Urteil des LAG Düsseldorf vom 29.10.2003

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Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 12 Sa 900/03
Datum:
29.10.2003
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
12 Sa 900/03
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Mönchengladbach, 7 Ca 3975/03
Schlagworte:
Variable Vergütung - Pflicht des Arbeitgebers zur jährlichen Festlegung
von Zielvorgaben
Normen:
§ 315 BGB, § 611 BGB
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Zu den Rechtsfolgen, wenn der Arbeitgeber vertragswidrig die jährliche
Festlegung der Voraussetzungen und der Höhe einer variablen
Vergütung verzögert oder unterlässt.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Mönchengladbach vom 02.05.2003 wird kostenfällig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
T A T B E S T A N D :
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Der Kläger verlangt die Zahlung einer variablen Vergütung in Höhe seiner hälftigen
Bruttobezüge.
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Der Kläger war vom 01.01.2001 bis zum 17.10.2002 als Channel Manager Central
Europe bei der Beklagten beschäftigt, die von ihrer amerikanischen Muttergesellschaft
hergestellte Hardware an den Groß- und Einzelhandel in Deutschland vertreibt.
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Die Beklagte hatte in III Nr. 2 des Arbeitsvertrages vom 07.11.2000 zugesagt,
Voraussetzungen und Höhe der variablen Vergütung jährlich festzulegen. In einer
Zusatzvereinbarung Compensation Plan October 2000 war unter Ziffer 2 ein Bonus: Up
to 50% of Gross Salary subject to achievement of personal targets as set by your
manager vorgesehen.
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Zwischen den Parteien ist streitig, wann die Beklagte dem Kläger über die Zielvorgaben
für die jeweiligen Geschäftsjahre informierte und inwieweit der Kläger die Zielvorgaben
erfüllte oder daran gehindert wurde.
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Der Kläger vertritt die Auffassung, dass die Beklagte ihre Obliegenheit,
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Voraussetzungen und Höhe der variablen Vergütung jährlich festzulegen, nicht
vertragsgemäß und zudem verspätet eingelöst habe und deshalb den gesamten Bonus
schulde.
Die Beklagte trägt ihrerseits dazu vor, wann sie dem Kläger welche Zielvorgaben
machte und inwieweit die Ziele erreicht wurden, und macht geltend, dass sie mit den
geleisteten Zahlungen (Euro 21.165,21 bzw. Euro 5.068,26 und Euro 9.3386,86) die
Bonusansprüche des Klägers erfüllt habe.
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Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 02.05.2003 die Klage abgewiesen. Mit der form-
und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung greift der Kläger das Urteil, auf
das hiermit zur näheren Darstellung des Sach- und
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Streitstandes verwiesen wird, in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an.
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Er beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Mönchengladbach vom 02.05.2003 7 Ca 3975/02
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 30.086,61 € nebst 5 %
Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 16.09.2002 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigt mit ergänzenden Ausführungen das erstinstanzliche Urteil.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
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A. Die Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf variable
Vergütung in Höhe von 50 % der Bruttobezüge. Die Kammer folgt den zutreffenden
Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils, von deren wiederholende
Darstellung gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen wird. Auf die Angriffe der Berufung ist
das Folgende anzumerken.
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I. Die Zusatzvereinbarung Compensation Plan October 2000 garantiert keinen Bonus in
Höhe von 50 % des Bruttogehalts, sondern spricht von einem Bonus bis zu 50% in
Abhängigkeit von der Erreichung der Zielvorgaben.
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II. Der Anspruch lässt sich nicht aus dem Gesichtspunkt (§ 315 Abs. 3 Satz 2 BGB) des
Verzuges (§§ 615 Satz 1, 611 BGB) oder des Schadensersatzes (§ 325 BGB a.F., § 283
BGB n.F.) begründen.
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1. a) Nach III Nr. 2 des Arbeitsvertrages vom 07.11.2000 unterlag die variable Vergütung
dem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht der Beklagten. Sie setzt daher nicht das
Zustandekommen einer Vereinbarung zwischen den Parteien voraus. Damit braucht an
dieser Stelle nicht darauf eingegangen zu werden, wie zu verfahren wäre, wenn die
Parteien für die variable Vergütung (Provision, Bonus, Gewinnbeteiligung,
Umsatzbeteiligung, Erfolgsvergütung, Tantieme o.ä.) eine zwischen ihnen zu treffende
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Vereinbarung fordern und eine solche Vereinbarung nicht zustande gekommen ist. Bei
dieser Konstellation mag eine entsprechende Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB in
Betracht kommen (vgl. BAG, Urteil vom 30.07.1985, 3 AZR 405/83, AP Nr. 13 zu § 65
HGB, OLG Oldenburg, Urteil vom 20.04.2000, NZG 2000, 939, MüKo/Gottwald, 4. Aufl.,
§ 315 BGB Rz. 42).
b) Liegt für den Anspruchszeitraum eine i.S.v. § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB verbindliche
Festlegung der variablen Vergütung nach Voraussetzungen und Höhe vor, wird eine
Zahlungsklage des Arbeitnehmers nur dann erfolgversprechend sein, wenn der
Arbeitnehmer selbst über die zur schlüssigen Darlegung des Vergütungsanspruchs
notwendigen Daten verfügt. Ohne diese Daten muss sein Vortrag unsubstantiiert
bleiben; etwaige Beweisangebote laufen auf die Einholung zivilprozessual unzulässiger
Ausforschungsbeweise hinaus. Meist wird der Arbeitnehmer zunächst auf
Auskunftserteilung und Abrechnung durch den Arbeitgeber über die getätigten
Geschäfte, Umsätze, Ergebnisse usw. angewiesen sein, um seinen
Vergütungsanspruch zu erkennen und für die Zahlungsklage dem Grund und der Höhe
nach schlüssig vortragen zu können. Der Arbeitgeber schuldet Auskunft und
Abrechnung nach § 242 BGB, §§ 259 ff. BGB, § 87c HGB, § 108 Abs. 1 GewO.
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c) Ist die vom Arbeitgeber getroffene Festlegung unbillig und daher unverbindlich oder
hat er die Festlegung verzögert, ordnet § 315 Absatz 3 Satz 2 BGB an, dass die
Bestimmung durch Urteil zu treffen ist. Aus der Existenz dieser Gesetzesvorschrift ergibt
sich, dass, auch wenn mit dem Leistungsbe-stimmungsrecht des Arbeitgebers seine
Obliegenheit korrespondiert, Voraussetzungen und Höhe der variablen Vergütung
rechtzeitig festzulegen, die Verzögerung regelmäßig nicht zur Konsequenz hat, dass
das Leistungsbestimmungsrecht auf den Arbeitnehmer übergeht und ein unmittelbarer
Verzugslohn- oder Schadensersatzanspruch auf einen bestimmten Betrag oder gar auf
den Höchstbetrag entsteht (vgl. BAG, Urteil vom 18.05.1983, 3 AZR 1165/79, n.v., Urteil
vom 28.11.1989, 3 AZR 118/88, AP Nr. 6 zu § 88 BetrVG 1972, Hessisches LAG, Urteil
vom 29.01.2002, AiB 2002, 575 f., Plander, ZTR 2002, 157). Den Umstand, dass die
Leistungsbestimmung verzögert wurde, haben allerdings der Arbeitgeber bei der
Nachholung einer billigen Leistungsbestimmung oder das Gericht im Urteil zu
berücksichtigen, soweit der Arbeitnehmer im Vertrauen auf andere, insbes. auf
Fortschreibung der bisherigen Vorgaben bereits Vorleistungen erbracht oder
Dispositionen getroffen hat.
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d) Der Arbeitgeber kann im allgemeinen die zunächst verzögerte Leistungsbestimmung
nachholen, so dass sie insoweit nicht mehr durch Urteil getroffen zu werden braucht. Da
bis zu diesem Zeitpunkt eine Festlegung der variablen Vergütung fehlte, ist die
nachgeholte Bestimmung eine Erstbestimmung, die im Zweifel mit ex tunc-Wirkung
vorgenommen werden kann (MüKo/Gottwald, § 315 Rz. 35). Der Leistungs-
(Vergütungs-)Anspruch wird nicht vor der Leistungsbestimmung oder vor der Rechtskraft
des Urteils nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB fällig. Zwar kann die Klage sogleich auf die
Vergütung gerichtet werden, die bei einer der Billigkeit entsprechenden Bestimmung
geschuldet würde (vgl. BGH, Urteil vom 30.05.2003, NJW-RR 2003, 1355). Jedoch wird
sie sich wegen des Ermessensspielraums, der für die Leistungsbestimmung nach § 315
BGB besteht, in der Praxis selten anbieten.
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e) Ob es zulässig ist, die Festlegung eines variablen Vergütungsbestandteils dem freien
Ermessen des Arbeitgebers zu überlassen, oder ob generell Billigkeit i.S.v. § 315 BGB
bestehen muss (vgl. BAG, Urteil vom 17.05.1962, 2 AZR 427/61, AP Nr. 2 zu § 65 HGB,
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Urteil vom 13.05.1987, 5 AZR 125/86, AP NR. 4 zu § 315 BGB Billigkeitskontrolle, Urteil
vom 26.11.1986, 4 AZR 789/85, AP Nr. 15 zu § 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk), kann im
Streitfall offen bleiben. Ausgehend davon, dass eine Leistungsbestimmung der Billigkeit
entspricht, wenn sie alle wesentlichen Umstände und die Interessen beider Parteien
angemessen berücksichtigt, wird jedenfalls von Bedeutung, ob die variable Vergütung
zusätzlich zu einem hohen Festgehalt versprochen wird oder ob mangels
ausreichenden Fixums ohne Erzielung von variabler Vergütung die Bestreitung des
Lebensunterhalts in Frage steht. In diesem Zusammenhang ist der Prüfungsansatz, ob
bei der Vereinbarung des Leistungsbe-stimmungsrechts kündigungsschutzgesetzliche
Mindeststandards eingehalten sind oder der gesetzliche (Änderungs-
)Kündigungsschutz umgegangen wird (vgl. BAG, Urteil vom 24.04.1996, 5 AZR
1032/94, PersR 1997, 179, Urteil vom 21.04.1993, 7 AZR 97/92, AP Nr. 34 zu § 2
KSchG 1969, Urteil vom 07.10.1982, 2 AZR 455/80, AP Nr. 5 zu § 620 BGB
Teilkündigung), unzureichend, denn die Frage der Zulässigkeit vereinbarter
Bestimmungsrechte ist für jedes Arbeitsverhältnis gleich zu beantworten und darf nicht
von der Anwendbarkeit des KSchG abhängen. Auch schützen § 2 KSchG, § 622, BGB
keinen Kernbereich des Arbeitsvertrages, sondern den Vertrag gerade und nur in
seinem jeweils vereinbarten Inhalt, mit enger oder weiter gefassten
Bestimmungsrechten. Die Ausübung eines vertraglich weiten Bestimmungs-rechts ist
genetisch keine Vertragsänderung. Daher unterliegt die Vereinbarung des
Leistungsbestimmungsrechts der Angemessenheitskontrolle nach § 242 BGB und die
Ausübung des Bestimmungsrechts der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB.
Vorliegend ist von einem eher weiten Ermessensspielraum der Beklagten auszugehen,
denn der Kläger hatte mit einem jährlichen Grundgehalt von Euro 75.093,44 höhere
Festbezüge. Diese machten gegenüber dem Bonus bis zu 50% von vornherein den
Hauptteil der Vergütung aus.
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f) Der Arbeitgeber ist als derjenige, der die Leistungsbestimmung zu treffen befugt ist,
darlegungs- und beweispflichtig für die Billigkeit der von ihm getroffenen Entscheidung
(BAG, Urteil vom 11.10.1995, 5 AZR 1009/94, AP Nr. 45 zu § 611 BGB Direktionsrecht,
LAG Nürnberg, Urteil vom 23. Juli 2002, NZA-RR 2003, 411). Jedoch wird der
Arbeitnehmer, wenn er die Bestimmung nicht gelten lassen will, im Prozess angeben
müssen, weshalb die Bestimmung unbillig sein soll, ob etwa unerfüllbare Ziele
vorgegeben oder Einstiegs- , Schwellen- oder Staffelwerte unangemessen hoch
angesetzt waren (vgl. Bamberger/Roth/Gehrlein, BGB , § 315 Rz. 13).
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g) Das Leistungsbestimmungsrecht ist grundsätzlich unwiderruflich und als einmaliges
Recht mit seiner Ausübung verbraucht (BAG, Urteil vom 09.11.1999, 3 AZR 432/98, AP
Nr. 30 zu § 1 BetrAVG Ablösung). Daher kann der Arbeitgeber z. B. eine
Provisionsregelung, die bereits für einen bestimmten Zeitraum erlassen ist, nicht mehr
einseitig ändern.
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2. In Anwendung dieser Grundsätze hat die Klage auf einen Bonus von 50 %, den der
Kläger für die 9-monatige Beschäftigungszeit im Geschäftsjahr 2000/2001 fordert,
keinen Erfolg. Lastet man der Beklagten an, dass sie keine persönliche Zielvorgabe
machte, so begründet dieses Versäumnis, wie die Vorinstanz richtig ausgeführt hat,
weder verzugs- noch schadensersatzrechtlich einen Rechtsanspruch des Klägers auf
Zahlung des Höchstbonus. Vielmehr kann der Kläger nur eine der Billigkeit
entsprechende Leistungsbestimmung durch das Gericht verlangen und nach den so
festgelegten Zielvorgaben einerseits und den tatsächlich im Geschäftsjahr 2000/2001
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erreichten Umsatzzielen einen Bonus zwischen 0% und 50% beanspruchen, wobei die
von der Beklagten erbrachten Zahlungen, die sich auf 37,5 % des Bruttogehalts
belaufen, anzurechnen sind.
Der Klagevortrag gibt auch nicht ansatzweise etwas dafür her, dass bei einer
Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 2 Satz 2 BGB und nach den vom Kläger
persönlich erreichten Zielen sich ein über 37,5 % liegender Bonusanspruch ergeben
könnte. Daher braucht auf die Einwände der Beklagten gegen die Argumentation des
Klägers nicht näher eingegangen zu werden.
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b) Im Übrigen ist der Anspruch für das Geschäftjahr 2000/2001 nach § 15 Nr. 4, Nr. 2
des allgemeinverbindlichem Manteltarifvertrages für den Groß- und Außenhandel in
Nordrhein-Westfalen i.V.m. XVI Abs. 4 des Anstellungsvertrages verfallen. Es fehlt
sowohl an der rechtzeitigen schriftlichen als auch rechtzeitigen gerichtlichen
Geltendmachung.
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3. Ohne Erfolg verlangt der Kläger auch für das Geschäftsjahr 2001/2002 den
Höchstbonus von 50%.
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Allein deshalb, weil die Beklagte ihm erst am 28.11.2001 die Zielvorgaben zumailte und
ihm im Januar 2002 die Leistungsbeurteilung 2001 sowie den Absatzprämienplan
zuleitete, ergibt sich kein Rechtsanspruch auf den Höchstbonus. Der Kläger gibt auch
hinreichend nicht zu erkennen, dass die (nachgeholten) Zielvorgaben i.S.v. unbillig
gewesen sein könnten.
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Wenn man die Beklagte an ihren ersten Zielvorgaben festhält, fehlt jeder nachprüfbare
Vortrag des Klägers, in welchem Umfang er diese Vorgaben erfüllte. Außerdem legte er
nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Beklagten nicht die für die
Bonusberechnung erforderlichen sell-through-reports des Großhandels vor.
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Stellt man auf die anschließende Entscheidung der Beklagten ab, dass die
Zielvorgaben für das deutsche Vertriebsteam auf den Kläger Anwendung finden sollten,
wäre das Umsatzziel von mindestens 60 % verfehlt worden.
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Soweit der Kläger entgegen hält, das Mindestumsatzziel der Beklagten überschritten zu
haben (Seite 2 des Schriftsatzes vom 20.02.2003, Seite 2 des
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Schriftsatzes vom 22.04.2003, Seite 2 der Berufungsbegründung), reicht angesichts des
qualifizierten Bestreitens der Beklagten die pauschale Behauptung von angeblich
erreichten Quartalsgesamtumsätzen nicht aus. Da der Vortrag des Klägers keinen
brauchbaren Tatsachenkern enthält, richtet sich der angebotene Zeugenbeweis auf eine
unzulässige Ausforschung.
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B. Die Kosten der Berufung hat nach § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tragen.
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Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben. Ein gesetzlicher Grund für die
Revisionszulassung (§ 72 Abs. 2 ArbGG) ist nicht ersichtlich. Wegen der Einzelheiten
der Nichtzulassungsbeschwerde wird der Kläger auf § 72a ArbGG hingewiesen.
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Dr. Plüm Brandenberg Kreymann
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