Urteil des LAG Düsseldorf vom 05.06.2002

LArbG Düsseldorf: stahl, vergütung, örtliche zuständigkeit, begriff, arbeitsgericht, tarifvertrag, arbeiter, eisen, niedersachsen, zustellung

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 17 Sa 180/02
Datum:
05.06.2002
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
17. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
17 Sa 180/02
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Düsseldorf, 12 Ca 3244/01
Schlagworte:
Rufbereitschaftsvergütung in der Stahlindustrie als Grundlage der
Benennung "regelmäßigen Arbeitsverdienstes"
Normen:
§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, §§ 1, 9 TVG, §§ 5, 20 Manteltarifvertrag für die
Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen- und
Stahlindustrie von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen,
Dillenburg, Niederschelden und Wissen (MTV Stahl) vom 15.03.1989
i.d.F. vom 05.03.1997.
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Die Vergütung für Rufbereitschaft i.S. von § 5 Ziff. 2 MTV Stahl ist als
variabler Lohn- bzw. Gehaltsbestandteil in die Berechnung des
regelmäßigen Arbeitsverdienstes nach Maßgabe von § 20 Ziff. 1.2 MTV
Stahl einzubeziehen; mit der Verwendung des Begriffs "Vergütung" in §
5 Ziff. 2 MTV Stahl ist nichts anderes bezeichnet als mit dem Begriff des
"Arbeitsverdienstes" in § 20 MTV Stahl (im Anschluss an BAG, Urteil
vom 20.06.2000 - 9 AZR 437/99 = AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge).
Tenor:
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Düsseldorf vom 23.10.2001 12 Ca 3244/01 wird kostenpflichtig
zurückgewiesen.
II. Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten über die Auslegung des von ihnen abgeschlossenen
Manteltarifvertrages für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen- und
Stahlindustrie von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen, Dillenburg,
Niederschelden und Wissen (MTV Stahl) vom 15.03.1989 i.d.F. vom 05.03.1997. Streitig
ist, ob Rufbereitschaftsvergütungen i.S. des § 5 Ziffer 2 MTV Stahl bei der Berechnung
des regelmäßigen Arbeitsverdienstes nach Maßgabe von § 20 MTV Stahl
Berücksichtigung finden.
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Der klagende Arbeitgeberverband vertritt die Auffassung, Rufbereitschaftsvergütungen
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seien in die Berechnung des regelmäßigen Arbeitsverdienstes nach
§ 20 MTV Stahl nicht einzubeziehen. Die Rufbereitschaftsvergütungen seien
insbesondere keine variable Entgeltbestandteile i.S. des § 20 Ziffer 1.2 Abs. 3 MTV
Stahl.
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Der Kläger hat beantragt,
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festzustellen, dass Rufbereitschaftsvergütungen i.S.d. § 5 Ziff. 2
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des Manteltarifvertrages für die Arbeiter, Angestellten und Auszu-
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bildenden in der Eisen- und Stahlindustrie von Nordrhein-West-
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falen, Niedersachsen, Bremen, Dillenburg, Niederschelden und
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Wissen vom 15. März 1989 i.d.F. vom 20.06.2000 (MTV Stahl) keine
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variablen Lohn- und Gehaltsbestandteile und damit kein Arbeits-
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entgelt i.S.d. § 20 Tz. 1.2 MTV Stahl sind
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h i l f s w e i s e
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festzustellen, dass Rufbereitschaftsvergütungen i.S. d. § 5 Ziff. 2 MTV Stahl keine
variablen Lohn- und Gehaltsbestandteile für die
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im Berechnungszeitraum geleistete Arbeit i.S.d. § 20 Tz. 1.2 Abs. 5
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MTV Stahl sind und dementsprechend nicht in die in diesem Absatz
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geregelte Berechnung des Geldmultiplikators einfließen.
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Die beklagte Gewerkschaft hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Aus ihrer Sicht zählt die Rufbereitschaftsvergütung zum regelmäßigen Arbeitsverdienst
des § 20 MTV Stahl.
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Das Arbeitsgericht Düsseldorf hat die Klage mit Urteil vom 23.10.2001, auf dessen
Tatbestand und Entscheidungsgründe verwiesen wird, abgewiesen. Hiergegen wendet
sich der Kläger mit seiner Berufung. Er hält daran fest, dass
Rufbereitschaftsvergütungen aus der Berechnung nach § 20 MTV Stahl ausgeklammert
werden müssen. In keinem seiner Mitgliedsunternehmen werde zumindest seit 1997
anders verfahren, wobei diese Handhabe mit Urteil des LAG Brandenburg vom
13.11.1992 4 Sa 238/92 - auch gerichtlich bestätigt worden sei.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf abzuändern und
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gemäß den erstinstanzlichen Schlussanträgen des Klägers
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zu erkennen.
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Die Beklagte bittet,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze
nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Berufung des Klägers, gegen die Zulässigkeitsbedenken nicht bestehen, hat in der
Sache keinen Erfolg.
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I.
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Das Arbeitsgericht hat zu Recht keine Zulässigkeitsbedenken hinsichtlich der
Verbandsklage nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, § 9 TVG gesehen. Das
Feststellungsinteresse nach § 256 ZPO ist gegeben, desgleichen die örtliche
Zuständigkeit des Arbeitsgerichts Düsseldorf.
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II.
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In der Sache ist dem Arbeitsgericht darin zu folgen, dass die Rufbereitschaftsvergütung
nach § 5 MTV Stahl für die Berechnung des Arbeitsverdienstes in allen Fällen
zugrundezulegen ist, in denen der Tarifvertrag den Arbeitgeber zur Zahlung des
regelmäßigen Arbeitsverdienstes verpflichtet. Die Vergütung für die Rufbereitschaft ist
ein variabler Lohn- bzw. Gehaltsbestandteil , wie ihn die
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Tarifvertragsparteien als eine der Komponenten des regelmäßigen Arbeitsverdienstes in
§ 20 Ziffer 1.2 Abs. 3 MTV Stahl näher definiert haben. Die gegen dieses Verständnis
erhobenen Einwendungen des Klägers greifen nicht durch. Der überzeugenden
ausführlichen Begründung des angefochtenen Urteils folgt die Berufungskammer
gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 543 Abs. 1 ZPO a.F. (vgl. § 26 Nr. 5 EGZPO). Weder
die Berufungsbegründung des Klägers noch seine Einlassungen in der letzten
mündlichen Verhandlung geben Veran-lassung, Rufbereitschaftsvergütung nicht als
Bestandteil des regelmäßigen Arbeitsverdienstes i.S. von § 20 MTV Stahl zu erachten,
zumal im Wesentlichen nur wiederholt wird, was bereits erstinstanzlich vorgetragen
wurde.
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Allein aufgrund der über den Streit der Tarifvertragsparteien hinausgehenden
Bindungswirkung der Entscheidung (§ 9 TVG) sieht sich die Berufungskammer
veranlasst, nochmals zusammengefasst zu verdeutlichen, dass und warum die
Auslegung des Klägers falsch ist.
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1. Der regelmäßige Arbeitsverdienst des § 20 MTV Stahl hat zwei Komponenten. Den
gleichmäßigen Monatslohn bzw. das gleichmäßige Monatsgehalt (§ 20 Ziffer 1.1 MTV
Stahl) und variable Lohn- bzw. Gehaltsbestandsteile , die in § 20 Ziffer 1.2 Abs. 3 MTV
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Stahl näher erläutert werden und deren einzelne Berechnungsgrundlagen in § 20 Ziffer
1.2 Abs. 1 und 2 (Berechnungszeitraum) sowie in § 20 Ziffer 1.2 Abs. 5 (Geld- und
Zeitmultiplikatoren) geregelt sind. Es handelt sich um ein Gegensatzpaar
unterschiedlicher Entgeltbestandteile, wie die seitens der Tarifvertragsparteien in § 20
Ziffer 1.2 Abs. 3 MTV Stahl vorgenommene Erläuterung der variablen Lohn- und
Gehaltsbestandsteile als über den gleichmäßigen Monatslohn/das Monatsgehalt hinaus
bestehenden Lohn- oder Gehaltsanspruch erhellt.
2. Zu dem Arbeitsverdienst i.S. des § 20 MTV Stahl zählt die Rufbereitschaftsvergütung
schon aufgrund der seitens der Tarifvertragsparteien in § 5 Ziffer 2 S. 1 MTV Stahl
getroffenen Definition, nach der Arbeitnehmer für
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diese Zeit (Rufbereitschaft) eine Vergütung, die betrieblich festzulegen ist,
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erhalten.
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a) Der Kläger verkennt grundlegend, dass mit dem Begriff der Vergütung in § 5 Ziffer 2
S. 1 MTV Stahl nichts anderes bezeichnet ist als mit dem gleichlautenden Begriff der
Vergütung in § 611 Abs. 1 BGB und damit dem Begriff Arbeitsverdienst in § 20 MTV
Stahl. Die Begriffe Vergütung und Arbeitsverdienst sind synonym. Sie haben die
übereinstimmende Bedeutung, die Gegenleistung zu kennzeichnen, die der Arbeitgeber
im unmittelbaren Gegenseitigkeitsverhältnis (Synallagma) gemäß § 611 BGB dem
Arbeitnehmer für die in einem bestimmten Abrechnungszeitraum erbrachten Dienste
schuldet. Die Berufungskammer schließt sich insoweit der Feststellung des
Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 20.06.2000 (9 AZR 437/99 = AP Nr. 2 zu § 1 TVG
Tarifverträge: Stahlindustrie) an. Dem lag auch nicht etwa, wie der Kläger annimmt, eine
urlaubsrechtsspezifische Beurteilung zugrunde, hier abgestellt auf den
urlaubsrechtlichen Begriff des Arbeitsverdienstes . Mit dieser Anknüpfung hat das
Bundesarbeitsgericht lediglich Bezug genommen darauf, dass § 11 Abs. 1 BUrlG das
Urlaubsentgelt nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst bemisst und mit der
Abstellung auf diese Wortfassung des Gesetzgebers nicht etwa zwischen den Begriffen
Arbeitsverdienst und Vergütung differenziert.
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Verwenden jedoch, wie hier, Tarifvertragsparteien einen Begriff, der in der
Rechtsterminologie einen bestimmten Inhalt hat, dann ist davon auszugehen,
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dass sie ihn auch in ihrem Regelungsbereich, sofern sie nicht ausdrücklich etwas
anderes bestimmen, mit eben dieser Bedeutung verwenden BAG 42, 272, 277 = AP Nr.
61 zu § 616 BGB; BAG 50, 147, 151 = AP Nr. 35 zu § 1 TVG Tarifverträge:
Metallindustrie -. Hier haben die Tarifvertragsparteien allein in
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§ 20 Ziffer 1.2 Abs. 3 MTV zu dem Unterfall variabler Lohn- und Gehaltsbestandsteile
besondere weitere Regelungen getroffen. Eine eigene Begriffsbestimmung des
Oberbegriffs des Arbeitsverdienstes enthält der Tarifvertrag jedoch nicht.
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b) Die Rufbereitschaft der Arbeitnehmer der Stahlindustrie ist auch ein Dienst i.S. des §
611 BGB. Der zur Rufbereitschaft verpflichtete Arbeitnehmer muss sich außerhalb des
Betriebes für einen Arbeitseinsatz bereithalten
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- vgl. BAG, a.a.O. Er kann zudem seinen Aufenthaltsort nicht beliebig bestimmen, da ein
kurzfristiger Arbeitseinsatz zu gewährleisten ist. Diese Pflichten einzuhalten, ist
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geschuldete Dienstleistung i.S. von § 611 BGB und die Zeit
demgemäss vom Arbeitgeber zu vergüten.
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3. Die Rufbereitschaftsvergütung stellt sich sodann als variabler Entgeltsbestandteil dar,
weil solche Dienste gerade nicht regelmäßig anfallen.
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a) Abgesehen davon, dass wie bereits aufgezeigt tarifsystematisch regelmäßiger
Arbeitsverdienst i.S. des § 20 MTV Stahl entweder nur der Alternative der
gleichmäßigen oder derjenigen des ungleichmäßigen/variablen Entgelts zugeordnet
werden kann, lassen die in § 20 Ziffer 1.2 Abs. 3 MTV Stahl ge-troffenen besonderen
Regelungen zu den variablen Lohn- und Gehaltsbestand-
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teilen keinen anderen Schluss zu. Die hier aufgeführten Fallgruppen, die die
Rufbereitschaftsvergütung nicht beinhalten, sind eindeutig keine abschießende
Auflistung. Unmissverständlicher als mit dem Eingangssatz dazu gehören insbesondere
konnten die Tarifvertragsparteien dies nicht verdeutlichen. Soweit der Kläger seine
gegenteilige Auffassung auf die Kommentierung von Reinecke/Stumpfe (MTV Stahl, 3.
Aufl., 1989, RN 11 zu § 20) stützt, unterliegt er offenbar einem Missverständnis. Auch
diese Kommentatoren verweisen darauf, dass außer den aufgezeigten noch andere
Lohn- und Gehaltsbestandsteile denkbar (sind), die zu den variablen
Entgeltbestandteilen gehören .
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b) Bestätigt wird die Zuordnung der Rufbereitschaftsvergütung zu den variablen
Entgeltbestandteilen im Tarifsinne ungeachtet des Umstandes, dass Rufbereitschaft
keine Arbeitsleistung im physikalischen Sinne ist, vor allem durch die ausdrückliche
Einbeziehung der für Reisezeit geschuldeten Vergütung, wie bereits vom BAG in der
angeführten Entscheidung vom 20.06.2000 (zu I 2 a) d.G.) betont. Weshalb die
Tarifvertragsparteien letztlich davon abgesehen haben, die Rufbereitschaftsvergütung
als weiteres Beispiel in § 20 Ziffer 1.2 Abs. 3 MTV Stahl aufzuführen, kann dahingestellt
bleiben. Dies lässt entgegen der Auffassung des Klägers jedenfalls nicht den Schluss
zu, dass die Rufbereitschaftsvergütung deshalb nicht dem regelmäßigen
Arbeitsverdienst des § 20 MTV Stahl zuzurechnen sei.
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c) Andererseits unterfällt die Rufbereitschaftsvergütung auch nicht den in
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§ 20 Ziffer 1.2 Abs. 4 MTV Stahl genannten Zahlungen, die die Tarifvertragsparteien
ausdrücklich nicht den variablen Entgeltbestandteilen zuzurechnen. Zwecks
Vermeidung unnötiger Wiederholungen kann auch insoweit auf die näheren
Ausführungen des Urteils des BAG vom 20.06.200 (a.a.O.) verwiesen werden.
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4. Sind deshalb Rufbereitschaftsvergütungen als variable Lohn- und
Gehaltsbestandteile Grundlage der Berechnung des Arbeitsverdienstes nach § 20 Ziffer
1 Abs. 1 4 MTV Stahl, so ist schließlich der Einwand verfehlt, in die Berechnung gingen
solche Zahlungen nach § 20 Ziffer 1 Abs. 5 MTV Stahl nicht ein mit anderen Worten: ein
Anspruch sei zwar dem Grunde nach mög-licherweise gegeben, betragsmäßig aber
nicht realisierbar.
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a) Die Berufung des Klägers auf den Wortlaut der Tarifbestimmung verkennt insoweit
deren wahren Regelungsgehalt.
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Zwar beschreibt § 20 Ziffer 1.2 Abs. 5 MTV Stahl als Teil des Geldfaktors die Summe
der variablen Lohn- oder Gehaltsbestandteile für die im Berechnungszeitraum geleistete
Arbeit. Die Tarifauslegung hat jedoch, wenngleich zunächst vom Tarifwortlaut
auszugehen ist, über den reinen Wortlaut hinaus den wirklichen Willen der
Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, sofern er in den tarif-lichen Normen und im
Tarifzusammenhang seinen Niederschlag gefunden hat. Dabei ist der Grundsatz der
falsa demonstratio non nocet auch bei der Tarifauslegung anwendbar, wenn für die
Normunterworfenen aus dem Textzusammenhang oder sonstigen außerhalb des Textes
liegenden Umständen eindeutig ein diesem Wortlaut entgegenstehender Wille der
Tarifvertragsparteien erkennbar ist (Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 1 RN 396).
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b) So liegt der Fall hier. Die Verwendung des engeren Begriffs der geleisteten Arbeit
stellt sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht als einschränkende
Anspruchsvoraussetzung der Bemessung des Geldfaktors in § 20 Ziffer 1.2 Abs. 5 MTV
dar.
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Würde man der Auslegung des Klägers folgen, würde dies zu einem unsinnigen
Ergebnis führen. Die Tarifvertragsparteien hätten im späteren Schritt der Festlegung der
Berechnungsmodalitäten ihre Grundregel der Einbeziehung der
Rufbereitschaftsvergütung in die Berechnung des regelmäßigen Arbeitsverdienstes
wieder aufgegeben. Mit einem solchen Verständnis verkennt der Kläger nicht nur den
tariflichen Gesamtzusammenhang, sondern auch den Grundsatz, bei der Tarifauslegung
darauf bedacht zu sein, dass die Tarifvertragsparteien eine vernünftige Regelung
getroffen haben (vgl. BAG 3, 52, 54= AP Nr. 11 zu § 611 BGB Urlaubsrecht). Entgegen
der Wortfassung der Norm kann deshalb § 20 Ziffer 1.2 Abs. 5 MTV Stahl im Hinblick auf
die Bezugsgröße gelei-stete Arbeit nicht anders verstanden werden als eine solche
geleisteter
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Dienste im weiten Sinne des § 611 BGB.
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Deshalb konnte letztendlich auch dem Hilfsantrag des Klägers kein Erfolg beschieden
sein.
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5. Keiner weiteren Vertiefung bedarf es schließlich, dass der Kläger sich nicht mit Erfolg
auf die in der Berufungsinstanz angeführte praktische Tarifübung seitens seiner
Mitgliedsfirmen berufen kann. Es ist nicht entscheidend, wie die an den MTV Stahl
gebundenen Mitgliedsfirmen des Verbandes die Einbeziehung der
Rufbereitschaftsvergütungen in die Berechnung des Arbeitsverdienstes nach § 20 MTV
praktizieren. Soweit ihre Handhabe zu dem hier in Auslegungswege ermittelten Inhalt
der Tarifnorm in Widerspruch steht, ist sie rechtlich unbeachtlich. Für die Auslegung
eines Tarifvertrages maßgeblich ist nur der Wille der Tarifvertragsparteien, wie er im
Tarifvertrag erkennbar Ausdruck gefunden hat. Dies verbietet eine Einbeziehung
nachträglicher betrieb-licher Praxis als maßgebliches Auslegungskriterium, wobei von
einer tariflichen
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Übung ohnehin nur dann die Rede sein könnte, wenn tarifliche Normen in Kenntnis und
mit Billigung der beiden Tarifvertragsparteien in einer bestimmten und für die
tarifunterworfenen erkennbaren Weise praktiziert werden vgl. st. Rspr. des BAG, etwa
mit Urteil vom 26.04.1966- 1 AZR 242/65 - = BAG 18, 278, 282 ff. = AP Nr. 117 zu § 1
TVG Auslegung und Urteil vom 15.09.1971 4 AZR 93/71 AP Nr. 15 zu § 611 BGB
Bergbau. Soweit gewerkschaftsseitig auf das vom Kläger angeführte rechtskräftige Urteil
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des LAG Brandenburg vom 13.11.1992 (4 Sa 238/92 n.V.) nicht mit einer Initiative zur
Änderung des § 20 MTV Stahl reagiert wurde, kommt dem keine rechtliche Relevanz zu.
Dies schon deshalb nicht, weil die Gewerkschaft am damaligen Ausgangsverfahren,
einem auf Vergütungszahlung gerichteten Individualrechtsstreit nicht beteiligt war und
zum Anderen in einem Nichtstun ohnehin keine Billigung seitens einer
Tarifvertragspartei gesehen werden kann. Nichts anderes gilt unter Beachtung der vom
Kläger aufgezeigten Änderungen einzelner Regelungen des § 20 MTV Stahl seit dem
Jahre 1992, die hier allerdings nicht einschlägig sind. Abgesehen davon, dass auf
Aspekte der Tarifgeschichte als Auslegungskriterien nur dann zurückgegriffen werden
darf, wenn unter Anwendung der grundlegenden Kriterien der Tarifauslegung noch kein
brauchbares Ergebnis gefunden wurde (vgl. BAG 18, 278 = AP Nr. 117 zu § 1 TVG
Auslegung), ist dieser Ansatz schon deshalb verfehlt, weil die Beklagte jedenfalls zu
keinem Zeitpunkt das Auslegungsverständnis der Klägerseite akzeptiert hat.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
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Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat die Kammer die Revision zum
Bundesarbeitsgericht zugelassen.
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RECHTSMITTELBELEHRUNG
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Gegen dieses Urteil kann von dem Kläger
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REVISION
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eingelegt werden.
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Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Revision muss
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innerhalb einer Notfrist von einem Monat
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nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
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Bundesarbeitsgericht,
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Hugo-Preuß-Platz 1,
75
99084 Erfurt,
76
Fax: (0361) 2636 - 2000
77
eingelegt werden.
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Die Revision ist gleichzeitig oder
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innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils
80
schriftlich zu begründen.
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Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
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gez. Grigo gez. vom Lehn gez. Killian
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