Urteil des LAG Düsseldorf vom 29.02.2000

LArbG Düsseldorf: betriebsrat, arbeitsgericht, betriebsabteilung, beschwerdekammer, kündigung, form, qualifikation, ergänzung, meinung, gas

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 3 Sa 1896/99
Datum:
29.02.2000
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
3. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 Sa 1896/99
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Wesel, 4 Ca 1313/99
Schlagworte:
ohne
Normen:
ohne
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
kein Leitsatz vorhanden
Tenor:
1)Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss
des Arbeitsgerichts Essen vom 19.11.2009 - 3 BV
97/09 - wird zurückgewiesen.
2)Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
G R Ü N D E :
1
Die Beteiligten streiten im Wesentlichen über die Frage, ob die Beteiligten zu 2) und 3)
verpflichtet sind, dem Beteiligten zu 1) Auskünfte im Zusammenhang mit einer
behaupteten Betriebsänderung zu erteilen. Antragsteller und Beteiligter zu 1) ist der bei
den Beteiligten zu 2) und 3) installierte Betriebsrat. Die Beteiligten zu 2) und 3), die
Antragsgegnerinnen, bilden zusammen einen Gemeinschaftsbetrieb. Die Beteiligte zu
2) beschäftigt 19 Mitarbeiter, die Beteiligte zu 3) 17 Arbeitnehmer.
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Unter dem 06.08.2009 hörte die Beteiligte zu 2) den Betriebsrat zur beabsichtigten
Kündigung von fünf Arbeitnehmern an und begründete die Kündigungen mit der
beabsichtigten Schließung der „Betriebsabteilung Rohrleitungsbau“ (vgl. hierzu Blatt 11
bis 19 d. A.).
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Der Betriebsrat forderte die Beteiligte zu 2) daraufhin zur Aufnahme von Verhandlungen
über einen Interessenausgleich auf (vgl. hierzu Blatt 20 und 21 d. A.). Dem kam die
Beteiligte zu 2) nicht nach.
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Mit seinem am 04.09.2009 beim Arbeitsgericht Essen anhängig gemachten Antrag hat
der Betriebsrat Auskunft über die Jahresabschlüsse 2006 bis 2008 sowie die
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betriebswirtschaftlichen Auswertungen der Jahre 2006 bis 2009 begehrt. Er hat die
Auffassung vertreten, dass es sich bei der Stilllegung der Abteilung Rohrleitungsbau um
eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG handele, da nicht entscheidend auf
die Mitarbeiterzahl abzustellen wäre, sondern auf die Bedeutung der Betriebsabteilung
für das gesamte Unternehmen.
Die erbetenen Auskünfte stünden dem Betriebsrat mit Blick auf die Durchführung eines
Interessenausgleichs im Rahmen der noch nicht vollständig durchgeführten
Betriebsänderung zu. Überdies sollten die erbetenen Auskünfte dazu dienen,
angemessenen Forderungen im Rahmen der sich anschließenden
Sozialplanverhandlungen zu formulieren.
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Der Betriebsrat hat beantragt,
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den Antragsgegnerinnen aufzugeben, an den Antragsteller in Abschrift oder
Fotokopie herauszugeben,
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a)die Jahresabschlüsse der Jahre 2006 bis 2008 für beide
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Antragsgegnerinnen einschließlich der Lageberichte, An-
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hänge, Anlagen und Erläuterungen, Bilanzen und Gewinn-
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und Verlustrechnungen;
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b)die monatlichen betriebswirtschaftlichen Auswertungen für
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beide Antragsgegnerinnen vom 01.01.2006 bis 31.08.2009.
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Die Beteiligten zu 2) und 3) haben beantragt,
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die Anträge zurückzuweisen.
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Die Beteiligten zu 2) und 3) haben darauf verwiesen, dass die behauptete
Betriebsänderung nach Kündigung der betroffenen Mitarbeiter bereits vollzogen wäre
und Interessenausgleichsverhandlungen deshalb nicht mehr in Betracht kämen.
Überdies, so die Auffassung der Beteiligten zu 2) und 3), stellte die streitbefangene
Maßnahme aber auch keine Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 3 BetrVG dar.
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Mit Beschluss vom 19.11.2009 hat die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Essen
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- 3 BV 97/09 - die Anträge zurückgewiesen. In den Gründen, auf die im Übrigen Bezug
genommen wird, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, zwar sei der Anwendungsbereich
des § 111 BetrVG grundsätzlich eröffnet, weil hinsichtlich der Unternehmensgröße von
mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern auf den Gemeinschaftsbetrieb abzustellen
wäre. Allerdings sei kein wesentlicher Betriebsteil im Sinne des § 111 Satz 3 Nr. 1
BetrVG betroffen, weil die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG nicht
erreicht würden. Darüber hinaus hätte der Betriebsrat keine Tatsachen vorgetragen, aus
denen sich eine besondere Bedeutung des Betriebsteils „Rohrleitungsbau“ ableiten
ließe. Schließlich, so das Arbeitsgericht weiter, scheitere das Begehren des Betriebsrats
auch daran, dass die Beteiligte zu 2) mit 19 Arbeitnehmern nicht sozialplanpflichtig
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wäre.
Der Betriebsrat hat gegen den ihm am 22.12.2009 zugestellten Beschluss mit einem am
11.01.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde
eingelegt und diese - nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum
22.03.2010 - mit einem am 19.03.2010 eingegangenen Schriftsatz begründet.
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Er wiederholt seinen Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug und unterstreicht seine
Rechtsauffassung, wonach eine Betriebsänderung unabhängig von der betroffenen
Arbeitnehmerzahl anzunehmen wäre. Überdies, so der Betriebsrat weiter, stelle der
Betriebsteil „Rohrleitungsbau“ aber auch in qualitativer Hinsicht einen wesentlichen
Betriebsteil dar. Die Beteiligten zu 2) und 3) betrieben nur Rohrleitungs- und Kanalbau,
also den Bau von Gas- und Wasserversorgungsleitungen sowie den Bau von
Abwasserkanälen. Alle anderen Tätigkeiten, nämlich der Tiefbau, das Öffnen der
Straßendecken zum Verlegen der Leitungen und das anschließende
Wiederverschließen hätten nur dienende Funktion. Die beiden Aktivitäten
„Rohrleitungsbau“ und „Kanalbau“ hätten demgemäß Schlüsselfunktionen. Jede sei
ohne die andere nicht denkbar. Die Stadtwerke würden deshalb Aufträge an die
Beteiligten zu 2) und 3) auch nur einmal als Komplettauftrag vergeben.
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Der Betriebsrat beantragt,
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unter Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung nach den Anträgen des
Antragstellers aus der mündlichen Verhandlung erster Instanz zu entscheiden.
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Die Beteiligten zu 2) und 3) beantragen,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Sie verteidigen den arbeitsgerichtlichen Beschluss und wiederholen ebenfalls ihren
Sachvortrag aus der ersten Instanz. Die Beteiligten zu 2) und 3) verweisen vor allem
darauf, dass die Abteilung „Rohrleitungsbau“ keinen wesentlichen Betriebsteil darstelle.
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II.
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1.Die Beschwerde ist zulässig.
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Sie ist an sich statthaft (§ 87 Abs. 1 ArbGG), sowie form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden (§§ 87 Abs. 2 Satz 1, 89 Abs. 2, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 519, 520
ZPO).
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2.In der Sache selbst hatte das Rechtsmittel indessen keinen Erfolg. Dem Betriebsrat
steht der geltend gemachte Auskunfts- und Unterrichtungsanspruch nicht zu, da die
Voraussetzungen der §§ 80, 111 BetrVG nicht gegeben sind.
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2.1Das Arbeitsgericht hat in seiner erstinstanzlichen Entscheidung mit zutreffenden
Erwägungen und nachvollziehbaren Argumenten dargestellt, dass zu Gunsten des
Betriebsrats von einer Geltung des § 111 BetrVG auszugehen wäre. Das Arbeitsgericht
hat darüber hinaus aber ebenfalls zutreffend angenommen, dass gerade nicht von einer
Stilllegung eines wesentlichen Betriebsteils im Sinne des § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG
auszugehen wäre und dass insbesondere nicht erkennbar sei, weshalb der betroffene
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Betriebsteil in qualitativer Hinsicht von wesentlicher Bedeutung wäre. Dem schließt sich
die erkennende Beschwerdekammer auch im Ergebnis in vollem Umfang an und
verzichtet zur Vermeidung von Wiederholungen auf eine entsprechende Darstellung der
Gründe, § 69 Abs. 2 ArbGG.
2.2Lediglich zur Ergänzung und bei gleichzeitiger Würdigung des Sachvortrags des
Betriebsrats in der zweiten Instanz sei noch auf folgendes hingewiesen:
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2.2.1Nach herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung stellt allein die
Stilllegung eines Betriebsteils für sich noch keine Betriebsänderung dar. Gemäß § 111
Satz 3 Nr. 1 letzte Alternative BetrVG müsste es sich vielmehr um einen wesentlichen
Betriebsteil handeln. Dabei stellt das Bundesarbeitsgericht zur Beurteilung der
Wesentlichkeit auf die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG ab (vgl. statt aller: BAG
18.03.2008 - 1 ABR 77/06 - AP Nr. 66 zu § 111 BetrVG 1972).
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Dieser Wert wird in der vorliegenden Fallkonstellation unstreitig nicht erreicht, da die
Stilllegung der Betriebsabteilung „Rohrleitungsbau“ nicht mehr als fünf Arbeitnehmer
betroffen hat.
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2.2.2Ob unabhängig von einer solchen quantitativen Betrachtung ein wesentlicher
Betriebsteil auch dann angenommen werden kann, wenn dem Betriebsteil eine solche
Schlüsselposition zukommt, dass es aufgrund einer qualitativen Betrachtung
gerechtfertigt wäre, trotz Nichterreichens der Schwellenwerte des § 17 Abs.1 KSchG
ausnahmsweise von einem wesentlichen Betriebsteil auszugehen, hat das
Bundesarbeitsgericht bislang offen gelassen (BAG 18.03.2008, a. a. O.; BAG
28.03.2006 - 1 ABR 5/05 - AP Nr. 12 zu § 112 a BetrVG 1972).
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Entgegen der Auffassung des Betriebsrats lässt sich auch aus seinem Vorbringen im
Beschwerderechtszug gerade nicht ableiten, dass und aus welchem Grund der
Betriebsabteilung Rohrleitungsbau eine derartige Schlüsselposition zukommen sollte.
Der Vortrag des Betriebsrats, dass dem Rohrleitungsbau für den Gesamtbetrieb eine
bedeutende Funktion zukomme und die anderen Aufgaben nur eine dienende Funktion
hätten, genügt erkennbar nicht. In Übereinstimmung mit der den Beteiligten bekannten
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 22.12.2009 (Aktenzeichen: 17
TaBVGa 12/09) weist auch die erkennende Beschwerdekammer erneut darauf hin, dass
allein der Umstand, dass das Öffnen und Schließen der Straßendecken Arbeiten sind,
die dem Rohrleitungsbau vor- oder nachgehen, ihn nicht zu einem wesentlichen
Betriebsteil machen. Anderenfalls könnte in einem wirtschaftlich arbeitenden Betrieb für
jede Tätigkeit oder Qualifikation ein wesentlicher Betriebsteil angenommen werden. Die
bislang selbst erledigten Tätigkeiten können darüber hinaus auch ohne Schwierigkeiten
durch andere erledigt werden. Ob der Arbeitgeber deshalb bestimmte Arbeiten selbst
oder durch einen Fremdunternehmer erledigen lässt, ist eine Frage, die nach
wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu entscheiden ist. Für die Erreichung des
Betriebszwecks ist es ohne Bedeutung, für welche Alternative sich der Arbeitgeber
entscheidet. Demzufolge kann es auch nicht darauf ankommen, wie die jeweiligen
Aufträge durch die Stadtwerke erteilt werden.
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Da der Rechtssache weder grundsätzlich Bedeutung zukommt noch die
Voraussetzungen einer Divergenzrechtsbeschwerde ersichtlich sind, bestand für die
Zulassung der Rechtsbeschwerde an das Bundesarbeitsgericht zu Gunsten der
Arbeitgeberin kein gesetzlicher Grund (vgl. § 72 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ArbGG i. V. m. §
37
92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG).
R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :
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Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben.
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Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 92 a ArbGG
verwiesen.
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gez.: Göttlinggez.: Laumengez.: Dannemann
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