Urteil des LAG Düsseldorf vom 05.07.2000

LArbG Düsseldorf: treu und glauben, zulage, stundenlohn, arbeitsbedingungen, freiwillige leistung, zeitlohn, betriebsrat, kündigung, akkordlohn, wiederholung

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 11 Sa 541/00
Datum:
05.07.2000
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
11. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 Sa 541/00
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Mönchengladbach, 2 Ca 8/00
Schlagworte:
betriebsbedingte Änderungskündigung unter Berufung auf den
arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz
Normen:
KSchG §§ 2, 1 Abs. 2, MTV für die gewerblichen Arbeitnehmer der
Bekleidungsin-dustrie vom 17.05.1979 i. d. F. vom 18.03.1996 § 17 Ziffer
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Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. Zahlt der Arbeitgeber an Arbeitnehmer, die frührer Akkordarbeiten
verrichtet haben, jahrelang (hier: ca. fünf Jahre) den durchschnittlichen
Akkordlohn, obwohl gar keine akkordfähigen Arbeiten (mehr) angefallen
sind, kann Rechtsgrundlage hierfür nicht § 17 Ziff. 14 Manteltarifvertrag
für die gewerblichen Arbeitnehmer der Bekleidungsindustrie vom
17.05.1979 i. d. F. vom 18.03.1996, der voraussetzt, dass überhaupt
noch Akkordarbeiten anfallen können, sondern nur eine betriebliche
Übung sein.2. Dem Arbeitgeber ist es verwehrt, unter Berufung auf den
Gleichbe-handlungsgrundsatz den durchschnittlichen Akkordlohn dem
niedrigeren Zeitlohn der Arbeitnehmer anzupassen, die nie
Akkordlohnarbeiten verrichtet haben (im Anschluss an BAG v.
01.07.1999 - 2 AZR 826/98 - EzA § 2 KSchG Nr. 35).
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Mönchengladbach vom 15.03.2000 - 2 Ca 8/00 - abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen im
Zusammenhang mit der Änderungskündigung vom 22.12.1999
unwirksam ist.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
T A T B E S T A N D :
1
Die am 13.01.1957 geborene Klägerin, verheiratet, ist seit dem 16.04.1973 bei der
Beklagten als Näherin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet u. a.
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kraft Allgemeinverbindlichkeitserklärung der Manteltarifvertrag für die gewerblichen
Arbeitnehmer der Bekleidungsindustrie vom 17.05.1979 i. d. F. vom 18.03.1996 (künftig:
MTV) Anwendung.
Die Klägerin arbeitete ursprünglich im Akkord. In der Betriebsvereinbarung über
Akkordverdienste-Höchstleistungen vom 13.03.1985, die die zu einer Zeit, als noch kein
Betriebsrat bestand, ergangene Anweisung Nr. 95 vom 24.09.1974 ersetzte, heißt es:
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1. Übergang von Akkord zu Stundenlohnarbeit und umgekehrt
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Die technischen Abteilungsleiter sind verpflichtet, sich im Moment des
Übergangs zwischen Akkord und Stundenlohnarbeit an den jeweiligen
Arbeitsplatz zu begeben, um die Richtigkeit des Zeitpunkts für den
Übergang zu kontrollieren und an Ort und Stelle sofort den
entsprechenden Lohnzettel abzuzeichnen.
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2. Tägliche Akkordzeit
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Grundsätzlich wird Akkordzeit nur verrechnet, wenn sie täglich
mindestens 180 Minuten beträgt, d. h. bei einer Akkordarbeitszeit unter
180 Minuten wird immer mit dem Durchschnitts-Verdienst bezahlt.
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3. Leistungen zwischen 180 und 200 % werden auf dem Lohnzettel
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nicht ausgerechnet, sondern dem Betriebsleiter jeweils - d. h. unter
Umständen täglich - zur Abzeichnung vorgelegt. Die Zahlung einer
solchen Leistung kann nur eine Ausnahme darstellen.
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4. Leistungen über 200 % werden grundsätzlich nicht bezahlt. In
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diesen Fällen ist - da es sich stets nur um fehlerhafte
Abgrenzungen/Abrechnungen handeln kann - der Durchschnittslohn zu
bezahlen und der Betriebsleiter entsprechend zu informieren.
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Seit circa fünf Jahren fallen im Betrieb der Beklagten im M. keine Akkordarbeiten
mehr an. Seit dieser Zeit wurde der Klägerin der Akkorddurchschnitt gezahlt, so
dass sich ihr Lohn zurzeit auf DM 23,92 brutto pro Stunde beläuft. Der tarifliche
Stundenlohn der Näherin liegt zum gleichen Zeitpunkt bei DM 18,12 brutto.
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Am 22.12.1999 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat folgende
Betriebsvereinbarung über das anzuwendende Lohnsystem im Bereich der
Fertigung (Zuschnitt, Näherei) M.:
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Da seit längerer Zeit im Betrieb M. nicht mehr Akkordarbeit geleistet wird
und auch in Zukunft nicht mehr im Akkord gearbeitet werden wird, sollen
alle bisherigen Akkordlöhne in den Stundenlohn eingegliedert werden.
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Alle gewerblichen Mitarbeiterinnen des Betriebes M. werden in die
Lohngruppe VI Stundenlohn des gültigen Lohnrahmentarifvertrages
eingestuft, es sei denn, sie gehören ihrer Tätigkeit nach in eine höhere
Lohngruppe.
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Der zurzeit gezahlte Akkorddurchschnittslohn wird aufgegliedert in
entsprechenden Tariflohn (LG VI Stundenlohn) und eine freiwillige
übertarifliche Zulage, deren aktuelle Höhe bestimmt wird aus der
Differenz des Stundenlohnes VI zum bisherigen
Akkorddurchschnittslohn.
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Die freiwillige übertarifliche Zulage soll in Abständen von je drei Monaten
um je 0,50 DM abgesenkt werden, bis diese Zulage 2,00 DM beträgt.
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Für die bereits jetzt im Stundenlohn tätigen Mitarbeiterinnen soll die
freiwillige übertarifliche Zulage ab 01.08.2000 mindestens 0,50 DM
betragen. Des weiteren wird hier diese Zulage vierteljährlich ab
01.08.2000 um je 0,50 DM erhöht, bis die übertarifliche Zulage 2,00 DM
beträgt.
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Mit Schreiben vom 21.12.1999 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer
beabsichtigten Änderungskündigung u. a. der Klägerin zwecks Überführung deren
Arbeitsverhältnisses in ein Zeitlohnarbeitsverhältnis unter Bezugnahme auf die
vorstehend wiedergegebene Betriebsvereinbarung an. Einen Tag später stimmte
der Betriebsrat schriftlich der Betriebsvereinbarung neues Lohnsystem für die
Produktion in M. , den dadurch bedingten Änderungskündigungen der
Mitarbeiterinnen D.U., A. H., P. P., G. M., G. S.-B. und G. S. (Klägerin) sowie den
ihm vorgelegten neuen Arbeitsverträgen zu.
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Mit Schreiben vom 22.12.1999 kündigte die Beklagte den zwischen den Parteien
bestehenden Arbeitsvertrag fristgemäß zum 30.06.2000 und bot der Klägerin
zugleich die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Beifügung eines
entsprechenden Arbeitsvertrages im Zeitlohn an. Das Angebot umfasste auch ein
Schriftstück überschrieben mit Eingruppierung , in dem es heißt:
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Für die von Ihnen ausgeübten Tätigkeiten werden Sie in die Lohngruppe
VI eingestuft. Zurzeit beträgt der Stundenlohn 18,12 DM brutto.
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Ihr Stundenlohn wird in folgenden zeitlichen Schritten durch Verrechnung
der freiwilligen übertariflichen Zulage angepasst:
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01.07.2000 freiwillige übertarifliche Zulage 5,17 DM brutto
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01.10.2000 4,67 DM brutto
24
01.01.2001 4,17 DM brutto
25
01.04.2001 3,67 DM brutto
26
01.07.2001 3,17 DM brutto
27
01.10.2001 2,67 DM brutto
28
01.01.2002 2,17 DM brutto
29
01.04.2002 2,00 DM brutto
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Die übertarifliche Zulage ist eine freiwillige Leistung der Firma und kann
auf spätere Tariferhöhungen angerechnet bzw. jederzeit widerrufen
werden.
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Mit Schreiben vom 30.12.1999 erklärten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin
namens ihrer Mandantin, dass sie dieses Angebot unter dem Vorbehalt seiner
sozialen Rechtfertigung und Rechtsmäßigkeit annehme.
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Mit ihrer beim Arbeitsgericht Mönchengladbach am 03.01.2000 eingegangenen
und der Beklagten zwei Tage später zugestellten Klage macht die Klägerin die
Unwirksamkeit der Änderung ihrer Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit der
Änderungskündigung vom 22.12.1999 geltend.
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Die Klägerin hat im Wesentlichen geltend gemacht:
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Dringende betriebliche Erfordernisse für die von der Beklagten gewünschten
Änderungen seien nicht gegeben. Der von der Beklagten beabsichtigte nachhaltige
Eingriff in bestehende Arbeitsbedingungen sei nur dann zulässig, wenn ansonsten
Entlassungen drohen würden. Die ihr angebotenen Änderungen der
Arbeitsbedingungen seien ihr billigerweise nicht zuzumuten. Seit mindestens fünf
Jahren arbeite sie nicht mehr im Akkord. Dennoch habe die Beklagte den erhöhten
Stundenlohn gezahlt, ohne jemals einen Vorbehalt zu machen. Dieser sei kraft
betrieblicher Übung nunmehr Vertragsbestandteil. Sie - die Beklagte - habe in
dieser Zeit auch Mitarbeiterinnen zu diesen Konditionen eingestellt.
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Die Klägerin hat beantragt
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festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen im
Zusammenhang mit der Änderungskündigung vom 22.12.1999
unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis unverändert fortbesteht.
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Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte hat im Wesentlichen geltend gemacht:
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Sie habe die unternehmerische Entscheidung getroffen, in Zukunft keine Akkordarbeiten
mehr zu vergeben, sondern nur noch Zeitlohnarbeiten. Alle Akkordlöhne sollten in den
Stundenlohn eingegliedert werden. Hiervon seien insgesamt sieben Mitarbeiterinnen
betroffen. Die Regelung sei kostenneutral, weil die Löhne der im Zeitlohn arbeitenden
Näherinnen stufenweise um DM 2,-- aufgestockt werden sollten. Es gehe ausschließlich
um eine Harmonisierung des Lohngefüges.
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Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 15.03.2000 die Klage abgewiesen und zur
Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
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Die Änderung der Arbeitsbedingungen sei, wenn sie nicht schon vom Direktionsrecht
der Beklagten umfasst gewesen sein sollte, nicht sozial ungerechtfertigt. Die Beklagte
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sei verpflichtet, Betriebsvereinbarungen einzuhalten. Sie habe mit der
Änderungskündigung nur die Betriebsvereinbarung vom 22.12.1999 umgesetzt und
insbesondere dem Umstand Rechnung getragen, dass die Klägerin keinen einem
Akkordlohn entsprechenden hohen Leistungseinsatz mehr zu erbringen gehabt habe.
Gegen das ihr am 23.03.2000 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem beim
Landesarbeitsgericht am 14.04.2000 eingereichten Schriftsatz Berufung eingelegt und
diese mit einem bei Gericht am 11.05.2000 eingegangenen Schriftsatz begründet.
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Die Klägerin macht unter teilweiser Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens
im Wesentlichen geltend:
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Die Beklagte habe über Jahre hinweg ihr einen Akkorddurchschnitt gezahlt, obwohl
hierfür jegliche Rechtsgrundlage gefehlt habe. In der Betriebsvereinbarung vom
13.03.1985 sei die über fünf Jahre hinweg praktizierte Bezahlung der Arbeitnehmer trotz
unstreitig dauerhaft entfallender Akkordarbeit nicht geregelt. Selbst der vorrangige
einschlägige Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der
Bekleidungsindustrie regele eine Bezahlung im durchschnittlichen Akkordverdienst nur
für vorübergehende Zeiten, sog. Ausfallzeiten. Insofern habe die Vorinstanz zu Unrecht
einen Anspruch auf die bisherige Bezahlung nach dem Akkorddurchschnitt aufgrund
einer betrieblichen Übung verneint. Die Betriebsvereinbarung vom 22.12.1999 könne
letztlich nicht als der Anlass gesehen werden, der zum Ausspruch der streitbefangenen
Änderungskündigung habe führen können. Diese Betriebsvereinbarung beziehe sich in
keiner Weise auf die frühere Regelung. Sie stehe mit ihr auch nicht innerlich in einem
inneren Zusammenhang.
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Die Klägerin beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 15.03.2000
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- 2 Ca 8/00 - aufzuheben und festzustellen, dass die Änderung der
Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit der Änderungskündigung vom
22.12.1999 unwirksam ist und unverändert fortbesteht.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und führt unter teilweiser Wiederholung
ihres erstinstanzlichen Vorbringens ergänzend aus:
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Sie habe die unternehmerische Entscheidung getroffen, künftig endgültig auf
Akkordarbeiten zu verzichten und damit den Zustand des vorübergehend im Zeitlohn
Beschäftigtsein zu beenden. Das sei die unternehmerische Entscheidung, die die
Betriebsbedingtheit der Kündigung nach §§ 2 und 1 KSchG stütze. Vor Ausspruch der
Änderungskündigung sei nach § 17 MTV verfahren worden. Darin sei in Ziffer 14
unstreitig festgelegt, dass eine im Akkord tätige Arbeitnehmerin für den Fall
vorübergehender Arbeit im Zeitlohn für diese Zeit Anspruch auf ihren persönlichen
Durchschnittsverdienst habe. Mithin ergebe sich die bisher gezahlte vorübergehende
Durchschnittsentlohnung nicht nur aus der Betriebsvereinbarung von 1985, sondern
auch aus dem Manteltarifvertrag. Wenn nunmehr Ende 1999 ihre Geschäftsleitung im
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Einvernehmen mit dem Betriebsrat im Wege einer Betriebsvereinbarung den Entschluss
gefasst habe, künftig und unwiderruflich das Akkordlohnsystem abzuschaffen, die
Mitarbeiter von Akkordlohn auf Zeitlohn umzuschalten, so sei dies Ausdruck einer
unternehmerischen Entscheidung, einer Neustrukturierung des Entlohnungssystems
und damit auch des Fertigungsverfahrens, das Hintergrund für die betriebsbedingte
Kündigung darstelle.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Akte
ergänzend Bezug genommen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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A.
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Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom
15.03.2000 ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des
Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 ArbGG) sowie in gesetzlicher Form (§
518 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG) und Frist (§ 66 Abs. 1 Satz 1
ArbGG) eingelegt und innerhalb der Frist (§ 519 Abs. 2 Satz 2 2. Halbs. ZPO i. V. m. §
64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) begründet worden.
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B.
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Die Berufung der Klägerin ist auch begründet. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz
ist die Änderungskündigung der Beklagten vom 22.12.1999 nach § 1 Abs. 2 Satz 1
KSchG i. V. m. § 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt und damit gemäß § 1 Abs. 1
KSchG i. V. m. § 2 Satz 1 KSchG rechtsunwirksam. Das Arbeitsverhältnis besteht
deshalb zu unveränderten Bedingungen über den 30.06.2000 hinaus fort.
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I. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG (zuletzt BAG v. 12.11.1998
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- 2 AZR 91/98 - EzA § 2 KSchG Nr. 33; BAG v. 01.07.1999 - 2 AZR 826/98 - EzA § 2
KSchG Nr. 35) ist bei einer betriebsbedingten Änderungskündigung zunächst das
Änderungsangebot des Arbeitgebers daran zu messen, ob dringende betriebliche
Erfordernisse i. S. von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG i. V. m. § 2 Satz 1 KSchG das
Änderungsangebot bedingen und ob der Arbeitgeber sich bei einem an sich
anerkennenswerten Grund zur Änderungskündigung darauf beschränkt hat, nur solche
Änderungen vorzuschlagen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss.
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Ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Änderung der Arbeitsbedingungen kann
dann vorliegen, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme
entschließt, bei deren Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder
mehrerer Arbeitnehmer überhaupt oder unter Zugrundelegung des Vertragsinhalts für
den bisherigen Einsatz entfällt (BAG v. 24.04.1997 - 2 AZR 352/96 - EzA § 2 KSchG Nr.
26). Von den Arbeitsgerichten voll nachzuprüfen ist, ob eine derartige unternehmerische
Entscheidung tatsächlich vorliegt. Liegt sie vor, ist sie nicht auf ihre sachliche
Rechtfertigung und ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie
offenbar unvernünftig oder willkürlich ist (BAG v. 30.04.1987 - 2 AZR 184/86 - EzA § 1
KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 47; BAG v. 24.04.1997 - 2 AZR 352/96 - a. a.
O.; BAG v. 17.06.1999 2 AZR 141/99 EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr.
102).
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II. Von dieser Rechtsprechung ausgehend ist zunächst festzustellen, dass die insoweit
nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG darlegungspflichtige Beklagte weder die hierfür
maßgeblichen Personen der Geschäftsleitung noch irgendwelche Zeitangaben für die
von ihr angeblich getroffene Entscheidung angegeben hat, künftig endgültig auf
Akkordarbeiten zu verzichten . Da bereits seit längerer Zeit, nämlich seit circa fünf
Jahren, im Betrieb M. nicht mehr Akkordarbeit geleistet wird und deshalb die in Rede
stehende unternehmerische Entscheidung schon viel früher getroffen sein kann, hätte es
entsprechender konkreterer Angaben seitens der Beklagten bedurft.
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III. Aber selbst wenn die Beklagte der ihr insoweit nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG
obliegenden Darlegungslast nachgekommen wäre, hätten dringende betriebliche
Erfordernisse i. S. v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG i. V. m. § 2 Satz 1 KSchG das
Änderungsangebot vom 22.12.1999 nicht bedingen können.
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1. Die Beklagte wollte mit der von ihr beabsichtigten Vertragsänderung nicht etwa den
Erfordernissen einer bereits vor Jahren (stillschweigend) geänderten
Betriebsorganisation Rechnung tragen, sondern mit der Betriebsvereinbarung vom
02.12.1999, wie sie es insbesondere in ihrem Schriftsatz vom 09.03.2000 deutlich
gemacht hat, Lohngerechtigkeit herbeiführen. Denn den Mitarbeitern, nämlich
denjenigen, die, wie die Klägerin, im Leistungslohn gearbeitet hatten und
überdurchschnittlich entlohnt waren, sollten gemäß dem in der Betriebsvereinbarung
vom 02.12.1999 niedergelegten Stufenplan diese Leistungen angerechnet bzw. gekürzt
werden bis auf eine Größenordnung, die zu einer übertariflichen Zulage von DM 2,-- für
alle führen sollte. Dementsprechend sollten den Mitarbeitern, die bisher
höherqualifizierte Tätigkeiten auszuführen hatten und bislang im Stundenlohn entlohnt
waren, durch einen Zuwachs des Zulagensystems ebenfalls die Möglichkeiten geboten
werden, in den gleichen Zulagenbereich zu kommen, den die bisherigen
Leistungslöhner erreicht haben.
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2. Mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz kann der Arbeitgeber aber
die soziale Rechtfertigung einer Änderungskündigung allein nicht rechtfertigen. Dem
Arbeitgeber, der mit einzelnen Arbeitnehmern einzelvertraglich eine höhere Vergütung
vereinbart hat, als sie dem betrieblichen Niveau entspricht, ist es verwehrt, unter
Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz diese Vergütung dem Lohn der übrigen
Arbeitnehmer anzupassen, mit denen er eine solche höhere Lohnvereinbarung nicht
getroffen hat (BAG v. 28.04.1982 - 7 AZR 1139/79 - EzA § 2 KSchG Nr. 4; BAG v.
01.07.1999 - 2 AZR 826/98 - a. a. O.). Dies ist eine Konsequenz des Rechtssatzes, dass
beim Abschluss eines Arbeitsvertrages der Grundsatz der Vertragsfreiheit (Artikel 2 Abs.
1 GG) Vorrang vor dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz hat (BAG v.
01.07.1999 - 2 AZR 826/98 - a. a. O.; BAG v. 20.01.2000 - 2 ABR 40/99 -).
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3. Zwar haben die Parteien die an die Klägerin erfolgte Zahlung des durchschnittlichen
Akkordverdienstes in Höhe von zuletzt DM 23,92 brutto pro Stunde nicht ausdrücklich
arbeitsvertraglich vereinbart. Diese Verdiensthöhe ergibt sich jedoch entgegen der
Auffassung der Vorinstanz kraft betrieblicher Übung.
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a) Unter einer betrieblichen Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter
Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen
können, ihnen solle eine Leistung oder Vergünstigung auf Dauer gewährt werden.
Aufgrund einer Willenserklärung, die vom Arbeitnehmer stillschweigend angenommen
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wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen
Vergünstigungen. Dabei kommt es für die Begründung eines solchen Anspruchs durch
betriebliche Übung nicht darauf an, ob der Arbeitgeber mit Verpflichtungswillen
gehandelt hat oder ob ihm ein solcher Wille fehlte. Die Wirkung einer Willenserklärung
oder eines bestimmten Verhaltens wirkt im Rechtsverkehr schon dann ein, wenn der
Erklärende aus der Sicht des Erklärungsempfängers einen auf eine bestimmte
Rechtswirkung gerichteten Willen geäußert hat. Ob eine für den Arbeitgeber bindende
betriebliche
Übung aufgrund der Gewährung von Leistungen an seine Arbeitnehmer entstanden ist,
muss deshalb danach beurteilt werden, inwieweit die Arbeitnehmer aus dem Verhalten
des Arbeitgebers unter Berücksichtigung von Treu und Glauben sowie der Verkehrssitte
(§ 242 BGB) und der Begleitumstände auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers
schließen durften (st. Rspr., z. B. BAG v. 04.05.1999 10 AZR 290/98 EzA § 242 BGB
Betriebliche Übung Nr. 43 m. w. N.).
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b) Im Streitfall hat die Beklagte der Klägerin und den anderen in ihrem
Anhörungsschreiben vom 21.12.1999 aufgeführten Mitarbeiterinnen Jahre lang den
durchschnittlichen Akkordverdienst gezahlt, obwohl sie seit ca. 5 Jahren nicht mehr mit
Akkordarbeiten betraut sind. Dies geschah ohne jeden Vorbehalt. Ein solcher ergibt sich
entgegen der Auffassung der Beklagten weder aus § 17 Ziffer 14 MTV noch aus Ziffer 1
der Betriebsvereinbarung über Akkordverdienste Höchstleistungen vom 13.03.1985.
Abgesehen davon, dass die Beklagte keinerlei Beweis für ihre Behauptung angetreten
hat, sie habe die Klägerin und die sonst früher im Akkord arbeitenden Mitarbeiterinnen
entsprechend den genannten Rechtsgrundlagen vergütet, sind diese tatbestandlich
überhaupt nicht einschlägig. Sowohl § 17 Ziffer 14 MTV als auch die vorgenannte
Betriebsvereinbarung gehen davon aus, dass überhaupt noch Akkordarbeiten verrichtet
werden. Dies ist aber bereits unstreitig seit ca. 5 Jahren nicht mehr der Fall. Dafür, dass
mit der Wiederaufnahme von Akkordarbeiten nach so einem langen Zeitraum latent bis
zu dem von der Beklagten angeführten endgültigen Verzicht auf derartige Arbeiten im
Jahre 1999 zu rechnen war, hat sie nicht anhand hierfür maßgeblicher Anhaltspunkte
dargelegt und hierfür auch keinen Beweis angetreten.
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4. Schließlich kann auch der Hinweis der Beklagten auf die Betriebsvereinbarung vom
02.12.1999 nicht das der Klägerin unter dem 22.12.1999 unterbreitete
Änderungsangebot i. S. v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG i. V. m. § 2 Satz 1 KSchG bedingen.
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Was diese Betriebsvereinbarung angeht, folgt dies schon aus dem Günstigkeitsprinzip
(vgl. BAG v. 16.09.1986 - GS 1/82 - EzA § 77 BetrVG 1972 Nr. 17). Würde die
Betriebsvereinbarung gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG trotz günstigerer
arbeitsvertraglicher Regelung unmittelbar und zwingend gelten, bedürfte es schon
keiner Änderungskündigung, die jedoch auch die Beklagte zutreffend für notwendig
erachtet hat (BAG v. 20.01.2000 - 2 ABR 40/99 - a. a. O.).
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C.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO i. V. m. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG.
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Die Kammer hat der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zugemessen und deshalb
die Revision an das Bundesarbeitsgericht nach § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
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RECHTSMITTELBELEHRUNG
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Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten
77
REVISION
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eingelegt werden.
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Für die Klägerin ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Revision muss
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innerhalb einer Notfrist von einem Monat
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nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
83
Bundesarbeitsgericht,
84
Hugo-Preuß-Platz 1,
85
99084 Erfurt,
86
eingelegt werden.
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Die Revision ist gleichzeitig oder
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innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
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schriftlich zu begründen.
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Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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gez.: Dr. Vossen gez.: Baumanns gez.: Baumgarten
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