Urteil des LAG Düsseldorf vom 16.12.1998

LArbG Düsseldorf (kündigung, strafbare handlung, ordentliche kündigung, wichtiger grund, arbeitsverhältnis, arbeitgeber, arbeitnehmer, angebot der arbeitsleistung, zusammenarbeit, erklärung)

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 1 Sa 1495/98
Datum:
16.12.1998
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 Sa 1495/98
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Düsseldorf, 6 Ca 2371/97
Schlagworte:
Zinsen vom Bruttobetrag
Normen:
§§ 284, 288 BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
kurze Inhaltsangabe:Die Parteien streiten um die Berechtigung einer von
der Beklagten ausgesprochenen Kündigung sowie um
Zahlungsansprüche aus Annahmeverzug. Die Klägerin beantragt Zinsen
aus dem Bruttobetrag der Forderung. Leitsatz / Leitsätze:1. Der
Arbeitnehmer kann Zinsen gemäß § 288 Satz 1 BGB aus dem
Bruttobetrag des zugesprochenen Lohn- bzw. Gehaltsbetrages fordern.
Die Kammer folgt insoweit der Auffassung des Bundesarbeitsgerichts
(Beschluß vom 11.8.1998 - 9 AZR 122/95 ), wonach bis zur
nachgewiesenen Abführung der Entgeltbestandteile (Beiträge zur
Sozialversicherung und Steuern) der Arbeitgeber zur Bruttozahlung und
damit auch zur Verzinsung der Bruttoforderung verpflichtet ist. 2. Die
Verpflichtung zur Verzinsung des Bruttobetrages besteht auch im Falle
des § 288 Satz 2 BGB.
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts
Düsseldorf vom 21.07.1998 - 6 Ca 2371/97 - teilweise abgeändert und
zur Klarstellung wie folgt neu gefaßt:
1.) Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien weder
durchdie Kündigung der Beklagten vom 25.03.1997 noch durch eine
Kündigungvom 23.05.1997 beendet worden ist.
2.) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerina) 3.600,-- DM brutto für
März 1998 nebst 9,11 % Zinsen seit dem 01.04.1998 aus dem
Bruttobetrag abzüglich am 31.03.1998 erhaltenes Arbeitslosengeld in
Höhe von 1.058,02 DM netto,b) 3.600,-- DM brutto für April 1998 nebst
9,11 % Zinsen seit dem
01.05.1998 aus dem Bruttobetrag abzüglich am 30.04.1998 erhaltenes
Arbeitslosengeld in Höhe von 1.058,02 DM netto,
c) 3.600,-- DM brutto für Mai 1998 nebst 9,11 % Zinsen seit dem
01.06.1998 aus dem Bruttobetrag abzüglich am 31.05.1998
erhaltenes Arbeitslosengeld in Höhe von 903,-- DM netto,d) 3.600,-- DM
brutto für Juni 1998 nebst 9,11 % Zinsen seit dem 01.07.1998 aus dem
Bruttobetrag abzüglich am 30.06.1998
erhaltenes Arbeitslosengeld in Höhe von 827,75 DM nettozu zahlen.3.)
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen. Der Auflösungsantrag
wird abgewiesen.4.) Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.5.)
Die Revision wird für die Beklagte insoweit zugelassen, als auf
dieForderung der Klägerin Zinsen auf die Bruttoforderung
zugesprochenworden sind.gez. Lemppenau-Krügergez. Battensteingez.
Stammer
T A T B E S T A N D :
1
Die Parteien streiten in der 2. Instanz um die Wirksamkeit einer Kündigung der
Beklagten, eines Auflösungsantrages und um Zahlungsansprüche der Klägerin.
2
Die Klägerin war zunächst als Angestellte eines Zeitarbeitsunternehmens bei der
Beklagten im Februar 1992 als Bürokraft beschäftigt. Nach Kündigung des
Arbeitsverhältnisses mit dem Zeitarbeitsunternehmen im Sommer 1992 leistete sie in
der Folgezeit für die Beklagte in deren Betriebsstätte Büroarbeiten und rechnete die
Arbeiten monatlich mit einem Stundensatz nebst Mehrwertsteuer ab. Am 8.4.1993 stellte
sie die Tätigkeit für die Beklagte ein und meldete das von ihr angemeldete Gewerbe ab.
Ab dem 2.7.1993 arbeitete sie wieder auf Honorarbasis für die Beklagte, ohne erneut ein
Gewerbe anzumelden.
3
Ende 1996 und Anfang 1997 beantragte die Klägerin, die Beklagte im Wege
einstweiliger Verfügungen zur Zahlung von Gehaltsabschlägen zu verurteilen, da sie
ohne finanzielle Mittel dastehe und von ihrem Mann getrennt lebe.
4
Mit Schreiben vom 17.3.1997 teilte die Beklagte dem in ihrem Betrieb bestehenden
Betriebsrat mit, sie beabsichtige, das Vertragsverhältnis, das sie als freies
Mitarbeiterverhältnis ansehe, fristlos, hilfsweise fristgerecht zu kündigen. Die
Begründung stützt sich im wesentlichen auf den Vorwurf, die Klägerin habe sich mit
ihrer Behauptung, sie lebe von ihrem Mann getrennt und müsse daher ihre laufenden
Unterhaltskosten allein bestreiten, dem dringenden Verdacht ausgesetzt, eine falsche
eidesstattliche Versicherung abgegeben zu haben. Darin sei ein Prozeßbetrug zu
sehen. Ein weiterer Betrug liege darin, daß sie, obwohl sie kein Gewerbe mehr
angemeldet gehabt habe, Mehrwertsteuer in Rechnung gestellt habe.
5
Unter dem 24.3.1997 unterzeichnete der Betriebsrat eine "Empfangsbestätigung", die
lautet:
6
Wir bestätigen hiermit, die Unterrichtung über die beabsichtigte
ordentliche/außerordentliche Kündigung von Frau Q. E.-N. erhalten zu haben.
7
Ein auf dem Schriftstück angebrachter handschriftlicher Vermerk lautet:
8
Allerdings kann ich den Sachverhalt nicht verstehen, da Frau E.-N. noch nie in unserer
Firma beschäftigt war.
9
Mit Schreiben vom 25.3.1997, der Klägerin zugegangen am 27.3., kündigte die Beklagte
das Vertragsverhältnis fristlos, hilfsweise unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von
einem Monat zum Monatsende.
10
Nachdem die Klägerin im Jahre 1996 vor dem Arbeitsgericht Düsseldorf im Verfahren -
10 Ca 8643/96 - Statusklage erhoben hatte, schlossen die Parteien am 4.3.1998 einen
Teilvergleich, in dem es u.a. heißt:
11
1. Die Parteien sind darüber einig, daß das zwischen ihnen bestehende
Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 27.11.1996 nicht aufgelöst worden ist.
12
2. Die Parteien sind sich darüber einig, daß das monatliche Bruttogehalt der Klägerin
3600,00 DM beträgt.
13
Unter dem 28.10.1998 hat die Beklagte eine weitere Kündigung ausgesprochen, die
derzeit noch beim Arbeitsgericht Düsseldorf anhängig ist.
14
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 25.3.1997 sei unwirksam,
da der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden sei. Mehrwertsteuer habe sie
auf Aufforderung der Beklagten abgerechnet. Sie habe keine falsche eidesstattliche
Versicherung abgegeben, da sie tatsächlich von ihrem Mann getrennt lebe, wenn sie
auch ein gutes Verhältnis zu ihm habe. Eine angebliche Kündigung vom 23.5.1997
habe sie nicht erhalten.
15
Für die Monate März bis Juni 1998 hat sie die Zahlung des ausstehenden Gehaltes
geltend gemacht und den Antrag gestellt
16
1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung vom
25.3.1997 noch durch diejenige vom 23.5.1997 beendet worden ist,
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2. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien ungekündigt fortbesteht,
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3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3600,00 DM brutto nebst 9,11% Zinsen
seit dem 1.4.1998 aus dem Bruttobetrag abzüglich am 31.3.1998 DM 1058,02 netto
erhaltenes Arbeitslosengeld zu zahlen ,
19
4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3600, DM brutto nebst 9,11% Zinsen seit
dem 1.5.1998 aus dem Bruttobetrag abzüglich am 30.4.1998 DM 1058,02 netto
erhaltenes Arbeitslosengeld zu zahlen,
20
5. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3600,00 DM brutto nebst 9,11% Zinsen
seit dem 1.6.1998 aus dem Bruttobetrag abzüglich am 31.5.1998 DM 1058,02 netto
erhaltenes Arbeitslosengeld zu zahlen,
21
6. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3600,00 DM brutto nebst 9,11% Zinsen
seit dem 1.7.1998 aus dem Bruttobetrag abzüglich am 30.6.1998 DM 1058,02 netto
22
erhaltenes Arbeitslosengeld zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
23
die Klage abzuweisen.
24
Sie hat die Ansicht vertreten, die Kündigung vom 25.3.1997 sei wirksam, da die Klägerin
einen Betrug zu ihren Lasten begangen habe, indem sie nach Abmeldung des
Gewerbes Mehrwertsteuer abgerechnet habe, ohne dazu berechtigt zu sein. Darüber
hinaus bestehe der Verdacht, daß sie in den einstweiligen Verfügungsverfahren falsche
eidesstattliche Versicherungen abgegeben habe, da davon auszugehen sei, daß sie
entgegen der Versicherung nicht von ihrem Mann getrennt lebe.
25
Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat mit Urteil vom 21.7.1998, auf dessen Tatbestand und
Entscheidungsgründe im übrigen verwiesen wird, festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis
der Parteien weder durch die Kündigung der Beklagten vom 25.3.1997 noch durch
diejenige vom 23.5.1997 beendet worden ist und im übrigen die Klage abgewiesen.
26
In den Gründen hat es ausgeführt, die Kündigung vom 25.3.1997 sei als
außerordentliche unwirksam, da die Klägerin die Beklagte jedenfalls mit der
Abrechnung der Mehrwertsteuer nicht getäuscht habe. Beide Parteien hätten sich in
Kenntnis der zugrundeliegenden Tatsachen lediglich über die rechtliche Einordnung
des Rechtsverhältnisses geirrt.
27
Der Verdacht der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung vermöge die
Kündigung nicht zu rechtfertigen, da die Beklagte die Klägerin entgegen der
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vor Ausspruch der Verdachtskündigung
nicht angehört habe. Im übrigen seien die der Verdachtskündigung zugrundeliegenden
Tatsachen der Beklagten weit außerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB bekannt
gewesen.
28
Aus den gleichen Gründen sei auch die ordentliche Kündigung unwirksam.
29
Da die Beklagte den Zugang einer angeblichen weiteren Kündigung vom 23.5.1997
nicht bewiesen habe, sei das Arbeitsverhältnis durch eine solche Kündigung nicht
beendet worden.
30
Mit dem Antrag zu 2) sei die Klage unzulässig, da die Klägerin durch ihre
Prozeßbevollmächtigte in der letzten mündlichen Verhandlung habe erklären lassen,
daß sie bei der Beklagten nicht mehr arbeiten wolle. Ansprüche, deren Bestehen von
der begehrten Feststellung abhängig seien, könnten damit in Zukunft nicht mehr
entstehen, so daß für die alsbaldige Feststellung ein Rechtsschutzinteresse nicht
gegeben sei.
31
Die Vergütungsansprüche seien unbegründet, da die Klägerin mit ihrer Äußerung im
Kammertermin keine Arbeitsbereitschaft gezeigt habe und nicht zu erkennen sei, ob sie
in einem früheren Zeitraum arbeitsbereit gewesen sei . Da die Kammer nicht wisse, ab
wann die Klägerin krank sei, könne der Anspruch auch nicht auf § 3
Entgeltfortzahlungsgesetz gestützt werden. Es sei darüber hinaus auch nicht erkennbar,
ob eine etwaige Arbeitsunfähigkeit der einzige Grund für das Fernbleiben von der Arbeit
sei.
32
Gegen das den Parteien am 12.8.1998 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz
vom 14.9.1998, eingegangen beim Landesarbeitsgericht am gleichen Tage, Berufung
eingelegt und sie zugleich begründet. Die Beklagte hat ihre mit Schriftsatz vom
11.9.1998 eingelegte und am gleichen Tage eingegangene Berufung mit Schriftsatz
vom 12.10.1998, eingegangen am gleichen Tage, begründet.
33
Die Klägerin behauptet, sie habe mehrfach ihre Arbeitsleistung tatsächlich, wörtlich und
durch konkludentes Handeln nach Ausspruch der Kündigung vom 27.11.1996
angeboten. Dieses Angebot habe die Beklagte ausdrücklich abgelehnt, so daß sie sich
mit der Annahme der geschuldeten Arbeitsleistung in Verzug befunden habe. Eine
Beendigung des Annahmeverzuges sei nicht eingetreten. Ihre Arbeitsbereitschaft
bestehe unverändert fort. Die Äußerung ihrer Prozeßbevollmächtigten im letzten Termin
zur mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht, sie wolle bei der Beklagten nicht
arbeiten, sei insofern falsch protokolliert worden, als nicht mit aufgenommen worden sei,
daß sie unter Depressionen leide. Hilfsweise hat sie den Widerruf der Erklärung ihrer
Prozeßbevollmächtigten erklärt. Sie vertritt im übrigen die Auffassung, sie sei berechtigt,
ihre Arbeitskraft zurückzuhalten, da ihre Vergütungsansprüche in der Vergangenheit
nicht erfüllt worden seien.
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Sie stellt den Antrag,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3600,00 DM brutto für März 1998 nebst
9,11% Zinsen seit dem 1.4.1998 aus dem Bruttobetrag abzüglich am 31.3.1998 1058,02
DM netto erhaltenes Arbeitslosengeld zu zahlen,
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2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3600,00 DM brutto für April 1998 nebst
9,11% Zinsen seit dem 1.5.1998 aus dem Bruttobetrag abzüglich am 30.4.1998 1058,02
DM netto erhaltenes Arbeitslosengeld zu zahlen,
37
3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3600,00 DM brutto für Mai 1998 nebst
9,11% Zinsen seit dem 1.6.1998 aus dem Bruttobetrag abzüglich am 31.5.1998 903,00
DM netto erhaltenes Arbeitslosengeld zu zahlen,
38
4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3600,00 DM brutto für Juni 1998 nebst
9,11% Zinsen seit dem 1.7.1998 aus dem Bruttobetrag abzüglich am 30.6.1998 827,75
DM netto erhaltenes Arbeitslosengeld zu zahlen,
39
5. die Berufung der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen,
40
6. der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen,
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7. den Antrag der Beklagten auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses zurückzuweisen.
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Die Beklagte beantragt,
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das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen und
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen
45
sowie für den Fall, daß das Gericht der Auffassung sei, daß das Arbeitsverhältnis durch
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Kündigung nicht beendet worden sei,
das Arbeitsverhältnis gemäß § 9 KSchG zum 30.4.1997 aufzulösen.
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Unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens führt sie ergänzend aus, sie
würde die Leistungen der Klägerin nicht entgegengenommen haben, wenn sie gewußt
hätte, daß es an einem ordnungsgemäßen Gewerbe fehle. Sie habe sich in der Tat über
die rechtliche Einordnung des Vertragsverhältnisses getäuscht und sei davon
ausgegangen, daß es sich um ein ordnungsgemäßes freies Mitarbeiterverhältnis
handele. Zur Kündigung wegen des Verdachtes der Abgabe falscher eidesstattlicher
Versicherungen habe es einer vorherigen Anhörung der Klägerin nicht bedurft, da der
Vorwurf bereits im einstweiligen Verfügungsverfahren 3 Ga 6/97 schriftsätzlich erhoben
und auch mündlich vorgetragen worden sei, nachdem die Klägerin im Gerichtstermin
vom 14.2.1997 und in den beiden anderen Terminen in Begleitung ihres Mannes
erschienen sei. Angesichts des Verhaltens der Klägerin sei eine weitere
Zusammenarbeit nicht mehr zumutbar. Die Betriebsratsanhörung sei ordnungsgemäß
erfolgt. In der Anmerkung des Betriebsrats sei dessen abschließende Stellungnahme zu
sehen.
48
Hinsichtlich des Annahmeverzuges verteidigt sie das angefochtene Urteil.
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Eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit sei mit der Klägerin nicht
möglich. Die Basis für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sei zerstört, da die Klägerin
die Gewerbeabmeldung nicht angezeigt, ihr Mehrwertsteuer zu Unrecht in Rechnung
gestellt und nicht an das Finanzamt abgeführt habe. Darüber hinaus habe sie zu ihren -
der Beklagten - Lasten falsche eidesstattliche Versicherungen abgegeben. Mit ihrer
Behauptung, die Äußerungen ihrer Prozeßbevollmächtigten seien nicht so gefallen, wie
sie protokolliert seien, versuche sie, mit eindeutigen Unwahrheiten den Prozeß zu ihren
- der Beklagten - Lasten fortzuführen.
50
Die Klägerin vertritt die Auffassung, ein Auflösungsgrund sei nicht gegeben, da die
Beklagte sich auf Gründe, die vor Ausspruch der Kündigung gelegen hätten, berufe. Die
Erklärung ihrer Prozeßbevollmächtigten im Termin vom 21.7.1998 begründe nicht die
Besorgnis, eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit sei nicht zu er-warten.
Im übrigen habe die Beklagte keine Zweifel daran haben dürfen, daß die von ihr
gewählte Form eines freien Mitarbeiterverhältnisses vor Gericht habe keinen Bestand
haben können.
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Auf den Akteninhalt im übrigen wird verwiesen.
52
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
53
I.
54
Die Berufung der Klägerin und der Beklagten ist statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG) und auch
form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 2, 66 Abs. 1, 64 Abs.
6 ArbGG i. V. mit §§ 518 ff ZPO), also zulässig.
55
II.
56
Die Berufung der Klägerin ist begründet, die der Beklagten dagegen unbegründet. Der
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Auflösungsantrag war abzuweisen.
1. Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien
durch die Kündigung der Beklagten vom 25.3.1997 nicht aufgelöst worden ist.
58
a) Die Wirksamkeit sowohl der außerordentlichen als auch der hilfsweise fristgerecht
ausgesprochenen Kündigung scheitert bereits daran, daß die Beklagte den Betriebsrat
nicht ordnungsgemäß angehört hat, weil sie im Hinblick auf die außerordentliche
Kündigung die dreitägige Frist und im Hinblick auf die hilfsweise ordentliche Kündigung
die Wochenfrist des § 102 Abs.2 BetrVG nicht eingehalten hat.
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Zwar kann der Arbeitgeber schon vor Ablauf der in § 102 Abs.2 BetrVG bezeichneten
Fristen die Kündigung aussprechen, wenn der Betriebsrat zu der Kündigungsabsicht
des Arbeitgebers eine Erklärung abgegeben hat, aus der sich ergibt, daß der Be-
triebsrat eine weitere Erörterung des Falles nicht mehr wünscht, da in einer solchen
Erklärung eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats liegt ( BAG Urteil vom
4.8.1975 - 2 AZR 26/74 - AP Nr. 4 zu § 102 BetrVG 1972; Urteil vom 1.4.1976 - 2 AZR
179/75 - AP Nr. 8 zu § 102 BetrVG 1972). Entgegen der Auffassung der Beklagten ist in
der handschriftlichen Anmerkung des Betriebsrats eine solche abschließende
Stellungnahme nicht zu sehen. Der Betriebsrat hat zunächst einmal nur bestätigt, die
Unterrichtung über die beabsichtigte Kündigung erhalten zu haben. Einer bloße
Empfangsbestätigung kann nicht der Charakter einer abschließenden Stellungnahme
beigemessen werden. Die zusätzliche handschriftliche Anmerkung mag bei der
Beklagten den Eindruck erweckt haben, der Betriebsrat teile ihre Ansicht, die Klägerin
sei nicht in einem Arbeitsverhältnis tätig gewesen. Der Wortlaut der Anmerkung ist aber
nicht im Sinne einer abschließenden Stellungnahme eindeutig. Er läßt vielmehr auch
die Annahme zu, der Betriebsrat bedürfe weiterer Aufklärung, um den Sachverhalt zu
verstehen. Unter diesen Umständen wäre es Sache der Beklagten gewesen, sich beim
Betriebsrat rückzuversichern oder aber, die jeweiligen Fristen des § 102 Abs. 2 BetrVG
vor Ausspruch der Kündigung abzuwarten.
60
b) Selbst wenn mit der Beklagten von einer abschließenden Stellungnahme des
Betriebsrats auszugehen wäre, wäre die ausgesprochenen Kündigung sowohl als
außerordentliche als auch als ordentliche unwirksam.
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aa) Die Kündigung ist als außerordentliche gemäß § 626 Abs. 1 BGB unwirksam.
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Die Prüfung, ob ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung vorliegt, hat
nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ( vgl. z. B. BAG Urteil
vom 17.5.1984 - 2 AZR 3/83 - AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung;
Urteil vom 21.2.1991 - 2 AZR 449/90 - AP Nr. 35 zu § 123 BGB), der das Schrifttum im
wesentlichen gefolgt ist ( vgl. nur KR - Hillebrecht § 626 BGB Rz. 58 ff), in zwei
systematisch getrennten Abschnitten zu erfolgen. Zunächst ist festzustellen, ob ein
bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls "an sich"
geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Dabei genügt allerdings
noch nicht die "abstrakte Erheblichkeit" eines Kündigungssachverhaltes zur
Begründung der Unzumutbarkeit. Vielmehr muß bereits auf der ersten Stufe festgestellt
werden, ob der an sich zur außerordentlichen Kündigung geeignete Sachverhalt im
Streitfall zu einer konkreten Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat(BAG
Urteil vom 15.11.1984 - 2 AZR 613/83 - AP Nr. 87 zu § 626 BGB; Urteil vom 17.3.1988 -
2 AZR 576/87 - AP Nr. 99 zu 626 BGB). Erst dann ist in einer zweiten Stufe zu
63
untersuchen, ob nach Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände der
Arbeitsvertragsparteien die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist (BAG Urteil vom
17.3.1988 a.a.O.; Urteil vom 2.3.1989 - 2 AZR 280/88 - AP Nr. 101 zu § 626 BGB).
Der Vorwurf der Beklagten, die Klägerin habe ihr nicht mitgeteilt, daß sie das
abgemeldete Gewerbe nach der erneuten Beschäftigung nicht wieder angemeldet habe
und sie damit getäuscht, ist nicht an sich geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu
rechtfertigen. Die Klägerin war aufgrund der von ihr im Betrieb der Beklagten
ausgeführten Tätigkeit, wie die Parteien übereinstimmend mit dem Teil-Vergleich
festgestellt haben, tatsächlich Arbeitnehmerin und keine freie Mitarbeiterin. Zu einer
Gewerbeanmeldung war sie daher weder berechtigt noch verpflichtet. Die rechtliche
Qualifizierung als Arbeitsverhältnis oder als sonstiges Rechtsverhältnis hing auch nicht
von der Gewerbeanmeldung ab. Die Tatsache allein, daß sie die Beklagte nicht davon
unterrichtete, daß sie nach Unterbrechung und Wiederaufnahme der Tätigkeit ein
Gewerbe nicht wieder anmeldete, rechtfertigt den Betrugsvorwurf nicht, zumal sie
unwidersprochen vorgetragen hat, sie habe die Mehrwertsteuer auf Aufforderung der
Beklagten ausgewiesen und sie nicht davon ausgehen mußte, für die Beklagte sei die
Anmeldung eines Gewerbes für sich genommen von Bedeutung. Sie handelte
erkennbar nicht in Täuschungsabsicht, sondern ordnete entweder den Charakter des
Vertragsverhältnisses falsch ein oder beugte sich der von der Beklagten vertretenen
Auffassung, bei dem Vertragsverhältnis handele es sich um ein freies
Mitarbeiterverhältnis. Bei dieser Sachlage vermag die Abrechnung von Mehrtwertsteuer
einen Betrugsvorwurf nicht zu rechtfertigen.
64
Der Verdacht der Abgabe einer falschen eidesstattlichen Versicherung zu Lasten des
Arbeitgebers mag im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
grundsätzlich geeignet sein, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Nach
der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann nicht nur eine
erwiesene strafbare Handlung, sondern auch der Verdacht, eine strafbare Handlung
begangen zu haben, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein (vgl.
statt aller BAG Urteil vom 14.9.1994 - 2 AZR 164/94 - AP Nr. 24 zu § 626 BGB Verdacht
strafbarer Handlung). Zu den Voraussetzungen der Wirksamkeit einer
Verdachtskündigung gehört außer in dem Ausnahmefall, daß der Arbeitnehmer von
vornherein nicht bereit ist, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern,
dessen Anhörung. Die Beklagte hat jedoch die Klägerin zu ihrem Verdacht vor
Ausspruch der Kündigung nicht angehört. Daß die Beklagte den Vorwurf der falschen
eidesstattlichen Versicherung jeweils in den einstweiligen Verfügungsverfahren
erhoben hat, mochte durch ihre Prozeßführung begründet sein, konnte von der Klägerin
jedoch nicht als Anhörung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung verstanden
werden. Zu Recht hat das Arbeitsgericht darüber hinaus darauf hingewiesen, daß die
Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten hat. Diese Frist, die innerhalb
begrenzter Zeit für den betroffenen Arbeitnehmer Klarheit darüber schaffen soll, ob ein
Sachverhalt zum Anlaß für eine außerordentliche Kündigung genommen wird, beginnt,
sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige
Kenntnis vom Kündigungssachverhalt hat, die ihm die Entscheidung ermöglicht, ob die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (BAG Urt. v. 28.10.1971 - 2
AZR 32/71 - AP Nr. 1 zu § 626 BGB Ausschlußfrist). Zu den für die Kündigung
maßgebenden Tatsachen gehören nicht nur die konkreten Vorfälle, die den Anlaß für
eine außerordentliche Kündigung bilden, sondern alle Umstände, die bei der
Zumutbarkeitsprüfung in die Gesamtwürdigung einzubeziehen sind. Sowohl die
maßgebenden Tatsachen als auch die übrigen Umstände, auf die sie die
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Verdachtskündigung stützt, waren der Beklagten aber bereits spätestens am 14.2.1997
bekannt, wie sich aus ihrem eigenen Vortrag ergibt.
c) Der hilfsweise ordentlichen Kündigung mangelt es aus den gleichen Gründen wie
den zur außerordentlichen Kündigung ausgeführten an der Wirksamkeit.
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2. Den Zugang einer möglicherweise vom 23.5.1997 datierenden Kündigung hat die
Beklagte nicht zu beweisen vermocht.
67
3. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Zahlungsansprüche aus dem
Gesichtspunkt des Annahmeverzuges zu. Die Kammer vermag sich der Auffassung der
Vorinstanz, die Klägerin habe für die Vergangenheit keine Arbeitsbereitschaft erkennen
lassen, nicht anzuschließen.
68
Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis gekündigt. Gegen diese Kündigung hat sich die
Klägerin mit ihrer Kündigungsschutzklage fristgerecht gewandt.
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Das Bundesarbeitsgericht hat mit Urteil vom 9.8.1984 (- 2 AZR 374/83 - NZA 1985,119)
die Rechtsprechung zu den Voraussetzungen des Annahmeverzugs bei fristloser
Kündigung geändert. Ausgangspunkt ist § 615 BGB, wonach der Arbeitgeber die
vereinbarte Vergütung fortzuzahlen hat, wenn er in Annahmeverzug gerät. Die
Voraussetzungen des Annahmeverzugs richten sich auch für das Arbeitsverhältnis nach
§§ 293 ff BGB. Das wörtliche Angebot der Arbeitsleistung genügt, wenn der Gläubiger
erklärt hat, er werde die Leistung nicht annehmen oder wenn zur Bewirkung der
Leistung eine Handlung des Gläubigers erforderlich ist. Ist für die vom Gläubiger
vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, bedarf es
ausnahmsweise gar keines Angebots, wenn der Gläubiger die Handlung nicht
rechtzeitig vornimmt. Die nach dem Kalender vorzunehmende Mitwirkungshandlung des
Arbeitgebers ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts darin zu sehen,
daß der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur
Verfügung zu stellen und ihm Arbeit zuzuweisen hat. Der Arbeitgeber muß daher den
Arbeitnehmer nach Ausspruch sowohl einer außerordentlichen als auch einer
ordentlichen Kündigung (vgl. insoweit BAG Urteil vom 21.3.1985 - 2 AZR 201/84 - AP
Nr. 35 zu § 615 BGB) zur Arbeit auffordern, wenn er nach Ausspruch der Kündigung
nicht in Annahmeverzug geraten will. Da die Beklagte dies unstreitig nicht getan hat,
kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin ihre Arbeitsleistung wörtlich angeboten hat,
was nach ihrem Vortrag wohl nur nach Ausspruch der Kündigung vom 26.11.1996 der
Fall war. Allerdings ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, daß für den
Annahmeverzug, auch wenn ein wörtliches Angebot bei Vorliegen der Voraussetzungen
des § 295 BGB nicht erfolgt sein muß, Arbeitsbereitschaft erforderlich ist. Die Erklärung
der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vom
21.7.1998 vor dem Arbeitsgericht rechtfertigt allerdings die Annahme, die Klägerin sei in
der Vergangenheit - und ihre Annahmeverzugsforderung bezieht sich auf die Monate
März bis Juni 1998 - nicht arbeitsbereit gewesen, ohne weitere Anhaltspunkte nicht.
Unabhängig davon, ob die Prozeßbevollmächtigte lediglich hat erklären wollen, die
Klägerin wolle nicht arbeiten, weil sie zur Zeit unter Depressionen leide oder ob dies auf
anderen Gründen beruhte, bezog sich die Erklärung auf die Zukunft, denn laut Protokoll
lautete die Erklärung "Die Klägerin will bei der Beklagten nicht weiterarbeiten". Nach
dem Vortrag der Beklagten hat die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin erklärt, die
Klägerin wolle bei der Beklagten nicht mehr weiterarbeiten. Eine solche Äußerung, auch
wenn sie der Klägerin zugerechnet werden müßte, läßt allenfalls im Hinblick auf die
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Formulierung weiterarbeiten - erst recht, wenn die Erklärung gelautet hätte, nicht mehr
weiterarbeiten - den Schluß zu, vom Zeitpunkt der Erklärung an sei die Aufnahme der
Tätigkeit nicht beabsichtigt. Sie berechtigt mangels anderer Anhaltspunkte nicht zu der
Annahme, die Klägerin sei auch in der Vergangenheit nicht willens gewesen, die
Tätigkeit bei der Beklagten aufzunehmen. Ebensowenig bestehen Anhaltspunkte für
eine Erkrankung der Klägerin vor dem 30.6.1998. Das ärztliche Attest datiert vom
8.7.1998; im Termin hat der Vertreter der Klägerin unwidersprochen vorgetragen, die
Kläger sei erst nach dem 30.6.1998 erkrankt. Die Beklagte hat auch nicht behauptet, die
Klägerin sei im Anspruchszeitraum nicht arbeitsbereit oder erkrankt gewesen, so daß
der der Höhe nach unstreitige Anspruch aus § 615 BGB gerechtfertigt ist.
4. Der Antrag der Beklagten, das Arbeitsverhältnis zum 30.4.1997 aufzulösen, war
abzuweisen, da die Voraussetzungen des § 9 KSchG nicht gegeben sind.
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Auf Antrag des Arbeitgebers ist das Arbeitsverhältnis gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG
dann aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche
weitere Zusammenarbeit nicht erwarten lassen. Unter Beachtung der primären
Zielsetzung des Kündigungsschutzgesetzes, den Arbeitnehmer im Interesse eines
wirksamen Bestandsschutzes des Arbeitsverhältnisses vor einem Verlust des
Arbeitsplatzes durch sozialwidrige Kündigungen zu bewahren, ist es gerechtfertigt, an
den Auflösungsantrag des Arbeitgebers strenge Anforderungen zu stellen (vgl. schon
BAG Urteil vom 5.11.1964 - 2 AZR 15/64 - EzA § 7 KSchG Nr. 1; Urteil vom 16.5.1984 -
7 AZR 280/82 - BAGE 46,42 = EzA § 9 KSchG n.F. Nr. 16; Urteil vom 14.1.1993 - 2 AZR
343/92 - EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 39). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung
der Frage, ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten
ist, ist der Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag (BAG Urteil vom
30.9.1976 - 2 AZR 402/5 - AP Nr. 3 zu § 9 KSchG). Der Arbeitgeber muß, bezogen auf
diesen Zeitpunkt, greifbare Tatsachen dafür vortragen, daß eine weitere gedeihliche
Zusammenarbeit nicht mehr zu erwarten ist. Schlagwortartige Formulierungen reichen
für die Begründung eines Auflösungsantrages nicht aus. Die die Auflösung
rechtfertigenden Gründe können sich sowohl vor als auch nach Ausspruch der
Kündigung ereignet haben, wobei ein Verschulden des Arbeitnehmers nicht erforderlich
ist. Gegebenenfalls können auch Tatsachen herangezogen werden, die für eine
Kündigung nicht ausreichten (BAG Urteil vom 16.5.1984 a.a.O.). Der Arbeitgeber muß
dann aber im einzelnen vortragen, weshalb die nicht ausreichenden Kündigungsgründe
einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit entgegenstehen
sollen.
72
Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Beklagten nicht. Die bloße Wiederholung
der nicht ausreichenden Kündigungsgründe, die Klägerin habe nicht angezeigt, daß sie
ihr Gewerbe abgemeldet habe und habe jahrelang die Mehrwertsteuer zu Unrecht in
Rechnung gestellt, stellt keinen im Sinne der Rechtsprechung des
Bundesarbeitsgerichts greifbaren Tatsachenvortrag dar. Die Behauptung, die Klägerin
habe falsche eidesstattliche Versicherungen abgegeben, entspricht weder dem
Kündigungsvorwurf, der auf den Verdacht einer solchen Handlung gestützt war, noch ist
er unter Beweis gestellt. Schließlich läßt auch der weitere Vortrag, die Klägerin leugne
die Äußerungen ihrer Prozeßbevollmächtigten und versuche, den Prozeß zu ihren - der
Beklagten - Lasten fortzuführen keine greifbaren Tatsachen für die behauptete
Unmöglichkeit einer gedeihlichen Zusammenarbeit erkennen. Auch wenn die Klägerin
zunächst behauptet hat, ihre Prozeßbevollmächtigte habe die protokollierte Erklärung
nicht abgegeben, hat sie diese Behauptung im Verlauf des Prozesses dahingehend
73
berichtigt, es seien die weiteren, ergänzenden Erklärungen nicht protokollliert worden.
Daß aber letztlich die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin tatsächlich erklärt hat, die
Klägerin sei krank und daß eine ärztliche Bescheinigung vorlag, wonach die Klägerin
unter Depressionen litt oder leidet, trägt die Beklagte selbst vor. Der weitere Vortrag zum
"Schriftsatz der Gegenseite vom 6.8.1998" ist für die Kammer nicht nachvollziehbar. Ein
solcher Schriftsatz ist nicht in der Akte. Im Schriftsatz vom 4.8. befindet sich der
behauptete Vortrag nicht, würde aber im übrigen den Auflösungsantrag mangels
konkreter Hinweise, wie durch das Verhalten des oder Prozeßbevollmächtigten der
Klägerin die gedeihliche Zusammenarbeit der Parteien beeinträchtigt werden könnte,
nicht rechtfertigen.
III.
74
Die Entscheidung über die Zinsen ergibt sich aus §§ 284 Abs.2, 288 Abs. 1 Satz 1, Abs.
2 BGB.
75
Nach § 288 BGB Abs. 1 Satz 1 ist eine Geldschuld während des Verzuges mit 4 v. H. für
das Jahr zu verzinsen. Kann der Gläubiger aus einem anderen Rechtsgrund höhere
Zinsen verlangen, sind diese weiter zu entrichten. Bei kalendermäßig fixierter
Leistungszeit, wie der vom Arbeitgeber geschuldeten Vergütung, bedarf es der
Mahnung des Arbeitnehmers nicht, so daß der Arbeitgeber ohne weiteres in
Schuldnerverzug gerät und das geschuldete Arbeitsentgelt von diesem Zeitpunkt an zu
verzinsen hat.
76
Die Kammer folgt der Entscheidung des 9. Senats des Bundesarbeitsgerichts mit
Beschluß vom 11.8.1998 - 9 AZR 122/95 - , wonach der Arbeitnehmer Zinsen auf den
geschuldeten Bruttobetrag beanspruchen kann; der Zinsanspruch des Gläubigers ist
nicht um den Nettobetrag zu mindern, der sich nach Abzug von Abgaben und Beiträgen
ergibt. Mit den Vorschriften über die Einbehaltung und Abführung von Lohnsteuer und
den vom Arbeitnehmer zu tragenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags ist
lediglich die Zahlungsweise des Arbeitgebers geregelt, der das geschuldete
Arbeitsentgelt insoweit nicht an den Arbeitnehmer, sondern an Dritte auszuzahlen hat.
Erst wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmeranteil zur Sozialversicherung entrichtet und
die vom Arbeitnehmer als Schuldner zu tragenden Steuern abgeführt hat, erlischt in
diesem Umfang die Hauptforderung des Arbeitnehmers und damit auch der
akzessorische Zinsanspruch. Bis zur nachgewiesenen Abführung dieser
Entgeltbestandteile ist der Arbeitgeber zur Bruttozahlung verpflichtet und hat folglich
auch die Bruttoschuld unverkürzt zu verzinsen. Zur weiteren Begründung wird auf die
Entscheidungsgründe des Beschlusses des 9. Senats verwiesen.
77
Diese Grundsätze sind nach Auffassung der Kammer auch auf den gemäß § 288 Abs. 2
BGB geltend gemachten weitergehenden Zinsanspruch anzuwenden. Zwar handelt es
sich bei dem 4 v.H. übersteigenden Zinsanspruch nicht wie bei dem sich aus § 288 Abs.
1 Satz 1 BGB ergebenden um einen pauschalierten Schadensersatzanspruch, der
geltend gemacht werden kann, ohne daß überhaupt ein Schaden entsteht. Auch für
diesen Zinsanspruch, dessen Höhe die Klägerin nachgewiesen hat, gilt aber, daß der
Arbeitgeber Schuldner des gesamten, dem Arbeitnehmer zufließenden Bruttobetrages
und damit verpflichtet ist, Zinsen auf diesen Bruttobetrag zu entrichten. Die Tatsache,
daß den Arbeitnehmer als Steuerschuldner und als Schuldner der auf ihn entfallenden
Sozialversicherungsbestandteile die Verpflichtung trifft, diese Entgeltbestandteile an die
zuständigen Stellen weiterzuleiten, mindert die Schadensersatzforderung gegenüber
78
dem Arbeitgeber insbesondere dann nicht, wenn wie vorliegend, wegen des Verzuges
Kredit aufgenommen werden muß.
Im übrigen greifen auch bei der über 4 v. H. hinausgehenden Zinsforderung die aus§
253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hergeleiteten prozessualen Bedenken zur Bestimmtheit des
Klageantrages, wie sie im Beschluß des 9. Senates eingehend dargelegt sind.
79
IV.
80
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
81
RECHTSMITTELBELEHRUNG
82
Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten insoweit
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REVISION
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eingelegt werden, als auf die Forderung der Klägerin Zinsen auf die Bruttoforderung
zugesprochen worden sind.
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Für die Klägerin ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
86
Die Revision muß
87
innerhalb einer Notfrist von einem Monat
88
nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
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Bundesarbeitsgericht,
90
Graf-Bernadotte-Platz 5,
91
34119 Kassel,
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eingelegt werden.
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Die Revision ist gleichzeitig oder
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innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
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schriftlich zu begründen.
96
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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Lemppenau-KrügerBattenstein Stammer
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