Urteil des LAG Düsseldorf vom 06.06.2006

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Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 16 Ta 307/06
Datum:
06.06.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
16. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
16 Ta 307/06
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Düsseldorf, 14 Ca 7078/05
Schlagworte:
Einigungsgebühr nach Einigung über Fortsetzung eines gekündigten
Arbeitsverhältnisses und anschließender Klagerücknahme
Normen:
RVG §§ 11, 55; Nr. 1000, 1003 VV RVG
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
Eine Einigungsgebühr i. S. d. Nr. 1000 VV RVG entsteht auch dann,
wenn die Parteien eines Kündigungsrechtsstreits sich auf eine
Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses einigen und der Arbeitnehmer
daraufhin die Klage zurücknimmt.
Tenor:
1.
Auf die befristete Beschwerde des Antragstellers vom 12.05.2006 wird
der (richterliche) Beschluss des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom
10.05.2006 - 14 Ca 7078/05 -, zugestellt am 12.05.2006, aufgehoben.
2.
Der Festsetzungs-Beschluss des Arbeitsgerichts vom 13.04.2006 wird
(teilweise) aufgehoben, soweit das Arbeitsgericht die beantragte
Einigungsgebühr nebst anteiliger Mehrwertsteuer außer Ansatz
gelassen hat.
3.
Das Verfahren wird zur Neuentscheidung über den
Vergütungsfestsetzungsantrag des Antragstellers/ Beschwerdeführers
an das Arbeitsgericht/Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
zurückverwiesen.
4.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht
erstattet.
G R Ü N D E :
1
G R Ü N D E :
1
I.
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Mit Kündigungsschutzklage vom 10.10.2005 wandte sich die Klägerin des
Ausgangsrechtsstreits gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses mit dem
Antrag,
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom
05.10.2005 nicht aufgelöst worden ist...
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Zugleich stellte sie Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, dem das
Arbeitsgericht entsprach. Nachdem die Parteien sich außergerichtlich auf eine
Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses geeinigt hatten, nahm die Klägerin die Klage
zurück. Im vorliegenden Verfahren auf Festsetzung der Anwaltsvergütung im PKH-
Verfahren (§ 55 RVG) hat das Arbeitsgericht in Übereinstimmung mit der Auffassung
des Bezirksrevisors die Festsetzung einer Einigungsgebühr abgelehnt. Hiergegen
richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen
hat.
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II.
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1.Die (befristete) Beschwerde des Antragstellers gegen den richterlichen Beschluss des
Arbeitsgerichts ist zulässig: Sie ist nach §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 RVG
statthaft. Der Wert des Beschwerdegegenstandes für die außer Ansatz gelassene
Einigungsgebühr übersteigt 200,00 €. Die gemäß §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 3
RVG einzuhaltende Rechtsmittelfrist von zwei Wochen ab Zustellung ist gewahrt.
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2.Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der Auffassung des
Bezirksrevisors und des Arbeitsgerichts im angefochtenen Beschluss ist im
vorliegenden Fall eine Einigungsgebühr (Nr. 1000, 1003 VV RVG) entstanden. Sie
entsteht nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 VV RVG für die Mitwirkung beim Abschluss eines
Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein
Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich
auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht.
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a)Dass es sich bei der Einigung der Parteien über die Fortsetzung ihres
Arbeitsverhältnisses um einen Vertrag handelt, durch den sie ihren Streit über ein
Rechtsverhältnis beseitigt haben, ist unzweifelhaft. Der Streit zwischen ihnen über die
Rechtswirksamkeit der Kündigung und über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses
wurde einvernehmlich beigelegt. Die Beklagte des Ausgangsrechtsstreits hatte
entgegen den Ausführungen des Bezirksrevisors in seiner Stellungnahme vom
15.02.2006 auch nicht lediglich einseitig Erklärungen abgegeben, sondern - wie das
Schreiben der Beklagten vom 19.10.2005 an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin
mit der Überschrift "Kündigungsrücknahme" zeigt - sich mit der Klägerin über die
Änderung der Arbeitsbedingungen, anschließender Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses, einer "Rücknahme" der Kündigung und gleichzeitiger
Klagerücknahme verständigt. Hieran war ausweislich des Schreibens vom 19.10.2005
auch der Antragsteller beteiligt.
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b)Diese vertragliche Einigung beschränkte sich auch nicht ausschließlich auf ein
Anerkenntnis oder auf einen Verzicht einer der beiden Parteien. Zunächst fehlt es
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insoweit bereits an entsprechenden Erklärungen. Insbesondere hat die Beklagte des
Ausgangsrechtsstreits den prozessualen Anspruch des dortigen Klägers nicht anerkannt
(vgl. § 307 Abs. 1 ZPO). Darüber hinaus haben die Parteien hier mit ihrer Vereinbarung
über den Fortbestand und die Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses mehr geregelt, als
es der Beklagten einseitig etwa durch ein Anerkenntnis möglich gewesen wäre, indem
sie beispielsweise die Kündigung als rechtsunwirksam anerkannt und
zurückgenommen hätte. Da es sich bei der Kündigung um eine einseitige,
empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, kann sie nach Zugang vom Kündigenden
nicht mehr einseitig zurückgenommen werden (vgl. u. a. BAG vom 19.08.1982 - 2 AZR
230/80 - AP § 9 KSchG 1969 Nr. 9, zu II 2 a der Gründe). Um das hiermit angestrebte
Ziel zu erreichen, bedarf es der Zustimmung des Kündigungsempfängers, etwa in Form
der hier zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung über den Fortbestand ihres
Arbeitsverhältnisses. Außerdem begibt sich der Arbeitnehmer mit einer solchen
Einigung der für ihn im Einzelfall bestehenden Rechte aus §§ 9, 12 KSchG.
Entsprechend löst eine derartige Einigung die Einigungsgebühr im Sinne der Nr. 1000
Abs. 1 Satz 1 VV RVG aus (ebenso LAG Niedersachsen vom 18.02.2005 - 10 Ta 129/05
- LAGE § 11 RVG Nr. 1; LAG Köln vom 02.09.2005 - 5 Ta 134/05 - LAGE § 11 RVG Nr.
2; LAG Berlin vom 08.06.2005 - 17 Ta(Kost) 6023/05 - JurBüro 2005, 644 = NZA-RR
2005, 488). Auf die zu dieser Problematik ergangene, gleichlautende Entscheidung der
erkennenden Beschwerdekammer (Beschl. vom 15.08.2005 - 16 Ta 363/05 - JurBüro
2005, 644) wird verwiesen. Danach entsteht eine Einigungsgebühr im Sinne der Nr.
1000, 1003 VV RVG auch dann, wenn die Parteien eines Kündigungsrechtsstreits sich
auf die Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses einigen und der Arbeitnehmer daraufhin
die Klage zurücknimmt (vgl. ferner Beschl. der Kammer vom 15.08.2005 - 16 Ta 325/05 -
JurBüro 2005, 643 sowie 16 Ta 433/05, JurBüro 2005, 644; Beschl. vom 30.08.2005 - 16
Ta 452/05 -).
c)Für die Entstehung der Einigungsgebühr spricht weiterhin, dass nach der Begründung
des Gesetzgebers (BT-Drucks. 15/1971 S. 171) die Einigungsgebühr die bis dahin
geltende Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO ersetzen und diese gleichzeitig erweitern
sollte. Während die Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO durch Verweisung auf § 779
BGB ein gegenseitiges Nachgeben voraussetzte, soll die Einigungsgebühr jegliche
vertragliche Beilegung eines Streits der Parteien honorieren, lediglich mit Ausnahme
eines vollständigen Anerkenntnisses eines Anspruchs oder eines vollständigen
Verzichts auf einen Anspruch. Durch den Wegfall der Voraussetzung des gegenseitigen
Nachgebens sollte insbesondere der in der Vergangenheit häufige Streit darüber
vermieden werden, welche Abreden noch und welche nicht mehr als gegenseitiges
Nachgeben zu bewerten waren (vgl. auch Göttlich/ Mümmler/Rehberg/Xanke, RVG
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1. Aufl. 2004, "Einigungsgebühr", S. 245). Darüber hinaus ist die Einigungsgebühr wie
die bisherige Vergleichsgebühr eine Erfolgsgebühr. Sie soll auch den Erfolg honorieren,
die Gerichte durch gütliche Beilegung eines Rechtsstreits zu entlasten (vgl.
Gerold/Schmidt/von Eicken/Müller-Rabe, RVG 16. Aufl. 2004, VV 1000 Rdn. 5). Beide
Intentionen des Gesetzgebers lassen es als folgerichtig erscheinen, in größerem
Umfang als bisher zu § 23 BRAGO von einer Einigung der Parteien und einer daraus
resultierenden Einigungsgebühr im Sinne der Nr. 1000 VV RVG auszugehen.
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3.Die Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung/Festsetzung des Urkundsbeamten
(§ 55 Abs. 1 Satz 1 RVG) erfolgt nach § 572 Abs. 3 ZPO. Hinsichtlich der
Gebührenfreiheit und des Ausschlusses der Kostenerstattung wird auf § 56 Abs. 2 Satz
2 und 3 RVG verwiesen.
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R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :
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Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben.
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