Urteil des LAG Düsseldorf vom 10.02.1999

LArbG Düsseldorf (zweck, fürsorgeleistung des arbeitgebers, versorgung, vertrag, ewg, bag, arbeitsgericht, arbeitgeber, arbeitnehmer, gleichbehandlung)

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 17 Sa 809/98
Datum:
10.02.1999
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
17. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 Sa 809/98
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Düsseldorf, 6 Ca 6606/97
Schlagworte:
Ausschluß geringfügig Beschäftigter von betrieblicher Altersversorgung
Normen:
§ 1 Abs. 1 S. 4 BetrAVG; Art. 3 Abs. 1 GG; Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Nimmt der Arbeitgeber geringfügig Beschäftigte i. S. von § 8 SGB IV von
einer betrieblichen Altersversorgung aus, deren Zweck es ist, zeitgleich
erworbene gesetzliche Grundversorgung aufzubessern, verstößt dies
nicht gegen den arbeitsgerichtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.In
Gesamtversorgungssystemen ist eine solche Ergänzungsfunktion Zweck
der Betriebsrente vgl. zum öfftl. Dienst BAG, U. v. 27.02.1996 3 AZR
886/94 AP Nr. 28 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung. Der Arbeitgeber
kann jedoch auch anderweitig zu erkennen geben, dass die Versorgung
diesen Zweck hat. Die Richtlinien 1990 der Unterstützungskasse des
DGB stellen eine solche Zweckbindung der Versorgungsleistungen
deutlich heraus.
Tenor:
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Düsseldorf vom 24.03.1998 6 Ca 6606/97 wird kostenpflichtig
zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
T A T B E S T A N D :
1
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf betriebliche
Altersversorgung hat.
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Die am 19.01.1953 geborene Klägerin war vom 01.04.1985 bis zum 31.08.1986 bei der
Beklagten als im sozialversicherungsrechtlichen Sinne geringfügig Beschäftigte (§ 8
SGB IV) tätig. Bei einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden verdiente sie 390,-- DM. Am
13.07.1987 trat die Klägerin erneut in die Dienste der Beklagten, jetzt mit einer
Arbeitszeit von 25 Wochenstunden. Am 30.06.1996 endete dieses Arbeitsverhältnis. Die
Klägerin verdiente zuletzt monatlich 3.588,13 DM brutto.
3
Die Beklagte, eine Bildungseinrichtung des D., ist Mitglied der vom D., den
angeschlossenen Einzelgewerkschaften und verschiedenen gewerkschaftlichen
Einrichtungen unterhaltenen Unterstützungskasse des D. e.V. (Unterstützungskasse).
Die Beklagte meldete die Klägerin für die Dauer des am 13.07.1987 begründeten
zweiten Arbeitsverhältnisses bei der Unterstützungskasse an. Sie entsprach damit ihrer
Verpflichtung nach Ziff. 10 des Arbeitsvertrages der Parteien sowohl in seiner Fassung
vom 27.07./31.07.1987 als auch in seiner zuletzt geänderten Fassung vom
31.10./07.11.1989. Für die Zeit vom 01.04.1985 bis zum 31.08.1986 hatte die Beklagte
die Klägerin aufgrund der geringfügigen Wochenarbeitszeit nicht zur
Unterstützungskasse angemeldet. In Übereinstimmung mit den Überstützungs-
Richtlinien wies auch der damalige Arbeitsvertrag eine entsprechende Verpflichtung der
Beklagten nicht aus. § 2 Abs. 2 Nr. 2 der Unterstützungs-Richtlinien 1983 schloß von
der Versorgung aus Beschäftigte, die weniger als 20 Stunden wöchentlich arbeiten . Im
Jahre 1990 wurde § 2 Abs. 2 Nr. 2 der Unterstützungs-Richtlinien dahingehend
geändert, daß nunmehr ausgeschlossen sind geringfügig Beschäftigte nach § 8 SGB IV
.
4
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte hätte sie auch 1985/1986 bei der
Unterstützungskasse anmelden müssen. Die Nichtanmeldung allein aufgrund des
damaligen Teilzeitarbeitsumfanges sei unzulässig gewesen und verstoße sowohl
gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz als auch § 2 BeschFG
sowie das europarechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 119 EWG-Vertrag. Sie
müsse deshalb so gestellt werden, als wäre sie damals angemeldet worden. Die
Unterbrechung der Beschäftigung vom 01.09.1986 bis zum 12.07.1987 sei sodann nach
Maßgabe von § 5 Abs. 3 der Unterstützungs-Richtlinien unschädlich und beide
Beschäftigungszeiten zusammenzurechnen mit der Folge einer unverfallbaren
Anwartschaft auf Versorgung.
5
Die Klägerin hat beantragt,
6
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie bei Eintritt eines Unter-
7
stützungsfalles gem. § 3 der Unterstützungsrichtlinien der
8
Unterstützungskasse des D. e. V. eine monatliche Unter-
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stützung in der Höhe zu zahlen, die zu zahlen wäre, wenn sie
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in der Zeit vom 01.04.1985 bis zum 31.08.1986 bei der Unter-
11
stützungskasse des D. e. V. angemeldet worden wäre,
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2. hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an sie bei Eintritt eines
13
Unterstützungsfalles gem. § 3 der Unterstützungsrichtlinien eine
14
monatliche Unterstützung in Höhe von 290,07 DM zu zahlen.
15
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Nichtanmeldung der Klägerin
für die Beschäftigungszeit 1985/1986 für wirksam gehalten. Der Ausschlußtatbestand
der Unterstützungs-Richtlinien begegne keinen rechtlichen Bedenken.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 24.03.1998 abgewiesen. Zur
Begründung führt das Urteil, auf dessen Entscheidungsgründe im übrigen verwiesen
wird, im wesentlichen aus, es sei nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte die Klägerin,
soweit sie keine gesetzliche Grundaltersversorgung habe erwerben können, nicht zur
Unterstützungskasse angemeldet habe. Es würde einen nicht zu rechtfertigenden
Wertungswiderspruch darstellen, einerseits im Hinblick auf die gesetzliche Rente der
geringfügig beschäftigten Klägerin Arbeitgeberleistung/Arbeitgeberanteile
vorzuenthalten, andererseits die Beklagte zu verpflichten, sie in ihr betriebliches
Versorgungssystem aufzunehmen.
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Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Verschaffung einer
Betriebsrente weiter. Sie meint, das Arbeitsgericht habe unzulässigerweise Aspekte der
Sozialgesetzgebung mit den Zwecken einer betrieblichen Altersversorgung verquickt.
Mit ihren Versorgungsleistungen bezwecke die Beklagte ausschließlich die
Honorierung von Betriebstreue. Diese habe sie jedoch als geringfügig Beschäftigte
ebenso aufzuweisen wie mit ihrer späteren Teilzeitarbeit oder wie vollbeschäftigte
Mitarbeiter.
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Die Klägerin beantragt nunmehr,
19
1. unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom
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24.03.1998, Az.: - 6 Ca 6606/97 -, wird die Beklagte verurteilt, an die
21
Klägerin bei Eintritt eines Unterstützungsfalles gem. § 3 der Unter-
22
stützungsrichtlinien des D. e.V. eine monatliche Unterstützung in
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der Höhe zu zahlen, die zu zahlen wäre, wenn sie in der Zeit vom
24
01.04.1985 bis zum 31.08.1986 bei der Unterstützungskasse des
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D. e. V. angemeldet worden wäre,
26
2. h i l f s w e i s e wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin bei
27
Eintritt eines Unterstützungsfalles gem. § 3 der Unterstützungs-
28
richtlinien eine monatliche Unterstützung in Höhe von 290,07 DM
29
zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Das Arbeitsgericht habe richtig
gesehen, daß sie die Klägerin in Übereinstimmung mit der sozialgesetzlichen Vorgabe
auch aus dem betrieblichen Versorgungssystem habe ausnehmen können. Vor allem
verkenne die Klägerin den Zweck der Versorgung. Es solle keineswegs ausschließlich
Betriebstreue entgolten werden. Die Unterstützungs-Richtlinien wiesen vielmehr in
verschiedenen Bestimmungen unmißverständlich aus, daß die Versorgung nur
denjenigen Beschäftigten gewährt werden solle, die zeitgleich im Arbeitsverhältnis
gesetzliche Rentenansprüche erwerben. Aus diesem Anknüpfungstatbestand folge, daß
31
die Klägerin zu Recht in den Jahren 1985/1986 nicht zur Unterstützungskasse
angemeldet
worden sei.
32
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Schriftsätze und
die Sitzungsniederschriften verwiesen.
33
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
34
Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
35
A.
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Zulässigkeitsbedenken bestehen hinsichtlich ihres Klagebegehrens entgegen der
Auffassung der Beklagten allerdings nicht.
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Bei dem von der Klägerin geltend gemachten Verschaffungsanspruch handelt es sich
um ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO. Sie hat ein
rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung möglicher Versorgungsansprüche.
Der hierauf gerichtete (Haupt-)Antrag der Klägerin ist zudem hinreichend bestimmt (§
253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Klägerin hat mit der Angabe des Zeitraums vom 01.04.1985
bis 31.08.1986, für den sie bei der Unterstützungskasse nach ihrer Auffassung hätte
angemeldet werden sollen, die maßgeblichen Umstände für den Inhalt ihrer
vermeintlichen Versorgungsanspruchs bezeichnet. Für den Fall der Erweiterung ihrer
Anmeldung um diesen Zeitraum stünde ihr die beanspruchte Versorgung zu.
38
B.
39
Die Beklagte war jedoch nicht verpflichtet, die Klägerin für die streitige Zeit zur
Unterstützungskasse anzumelden. Es besteht keine Versorgungsverpflichtung der
Beklagten aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 1 Abs. 1 Satz 4 BetrAVG).
Das Arbeitsgericht hat richtig gesehen, daß die Beklagte weder gegen den
arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz noch gegen das europarechtliche
Diskriminierungsverbot des Art. 119 EWG-Vertrag verstoßen hat.
40
I.
41
Der inhaltlich durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestimmte
arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz in der Zeit ab 01.05.1985 in der
Ausformung des § 2 Abs. 1 BeschFG verbietet in Bezug auf Teilzeitbeschäftigte eine
gegenüber vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern unterschiedliche Behandlung wegen
der Teilzeitarbeit, außer es gibt dafür sachliche Gründe. Dabei erstreckt sich das Gebot
zur Gleichbehandlung sowohl auf einseitige Maßnahmen als auch auf vertragliche
Abmachungen. Sachliche, eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigende Gründe
können nicht in der Teilzeit als solcher liegen; sie müssen anderer Art sein. Die
unterschiedliche Behandlung ist dann sachfremd, wenn es für sie keine
nachvollziehbaren und willkürfreien Gründe gibt. Dabei richtet sich die Beurteilung nach
dem Zweck der Leistung. Nur der Zweck der Leistung kann zur Prüfung des sachlichen
Grundes herangezogen werden, wenn Arbeitnehmergruppen von Leistungen
ausgeschlossen werden sollen. Diesem vom BAG in ständiger Rechtsprechung der
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verschiedenen Fachsenate geforderten inneren Zusammenhang zwischen
Leistungszweck und Gruppenbildung (vgl. etwa Urteil vom 01.11.1995 5 AZR 84/94 =
AP Nr. 45 zu § 2 BeschFG 1985, Urteil vom 09.12.1997 3 AZR 661/96 = AP Nr. 40 zu §
1 BetrAVG Gleichbehandlung) schließt sich die Berufungskammer an. In der
betrieblichen Altersversorgung muß dabei der Zweck der Leistung auch aus der
Versorgungsordnung erkennbar sein (vgl. BAG, Urteil vom 09.12.1997 3 AZR 661/96 a.
a. O.).
1. Zweck jeder betrieblich versprochenen Versorgungsleistung ist es, zur Alters-
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sicherung der Arbeitnehmer beizutragen. Neben diesen Versorgungszweck tritt in der
Regel, daß die Betriebstreue gefördert und belohnt werden soll. Im Zusammenhang mit
diesen wie auch weiteren Zwecken ergeben sich mögliche Differenzierungs- und damit
Rechtfertigungsgründe für eine Ungleichbehandlung. So kann sachlicher Grund zur
Differenzierung und Ausgrenzung von Arbeitnehmern von betrieblichen
Versorgungsleistungen etwa ein typischerweise unterschiedlicher Versorgungsbedarf
sein oder auch der Stellenwert bestimmter Arbeitnehmergruppen für das Unternehmen
vgl. wiederum das bereits angeführte Urteil des BAG vom 09.12.1997 3 AZR 661/96
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a. a. O. Auch die Ausgestaltung der Versorgung selbst kann eine weitere Zweckbindung
indizieren. Dies gilt etwa für sog. Gesamtversorgungssysteme, wie sie mit der
Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst vorliegen. Sie dienen dazu, die
Versorgungslücke zwischen der gesetzlichen Rente und den Aktivbezügen zu
verringern. Hier steht die betriebliche Altersversorgung nicht losgelöst neben der
gesetzlichen Rentenversicherung, sondern ist mit ihr verzahnt; Zweck der betrieblichen
Altersversorgung ist eine Ergänzungsfunktion, die in ihr Gegenteil verkehrt würde, wollte
man die fehlende Sozialversicherungsrente durch eine betriebliche Altersversorgung
gleichermaßen ersetzen. Für Gesamtversorgungssysteme hat das BAG
dementsprechend mit Urteil vom 27.02.1996 (3 AZR 886/94 = AP Nr. 28 zu § 1 BetrAVG
Gleichbehandlung) den Versorgungsausschluß geringfügig Beschäftigter, die gem. § 8
SGB IV nicht der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterfallen, für sachlich
gerechtfertigt erklärt.
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2. Die Kammer schließt sich den tragenden Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts im
Urteil vom 27.02.1996 bestätigt mit den Urteilen vom 12.03.1996 (3 AZR 993/94 = AP
Nr. 1 zu § 24 TV Arb Bundespost) und vom 13.05.1997 (3 AZR 66/96 = AP Nr. 36 zu § 1
BetrAVG Gleichbehandlung) an. Zwar hat die betriebliche Altersversorgung
Entgeltcharakter und ist nicht etwa eine bloße Fürsorgeleistung des Arbeitgebers. Von
daher kann weder aus der gesetzlichen Versicherungsfreiheit noch daraus, daß
mögliche Versorgungsbezüge etwa nur einen geringen Umfang hätten, etwas für die
Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung geringfügig Beschäftigter hergeleitet werden.
Erst recht ist die Erwägung der Beklagten nicht einsichtig, auf den Arbeitgeber käme
andernfalls ein unverhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand zu. Das
Lohngleichheitsgebot kommt nicht nur für den Fall gleich hoher Nebenkosten des
Arbeitgebers zum Tragen. Der geringfügig beschäftigte Arbeitnehmer hat vom
Grundsatz her mit seiner Arbeitsleistung gleichermaßen vorgeleistet wie Mitarbeiter mit
einem höheren Teilzeitarbeitsumfang oder vollbeschäftigte Arbeitnehmer. Gleichwohl
kann der besondere Zweck der Versorgungsleistung im Einzelfall die Rechtfertigung
des Ausschlusses geringfügig beschäftigter Arbeitnehmer bilden, wenn, wie im
öffentlichen Dienst, die Verzahnung mit dem Rentenversicherungsrecht dem Sinn und
Zweck des Gesamtversorgungssystems entspricht.
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Dies gilt nicht ausschließlich für den Fall der Ausgestaltung der betrieblichen
Altersversorgung als Gesamtversorgungssystem und erst recht nicht ausschließlich für
solche Fallgestaltungen im öffentlichen Dienst. Entgegen der Auffassung der Klägerin
ist der Rechtsprechung des BAG eine solche Eingrenzung nicht zu entnehmen. Das
BAG stellt auch in den Urteilen zum Versorgungsausschluß geringfügig Beschäftigter
allgemein auf die Zweckargumentation ab, die auch in diesen Fällen von
Gesamtversorgungszusagen wegen des besonderen Zwecks der Verknüpfung mit der
gesetzlichen Rente den entscheidenden sachlichen Grund zum Versorgungsausschluß
darstellt. So hat auch das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil ungeachtet einer
fehlenden Ausgestaltung als Gesamtversorgungssystem zutreffend den Zweck der hier
fraglichen Versorgung als entscheidendes Differenzierungskriterium herausgestellt. Der
Zweck der Versorgung geht hier dahin, zeitgleich im Arbeitsverhältnis zu der Beklagten
erworbene gesetzliche Rentenansprüche aufzubessern. Auf diese Zweckbindung
stellen die Unterstützungs-Richtlinien sowohl von 1983 als auch von 1990 in ihrer
insoweit jeweils identischen Fassung ab.
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Das wird besonders deutlich, wenn es in § 22 Abs. 4 Satz 2 der Unterstützungs-
Richtlinien heißt: wird die gesetzliche Rente, von deren Bezug die Unterstützung
abhängig ist, entzogen, versagt oder eingestellt, endet die Unterstützungszahlung zum
gleichen Zeitpunkt wie die Rentenzahlung . In Verbindung mit dem im Streitfalle
relevanten Ausschluß geringfügig Beschäftigter nach § 8 SGB IV stellt auch § 3 Abs. 3
Satz 2 der Unterstützungs-Richtlinien (1990) die gesonderte Zweckverknüpfung
unmißverständlich heraus, wenn es hier heißt: soweit Unterstützungsleistungen nach
diesen Richtlinien von Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung abhängig sind,
... .
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Die von der Beklagten zugesagte Versorgung unterscheidet sich daher etwa von dem
Versorgungsmodell, in dem Betriebsrenten mit einem festen Fixbetrag ungeachtet von
Berufsbild, Verdiensthöhe und Betriebszugehörigkeit nur an Vollzeitkräfte gezahlt und
Teilzeitkräfte ausgeschlossen werden sollen vgl. den dem Urteil des BAG vom
25.10.1994 3 AZR 149/94 = AP Nr. 40 zu § 2 BeschFG 1985 zugrundeliegenden Fall.
Die Unterstützungsrichtlinien weisen zwar kein Gesamtversorgungssystem aus,
schreiben andererseits aber eine kongruent erworbene gesetzliche Rentenanwartschaft
als Anspruchsvoraussetzung fest. Damit ist die Einschränkung der
Vorsorgungsverpflichtung nicht, wie die Klägerin meint, unzulässigerweise mit der im
Sozialversicherungsrecht getroffenen Differenzierung (§ 8 SGB IV) gleichgesetzt. Die
Beklagte hat keine spezifisch öffentlich-rechtlichen Zwecksetzungen verfolgt. Sie
verfolgt vielmehr eine Zusatzversorgung in weiterem Sinne, mit der der Stellenwert der
Arbeitnehmergruppe honoriert wird, die im Arbeitsverhältnis zu der Beklagten zugleich
gesetzliche Rentenansprüche erdient. Diese Differenzierung begegnet nach Auffassung
der Kammer keinen Bedenken. Es liegt im Gestaltungsspielraum der freiwilligen
Arbeitgeberleistungen, die nicht in unmittelbarem synallagmatischen Zusammenhang
mit der jeweiligen Arbeitsleistung stehen, nur den Mitarbeitern eine Versorgung
zuzusagen, die während ihrer Beschäftigung gesetzliche Anwartschaften erwerben. Es
wäre, wie vom Arbeitsgericht zutreffend herausgestellt, ein durch nichts zu
rechtfertigender Wertungswiderspruch, der Beklagten eine solche Verknüpfung und
Zweckbindung zu versagen. Auch nach Auffassung der Berufungskammer muß es ein
billigenswerter Grund für die unterschiedliche Behandlung der geringfügig beschäftigten
Mitarbeiter sein können, wenn die Beklagte die betreffenden, häufig nur sehr kurz
beschäftigten Arbeitnehmer nicht in ihr betriebliches Versorgungssystem aufnimmt.
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Nicht zuletzt verweist das Arbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil zutreffend darauf,
daß die beschäftigungspolitischen und sozialpolitischen Ziele (u. a. Verringerung der
Schwarzarbeit) der gesetzlichen Regelung des § 8 SGB IV konterkariert würden, würde
man dies anderes beurteilen und damit den Anreiz für den Arbeitgeber zur Begründung
geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse entfallen lassen oder doch deutlich
abschwächen würde.
Jedenfalls dann, wenn der Arbeitgeber wie im Streitfalle mit seiner Versorgungszusage
hier in den Unterstützungs-Richtlinien deutlich herausstellt, daß die Versorgung
lediglich zusätzlich zu einer zeitgleich erworbenen gesetzlichen Grundsicherung
gewährt werden soll, stellt die Sozialversicherungsfreiheit mithin einen negativen
Differenzierungsgrund dar. Der Ausschlußgrund liegt hier nicht in der Teilzeitarbeit als
solcher, die unterschiedliche Behandlung gründet sich auf den Versorgungszweck, den
der Arbeitgeber in dieser Ausprägung setzen darf.
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Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß betriebliche
Altersversorgung Entgeltcharakter hat. Entgeltcharakter ist nicht gleichbedeutend mit
Proportionalität (BAG, Urteil vom 27.02.1996 3 AZR 886/94 a. a. O., zu B III 3 b bb [3] der
Gründe).
51
II.
52
Die Klage kann ebensowenig mit Erfolg auf Art. 119 EWG-Vertrag gestützt werden.
53
Art. 119 EWG-Vertrag und die ihn ergänzende, in Mastricht beschlossene
Protokollerklärung (ABl. EG Nr. C 191 vom 29.07.1992, S. 68), verlangt die Anwendung
und Beibehaltung des Grundsatzes gleichen Entgeltes für Männer und Frauen und
verbietet in der Auslegung, die der EuGH dieser Bestimmung mit bindender Wirkung
gegeben hat, auch die mittelbare Diskriminierung von Personen eines Geschlechts. Da
Leistungen der betrieblichen Altersversorgung Entgelt i. S. des Art. 119 EWG-Vertrag
sind, verletzt der Arbeitgeber, der einen Teil der Arbeitnehmer von der betrieblichen
Altersversorgung ausschließt und die Voraussetzungen dafür geschlechtsneutral faßt,
gleichwohl das Verbot mittelbarer Diskriminierung, wenn der Ausschluß wesentlich
mehr Personen des einen Geschlechts betrifft, z. B. Frauen, und dies nicht auf Gründen
beruht, die mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts nichts zu tun haben
(EuGH, Urteil vom 13.05.1986 [Bilka] EuGHE 1986, 1607; BAG, Urteil vom 14.10.1986
54
3 AZR 66/83 = AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag, Urteil vom 20.11.1990
55
- 3 AZR 616/89 = AP Nr. 8 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung).
56
Unabhängig davon, ob nach den konkreten Verhältnissen im Betrieb der Beklagten mit
dem Ausschluß von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung wegen der
geringfügigen Arbeitszeit überhaupt eine mittelbare Diskriminierung der weiblichen
Mitarbeiter vorliegen konnte, greift hier zu Lasten der Klägerin die zeitliche
Einschränkung des Art. 119 EWG-Vertrag. Schon von daher kann sie sich auf diese
europarechtliche Norm nicht berufen.
57
In dem sog. Barber-Urteil vom 17.05.1990 (Rs C 262/88 Barber-EuGH Slg. 1990, 1889 =
AP Nr. 20 zu Art. 119 EWG-Vertrag) schloß der EuGH die rückwirkende Anwendung
des Art. 119 EWG-Vertrag bei Leistungen der betrieblichen Altersversorgung für
58
Beschäftigungszeiten vor dem 17.05.1990 aus, sofern nicht zuvor bereits Klage erhoben
war. Dieser Rechtsprechung haben sich die vertragsschließenden Staaten
angeschlossen und sie im Protokoll zu Art. 119 zum Gegenstand des Vertrages
gemacht.
Unter Beachtung dieser Anwendungseinschränkung kann sich die Klägerin hinsichtlich
der hier in Rede stehenden Beschäftigungszeit vom 01.04.1985 bis zum 31.08.1986
nicht auf EG-Recht stützen. Es bedarf deshalb auch nicht der Auseinandersetzung mit
der Frage, welche näheren Anforderungen an eine zulässige Differenzierung i. S. von
Art. 119 EWG-Vertrag zu stellen sind und ob diese im Streitfall vorliegen würden.
59
C.
60
Der Berufung der Klägerin ist mithin der Erfolg auch hinsichtlich des von ihr verfolgten
Hilfsanspruchs versagt. Gem. § 97 Abs. 1 ZPO hat sie die Kosten des Rechtsmittels zu
tragen.
61
Die Kammer hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache bejaht und deshalb
die Revision zugelassen (§ 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG).
62
R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :
63
Gegen dieses Urteil kann von der Klägerin
64
REVISION
65
eingelegt werden.
66
Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
67
Die Revision muß
68
innerhalb einer Notfrist von einem Monat
69
nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
70
Bundesarbeitsgericht,
71
Graf-Bernadotte-Platz 5,
72
34119 Kassel,
73
eingelegt werden.
74
Die Revision ist gleichzeitig oder
75
innerhalb eines Monats nach ihrer Einlegung
76
schriftlich zu begründen.
77
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
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deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
gez.: Grigo gez.: Hens gez.: Lamsfuß
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