Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 15.03.2017

LArbG Berlin-Brandenburg: versetzung, angemessene entschädigung, diskriminierung, feststellungsklage, eltern, behandlung, gefahr, betrug, pauschal, anteil

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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 15.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
15 Sa 1144/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 10 S 1 AGG, § 10 S 2 AGG, §
256 ZPO, § 7 Abs 1 AGG, § 15
Abs 2 S 1 AGG
Benachteiligung von Arbeitnehmern bei der Zuordnung zum
Personalüberhang und der Versetzung zum Stellenpool -
Berliner "Verwaltungsreform- und
Beschäftigungssicherungsvereinbarung 2000" -
Altersdiskriminierung - Entschädigung - legitimes Ziel
Leitsatz
1. Ein legitimes Ziel im Sinne von § 10 S. 1 AGG muss ein rechtmäßiges Ziel sein.
2. Bindet sich ein Arbeitgeber im Hinblick auf Ausnahmen von der Sozialauswahl bei
Versetzungen zum Stellenpool durch Verwaltungsvorschriften selbst ("Sicherung einer
ausgewogenen Personalstruktur"), dann kann eine darüber hinausgehende Veränderung der
Personalstruktur ("Herbeiführung einer ausgewogenen Personalstruktur") nicht rechtmäßig
sein.
3. Selbst wenn die Herbeiführung einer ausgewogenen Personalstruktur grundsätzlich ein
legitimes Ziel im Sinne von § 10 S. 1 AGG wäre, dann ist der Arbeitgeber dafür darlegungs-
und beweispflichtig, wie die angestrebte Personalstruktur im Einzelfall aussehen soll, warum
eine solche Personalstruktur ein legitimes Ziel darstellt und weswegen die ergriffenen Mittel
angemessen und erforderlich im Sinne von § 10 AGG sind. Diese Darlegung ist dem
beklagten Land hier nicht gelungen.
4. Benachteiligt ein Arbeitgeber einen Arbeitnehmer dadurch, dass er bei der Zuordnung zum
Personalüberhang und bei der nachfolgenden Versetzung zum Stellenpool nur Arbeitnehmer
berücksichtigt, die 40 Jahre und älter sind, dann rechtfertigt dies eine Entschädigung in Höhe
von 1.000,-- €.
5. Die Zuordnung zum Personalüberhang kann nicht isoliert mit einer Feststellungsklage
angegriffen werden. Es fehlt ein Rechtschutzinteresse.
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 25.04.2007
– 86 Ca 23363/06 – teilweise abgeändert:
Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 1.000,– Euro (eintausend)
nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
04.04.2007 zu zahlen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Die Kosten der I. Instanz tragen die Klägerin zu 60 % und das beklagte Land zu 40 %.
Von den Kosten der II. Instanz trägt die Klägerin 85 % und das beklagte Land 15 %.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten inzwischen nur noch darüber, ob das beklagte Land deswegen
Entschädigungsansprüche an die Klägerin zu zahlen hat, weil diese wegen ihres Alters
diskriminiert worden sein soll, und ob die Zuordnung zum Personalüberhang unwirksam
war.
Die am ... 1956 geborene Klägerin ist seit 1987 staatlich anerkannte Erzieherin. Sie war
vor der Wiedervereinigung in Kindertagesstätten des Bezirks H. tätig. Insofern geht das
beklagte Land von einer Beschäftigungszeit seit dem 14. Mai 1988 aus. Durch
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beklagte Land von einer Beschäftigungszeit seit dem 14. Mai 1988 aus. Durch
Arbeitsvertrag vom 21. März 2000 ist die Klägerin als Erzieherin vom Bezirksamt T. von
Berlin übernommen worden. Das Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 2.396,14 €.
Nachdem die Kindertagesstätten den verschiedenen Eigenbetrieben des beklagten
Landes zugeordnet wurden, gehörte die Klägerin zum „Kindergärten C. Eigenbetriebe
von Berlin“. Dieser war zuständig für die Kitas der Bezirke Mitte einerseits und
Friedrichshain-Kreuzberg andererseits. Von den dort beschäftigten 829 Erzieher/innen
waren am 1. Oktober 2006 263 Personen bis 39 Jahre alt (31,7 %) und 566 Personen 40
Jahre alt und älter (68,3 %). Das Durchschnittsalter betrug 45 Jahre.
Mit dem „Gesetz zur Einrichtung eines Zentralen Personalüberhangmanagements
(Stellenpool) (Stellenpoolgesetz - StPG)“ vom 9. Dezember 2003 (GVBl. Berlin S. 589)
(in Kraft getreten am 1. Januar 2004) bestimmt das beklagte Land das Zentrale
Personalüberhangmanagement (Stellenpool) zu einer der Senatsverwaltung für F.
nachgeordneten Behörde (§ 1 Abs. 1 S. 1 StPG). Nach § 1 Abs. 1 S. 2 StPG werden
dieser diejenigen Dienstkräfte unterstellt, deren Beschäftigung durch den Wegfall von
Aufgaben oder die Verlagerung von Aufgaben auf andere Dienstkräfte in ihrer
Dienstbehörde nicht mehr möglich ist. Die Versetzung zum Stellenpool erfolgt nach § 1
Abs. 2 S. 3 StPG. Die Sozialauswahl bestimmt sich nach der Verwaltungsvorschrift über
die Zuordnung von Beschäftigen zum Personalüberhang (VV Auswahl) vom 28.06.2005
(Dienstblatt des Senats von Berlin, Teil I, vom 05.08.2005, 57 ff.). Die Auswahl der
Beschäftigten erfolgt gemäß § 6 stichtagsbezogen nach den Kriterien Lebensalter,
Beschäftigungszeiten, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung, wobei jedem dieser
Kriterien bestimmte Punkte zugeordnet werden. In § 5 Abs. 2 ist u. a. als Ausnahme
festgelegt:
Eine Zuordnung zum Personalüberhang nach den in § 6 aufgeführten
Auswahlkriterien findet nicht statt, wenn die Weiterbeschäftigung der Beschäftigten
insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung
einer ausgewogenen Personalstruktur (einschließlich der Ziele des § 3 Abs. 3 des
Landesgleichstellungsgesetzes) im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.
Durch Vermerk vom 26.10.2006 (Bl. 53 ff. d. A.) hat die Geschäftsleitung des
Eigenbetriebes Kindergärten C. Kriterien für die Benennung von Erzieherinnen für den
Personalüberhang festgelegt. Die Sozialauswahl wird bezogen auf jede einzelne
Kindertagesstätte vorgenommen. Die Beschäftigten der Vergütungsgruppe VII werden in
Gänze dem Personalüberhang zugeordnet. Die Beschäftigten der Vergütungsgruppen
VI/V c werden nur dann in die Sozialauswahl einbezogen, wenn ihre Arbeitszeit zwischen
100 % und 76 % beträgt und sie zum Stichtag am 01.10.2000 das 40. Lebensjahr
vollendet haben.
Durch Schreiben vom 17. November 2006 teilt das beklagte Land der Klägerin mit, dass
sie zum 1. Januar 2007 dem Personalüberhang zugeordnet werde. Mit weiterem
Schreiben vom 27. Dezember 2006 erfolgt die Versetzung zum Stellenpool ebenfalls
zum 1. Januar 2007. Seit diesem Zeitpunkt wird die Klägerin kurzfristig als Erzieherin in
verschiedenen Kindertagesstätten eingesetzt, teilweise auch in privaten Kindergärten.
Mi Schreiben vom 18. Januar 2007 (Kopie Bl. 73 f. d. A.) machte die Klägerin gegenüber
dem beklagten Land Schadensersatzansprüche gem. § 15 AGG geltend, weil bei der
vorgenommenen Auswahl lediglich die über 40-jährigen Erzieherinnen berücksichtigt
wurden. Die hierauf gerichtete Klageerweiterung ging am 23. März 2007 beim
Arbeitsgericht Berlin ein.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
1. festzustellen, dass sie in ihrer Funktion als Erzieherin des Eigenbetriebes
Kindergärten C. des Bezirksamtes Mitte von Berlin nicht dem so genannten
Personalüberhang des Landes Berlin zugeordnet ist;
2. festzustellen, dass die Versetzung vom 27.12.2006 zum 01.01.2007 zum
Zentralen Personalüberhangmanagement (ZeP) unwirksam ist;
3. das beklagte Land zu verurteilen, an sie eine in das Ermessen des Gerichts
gestelltes Schmerzensgeld, welches jedoch einen Betrag von 4.000,-- € nicht
unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 04.04.2007 zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
Das beklagte Land hat behauptet, im Eigenbetrieb seien bis zu 80 Stellen zuviel
vorhanden. Daher müssten 43 Erzieherinnen mit der Vergütungsgruppe VIb/Vc versetzt
werden. Da jede Kindertagesstätte eine geschlossene Einheit darstelle, müsse die
Sozialauswahl auf diese Einheit beschränkt werden. Hierdurch solle auch erreicht
werden, dass für Kinder und Eltern möglichst wenig Bezugspersonen wechseln müssen.
Daher werden Kitas mit angemessenem Personalschlüssel von vornherein nicht in die
Sozialauswahl einbezogen. Im Eigenbetrieb liege eine ausgewogene Personalstruktur
nicht vor. Daher sei eine strukturelle Verjüngung notwendig.
Mit Urteil vom 25. April 2007 hat das Arbeitsgericht Berlin festgestellt, dass die
Versetzung zum Stellenpool mangels mündlicher Erörterung mit dem Personalrat
unwirksam ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Zuordnung zum
Personalüberhang könne nicht mit einer Feststellungsklage angegriffen werden. Es fehle
ein Feststellungsinteresse. Es handele sich ausschließlich um eine behördeninterne
Maßnahme. Schadensersatz könne die Klägerin ebenfalls nicht verlangen, selbst wenn
ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot wegen ihres Alters unterstellt wird. Es
fehle schon deswegen an einem immateriellen Schaden, weil die Erheblichkeitsschwelle
nicht überschritten sei. Selbst wenn die Herstellung einer ausgewogenen
Personalstruktur zwecks Vermeidung von „Oma/Opa-Kindertagesstätten“ im scharfen
Licht des AGG letztlich nicht haltbar sein sollte, so gehe es hier letztlich um Sachzwänge
und nicht um etwas, was die Klägerin persönlich nehmen müsste. Nicht jede
Diskriminierung führe zu einem Nichtvermögensschaden.
Gegen dieses der Klägerin am 23. Mai 2007 zugestellte Urteil richtet sich ihre am 5. Juni
2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Berufung. Die Begründung ging am 12.
Juli 2007 ein.
Die Klägerin hält die rechtlichen Wertungen des Arbeitsgerichts nicht für zutreffend.
Sie beantragt,
1. festzustellen, dass sie in ihrer Funktion als Erzieherin des Eigenbetriebes
Kindergärten C. des Bezirksamtes Mitte von Berlin nicht dem so genannten
Personalüberhang des Landes Berlin zugeordnet ist;
2. das beklagte Land zu verurteilen, an sie eine in das Ermessen des Gerichts
gestelltes Schmerzensgeld, welches jedoch einen Betrag von 4.000,-- € nicht
unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 04.04.2007 zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das beklagte Land meint, mit der Schaffung des AGG habe der Gesetzgeber nicht
jegliche Benachteiligung verhindern wollen. Hier sei nur das „wie“ und nicht das „ob“ des
Beschäftigungsverhältnisses betroffen. Bei der Sozialauswahl liege auch keine
Abweichung von der VV-Auswahl vor. Jedenfalls sei die Schwelle für einen immateriellen
Schaden erst dann überschritten, wenn der Beschäftigte herabgewürdigt werde. Dies sei
nicht der Fall.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist zulässig. Sie ist
jedoch nur hinsichtlich der begehrten Entschädigungszahlung begründet. Insofern war
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin teilweise abzuändern.
1. Wegen erfolgter Altersdiskriminierung war das beklagte Land zu verurteilen, an die
Klägerin 1.000,-- € nebst Zinsen zu zahlen (§§ 15 Abs. 2 S. 1, 7 Abs. 1 AGG).
1.1 Das beklagte Land hat die Klägerin unmittelbar benachteiligt, in dem es bei der
Zuordnung zum Personalüberhang hinsichtlich der Sozialauswahl nur
Arbeitnehmer/innen berücksichtigt hat, die das 40. Lebensjahr vollendet hatten, und in
dem es hierauf fußend die Klägerin tatsächlich am 1. Januar 2007 zum Stellenpool
versetzt hat.
Die Sozialauswahl knüpft an einen Grund im Sinne von § 1 AGG an, nämlich an das Alter.
Es handelt sich um eine Maßnahme bei Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses
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Es handelt sich um eine Maßnahme bei Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses
(§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG), denn die Klägerin wird im Rahmen des Direktionsrechts zum
Stellenpool versetzt. Die Klägerin hat auch wegen ihres Alters eine wenige günstigere
Behandlung erfahren, als eine Person in einer vergleichbaren Situation. Sie ist mit 48
erweiterten Sozialpunkten zu der Maßnahme herangezogen worden, obwohl mindestens
7 Arbeitnehmerinnen mit 31 bis 42 erweiterten Sozialpunkten allein deswegen nicht
berücksichtigt wurden, weil sie jünger als 40 Jahre waren. Dies ergibt sich aus der Anlage
zum Vermerk vom 26.10.2006 (Bl. 56 d. A.).
1.2 Es liegt auch keine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters vor,
insbesondere nicht nach § 10 AGG.
§ 8 AGG scheidet aus. Das beklagte Land behauptet nicht, dass Erzieherinnen ab 40
Jahre nicht mehr sinnvoll eingesetzt werden könnten. Für eine solche Annahme gibt es
auch keine Anhaltspunkte.
Die Beispielsfälle in § 10 S. 2 Ziff. 1 - 6 AGG sind ebenfalls nicht einschlägig.
1.2.1 Nach der allgemeinen Regel des § 10 S. 1 AGG ist eine unterschiedliche
Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und
durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Es
fehlt schon ein legitimes Ziel.
Thüsing (Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz Rn. 421) hat darauf hingewiesen,
dass die Wortwahl „legitimes Ziel“ in § 10 AGG sich mit der gleichen Wortwahl im § 6
Abs. 1 der deutschen Übersetzung der Richtlinie 2000/78/EG deckt. In der englischen
und französischen Fassung der Richtlinie werde hier genauso wie bei Art. 2 Abs. 2 der
Richtlinie der Begriff „rechtmäßiges Ziel“ verwendet. Daher sei dies gemeint. Auch die
hiesige Kammer geht davon aus, dass ein „legitimes Ziel“ im Sinne von § 10 Abs. 1 S. 1
AGG ein „rechtmäßiges Ziel“ sein muss.
Bindet sich ein Arbeitgeber im Hinblick auf Ausnahmen von der Sozialauswahl bei
Versetzungen zum Stellenpool durch Verwaltungsanordnung selbst („Sicherung einer
ausgewogenen Personalstruktur“), dann kann ein darüber hinausgehende Veränderung
der Personalstruktur („Herbeiführung einer ausgewogenen Personalstruktur“) nicht
rechtmäßig sein. Es ist allgemein anerkannt, dass eine Verwaltung sich selbst binden
kann im Hinblick auf die Verwaltungsreform- und Beschäftigungssicherungsvereinbarung
2000 (VBSV 2000), die auch vom Hauptpersonalrat und dem beim beklagten Land
vertretenen Gewerkschaften unterzeichnet wurde, die jedoch nur bis zum 31. Dezember
2004 galt, hat dies das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich festgestellt (vom 13.03.2007 -
9 AZR 417/06 - Rn. 40, Juris). Schon früher hatte das Bundesarbeitsgericht festgestellt,
dass eine Verwaltung sich in der Ausübung ihres Ermessens selbst binden kann, vor
allem durch entsprechende Verwaltungsvorschriften (BAG vom 17.12.1997 - 5 AZR
332/96 - NZA 1998, 555, 557).
Letzteres ist hier geschehen. In § 6 der VV-Auswahl vom 28. Juni 2005 (Dienstblatt des
Senats von Berlin, Teil I, 05.08.2005, 58 f.) ist festgelegt, dass die Sozialauswahl nach
vier Auswahlkriterien und den ihnen zugeordneten Punkten zu erfolgen hat. Eine
Ausnahme ist in § 5 Abs. 2 VV-Auswahl nur insofern vorgesehen, als ein Abweichen „zur
Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur“ zugelassen wird. Der hiesige
Eigenbetrieb hat jedoch darüber hinausgehend eine Veränderung in der Personalstruktur
vornehmen wollen. Dadurch, dass nur ältere Beschäftigte zum Stellenpool versetzt
werden sollten, sollte der prozentuale Anteil der jüngeren Beschäftigten ansteigen.
Damit sind die Grenzen überschritten, die die Verwaltung sich durch Eigenbindung im
Wege der VV-Auswahl auferlegt hatte. Eine so vorgenommene Sozialauswahl ist nicht
mehr rechtmäßig. Sie kann daher auch kein rechtmäßiges Ziel im Sinne von § 10 Abs. 1
S. 1 AGG sein.
1.2.2 Selbst wenn die Herbeiführung einer ausgewogenen Personalstruktur grundsätzlich
ein legitimes Ziel wäre, dann ist nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen
der Arbeitgeber dafür darlegungs- und beweispflichtig, wie die angestrebte
Personalstruktur im Einzelfall aussehen soll, warum eine solche Personalstruktur ein
legitimes Ziel darstellt und weswegen die ergriffenen Mittel angemessen und erforderlich
im Sinne von § 10 AGG sind. Diese Darlegung ist dem beklagten Land hier nicht
gelungen.
a) Das beklagte Land ist der Meinung, eine ausgewogene Personalstruktur sei erst dann
erreicht, wenn in der Altersgruppe bis 39 Jahren genauso viele Arbeitnehmer vorhanden
sind wie in der Altersgruppe ab 40 Jahren. Die Scheidelinie von 40 Jahren begründet das
beklagte Land damit, dass dieses Lebensjahr ungefähr die Mitte der Alterstreuung bei
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beklagte Land damit, dass dieses Lebensjahr ungefähr die Mitte der Alterstreuung bei
den Erzieher/innen darstelle (Schriftsatz vom 13.04.2007, S. 3).
Schon dies ist nicht nachvollziehbar. Ausweislich der Anlage zum Auswahlverfahren vom
26.10.2006 (Kopie Bl. 56 ff. d. A.) werden Erzieherinnen frühestens mit 18 Jahren bei der
Beklagten eingestellt. Bei einer Altersgrenze von nunmehr 67 Jahren und einer
gleichmäßigen Verteilung der Erziehungskräfte wäre die rechnerische Mitte mit 42,5
Lebensjahren erreicht.
Die Sozialauswahl hat das beklagte Land nicht auf den gesamten Eigenbetrieb erstreckt,
sondern nur auf die jeweilige Kindertagesstätte, bei der ein Personalüberhang
angenommen wurde. Begründet wird dies damit, dass den Kindern und Eltern ein
übermäßiger Wechsel der Bezugspersonen nicht zugemutet werden soll, was aber der
Fall wäre, wenn nach der erfolgten Sozialauswahl zusätzlich ein Austausch der
verbliebenen Arbeitnehmerinnen zwischen den Kindertagesstätten erfolgen müsste. An
diesen Erwägungen muss das beklagte Land sich festhalten lassen. Dann reicht es aber
nicht aus, auf eine unausgewogene Personalstruktur im gesamten Eigenbetrieb zu
verweisen. Vielmehr müsste die Personalstruktur in der jeweiligen Kindertagesstätte
dargelegt werden, hier also in der Kita R. Str. Schon dies hat die Beklagte nicht
ausdrücklich gemacht.
Bei Auswertung der Anlage zum Vermerk vom 26.10.2006 ergibt sich aber, dass 16
Erzieherinnen bezogen auf den dort festgelegten Stichtag 01.10.2006 bis 42,5 Jahre alt
waren und 12 weitere älter. Insofern ist zumindest diese Kindertagesstätte weit entfernt
von einer „Opa/Oma-Kita“, was im erstinstanzlichen Urteil jedoch ohne nähere Prüfung
unterstellt wurde. Tatsächlich besteht hier ein Überhang von Beschäftigten in der
unteren Hälfte der Altersstruktur.
b) Auch wenn man das 40. Lebensjahr als Scheidelinie akzeptiert, dann ist die
ausschließliche Berücksichtigung von älteren Erzieherinnen bei den Versetzungen nicht
gerechtfertigt.
In der Kindertagesstätte, in der die Klägerin beschäftigt war, waren 13 Erzieherinnen bis
39 Jahre alt und 15 waren 40 Jahre und älter. Insofern liegt eine fast ausgeglichene
Personalstruktur vor, auch wenn diese nicht ganz ausgewogen ist. Selbst wenn ein
völliger Gleichstand erstrebenswert wäre, dann wäre jedenfalls die Versetzung von
sieben ausschließlich über 40-jährigen Arbeitnehmerinnen nicht angemessen. Eine
solche Maßnahme würde zu einem starken Überhang bei jüngeren Kräften führen, was
selbst nach den Kriterien des beklagten Landes nicht erstrebt wird (Beklagtenschriftsatz
vom 16.08.2007, S. 6 f.).
c) Unabhängig von der tatsächlichen Personalstruktur bei den Kindertagesstätten des
beklagten Landes bestehen Bedenken, warum eine Personalstruktur gerechtfertigt sein
soll, die hälftig jeweils über oder unter einem bestimmten Lebensjahr sich gruppiert.
Das beklagte Land meint, eine einseitige Altersstruktur beinhalte für den Eigenbetrieb
erhebliche Risiken. Insbesondere das zeitnahe Ausscheiden vieler Mitarbeiterinnen in
immer kürzeren Zeiträumen und die damit erhöhte Wahrscheinlichkeit von
Bezugspersonenwechseln in erheblicher Größenordnung stelle eine Gefahr dar.
Die behauptete Gefahr einer nicht mehr kontinuierlichen Betreuung der Kinder kann
nicht nachvollzogen werden. Kinder verweilen in der Regel maximal drei bis vier Jahre in
den Kindertagesstätten und scheiden dann überwiegend zum Ende des
Kindergartenjahres aus. Wenn man ihnen in dieser Zeit ernstlich einen Wechsel bei
Bezugspersonen nicht zumuten will, dann müsste ein Ausscheiden der Erzieherinnen
regelmäßig nur zum Ende des Kindergartenjahres zulässig sein. Dies ist schon deswegen
ausgeschlossen, weil Verrentungen von Erzieherinnen unabhängig vom Ende des
Kindergartenjahres erfolgen. Die Kindertagestätte der Klägerin umfasst 30 Stellen.
Selbst wenn alle Erzieherinnen 40 Jahre und älter wären, dann würden bei einer halbwegs
gleichmäßigen Verteilung in dieser Altersgruppe pro Kalenderjahr nur etwas mehr als
eine Erzieherin ausscheiden. Nach Darstellung der Klägerin in der mündlichen
Verhandlung vom 19. September 2007 bilden vier Erzieherinnen ein Team. Somit wären
ca. sieben Teams vorhanden. Geht man von einer maximalen Zugehörigkeit der Kinder
zur Kindertagestätte von vier Jahren aus, dann müssten in dieser Zeit ungefähr bei
jedem zweiten Team eine von vier Erzieherinnen ausgetauscht werden. Warum dies
pädagogisch problematisch sein soll, ist nicht nachvollziehbar.
d) Soweit das beklagte Land mit einer größeren Altersstreuung eine größere
„Modellvielfalt“ erreichen will, so dürften hiermit wahrscheinlich unterschiedliche
Erziehungsstile gemeint sein. Diese hängen jedoch nicht vom Alter, sondern von der
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Erziehungsstile gemeint sein. Diese hängen jedoch nicht vom Alter, sondern von der
Einstellung und Haltung zu pädagogischen Konzepten ab. Dann ist das Alter der falsche
Anknüpfungspunkt.
Gleiches würde gelten, wenn mit diesem Stichwort die Innovationsfähigkeit der
Arbeitnehmerinnen gemeint sein sollte. Hierbei soll möglicherweise pauschal unterstellt
werden, dass jüngere Beschäftigte innovativer sind. Tatsächlich hat auch dies mit dem
Alter nicht zwangsläufig zu tun. Dann kann aber auch nicht pauschal ausschließlich am
Alter angeknüpft werden. Der EuGH hat schon in der Mangold-Entscheidung (vom
22.11.2004 - C 144/04 - NZA 2005, 1345, Rn. 64 f.) darauf hingewiesen, dass das
ausschließliche Anknüpfen an dem Kriterium Alter unterschiedslos dann nicht zulässig
ist, wenn es für die Integration älterer Arbeitsloser auch darauf ankommt, ob und wie
lange sie vor Abschluss des befristeten Arbeitsvertrages arbeitslos waren. Andernfalls
liefe die ausschließlich nach dem Lebensalter definierte Gruppe von Arbeitnehmern
Gefahr, während eines erheblichen Teils ihres Berufslebens von festen
Beschäftigungsverhältnissen ausgeschlossen zu sein. Rechtsvorschriften, die das Alter
des betroffenen Arbeitnehmers als einziges Kriterium für die Befristung des
Arbeitsvertrages festlegen, gingen über das hinaus, was zur Erreichung des verfolgten
Zieles angemessen und erforderlich ist. Gleiches muss auch hier gelten. Wenn über das
Kriterium Alte die Innovationsfähigkeit in den Kindertagesstätten gewahrt werden soll,
dann werden unterschiedslos auch diejenigen Arbeitnehmerinnen erfasst, die trotz ihres
höheren Alters sich offen für Weiterbildungsangebote und neue Konzepte zeigen. Auch
hier würde die Festlegung auf nur dieses einzige Kriterium über das hinausgehen, was
zur Erreichung des verfolgten Zieles angemessen und erforderlich ist.
e) All dies zeigt, dass das allgemeine Schlagwort von der „Herstellung einer
ausgewogenen Personalstruktur“ ohne Berücksichtigung der hierfür angeführten Motive
und der jeweiligen Situation nicht als Rechtfertigung für eine Diskriminierung dienen
kann.
1.3 Aufgrund des Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot kann die Klägerin wegen
eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in
Geld verlangen (§ 15 Abs. 1 und 2 AGG).
Streitig ist, ob ein derartiger Anspruch nur besteht, wenn ein erhebliche Diskriminierung
vorliegt, was nur bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts angenommen
wird (Thüsing a. a. O. Rn. 519; a. A. Bauer/Evers NZA 2006, 893, 896; Däubler/Bertzbach,
2007, § 15 AGG Rn. 50).
Der Streit kann hier dahingestellt bleiben. Zumindest im hiesigen Fall ist die
Erheblichkeitsgrenze überschritten. Die Auswirkungen der Versetzung zum Stellenpool
sind für die Klägerin durchaus erheblich. Ihr wird die langjährige Eingebundenheit
bezüglich der Arbeitskolleginnen, Eltern und Kinder genommen. Ein Einsatz als Erzieherin
erfolgte nur noch kurzfristig. Eine kontinuierliche Arbeit und Planung in diesem Beruf war
für sie nicht möglich. Gerade wegen der sinkenden Kinderzahlen musste die Klägerin
auch mittelfristig damit rechnen, außerhalb ihres angestammten Berufs ggf. nach einer
Umschulung dauerhaft beschäftigt zu werden. All dies stellt einen immateriellen
Schaden dar. Ebenso kann offen bleiben, ob die Entschädigung von
Nichtvermögensschäden verschuldensunabhängig ist oder nicht (Thüsing a. a. O. Rn.
516, 544). Das beklagte Land hat die Pflichtverletzung zu vertreten. Es hätte durchaus
erkennen können, dass die beabsichtigte Veränderung der Personalstruktur ein Verstoß
gegen § 5 Abs. 2 VV-Auswahl darstellt. Da die Sozialauswahl nach eigener Entscheidung
auf der Ebene der jeweiligen Kindertagesstätte erfolgen sollte, hätte das beklagte Land
auch prüfen müssen, ob dort jeweils eine unausgewogene Personalstruktur vorliegt und
ob dies nur dadurch ausgeglichen werden kann, dass ausschließlich ältere Erzieherinnen
zum Stellenpool versetzt werden. All diese Prüfungen hat das beklagte Land fahrlässig
unterlassen.
All dies rechtfertigt die Verurteilung des beklagten Landes zur Zahlung einer
Entschädigung in Höhe von 1.000,-- €. Hierbei ist zum einen zu berücksichtigen, dass die
Diskriminierung nur fahrlässig erfolgte. Die Schwere und Art der Beeinträchtigung ist
auch geringer als bei einer Kündigung oder nicht erfolgten Einstellung. Es ist auch davon
auszugehen, dass die Entschädigungshöhe hoch genug ist, um eine hinreichend
abschreckende Wirkung bei dem beklagten Land für die Zukunft zu entfalten.
Die Klägerin hat die Fristen der §§ 15 Abs. 4 AGG, 61 b Abs. 1 ArbGG eingehalten. Die
Verurteilung zur Zinszahlung ergibt sich aus dem Grundsatz des Verzugs.
2. Der gegen die Zuordnung zum Personalüberhang gerichtete Feststellungsantrag der
Klägerin ist unzulässig. Es fehlt am erforderlichen Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO).
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Der Klägerin ist zuzugeben, dass das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung vom
15.08.2006 (9 AZR 656/05 - ZTR 2007, 214) ausdrücklich offen gelassen hat, ob nach
Inkrafttreten des StPG einem Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit eingeräumt werden
muss, wegen der Mitwirkung des Personalrats schon die Zuordnung zum
Personalüberhang angreifen zu können.
Die Kammer ist jedoch der Ansicht, dass die Erwägungen des Bundesarbeitsgerichts in
dem Urteil vom 27.10.2005 (6 AZR 123/05 - AP Nr. 90 zu § 256 ZPO 1977) weiterhin
zutreffend sind. Dort war davon ausgegangen worden, dass die Zuordnung zum
Personalüberhang nicht ein Rechtsverhältnis darstellt, sondern nur ein bloßes Element
eines solchen. Diese Maßnahme habe nur interne Bedeutung auf Seiten des
Arbeitgebers. Für den betroffenen Arbeitnehmer ändere sich in seinem Arbeitsverhältnis
nichts.
Dies ist auch jetzt noch zutreffend. Die seit dem 1. Januar 2004 erforderliche Mitwirkung
des Personalrats nach § 99 c Abs. 2 S. 1 PersVG Berlin steht dem nicht entgegen. Die
Stellung des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis wird auch hierdurch nicht verändert.
Auch sonst führt die Beteiligung des Betriebs- oder Personalrates nicht dazu, dass schon
in diesem Stadium eine Maßnahme durch den Arbeitnehmer isoliert durch
Feststellungsklage angegriffen werden könnte. So wird die Ordnungsgemäßheit der
Anhörung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG nur inzident im Rahmen einer
Kündigungsschutzklage überprüft. Da die Wirksamkeit der Zuordnung zum
Personalüberhang Voraussetzung für eine wirksame Versetzung zum Stellenpool ist,
reicht es hier ebenfalls aus, nur die den Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis berührende
Maßnahme der Versetzung durch Feststellungsklage angreifbar sein zu lassen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien entsprechend ihrem Anteil am
Obsiegen und Unterliegen zu tragen (§ 92 ZPO).
4. Die Revision ist für beide Parteien gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen, da die
entscheidungserheblichen Rechtsfragen grundsätzliche Bedeutung haben.
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