Urteil des LAG Düsseldorf vom 02.09.1997

LArbG Düsseldorf (kündigung, joint venture, bag, arbeitnehmer, kläger, werk, betriebsrat, versetzung, mitarbeiter, auswahl)

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 3 (4) Sa 641/97
Datum:
02.09.1997
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 (4) Sa 641/97
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Oberhausen, 1 Ca 2909/96
Schlagworte:
betriebsbedingte Kündigung; Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gem. § 1
Abs. 2 S. 2 Ziff. 1 b) KSchG und Umfang der Betriebsratsanhörung
Normen:
§§ 1 Abs. 2 S. 2 Ziff. 1 lit. b) KSchG, § 315 Abs. 3 BGB; § 102 Abs. 1
BetrVG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Hat der Arbeitgeber es unterlassen, den Betriebsrat auch darüber zu
unterrichten, warum aus seiner Sicht eine Weiterbeschäftigung des
Arbeitnehmers auf einem anderen Arbeitsplatz i.S. von § 1 Abs. 2 S. 2
Ziff. 1 b) KSchG in einem anderen Betrieb des Unternehmens aus
fachlichen Gründen oder gemäß einer sozialen Auswahlentscheidung
i.S. von § 315 Abs. 3 BGB ausscheidet, so kann er bei Wirksamkeit der
Betriebsratsanhörung im übrigen an diesbezüglichem Sachvortrag im
Kündigungsschutzverfahren gehindert sein.Zur
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Unternehmen des
Konzerns.
Tenor:
1.Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Oberhausen 6.3.1997 - Az.: 1 Ca 2909/96 - wird kostenpflichtig
zurückgewiesen.
2.Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d :
1
Die Parteien streiten um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
2
Der circa 47-jährige Kläger ist seit Februar 1975 bei der Beklagten bzw. deren
Rechtsvorgängerin, der U.-Guss-AG als Sachbearbeiter in der Materialbeschaffung zu
einem Bruttoentgelt von zuletzt monatlich ca. 6.100,-- DM beschäftigt.
3
Die Beklagte ist in ihrer derzeitigen Rechtsform und Struktur durch Ausgliederung der
Werke N. und S. aus der U.-Guss-AG, Bereich Schienenverkehrstechnik/Werk N. bzw.
der Bergischen Stahlindustrie, Werk S. gemäß Ausgliederungsvertrag vom 30.09.1996
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nach dem Umwandlungsgesetz entstanden. Eigentümerin der Beklagten ist das
schwedisch-deutsche Gemeinschaftsunternehmen D. C. RAIL AB, an welchem die U.-
Guss-AG mit 40 %, die schwedische D. AB mit 60 % beteiligt sind. Im Zuge der
Ausgliederung wurden der Beklagten die 100%-Anteile an der H.-Radsatz GmbH, bis
dahin bestehend aus einer Mehrheitsbeteiligung der U.-Guss-AG und einer
Minderheitsbeteiligung der N. H. hütte AG in P. übertragen. Die Ausgliederung wurde
am 12.02.1997 in das Handelsregister eingetragen.
Im Werk N. betreibt die Beklagte die maschinenbaumäßige Fertigung von Getrieben und
Fahrwerken für leichte Schienenfahrzeuge sowie von Kupplungen zur Kraftübertragung
(Rigiflex-Kupplungen), im Werk S. für Bremsen und Kupplungen zur
Fahrzeugverbindung für Schienenfahrzeuge. Die H. Radsatz GmbH stellt Räder und
Radsätze für Schienenfahrzeuge her.
5
Im September 1996 wurde die Schließung des Werkes N. beschlossen, welche bis zum
31.12.1997 einschließlich einer Räumung des angepachteten Geländes abgewickelt
sein soll. Grund hierfür ist nach Behauptung der Beklagten die Aufgabe des Produktes
"Getriebe" im Werk N., Verlagerung eines Teiles des Produktes "Kupplungen zur
Kraftübertragung" nach S. und des Produktes "Fahrwerk" zur H. GmbH nach P..
6
Unter dem 27.11.1996 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur Kündigung des
Arbeitsverhältnisses an. Dort lautet es zur Begründung der Kündigungsmaßnahme:
7
"Im Rahmen der Neuorganisation der U. GUSS, C. Verkehrstechnik für das zum 1.
Januar 1997 zu gründende Gemeinschaftsunternehmen mit der D. AB wurde die
Verkehrstechnik N. am 01.10.1996 in die C.-Verkehrstechnik GmbH ausgegründet. Mit
der D. AB wurde im Rahmen der Verhandlungen vereinbart, daß die Verkehrstechnik N.
zwar noch in das Gemeinschaftsunternehmen eingebracht wird, dieser Standort jedoch
zum 31.12.1997 geschlossen wird.
8
Aus diesem Grund sollen die Kündigungen der in der Liste aufgeführten Mitarbeiter /-
innen durchgeführt werden. Die Kündigungen werden vorsorglich auch für die
Mitarbeiter beantragt, für die ein Wechsel in die C.-Verkehrstechnik S. bzw. in die H.
Radsatz GmbH geplant ist.
9
Ein Sozialplan wird zur Zeit verhandelt."
10
Die dem Anhörungsschreiben beigefügte Liste vom 27.11.1996 unterscheidet bei den
dort insgesamt zur Kündigung aufgeführten Beschäftigen zwischen "Freisetzung",
"vorzeitiger Pensionierung" und "Versetzung". Letztere wird in dem im
Anhörungsschreiben angebrachten Kurzvermerk aufgegliedert in "V-RS (Versetzung
nach S.)" und "V-H. (Versetzung zur H. Radsatz GmbH in P.)". Auf den Inhalt der
Kündigungsliste vom 27.11.1996 wird im übrigen Bezug genommen. Ca. 37
Beschäftigte haben ein derartiges Versetzungsangebot erhalten.
11
Unter dem 29.11.1996 kam es zwischen der Beklagten, zunächst gleichzeitig handelnd
als Vertreterin der U.-Guss-AG und dem zuständigen Betriebsrat der G.-X.-Hütte zur
Vereinbarung eines Sozialplans. In dem einige Zeit zuvor geschlossenen, nicht
datierten Interessenausgleich lautet es:
12
"U. GUSS wird seiner sozialen Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern der
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Verkehrstechnik N. dadurch gerecht werden, daß im Rahmen der auch im Joint Venture
durch U. GUSS maßgeblich zu bestimmenden Festlegung zu Sozialplänen etc., die
Arbeitnehmer so behandelt werden, als wenn das Werk noch zu U. GUSS und nicht
zum Joint Venture gehören würde. Allen Mitarbeitern der Verkehrstechnik N. werden auf
Wunsch vorhandene Arbeitsplatzangebote innerhalb des U. GUSS - Konzerns oder
extern gemacht."
Im Sozialplan lautet es:
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"1.3Ansprüche aus dem Sozialplan bestehen nicht für Belegschaftmitglieder, die eine
zumutbare Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz im U.-Konzern bzw. ein
zumutbares Stellenangebot bei der C. Verkehrstechnik GmbH, der H. Radsatz GmbH
oder einem anderen Unternehmen, das den vollen sozialen Besitzstand zugesteht,
ablehnen.
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2.2Stellenangebot
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Bei freiwerdenden Arbeitsplätzen innerhalb des U.-KONZERNS, bei der C.
Verkehrstechnik GmbH oder der H. Radsatz GmbH wird durch Personalwesen und
Betriebsrat geprüft, ob die Möglichkeit der Besetzung durch einen Mitarbeiter des von
diesem Sozialplan betroffenen Personenkreises möglich ist.
17
Entsprechende Unterlagen werden vom Personalwesen erstellt.
18
Eventuelle erforderliche Einarbeitungszeiten werden bis zu sechs Monaten gewährt."
19
Mit Schreiben vom 09.12.1996 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem
Kläger zum 31.12.1997. Hiergegen hat sich der Kläger mit der am 17.12.1996 bei dem
Arbeitsgericht Oberhausen eingegangenen Klage gewandt. Er hat geltend gemacht,
seine Weiterbeschäftigung sei in S. bzw. P. möglich. Die Beklagte hätte insoweit unter
den in Betracht kommenden Mitarbeitern eine Sozialauswahl durchführen müssen,
wenn sie einem Teil der Beschäftigten eine anderweitige Beschäftigung anbiete und
dem übrigen nicht. Entsprechend sei auch der Betriebsrat hierzu nicht angehört worden.
20
Der Kläger hat beantragt,
21
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der
Beklagten vom 09.12.1996 nicht zum 31.12.1997 beendet wird.
22
Die Beklagte hat beantragt,
23
die Klage abzuweisen.
24
Die Beklagte hat behauptet, Grundlage für die unterschiedliche Staffelung der
Kündigungsfristen seien die geplanten Auslaufzeiten der einzelnen Abteilungen und
Maschinen sowie besondere Kenntnisse und Fertigkeiten der einzelnen Beschäftigten
gewesen. Die Festlegung der Kündigungstermine sei in Übereinstimmung mit dem
Betriebsrat erfolgt. Im Wege eines sogenannten internen Arbeitsamtes habe die
Beklagte versucht, gekündigten Mitarbeitern des Werkes N. Stellen im Werk S. wie auch
bei der H. Radsatz GmbH, der U.-Guss-AG sowie sonstigen Unternehmen zu vermitteln.
Die Entscheidung über eine Einstellung dort liege jedoch - das Werk S. ausgenommen -
25
nicht bei der Beklagten. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, da sämtliche
Beschäftigte des Werkes S. gekündigt worden seien, habe es einer Sozialauswahl nicht
bedurft. Entsprechend sei der in der Liste zur Betriebsratsanhörung verwendete Begriff
der "Versetzung" auch sachlich unzutreffend, da ein anderweitiger Einsatz der
Beschäftigten nur unter Vertragsänderung rechtlich durchführbar gewesen sei. Auch
habe im Werk S. ein geeigneter freier Arbeitsplatz im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 2 Ziffer
1 b KSchG für den Kläger nicht zur Verfügung gestanden, da dieser nicht über die
Spezialkenntnisse verfüge, welche zur Besetzung der freien Stellen im Werk S. im
Bereich Konstruktion und Montage von Rigiflex-Kupplungen erforderlich seien.
Entsprechendes gelte für die H. Radsatz GmbH in P., welche als eigenes Unternehmen
überdies in eigener Zuständigkeit über Einstellungen zu befinden habe.
Durch Urteil vom 06.03.1997, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe
ergänzend Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht Oberhausen festgestellt, daß
das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom
09.12.1996 zum 31.12.1997 sein Ende findet. Die Kosten des Rechtsstreits hat das
Gericht der Beklagten auferlegt und den Streitwert auf 21.000,-- DM festgesetzt. Zur
Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Beklagte habe bei Ausspruch der
Kündigung mit hinreichender Sicherheit vorhersehen können, daß Arbeitsplätze in S.
wie in P. zur Verfügung stehen würden. Hierbei komme es nicht darauf an, inwieweit
Versetzungsmöglichkeiten im Wege des Direktionsrechts bestanden hätten, da auch der
Ausspruch einer Änderungskündigung Vorrang vor einer Beendigungskündigung habe.
Der Beklagten habe es daher oblegen, durch eine Sozialauswahl über eine
Weiterbeschäftigung einzelner Arbeitnehmer zu befinden. Als betriebsbedingt seien von
daher nur die Kündigungen anzusehen, bei denen den Beschäftigten ein freier
Arbeitsplatz nicht zur Verfügung gestellt werden könne. Zu einer Sozialauswahl bei der
Frage, welcher Arbeitnehmer auf einem solchen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden
könne, sei der Betriebsrat nicht gehört worden. Zwar erweise sich im Hinblick auf die
subjektive Determinierung der Betriebsratsanhörung diese nicht bereits als insgesamt
unwirksam, jedoch könne die Beklagte im Prozeß Tatsachen zu einer diesbezüglichen
Sozialauswahl nicht mehr nachschieben. Von daher sei sie mit der Behauptung, dem
Kläger könne ein solcher freier Arbeitsplatz nicht angeboten werden, nicht mehr zu
hören.
26
Gegen das ihr am 15.04.1997 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am
15.05.1997 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung
eingelegt und diese mit einem weiteren, dem Gericht am Montag, den 16.06.1997
vorliegenden Schriftsatz begründet. Mit der Berufung wiederholt und vertieft die
Beklagte ihr erstinstanzliches Vorbringen und führt aus, lediglich die dem
Produktprogramm "Rigiflex-Kupplungen" zuzuordnenden Arbeitnehmer des Werkes N.
seien als Spezialisten zum Werk S. übergewechselt, ohne daß entsprechendes
Betriebssubstrat übergehe. Nicht die Produktion, sondern allein Konstruktion und
Montage des Produkts "Rigiflex-Kupplungen" würden nach S. verlagert. Die H. Radsatz
GmbH werde lediglich drei gebrauchte Maschinen aus dem Werk N. einsetzen, so daß
es einer Übernahme von Abteilungen von Maschinengruppen aus N. für die Fortführung
des Produkts "Räder und Fahrwerke" in P. nicht bedürfe. Insoweit finde lediglich eine
Verlagerung der Konstruktion statt. Bestimmtes technisches know how auf dem Gebiet
der Getriebefertigung werde auf die Firma W. Turbo GmbH und Co. KG in I. übertragen,
welche bereits eine umfangreiche Getriebefertigung unterhalte. Mit Ausnahme der
Mitarbeiter mit Sonderkündigungsschutz sei sämtlichen Beschäftigten gegenüber im
Dezember 1996 gestaffelt nach dem Auslaufen der jeweiligen Tätigkeit die Kündigung
27
ausgesprochen worden. Da der Arbeitsplatz des Klägers nicht einem bestimmten
Produkt zugeordnet werden könne, entfalle er spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist
und stehe in vergleichbarer Form auch weder in S. noch P. zur Verfügung. Anlaß für
eine Anhörung des Betriebsrats zur sozialen Auswahl habe nicht bestanden, da der
Kläger auf keine vergleichbaren Mitarbeiter verweisen könne, welche an anderer Stelle
weiterbeschäftigt würden. Da das Werk N. insgesamt stillgelegt und sämtlichen
Mitarbeitern die Kündigung ausgesprochen werde, sei für eine Sozialauswahl kein
Raum. Auch eine analoge Anwendung der §§ 315 Abs. 3 BGB, 1 Abs. 3 KSchG im
Sinne der neueren BAG-Rechtsprechung scheide aus, da die Beklagte gerade nicht in
der Lage gewesen sei, dem Kläger und vergleichbaren Mitarbeitern einen freien
Arbeitsplatz im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 b KSchG anzubieten.
Die Beklagte beantragt,
28
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 06.03.1997 - 1 Ca
2909/96 - die Klage abzuweisen.
29
Der Kläger beantragt,
30
die Berufung zurückzuweisen.
31
Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und
Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hält an der Auffassung fest, da die
Beklagte bei Kündigungsausspruch über freie bzw. freiwerdende Arbeitsplätze in S. und
Oberhausen in Kenntnis gewesen sei, hätte sie vor einer Weiterbeschäftigung
bestimmter Arbeitnehmer eine konkrete Auswahlentscheidung treffen müssen. Ein
Nachschieben von Auswahlgründen scheide mangels entsprechender
Betriebsratsanhörung hierzu aus. Die Kündigung erweise sich überdies auch als gemäß
§ 613 a Abs. 4 BGB unwirksam.
32
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in beiden Rechtszügen wird auf den
vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze verwiesen (§§ 523,
313 Abs. 2 ZPO, 64 Abs. 6 ArbGG).
33
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
34
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom
06.03.1997 ist zulässig, hingegen unbegründet.
35
I.
36
Die Berufung ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des
Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 ArbGG) sowie in gesetzlicher Form
und Frist eingelegt (§§ 518 Abs. 1 u. 2 ZPO, 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG) und innerhalb der
gesetzlichen Frist durch Eingang der Berufungsbegründung am Montag, den
16.06.1997 begründet worden (§§ 519 Abs. 2 u. 3 ZPO, 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG in
Verbindung mit §§ 222 Abs. 1 u. 2 ZPO, 188 Abs. 2 BGB).
37
II.
38
Die Berufung hatte hingegen in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht ist das Arbeitsgericht
39
Oberhausen zu der Feststellung gelangt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den
Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 09.12.1996 nicht zum 31.08.1997
beendet worden ist. Die Kündigung der Beklagten ist sozial ungerechtfertigt und damit
rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG).
1.
40
Mit dem insoweit unstreitigen Vortrag der Beklagten war zunächst davon auszugehen,
daß die Möglichkeit, den Kläger an seinem bisherigen Arbeitsplatz im Betrieb N. über
das Jahresende 1997 hinaus weiterzubeschäftigen, durch dringende betriebliche
Erfordernisse gemäß § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG weggefallen ist.
41
Von dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen
ist auszugehen, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisa-torischen Maßnahme
entschließt, bei deren Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder
mehrerer Arbeitnehmer entfällt (statt vieler BAG AP Nrn. 2 u. 50 zu § 1 KSchG 1969
Betriebsbedingte Kündigung). Der Stillegungsbeschluß stellt sich als unternehmerische
Entscheidung dar, welche lediglich einer eingeschränkten Mißbrauchskontrolle
unterliegt, hingegen nicht auf Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit gerichtlich zu
überprüfen ist (vgl. BAG AP Nr. 39 zu § 613 a BGB; BAG AP Nr. 41 zu § 1 KSchG 1969
Betriebsbedingte Kündigung). Gerichtlicher Überprüfung unterliegt hingegen die Frage,
ob durch die innerbetriebliche Umsetzung der Unternehmerentscheidung das Bedürfnis
für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfallen ist (BAG AP Nr.
50 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).
42
Wie die Beklagte dargelegt hat, wurde im September 1996 der Beschluß gefaßt, das
Werk N. zum 31.12.1997 stillzulegen, wobei der mit der U. Industrie AG über das
Betriebsgelände geschlossene Pachtvertrag mit der Stillegung des Werkes auslaufen
soll. Für den Kläger war daher bei Ausspruch der Kündigung spätestens mit dem
Zeitpunkt der endgültigen Betriebsschließung im Werk N. eine weitere
Beschäftigungsmöglichkeit dort nicht mehr zu erwarten. Anhaltspunkte, wonach sich die
Betriebs-schließung im Rahmen eingeschränkter Mißbrauchskontrolle als offenbar
unvernünftig oder willkürlich darstellte, waren dem Klagevorbringen nicht zu entnehmen.
43
2.
44
Nach dem ultima-ratio-Prinzip kann von einer Betriebsbedingtheit der Kündigung erst
dann gesprochen werden, wenn der Arbeitgeber auch keine Möglichkeit hat, den
Arbeitnehmer anderweitig zu beschäftigen (statt vieler BAG AP Nr. 8 zu § 2 KSchG
1969, B II der Gründe). Nach der normativen Konkretisierung des ultima-ratio-
Grundsatzes durch § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG ist eine Kündigung unter anderem auch dann
sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in
demselben Betrieb oder einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt
werden kann, wobei - über den Wortlaut des § 1 Abs. 2 S. 2 Ziffer 1 b KSchG
hinausgehend - angesichts der individualrechtlichen Verbesserung des
Kündigungsschutzes durch die Widerspruchstatbestände es eines Widerspruchs des
Betriebsrats diesbezüglich nicht bedarf. Von der Möglichkeit einer anderweitigen
Beschäftigung im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 2 Ziff. 1 b KSchG ist auszugehen, soweit ein
"freier", nämlich zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs unbesetzter Arbeitsplatz bzw.
ein solcher Arbeitsplatz vorhanden ist, hinsichtlich dessen der Arbeitgeber mit
hinreichender Sicherheit vorhersehen kann, daß dieser bis zum Ablauf der
45
Kündigungsfrist oder unmittelbar danach zur Verfügung steht (BAG AP Nr. 1 zu § 1
KSchG 1969 Umschulung zu B II 1 a der Gründe; BAG AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969
Betriebsbedingte Kündigung; BAG EzA Nr. 76 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte
Kündigung).
Eine solche anderweitige Weiterbeschäftigungsmöglichkeit, nämlich das
Vorhandensein freier Arbeitsplätze im Werk S. sowie bei der H. Radsatz GmbH P. hat
der Kläger bereits im erstinstanzlichen Rechtszug geltend gemacht und hierzu
vorgetragen.
46
a.
47
Im Streitfall trat eine Verlagerung der Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen
dringender betrieblicher Kündigungsgründe i. S. v. § 1 Abs. 5 KSchG
48
n. F. allein auf den Kläger nach Auffassung der Berufungskammer nicht ein.
49
Kommt es bei einer Betriebsänderung zu einem Interessenausgleich, in welchem die zu
kündigenden Arbeitnehmer namentlich bezeichnet sind, so wird gemäß § 1 Abs. 5 S. 1
KSchG n. F. vermutet, daß die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse
bedingt ist; die soziale Auswahl kann in diesem Fall nur auf grobe Fehlerhaftigkeit
überprüft werden. Dem Arbeitnehmer obliegt es nunmehr, die Vermutung der
Betriebsbedingtheit nicht nur zu erschüttern, sondern sie auch begründet zu widerlegen
(vgl. im Schrifttum hierzu Löwisch, NZA 1996, 1009, 1011; von Hoyningen/Huene/Linck,
DB 1997, 41, 45; Bader, NZA 1996, 1125, 1133; Lorenz, DB 1996, 1973; Neef, NZA
1997, 65, 69; Küttner/Eisemann, Personalbuch 1997 Stichwort "Betriebsbedingte
Kündigung" Rz. 60). Im Streitfall waren die Voraussetzungen für eine Vermutung im
Sinne des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG n. F. hingegen nicht gegeben, blieb es mithin bei der
von der Rechtsprechung entwickelten abgestuften Verteilung der Darlegungslast im
Rahmen des § 1 Abs. 2 S. 2 Ziffer 1 b KSchG (zur abgestuften Darlegungslast vgl. BAG
AP Nr. 8 zu § 1 KSchG Konzern). Die seitens der Beklagten erstellte - noch nicht
vollständige - Liste der zu entlassenden Arbeitnehmer vom 27.11.1996 war Gegenstand
der Betriebsratsanhörung vom gleichen Tage, nicht hingegen Bestandteil des
Interessenausgleichs ohne Datum. Dieser ist auch nicht etwa zeitgleich mit dem
Sozialplan vom 29.11.1996 geschlossen worden, sondern bereits erhebliche Zeit zuvor,
wie seinem Inhalt zu entnehmen ist, wonach z. B. erst Verhandlungen mit dem
Betriebsrat in Aussicht genommen werden und der eigentliche Schließungsbeschluß
erst angekündigt wird. Zu diesem Zeitpunkt war ausweislich des weiteren Inhalts der
Vereinbarung auch noch offen, welchen Arbeitnehmern überhaupt alternative
Weiterbeschäftigungsangebote unterbreitet werden konnten und welche zu kündigen
waren. Wurde von daher die Liste vom 27.11.1996 erst in einem erheblich späteren
Zeitabschnitt erstellt und zum Gegenstand der Betriebsratsanhörung gemacht, so war für
das Eingreifen der gesetzlichen Vermutung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG n. F. kein Raum.
50
b.
51
Der Kläger hat bereits erstinstanzlich geltend gemacht, sowohl im Werk S. als auch in
der H.-Radsatz GmbH auf einem dortigen freien Arbeitsplatz eingesetzt werden zu
können. Hierzu hatte er auf seine Ausbildung als technischer Zeichner sowie seinen
späteren Einsatz in Detaillkonstruktion, Fertigung von Rohteilzeichnungen und
Erledigung der Rohteilbeschaffung im Rahmen der Arbeitsvorbereitung hingewiesen
52
und geltend gemacht, aufgrund seiner Kenntnisse als Detaillkonstrukteur und
Rohteilzeichner entsprechend im technischen Büro für Kupplungen oder Radsätze
eingesetzt werden zu können. Der Kläger hat sich ergänzend unter anderem auf die im
technischen Büro eingesetzten und für S. vorgesehenen Mitarbeiter S. und L. sowie den
in P. weiterzu-beschäftigenden Mitarbeiter T. bezogen.
Wie zwischen den Parteien unstreitig ist, handelt es sich bei dem Betrieb der Beklagten
in S. um einen anderen Betrieb des Unternehmens im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 2 Ziffer 1
b KSchG; ebenfalls nicht streitig ist, daß dort eine Reihe von Arbeitsplätzen zur
Verfügung standen und diese mit Beschäftigten des N. Betriebes besetzt worden sind.
53
aa.
54
Ausweislich des Anhörungschreibens der Beklagten zur vorsorglichen Nachkündigung
und Änderungskündigung (Bl. 207 ff., 209 d. A.) standen insgesamt 12 Positionen ab
Januar 1997 zur Besetzung an, dies ungeachtet der weiteren, mit Externen besetzten
sieben Angestelltenpositionen. Dem Parteivortrag der Beklagten beider Instanzen
waren insoweit ausreichend substantiierte Anhaltspunkte für den Umfang der zu
besetzenden Stellen wie auch deren konkrete inhaltliche Beschaffenheit nicht zu
entnehmen.
55
Soweit die Beklagte eingewandt hat, ein Einsatz des Klägers dort sei ihr im Rahmen der
arbeitsvertraglichen Vereinbarung mit N. als Arbeitsort verwehrt, stand ihr grundsätzlich
die Möglichkeit zu, eine Weiterbeschäftigung dort im Wege der Änderungskündigung
durchzuführen (vgl. BAG AP Nr. 8 zu § 2 KSchG 1969), welche im Rahmen des ultima-
ratio-Prinzips der Beendigungskündigung vorzuziehen ist. Daß es entsprechende
Arbeitsplätze in S. gab und diese im Jahresverlauf zu besetzen waren, stand auch
bereits zum Zeitpunkt der Betriebsratsanhörung und Erstellung der Liste vom
27.11.1996 sowie bei Ausspruch der Kündigung vom 09.12.1996 fest.
56
Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, daß es im Streitfall auch einer
Auswahlentscheidung der Beklagten hinsichtlich der zu besetzenden, zum Zeitpunkt der
Kündigung freien bzw. unmittelbar nach Fristablauf freiwerdenden Arbeitsplätze
bedurfte.
57
Besteht innerhalb eines Betriebes für einen Teil der betroffenen Beschäftigten eine
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit, so obliegt es dem Arbeitgeber, im Wege der sozialen
Auswahl unter den fachlich und persönlich für diesen Arbeitsplatz geeigneten
Beschäftigten zu entscheiden, welche der zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmer er
weiterbeschäftigt. Erst die nach § 1 Abs. 3 KSchG vorzunehmende Auswahl läßt
erkennen, welche der Kündigungen im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG
betriebsbedingt ist (vgl. hierzu auch BAG EzA Nr. 76 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte
Kündigung).
58
Vorliegend handelt es sich hingegen bei dem Werk S. nicht um einen Teil eines
einheitlichen Betriebes - insoweit liegt substantiierter Klagevortrag nicht vor -, sondern
um einen anderen Betrieb des Unternehmens. Soweit dort noch freie Arbeitsplätze
vorhanden sind, auf die ein Teil der Beschäftigten aus N. versetzt werden könnte,
erweist sich bezüglich dieses Kreises gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 Ziff. 1 b KSchG keine der
Kündigungen für sich betrachtet als dringend betriebsbedingt im Sinne des § 1 Abs. 2
KSchG. Auch hier bedarf es zuvor einer Auswahlentscheidung der Beklagten. Auch
59
wenn eine unmittelbare Anwendung des betriebsbezogenen § 1 Abs. 3 KSchG
ausscheidet, steht es nicht im freien Belieben der Beklagten, mit welchen Beschäftigten
sie die Arbeitsplätze in S. besetzt. Insoweit bedurfte es zumindest einer Auswahl nach
billigem Ermessen im Sinne von § 315 Abs. 3 BGB unter Berücksichtigung der
gesetzgeberischen Wertung des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG (BAG vom 25.10.1994 - 3
AZR 987/93; BAG EzA Nr. 82 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; BAG EzA Nr.
77 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; vgl. auch Weller ArbuR 1986, 225, 230;
Ascheid, Kündigungsschutzrecht Rz. 309).
Bestanden in S. freie bzw. freiwerdende Arbeitsplätze, so war seitens der Beklagten
eine Selektion nach persönlicher und fachlicher Eignung vorzunehmen, nämlich welche
ihrer Beschäftigten von den Arbeitsplatzanforderungen her eignungsmäßig,
insbesondere von Berufsausbildung wie Berufserfahrung her nach zumutbarer
Einbarbeitungszeit für eine Weiterbeschäftigung in Betracht kamen. Hierbei ging es
noch nicht um die Auswahl innerhalb des Kreises der vergleichbaren Arbeitnehmer
selbst im Sinne des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG bzw. des § 315 Abs. 3 BGB in
entsprechender Anwendung im Sinne der hierzu entwickelten Rechtsprechung, welche
alsdann die Kündigung als betriebsbedingt im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG erweist,
sondern zunächst um die Eingrenzung des Kreises der "vergleichbaren", nämlich für die
Stellenbesetzung überhaupt nach Fähigkeit und Ausbildung in Betracht kommenden
Arbeitnehmer (vgl. auch LAG Düsseldorf LAGE Nr. 12 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl).
Hierbei ist darauf abzustellen, ob der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz weggefallen ist,
die Funktion eines anderen Arbeitsplatzes wahrnehmen kann, wovon auch dann
auszugehen ist, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner Fähigkeit und Ausbildung eine
andersartige, aber gleichwertige Tätigkeit ausführen kann (vgl. BAG EzA Nr. 82 zu § 1
KSchG Betriebsbedingte Kündigung; BAG AP Nr. 23 zu § 1 KSchG 1969 Soziale
Auswahl; vgl. auch Bitter/Kiel, RdA 1994, 333).
60
Soweit die Beklagte hierzu vorgetragen hat, die dem Programm "Rigiflex-Kupplungen"
des Werkes N. zuzuordnenden Arbeitnehmer seien mit ihrem Spezialwissen für
Konstruktion und Montage dort eingesetzt worden, ermangelt es ihrem diesbezüglichen
Vorbringen an der erforderlichen Substantiierung, berücksichtigt man, daß
offengeblieben ist, aus welchem Grunde andere Mitarbeiter nicht in angemessener Zeit
in der Lage sind, sich das für den Arbeitsplatz erforderliche Wissen anzueignen.
Gleiches gilt für die Frage, was unter "Spezialwissen" zu verstehen ist.
61
bb.
62
Im Ergebnis kann jedoch dahingestellt bleiben, ob die Beklagte insoweit ihrer
Darlegungspflicht ausreichend nachgekommen ist. An entsprechendem
Tatsachenvortrag im Kündigungsschutzverfahren ist die Beklagte nämlich in Anbetracht
des Umstandes gehindert, daß der Betriebsrat bereits bezüglich der - einer weiteren
Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten vorausgehenden - Selektion von
Beschäftigten, welche für freie Arbeitsplätze in S. in Betracht kommen, nicht gehört
worden ist, § 102 Abs. 1 BetrVG.
63
Wie die Vorinstanz bereits zutreffend ausgeführt hat, ist es dem Arbeitgeber bei objektiv
unvollständiger Mitteilung der Kündigungsgründe im Rahmen der Betriebsratsanhörung
im anschließenden Kündigungsschutzverfahren nicht gestattet, Gründe für die soziale
Rechtfertigung der Kündigung nachzuschieben, zu denen der Betriebsrat nicht angehört
worden ist (vgl. BAG AP Nr. 30 zu § 102 BetrVG 1972; BAG AP Nr. 101 zu § 626 BGB;
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LAG Düsseldorf LAGE Nr. 35 zu § 102 BetrVG).
Auch ist weder ersichtlich, daß der Betriebsrat etwa hierzu erneut angehört worden wäre
noch es sich diesbezüglich lediglich um eine bloße Erläuterung oder Konkretisierung
der Kündigungsgründe handelte. Im Hinblick darauf, daß von Anfang an gemäß
Interessenausgleich und Sozialplan nach Möglichkeit eine anderweitige
Weiterbeschäftigung der Beschäftigten geprüft und in Aussicht genommen worden ist
sowie vor Ausspruch der Kündigung schließlich feststand, welche Arbeitnehmer
tatsächlich anderweitig eingesetzt werden sollten, kann im Streitfall die bloße Mitteilung
über den Wegfall des Arbeitsplatzes nicht bereits als erkennbarer Hinweis an den
Betriebsrat über das Nichtbestehen anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten und
des hierzu angewandten Auswahlverfahrens - mit der Folge anschließender
Konkretisierungsmöglichkeit erstmals im Kündigungsschutzverfahren - verstanden
werden (vgl. für den Regelfall BAG AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte
Kündigung).
65
Die Beklagte hat weder in der dem Betriebsrat vorgelegten Liste vom 27.11.1996 noch
im Anhörungsschreiben selbst dem Betriebsrat erläutert, nach welchen Kriterien sie die
Selektion der für eine "Versetzung nach S." vorgesehenen Mitarbeiter durchgeführt hat.
Vielmehr hat sie ohne nähere Erläuterung im Anhörungsschreiben ausgeführt, die
Kündigung werde "vorsorglich auch für die Mitarbeiter beantragt, für die ein Wechsel in
die C.-Verkehrstechnik S. bzw. in die H. Radsatz GmbH geplant ist". In der Liste findet
sich bei dem betreffenden Beschäftigten teilweise keinerlei Hinweis auf eine
Versetzung, im übrigen ohne jede nähere Erläuterung der Gründe hierfür der Vermerk
"V-RS" (Versetzung nach S.). Aus welchem Grunde - etwa wegen besonderer Nähe
zum Rigiflex-Produkt - dies erfolgt ist, wird nicht ausgeführt, läßt sich im übrigen auch
aus sonstigen Anhaltspunkten - wie etwa der Kostenstelle - nicht entnehmen. Einige der
ausweislich der Betriebsratsanhörung zur Nachkündigung in S. eingesetzten
Beschäftigten bleiben in den Listen gänzlich unerwähnt. Waren zum
Kündigungszeitpunkt mithin in S. offene Positionen unter anderem für
Reparaturschlosser, CNC-Bohrwerksdreher, Sachbearbeiter Lagerwesen/-
Wareneingang, Meister Arbeitsvorbereitung, Prüfstandingenieur und daneben für
Konstrukteure, Vorarbeiter, technische Sachbearbeiter sowie Vertriebs-mitarbeiter
Rigiflex vorhanden, so hätte es entsprechender Unterrichtung des Betriebsrats über die
Auswahl des Kreises der hierzu in Frage kommenden, vergleichbaren Beschäftigten
bedurft, ist die Beklagte mithin an einem Nachschieben von Selektionskriterien im
Kündigungsschutzprozeß hinsichtlich einer Ungeeignetheit des "freien Arbeitsplatzes"
gerade für den Kläger gehindert. Daß die Beklagte eine anderweitige Besetzung dieser
freien bzw. freiwerdenden Arbeitsplätze ggf. nicht ernsthaft in Betracht gezogen und
daher von einer entsprechenden Information des Betriebsrats abgesehen hat, ändert
hieran nichts. Da der Beklagten gemäß Interessenausgleich und Sozialplan gerade die
Prüfung einer "Versetzung" aller hierfür in Betracht kommenden Beschäftigten oblag, ist
entgegen der Auffassung der Berufung keineswegs bereits der Mitteilung der
Kündigungsabsicht zwingend zu entnehmen, daß eine alternative
Weiterbeschäftigungsmöglichkeit per se nicht in Betracht kommt. Dies gilt umso mehr,
als die Beklagte selbst vorgetragen hat, in Erfüllung des Sozialplans jeweils
entsprechende Überprüfungen angestellt zu haben.
66
cc.
67
Die Beklagte hat zudem davon abgesehen, den Betriebsrat über die nach billigem
68
Ermessen im Sinne von §§ 315 Abs. 3 BGB bzw. 1 Abs. 3 KSchG in entsprechender
Anwendung (offengelassen in BAG EzA Nr. 76 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte
Kündigung) vorzunehmende Auswahl zu unterrichten, insbesondere diesem auch die
auf seiten der Beschäftigten zu berücksichtigenden sozialen Belange mitzuteilen.
Weder im Anhörungsschreiben vom 27.11.1996 noch in der Kündigungsliste finden sich
Sozialdaten der Beschäftigten, welche über die Angabe des jeweiligen Lebensalters
hinausgingen. Von daher ist die Beklagte daran gehindert, im
Kündigungsschutzverfahren nunmehr erstmals zu den Auswahlkritierien vorzutragen
und entsprechende Punktelisten - wie die erst geraume Zeit nach Kündigungsausspruch
erstellte vom 02.02.1997 - zur Stützung ihres Rechtsstandpunktes in das Verfahren
einzuführen. Der Betriebsrat hatte mangels entsprechender Informationserteilung mithin
weder die Möglichkeit, den Kreis der für eine dortige Besetzung überhaupt in Betracht
kommenden Beschäftigten zu überprüfen noch die Auswahlentscheidung selbst
nachzuvollziehen.
c.
69
Die vorstehenden Erwägungen sind im Streitfall nach Auffassung der Berufungskammer
auch auf die vom Kläger dargestellten Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten in
Oberhausen anzuwenden.
70
Zu Recht hat die Beklagte zwar demgegenüber angeführt, ausweislich des
Gesetzeswortlauts in § 1 Abs. 2 S. 2 Ziffer 1 b KSchG könne allein auf andere Betriebe
desselben Unternehmens, nicht hingegen andere Unternehmen abgestellt werden.
Unstreitig handelt es sich bei der H. GmbH P. auch um ein rechtlich selbständiges
Unternehmen mit der Maßgabe, daß im Rahmen der Ausgliederung der Beklagten aus
der U.-Guss-AG dieser die hieran bestehenden Anteile zu 100 % übertragen worden
sind.
71
Zwar ist das Kündigungsschutzgesetz nicht konzern-, sondern betriebs-bezogen,
hingegen kann der Beschäftigte im Einzelfall einen vertraglichen Anspruch gegen
seinen Arbeitgeber auf Verschaffung eines Arbeitsvertrages über den Betrieb bzw. das
Unternehmen hinaus haben (vgl. BAG AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Konzern m. w. N.
mit zustimmender Anmerkung Wiedemann). Hiervon ist mit dem Bundesarbeitsgericht
unter anderem dann auszugehen, wenn sich eine solche Verpflichtung unmittelbar aus
dem Arbeitsvertrag oder einer sonstigen vertraglichen Absprache ergibt oder wenn der
Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine diesbezügliche Zusage macht bzw. eine
Übernahme durch einen anderen Unternehmens- oder Konzernbetrieb in Aussicht stellt
(vgl. auch Konzen ZfA 1982, 259 ff.; Martens, in 25 Jahre Bundesarbeitsgericht, Seite
375). Voraussetzung einer so erweiterten "Versetzungspflicht" ist, daß dem
Beschäftigungsbetrieb aufgrund einer Abstimmung mit dem herrschenden Unternehmen
bzw. Konzernbetrieb ein bestimmender Einfluß auf die "Versetzung" eingeräumt worden
ist.
72
Eine derart erweiterte Versetzungspflicht ist dem Kläger gegenüber im Wege des
Sozialplans vom 29.11.1996 begründet worden. Nach gefestigter Rechtsprechung ist
bei der Auslegung von Sozialplänen als Betriebsvereinbarung zunächst maßgeblich auf
den im Wortlaut der Betriebsvereinbarung zum Ausdruck gelangten Willen der
Betriebspartner abzustellen und der von diesen beabsichtigte Sinn und Zweck der
Regelung zu berücksichtigen, soweit dieser in den Regelungen der
Betriebsvereinbarung noch seinen Niederschlag gefunden hat (statt vieler BAG AP Nrn.
73
48 u. 75 zu § 112 BetrVG 1972). Zu berücksichtigen ist weiter der
Gesamtzusammenhang der Regelung, der häufig schon deswegen einzubeziehen ist,
weil daraus auf den wirklichen Willen der Betriebspartner geschlossen und nur so der
Sinn und Zweck der Regelung zutreffend ermittelt werden kann (BAG AP Nrn. 66 u. 67
zu § 112 BetrVG 1972; BAG DB 1997, 1623). Nach dem im Wortlaut des Sozialplans
vom 29.11.1996 zutage tretenden Willen der Betriebspartner und dem erkennbaren Sinn
und Zweck der Vereinbarung sollte den Beschäftigten des Werkes N. nicht nur das
Bemühen der Beklagten um eine Stellenvermittlung zugesagt werden, sondern bei
Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auch eine Selbstbindung im Rahmen
von Versetzungsmaßnahmen auf geeignete freie bzw. freiwerdende Arbeitsplätze bei
der H. Radsatz GmbH in P. eingegangen werden. Hierbei geht es nicht um die
Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zusage einer Neueinstellung, sondern um
die Erweiterung des Rahmens der für eine Weiterbeschäftigung bereits im
Kündigungszeitpunkt in Betracht zu ziehenden freien Arbeitsplätze. Entsprechend hat
daher auch die Beklagte selbst die Weiterbeschäftigung in S. wie P. gleichermaßen als
"Versetzung" bezeichnet und auch durchgeführt. Insoweit führt der bloße Hinweis
darauf, in einer Reihe von - namentlich nicht genannten - Fällen seien neue
Arbeitsverträge geschlossen worden, nicht weiter. In Ziffer 2.2 des Sozialplans wird
ohne weitere Differenzierung ausdrücklich auf "freiwerdende" Arbeitsplätze nicht nur bei
der C. S., sondern auch der H. Radsatz GmbH abgestellt. Entsprechendes gilt für Ziffer
1.3, wo ebenfalls das zumutbare Stellenangebot in S. demjenigen bei der H. Radsatz
GmbH gleichgestellt wird. Dies macht nach Auffassung der Berufungskammer in
besonderer Weise Sinn vor dem Hintergrund des zuvor vereinbarten
Interessenausgleichs, in welchem die U.-Guss-AG in Ausführung ihrer Ausgliederungs-
und anschließenden Stillegungsmaßnahme ihrer "sozialen Verantwortung gegenüber
den Mitarbeitern der Verkehrstechnik N. dadurch gerecht" wird, "daß im Rahmen der
auch im Joint Venture durch U. GUSS maßgeblich zu bestimmenden Festlegung zu
Sozialplänen etc., die Arbeitnehmer so behandelt werden, als wenn das Werk noch zu
U. GUSS und nicht zum Joint Venture gehören würde". Entsprechend werden "allen
Mitarbeitern der Verkehrstechnik N. auf Wunsch vorhandene Arbeitsplatzangebote
innerhalb des U.-Guss-Konzerns oder extern gemacht" wobei klargestellt wird, "daß
diese Angebote nicht in jedem Fall der Qualifikation des Mitarbeiters bzw. seiner
bisherigen Tätigkeit entsprechen müssen". Verpflichtete sich mithin die U.-Guss-AG
dazu, die Beschäftigten des Werkes N. im Rahmen der Sozialpläne so zu behandeln,
als würde N. noch zur U.-Guss und nicht zur Beklagten gehören, und stellte die Beklagte
im Sozialplan ausdrücklich freiwerdende Arbeitsplätze der H. GmbH in P. denjenigen in
S. gleich, so begab sie sich bezüglich der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in P. in eine
Selbstbindung insoweit, als ihr die Berufung auf den Status der - von ihr zu 100 %
gehaltenen - H. GmbH als selbständiges Unternehmen im Rahmen alternativer
Beschäftigungsmöglichkeiten verwehrt ist.
Soweit die Beklagte angeführt hat, sie könne nicht über Arbeitsplätze in P. verfügen, sie
sei auf reine Vermittlertätigkeit beschränkt, vermochte sie mit diesem allgemeinen
Hinweis nicht durchzudringen. Zu einer Konkretisierung ihres Sachvortrages im Sinne
von § 138 Abs. 1 ZPO bestand sowohl in Anbetracht der Anteilseignerschaft als auch
der im Interessenausgleich und Sozialplan getroffenen Vereinbarungen in besonderer
Weise Anlaß. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte selbst die Weiterbeschäftigung von
über 20 Arbeitnehmern in Oberhausen ausdrücklich als "Versetzung" deklariert und
auch nichts dafür vorgetragen hat, inwieweit diese Mitarbeiter etwa zuvor einer
gesonderten Auswahl- und Einstellungsprozedur seitens der H. GmbH unterzogen
worden wären.
74
Wie zum Teil der Kündigungsliste vom 27.11.1996 sowie der Betriebsrats-anhörung zur
Nachkündigung zu entnehmen ist, befanden sich in P. zum Kündigungszeitpunkt 22
freie bzw. freiwerdende Arbeitsplätze, auf denen von der Beklagten Beschäftigte unter
anderem als CNC-Dreher, Dreher, Transporteur, Arbeitsvorbereiter, Bediener
Bearbeitungszentrum, Qualitätsprüfer, Spitzendreher, Elektroniker, Schleifer, CNC-
Programmierer, Sachbearbeiter für Versand und für Auftragsabwicklung sodann
eingesetzt wurden. Auch diesbezüglich hat die Beklagte den Betriebsrat nicht über die
Abgrenzungskriterien für ihre Selektion fachlich geeigneter Arbeitnehmer sowie die
anschließende Auswahlentscheidung unter dem Gesichtspunkt des § 315 Abs. 3 BGB
bei Berücksichtigung der gesetzlichen Wertung des § 1 Abs. 3 KSchG in Kenntnis
gesetzt, sondern es bei der Eintragung des bloßen Versetzungsvemerks in der
Kündigungsliste "Versetzung H. P." belassen. Sie war von daher an einem
Nachschieben von Abgrenzungs- und Auswahlkritierien im Kündigungsschutzverfahren
gehindert.
75
Es konnte von daher dahinstehen, inwieweit der Kläger - wie von der Beklagten
behauptet - mit dem in P. weiterbeschäftigten Mitarbeiter T. nicht vergleichbar ist.
76
3.
77
Erwies sich die Kündigung mithin bereits mangels Vorliegens dringender betrieblicher
Kündigungsgründe im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG als sozial nicht gerechtfertigt,
so konnte eine weitere Überprüfung der Kündigung unter dem Gesichtspunkt des § 613
a Abs. 4 BGB dahinstehen.
78
III.
79
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen war
mithin als unbegründet zurückzuweisen.
80
Die Kosten des ohne Erfolg gebliebenen Rechtsmittels waren gemäß § 64 Abs. 6
ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO der Beklagten aufzuerlegen.
81
Gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG war die Revision zum Bundesarbeitsgericht
zuzulassen.
82
IV.
83
Rechtsmittelbelehrung:
84
Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten
85
REVISION
86
eingelegt werden.
87
Für den Kläger ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
88
Die Revision muß
89
innerhalb einer Notfrist von einem Monat
90
nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
91
Bundesarbeitsgericht,
92
Graf-Bernadotte-Platz 5,
93
34119 Kassel,
94
eingelegt werden.
95
Die Revision ist gleichzeitig oder
96
innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
97
schriftlich zu begründen.
98
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
99
gez.: Dr. Westhoffgez.: Mußmanngez.: Mailänder
100