Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 08.08.2006

LArbG Berlin-Brandenburg: ordentliche kündigung, hinreichender tatverdacht, arbeitsgericht, konsum, eigenverbrauch, kokain, straftat, interessenabwägung, bestrafung, gefahr

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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 6.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 Sa 1726/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 29 Abs 5 BtMG 1981, § 314
Abs 2 BGB, § 1 Abs 2 S 1 KSchG
Kündigung wegen Verdachts außerdienstlichen Drogenkonsums
einer Wachpolizistin
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom
08.08.2006 - 93 Ca 4438/06 - geändert.
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die am ... 1966 geborene, einem Kind unterhaltspflichtige Klägerin trat zum 1. April 1988
als Wachpolizist in die Dienste des Beklagten. Im Arbeitsvertrag (Ablichtung Bl. 7 d.A.)
wurde die Anwendung des Bundesangestellten-Tarifvertrages (BAT) vereinbart.
Die über mehrere Jahre beim L. ( ) tätig gewesene Klägerin sollte ab 15. August
2005 wieder im Abschiebegewahrsam zur Gefangenenbewachung eingesetzt werden,
war aber seit diesem Tag bis zum 19. März 2006 arbeitsunfähig krankgeschrieben.
Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen
das Betäubungsmittelgesetz ( ) wurde die Klägerin am 10. Januar 2006 als
Beschuldigte vernommen, worüber ein von ihr unterzeichnetes Protokoll (
) gefertigt wurde. Dabei äußerte sich die Klägerin auch zu diversen Utensilien
für den Konsum von Kokain, die bei einer an diesem Tag in ihrer Wohnung
durchgeführten Durchsuchung gefunden worden waren.
Mit Schreiben vom 13. Januar 2006 ( ) gab der Beklagte der
Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme binnen sieben Tagen zu einer beabsichtigten
Kündigung wegen des Verdachts, durch Besitz, Konsum und Handel mit Kokain gegen
das BtMG verstoßen zu haben. Hierauf ließ die Klägerin durch ihren späteren
Prozessbevollmächtigten mitteilen, dass sie noch keine Akteneinsicht im
Ermittlungsverfahren bekommen habe und ihr strafprozessuales
Aussageverweigerungsrecht vereitelt würde, wenn sie zu einer Stellungnahme
gezwungen wäre.
Nach Einholung der Zustimmung des Personalrats mit Schreiben vom 13. Februar 2006
( ) kündigte der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 20.
Februar 2006 fristgemäß zum 30. September 2006 ( ).
Das Arbeitsgericht Berlin hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch diese
Kündigung nicht aufgelöst werde. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt,
zwar habe aufgrund der Bekundungen der Klägerin bei ihrer polizeilichen Vernehmung
ein dringender Verdacht für Straftaten in Form des Besitzes und Konsums von Kokain
während ca. eines Monats vorgelegen. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin damit
auch gehandelt habe, seien dagegen vom Beklagten nicht hinreichend konkret
vorgetragen worden. Dem Besitz und Konsum von Kokain in dem von der Klägerin
eingestandenen Umfang komme auch unter Berücksichtigung ihrer dienstlichen
Verwendung und Verwendbarkeit grundsätzlich kein so großes Gewicht zu, dass der
entsprechende Verdacht eine ordentliche Kündigung sozial zu rechtfertigen vermocht
hätte. Für die Beurteilung, ob außerdienstliches Verhalten eines Angestellten des
öffentlichen Dienstes als arbeitsvertragliche Pflichtverletzung anzusehen sei, gelte der
gleiche Maßstab wie für die Beurteilung von Dienstvergehen von Beamten. Demgemäß
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gleiche Maßstab wie für die Beurteilung von Dienstvergehen von Beamten. Demgemäß
sei außerdienstliches Verhalten nur dann als Dienstvergehen anzusehen, wenn es nach
den Umständen des Einzelfalles in besonderem Maße geeignet sei, Achtung und
Vertrauen in einer für das Amt des Beamten oder das Ansehen des Beamtentums
bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Dabei sei vorliegend zu berücksichtigen, dass
gemäß § 29 Abs. 5 BtMG das Gericht von einer Bestrafung absehen könne, wenn der
Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge erwerbe.
Aus dieser gesetzlichen Wertung gehe hervor, dass bei Tätern, die für den
Eigenverbrauch nach dem BtMG straffällig geworden seien, ihre Straftat noch nicht als
so schwerwiegend angesehen werde. Es sei auch nicht ersichtlich, dass bei der
Bewachung im Abschiebegewahrsam befindlicher Häftlinge tatsächlich ein Kontakt mit
Dealern gegeben sei. Auch bestehe nicht die Gefahr, dass wie sonst in Haftanstalten
über „undichte“ Stellen Drogen in Strafvollzug und Untersuchungshaft gelangten und
die Klägerin infolge ihrer Nähe zur Drogenszene und ihres eigenen Konsums
korrumpierbar sei. Darüber hinaus habe der Beklagte nicht hinreichend substantiiert
vorgetragen, dass der Klägerin nicht wie zuvor Tätigkeiten im Bereich der polizeilichen
Untersuchungsstelle des LKA übertragen werden könnten. Schließlich sei zu
berücksichtigen, dass die Klägerin nicht im Rahmen der Strafverfolgung tätig gewesen
sei, und sei nicht ersichtlich, dass ihr Fall in der Öffentlichkeit bereits negative
Schlagzeilen gemacht habe.
Gegen dieses ihm am 25. August 2006 zugestellte Urteil richtet sich die am 22.
September 2006 eingelegte und am 24. Oktober 2006 begründete Berufung des
Beklagten. Er tritt der Bewertung des Arbeitsgerichts mit Rechtsausführungen entgegen
und meint, dass auch hinsichtlich des Handelns mit Drogen jedenfalls ein hinreichender
Tatverdacht bestanden habe.
Der Beklagte beantragt,
die Klage unter Änderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, entgegen dem Arbeitsgericht könne aus der Unterzeichnung des
Vernehmungsprotokolls nicht geschlossen werden, dass sie das dort Protokollierte
tatsächlich bekundet habe. Deshalb könne nur von einem Verdacht und nicht von einer
Tatsache ausgegangen werden. Gearbeitet habe sie zuletzt auch nicht im Wachdienst
des Abschiebegewahrsams. Straftaten zu verfolgen, habe nicht zu ihren Aufgaben
gehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des
angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
1.
Sie ist insbesondere ordnungsgemäß eingelegt worden. Soweit Bedenken bestanden, im
Schriftzug unter der Berufungsschrift aufgrund seiner Kürze noch eine den
Anforderungen der §§ 130 Nr. 6, 518 Abs. 4 ZPO, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG
entsprechende Unterschrift zu sehen, kam es darauf letztlich nicht an. Zumindest der
Schriftzug unter dem Beglaubigungsvermerk auf dem zugleich eingereichten
Schriftsatzdoppel, auf das zurückgegriffen werden kann (
), war länger als der Stempelzusatz
„Rechtsanwalt“, was darauf schließen ließ, dass er den ganzen aus fünf Buchstaben
bestehenden Namen des Beklagtenvertreters repräsentieren sollte (
). Dabei war auch die
Entstehung aus ursprünglicher Schrift in Buchstaben gerade noch erkennbar (
).
2.
Die Klage ist unbegründet.
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin ist durch die ordentliche Kündigung des Beklagten
vom 20. Februar 2006 fristgemäß zum 30. September 2006 aufgelöst worden.
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Arbeitsverhältnisses sozial gerechtfertigt erscheinen ließen (
).
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aufgrund des dringenden Verdachts einer schwerwiegenden Verfehlung die nötige
Vertrauenswürdigkeit für die weitere Durchführung des Arbeitsverhältnisses verliert (
).
2.1.1.1
gegen die in Art. 6 Abs. 2 MRK verankerte Unschuldsvermutung (
). Der Ausspruch einer Kündigung wegen eines dringenden
Verdachts beinhaltet kein ethisches Unwerturteil über den Arbeitnehmer und dient auch
nicht der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs. Um allerdings die Gefahr, dass
sich die Verdachtskündigung gegen einen Unschuldigen richtet, so gering wie möglich zu
halten, ist der Arbeitgeber gehalten, den betroffenen Arbeitnehmer anzuhören, und
erscheint es gerechtfertigt, die Erfüllung dieser Anhörungspflicht ausnahmsweise zur
Wirksamkeitsvoraussetzung zu erheben (
).
2.1.1.2
außerdienstliche Verhalten eines Angestellten des öffentlichen Dienstes in Betracht.
Dieser hat sich gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 BAT, der für Berlin nicht zum 1. Oktober 2005
durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst abgelöst worden ist, so zu verhalten,
wie es von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes erwartet wird. Dies umfasst
auch sein außerdienstliches Verhalten, weil die dienstliche Verwendbarkeit auch durch
außerdienstliche Vorgänge beeinflusst werden kann (
).
Der Angestellte muss sich auch außerdienstlich so verhalten, dass das Ansehen seines
Arbeitgebers nicht beeinträchtigt wird. Dazu gehört die Wahrung der Rechtsordnung.
Außerdienstlich begangene Straftaten sind deshalb jedenfalls dann zur Rechtfertigung
einer Kündigung geeignet, wenn sie ein gewisses Gewicht haben, indem sie etwa über
längere Zeit fortgesetzt worden sind oder sie in unmittelbarem Widerspruch zur Aufgabe
der Beschäftigungsbehörde stehen. Dabei ist die Reaktionsbefugnis des öffentlichen
Arbeitgebers nicht auf solche Verhaltensweisen des Angestellten beschränkt, die ihrer
Art nach geeignet sind, sein Vertrauen in eine korrekte Arbeitsleistung zu erschüttern.
Die Tauglichkeit eines Angestellten im öffentlichen Dienst kann nicht nur durch
Störungen des Vertrauensverhältnisses zwischen den Arbeitsvertragsparteien selbst
beeinträchtigt werden. Vielmehr kommt es, da sie als Repräsentanten des Staates
gegenüber der Öffentlichkeit auftreten – abhängig von der konkreten Dienstfunktion -
auch auf ihr Ansehen in der Öffentlichkeit an (
).
2.1.2
aus der Unterzeichnung des Vernehmungsprotokolls vom 10. Januar 2006 durch die
Klägerin ein dringender Verdacht des Erwerbs von Kokain zum drei- bis viermaligen
Eigenverbrauch über einen Zeitraum von ca. einem Monat ergab ( ).
Einen solchen Verdacht hat die Klägerin mit ihrer Berufungserwiderung auch nicht mehr
in Abrede gestellt, sondern sich lediglich dagegen gewandt, vom Vorliegen
entsprechender Tatsachen auszugehen. Deshalb kam es auch auf die Frage nicht mehr
an, ob die Weitergabe der Informationen durch das LKA an die Dienststelle der Klägerin
ein Verwertungsverbot hätte begründen können. Zudem erlauben §§ 13 Abs. 2 Satz 1,
14 Abs. 1 Nr. 5 EGGVG ohnehin der Staatsanwaltschaft die Unterrichtung des
Dienstvorgesetzten eines strafrechtlich verfolgten Arbeitnehmers des öffentlichen
Dienstes, und kann das, was gesetzlich im Ergebnis vorgesehen ist, nicht zu einem
Verwertungsverbot führen (
).
2.1.3
Regelung über eine entsprechende Belehrungspflicht in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO
vorausgesetzten und dem Gebot fairen Verfahrens in Art. 6 Abs. MRK zu entnehmenden
strafprozessualen Aussageverweigerungsrechts gehindert sah, vor Ausspruch der
Kündigung zu dem vorgebrachten Verdacht Stellung zu nehmen. Lediglich ihr Schweigen
als solches hätte unter diesem Aspekt nicht zu ihren Lasten berücksichtigt werden
dürfen.
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2.1.4
Kokain in dem von der Klägerin eingestandenen Umfang solches Gewicht zugekommen,
dass der darauf gerichtete Verdacht zumindest eine ordentliche Kündigung sozial zu
rechtfertigen vermochte.
2.1.4.1
Regelung des Begriffs Rechtsverletzung in § 546 ZPO eine dem revisionsgerichtlichen
Maßstab entsprechende Beschränkung bei der Überprüfung der Anwendung sog.
unbestimmter Rechtsbegriffe ergibt. Soweit eine solche Beschränkung für die
Überprüfung der Auslegung von Individualerklärungen abgelehnt wird, wird dies damit
begründet, dass dabei Tat- und Rechtsfragen eng zusammenhingen (
), was sich von einem Subsumtionsvorgang jedoch nicht sagen lässt
(
). Dass mit
Rücksicht auf die Funktion des Berufungsgerichts als Tatsacheninstanz eine solche
Beschränkung auf jeden Fall entfiele, wenn der Berufungsführer neue
Tatsachenbehauptungen aufstellt, änderte vorliegend nichts, weil sich der Beklagte mit
seiner Berufungsbegründung auf Rechtsausführungen beschränkt hat. Darauf kam es
indessen nicht an, weil das angefochtene Urteil auch einem eingeschränkten
Prüfungsmaßstab nicht standhielt.
2.1.4.2
sozial gerechtfertigt ist, handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten
Rechtsbegriffs, die revisionsrechtlich nur dahin überprüft werden kann, ob die Vorinstanz
den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob diese bei der Unterordnung des Sachverhalts
unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze
verletzt hat, ob sie bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der ihr ein
Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob
die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (
).
2.1.4.3
2.1.4.3.1
abgestellt, dass die Bekämpfung der Drogenkriminalität in Großstädten wie Berlin
besonders im Fokus des öffentlichen Interesses steht und deshalb ein Verdacht von
Drogendelikten seitens Polizeiangestellter den Ruf der Polizeibehörde in der
Öffentlichkeit schädigen kann. Zutreffend erschien auch, dass das Arbeitsgericht an das
außerdienstliche Verhalten eines Angestellten des öffentlichen Dienstes keine
weitergehenden Anforderungen gestellt hat als bei einem Beamten, weil § 8 Abs. 1 Satz
1 BAT von der Erwartung gegenüber Angehörigen des öffentlichen Dienstes spricht, zu
denen auch Beamte gehören (
), und dass nach § 45 Abs. 1 Satz 2 BRRG für einen Beamten „ein Verhalten
außerhalb des Dienstes ein Dienstvergehen (nur) ist, wenn es nach den Umständen des
Einzelfalles in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für sein
Amt oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.“
2.1.4.3.2
5 BtMG von der Bestrafung abgesehen werden kann, wenn der Täter die
Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge erwirbt oder besitzt,
die Bedeutung beigemessen, dass deshalb dem zugestandenen ca. vierwöchigen
insgesamt drei- bis viermaligen Kokainkonsum der Klägerin grundsätzlich kein für den
Ausspruch einer ordentlichen Kündigung ausreichendes Gewicht beizumessen sei. Dabei
hat es zum einen außer Acht gelassen, dass eine aus Resozialisierungsgründen
geschaffene gesetzliche Ermächtigung zum Verzicht auf die Durchsetzung des
staatlichen Strafanspruchs nicht zur Folge hat, dass die Straftat damit zugleich für die
Beziehung des Täters zu seinem öffentlichen Arbeitgeber ihre kündigungsrechtliche
Bedeutung verliert. Zum anderen hat das Arbeitsgericht entgegen seinem einleitenden
Hinweis auf die Rufgefährdung der Polizeibehörde zuletzt nur noch darauf abgestellt,
dass auch unter Berücksichtigung des konkreten Aufgabengebiets der Klägerin der
Bewachung in Abschiebegewahrsam befindlicher Häftlinge nicht ersichtlich sei, dass sich
daraus tatsächlich ein Kontakt mit Dealern ergebe, und dass auch keine Gefahr bestehe,
dass wie in Strafvollzug oder Untersuchungshaft über „undichte“ Stellen dorthin Drogen
gelangten und die Klägerin infolge ihrer Nähe zur Drogenszene und des eigenen
Konsums korrumpierbar wäre. Nicht berücksichtigt hat es dabei, dass die Straftat,
hinsichtlich deren sich die Klägerin zumindest einem dringenden Verdacht ausgesetzt
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hinsichtlich deren sich die Klägerin zumindest einem dringenden Verdacht ausgesetzt
hat, in direktem Widerspruch zur Aufgabe ihrer Beschäftigungsbehörde stand, gegen
Drogenkriminalität vorzugehen. Dass die Klägerin als Wachpolizistin nicht selbst zur
Strafverfolgung eingesetzt war, änderte daran nichts. Desgleichen war es unerheblich,
dass die Klägerin ihre Tätigkeit als Wachpolizistin mit Rücksicht auf ihre Krankschreibung
nicht wieder aufgenommen hatte und sie auch noch während des Zeitraums ihres
zugestandenen Kokainkonsums arbeitsunfähig krankgeschrieben war.
Entscheidend war vielmehr, dass die Klägerin als Angestellte im Polizeidienst mit
Vollzugsbefugnissen und der Befugnis, eine Waffe zu tragen, der Begehung einer
vorsätzlichen Straftat verdächtig war, die zu verhindern zu ihren Aufgaben gehörte, und
dass sie damit das Ansehen ihrer Dienstbehörde gefährdet hat. Es verhielt sich insoweit
ähnlich wie beim Ladendiebstahl einer bei der Staatsanwaltschaft angestellten
Gerichtshelferin (
) oder der Steuerhinterziehung einer
Angestellten der Finanzverwaltung (
). Wäre die Klägerin etwa bei der
Finanzverwaltung beschäftigt, hätten die Erwägungen des Arbeitsgerichts tragen
können, so wie auch die Steuerhinterziehung eines nicht bei der Finanzverwaltung
beschäftigten Angestellten des öffentlichen Dienstes im Einzelfall für kündigungsrechtlich
unschädlich erachtet werden mag ( ).
Sonach blieb festzustellen, dass ein Verhalten, dessen die Klägerin dringend verdächtig
war, wäre es von einem beamteten Wachpolizisten an den Tag gelegt worden, in
besonderem Maße geeignet war, Achtung und Vertrauen in einer für dessen Amt oder
das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (
).
2.1.4.3
die Regelung für die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund
gemäß § 314 Abs. 2 Satz 1 BGB hinaus mit Rücksicht auf das sog. Prognoseprinzip und
den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Kündigungsschutzrecht bei steuerbarem
Verhalten grundsätzlich auch vor der ordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses
erforderlich. Obschon eine Verdachtskündigung eine personenbedingte Kündigung
darstellt, muss eine Abmahnung in Betracht gezogen werden, wenn das Verhalten, auf
das sich der Verdacht richtet, steuerbar ist. Entbehrlich ist eine Abmahnung jedoch,
wenn eine Verhaltensänderung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine
schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne
weiteres erkennbar ist, und eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich
ausgeschlossen ist (
). So verhielt es sich im
vorliegenden Fall, wo es um ein außerdienstliches Verhalten der Klägerin ging, das in
direktem Gegensatz zu den Aufgaben ihrer Dienstbehörde gestanden hätte. Aus diesem
Grund hatte sich der Beklagte auch nicht darauf verweisen zu lassen brauchen, die
Klägerin wieder im Bereich der polizeitechnischen Untersuchungsstelle einzusetzen. Es
ging nicht um mangelnde Eignung der Klägerin für eine bestimmte Tätigkeit, sondern
darum, dass der sie treffende Verdacht einer vorsätzlichen Straftat das erforderliche
Vertrauen in ihre Person generell zerstört hat und jedwedem Einsatz im Polizeidienst
entgegenstand.
2.1.4.4
Strafgericht beim Besitz von Betäubungsmitteln in geringer Menge zum Eigenverbrauch
gemäß § 29 Abs. 5 BtMG von einer Bestrafung absehen oder bereits die
Staatsanwaltschaft bei geringer Schuld des Täters und fehlendem öffentlichen Interesse
gemäß § 31a Abs. 1 Satz 1 BtMG von einer Verfolgung absehen kann, gegenüber dem
Interesse des Beklagten, das Ansehen seiner Polizeibehörde durch eine Trennung von
der Klägerin zu wahren, kein entscheidendes Gewicht beigemessen werden. Selbst eine
zur Straffreiheit führende Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung gemäß § 371 Abs. 1
AO einer Angestellten bei einem Finanzamt zwingt nicht zu einer solchen Wertung (
),
während sich vorliegend die Klägerin nicht einmal selbst offenbart, sondern bloß bei ihrer
Vernehmung spontan Angaben zu ihrem Kokainverbrauch gemacht hat, die sich trotz
vorangegangener Telefonüberwachung offenbar nicht als bloßer Versuch einer
Bagatellisierung haben entlarven lassen.
Dem Interesse der Klägerin, ihr seit 18 Jahren bestehendes Arbeitsverhältnis
fortzusetzen, kam gegenüber dem Trennungsinteresse des Beklagten aus den
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fortzusetzen, kam gegenüber dem Trennungsinteresse des Beklagten aus den
genannten Gründen ebenfalls kein Übergewicht zu. Dafür war keine konkret messbare
Ansehensschädigung erforderlich. Vielmehr genügt es, wenn das Ansehen der
Beschäftigungsbehörde durch das außerdienstliche Fehlverhalten des Arbeitnehmers
gefährdet wird (
). Dies war aber umso mehr der Fall, als die Klägerin
den mehrmaligen Konsum einer sog. harten Droge eingeräumt hat, und nicht bloß den
Konsum eines Cannabisproduktes, von dem deutlich geringere Gefahren ausgehen und
der deshalb als weniger gravierend eingeschätzt wird (
). Zudem hat der Beklagte
mit Rücksicht auf den Widerstand des Personalrats vom Ausspruch einer fristlosen
Kündigung Abstand genommen und damit dem Interesse der Klägerin entsprochen,
nach 18 Jahren als unterhaltspflichtige Mutter eines Kindes nicht von einem Tag auf den
anderen ohne Einkommen dazustehen.
Schließlich konnte auch das Lebensalter der Klägerin die Interessenabwägung nicht zu
ihren Gunsten beeinflussen. Mit knapp 40 Jahren bei Ausspruch der Kündigung war sie in
einem Alter, das mit keinen besonderen Problemen auf dem Arbeitsmarkt verbunden
ist.
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Personalrat hatte seine gemäß §§ 79 Abs. 1, 87 Nr. 9 PersVG Bln erforderliche
Zustimmung unter dem 15. Februar 2006 erteilt. Gegen die Ordnungsgemäßheit seiner
Unterrichtung durch den Beklagten mit Schreiben vom 13. Februar 2006 hat die Klägerin
nichts vorgebracht.
3.
Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung
entscheidungserheblicher Rechtsfragen zuzulassen.
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