenen
Vorbringen - unterlassene Hinweis auf die gesamtschuldnerische Haftung gehöre nicht
zu den zwingenden Informationen gemäß § 613 a Abs.5 BGB, weil es sich dabei um
eine für den Arbeitnehmer günstige Regelung handele, die diesen - nach einem
68
entsprechenden Hinweis - sicherlich nicht dazu veranlassen könnte, deshalb dem
Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu widersprechen.
Dazu ist zunächst festzustellen, dass einer Begrenzung des Unterrichtungsinhaltes
nach § 613 a Abs.5 Nr.3, 4 BGB auf lediglich objektiv nachteilige Auswirkungen - wovon
die Beklagte offensichtlich ausgeht - der Wortlaut und Zweck der Norm entgegensteht. §
613 a Abs.5 Nr.3 BGB spricht von Folgen und nicht von Nachteilen des Übergangs für
die Arbeitnehmer. Auch der
69
Begriff der Maßnahmen im Sinne von § 613 a Abs.5 Nr.4 BGB ist insoweit neutral (vgl.
dazu Grau, a.a.O. S.150). Danach hat der Arbeitgeber bereits nach dem Wortlaut der
Norm über alle Folgen des Betriebsübergangs zu unterrichten, ohne dass ihm das
Recht einer Bewertung der Folgen als günstig oder ungünstig zusteht. Diese Auffassung
steht auch in Einklang mit der Gesetzesbegründung und der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts, nach der - wie bereits ausgeführt - die Frage der Haftung des
bisherigen Arbeitgebers und des neuen Inhabers zu den Folgen gehört, über die der
Arbeitgeber zu unterrichten hat.
70
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist unerheblich, ob die Haftungsfrage bei der
Entscheidung des Arbeitnehmers für oder gegen den Betriebsübergang im Einzelfall
eine Rolle spielt. Es ist nicht erforderlich, dass eine Kausalität zwischen fehlerhafter
Unterrichtung und Erklärung des Widerspruchs festgestellt werden kann, denn aus
welchen Gründen der Arbeitnehmer sich weigert, das Arbeitsverhältnis mit dem neuen
Arbeitgeber fortzusetzen, ist grundsätzlich unerheblich. Die Angabe eines Grundes ist
für die Ausübung des Widerspruchsrechtes ebenso wenig von Belang wie das zugrunde
liegende Motiv des Arbeitnehmers (BAG, Urteil vom 30.10.2003, 8 AZR 491/02 = NZA
2004, 481).
71
Eine ordnungsgemäße Unterrichtung i.S.d. § 613 a Abs.5 BGB setzt nach dem Willen
des Gesetzgebers und dem Wortlaut der Norm mithin immer eine Darstellung der
haftungsrechtlichen Folgen eines Betriebsübergangs voraus.
72
Abgesehen davon wird dem betroffenen Arbeitnehmer erst durch die Darstellung der
begrenzten Nachhaftung des bisherigen Arbeitgebers deutlich vor Augen geführt, dass
ein endgültiger Schuldnerwechsel eintritt und der bisherige Arbeitgeber - wenn
überhaupt - nur noch begrenzt haftet. Die Bedeutung einer derartigen Information wird
insbesondere im Fall des Klägers deutlich. Die Beklagte hatte ihm erhebliche finanzielle
Leistungen zugesagt. Da das Ende des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt des
Betriebsübergangs absehbar war, war für den Kläger selbstverständlich von Bedeutung,
wer für die vertraglichen Verbindlichkeiten, die die Beklagte ihm gegenüber
eingegangen ist, haftet. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass die Beklagte
einen Vergleich mit dem Kläger abgeschlossen hatte. Die Beklagte weist im
Unterrichtungsschreiben zwar darauf hin, dass dem Kläger die im gerichtlichen
Vergleich zugesagten Leistungen zustehen, unterlässt aber den in diesem
Zusammenhang gebotenen Hinweis, dass sie selbst aus diesem Vergleich nach ihrer
Auffassung nicht haftet. Die haftungsrechtlichen Folgen des Betriebsübergangs wären
für einen Arbeitnehmer in der Situation des Klägers nur dann erkennbar geworden,
wenn die Beklagte - ggf. in standarisierter Form für alle Mitarbeiter, mit denen sie selbst
Vereinbarungen mit zum Teil erheblichen finanziellen Leistungen abgeschlossen hat -
darauf hingewiesen hätte, dass sie selbst nach erfolgtem Betriebsübergang für diese
Forderungen nicht in Anspruch genommen werden kann. Zwar erfordert § 613 a Abs.5
73
BGB keine individuelle Unterrichtung der einzelnen Arbeitnehmer. Eine standarisierte
Information muss jedoch etwaige Besonderheiten des Arbeitsverhältnisses erfassen
(vgl. BAG, Urteil vom 13.07.2006, 8 AZR 305/05). Diese sind dem
Unterrichtungsschreiben der Beklagten nicht zu entnehmen. Nur bei ordnungsgemäßer
Unterrichtung über die haftungsrechtlichen Folgen hätte der Kläger erkennen können,
dass ihm im Fall eines Widerspruchs keine rechtlichen Nachteile drohten, da sein
Arbeitsverhältnis ohnehin bereits gekündigt war.
Die Beklagte hat den Kläger danach über die rechtlichen Folgen des Betriebsübergangs
unvollständig unterrichtet. Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in einer weiteren
Entscheidung vom 13.07.2006 (8 AZR 303/05) darauf hingewiesen, dass eine
Unterrichtung über komplexe Rechtsfragen im Rahmen des
74
§ 613 a Abs.5 BGB dann nicht fehlerhaft ist, wenn der Arbeitgeber bei angemessener
und gewissenhafter Prüfung der Rechtslage rechtlich vertretbare Informationen
gegenüber dem Arbeitnehmer kundtut. Eine derartige Ausnahmesituation ist vorliegend
bei der Frage über die Belehrung der gesamtschuldnerischen Haftung ersichtlich nicht
gegeben. Hierbei handelt es sich schon nicht um eine komplexe Rechtsfrage.
Abgesehen davon hat die Beklagte die Rechtslage offensichtlich nicht gewissenhaft
geprüft. Z.B. in Anwaltsformularbüchern (so z.B. in Bauer, Lingemann, Haussmann,
Anwaltsformularbuch 2004, Kap.56, MM 56.1) wird in einem Formulierungsvorschlag die
Haftungsregelung dargestellt. Zudem hat auch vor der Entscheidung des
Bundesarbeitsgerichts vom 13.07.2006 - wie bereits ausgeführt - die ganz herrschende
Meinung den Hinweis auf die Haftung für erforderlich gehalten. Hätte die Beklagte die
Rechtslage geprüft, hätte sie zu dem Ergebnis kommen müssen, dass eine gesonderte
Belehrung über die Haftung erforderlich ist. Der Rechtsstandpunkt der Beklagten ist
auch nicht vertretbar.
75
Abgesehen davon rügt der Kläger zu Recht, dass in dem Unterrichtungsschreiben
jegliche Information zu § 613 a Abs.4 BGB fehlt. Ausweislich des Inhalts des
Unterrichtungsschreibens hat die Beklagte den Kläger nicht darauf hingewiesen, dass
die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch
den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebes oder eines Betriebsteils
unwirksam ist. Ausweislich der Begründung zum Regierungsentwurf (BT-Drucks.
14/7760, S.19) gehören zum Pflichtbestandteil der Unterrichtung gemäß § 613 a Abs.5
Nr.3 BGB auch die kündigungsrechtlichen Folgen des Betriebsübergangs. Dies
entspricht auch der überwiegend in der Literatur geäußerten Ansicht ( vgl. Hauck, Der
Widerspruch beim Betriebsübergang, NZA Sonderbeilage 1/2004, S.43 ff; Grau, a.a.O.,
m.w.N.). Auch das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 13.07.2006
darauf hingewiesen, dass zur Unterrichtung über die rechtlichen Folgen des
Betriebsübergangs grundsätzlich auch ein Hinweis auf die kündigungsrechtliche
Information gehört, so denn Kündigungen im Raum stehen. Ob das
Bundesarbeitsgericht insoweit eine Einschränkung der Hinweispflicht vornehmen will,
kann vorliegend dahinstehen, denn die Unterrichtung ist bereits wegen der fehlenden
Unterrichtung über die Haftung fehlerhaft.
76
Ob die Beklagte darüber hinaus dazu verpflichtet war, die Arbeitnehmer über die
wirtschaftliche Situation der Erwerberin zu unterrichten oder die erfolgten Angaben dazu
- mit oder ohne Berücksichtigung der außerhalb des Unterrichtungsschreibens erteilten
Informationen - sogar falsch waren, kann vorliegend ebenfalls offen bleiben, da die
Unterrichtung aus den bereits vorstehend dargelegten Gründen unvollständig und damit
77
fehlerhaft war.
Der Einwand der Beklagten, das Arbeitsgericht habe unberücksichtigt gelassen, dass
der Inhalt des Informationsschreibens in enger Abstimmung mit der
Arbeitnehmervertretung verfasst worden sei, ist nicht nachvollziehbar, denn zum einen
besteht der Unterrichtungsanspruch des einzelnen Arbeitnehmers als individueller
Auskunftsanspruch unabhängig von Unterrichtungsrechten des Betriebsrates, zum
anderen wird ein objektiv fehlerhaftes Unterrichtungsschreiben durch Abstimmung mit
der Arbeitnehmervertretung nicht inhaltlich richtig.
78
3.
79
Der Widerspruch des Klägers ist nicht verfristet. Aufgrund der fehlerhaften Unterrichtung
ist die einmonatige Frist für die Ausübung des Widerspruchsrechtes nicht in Lauf gesetzt
worden.
80
Wie bereits dargelegt, ist Folge einer fehlerhaften Unterrichtung nach ganz herrschender
Meinung in Literatur und Rechtsprechung, dass die Widerspruchsfrist des § 613 a Abs.6
BGB nicht läuft. Es macht insoweit keinen Unterschied, ob und aus welchen Gründen
der Arbeitnehmer überhaupt nicht, nicht ausreichend bzw. ganz oder in Teilen fehlerhaft
informiert worden ist. Eine einschränkende Auslegung der Anforderungen für ein
Auslösen der Widerspruchsfrist wird weder der Entstehungsgeschichte noch Wortlaut
und Systematik von § 613 a Abs.5, 6 BGB gerecht. In der Gesetzesbegründung wird
ausdrücklich betont, dass die Erklärungsfrist für den Widerspruch erst nach vollständiger
und ordnungsgemäßer Unterrichtung zu laufen beginnt. Wird - wie vorliegend -
festgestellt, dass eine fehlerhafte Unterrichtung vorliegt, wird die Widerspruchsfrist somit
nicht in Gang gesetzt.
81
Eine zeitliche Begrenzung des Widerspruchsrechts in Form einer absoluten
Ausschlussfrist sieht das Gesetz nicht vor. Eine Analogie zu § 5 Abs.3 S.3 KSchG ist
nach herrschender Meinung im Schrifttum unzulässig (vgl. ErfK./Preis, § 613 a BGB
Rdnr.96; Staudinger/Annuß, § 613 a BGB, Rdnr.170; Franzen, RdA 2002, S.258; Grau
RdA 2005, S.367; Rieble, NZA 2004, S.1).
82
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist in den Fällen, in denen eine Unterrichtung
nicht oder nicht hinreichend stattgefunden hat, § 5 Abs.3 S.2 KSchG nicht entsprechend
anzuwenden. Die Berufungskammer folgt der in dieser Hinsicht in der Literatur
geäußerten Mindermeinung nicht.
83
Eine Analogie in Form einer Gesetzes- oder Rechtsanalogie ist nur möglich, wenn eine
planwidrige Regelungslücke und ein vergleichbarer Sachverhalt vorliegt (vgl. BAG,
Urteil vom 02.03.2006, 8 AZR 124/05 = BB 2006, 1339). Vorliegend fehlt es in
Anbetracht der Entstehungsgeschichte der Neuregelung des § 613 a BGB bereits an
einer planwidrigen Regelungslücke. Wie das Arbeitsgericht bereits ausgeführt hat, sind
die Änderungsanträge der Fraktionen von CDU/CSU und FDP zur Verankerung einer
absoluten Höchstfrist diskutiert und schließlich von der Ausschussmehrheit verworfen
worden (vgl. BT-Drucks, 14/8128 S.4). Daraus muss der Schluss gezogen werden, dass
der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen hat, in § 613 a Abs.6 BGB eine zeitliche
Ausschlussregelung zu verankern (vgl. dazu BAG, Urteil vom 13.07.2006, 8 AZR
382/05, n.v.). Die Behauptung der Beklagten, der Antrag der Fraktionen sei gar nicht
diskutiert, sondern lediglich deshalb verworfen worden, weil er eben von der Opposition
84
vorgeschlagen worden sei, ist eine Vermutung, die durch keinerlei Tatsachen zu
belegen ist. Die Kammer verkennt nicht, dass das Fehlen einer absoluten Höchstfrist
insbesondere für die Parteien der Betriebsübertragung risikobehaftet und unter dem
Gesichtspunkt von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit problematisch ist. Die
Rechtsprechung ist jedoch nicht dazu befugt, sich über die gesetzgeberische
Entscheidung im Wege der Gesetzes- oder Rechtsanalogie hinwegzusetzen ( BAG,
Urteil vom 02.03.2006, a.a.O.).
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der alte und der neue Betriebsinhaber einem
derart unbeschränkten Widerspruchsrecht nicht schutzlos ausgeliefert sind. So können
inhaltlich fehlerhafte oder unvollständige Angaben durch Ergänzung bzw. Ersetzung mit
Wirkung für die Zukunft durch die Unterrichtungsschuldner ohne weiteres richtig gestellt
werden mit der Folge, dass der Anspruch weiterer Arbeitnehmer aus § 613 a Abs.5 BGB
erlischt, wenn die nach dem Gesetz notwendigen Angaben in der Zusammenschau zum
ersten Mal vollständig vorliegen (vgl. Grau a.a.O., S. 221). Die Unterrichtungsschuldner
haben es mithin in der Hand, die Folgen eines Unterrichtungsfehlers zeitlich zu
begrenzen. Stellen sie sich - wie vorliegend die Beklagte - auf den Standpunkt, die
Unterrichtung sei fehlerfrei erfolgt und holen auch nicht - zumindest vorsorglich - eine
fehlerfreie Unterrichtung nach, so müssen sie unter Berücksichtigung des
gesetzgeberischen Willens hinnehmen, dass weitere Arbeitnehmer zeitlich unbegrenzt
dem Betriebsübergang widersprechen können.
85
Es ist mithin davon auszugehen, dass der Arbeitnehmer im Falle einer fehlerhaften
Unterrichtung von seinem Widerspruchsrecht grundsätzlich unbefristet Gebrauch
machen kann. Danach war der Kläger dazu berechtigt, noch mit Schreiben vom
02.11.2005 sein Widerspruchsrecht auszuüben.
86
4.
87
Das Widerspruchsrecht des Klägers ist auch nicht verwirkt.
88
Nach herrschender Meinung findet das Widerspruchsrecht seine Begrenzung in
zeitlicher Hinsicht nur durch das allgemeine Rechtsinstitut der Verwirkung (vgl. Grau,
a.a.O.,S. 295 mit einer Vielzahl weiterer Hinweise). Das Bundesarbeitsgericht hält auch
nach der Neuregelung des § 613 a BGB daran fest, dass das Widerspruchsrecht wegen
Verwirkung ausgeschlossen sein kann (vgl. BAG, Urteil vom 13.07.2006, 8 AZR 382/05,
zitiert nach juris). Streitig ist dabei im Einzelnen, wie viel Zeit vergangen sein muss und
welche Umstände gegeben sein müssen, damit von einer Verwirkung des
Widerspruchsrechts ausgegangen werden kann.
89
Ein Anspruch verwirkt, wenn der Anspruchsberechtigte erst nach Ablauf eines längeren
Zeitraums den Anspruch erhebt (Zeitmoment) und dadurch beim Verpflichteten einen
Vertrauenstatbestand geschaffen hat, er werde nicht mehr in Anspruch genommen
(Umstandsmoment). Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten
des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die
Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist (BAG, Urteil vom 22.07.2004, 8 AZR
350/03). Dabei dient die Verwirkung dem Vertrauensschutz und verfolgt nicht den
Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn dessen
Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat. Der Berechtigte muss
vielmehr unter Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erweckten, dass er
sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete sich darauf
90
einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden (vgl. BAG, Urteil vom
13.07.2006, 8 AZR 382/05, n.v., m.w.N.).
a)
91
Für die Erfüllung des Zeitmoments sind im Schrifttum zu § 613 a Abs.5, 6 BGB
verschiedentlich Mindest- bzw. Höchstfristen genannt worden. Die in Betracht
gezogenen Fristen schwanken zwischen 1 Monat und 1 Jahr. Eine Festlegung auf
abstrakte Fristen ist nach Auffassung der Berufungskammer jedoch ausgeschlossen,
weil sich die Tatsache, ab wann ein Untätigsein als vertrauensbildend und damit als für
eine Verwirkung relevant gewertet werden kann, letztlich nur bei einzelfallbezogener
Abwägung der Umstände ermitteln lässt. Der Verwirkungstatbestand ist als
außerordentlicher Rechtsbehelf ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung. In der
illoyal verspäteten Geltendmachung eines Rechts liegt ein Verstoß gegen Treu und
Glauben (vgl. Palandt, § 242 BGB Anm. 87). Die Frage des Rechtsmissbrauchs lässt
sich daher nur für den Einzelfall klären. Eine schematisierende Betrachtungsweise wird
dem nicht gerecht (BAG, Urteil vom 20.05.1988, 2 AZR 711/87 = DB 1988, 2156).
92
Zur Bestimmung der Dauer des Zeitmoments ist daher nicht auf eine starre Höchst- oder
Regelfrist abzustellen, sondern auf die konkreten Umstände des Einzelfalls (BAG, Urteil
vom 27.01.2000, 8 AZR 106/99, zitiert nach juris). Auch das Bundesarbeitsgericht hat
nunmehr eine Höchstfrist, beispielsweise von sechs Monaten, abgelehnt (vgl. BAG,
Urteil vom 13.07.2006, 8 AZR 382/05 a.a.O.). Dabei ist die Länge des Zeitmoments in
Wechselwirkung zu dem ebenfalls erforderlichen Umstandsmoment zu setzen. Je
stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände, die eine Geltendmachung für den
Anspruchsgegner unzumutbar machen, ist, desto schneller kann ein Anspruch
verwirken (so BAG, Urteil vom 13.07.2006, 8 AZR 382/05, a.a.O.).
93
Für die Beantwortung der Frage, ob das Zeitmoment erfüllt ist, ist zunächst zu klären, ab
wann der Lauf des Zeitmoments überhaupt beginnt. Dabei ist als wesentliches Kriterium
zu berücksichtigen, dass die Widerspruchsfrist nach
94
§ 613 a Abs.6 BGB nicht mehr - wie nach der früheren Rechtsprechung zu § 613 a BGB
- an die Kenntnis des Arbeitnehmer vom Betriebsübergang anknüpft, sondern an die
Unterrichtung nach Abs.5. Unter Berücksichtigung dieses sich daraus ergebenden
Gesetzeszweckes, nämlich das Interesse des Arbeitnehmers an einer hinreichenden
Informationsbasis für die Ausübung der Widerspruchsentscheidung und dem Ziel des
Gesetzgebers, die ordnungsgemäße Unterrichtung des Arbeitnehmers durch ein
ansonsten unbefristetes Widerspruchsrecht abzusichern , kann nach Auffassung der
Berufungskammer das Zeitmoment nicht - wie die Beklagte meint - ab dem Zeitpunkt
des Betriebsübergangs, sondern frühestens ab dem Zeitpunkt beginnen, zu dem der
Arbeitnehmer Kenntnis davon erlangt, dass die Unterrichtung fehlerhaft war (so auch
Willemsen/Müller-Bonnani in Arbeitsrecht Kom., § 613 a BGB Rdnr. 340).
95
Diese Auffassung wird durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom
24.05.2005, 8 AZR 398/04 (= NZA 2005, 1302) gestützt. In dieser Entscheidung hat das
Bundesarbeitsgericht ausgeführt, die unvollständige Unterrichtung nach § 613 a Abs.5
BGB hindere den Lauf der Widerspruchsfrist gemäß
96
§ 613 a Abs.6 S.1 BGB. Dadurch sei der Arbeitnehmer ausreichend geschützt, er sei
nicht im Zugzwang . Er könne abwarten und z.B. seinen Unterrichtungsanspruch nach §
97
613 a Abs.5 BGB verfolgen. Es bestehe kein Grund für ihn, das Widerspruchsrecht auf
einer unzureichenden Tatsachenbasis auszuüben. Ist somit die Auffassung richtig, dass
der Arbeitnehmer bei einer unvollständigen Unterrichtung - in Kenntnis des
Betriebsübergangs - nicht im Zugzwang ist, sondern abwarten darf, kann der Lauf des
Zeitmoments der Verwirkung - wenn überhaupt - frühestens ab Kenntnis des
Arbeitnehmers von der Unvollständigkeit der Unterrichtung beginnen.
Der dieser Bewertung zugrunde liegende Rechtsgedanke ergibt sich auch aus § 124
BGB. Nach § 124 BGB beginnt die Jahresfrist für die Anfechtung im Falle der arglistigen
Täuschung in dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung
entdeckt. Dieser Rechtsgedanke übertragen auf das Widerspruchsrecht bedeutet, dass
das Zeitmoment für die Verwirkung in dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Arbeitnehmer
die Fehlerhaftigkeit der Unterrichtung entdeckt. Die Übertragung des Rechtsgedankens
des § 124 BGB auf den Beginn des Zeitmoments für die Verwirkung des
Widerspruchsrechts wird nach Auffassung der Kammer sowohl der gesetzgeberischen
Intention, den Arbeitgeber zu einer vollständigen und richtigen Unterrichtung
anzuhalten, gerecht, als auch dem Grundsatz, dass jedes Recht der Verwirkung
unterliegt. Schließlich führt die Auffassung, das Zeitmoment bereits ab dem
Betriebsübergang beginnen zu lassen, entgegen dem gesetzgeberischen Willen, dem
Arbeitnehmer bei fehlerhafter Unterrichtung ein unbefristetes Widerspruchsrecht zu
gewähren, im Endeffekt dazu, durch das Zeitmoment der Verwirkung doch eine
Höchstfrist für den Widerspruch einzuführen. Ein illoyales und damit
rechtsmissbräuchliches Verhalten kann dem Widerspruchsberechtigten erst dann
vorgeworfen werden, wenn er Kenntnis von der Fehlerhaftigkeit der Unterrichtung hat
und dennoch einen längeren Zeitraum zuwartet, bevor er sein Recht ausübt.
98
Unter Berücksichtigung vorstehender Ausführungen konnte der Kläger frühestens aus
der Stellung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die B. Photo
GmbH einen Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass die Unterrichtung über den
Betriebsübergang möglicherweise fehlerhaft gewesen sein könnte. Diesen Anhaltspunkt
in Verbindung mit dem Hinweis des Pensionssicherungsvereins, seine
einzelvertragliche Pensionszusage sei nicht insolvenzgeschützt, hat der Kläger zum
Anlass genommen, die Beklagte bereits mit Schreiben vom 21.07.2005, also zwei
Monate nach Stellung des Insolvenzantrages, darauf hinzuweisen, dass er sich nicht
ordnungsgemäß unterrichtet fühlt und um eine Vervollständigung der Informationen
bittet. Gleichzeitig hat er darauf hingewiesen, dass er nach entsprechender
wahrheitsgemäßer Information entscheiden wird, ob er dem Übergang widerspricht oder
nicht. Er hat die Beklagte, die auf das Schreiben nicht reagiert hat, diesbezüglich
schriftlich gemahnt. Nachdem die Beklagte ihn dann am 01.08.2005 telefonisch darauf
hingewiesen hatte, die von ihm gesetzte Frist könne nicht eingehalten werden, weil der
zuständige Sachbearbeiter in Urlaub sei, durfte der Kläger zunächst zweifellos davon
ausgehen, dass ihm eine sachliche Stellungnahme der Beklagten - außerhalb der
gesetzten Frist - zugehen wird. Anders kann der - unstreitige - Verweis der Beklagten
auf den Urlaub des Sachbearbeiters aus Sicht des Empfängers dieser Erklärung nicht
verstanden werden. Da die Beklagte trotz ihres Hinweises vom 01.08.2005 keine
Stellungnahme abgab, forderte der Kläger sie durch anwaltliches Schreiben vom
28.09.2005 ( Bl. 46 der Akte ) letztmalig unter Fristsetzung bis zum 15.10.2005 mit
Klageandrohung dazu auf, die angeforderten Informationen zu erteilen. Unter diesen
Umständen ist das Zeitmoment dadurch, dass der Kläger sodann weitere zwei Wochen
auf eine Stellungnahme gewartet hat, ehe er den Widerspruch ausübte, nicht erfüllt. Die
Beklagte muss sich entgegenhalten lassen, dass sie den Kläger durch ihre telefonische
99
Mitteilung zunächst selbst davon abgehalten hat, den Widerspruch früher zu erklären.
Dem Kläger kann unter Berücksichtigung der Gesamtumstände keine illoyal verspätete
Geltendmachung seines Anspruchs vorgeworfen werden.
100
Danach fehlt es vorliegend nach Auffassung der Berufungskammer trotz des Zeitablaufs
von zwölf Monaten zwischen Betriebsübergang und Widerspruchserklärung unter
Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls für den Tatbestand der Verwirkung
bereits an der Erfüllung des Zeitmoments.
101
b)
102
Selbst wenn dieser vorliegend dargelegten Auffassung nicht zu folgen wäre, fehlt es
jedenfalls an dem Vorliegen des Umstandsmomentes.
103
Das Umstandsmoment muss so beschaffen sein, dass der bisherige und der neue
Betriebsinhaber im Zusammenspiel mit dem Zeitmoment berechtigt darauf vertrauen
dürfen, der Arbeitnehmer werde sich dem in § 613 a Abs. 1 S.1 BGB angeordneten
Vertragspartnerwechsel nicht mehr durch einen Widerspruch widersetzen (vgl. Grau,
a.a.O. S.302). Das Vorliegen des Zeitmomentes indiziert dabei nicht das sogenannte
Umstandsmoment, sondern es bedarf darüber hinausgehender besonderer Umstände
für die berechtigte Erwartung des Schuldners, dass er nicht mehr in Anspruch
genommen wird. Dabei ist im Hinblick auf das Widerspruchsrecht ein besonders
strenger Maßstab anzulegen, denn schließlich haben es der neue und der alte
Arbeitgeber in der Hand, durch vollständige und ordnungsgemäße Unterrichtung die
Widerspruchsfrist in Gang zu setzen. Informieren sie - ob bewusst oder unbewusst -
fehlerhaft, müssen schon besondere Umstände vorliegen, damit ein Vertrauen
dahingehend entstehen kann, der Arbeitnehmer werde trotz des Informationsdefizits
dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht widersprechen (so auch LAG
München, Urteil vom 30.06.2005, 2 Sa 1169/04 = LAGE § 613 a BGB 2002 Nr.7).
Entscheidender Gesichtspunkt ist insoweit, dass die Verwirkung dem Vertrauensschutz
dient.
104
Die tatsächliche Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem neuen Arbeitgeber reicht
angesichts der im Falle der fehlerhaften Unterrichtung nicht laufenden Widerspruchsfrist
nicht aus, um daraus auf eine Zustimmung des Arbeitnehmers zum Arbeitgeberwechsel
zu schließen. Dies ergibt sich bereits als Konsequenz aus der gesetzlich zwingend
vorgeschriebenen Überlegungsfrist, die in Fällen fehlerhafter Unterrichtung eben noch
nicht läuft. Die Tatsache der Vertragsfortführung mit dem neuen Betriebsinhaber kann
mithin grundsätzlich vor Ablauf der Widerspruchsfrist nicht als Zustimmung des
Arbeitnehmers zum Arbeitgeberwechsel oder als stillschweigender
Widerspruchsrechtsverzicht gewertet werden mit der Folge der Erfüllung des
Umstandsmomentes der Verwirkung.
105
Danach reicht es für die Annahme des Umstandsmoments nicht aus, dass der Kläger
sich nach Behauptung der Beklagten im Rahmen der Abwicklung seines
Arbeitsverhältnisses und auch nach dessen Beendigung bei der Abwicklung der
Pensionierungsvereinbarung auch an die B. Photo GmbH oder deren
Abwicklungsstellen gewandt haben soll. Ein tatsächliche Weiterarbeit bei der
Erwerberin ist nicht erfolgt, da der Kläger bereits seit dem 01.04.2004, also bereits vor
dem Betriebsübergang, von der Arbeitsleistung freigestellt worden ist.
106
Eine Verwirkung scheidet nach Auffassung der Berufungskammer auch deshalb aus,
weil der Kläger sich bereits mit Schreiben vom 21.07.2005 vorbehalten hat, sein
Widerspruchsrecht noch auszuüben und damit nicht einen vertrauensbegründenden,
sondern einen vertrauenszerstörenden Umstand gesetzt hat. Eine Verwirkung gilt
bereits dann als ausgeschlossen, wenn der Berechtigte in irgend einer Weise zu
erkennen gibt, dass er möglicherweise auf seinem Recht besteht (vgl. Grau, a.a.O.
S.303 m.w.N.). Mit seinem Schreiben vom 21.07.2005 hat der Kläger ausdrücklich
erklärt, dass er sich die Ausübung des Widerspruchrechtes nach Eingang der weiteren
Informationen durch die Beklagte vorbehält. Für die Beklagte war damit deutlich
erkennbar, dass der Kläger zunächst ein Handeln der Beklagten erwartete. Damit hat
der Kläger auf Seiten der Beklagten einen vertrauenszerstörenden Umstand gesetzt. Bei
dieser Sachlage konnte die Beklagte gerade nicht davon ausgehen, der Kläger werde -
ohne ein Handeln ihrerseits - sein Recht nicht mehr geltend machen. Dass sie selbst
davon ausgegangen ist, dass ein Handlungsbedarf ihrerseits besteht, ergibt sich daraus,
dass sie den Kläger darauf hingewiesen hat, sie könne die von ihm gesetzte Frist nicht
einhalten. Dennoch hat die Beklagte das Schreiben des Klägers letztlich unbeantwortet
gelassen und offensichtlich gehofft, der Kläger werde sein Recht nicht weiter verfolgen,
so dass sie sich nach einem gewissen Zeitablauf auf eine Verwirkung des Rechts
berufen könnte. Wie bereits ausgeführt, verfolgt das Rechtsinstitut der Verwirkung
jedoch nicht den Zweck, den Schuldner aufgrund Zeitablaufs von seiner Verpflichtung
zu befreien, sondern dient dem Vertrauensschutz. Auf einen Vertrauensschutz kann die
Beklagte sich unter den gegebenen Umständen gerade nicht berufen. Sie war durch das
Schreiben des Klägers und seine Mahnungen gewarnt und hätte es in der Hand gehabt,
durch eine Beantwortung des Schreibens des Klägers - selbst wenn es nur der Hinweis
gewesen wäre, sie halte ihre erteilten Informationen für richtig und vollständig - den
Tatbestand der Verwirkung herbeizuführen, wenn der Kläger sodann trotzdem untätig
geblieben wäre.
107
Zudem ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die Beklagte kurz nach
Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die B. Photo GmbH betreffend von
einer größeren Anzahl anderer Arbeitnehmer eine Widerspruchserklärung erhalten hat
und von diesen gerichtlich auf das Bestehen von Arbeitsverhältnissen in Anspruch
genommen worden ist mit der Begründung, dass das Unterrichtungsschreiben fehlerhaft
sei. Sie musste deshalb damit rechnen, dass auch andere Arbeitnehmer aufgrund der
gerügten und tatsächlich bestehenden Fehlerhaftigkeit der Unterrichtung - insbesondere
nach weiterer Aufklärung der Sach- und Rechtslage - von ihrem Widerspruchsrecht
noch Gebrauch machen werden. Bei dieser Sachlage konnte die Beklagte gerade kein
Vertrauen dahingehend bilden, der Kläger werde trotz der Fehlerhaftigkeit der
Unterrichtung keinen Widerspruch erklären. Der Umstand, dass der Kläger seine Rechte
nicht zur gleichen Zeit wie die anderen Arbeitnehmer geltend gemacht hat, konnte bei
der Beklagten kein schützenswertes Vertrauen begründen (vgl. dazu BAG, Urteil vom
24.05.2006, 7 AZ 365/05, zitiert nach juris, zur Arbeitnehmerüberlassung und der
Verwirkung des Rechts, das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses geltend zu machen),
denn - wie bereits ausgeführt - reicht der Zeitablauf nach Kenntnis von dem noch
bestehenden Widerspruchsrecht allein nicht aus, um den Tatbestand der Verwirkung zu
bejahen.
108
Von einem derartigen vertrauenszerstörenden Umstand geht wohl auch das
Bundesarbeitsgericht aus, das in seiner Entscheidung vom 14.02.2007
109
(10 AZR 35/06 = NJW 2007, 2063), in dem die dortigen Parteien über die Verwirkung
einer Qualifikationszulage stritten, im Rahmen der Verwirkung ausgeführt hat, gerade
weil Kollegen der - dortigen - Klägerin gleich gelagerte Ansprüche geltend gemacht
hatten, habe die Beklagte damit rechnen müssen, dass andere Arbeitnehmer dies zum
Anlass nehmen würden, ihrerseits Ansprüche zu erheben. Wenn die - dortige - Beklagte
wegen der Klageerhebung durch zwei Ärzte die Rechtslage mit der Klägerin hätte
klären wollen, hätte sie von sich aus auf die Klägerin zugehen können.
110
Auch bezogen auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses im Rahmen einer
Arbeitnehmerüberlassung hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom
17.01.2007 (7 AZR 23/06, zitiert nach juris, Rdnr. 33) darauf hingewiesen, dass selbst
die jahrelange Untätigkeit des dortigen Klägers während eines gleichgelagerten
Rechtstreits zwischen der dortigen Beklagten und anderen Arbeitnehmern wegen des
Bestehens eines Arbeitsverhältnisses für eine Annahme der Verwirkung nicht ausreicht.
Die dortige Beklagte habe vielmehr damit rechnen müssen, dass - je nach Ausgang des
Rechtsstreits - auch andere Arbeitnehmer wie der Kläger vergleichbare Ansprüche
geltend machen würden.
111
Die Beklagte musste danach gerade im Hinblick auf das Schreiben des Klägers vom
21.07.2005 und den gegen sie bereits geführten Klageverfahren anderer Arbeitnehmer
damit rechnen, dass auch der Kläger seinen Anspruch noch geltend machen wird. Da
sie den Kläger zunächst in zeitlicher Hinsicht durch das Inaussichtstellen einer
Stellungnahme hingehalten und sich sodann darauf beschränkt hat, das weitere
Vorgehen des Klägers abzuwarten, dieser jedoch - wie ausgeführt - kein
Umstandsmoment gesetzt hat, kann sie sich nicht auf eine Verwirkung berufen.
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Auch eine Gesamtschau des Verhaltens des Klägers führt nicht zu der Annahme, der
Kläger habe ein vertrauensbegründendes Umstandsmoment gesetzt. Auf die für ihn
unklare Rechtslage hat der Kläger die Beklagte hingewiesen. Die Beklagte hingegen
hat keinerlei Anstrengungen unternommen, eine Klärung der Rechtslage
herbeizuführen. Sie hat das Schreiben des Klägers nicht einmal beantwortet und ihn
damit völlig im Unklaren darüber gelassen, ob nach Auffassung der Beklagten eine
unrichtige oder unvollständige Unterrichtung vorliegt oder nicht. Die Beklagte darf nach
Auffassung der Berufungskammer keinen Vorteil daraus ziehen, dass sie auf das
Schreiben des Klägers nicht reagiert hat. Erkennt der Arbeitgeber, dass der
Arbeitnehmer sich in einer für ihn nicht klaren Rechtslage befindet und klärt er dennoch
bei einer - noch - bestehenden Informationspflicht die Rechtslage - wenn auch aus
seiner subjektiven Sicht - gegenüber dem Arbeitnehmer nicht auf, kann er kein
schutzwürdiges Vertrauen gründen, der Arbeitnehmer werde nicht mehr widersprechen.
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Danach ist das Widerspruchsrecht des Klägers nicht verwirkt.
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Im Ergebnis ist damit festzustellen, dass der Kläger dem Übergang seines
Arbeitsverhältnisses auf die Erwerberin rechtzeitig und ordnungsgemäß widersprochen
hat mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis zur Beklagten bis zum 31.03.2005
fortbestanden hat und die Beklagte verpflichtet ist, die gegenüber dem Kläger
eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen.
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5.
116
Der Kläger war auch nach rechtlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum
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31.03.2005 dazu berechtigt, sein Widerspruchsrecht auszuüben. Nach Auffassung der
Berufungskammer ist ausschließlich entscheidend, dass der Kläger zum Zeitpunkt des
Betriebsübergangs Arbeitnehmer der Beklagten war und an dem Betriebsübergang
zunächst teilgenommen hat. Unerheblich für die Ausübung des Widerspruchs ist, ob das
Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers in gekündigtem oder ungekündigtem Zustand
übergegangen ist, ob es noch besteht oder bereits beendet ist, vorbehaltlich einer
etwaigen Verwirkung, denn der Beginn der Widerspruchsfrist ist ausschließlich an die
ordnungsgemäße Unterrichtung gebunden. Für die Berufungskammer sind keine
Gründe ersichtlich, warum im Falle einer fehlerhaften Unterrichtung dem Arbeitnehmer,
dessen Arbeitsverhältnis nach dem Betriebsübergang aufgrund einer vorhergehenden
Kündigung des Betriebsveräußerers beendet worden ist, das Widerspruchsrecht trotz
nicht laufender Widerspruchsfrist abgeschnitten sein soll, demjenigen, dessen
Arbeitsverhältnis -ggf. noch - nicht beendet ist, jedoch zusteht. Nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. zuletzt: BAG, Urteil vom 13.07.2006, 8
AZR 305/05 m.w.N.) handelt es sich bei dem Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers um
ein sogenanntes Rechtsfolgenverweigerungsrecht. Auch dem ausgeschiedenen
Arbeitnehmer muss daher grundsätzlich das Recht zustehen, bei nicht laufender
Widerspruchsfrist die Rechtsfolge des Übergangs seines Arbeitsverhältnisses zu
verweigern.
Diesem Ergebnis steht der Gesetzeszweck des § 613 a BGB nicht entgegen. Das
Bundesarbeitsgericht hat dazu ausgeführt, der Arbeitnehmer, der dem Übergang seines
Arbeitsverhältnisses widersprochen habe, verhindere die Rechtsfolge des § 613 a Abs.1
S.1 BGB, d.h. die Auswechslung des Arbeitgebers. Bei dem Widerspruch handele es
sich um ein Gestaltungsrecht in der Form eines Rechtsfolgenverweigerungsrechts. Der
Widerspruch sei nämlich darauf gerichtet, die gesetzlich vorgesehene Rechtsfolge, den
Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Betriebsübernehmer, nicht eintreten,
sondern stattdessen das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber fortbestehen
zu lassen. Dies gelte auch dann, wenn der Widerspruch - aufgrund fehlerhafter
Unterrichtung und nicht in Gang gesetzter Widerspruchsfrist - erst nach dem
Betriebsübergang erklärt werde. Zwar wirke die Ausübung von Gestaltungsrechten
regelmäßig nur für die Zukunft. Dies sei darin begründet, dass eine Rückwirkung den
Grundsätzen rechtlicher Klarheit in dem zurückliegenden Zeitraum widersprechen und
eine Rückabwicklung bereits lange vollzogener Rechtsverhältnisse zu Schwierigkeiten
führen könne. Entscheidend sei jedoch, dass die Rückwirkung des Widerspruchs zum
Schutz des Ausübungsbefugten geboten sei. Das Widerspruchsrecht solle verhindern,
dass dem Arbeitnehmer ein anderer Arbeitgeber aufgezwungen werde, und zwar auch
nicht vorübergehend durch eine verspätete Unterrichtung. Werde der
Unterrichtungspflicht durch Veräußerer und Erwerber nicht ausreichend und
ordnungsgemäß Genüge getan, sei der Arbeitnehmer schutzwürdig (vgl. BAG, Urteil
vom 13.07.2006, 8 AZR 305/05). Dem Arbeitnehmer soll damit auch kein
Schuldnerwechsel für die Vergangenheit aufgezwungen werden (vgl. so schon BAG,
Urteil vom 22.04.1993, 2 AZR 50/92 = NZA 1994, 360).
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Es führt auch nicht zu unbilligen Ergebnissen, dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer ein
Widerspruchsrecht zuzubilligen. Aus der ex tunc Wirkung des Widerspruchs folgt, dass
das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers, der zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs
Arbeitnehmer des Betriebsveräußerers war, in dem Zustand auf den Betriebsveräußerer
zurückfällt , in dem es sich zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs befand. Dies bedeutet
vorliegend, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Beklagten in gekündigtem
Zustand zurückgefallen ist, allerdings mit allen Verpflichtungen, die die Beklagte
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gegenüber dem Kläger vor dem Betriebsübergang für die Zeit nach Beendigung des
Arbeitsverhältnisses eingegangen ist. Dieses Ergebnis ist unter Berücksichtigung des
Gesetzeszweckes, den Arbeitgeber zu einer ordnungsgemäßen Unterrichtung
anzuhalten, gerechtfertigt. War das Arbeitsverhältnis bereits durch den
Betriebsveräußerer gekündigt, wird der Arbeitnehmer aus dem Widerspruch in der
Regel keine Rechte herleiten können. Für die Feststellung, dass in der Vergangenheit
ein Rechtsverhältnis bestanden hat, fehlt es normalerweise bereits am
Feststellungsinteresse. Eine Ausnahme besteht nur dann, wenn aus dem vergangenen
Rechtsverhältnis noch Rechte hergeleitet werden können. Ist dies allerdings - wie
vorliegend - der Fall, ist nicht ersichtlich, warum dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer
nicht das Recht zustehen soll, diese Rechte durch Ausübung seines Widerspruchrechts
zu realisieren. Nach Auffassung der Berufungskammer wäre es zudem unbillig, einen
Arbeitnehmer in einer derartigen Situation auf die Geltendmachung eines
Schadensersatzanspruchs zu verweisen, denn im Rahmen des
Schadensersatzanspruchs wäre der Arbeitnehmer dazu verpflichtet, den in der Regel
schwierigen Nachweis zu führen, dass die fehlerhafte Unterrichtung ursächlich für die
Nichtausübung des Widerspruchsrechts gewesen ist. Demgegenüber ist die Ausübung
des Widerspruchsrechts bei nicht laufender Widerspruchsfrist ohne Grund möglich. Der
Gesetzeszweck, den Betriebsveräußerer und den Betriebserwerber zu einer
ordnungsgemäßen Information anzuhalten, kann mithin nur dann erfüllt werden, wenn
auch dem ausgeschiedenen Arbeitnehmer bei nicht laufender Widerspruchsfrist noch
die Ausübung des Widerspruchs möglich ist.
Anhaltspunkte für einen Verzicht des Klägers auf sein Widerspruchsrecht oder ein
rechtsmissbräuchliches Verhalten des Klägers liegen nicht vor.
120
Die Berufung der Beklagten war danach zurückzuweisen.
121
III.
122
Die Kosten des erfolglos gebliebenen Rechtsmittels waren gemäß 64 Abs. 6 ArbGG, 97
Abs. 1 ZPO der Beklagten aufzuerlegen.
123
IV.
124
Die Revision war gemäß § 72 Abs.2 Nr.1 ArbGG zuzulassen, da
entscheidungserhebliche Rechtsfragen vorliegen, die grundsätzliche Bedeutung haben,
für die Einheitlichkeit der Rechtsordnung von allgemeiner Bedeutung und
höchstrichterlich noch nicht entschieden sind.
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Rechtsmittelbelehrung:
126
Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten
127
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REVISION
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eingelegt werden.
130
Für den Kläger ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
131
Die Revision muss
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innerhalb einer Notfrist von einem Monat
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nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
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Bundesarbeitsgericht,
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Hugo-Preuß-Platz 1,
136
99084 Erfurt,
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Fax: (0361) 2636 - 2000
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eingelegt werden.
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Die Revision ist gleichzeitig oder
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innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils
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schriftlich zu begründen.
142
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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Paßlick Brenner Kralj
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