Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 14.03.2017
LArbG Berlin-Brandenburg: ruhezeit, urlaub, mobbing, entschädigung, pauschal, bluthochdruck, leistungsklage, bestandteil, disposition, rechtshängigkeit
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Gericht:
LArbG Berlin-
Brandenburg 6.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 Sa 350/10
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 256 Abs 1 ZPO, Art 6 EGV
561/2006, Art 8 EGV 561/2006, §
21a Abs 4 ArbZG
Feststellungsklage - Lenkzeitunterbrechungen und Ruhezeiten
für Kraftfahrer
Leitsatz
1. Die Regelungen über Lenkzeitunterbrechungen und Ruhezeiten für Kraftfahrer begründen
als bloße Nebenpflichten des Arbeitgebers keinen einklagbaren Leistungsanspruch des
Arbeitnehmers.
2. An einer Feststellung, dass der Arbeitgeber die Regelungen über Lenkzeitunterbrechungen
und Ruhezeiten zu beachten hat, besteht kein nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliches
Interesse, wenn darüber kein Streit zwischen den Parteien herrscht, dieser sich vielmehr
darauf beschränkt, ob aufgetretene Verstöße auf der Disposition der Touren durch den
Arbeitgeber beruhen.
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Brandenburg an der
Havel vom 03.12. 2009 – 1 Ca 881/09 - im Kostenausspruch und insoweit geändert, wie
die Klage im Umfang von 881,00 € brutto nebst Zinsen abgewiesen worden ist, und die
Beklagte verurteilt, an den Kläger 881,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 02.12.2009 zu zahlen.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz haben bei einem Streitwert von 8.046,42 € der
Kläger zu 89,05 % und die Beklagte zu 10,95 % zu tragen, während die Kosten der
Berufungsinstanz bei einem Streitwert von 9.046,42 € dem Kläger zu 90,26 % und der
Beklagten zu 9,74 % auferlegt werden.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der am … 1953 geborene Kläger stand seit dem 1. Mai 1992 als Kraftfahrer in den
Diensten eines Unternehmens des Einzelhandels. Auf sein Arbeitsverhältnis fand der bis
Ende 1999 allgemeinverbindliche Manteltarifvertrag für den Einzelhandel im Land
Brandenburg ( ) Anwendung. Am 6. November 2006 ging das Arbeitsverhältnis im
Wege eines Betriebsteilübergangs auf die Beklagte über.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger Zahlung von Urlaubsgeld für 2009 und einer
Entschädigung wegen systematischer Verletzung der Vorschriften über Lenk- und
Ruhezeiten, die er außerdem zum Gegenstand von Leistungs- und
Feststellungsanträgen macht.
Das Arbeitsgericht Brandenburg an der Havel hat die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch des Klägers auf
Urlaubsgeld für 2009 sei noch nicht fällig, weil dem Kläger noch nicht mindestens die
Hälfte seines tarifvertraglichen Jahresurlaubs gewährt worden sei. Verstöße gegen die
Vorschriften über die täglichen Ruhezeiten in den Monaten April bis Juni 2009 habe der
Kläger trotz Bestreitens der Beklagten nicht bewiesen, seine Lenkzeiten an den
einzelnen Tagen habe er trotz entsprechender Auflage nicht dargelegt.
Gegen dieses ihm am 18. Januar 2009 zugestellte Urteil richtet sich die am 17. Februar
2009 eingelegte und am 29. März 2009 nach entsprechender Verlängerung der
Begründungsfrist begründete Berufung des Klägers. Er behauptet in Ergänzung seines
erstinstanzlichen Vortrages zu einem auch Resturlaub aus dem Vorjahr umfassenden
Urlaubsantrag vom 14. Juli 2009 ( ) auch in der Zeit vom 16. bis
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Urlaubsantrag vom 14. Juli 2009 ( ) auch in der Zeit vom 16. bis
27. November 2009 Urlaub erhalten und die restlichen Tage im Januar 2010 genommen
zu haben.
In den Monaten April bis August 2009 sei es auf Grund seines Einsatzes durch die drei
Disponenten der Beklagten zu neun Verstößen gegen gesetzliche Vorgaben zur
Ruhezeit, drei Tageslenkzeitenverstößen und 41 Verstößen gegen die Vorgaben zu
Lenkzeitunterbrechungen gekommen. Diese Verstöße ließen sich den Auswertungen der
Schaublätter seines Lkw ( ) entnehmen. Darin sei eine
als Mobbing zu wertende permanente Schikane zu sehen, durch die er nach einem im
September 2007 erlittenen Herzinfarkt einer erheblichen Gefahr für seine Gesundheit
ausgesetzt worden sei. Durch permanenten Mangel an Schlaf- und Ruhezeit leide er
zudem unter Schlafstörungen und Bluthochdruck.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil wie folgt zu ändern:
1.
881,00 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
gemäß § 247 BGB seit dem 01.07.2009 zu zahlen.
2.
Nr. 561/2006 innerhalb jedes Zeitraumes von 24 Stunden eine tägliche Ruhezeit von
mindestens elf zusammenhängenden Stunden unter der Maßgabe zu gewähren, dass
die Ruhezeit höchstens drei mal pro Woche auf nicht weniger als neun
zusammenhängende Stunden verkürzt werden darf, sofern bis zum Ende der folgenden
Woche eine entsprechende Ruhezeit zum Ausgleich gewährt wird.
3.
Lenkzeitunterbrechung von mindestens 45 Minuten nach einer Gesamtlenkdauer von
270 Minuten zu gewähren, wobei die tägliche Lenkzeit neun Stunden und die
wöchentliche Lenkzeit 56 Stunden nicht überschreiten darf.
4.
dass die Beklagte verpflichtet ist, bei der Schicht – Dienstplaneinteilung des Klägers zu
gewährleisten,
a) dass der Kläger innerhalb jedes Zeitraumes von 24 Stunden eine tägliche
Ruhezeit von mindestens elf zusammenhängenden Stunden einlegen kann,
b) dass die Ruhezeit dabei höchstens drei mal pro Woche auch nicht weniger als
neun zusammenhängende Stunden verkürzt werden darf, sofern bis zum Ende der
folgenden Woche eine entsprechende zum Ausgleich gewährt wird,
c) dass nach einer Gesamtlenkdauer 270 Minuten eine Lenkzeitunterbrechung
von 45 Minuten eingelegt werden kann, sofern der Kläger keine Ruhezeit nimmt,
d) dass die tägliche Lenkzeit neun Stunden und die wöchentliche Lenkzeit 56
Stunden nicht überschreitet.
5.
festzustellen, dass der Kläger berechtigt ist, nach einer Gesamtlenkdauer von 270
Minuten eine Lenkzeitunterbrechung von 45 Minuten einzulegen, sofern der Kläger keine
Ruhezeit nimmt, sowie dass der Kläger berechtigt ist, innerhalb jedes Zeitraumes von 24
Stunden eine tägliche Ruhezeit von mindestens elf zusammenhängenden Stunden
einzulegen, wobei die Ruhezeit höchstens drei mal pro Woche auch nicht weniger als
neun zusammenhängende Stunden verkürzt werden kann, sofern bis zum Ende der
folgenden Woche eine entsprechende Ruhezeit zum Ausgleich gewährt wird.
6.
Beklagte bei der Einteilung des Klägers zu dienstlichen Fahrten in der Zeit vom
02.04.2009 bis 31.08.2009 sowie am 04.11.2009 gegen die gesetzlichen Vorgaben zu
den Lenk- und Ruhezeiten sowie gegen die gesetzlichen Vorgaben zu
Fahrtunterbrechungen verstoßen hat.
7.
Schmerzensgeld – jedoch nicht unter 2.500,00 € - nebst Zinsen in Höhe von 5 % über
dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
Sie behauptet, bei dem Urlaub des Klägers im Januar 2010 habe es sich um anteiligen
Urlaub für dieses Jahr gehandelt. Der Vortrag des Klägers, die Tourenpläne hätten keine
ausreichenden Zeiten für tägliche Ruhezeiten und Lenkzeitunterbrechungen
vorgesehen, sei weiterhin so pauschal, dass eine Einvernehmung der als Zeugen
benannten Disponenten auf eine unzulässige Ausforschung hinausliefe. Zudem sei der
Kläger für die Einhaltung der Vorschriften über Lenkzeitunterbrechungen in erster Linie
selbst verantwortlich gewesen. Nach der eigenen erstinstanzlichen Schilderung des
Klägers sei der diensthabende Disponent auf seinen Hinweis nicht ausreichender
Ruhezeit sofort einverstanden gewesen, den Arbeitsbeginn auf eine spätere Uhrzeit zu
verschieben. Da der Kläger auf ein mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2009 unterbreitetes
Angebot eines betrieblichen Eingliederungsmanagements bislang nicht eingegangen sei,
bestehe Anlass, die behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren
Verursachung durch die Art des Arbeitseinsatzes zu bestreiten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des
angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
1.
Berufung des Klägers ist nur zu einem geringen Teil begründet.
1.1
Verzugszinsen.
1.1.1
TVG i. V. m. § 12 A Nr. 1, 2 und 8 Abs. 1 Satz 1 MTV EinzH.
1.1.1.1
Allgemeinverbindlichkeit nachgewirkt hat und mit Übergang des Arbeitsverhältnisses des
Klägers auf Grund Betriebsteilübergangs am 6. November 2006 dessen Bestandteil
geworden ist, hat der Kläger in jedem Kalenderjahr einen Anspruch in Höhe von 45 %
des jeweiligen tariflichen Entgeltanspruchs für das letzte tariflich vereinbarte Berufsjahr
der Tarifsgruppe K 2. Dieser belief sich nach seiner insoweit unwidersprochener
Darstellung seit 2006 auf 881,00 € brutto und wurde auch in dieser Höhe von der
Beklagten 2007 an ihn gezahlt.
1.1.1.2
mindestens die Hälfte seines Jahresurlaubes für 2009 gewährt hat, der gemäß § 11 Nr. 1
MTV nach vollendetem 30. Lebensjahr 36 Werktage und damit in der 5-Tage-Woche (
) 30 Arbeitstage dauerte. Wie dem Urlaubsantrag des Klägers vom 14. Juli 2009
zu entnehmen ist, hatte er für die Zeit vom 14. September bis 11. Oktober 2009 Urlaub
beantragt. Selbst wenn es sich dabei laut Eintragung des Klägers bei 14,5 Tagen um
Resturlaub aus dem vorigen Jahr gehandelt haben sollte, wären damit doch zumindest
5,5 Tage Urlaub auf 2009 entfallen, die zusammen mit weiteren zehn Urlaubstagen in
der Zeit vom 16. bis 27. November 2009 bereits die Hälfte des Urlaubs für dieses Jahr
ausmachten.
1.1.2
288 Abs. 1 BGB erst ab dem 2. Dezember 2009 zu, weil sein Anspruch gemäß § 614
Satz 2 BGB erst nach Ablauf des Monats November 2009 am 1. Dezember 2009 fällig
geworden ist.
1.2
Leistung einer täglichen Ruhezeit im bestimmten Mindestumfang und Gewährung von
Lenkzeitunterbrechungen nach bestimmten Lenkzeiten unter Einhaltung täglicher und
wöchentlicher Lenkzeitgrenzen. Dass die Beklagte als Arbeitgeber des Klägers
verpflichtet ist, diese sich aus Artt. 6 und 8 VO ( ) Nr. 561/2006 und § 21a Abs. 4
ArbZG ergebenden Vorgaben bei seiner Beschäftigung zu beachten, betrifft nicht das
Was, sondern, das Wie der geschuldeten Leistung, stellt mithin eine bloße Neben- und
keine Nebenleistungspflicht dar.
1.3
konnte ebenfalls nicht entsprochen werden, weil es an dem nach § 256 Abs. 1 ZPO
erforderlichen Feststellungsinteresse mangelte. Dass sie die vom Kläger zum
Gegenstand eines Feststellungsbegehrens gemachten rechtlichen Vorgaben zu
beachten hat bzw. dass der Kläger berechtigt ist, seine Arbeitsleistung an diesen
Vorgaben auszurichten, ist von der Beklagten nie in Abrede gestellt worden. Streitig war
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Vorgaben auszurichten, ist von der Beklagten nie in Abrede gestellt worden. Streitig war
lediglich, ob aufgetretene Verstöße von der Beklagten auf Grund der Tourenpläne zu
vertreten sind. Dagegen herrschte auch nicht etwa Streit darüber, was als Lenkzeit
anzusehen ist, welche Anforderungen an eine Lenkzeitunterbrechung zu stellen sind
oder wie die Ruhezeit zu berechnen ist (
). Lediglich bei der
gelegentliche praktizierten Überlassung des Lkw für Fahrten des Klägers nach Hause
oder zur Arbeit scheinen die Parteien deren lenk- und ruhezeitrechtliche Bedeutung
übereinstimmend verkannt zu haben, was aus diesem Grund aber auch gerade keinen
durch gerichtliche Entscheidung klärungsbedürftigen Streitpunkt darstellte.
1.4
weitere Hilfsantrag auf Feststellung von Verstößen gegen gesetzliche Vorgaben bei der
Einteilung des Klägers zu dienstlichen Fahrten entspricht ebenfalls nicht den
Zulässigkeitsanforderungen des § 256 Abs. 1 ZPO. Dieser Antrag ist nicht auf ein
Rechtsverhältnis oder auch nur einen Teil davon gerichtet, sondern auf die Feststellung
von Tatsachen. Damit genügte er auch nicht den Anforderungen an eine
Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO.
1.5
verlangen.
1.5.1
Tourenpläne der Disponenten der Beklagten zurückgehen, was eine Haftung der
Beklagten wegen Verletzung ihrer Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß §§ 241 Abs. 2, 278
Satz 1, 280 Abs. 1 BGB und eine deliktische Haftung gemäß §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1
Satz 1 BGB begründen und damit gemäß § 253 Abs. 2 BGB auch zur Zahlung einer
Entschädigung in Geld verpflichten würde, hat der Kläger bloß pauschal behauptet, trotz
bereits erstinstanzlicher Beanstandung der Beklagten jedoch nicht substantiiert
dargelegt. Die von ihm mit der Berufungsbegründung in Bezug genommenen
Auswertungen der Schaublätter des Fahrtenschreibers seines Lkw weisen für den
Zeitraum von fünf Monaten lediglich zehn Ruhezeitunterschreitungen und drei
Tageslenkzeitüberschreitungen aus, während es 41 Mal zu verspäteten
Lenkzeitunterbrechungen gekommen ist, die der Kläger selbst hätte vermeiden können.
Auf die von der Beklagten bereits erstinstanzlich vorgebrachten zum Teil ganz
erheblichen Abweichungen der Fahrtstrecken des Klägers vom Tourenschein ist dieser
überhaupt nicht eingegangen, sondern hat mit seiner Berufungsbegründung lediglich
darauf hingewiesen, dass die Beklagte den fraglichen Zeitraum ohne Einbehalte zum
Stundenlohn abgerechnet habe, und daraus gefolgert, dass der Umfang seiner
Arbeitszeit unstreitig sein dürfte.
1.5.2
Ruhezeiten auf den Tourenplänen der Disponenten beruht haben sollten, was bei den
ganz überwiegend aufgetretenen verspäteten Lenkzeitunterbrechungen schon nicht
erkennbar war, ließe sich daraus doch nicht ableiten, dass die Disponenten den Kläger
damit hatten systematisch schikanieren wollen, worin eine schwere Verletzung des
Allgemeinen Persönlichkeitsrechts läge, die, von der gesetzlichen Neuregelung in § 253
BGB unberührt, ebenfalls zu einer Entschädigung in Geld verpflichtet hätte (
). Dagegen sprach bereits, dass ein Hinweis des Klägers
auf nicht ausreichende Ruhezeit sofort berücksichtigt worden ist. Auch hat der Kläger
nichts zu einem feindlichen Umfeld vorgebracht, dass in Anlehnung an die Definition
einer Belästigung in § 3 Abs. 3 AGG kumulativ zu einer Würdeverletzung vorliegen muss,
um von sog. Mobbing als einer sich aus zahlreichen Einzelakten zusammensetzenden
Verletzungshandlung sprechen zu können (
).
2.
ZPO. Zur Ermittlung der zweitinstanzlichen Quote ist der neue Hilfsantrag des Klägers
gemäß § 3 Ts. 1 ZPO mit 1.000,00 € neben dem erstinstanzlichen Streitwert von
8.046,42 € in Ansatz gebracht worden.
Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht
erfüllt.
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