Urteil des LAG Düsseldorf vom 04.09.1998

LArbG Düsseldorf (bag, neue tatsache, kündigung, fristlose kündigung, wichtiger grund, zustimmung, 1995, zpo, verurteilung, arbeitsgericht)

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 11 TaBV 44/98
Datum:
04.09.1998
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
11 TaBV 44/98
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Wuppertal, 8 BV 46/97
Schlagworte:
Bindungswirkung eines rechtskräftig zu Lasten eines Arbeitgebers
abgeschlossenen Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 2
S. 1 BetrVG
Normen:
BGB § 626; KSchG § 15;BetrVG § 103, EGZPO § 14; ZPO § 322
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Ist in einem Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 S. 1
BetrVG rechtskräftig entschieden worden, daß die vom Arbeitgeber
vorgebrachten Gründe eine außerordentliche Kündigung eines
Betriebsratsmitglieds gemäß § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG i. V. m. § 626 Abs.
1 BGB nicht rechtfertigen, ist hieran das Arbeitsgericht in einem
nachfolgenden Zustimmungsersetzungsverfahren, das auf dieselben
Kündigungsgründe gestützt wird, gebunden. 2. Diese Bindungswirkung
tritt nicht ein, wenn der Arbeitgeber seinen erneuten
Zustimmungsersetzungsantrag nach § 103 Abs. 2 S. 1 BetrVG mit neuen
Tatsachen begründet, die einen wichtigen Grund i. S. von § 626 Abs. 1
BGB darstellen sollen. Hierfür reicht allerdings allein eine
zwischenzeitlich erfolgte, zudem nicht rechtskräftige strafrechtliche
Verurteilung des Betriebsratsmitglieds nicht aus, wenn dem ersten
Zustimmungsersetzungsantrag eine vom Arbeitgeber beabsichtigte
Tatkündigung zugrunde lag.
Tenor:
Die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluß des
Arbeitsgerichts Wuppertal vom 27.01.1998 - 8 BV 46/97 -
wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
G R Ü N D E :
1
I.
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Die antragstellende Arbeitgeberin ist ein Einzelhandelsunternehmen mit einer Vielzahl
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von Filialen. Antragsgegner ist der bei ihr gebildete Betriebsrat. Der am 05.07.1945
geborene Beteiligte zu 3) (im folgenden: Herr M.) trat am 06.11.1972 als Kraftfahrer in
die Dienste der Arbeitgeberin. Seit 1978 ist er Mitglied des Betriebsrates und seit 1980
dessen Vorsitzender.
Bereits mit einem am 30.06.1995 beim Arbeitsgericht Wuppertal eingereichten Antrag
begehrte die Arbeitgeberin die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen
Kündigung des Herrn M. wegen angeblicher sexueller Belästigung mehrerer ihrer
Mitarbeiterinnen. Dabei stützte sie sich auf zwei eidesstattliche Versicherungen der
Bezirksleiterinnen B.und S. vom 21.06.1995 und legte im Verlaufe des damaligen
Zustimmungsersetzungsverfahrens noch eidesstattliche Versicherungen der
Mitarbeiterinnen A., R. und J. über Vorgänge aus den Jahren 1978 bis 1981, 1994 bzw.
1982 bis 1984 vor. Den Zustimmungsersetzungsantrag wies das Arbeitsgericht
Wuppertal nach Vernehmung von insgesamt 14 Zeugen durch Beschluß vom
05.12.1995 - 4 BV 94/95-2 - zurück. Die hiergegen seitens der Arbeitgeberin eingelegte
Beschwerde wies das Landesarbeitsgericht Düsseldorf durch Beschluß vom 24.06.1996
- 14 TaBV 11/96 - zurück, weil auch die zweitinstanzlich durchgeführte Vernehmung von
sieben Zeugen nicht den Beweis für die Richtigkeit der Herrn M. gegenüber erhobenen
Vorwürfe erbracht habe.
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Nachdem Herr M. am 03.11.1997 durch das Amtsgericht Wipperfürth - 2 Ls 43 Js 164/95
- 49/97 - wegen sexueller Belästigung von Mitarbeiterinnen der Arbeitgeberin in drei
(minderschweren) Fällen zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je
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DM 110,-- DM verurteilt worden war, leitete die Arbeitgeberin mit Schreiben vom
10.11.1997 ein neues Zustimmungsverfahren bei ihrem Betriebsrat zwecks Ausspruchs
einer fristlosen Kündigung sowie einer vorsorglichen und hilfsweisen
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beabsichtigten außerordentlichen Kündigung unter Einhaltung der ordentlichen
Kündigungsfrist ein. Ihrem Schreiben fügte sie eidesstattliche Versicherungen von Frau
J. vom 05.07.1995, von Frau A. vom 14.07.1995 sowie von Frau R. aus dem Jahre 1995
bei. Der Betriebsrat verweigerte schriftlich unter dem 13.11.1997 die begehrte
Zustimmung mit dem Hinweis darauf, daß die Arbeitgeberin bereits wegen identischer
Vorwürfe ein Zustimmungsersetzungsverfahren gem. § 103 BetrVG eingeleitet und
verloren habe und außerdem das Urteil des Amtsgerichts Wipperfürth falsch sei.
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Mit ihrem beim Arbeitsgericht Wuppertal am 17.11.1997 eingereichten Antrag begehrt
die Arbeitgeberin erneut die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur
außerordentlichen, fristlosen Kündigung, hilfsweise zur außerordentlichen, fristgemäßen
Kündigung des Herr M..
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Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, das durch die Verurteilung durch das
Amtsgericht Wipperfürth belegte Verhalten des Herrn M. rechtfertige dessen
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außerordentliche, fristlose Kündigung aus wichtigem Grund.
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Die Arbeitgeberin hat beantragt,
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1. die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen, fristlosen
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Kündigung des Beteiligten M. zu ersetzen;
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2. hilfsweise die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen,
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fristgemäßen Kündigung des Beteiligten M. zu ersetzen.
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Der Betriebsrat sowie Herr M. haben beantragt,
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die Anträge zurückzuweisen.
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Sie haben die Ansicht vertreten, dem Antrag stehe der rechtskräftige Beschluß des
Landesarbeitsgericht Düsseldorf vom 24.06.1996 - 14 TaBV 11/96 - entgegen,
außerdem sei das Urteil des Amtsgerichts Wipperfürth nicht rechtskräftig.
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Das Arbeitsgericht hat durch Beschluß vom 27.01.1998 den Antrag der Arbeitgeberin
zurückgewiesen. Dabei hat es dahinstehen lassen, ob nicht bereits die Rechtskraft der
erst- und zweitinstanzlichen Beschlüsse im Vorverfahren den Rückgriff auf die
abgehandelten Sachverhalte ausschließen würde. Selbst wenn man davon ausginge,
daß eine strafrechtliche Verurteilung als solche ein neuer Sachverhalt sei, auf den eine
Kündigung gestützt werden könnte, so müsse diese doch zumindest rechtskräftig sein.
Dies sei jedoch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht der Fall
gewesen.
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Gegen den ihr am 24.04.1998 zugestellten Beschluß hat die Arbeitgeberin mit einem bei
Gericht am 25.05.1998 (Montag) eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und
diese mit einem bei Gericht am 22.06.1998 eingereichten Schriftsatz begründet.
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Die Arbeitgeberin macht unter teilweiser Wiederholung ihres erstinstanzlichen
Vorbringens geltend:
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Der angefochtene Beschuß könne keinen Bestand haben, weil - unstreitig - die
Berufung des Herrn M. gegen das Urteil des Amtsgerichts Wipperfürth durch Urteil des
Landgerichts Köln vom 17.06.1998 - 152-231/97 - verworfen worden sei. Dadurch sei
ein neuer Sachverhalt gesetzt worden mit der Folge, daß der rechtskräftige Beschluß
des Arbeitsgericht Wuppertal vom 05.12.1995 - 4 BV 94/95 -2 - der begehrten
Zustimmungsersetzung nicht entgegenstehe. Bei Herrn M. handele es sich um ein
sowohl in erster wie auch in zweiter Instanz wegen sexueller Nötigung in drei Fällen
verurteilten Straftäter, woran sich nach ihrer Überzeugung auch unter Berücksichtigung
der von ihm - unstreitig - eingelegten Revision nichts ändern werde. Sie stütze nunmehr
ihre begehrte Zustimmung zur Kündigung des Herrn M. auf die Vorwürfe in der Sache
selbst und seine den vorgetragenen Sachverhalt betreffende strafrechtliche
Verurteilung.
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Die Arbeitgeberin beantragt,
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unter Aufhebung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Wuppertal
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vom 27.01.1998
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1. die Zustimmung des Betriebsrates zur außerordentlichen, fristlosen
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Kündigung des Beteiligten M. zu ersetzen,
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2. hilfsweise: die Zustimmung des Betriebsrats zur außerordentlichen,
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fristgerechten Kündigung des Beteiligten M. zu ersetzen.
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Der Betriebsrat und Herr M. beantragen,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie verteidigen den angefochtenen Beschluß und führen unter teilweiser Wiederholung
ihres erstinstanzlichen Vorbringens ergänzend aus:
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Eine Gerichtsentscheidung könne kein wichtiger Grund an sich im Sinne des § 626 Abs.
1 BGB sein, wenn, wie im Streitfall, die zugrundeliegenden Tatsachen in einem
zivilrechtlichen Verfahren bereits abschließend beurteilt und rechtskräftig entschieden
worden seien. Im übrigen liege nach wie vor keine rechtskräftige strafrechtliche
Verurteilung des Herrn M. vor.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den
Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den übrigen Akteninhalt verwiesen.
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II.
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1. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist zulässig. Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 87
Abs. 1 ArbGG) sowie in gesetzlicher Form (§ 89 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 518
Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 518 Abs. 1 und 2 ZPO i. V. m.
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§§ 64 Abs. 6 Satz 1, 87 Abs. 2 Satz 1 ArbGG) und Frist (§§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1
Satz 1 ArbGG, §§ 222 Abs. 2, 523 ZPO i. V. m. § 87 Abs. 2 Satz 1 ArbGG) eingelegt und
innerhalb der Frist (§ 519 Abs. 2 Satz 2 2. Halbs. ZPO i. V. m. §§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66
Abs. 1 Satz 1, 87 Abs. 2 Satz 1 ArbGG) begründet worden.
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2. Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat die
Vorinstanz den Haupt- und Hilfsantrag der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zustimmung
zur außerordentlichen Kündigung des Herrn M. zurückgewiesen, da eine derartige
Kündigung nicht nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG i. V. m. § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt
wäre.
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a) In § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG sind ohne eigenständige Definition die in § 626 Abs. 1
BGB verwandten Formulierungen übernommen worden. Da der Gesetzgeber in § 626
Satz 1 BGB geregelt hat, unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung aus
wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gerechtfertigt ist, sind die in
dieser Vorschrift enthaltenen und daraus abgeleiteten Regeln zur Zulässigkeit einer
außerordentlichen Kündigung eines Betriebsratsmitglieds auch im Rahmen des § 15
Abs. 1 Satz 1 KSchG anzuwenden (BAG v. 18.02.1993 - 2 AZR 526/92 - EzA
39
§ 15 KSchG n. F. Nr. 40; BAG v. 21.06.1995 - 2 ABR 28/94 - EzA § 15 KSchG n. F. Nr.
43).
40
b) Die Prüfung, ob im konkreten Streitfall ein wichtiger Grund für eine fristlose
Kündigung vorliegt, hat nach der ständigen Rechtsprechung des BAG (vgl. z.B. BAG v.
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24.03.1958 - 2 AZR 587/55 - AP Nr. 5 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG
v. 17.05.1984 - 2 AZR 3/83 - AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung;
BAG v. 21.02.1991 - 2 AZR 449/90 - AP Nr. 35 zu § 123 BGB), der das Schrifttum im
wesentlichen gefolgt ist (vgl. KR-Hillebrecht, 4. Aufl. 1995, § 626 BGB Rdz. 58 ff.) in
zwei systematisch zu trennenden Abschnitten zu erfolgen. Zunächst
ist festzustellen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des
Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Dabei
genügt allerdings nicht die abstrakte Erheblichkeit eines Kündigungssachverhaltes zur
Begründung der Unzumutbarkeit. Vielmehr muß bereits auf der ersten Stufe festgestellt
werden, ob der an sich zur außerordentlichen Kündigung geeignete Sachverhalt im
Streitfall zu einer konkreten Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat (vgl.
BAG v. 15.11.1984 - 2 AZR 613/83 - EzA § 626 BGB n.F. Nr. 95; BAG v. 17.03.1988 - 2
AZR 576/87 - EzA § 626 BGB n.F. Nr. 116). Erst dann ist in zweiten Stufe zu
untersuchen, ob nach Abwägung aller in Betracht kommender Interessen der Parteien
des Arbeitsverhältnisses die Kündigung gerechtfertigt ist (vgl. BAG v. 17.03.1988 - 2
AZR 576/87 - a.a.O.; BAG v. 02.03.1989 - 2 AZR 280/88 - AP Nr. 101 zu § 626 BGB).
Dabei ist im Rahmen der Interessenabwägung zu beachten, daß bei der Prüfung, ob
dem Arbeitgeber nach § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG, § 626 Abs. 1 BGB die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses mit einem Betriebsratsmitglied zumutbar oder unzumutbar ist, von
der Kündigungsfrist auszugehen ist, die ohne den besonderen Kündigungsschutz des §
15 KSchG für eine ordentliche Kündigung gelten würde (BAG v. 02.04.1987 - 2 AZR
418/86 - EzA § 626 BGB n. F. Nr. 108; BAG v. 18.02.1993 - 2 AZR 526/92 - EzA § 15
KSchG n. F. Nr. 40).
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c) Im Streitfall ist die erkennende Kammer aufgrund des rechtskräftigen Beschlusses
des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 05.12.1995 - 4 BV 94/95-2 - an der Feststellung
gehindert, daß vorliegend ein an sich geeigneter Kündigungsgrund vorliegt.
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aa) Beschlüsse im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren, durch die eine
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betriebsverfassungsrechtliche Frage materiell-rechtlich entschieden wird, sind der
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formellen und materiellen Rechtskraft fähig (BAG v. 01.02.1983 - 1 ABR 33/78 -
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EzA § 322 ZPO Nr. 4; BAG v. 20.03.1996 - 7 ABR 41/95 - EzA § 322 ZPO Nr. 10; BAG v.
10.03.1998 - 1 AZR 658/97 - in der Fachpresse noch unveröffentlicht).
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Folge der materiellen Rechtskraft ist, daß erneute abweichende Entscheidungen
desselben oder eines anderen Gerichts innerhalb bestimmter objektiver, subjektiver und
zeitlicher Grenzen ausgeschlossen sind (BAG v. 27.08.1968 - 1 ABR 6/68 - AP Nr. 4 zu
§ 80 ArbGG 1953; BAG v. 20.03.1996 - 7 ABR 41/95 - a. a. O.). Selbst wenn der
Beschluß des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 05.12.1995 unrichtig wäre, würde seine
Rechtskraft und deren Wirkung davon nicht berührt. Auch ein sachlich unrichtiger
Beschluß bindet im Umfang seiner Rechtskraft. Die Rechtskraft verbietet es, die Frage
der Richtigkeit oder Unrichtigkeit nochmals aufzuwerfen (vgl. BVerfGE 60, 253, 268;
BAG v. 12.06.1990 - 3 AZR 524/88 - EzA § 322 ZPO Nr. 8, BAG v. 20.03.1996
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- 7 ABR 41/95 - a. a. O.).
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bb) Aus der zeitlichen Rechtskraftgrenze folgt, daß jede Partei gestützt auf neue
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Tatsachen in einem neuen Prozeß eine Änderung der Rechtslage zu ihren Gunsten
geltend machen und das Gericht folglich neu abweichend entscheiden kann (BGHZ 37,
375, 377; BGH v. 11.03.1983 - V ZR 287/81 - NJW 1984, 126, 127). Entsprechendes gilt
für das arbeitsgerichtliche Beschlußverfahren (vgl. BAG v. 27.01.1981
- 6 ABR 68/79 - AP Nr. 2 zu § 80 ArbGG 1979). Im Streitfall hat die Arbeitgeberin ihren
erneuten Zustimmungsersetzungsantrag nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG im Vergleich
zu dem früheren Antrag nicht auf neue Tatsachen gestützt.
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(1) Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die gegenüber Herrn M. erhobenen Vorwürfe
der sexuellen Belästigung von Mitarbeiterinnen der Arbeitgeberin dieselben sind, die
bereits den gerichtlichen Beschlüssen des Vorverfahrens zugrunde lagen. Zudem ergibt
sich aus § 14 Abs. 2 Nr. 1 EGZPO, daß die Zivilgerichte nicht an strafgerichtliche Urteile
gebunden sind. Sie müssen sich eine eigene Überzeugung bilden (BAG v. 26.03.1992 -
2 AZR 519/91 - EzA § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 4; BAG v. 22.01.1998
- 2 AZR 455/97 - EzA § 580 ZPO Nr. 3). Dem entspricht es, daß es bei einer
außerordentlichen Kündigung nicht auf die strafrechtliche Wertung, sondern darauf
ankommt, ob dem Arbeitgeber wegen des Verhaltens des Arbeitnehmers nach dem
gesamten Sachverhalt die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch zuzumuten ist
(BAG v. 22.12.1956 - 3 AZR 91/56 - AP Nr. 13 zu § 626 BGB; BAG v. 05.11.1992 - 3
AZR 147/92 - EzA § 626 BGB n. F. Nr. 143).
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(2) Nicht berücksichtigt werden kann im vorliegenden Verfahren der Umstand, daß das
Landgericht Köln durch Urteil vom 18.06.1998 die Berufung des Herrn M. gegen das
Urteil des Amtsgerichts Wipperfürth zurückgewiesen hat. Diese Tatsache war nicht
Gegenstand des Antrags der Arbeitgeberin auf Zustimmung des Betriebsrats zur
beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Herrn M.. Nach Abschluß des
Zustimmungsverfahrens entstandene Kündigungsgründe sind vom Gericht im Verfahren
nach § 103 Abs. 2 BetrVG nur zu berücksichtigen, wenn der Arbeitgeber deswegen
zuvor den Betriebsrat vergeblich um seine Zustimmung zur Kündigung ersucht hat (BAG
v. 27.01.1977 - 2 ABR 77/76 - EzA § 103 BetrVG 1972 Nr. 16 m. w. N.). Dies ist im
vorliegenden Verfahren nicht geschehen. Vielmehr hat die Arbeitgeberin das
Berufungsurteil des Landgerichts Köln vom 18.06.1998 zum Gegenstand eines
eigenständigen Zustimmungsverfahrens nach § 103 BetrVG gemacht. Durch Beschluß
vom 25.08.1998 - 2 BV 57/98-6 - hat das Arbeitsgericht Wuppertal den
Zustimmungsantrag der Arbeitgeberin zurückgewiesen.
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(3) Die Verurteilung des Herrn M. durch das Amtsgericht Wipperfürth stellt gegenüber
dem früheren Zustimmungsersetzungsverfahren keine neue Tatsache für einen
Kündigungsgrund nach § 626 Abs. 1 BGB dar. Anders wäre es nur dann, wenn die
Arbeitgeberin im Vorverfahren die Zustimmung des Betriebsrats mit dem gegen Herrn M.
gehegten Verdacht einer strafbaren Handlung begründet hätte. In diesem Fall wäre die
Verurteilung des Herrn M., d. h. die Feststellung der Strafbarkeit seines Verhaltens
durch die dafür zuständigen und sachverständigen Strafgerichte, eine gegenüber der
auf den Verdacht einer strafbaren Handlung gestützten Kündigungsabsicht neue
Tatsache (vgl. BAG v. 26.08.1993 - 2 AZR 159/93 - EzA § 322 ZPO Nr. 9, BAG v.
14.02.1996 - 2 AZR 274/95 - EzA § 626 BGB n. F. Nr. 160). So ist die Rechtslage jedoch
im Streitfall nicht. Die Arbeitgeberin hat auch in dem vorherigen Zustimmungsverfahren
nach § 103 BetrVG ihre Kündigungsabsicht nicht auf den Verdacht einer strafbaren
Handlung des Herrn M., sondern auf eine in ihren Augen erwiesene Straftat gestützt.
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(4) Aber selbst dann, wenn man die strafrechtliche Verurteilung des Herrn M. durch das
Amtsgericht Wipperfürth wegen des mit einer Bestrafung verbundenen negativen
Werturteils als neue Tatsache gegenüber dem früheren rechtskräftig zu Lasten des
Arbeitgebers abgeschlossenen, auf einer beabsichtigten Tatkündigung beruhenden
Zustimmungsersetzungsverfahrens ansehen würde, könnte im vorliegenden Verfahren
nicht zugunsten der Arbeitgeberin von einem an sich geeigneten Kündigungsgrund
gemäß § 626 Abs. 1 BGB ausgegangen werden. Denn die u. a. im Rechtsstaatsprinzip
des Art. 20 Abs. 3 GG begründete Unschuldsvermutung schließt es aus, einen nicht
rechtskräftig verurteilten Bürger als schuldig zu behandeln (vgl. nur BVerfGE 22, 254,
265). Auf diesen Grundsatz kann sich Herr M. berufen, da infolge der von ihm gegen das
Urteil des Landgerichts Köln vom 18.06.1998 eingelegten Revision das Urteil des
Amtsgerichts Wipperfürth vom 03.11.1997 noch nicht rechtskräftig ist.
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Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG i. V. m. § 92 Abs.
1 Satz 2 ArbGG zugelassen.
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RECHTSMITTELBELEHRUNG
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Gegen diesen Beschluß kann von der Arbeitgeberin
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RECHTSBESCHWERDE
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eingelegt werden.
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Für die weiteren Beteiligten ist gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Rechtsbeschwerde muß
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innerhalb einer Notfrist von einem Monat
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nach der Zustellung dieses Beschlusses schriftlich beim
64
Bundesarbeitsgericht,
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Graf-Bernadotte-Platz 5,
66
34119 Kassel,
67
eingelegt werden.
68
Die Rechtsbeschwerde ist gleichzeitig oder
69
innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
70
schriftlich zu begründen.
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Die Rechtsbeschwerdeschrift und die Rechtsbeschwerdebegründung müssen von
einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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gez.: Dr. Vossen gez.: Sander gez.: Deubner
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