Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 25.09.2008
LArbG Berlin-Brandenburg: vergütung, tarifvertrag, unternehmensgruppe, zuwendung, einzelarbeitsvertrag, gewerkschaft, quelle, arbeitsgericht, vergleich, sammlung
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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 14.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
14 Sa 1232/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 4 Abs 3 Alt 2 TVG, § 1 Abs 1
TVG, § 611 Abs 1 BGB, § 1 BUrlG
Günstigkeitsvergleich - Jahressonderzahlung und Urlaubsgeld -
ratenweise Sonderzahlung nach Tarifvertrag
Leitsatz
Eine vertraglich vereinbarte jährliche Sonderzahlung sowie jährliches Urlaubsgeld stellen
günstigere Abmachungen dar, als in auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren tarifvertraglichen
Regelungen vorgesehene, ratenweise zu leistende Sonderzahlungen minderen
Gesamtumfangs bei gleichzeitig fehlenden tarifvertraglichen Regelungen zum Urlaubsgeld.
Ein Gesamtvergleich aller vertraglichen und aller tarifvertraglichen Ansprüche findet nicht
statt.
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom
20.05.2008 – 36 Ca 1126/08 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Anspruch der Klägerin auf Zahlung eines Urlaubsgeldes
und einer Sonderzuwendung.
Die Klägerin, Mitglied der Gewerkschaft Verdi, ist seit dem 01.08.1998 bei der Beklagten
bzw. deren Rechtsvorgängerin als Alterpflegerin nach Maßgabe des Arbeitsvertrages
vom 04.08.1998 (Bl. 5 d.A.) beschäftigt. Zu dem Arbeitsvertrag wurde ein Anhang
gefertigt (Bl. 6 ff d.A.), der gemäß den Bestimmungen des Arbeitsvertrages Bestandteil
desselben ist. In diesem Anhang heißt es u.a.:
Für die P. S. Unternehmensgruppe, zu welcher die Beklagte gehört, wurden zum Zwecke
der Vereinheitlichung der Arbeits- und Vergütungsbedingung der in über 100
Senioreneinrichtungen der Unternehmensgruppe beschäftigten ca. 6.000 Arbeitnehmer
mit der Gewerkschaft Verdi am 24.09.2004 ein Manteltarifvertrag (MTV), ein
Zuwendungstarifvertrag (ZTV) und ein Vergütungstarifvertrag (VTV) abgeschlossen,
welche am 01.10.2004 bzw. am 01.01.2005 in Kraft traten. Nach dem ZTV haben die
Arbeitnehmer kalenderjährlich Anspruch auf eine einmalige Sonderzahlung in Höhe von
82 % des Septembergehalts, welche ratierlich in 12 gleichen monatlichen Teilbeträgen
ausgezahlt wird. Die Zahlung eines Urlaubsgeldes sehen die Tarifverträge nicht vor.
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Ein Urlaubsgeld zahlte die Beklagte an die Klägerin für 2007 nicht. Auch erhielt die
Klägerin mit der Vergütung für November 2007 keine Sonderzuwendung in Höhe eines
vollen Monatsgehaltes, sie erhielt jedoch in den Monaten November 2007 bis Februar
2008 Sonderzuwendungsteilbeträge in Höhe von jeweils 138,98 EUR brutto.
Mit Schreiben vom 10.09.2007 (Bl. 21 d.A.) machte die Klägerin bei der Beklagten die
Zahlung eines Urlaubsgeldes für 2007 in Höhe von 306,78 EUR brutto geltend.
Mit der Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten die Zahlung des Urlaubsgeldes für
2007 und einer restlichen Sonderzuwendung.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.506,82 EUR brutto nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Mit Urteil vom 20.05.2008 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Zur
Begründung hat es ausgeführt, ein Anspruch der Klägerin auf das Urlaubsgeld für 2007
in der klageweise geltend gemachten Höhe ergebe sich aus § 611 BGB in Verbindung
mit den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen der Parteien über ein Urlaubsgeld in § 23
der Anlage zum Arbeitsvertrag. Auch die klageweise geltend gemachte restliche
Sonderzuwendung für 2007 könne die Klägerin gemäß § 611 BGB in Verbindung mit § 32
der Anlage zum Arbeitsvertrag verlangen, da sie die dort geregelten Voraussetzungen
erfülle. Die Ansprüche seien auch nicht aufgrund des Tarifwerkes vom 24.09.2004
entfallen, auch wenn § 3 des ZTV eine Zuwendung in Höhe von 82 % der Vergütung für
den Monat September vorsehe und ein Urlaubsgeld nicht geregelt sei. Gemäß § 4 Abs. 3
2. Alternative TVG könne im Arbeitsvertrag durch in sachlichem Zusammenhang mit
Regelungen des Tarifvertrages stehende Abreden abgewichen werden, wenn im Rahmen
einer Gesamtbetrachtung aus Sicht eines verständigen Arbeitnehmers unter
Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles die Bestimmungen im Arbeitsvertrag
günstiger sei, als die des Tarifvertrages. Daher könne die Günstigkeitsprüfung vorliegend
bei Anwendbarkeit des Tarifwerkes auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin lediglich auf das
Verhältnis von Urlaubsgeld und Sonderzuwendung nach dem Arbeitsvertrag einerseits
und die Zuwendung nach dem ZTV andererseits erstreckt werden, nicht jedoch auf das
gesamte jeweilige Vergütungssystem. Die Bestimmungen des ZTV könnten die
unzweifelhaft für die Klägerin günstigeren Zuwendungsregelungen des Arbeitsvertrages
daher nicht verdrängen. Die Klageforderungen seien ferner gem. § 33 der Anlage zum
Arbeitsvertrag fristgemäß geltend gemacht worden. Gegen dieses der Beklagten am
26.05.2008 zugestellte Urteil richtet sich die am 24.06.2008 beim Landesarbeitsgericht
eingegangene und mit am Monate, dem 28.07.2008 beim Landesarbeitsgericht
eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung. Die Beklagte vertritt die Auffassung,
die §§ 23, 32 der Anlage zum Arbeitsvertrag seien durch die Tarifverträge vom
24.09.2004 abgelöst worden. Aufgrund des Willens der Tarifvertragsparteien, eine alle
Arbeitsverträge erfassende Regelung gleicher Arbeitsbedingungen zu erreichen und den
Regelungen in § 24 MTV zu Besitzstandszulagen bei Vergütungsverlusten aufgrund
Inkrafttretens des Tarifwerkes sei zu folgern, dass für die Feststellung, ob im Einzelfall ein
Arbeitsvertrag oder aber das Tarifwerk für den Arbeitnehmer günstiger sei auch die
Gesamtvergütung abzustellen sei. Die Klägerin habe aber nicht dargelegt, dass die sich
für sie aus den Tarifverträgen ergebende Gesamtvergütung ungünstiger sei als die sich
aus ihrem Arbeitsvertrag ergebende. Eine Leistung eines Urlaubsgeldes und einer
Sonderzuwendung an die Klägerin nach den Regelungen ihres Arbeitsvertrages stelle
eine Ungleichbehandlung gegenüber den anderen Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern der Beklagten dar.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 20.05.2008, Az.: 36 Ca 1126/08, wird
abgeändert und die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Ablösung günstigerer einzelvertraglicher Abreden
durch einen Tarifvertrag verstoße gegen § 4 Abs. 3 2. Alternative TVG. Die Beklagte habe
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durch einen Tarifvertrag verstoße gegen § 4 Abs. 3 2. Alternative TVG. Die Beklagte habe
nicht dargelegt, dass die Regelungen der Tarifverträge für die Klägerin günstiger seien.
Wegen des weiteren Vortrages der Parteien in der 2. Instanz wird auf den Schriftsatz der
Beklagten vom 28.07.2008 (Bl. 105 ff d.A.) und den Schriftsatz der Klägerin vom
28.08.2008 (Bl. 113 d.A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden.
II.
Die Berufung ist aber unbegründet, da die Klage zulässig und begründet ist.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass der Klägerin gem. § 23 der Anlage
zum Arbeitsvertrag vom 04.08.1998 ein Urlaubsgeld für das Jahr 2007 in Höhe von
306,78 EUR brutto und gem. § 32 der Anlage zum Arbeitsvertrag eine Sonderzuwendung
für 2007 in Höhe von 100 % der für den Monat Oktober 2007 gezahlten Grundvergütung
zusteht, worauf die Beklagte in den Monaten November 2007 bis April 2008 teilweise
Leistungen erbracht hat, so dass der zuletzt noch klageweise geltend gemachte Betrag
in Höhe von 1.200,04 EUR brutto verbleibt.
Die Regelungen in den §§ 23, 32 der Anlage zum Arbeitsvertrag vom 04.08.1998 sind
nicht gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG von Regelungen des ZTV oder des MTV vom
24.09.2004 verdrängt worden. Hinsichtlich des Urlaubsgeldes enthalten diese
Tarifverträge keinerlei Abmachungen die an die Stelle des § 23 der Anlage zum
Arbeitsvertrag vom 04.08.1998 treten könnten, die Regelungen des ZTV zur
Sonderzuwendung sind für die Klägerin ungünstiger als die Regelungen in § 32 der
Anlage zum Arbeitsvertrag vom 04.08.1998 und können diese daher gem. § 4 Abs. 3 2.
Alternative TVG nicht verdrängen.
Gemäß § 4 Abs. 3 TVG sind von gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG anzuwendenden
Tarifverträge abweichende Abmachungen nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag
gestattet sind oder eine Änderung der Regelung zu Gunsten des Arbeitnehmers
enthalten. Es ist allein durch einen Vergleich der arbeitsvertraglichen mit der
tarifvertraglichen Regelung festzustellen, ob eine Änderung der tarifvertraglichen
Regelung zu Gunsten des Arbeitnehmers aufgrund einer abweichenden Abmachung
besteht. Dabei müssen die vergleichenden Gegenstände sich thematisch berühren und
in einem sachlichen Zusammenhang zueinander stehen. Dies ist dann der Fall, wenn
derselbe Regelungsgegenstand betroffen ist (BAG vom 20.04.1999, 1 ABR 72/98, BAGE
91, 210). Entgegen der Ansicht der Beklagten ist ein kollektiver Günstigkeitsvergleich
nicht anzustellen (BAG vom 25.07.2001, 10 AZR 391/00, Juris). Es sind also, soweit nicht
sowohl der Tarifvertrag als auch der Einzelarbeitsvertrag Anhaltspunkte für ein
abweichendes Vorgehen bieten, die sachlich einander entsprechenden Regelungen zu
vergleichen (BAG vom 20.04.1999 a.a.O.).
Als Sachgruppe ist vorliegend die einzelvertraglich geregelte Sonderzuwendung der
entsprechenden tariflichen Leistung nach dem ZTV gegenüberzustellen. Mit weiteren
Gegenständen der tarifvertraglichen Regelungen steht die Sonderzuwendung nicht in
einem sachlichen Zusammenhang. Der arbeitsvertragliche Anspruch der Klägerin auf
Zahlung einer Sonderzuwendung in Höhe von 100 % der für den Monat Oktober
gezahlten Grundvergütung steht der tariflichen Zuwendung in Höhe von 82 % der
Vergütung für den Monat September gegenüber und ist damit eindeutig günstiger (LAG
Berlin-Brandenburg vom 10.10.2007, 4 Sa 1384/07). Ein Urlaubsgeld ist in den
Tarifverträgen vom 24.09.2004 überhaupt nicht geregelt, schon deswegen ist die
arbeitsvertragliche Regelung in § 23 der Anlage zum Arbeitsvertrag vom 04.08.1998 für
die Klägerin günstiger, dies erst recht, wenn man Urlaubsgeld und Sonderzuwendung als
arbeitgeberseitige Zusatzleistungen im Zusammenhang stehend betrachten wollte.
Nicht aber kann vorliegend die jährliche Gesamtvergütung der Klägerin nach dem
Arbeitsvertrag mit der der Klägerin nach den Tarifverträgen vom 24.09.2004
zustehenden jährlichen Gesamtvergütung verglichen werden. Die Bestandteile, die nach
den Tarifverträgen vom 24.09.2004 die Gesamtvergütung der Klägerin ausmachen,
betreffen unterschiedliche Regelungsgegenstände und stehen nicht in einem sachlichen
Zusammenhang miteinander. Die von der Beklagten angeführten Motive der
Tarifvertragsparteien, einheitliche Vertragsbedingungen in der Unternehmensgruppe der
Beklagten herzustellen, gebieten kein abweichendes Vorgehen. Nach der
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Beklagten herzustellen, gebieten kein abweichendes Vorgehen. Nach der
Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG vom 20.04.1999 a.a.O.) müssen
sowohl der Tarifvertrag als auch der Einzelarbeitsvertrag Anhaltspunkte für ein vom
Sachgruppenvergleich abweichendes Vorgehen bieten. Es kann dahinstehen, ob das von
der Beklagten behauptete Motiv der Tarifvertragsparteien in den Tarifverträgen vom
24.09.2004 hinreichend Anklang gefunden hat, der Einzelarbeitsvertrag der Klägerin
bietet jedenfalls keine Anhaltspunkte für ein von einem Sachgruppenvergleich
abweichendes Vorgehen. Im Arbeitsvertrag der Klägerin und dem Anhang dazu sind die
monatlich zu zahlende Vergütung und die Sonderleistungen jeweils gesondert und mit
unterschiedlichen Anspruchsvoraussetzungen geregelt. Im Arbeitsvertrag finden sich
keine Anhaltspunkte dafür, dass insoweit eine Gesamtbetrachtung geboten wäre.
Im Übrigen hat die Klägerin aber auch zurecht darauf hingewiesen, dass die Beklagte,
die sich auf die Ablösung der arbeitsvertraglichen Bedingungen durch die Tarifverträge
vom 24.09.2004 beruft, gar nicht dargelegt hat, dass die der Klägerin nach den
Tarifverträgen zustehende Gesamtvergütung günstiger wäre als die nach dem
Arbeitsvertrag geregelte Gesamtvergütung.
III.
Die Kosten des erfolglosen Rechtsmittels der Berufung trägt gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die
Beklagte.
IV.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG liegen
nicht vor. Die Kammer hat bei der Entscheidung die höchstrichterliche Rechtsprechung
gelegt, dabei waren allein Umstände des Einzelfalles maßgebend.
V.
Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben. Die Beklagte wird auf die
Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde hingewiesen (§ 72 a Arbeitsgerichtsgesetz).
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